BIG Business Ausgabe 2/2015

Page 1

www.big.at Ausgabe Nr. 18 • Dezember 2015

Das Magazin der Bundesimmobiliengesellschaft

Auf der Flucht

Hunderttausende Asylsuchende klopfen an die Tore Europas. Die BIG sorgt hierzulande für viele Notunterkünfte.

Weinselig

Moldawien ist ein bitterarmes Land. Hilfe von außen ist dringend notwendig. Die BIG unterstützt 22 Familien.

BIG BUSINESS Nr. 18 • Dezember 2015 • www.big.at


INHALT

02

Foto: Robert Frankl

BIG BUSINESS INHALT

IMPRESSUM

Foto: Günter Richard Wett

02

Foto: Richard Tanzer

38

Unter Beobachtung

30

Diskussion

Foto: BIG

An den Fakultätsgebäuden für Architektur und Technische Wissenschaften der Universität Innsbruck haben die Waschbetonplatten an der Fassade endgültig ausgedient. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Realisierung erfolgte unter den kritischen Blicken der (angehenden) Fachleute.

Wenn die architektonische Qualität von Gebäuden Einfluss auf die darin erbrachten Leistungen hat, warum stehen vor dem Büro der neuen WU-Rektorin die Nobelpreisträger dann (noch) nicht Schlange? In einer von Ernst Eichinger moderierten Diskussion versucht sich eine prominente Runde der Frage zu nähern, wie wichtig die Hülle für den akademischen Inhalt ist.

38 Nach den Regeln der Höflichkeit

Das Leben in einer Justizanstalt ist definitiv kein Kindergeburtstag. Die Strafe ist Freiheitsentzug. Schlechte Behandlung gehört nicht dazu. Denn irgendwann werden die „schweren Jungs und Mädchen“ wieder aus dem Vollzug entlassen und müssen sich in die Gesellschaft reintegrieren.

48

Auf der Flucht

56

Im Wein liegt die Wahrheit

48

56

Ereignisse oder Bauvorhaben, die den BIG-Konzern in den vergan­genen sechs Monaten bewegt haben oder in Zukunft beschäftigen werden. So schreitet beispielsweise die Errichtung des Med Campus in Graz massiv voran. Im nächsten Jahr wird intensiv am Innenausbau gearbeitet. Verläuft alles nach Plan, übersiedeln die ersten Institute im Frühjahr 2017.

22

Foto: Andrew Phelps

22

Zeitraffer

Hunderttausende klopfen an die Tore Europas. Die meisten wollen nach Deutschland. Selbst auf der Durchreise müssen diese Menschen irgendwo schlafen. Die BIG übernimmt bei der Organisation der Quartiere eine tragende Rolle.

Die Republik Moldau ist ein kleines Land zwischen Rumänien und der Ukraine. Dem hauptsächlich auf Landwirtschaft ausgerichteten Staat fehlt vor allem eines, nämlich Geld. Daher wird auch wenig investiert. Viele verlassen mangels Aussichten das Land. Die BIG versucht im Rahmen eines Projekts, in Not geratenen Familien zu helfen.

IMPRESSUM Ausgabe: Nr. 18/2015 Medieninhaber & Herausgeber: Bundesimmobiliengesellschaft mbH, Hintere Zollamtsstraße 1, 1030 Wien, T 05 02 44-0, office@big.at, www.big.at Geschäftsführung: Wolfgang Gleissner, Hans-Peter Weiss Chefredaktion: Ernst Eichinger Redaktion: ­Sabine Gaggl, Christine Hörmann, Elisabeth Kleedorfer, Marlene Schloffer, Alexandra Tryfoniuk Produktion und Artdirektion: Hans Ljung Lektorat: Paul Zöchbauer Foto, Titelblatt & U4: Gisela Erlacher Druck: Grasl Druck & Neue Medien GmbH, 2540 Bad Vöslau

Dieses Druckwerk zeichnet sich durch eine nachhaltige und ressourcenschonende Produktion aus und wurde klimaneutral gedruckt. Das Papier dieses Produkts stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern sowie kontrollierten Quellen und ist somit PEFC-zertifiziert. PEFC steht synonym für nachhaltige Waldbewirtschaftung. Die Zertifizierung der gesamten Verarbeitungskette vom Wald bis zum Endprodukt garantiert, dass die Holzherkunft unzweifelhaft nachvollziehbar ist und geprüft wurde. Durch unabhängige, renommierte Zertifizierungsgesellschaften wird sichergestellt, dass die Wälder nach hohen PEFC-Standards bewirtschaftet werden. PEFC-Zertifikationsnummer: HCA-CoC-0249. Klimaneutral drucken bedeutet, die CO2Emission für die Herstellung eines Druckprodukts durch den Erwerb anerkannter Umweltzertifikate auszugleichen.

PEFC zertifziert Das Papier dieses Produktes stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und kontrollierten Quellen www.pefc.at


Foto: Suzy Stöckl

EDITORIAL

Die BIG Geschäfts­ führer Hans-Peter Weiss (links) und Wolfgang Gleissner.

Liebe Leserinnen und Leser!

I

m Jahr 2015 hat die BIG erneut zahlreiche Projekte realisiert. So wurden beispielsweise die Architekturfakultät in Innsbruck (siehe „Unter Beobachtung“, S. 22) und die Justizanstalt Salzburg (siehe „Nach den Regeln der Höflichkeit“, S. 38) im Zeit- und Kostenrahmen fertiggestellt. Gleichzeitig ist Österreich mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert – einer Flüchtlingsbewegung bisher unbekannten Ausmaßes. Das stellt auch innerstaatliche Strukturen hart auf die Probe. Für die BIG sind solche Rahmenbedingungen gleichzeitig eine Chance. Ihre Legitimation besteht auch darin, Unternehmensziele konsequent zu verfolgen. Unsere Profession ist, Raum nach marktorientierten Kriterien zur Verfügung zu stellen. Das gilt selbstverständlich auch während der Flüchtlingskrise. Wir haben seit Jahresbeginn systematisch das Portfolio durchforstet. Mittlerweile werden fast 110.000 Quadratmeter Gebäudefläche von Bundes-, Landes- oder karitativen Organisationen genutzt ­(siehe Reportage „Auf der Flucht“, S. 48). Zahlreiche weitere Unterbringungsmöglichkeiten wurden angeboten. Langfristig betriebene Quartiere vermietet die BIG nach dem üblichen Modell. Bei vielen Notunterkünften handelt es sich aber um temporäre Leerstände, also beispielsweise in Planung befindliche Projektentwicklungen. Diese Immobilien werden mietfrei zur Verfügung gestellt. Die BIG kommt Nr. 18 | 2015 | www.big.at

damit ihrer Verpflichtung einer marktadäquaten Bewirtschaftung des Portfolios nach und hilft gleichzeitig rasch, unbürokratisch und effizient. Niemand kann derzeit seriös prognostizieren, wie sich die Lage weiter entwickelt. Aus vielen Ländern der Welt versuchen Menschen Kriegen oder der Armut zu entkommen. Sie erhoffen sich in der Europäischen Union ein besseres Leben. So leidet beispielsweise die Republik Moldau enorm unter diesem Exodus. Jeder, der kann, kehrt seinem Land den Rücken. Diejenigen, die bleiben – oft allein erziehende Frauen, Kinder oder alte Menschen –, leben nicht selten in bitterer Armut. Die BIG unterstützt seit vielen Jahren, in Kooperation mit der Caritas, mehr als 20 Familien in Moldawien. In der Reportage „Im Wein liegt die Wahrheit“ (S. 56) zeichnet Ernst ­Eichinger ein Bild von Umständen, die jeden Tag von Neuem zu einer Herausforderung werden lassen. Menschen in Not zu helfen – so wie es derzeit Tausende Privatpersonen in Österreich ­leben –, ­sehen wir als moralische Verpflichtung. Wir hoffen, humanitäres Engagement macht weiter Schule.

Hans-Peter Weiss

Wolfgang Gleissner

BIG BUSINESS

1


ZEITRAFFER MED CAMPUS GRAZ

Überdimensionales Puzzle H Alle Rohbauten des neuen Med Campus in Graz sind seit vergangenem Herbst fertiggestellt. Der Innenausbau läuft. Einzelne Haustechnikanlagen müssen aufgrund ihrer enormen Dimensionen allerdings in kleinen Teilen geliefert und vor Ort zusammengebaut werden.

2

BIG BUSINESS

ier finden viele Arbeitsabläufe zeitversetzt statt.­ ­Sobald ein Rohbauteil fertig war, wurde mit Fassade und Ausbau begonnen, während woanders noch Wände aufgestellt wurden“, sagt Philipp Jereb von der BIG. Auch die Anbringung der Fassade ist genau geplant. Vorgefertigte Elemente werden „just in time“ – also in der richtigen Menge zu dem Zeitpunkt, wenn sie gebraucht werden – angeliefert und mit einem eigenen Fassadenaufzug an die gewünschte Stelle gezogen. „Der Aufzug kann Elemente mit einem Gewicht bis zu 1,5 Tonnen heben“, erklärt Chris­tian Herold, der gemeinsam mit Jereb das Projekt leitet. So wurde vor Kurzem die gesamte Fassade fertiggestellt. Die Anzahl der Fenster hängt von der Lage des Raums ab. Je ­höher und südlicher ausgerichtet er ist, desto mehr Tageslicht gelangt in den Raum und umso weniger Fenster wurden verbaut. Darüber hinaus verhindern automatische Sonnenschutzelemente ein Blenden oder sommerliches Überhitzen, können aber nach Bedarf genauso manuell gesteuert werden. Zur Unterstützung der Heizung und Kühlung des Med Campus wird eine Geothermieanlage errichtet. › Nr. 18 | 2015 | www.big.at


GRAZ

Foto: Helmut Lunghammer

MED CAMPUS

Die vorgefertigten Fassadenelemente wurden mit einem speziellen Aufzug in Position gebracht.

Fotos: Robert Frankl

Die Auskragung von Trakt sechs ist über 15 Meter lang und 950 Tonnen schwer. Nur die schmale „Wandscheibe“ scheint sie zu stützen. Das Stahlfachwerk ist aber auch im Stahlbetonkern des sechsgeschoßigen Bauteils rückverankert.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

3


ZEITRAFFER MED CAMPUS GRAZ

Zur Vermeidung von sichtstörenden Säulen tragen Spannbetonträger aus dem Brückenbau die Decke des großen Hörsaals, über dem vier Stockwerke liegen. Rechts: In der Heizzentrale reihen sich Leitungen und Pumpen aneinander. Ein Trennschichtspeicher reguliert unterschiedliche Temperaturen im Gebäudekomplex.

­ ährend die meisten der 119 Sonden schon tief unter dem W Gebäudekomplex versenkt sind, werden die letzten noch bis Jahresende in den Außenbereichen in 125 Metern Tiefe installiert. Im Jänner startet dann der Probebetrieb der Anlage. Anfang November wurde bereits eine Bauheizung für den Winter installiert. Seit Herbst wird nämlich am Feinausbau gearbeitet: Maler, Fliesen- und Bodenleger gestalten die Oberflächen. Die künstliche Wärme dient aber nicht dem Komfort der Arbeiter, sondern ist notwendig. „Kleber für Böden, Dichtstoffe und Anstriche brauchen 15 Grad plus, um trocknen zu können“, sagt Philipp Jereb. Insgesamt 220 Arbeiter verrichten täglich auf der Baustelle ihr Handwerk, mit dem Feinausbau sind es oft bis zu 400 auf einmal. Das Gros der Techniker ist dabei auf den ersten Blick nicht auszumachen. Erst in den Tiefen des Campus schlägt das Herz des baumarktaffinen Heimwerkers höher. Schweißer, Elektroinstallateure oder auch Herren über mächtige Flügelglättmaschinen arbeiten Seite an Seite. Denn die Immobilie mit einer Kombination aus Büroräumen und Labors erfordert hochspezialisierte Technik.

Rohrlabyrinth

Unzählige Rohre und Leitungen in allen Dimensionen schlängeln sich entlang der Decken durch die Gänge des Untergeschoßes. Sie verbinden – in den Obergeschoßen überwiegend unsichtbar – die Anlagen in riesigen unter­­

4

BIG BUSINESS

irdischen Technikräumen mit dem gesamten Gebäude. Unab­hängig von der bis zum Abbau des letzten Krans noch „natür­lichen“ Belüftung wurden auch eigene Schweiß­ plätze im Untergeschoß eingerichtet. „Eine eigene Abluft schafft hier die Voraussetzung, die einzelnen Rohrteile ­sicher zusammenschweißen zu können“, sagt Christian Herold. Während viele Kleinteile zu einem großen Ganzen verschmelzen, ist so manche Anlage zu voluminös, um fertig angeliefert zu werden. So musste die Kälteanlage in Einzelteilen über die Tiefgarageneinfahrt zu ihrem Bestimmungsort gebracht werden, erst vor Ort kann sie wieder zusammengebaut werden. Während sich der Großteil der Technik im Untergeschoß versteckt, müssen Rückkühler zum „Free Cooling“ in luftiger Höhe auf den Dächern positioniert sein, damit sie ihren Zweck erfüllen können. „Die Free-CoolingAnlage am Med Campus nutzt Außenluft zur Kühlung von Servern. Damit löst der natürliche Kältelieferant die Kältemaschine ab einer Temperatur von zehn Grad plus und darunter ab und wird nur bei Spitzenlasten elek­tronisch unterstützt“, sagt BIG-Projekttechniker Marco B ­ ischof. Im kommenden Jahr, wenn der Innen- und der Feinausbau schon deutlich ­vorangeschritten sind, wird mit der ­La­bor­ausstattung und der Errichtung der Außenanlagen begonnen. Ende 2016 soll baulich alles fertig sein, damit die Einrichtung erfolgen kann. Nr. 18 | 2015 | www.big.at


MED CAMPUS

GRAZ

Fotos: Robert Frankl

Unzählige Rohre und Leitungen in allen Dimensionen schlängeln sich entlang der Decken durch die Gänge des Untergeschoßes.

In den Außenbereichen wurden im Herbst die letzten Sonden der Geothermieanlage im Boden versenkt. Im Jänner startet der Probebetrieb. Rechts: Bis zum Abbau des letzten Krans im Oktober reichte ein großes Loch bis ins Untergeschoß, wo sich bei Regen das Wasser sammelte und abgepumpt wurde.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

5


ZEITRAFFER BILDUNGSCAMPUS ASPERN

Das Projekt entstand nach Entwürfen von Zinterl Architekten und liegt direkt am Hannah-Arendt-Park.

Von der Schultüte bis zur Matura

Gemeinsam lernen unter einem Dach: Kindergarten, Volksschule und AHS in unmittelbarer Nähe.

S

eit Herbst erfüllt herzliches Kinder­lachen die Seestadt Aspern in Wien-Donaustadt. Der neue Bildungs­ campus hat seinen Betrieb aufgenommen. Rund 800 Kinder lernen in dem vierstöckigen Gebäudeensemble und vergnügen sich in der dazugehörigen großzügigen Garten­anlage. Ein Kindergarten für elf Gruppen, eine Ganztagsvolksschule mit 17 Klassen sowie acht Klassen für Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen sind hier ­unter einem Dach vereint. Rund eineinhalb Jahre dauerte der Bau der Bildungseinrichtung. Die BIG investierte im Auftrag der Stadt Wien rund 34 Millionen Euro in den ­Neubau. Das terrassenartig angelegte Gebäude steht auf einem 4,8 Hektar großen Grundstück und bietet mit 12.000 Quadratmetern viel Platz für klassen- und gruppenübergreifendes Arbeiten. Die Räume sind dafür entsprechend „clusterartig“ angeordnet. Alternative Energiesys­ teme für Heizung und Warmwasser machen das Gebäude beinahe energie­autark. Während der Bildungscampus auf „Teilgebiet 1“ bereits von vielen Kindern bevölkert wird, mühen sich in der unmittelbaren Nachbarschaft noch die Bauarbeiter mit Stahl und Beton. Hier errichtet die BIG eine 35 Millionen Euro teure Bundesschule mit insgesamt 41 Klassen. Dabei werden die Schulformen Allgemeinbildende Höhere Schule

6

BIG BUSINESS

(AHS) und Berufsbildende Höhere Schule in Form einer Handelsakademie und Handelsschule kombiniert. Rund 1.100 Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II sollen hier ab Herbst 2017 unterrichtet werden.

Keine Stammklassen

Das Schulgebäude umfasst rund 12.900 Quadratmeter und wird nach einem innovativen Raumkonzept gestaltet. Die Unterrichtsräume der Sekundarstufe I – für die 10- bis 14-Jährigen – sind nach dem Clustersystem angeordnet. ­Jeweils vier Stammklassen sind um einen offenen Raum gruppiert, der für Gruppenarbeiten genutzt werden kann. In der Sekundarstufe II sind die Lehrbereiche in Departments organisiert. Die Schülerinnen und Schüler haben keine Stammklassen mehr, sondern wandern je nach Unterrichtsfach in einen anderen Raum. Pausen und Freistunden können sie in insgesamt vier eigenen Aufenthalts­ bereichen verbringen – den „Home Bases“. Oder sie schnappen auf ­einer der Terrassen etwas Frischluft, wahlweise auch im rund 400 Quadratmeter großen begrünten Innenhof. Wie beim Bildungscampus wird auch hier Nachhaltigkeit großgeschrieben. Das fertige Gebäude soll ebenso nach Total-Quality-Building (TQB)-Kriterien zertifiziert werden. Nr. 18 | 2015 | www.big.at


BILDUNGSCAMPUS

Foto: Richard Tanzer

Visualisierungen: fasch&fuchs.architekten

Fotos: Gisela Erlacher

Die Innenräume präsentieren sich farbenfroh und weitläufig. Der großzügige Garten und mehrere Terrassen bieten Raum für Bewegung an der frischen Luft.

ASPERN

Die Visualisierungen zeigen das Bildungsquartier nach den Plänen von fasch&fuchs.architekten. Derzeit wird der Rohbau errichtet.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

7


ZEITRAFFER KUNSTUNIVERSITÄT LINZ

Brückenkopf mit Löchern im Dach

Baubeginn für die neue Kunstuniversität Linz. Gebäude aus der NS-Zeit werden bis Ende 2018 saniert.

D

ie BIG saniert und erweitert im Auftrag der Kunst­ universität Linz die denkmalgeschützten Brückenkopfgebäude. Stiegenhäuser und Dachaufbauten werden neu errichtet, die Haustechnik auf den aktuellen Stand gebracht und die denkmalgeschützten Räume für die Universität saniert. In zwei Bauphasen wird zuerst der Ostund im Anschluss der Westtrakt umgebaut. Ende 2018 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Insgesamt werden rund 36 Millionen Euro in das Projekt investiert. Das Land Oberösterreich und die Stadt Linz beteiligen sich mit jeweils vier Millionen Euro. Nach den Plänen von Architekt Adolf Krischanitz dienen die neuen Stiegenhäuser künftig als zentrale Erschließungs­ zonen. Um das schwere Gerät für den Abbruch in das Gebäude bringen zu können, wurde das Dach an mehreren Stellen geöffnet. „Sobald wir die Rohbauarbeiten im Osttrakt in diesem Bereich plangemäß bis Ende dieses Jahres abgeschlossen haben, starten wir im kommenden Frühjahr mit der Errichtung der Aufbauten“, sagt der zuständige BIGProjektmanager Johann Kirschner. Darüber hinaus gibt es bereits Überlegungen zur Realisierung eines Kunstprojekts.

8

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


KUNSTUNIVERSITÄT

LINZ

ZAHLEN, DATEN, FAKTEN Baustelleneinrichtung Juli 2015 Baubeginn Osttrakt August 2015 Fertigstellung Osttrakt März 2017 Baubeginn Westtrakt April 2017 Fertigstellung Westtrakt Dezember 2018 Nettoraumfläche gesamt rund 26.650 m2 Investitionen gesamt rund 36 Millionen Euro Architektur Architekt Krischanitz ZT GmbH Innerhalb der Bauzeit in beiden Gebäuden verbaute Materialien: Abbruch Beton & Mauerwerk 18.000 Tonnen Einbau von neuem Beton 2.500 m3 Verlegung von Bewehrungseisen 270 Tonnen Erforderliche Schalung 16.000 m2 Stahl für Dachaufbauten 45 Tonnen

Die sogenannten Brückenkopfgebäude am Ende der Nibelungenbrücke bilden das Tor zur Linzer Innenstadt. Zuerst wird das östliche Gebäude auf den neuesten Stand gebracht.

Die Brückenkopfgebäude wurden ursprünglich im Zuge der Neugestaltung des Donauufers geplant. Nach anfänglicher Unstimmigkeit über die Widmung scheint es ab 1939 ent­ schieden gewesen zu sein, dass sie als Standort des Ober­ finanzpräsidiums dienen sollten. Die genehmigten Ein­ reichpläne tragen den Stempel 29. August 1941. Trotz kriegsbedingter Engpässe sollten die Gebäude jedenfalls von außen fertiggestellt werden. Im Oktober 1943 wurden die Arbeiten einstweilen stillgelegt und erst im Jahr 1947 – zu je einem Drittel vom Land Oberösterreich, der Stadt Linz und dem Bund finanziert – abgeschlossen. 1956 gingen die Brückenkopfgebäude in das Eigentum der Republik ­Österreich über. Im Jahr 2000 kaufte die Bundesimmobi­li­ en­gesellschaft ein großes Liegenschaftspaket der Republik um 2,4 Milliarden Euro an – darunter auch die beiden ­Brückenkopfgebäude.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Fotos: Harald A. Jahn

GESCHICHTE

BIG BUSINESS

9


ZEITRAFFER BRG KREMSZEILE

Fotos: Fotografie Brunner, Krems

Die Ballspielwände von Sofie Thorsen sind nicht nur Kunst zum Anschauen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes zum Bespielen.

Spielarten der Kunst

BIG Art sorgt in den Pausen der sanierten Schule für Auflockerung.

E

ine besonders praxisorientierte Planungsgemeinschaft war bei der Sanierung und Erweiterung des BRG Kremszeile am Werk. Das Architekturbüro trafo Kirchmayr & Nöbauer GesbR hatte nämlich tatkräftige ­Unterstützung von den Schülern und Lehrern. So stammt unter anderem das Farbkonzept für die Sanitärräume vom Werklehrer und die Gestaltung der Fenster mit schmalen Lüftungsflügeln und breiten Fensterbrettern zum Sitzen von den Schülern. Auch die schräge Ausführung der ­Beamerwände ist aufgrund der praktischen Erfahrung der Nutzer umgesetzt worden. Wenn der Kopf vom Lernen „raucht“, stehen den Schülern ein neuer Turnsaal, die thermisch sanierte Schwimmhalle und die neuen Außensportanlagen samt Beachvolleyballplatz zum Sport zur Verfügung. Die Sonderunterrichtsräu-

10

BIG BUSINESS

me für Werken haben einen direkten Zugang zum Innenhof. Aber auch innerhalb der Schule ist für gute Luft gesorgt. Die Kippfenster der natürlichen Kühlung öffnen sich sowohl nachts als auch in den Pausen automatisch und versorgen die Schule mit frischer Luft, die sich durch schallgedämmte Lüftungsboxen über die Räume in den Gängen verteilt. Das neben dem Beachvolleyballplatz „stehende“ Kunstprojekt dient nicht nur dazu, sich intellektuell auszutoben, sondern auch körperlich. Die Ballspielwände von Sofie Thorsen sind farbig gestaltet, haben Durchlöcherungen und Metallelemente und sind von den historischen Spielplastiken der Nachkriegszeit inspiriert. Geht es nach der Künstlerin, sollen sie täglich „bespielt“ werden. Von Juli 2013 bis Dezember 2014 wurden insgesamt rund 10.760 Quadratmeter Fläche saniert oder neu gebaut. Nr. 18 | 2015 | www.big.at


BRG

KREMSZEILE

Vor der Bibliothek kann im mediterranen Klimagarten bei viel Licht und Grün gelesen und gelernt werden.

Das Schwimmbad ist für ein Gymnasium eine Besonderheit.

Im Erdgeschoß befindet sich der teilbare Festsaal.

Zur Verbesserung der Sicherheit wurde die Busspur verbreitert.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

11


ZEITRAFFER BSZ FELDBACH

Fotos: Paul Ott

Nach der Sanierung und dem Einbau neuer Fenster ist die Fassade deutlich energieeffizienter.

Ausgehöhlt und aufgeräumt Nutzung gemeinsamer Flächen durch drei Schulen nach Sanierung.

D

as Bundesschulzentrum in Feldbach ist nach knapp zwei Jahren Bauzeit saniert und erweitert. Nach den Plänen von Architekt Zinterl wurde zuerst das Bestands­ gebäude innen komplett „ausgehöhlt“ und „aufgeräumt“. Danach galt es, die Räume im rund 15.000 Quadratmeter großen Schulgebäude neu unter den drei Schulen (BORG, HAK/HAS und HLW) aufzuteilen. Zusätzliche Fläche entstand durch die Aufstockung. Die öffentliche Bibliothek, das Buffet mit Essbereich, die Sonderunterrichtsräume für Naturwissenschaften und Musikerziehung sowie die Aula werden nun von den drei Schulen gemeinsam genutzt und befinden sich im Erd­ geschoß. In den beiden oberen Geschoßen sind alle Unterrichtsräume. Zudem wurden Lichthöfe und Terrassen geschaffen, die als zusätzliche Freiluftklassen dienen. Im ­Bundesoberstufenrealgymnasium wird „geclustert“: Dabei grup­pieren sich Unterrichtsräume mit EDV-Räumen jeweils um ein zentrales Atrium, das als Lerninsel dient und für flexible Lernformen geeignet ist. Der Energiebedarf ist dank neuer Fenster und einer sanierten Gebäudehülle nun um einiges geringer. Darüber hinaus wurden brandschutztechnische Einrichtungen adaptiert und die Klassenräume mit einer kontrollierten mechanischen Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung ausgestattet.

Die Beete wurden mit unterschied­ lichen Gräsern neu bepflanzt.

12

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


BSZ

FELDBACH

Um wertvollen Raum für die Schüler und Lehrer zu gewinnen, wurde das Gebäude um weitere 1.700 Quadratmeter aufgestockt.

Bunte „Lerninseln“ werden in den Pausen ebenso wie für Unterricht außerhalb der Klassen genutzt.

Auch vor der Schule bieten die „Feldbacher Enzis“ Sitzgelegenheiten an der frischen Luft.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

13


ZEITRAFFER SCHÜLERHEIM RADSTADT

Das historische Gebäude und der 1.000 Quadratmeter große Zubau verbinden sich harmonisch zu einer modernen Unterbringung für Schülerinnen und Schüler.

Herrschaftlich übernachten

Schülerheim Radstadt: Denkmalgeschütztes Schloss umgebaut und erweitert.

R

Schloss und Neubau sind durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden. Der Komfort eines perfekt ausgestatteten Heims inklusive Kletterturm (Bild rechts) entschädigt vielleicht ein bisschen für die fehlende Zeit mit der Familie.

14

BIG BUSINESS

Fotos: Herman Seidl

evitalisiertes Schloss, Kletterwand und Sauna sind keine Beschreibungen aus einem Hotelprospekt, sondern die Ausstattung des Bundesschullandheims Radstadt. In den letzten zweieinhalb Jahren wurde ein drei­ geschoßiger Neubau mit Zimmern für 70 Schüler errichtet und das denkmalgeschützte Schloss innen saniert. Die bisherigen Zwei- bis Acht-Bett-Zimmer sind jetzt Vier-BettZimmer für insgesamt 24 Personen. Auch punkto Energieeffizienz entspricht der Standort modernen Anforderungen. Eine Solaranlage auf dem Dach des Neubaus sorgt für rund zwei Drittel des Warmwasserbedarfs. Die BIG investierte rund acht Millionen Euro in das Bauprojekt.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


KARL-FRANZENS-UNIVERSITÄT

GRAZ

Im Zuge des Projekts wird die ursprüngliche Fassade aus dem Jahr 1895 freigelegt. Durch den Abbruch eines Zubaus entsteht ein attraktiver Vorplatz.

Auf altem Bestand bauen Die Bibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz wird erneuert.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Visualisierungen: Thomas Pucher ZT GmbH

E

in unter der Campusoberfläche versenkter Hörsaal, ein spektakulärer Glasquader, der über dem historischen Lesesaal zu schweben scheint, und das Wiedersichtbarmachen der 125 Jahre alten Fassade: Die BIG erneuert im Auftrag der Karl-Franzens-Universität den zentralen Wissensspeicher der Universität von Grund auf. Seit der Eröffnung des Gebäudes im Jahr 1895 wurde die Bibliothek immer wieder stückweise ergänzt. Nun werden erstmalig die Gebäudeteile mit mehr als 10.000 Quadratmetern als Einheit betrachtet. Dazu wird der gesamte Komplex rund um den denkmalgeschützten Lesesaal völlig neu gestaltet und um einen großen Hörsaal, ein StudierendenService-Center sowie zusätzliche Lernplätze erweitert. Im Zuge des europaweiten Wettbewerbs wurden insgesamt 35 Entwürfe eingereicht. Eine Jury hat sich einstimmig für das Projekt des Grazer Architekturbüros Atelier Thomas Pucher ZT GmbH entschieden. Im Frühjahr 2017 wird mit der Sanierung und Erweiterung begonnen. Fertigstellungstermin ist Anfang 2019.

In den Aufbauten sind 200 Lese- und Lernplätze für Studierende geplant. Neben der hochdämmenden Außenhaut wird die Wärme in den Sommermonaten durch Beschattungsanlagen reduziert, während in den Wintermonaten die Glasflächen zur passiven Nutzung der Sonnenenergie verwendet werden.

BIG BUSINESS

15


ZEITRAFFER

Foto: artpho.at | die foto-werkstatt

BRG WALLERERSTRASSE | MONTANUNI LEOBEN

In etwa zwei Jahren Bauzeit werden rund 2.300 Quadratmeter umgebaut sowie rund 3.800 Quadratmeter neu errichtet. Die BIG investiert rund 15 Millionen Euro in das Projekt.

Erweiterung an Welser Schulen

Visualisierung: Jörg Stögmüller

Synergien schaffen: gemeinsame Nutzung der Flächen.

■  Im Bundesrealgymnasium in der Welser Wallererstraße bleibt bis Sommer 2017 kaum ein Stein auf dem anderen. „Wir entkernen den Altbestand aus den 60er-Jahren. Bis auf die Tragstruktur wird also alles abgebrochen“, sagt BIGProjektmanager Andreas Preining. Im Zubau aus den 90er-­ Jahren werden unter anderem Böden getauscht und die Wände neu gestrichen. Zusätzlich wird ein Turnsaal errichtet. Das Besondere dabei: Er „steht“ auf Stelzen. Der Gewinn liegt in weiterer Außenfläche. Raum für 14 neue Stammklassen sowie mehrere zusätzliche Sonderunterrichts­ räume schafft eine Aufstockung. Während der Bauarbeiten sind jeweils acht Klassen in Containern untergebracht. Ein Übergang soll die Schule mit dem benachbarten Gymna­ sium Anton-Bruckner-Straße, wo die Sanierungsarbeiten bereits im Sommer 2016 abgeschlossen werden, verbinden. Ziel ist die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur.

Mehr Platz für Montanuni in Leoben

Foto: Scherzer+Valent Architekten

Rabcewicz-Gebäude wird für International Petroleum Academy saniert und erweitert.

Die Fassade der „International Petroleum Academy“ wird zweckmäßig und schnörkellos. Unterstützt wird das Projekt von einem österreichischen Ölkonzern.

16

BIG BUSINESS

■  Das Rabcewicz-Gebäude, benannt nach dem Tunnel­ bauprofessor Ladislaus von Rabcewicz, wurde in den 70erJahren erbaut und rund 20 Jahre später um eine Halle erweitert. Die Halle wurde im Sommer abgebrochen und durch einen dreigeschoßigen Neubau ersetzt, der verbleibende Bestand wird zu einer modernen Lehr- und Lerninfrastruktur umgebaut. Im Juni 2016 soll alles fertig sein. Die BIG investiert rund drei Millionen Euro in das Projekt. Den gleichen Betrag investiert noch einmal die Montanuniversität Leoben gemeinsam mit der OMV. Insgesamt 1.700 Quadratmeter Fläche werden in den nächsten Monaten nach den Plänen von Scherzer+Valent Architekten in Angriff genommen. Im Zuge der Sanierung werden Räume neu angeordnet, Oberflächen und Elektrotechnik erneuert sowie Barrierefreiheit hergestellt. Außerdem wird die Fassade samt Fenstern getauscht und bildet dann mit dem Zubau ein einheitliches Bild. Das Projekt ist Teil des durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) initiierten Sonderbauprogramms für Universitäten. Nr. 18 | 2015 | www.big.at


LANDESGERICHT

SALZBURG

Foto: Andreas Kolarik

Visualisierung: SUE Architekten

Viele Kubikmeter Mauerwerk mussten im Außenbereich des historischen Justizgebäudes weichen. Grundsätzlich bleiben die Fassaden des Bauwerks aber aus Denkmalschutzgründen nahezu unverändert.

„Baggern“ auf engstem Raum

Heikler Abbruch in Salzburger Innenstadt. Sanierung des Landesgerichts gestartet.

B

ereits seit vergangenem Sommer wird im Landesgericht Salzburg am Rudolfsplatz 2 nicht mehr verhandelt. Auch die Häftlinge aus der Vollzugsanstalt sind längst in Puch-Urstein. Stattdessen „wüten“ die Bagger im Herzen der Stadt Salzburg. „Wir haben alle Vorkehrungen getroffen, um die Einschränkungen punkto Lärm und Staub so gering wie möglich zu halten“, sagt BIG-Projektmanager Franz Wechselberger. Ein Zubau aus den 70erJahren und zwei ehemalige Zellentrakte im Innenhof sind bereits Geschichte. Damit entsteht Raum für einen Y-förNr. 18 | 2015 | www.big.at

migen Neubau, der die Gebäudetrakte am Rudolfsplatz und entlang der Schanzlgasse miteinander verbindet. Um einen raschen Baufortschritt zu ermöglichen, wurden alle Abteilungen für die Dauer der Bauarbeiten aus dem Justizgebäude in Ersatzquartiere ausgesiedelt. Läuft alles plangemäß, sind die Bauarbeiten im Sommer 2018 abgeschlossen. Die BIG als Bauherr und Liegenschaftseigentümer investiert rund 59 Millionen Euro in das Bauprojekt. Die Pläne für die Sanierung und Erweiterung des Justiz­ gebäudes stammen von den SUE Architekten aus Wien.

BIG BUSINESS

17


ZEITRAFFER

Fotos: Robert Frankl

MILESTONE | KURZ NOTIERT

MILESTONE ist ein renommierter ­Betreiber von Premium-Studentenapartmenthäusern und pachtet die ­Liegenschaft am Bahnhofgürtel von der ARE.

Sorgenfreies (Studenten-)Leben All-inclusive-Wohnpaket für angehende Akademiker in Graz. ■  Zu Beginn des Wintersemesters 2015/16 waren die ­Wände noch frisch gestrichen und die Böden neu gelegt. Wenige Tage später übersiedelten bereits die ersten Studenten in ihre neuen Wohnungen. Mittlerweile sind die 378 Einzelapartments auch bereits gut ausgelastet. Die Ausstattung der Zimmer entspricht einem modernen Single-Apartment, mit hochwertiger Küche samt ­Mi­kro­welle, eigenem Badezimmer und vollständiger Möblierung. Zusätzlich sind ein Reinigungsservice und technischer Support rund um die Uhr sowie Highspeed W-LAN in

AU S D EM AR E WO H N BAU *** WIEN. Bis Ende 2017 entstehen in Floridsdorf 36 neue Mietwohnun­ gen. Im Herbst hat die Bau & Boden Immobiliengesellschaft mit der Er­ richtung begonnen. Die ARE kauft die Liegenschaft nach Fertigstellung. *** WIEN. Die ARE baut in den kom­ menden 18 Monaten an fünf unter­ nehmenseigenen Standorten die Dachgeschoße aus. Damit entstehen 33 Mietwohnungen. *** GRAZ. In Liebenau haben im Herbst die Bauarbeiten für 39 Miet­ wohnungen begonnen. Für die Er­ richtung ist Pongratz Bau verant­ wortlich. Die ARE kauft die Liegen­ schaft nach Fertigstellung.

18

*** WIEN. Zwischen Schloss Belve­ dere und Naschmarkt entwickelt die ARE Development bis zum Frühjahr 2017 die Wohnhausanlage ARGENTO mit 75 Eigentumswohnungen.

der Miete von 499 Euro bereits enthalten. Die Studierenden können sich daher vollkommen auf ihre Seminare und ­Vorlesungen konzentrieren. Damit das gesellschaftliche ­Leben trotzdem nicht zu kurz kommt, gibt es zahlreiche ­Gemeinschaftsflächen wie Fitnessraum, Learning Lounges, Musikzimmer oder einen Partyraum. Zur Eröffnung des neu ­errichteten Studentenapartmenthauses am Bahnhof­ gürtel in Graz stand folgerichtig auch keine klassische ­Feier mit festgelegtem Zeremoniell, sondern eine ausgelassene ­Party auf dem Plan.

KU RZ NOT I E RT

*** WIEN. Das Wohndelta Alte Donau in Kaisermühlen hat im Herbst Dach­ gleiche gefeiert. Fertigstellung ist Mitte 2016.

*** STEIERMARK. Mit einer Schlüssel­ übergabe wurden Mitte November die Bezirksgerichte Fürstenfeld und Deutschlandsberg offiziell eröffnet. Die Fertigstellung der Erweiterungsund Sanierungsprojekte ist bereits im Frühjahr dieses Jahres plange­ mäß erfolgt. Die ARE als Bauherr hat für beide Projekte zusammen rund sechs Millionen Euro investiert.

*** LINZ. Seit Februar 2015 laufen in der Kaarstraße 21 in Linz die Bauar­ beiten für 73 frei finanzierte Eigen­ tumswohnungen der ARE Develop­ ment und der Real-Treuhand Projektund Bauträger GmbH. Nur wenige Monate nach Baubeginn wurde das Projekt an einen Investor verkauft.

*** WIEN. Mit der Schlüsselübergabe zum „Beatrixgarten“ Anfang Dezem­ ber haben die neuen Eigentümer der 31 Wohneinheiten gleichzeitig Zu­ griff auf einen BMW i3. Die ARE De­ velopment übernimmt für die Dauer des Leasingvertrags von vier Jahren alle laufenden Kosten.

BIG BUSINESS

*** WIEN. Das Arbeits- und Sozial­ gericht zieht um. Das alte WU-Insti­ tutsgebäude in der Althanstraße 39–45 wird zum modernen Gerichts­ standort adaptiert. Ende November wurde Spatenstich gefeiert. Geplan­ te Fertigstellung ist Herbst 2016. *** WIEN. Das Gebäude in der Woll­ zeile 1–3 ist vollvermietet. Die Lie­ genschaft bietet Büroeinheiten ab 250 Quadratmetern Größe. *** WIEN. BIG und Parlamentsdirek­ tion präsentierten im November ­erste Vorentwürfe für die geplante Parlamentssanierung im Umfang von 352,2 Millionen Euro. Baubeginn: Sommer 2017.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


Fotos: Markus Kaiser

GYMNASIUM

LICHTENFELSGASSE

Die Wandgestaltung erinnert an einen Strichcode. certov architects plante die Sanierung der Schule.

Schulgänge mit Farbcode

Sanierung mit thermischen Maßnahmen abgeschlossen – 8,5 Millionen Euro Investitionen.

D

as Grazer Gymnasium in der Lichtenfelsgasse wurde saniert. Neu sind ein Bereich für die Nachmittags­ betreuung und der mit dem Musiksaal kombinier­ bare Mehrzweckraum. Bunte Wandfarben durchbrechen das sterile Weiß an den Wänden der Gänge. Die thermischen Maßnahmen senken den Energieverbrauch. An den vier unterschiedlich alten Bauteilen wurden die Fenster ausgetauscht, das Dach neu gedeckt sowie ein Vollwärmeschutz und eine vorgehängte Betonfertigteilfassade angebracht.

Der Musiksaal bietet jetzt mehr Raum für kreativen Unterricht. Die Aula wirkt heller und luftiger.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

19


ZEITRAFFER TECHNISCHE UNIVERSITÄT GRAZ

Biomedizin statt Chemie

Neue Nutzung nach Sanierung – Mensa mit Dachterrasse und Ausblick.

D

er neue Vorplatz mit markantem Dach ist nur ein kleiner Teil des Umbaus der Stremayrgasse 16 für die Technische Universität Graz. Das insgesamt siebenstöckige Gebäude steht seit Oktober 2015 Studierenden und Lehrenden der Biomedizinischen Technik barrierefrei zur Verfügung. Um das zu ermöglichen, blieb innen kaum eine Mauer unberührt. Statt in Chemielabors arbeiten die Mitarbeiter jetzt in ­offenen Büros, während die Studenten in Seminarräumen, dem großen Hörsaal oder der Bibliothek lernen. Auch die Österreichische Hochschülerschaft ist in das Gebäude eingezogen. Während im Untergeschoß Bücherlager, die erneuerte Haus- und Elektrotechnik sowie die IT unter­ge­ bracht sind, lädt im Erdgeschoß neben der Bibliothek ein Café mit Terrasse zum Besuch ein. Das ­alte Haustechnikgeschoß der Chemie ist der neuen, verglasten Mensa mit Dachterrasse gewichen. Sanierte Fenster und neue Scheiben haben das Erscheinungsbild der denkmalgeschützten Fassade nicht verändert, aber thermisch verbessert.

Bei Regen ist der richtige Platz gefragt. Irgendwie erinnert die Überdachung an Emmentaler.

So einsam und ruhig ist es in den Lernzonen nicht immer. Oft ist dort Hochbetrieb, und Studierende müssen sich um einen Platz bemühen.

Fotos: David Schreyer

In der neuen Mensa dient selbst das schnelle Mittagessen der Entschleunigung im hektischen Unibetrieb. Nach der Nahrungsaufnahme geht es wieder zurück in die neuen Hörsäle. Geplant wurde der Umbau von Ingenos und Gangoly & Kristiner Architekten.

20

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


TRIIIPLE

WILDGARTEN

TrIIIple wird konkret, die Widmung wurde im Gemeinderat beschlossen. Das Projekt wird von der ARE Development und der Soravia Group realisiert.

Foto: Harald A. Jahn

Visualisierung: ARE Development/Dieter Henke & Maria Schreieck

Visualisierung: Schreiner Kastler

Derzeit ist der „Wildgarten“ noch eine grüne Wiese. Doch auch nach der Bebauung soll es viel Grünraum für individuelle Wünsche und nachbarschaftliches Miteinander geben.

„Pole-Position“: Bagger am Start

Widmungen beschlossen: In TrIIIple und im „Wildgarten“ entstehen fast 2.000 Wohnungen.

D

ie zwei größten und damit wichtigsten Projektentwicklungen haben im vergangenen Sommer eine wichtige Hürde genommen. Sowohl der ­„Wildgarten“ als auch TrIIIple sind seit den Beschlüssen im Gemeinde­rat „richtig“ gewidmet. Bereits ab Mitte 2016 sind im „Wildgarten“ daher weniger Schäufelchen und Gartenkralle als schweres Gerät gefragt. Auf dem rund elf Hektar großen Grundstück in WienMeidling werden nämlich Bestandsgebäude im Westen des Areals für ein Nachbarschaftszentrum samt Kinder­ garten und Arztpraxis saniert. Gleichzeitig erfolgt die ­Herstellung der Infrastruktur für die einzelnen Baufelder. Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Danach sollen die abschnittsweise Verwertung sowie die Aufschließung und Entwicklung der Baufelder beginnen. Läuft es nach Plan, sind bis 2022 alle 1.100 Wohneinheiten an ­ihre neuen Eigentümer und Mieter übergeben. Parallel zu den ersten Bauarbeiten im „Wildgarten“ wird es in Wien-Landstraße richtig staubig. Dann sorgen spekta­ kulär „fliegende“ Bagger, also auf einem Kran aufgehängte Maschinen, für den kontrollierten Abbruch des ehemaligen Hauptzollamts. Die Errichtung der drei jeweils rund 100 Meter hohen Wohntürme und eines kleineren Kom­ plexes für Büro und Geschäftsflächen beginnt voraussichtlich im Frühjahr 2017.

BIG BUSINESS

21


THEMA UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Unter Beobachtung An den Fakultätsgebäuden für Architektur und Technische Wissenschaften der Universität Innsbruck haben die Waschbetonplatten an der Fassade endgültig ausgedient. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Realisierung erfolgte unter den kritischen Blicken der (angehenden) Fachleute. Von Christine Hörmann

22

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


UNIVERSITÄT

INNSBRUCK

Foto: Günter Richard Wett

Das neue Architekturgebäude von ATP architekten ingenieure fügt sich harmonisch in die Landschaft ein.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

23


THEMA UNIVERSITÄT INNSBRUCK

1969

«Die Kunst ist es, alle Bestimmungen zu erfüllen und ein Gebäude trotzdem benutzerfreundlich und attraktiv zu gestalten.» Paul Ohnmacht, ATP-Projektleiter

gilt in der Retrospektive als Jahr des Aufbruchs. Während die erste Mondlandung die Grenzen der Menschheit ins All verschob, stand in Innsbruck eine richtungsweisende Entscheidung im Ausbildungsbereich vor der Umsetzung. Im Innsbrucker Stadtteil Kranebitten sollten zwei markante Gebäude für die neuen Studienrichtungen Architektur und Bauinge­ni­ eurwesen errichtet werden. Das eindeutige Bekenntnis zum Start der Technischen Fakultät untermauerte den Aufschwung der wirtschaftlichen Entwicklung im Westen Österreichs und den Bedarf an Fachkräften. Hubert Prachensky, einer der bedeutendsten Tiroler Architekten der Nachkriegszeit, charakterisierte genau den für die Umsetzung gewünschten Typus des Visionärs. Prachensky, dessen wertvolle Sammlung von etwa 20.000 Plänen, Zeichnungen und Aquarellen noch heute im Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck aufbewahrt wird, entwarf die für die 60er- und 70er-Jahre typischen Bauten aus Waschbeton. 40 Jahre später fanden die Architekten von ATP architekten ingenieure eine zeitgemäße Variante.

Helligkeit und offene Atmosphäre

Während der Umbauarbeiten waren die Mitarbeiter und Studierenden teilweise in Container ausquartiert. Jetzt, da auch die Übersiedelung abgeschlossen ist und wieder studentischer Alltag in den neuen Gebäuden herrscht, scheinen alle mit dem Relaunch ihrer Universität äußerst zufrieden zu sein. Vor allem gefällt die Helligkeit der Räume, das

24

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


UNIVERSITÄT

INNSBRUCK

Fotos: Günter Richard Wett

«Dieser Lernraum ist toll, groß und hell, und es gibt genügend Steckdosen und Anschlüsse – wir kommen deshalb fast täglich her.» Julia S., Studentin

Helle, offene Räume fördern die Kreativität und die Kommunikation unter den Studierenden.

In der schuppenartigen Glasfassade der Architekturfakultät spiegelt sich die Umgebung.

viele Tageslicht, so der einstimmige Tenor. Gleich beim Eingang im Erdgeschoß des Bauingenieurgebäudes befindet sich das neue rundum verglaste Lernzentrum, in dem sich stets viele Studenten aufhalten. „Dieser Lernraum ist toll, groß und hell, und es gibt genügend Steckdosen und Anschlüsse – wir kommen deshalb fast täglich her“, erzählt Julia, die gerade gemeinsam mit ihrer Freundin an einer Seminararbeit schreibt. Auch die Studentenvertreter der Österreichischen Hochschülerschaft sind von ihrem neuen Büro gleich neben dem Lernzentrum begeistert. „Es ist viel geräumiger als unser altes Büro. Wir wurden sogar in die Planung miteinbezogen und konnten so unsere Wünsche und Vorstellungen verwirklichen. Auch die Möbel haben wir selbst entworfen“, freut sich Tobias, der Fachschaftsvorsitzende der Architekten. Er fühlt sich sichtlich wohl im klar strukturierten Bürogebäude der Bauingenieure. Seine Vorlesungen und Kurse absolviert er aber im Nachbar­ gebäude, das sich optisch ganz anders präsentiert – mit schuppenförmiger Glasfassade. Im atelierartigen, lichtdurchfluteten Foyer der Architekturfakultät sitzen die Studentinnen Ann-Marie und Laila und tüfteln an ihrem Modell. Sie verbringen viel Zeit hier, denn im Foyer sei man meist ungestört. Sie fühlen sich sehr wohl in der neuen Uni und finden den Umbau absolut gelungen. Vor allem mögen die beiden die offene Bauweise, die vielen Glaselemente und das dadurch ständig präsente Tageslicht. Bei all den vielen positiven Stimmen zum Umbau ist aber ab und zu auch ein wenig wehmütige Er­ innerung an die alte Uni und das „kreative Chaos“, wie › Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

25


THEMA UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Fotos: Günter Richard Wett

Die Fassade von ­ bjekt 2014 wird O ­erneuert, und auch im Inneren herrscht Baustelle. Nur die Prozessoren und Computer summen streng abgesperrt vor sich hin.

F­ lorian und Paolo, zwei Architekturstudenten aus Südtirol, es nennen, zu spüren: „Es war halt wie ein Wohnzimmer, ab­gewohnt, aber gemütlich und vor allem ohne Sicherheitstüren und Brandschutzmelder, die auf der Architektur, wo ständig gelötet wird, schon mal falschen Alarm auslösen.“ Die vielen sicherheitstechnischen Auflagen sieht auch Paul Ohnmacht, Projektleiter von ATP, teilweise kritisch: „Die ­Erfüllung der Normen und Richtlinien lässt in manchen ­Bereichen kaum mehr gestalterischen Freiraum zu. Die Auflagen werden immer mehr, teilweise nehmen sie auch absurde Formen an. Aber das ist nun mal die ­Realität und gehört zum Arbeitsalltag eines jeden Planers. Die Kunst ist es eben, alle Bestimmungen zu erfüllen und ein ­Gebäude trotzdem benutzerfreundlich und attraktiv zu gestalten.“

Mit Architektur Identität schaffen Glas als dominierendes Element erzeugt Weite und bringt natürliche Helligkeit und Wärme ins Gebäude.

26

BIG BUSINESS

Am Innsbrucker Technik-Campus sieht man sich nun nach dem Umbau zwei vollkommen unterschiedlichen Bauten gegenüber: Das Fakultätsgebäude für Technische Wissenschaften ist ein präziser und geradliniger Turm, der in die Nr. 18 | 2015 | www.big.at


UNIVERSITÄT

INNSBRUCK

Klar strukturiert und geometrisch präsentiert sich das Gebäude der Technischen Wissen­ schaften im Unterschied zur verspielten, gläsernen Architekturfakultät.

Höhe ragt und ein Wahrzeichen für den gesamten Stadtteil darstellt. Das Gebäude der Architekten hingegen ist verspielt mit flirrender Glasfassade, in der sich die Umgebung und die Tiroler Berge spiegeln. Ein geometrisches, kleinteiliges Bürogebäude das eine, eine flexible, offene Lernwerkstatt das andere. „Es war uns wichtig, für die ursprünglich baugleichen Häuser unterschiedliche Konzepte zu ent­ wickeln. Eine differenzierte Gestaltung berücksichtigt die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Nutzer und schafft so auch Identität“, meint Ohnmacht.

Raumeinteilung und schafft bei den Architekten eine großzügige Atmosphäre“, erläutert Ohnmacht, der selbst in Innsbruck sein Studium absolviert hat. Daher war es für ihn etwas ganz Besonderes, in dieser Form wieder an ­„seine“ Universität zurückzukehren. „Es ist natürlich sehr spannend, als Architekt die eigene Universität neu zu gestalten – eine große Ehre, aber auch eine enorme Herausfor­ derung. Man kennt einerseits die Bedürfnisse der Nutzer, weiß aber auch um die vielen kritischen Fachleute, die das Ergebnis dann beurteilen werden“, schmunzelt er.

New York mitten in Innsbruck

Architektur für Architekten – kein leichtes Unterfangen

Auch die Notwendigkeit eines zweiten Fluchtwegs wurde in den zwei Häusern unterschiedlich gelöst. Während im Bauingenieurgebäude einfach ein zweites Treppenhaus im Kern eingezogen wurde, bekam das Architekturgebäude ­eine sogenannte Scherentreppe, auch bekannt als NewYork-Treppe. „Es handelt sich um zwei gegenläufige Treppenhäuser, die in der Mitte des Gebäudes eine Verbindung innerhalb jedes Stockwerkes schaffen. Ein durchgängig verlegter Parkettboden unterstreicht die offene, flexible Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Und was sagen nun diese Fachleute zum Resultat? Der ­Dekan der Architekturfakultät, Stefano De Martino, ist zumindest nicht restlos überzeugt. Vor allem sei die Fakultät zu wenig in den Umbau- und Planungsprozess miteinbe­ zogen worden. Im Zuge der Neugestaltung des Gebäudes hätte man auch einen Diskurs darüber führen müssen, wie sich die Fakultät überhaupt definiert, und auch bestehende Strukturen überdenken sollen. „Leider entsprechen die ›

BIG BUSINESS

Die Sanierung der Fakultät für Technische Wissenschaften wurde im Rahmen des Haus der Zukunft Plus Programms gefördert. Haus der Zukunft Plus ist ein Forschungs- und Technologieprogramm des Bundes­ ministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie. Es wird im Auftrag des BMVIT von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft gemeinsam mit der Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH und der Österreichischen Gesellschaft für ­Umwelt und Technik ­abgewickelt.

27


THEMA UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Räumlichkeiten nur bedingt den Anforderungen einer architektonischen Fakultät. Es wurde einfach eine neue Hülle geschaffen, aber das Gebäude leistet nicht das, was es sollte“, zeigt sich De Martino enttäuscht. Darüber hinaus habe man zu wenig das große Ganze im Auge gehabt. Der ursprüngliche Campusgedanke, den Prachensky hatte, sei mit den unterschiedlichen Lösungen für die beiden Gebäude obsolet geworden. Architekt Michael Prachensky, der bereits als junger Architekturstudent bei der Planung der Technischen Universität in den 1960er-Jahren im Team seines Vaters mitgearbeitet hat, bezieht Stellung: „Die Technische Universität, die ich mitgetragen habe, liegt mir sehr am Herzen. Leider ist die jetzige Umsetzung weder architektonisch noch technisch richtungsweisend.“ „Es jedem recht zu machen, ist freilich immer schwer und fast unmöglich. Gerade in einem künstlerischen Bereich wie der Architektur herrschen nun einmal unterschied­ liche Anschauungen. Das ist ja auch gut so, sonst würden alle «Es jedem recht zu machen, Gebäude gleich aussehen“, meint Christian Volgger, Projektleiter ist freilich immer schwer der BIG für das Architektur­ und fast unmöglich.» gebäude, recht pragmatisch zur Christian Volgger, BIG-Projektleiter Kritik. Aber dass die Architekturfakultät nicht ausreichend involviert war, weist Volgger entschieden zurück. „Ganz im Gegenteil. Volker Giencke war Baubeauftragter vonseiten der Fakultät und von Anfang an in den gesamten Planungsprozess und alle wesentlichen Entscheidungen eingebunden. Und beide Gebäude gleich gestalten? – Nein, das wäre doch wirklich langweilig und banal gewesen.“

Neue Heimat für über 2.000 Studierende

Rund 1.400 Architekturstudenten sind im Augenblick an der Universität Innsbruck inskribiert, und an den vier Archi­tekturinstituten arbeiten insgesamt 92 Mitarbeiter. An der Fakultät für Technische Wissenschaften mit ebenfalls vier Instituten sind es hingegen 252 Mitarbeiter und 1.000 Studierende. Anke Bockreis, Vizerektorin der Universität Innsbruck für Infrastruktur, ist davon überzeugt, dass sich die Mitarbeiter und Studenten in den neu gestalteten Räumlichkeiten wohlfühlen. „Ich halte ja regelmäßig auf der Technik Vorlesungen und besitze im Gebäude der Technischen Wissenschaften selbst ein Büro, in dem ich einmal pro Woche arbeite, und das Feedback meiner Mitarbeiter ist durchwegs positiv“, erzählt die promovierte Bauinge­ nieurin. „Natürlich“, fügt sie aber hinzu, „gab es bei einigen Dingen Verbesserungsbedarf. So musste die vollautoma­ tische Haustechnik erst optimal eingestellt werden. Dabei galt es, auch die Bedürfnisse der Nutzer zu berücksichtigen. Hier einen Ausgleich zwischen energieeffizienter Kühlung und den Wünschen der zahlreichen Mitarbeiter zu finden, wird auch künftig nicht immer ganz einfach sein“, glaubt Bockreis. Jeder Mitarbeiter hätte „die Möglichkeit, manuell in die Steuerung einzugreifen und so Sonnenschutz, Fenster,

28

BIG BUSINESS

­ eizung und Licht selbst zu bedienen“, sagt Bertram H Knoflach, der zuständige Projektleiter für das Bauingeni­ eurgebäude von der BIG. Aber die Entscheidung für eine vollautomatisierte Haustechnik wurde ja bewusst gemeinsam mit den Verantwortlichen der Universität getroffen.“ Der Einsatz eines Gebäudeleitsystems erhöht seiner Meinung nach den Komfort. „Wir wollten gerade für diese fachlich kompetenten Nutzer ein intelligentes, innovatives und nachhaltiges Haus errichten. Vor allem in der ersten Nutzungsphase gab es aber ein Informationsdefizit aufseiten der Universitätsmitarbeiter. Viele wussten einfach nicht über die technische Ausrüstung des Gebäudes und dessen Schaltparameter Bescheid. Wir haben auch extra ein gut verständliches, fünfseitiges Bedienungshandbuch verfasst – anscheinend wurde dies zu wenig genutzt. Ich denke aber, dass wir die Anfangsschwierigkeiten überwunden haben und sich – nach einer gewissen Akzeptanzphase – alle an die automatischen Jalousien, Fenster und Beleuchtungen gewöhnt haben.“

Auszeichnung für Nachhaltigkeit

Das haustechnische Konzept des Gebäudes der Technischen Wissenschaften basiert auf dem Prinzip eines Passivhauses mit natürlicher Nachtlüftung und daraus resultierender Kühlung der offen liegenden Speichermassen. Hier wurde im Rahmen des Projekts „BIGMODERN“ ein besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz gelegt und dafür auch mehr Budget bereitgestellt. Ein zweijähriges Monitoring soll zeigen, ob sich der Kostenmehraufwand für die Sanierung gelohnt und amortisiert hat. Das Sanierungskonzept der Fakultät für Technische Wissenschaften wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Die Österreichische Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB) verlieh dem Gebäude als herausragendem Projekt das TQB-Gebäudezertifikat (Total Quality Building) für nachhaltiges Bauen und ­Sanieren. Von der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik wurde das Gebäude mit dem klima:aktiv Gold Standard zertifiziert. „Die bisherigen Aufzeichnungen der Gebäudeleittechnik zeigen jedenfalls, dass die vollautomatisierte Nachtkühlung sehr gut funktioniert und energie­ effizient arbeitet“, freut sich Bertram Knoflach.

Form folgt Funktion

Das Fazit des Architekten zum dreijährigen Sanierungs­ projekt der beiden Fakultätsgebäude fällt jedenfalls positiv aus: „Uns Planern wurde großes Vertrauen entgegen­ gebracht. Wir konnten viele unserer Ideen verwirklichen“, streut Architekt Paul Ohnmacht dem Bauherrn Rosen. Die beiden Projektleiter der BIG, Bertram Knoflach und Chris­ tian Volgger, halten die Umsetzung wenig überraschend ebenfalls für gelungen: „Hier wurden zwei zeitgemäße, bestens ausgestattete Fakultätsgebäude realisiert, die auch optisch überzeugen. Die Sinnhaftigkeit stand im Vordergrund, und die Optik hat sich auch aus dem Nutzen ergeben. Somit war das Konzept für eine energieeffiziente Haustechnik mitbestimmend für die Architektur – Architektur, die verantwortungsvoll und zukunftsweisend ist.“ ‹ Nr. 18 | 2015 | www.big.at


UNIVERSITÄT

INNSBRUCK

„Das lichtdurchflutete Foyer schafft Raum für neue Inspirationen, bietet einen ruhigen Platz zum Arbeiten und spiegelt die wandelnde Natur im Innenraum wider.“ Studentin Lena Platzgummer

Foto: Matthias Schenk

Foto: Katharina Schöch

Foto: Lena Platzgummer

„Der Gedanke zum Bild war, die Dynamik, die in unserem Fakultätsgebäude für Architektur vorherrscht, einzufangen. Bewegungen und Farben in der Schlichtheit und eleganten Zurückhaltung des Gebäudes selbst. Große, freie und vor allem flexible Räume werden durch den Benutzer zu einem einzigartigen Raum der Wissenschaft.“ Student Matthias Schenk

Foto: Tanja Niedertscheider

„Der Innenhof vor den Computerräumen ist auf Grund der verschiedenen Ein- und Ausblicke besonders spannend.“ Studentin Katharina Schöch

„Durch die transparente Fassade werden die großzügigen Innenräume untertags mit Licht durchflutet; nachts trägt das Architekturgebäude das künstlerische Innenleben nach außen.“ Studentin Tanja Niedertscheider

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

29


THEMA ROUND TABLE

„Das konkrete Zusammenleben passiert dann einfach“ Wenn die architektonische Qualität von Gebäuden Einfluss auf die darin erbrachten Leistungen hat, warum stehen vor dem Büro der neuen WURektorin die Nobelpreisträger dann (noch) nicht Schlange? In einer von Ernst Eichinger moderierten Diskussion versucht sich eine prominente Runde der Frage zu nähern, wie wichtig die Hülle für den akademischen Inhalt ist.

Markus Peschl Elke Delugan-Meissl

Fotos Round Table: Michael Hetzmannseder/Suzy Stöckl

Architektin

30

BIG BUSINESS

Edeltraud Hanappi-Egger

Rektorin der Wiener Wirtschaftsuniversität

Wissenschafts­ theoretiker und ­Experte für Enabling Spaces, Universität Wien

Heinrich Schmidinger

Präsident der ­Österreichischen Universitäten­konferenz

Martin Heintel

Experte für Raumentwicklung und -planung, Universität Wien

Hans-Peter Weiss Geschäftsführer BIG

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


Foto: BOANET:AT

ROUND TABLE

D

ie BIG ist Eigentümer vieler Universitätsgebäude. Lange Zeit gab es an den Universitäten Wehklagen über den schlechten Zustand ihrer Gebäude. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? Weiss: Wir haben in den vergangenen Jahren rund zwei Milliarden Euro in unsere Universitätsgebäude investiert. Ein hoher Betrag … Vielleicht immer noch zu wenig, aber wir haben damit bereits viele dringende ­Sanierungsmaßnahmen gesetzt. Trotzdem gibt es natürlich auch noch die eine oder andere offene Wunde im Portfolio. Wir sind dabei, auch die zu ver­arzten. Besonders in den letzten zehn Jahren haben wir einige Leuchtturmprojekte geschaffen. Um diese Qualitäten zu halten, ist eine Frage für uns wichtig: Welche Ansprüche haben die Universitäten zukünftig an ihre Gebäude? Vor allem: Was kann die BIG beitragen, um die Infrastruktur entsprechend zu gestalten? Wenn wir die neue Wirtschaftsuniversität als gelungenes Beispiel heranziehen, hat die Hülle mit Sicherheit wesentlichen Einfluss auf das, was ­darin passiert. Gerade um die Strukturen und Abläufe so genau wie möglich zu kennen und daraus künftige An­ forderungen ableiten zu können, wollen wir mit unseren Partnern laufend einen Diskurs führen. › Nr. 18 | 2015 | www.big.at

«Wenn wir die neue Wirtschaftsuniversität als gelungenes Beispiel heranziehen, hat die Hülle mit Sicherheit wesentlichen Einfluss auf das, was darin passiert.» Hans-Peter Weiss BIG BUSINESS

31


THEMA ROUND TABLE

«Heute ist der Unipark Nonntal ein breitest akzeptiertes, geschätztes Gebäude, das gerne hergezeigt wird.» Heinrich Schmidinger

«Universitäten haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Es ist für eine Universität wichtig, auch physisch sichtbar zu sein.» Martin Heintel

32

BIG BUSINESS

Mittlerweile sind die Gebäude am neuen Campus WU zwei Jahre in Betrieb. Funktioniert alles so, wie Sie sich das vorge­ stellt haben? Abgesehen von der Bibliotheksfassade viel­ leicht … Hanappi-Egger: Die letzte Frage war natürlich aufgelegt (lächelt), aber auch das haben wir mittlerweile in den Griff bekommen … Ich war als Senatsvorsitzende intensiv an der Planungsphase beteiligt. Wir waren damals der Meinung, als WU-Angehörige auch ein Mitgestaltungsrecht zu haben. Es galt nicht einfach nur ein Gebäude neu zu bauen, sondern ganze Organisationsprinzipien neu aufzusetzen. Grundsätzlich gab es damals eine gewisse Skepsis, die ­Gestaltung des Campus tatsächlich nur architektonischen Fachleuten zu überlassen … Wo sind wir im laufenden ­Betrieb vielleicht ein bisschen überrascht? Ich glaube, dass Campusleben so nicht planbar ist. Im Vorfeld kann man zwar viel darüber diskutieren, das konkrete Zusammenwirken passiert dann aber einfach. So kann es beispielsweise nach einem Fußballmatch oder bei einem ­Konzert im Stadion ganz schön laut sein. Wir haben am Campus ein Sportgebäude, einen Kindergarten, Gastronomiebetriebe, ÖHPartys. Gleichzeitig finden aber auch Prüfungen statt, bei denen Konzentration gefordert ist. Wir haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die in Ruhe forschen wollen. Mit diesen verschiedenen Ansprüchen müssen wir lernen umzugehen. Die Mitarbeiter der Universität Salzburg haben ja eine ähn­ liche „Lernkurve“ hinter sich. Am Unipark Nonntal war aber weniger der Lärm als das viele Glas das Problem, oder? Schmidinger: Die geisteswissenschaftliche Fakultät im Unipark Nonntal hat zuvor viele Jahre in problematischen Plattenbauten verbracht. Darunter hat die Fakultät sehr ­gelitten. Als das neue Projekt vorgestellt wurde, gab es aber trotzdem viel Skepsis. Man gewöhnt sich einfach auch an Plattenbauten. Manche haben sich dann tatsächlich schwergetan zu übersiedeln. Ein Gegenargument war die große Transparenz im Haus. Das Gebäude ist lichtdurchlässig, freundlich, hell, ansprechend. Die Glasflächen haben aber vielen große Probleme bereitet. Auch gab es Aversionen gegen die gemeinsame Bibliothek. Nach der Übersiedlung ist die Kritik aber schrittweise verstummt. Heute ist der Unipark Nonntal ein breitest akzeptiertes, geschätztes Gebäude, das gerne hergezeigt wird. Zuerst großes Gejammer und dann Lobeshymnen – geht es Ihnen als Architektin oft so? Nr. 18 | 2015 | www.big.at


ROUND TABLE

Transparenz war beim Unipark Nonntal keine leere Worthülse in der Baubeschreibung der Architekten (Storch Ehlers Partner). Allerdings waren nicht alle Nutzer spontan Fans dieser neuen Einblicke.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Fotos: Andrew Phelps

Delugan-Meissl: Ja, das kennen wir schon. Aber kurz zurück zum Miteinander am WU-Campus. Ich bin schon einige Male durchspaziert: Vielleicht ist zu viel Vitalität nicht immer im Sinne der Betreiber. Aber letztlich hat sich dieses Areal zu einem interessanten Stadtraum entwickelt, der sich mit dem urbanen Umfeld aktiv vernetzt. Das sehe ich als städtebauliche Qualität. Der öffentliche Auftraggeber sollte immer den Anspruch haben, über das Objekt und die Funktion hinaus Stadtentwicklung zu betreiben. Für mich existiert kein Innen/Außen, sondern nur die Gesamtheit eines Objekts. Offensichtlich nehmen viele Fans auf dem Weg ins Fußball­ stadion tatsächlich den Weg über den Campus der Wirt­ schaftsuniversität. Sind solche Massenbewegungen Traum oder Albtraum eines Raumplaners? Heintel: Universitäten haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Es ist für eine Universität wichtig, auch physisch sichtbar zu sein. Das ist in einer historisch gewachsenen Stadt eine große Herausforderung. Wenn Sie einen Makler fragen: „Was ist für eine Wohnung wichtig?“, dann kommt die Antwort: Lage, Lage, Lage. Wenn es um Universitäten geht, ist die Standortfrage ebenfalls ganz wesentlich. Damit bleibt natürlich die Herausforderung, wie es gelingt, ­eine wachsende Uni innerstädtisch zu integrieren. Das braucht Platz. Und noch ein Punkt: Wie gelingt es, historische Gebäude so zu integrieren, dass sie gleichzeitig auch den Aufgaben der Zukunft gerecht werden? ›

BIG BUSINESS

33


THEMA ROUND TABLE

Foto: BOANET.AT

Die neue Wirt­ schaftsuniversität Wien ist mittler­ weile seit zwei ­Jahren in Betrieb. Nicht alles, was jetzt in der Realität passiert, war im Vorfeld planbar. Die Grundlagen für das Zusammenleben müssen daher ­laufend neu ­überprüft werden.

Ihren Aussagen entnehme ich, Sie sind kein Fan von Rand­ lagen oder der damaligen Idee, die TU und die WU am Flug­ feld Aspern neu zu bauen? Heintel: Es gibt eine aktuelle Studie der Akademie der Wissenschaften zum Standort Wien. Das Ergebnis war: Eine zentrale Lage ist sehr wichtig. Im internationalen Vergleich dienen ja amerikanische Universitäten immer wieder als Vorbild. Da würde ich differenzieren. Um dezentrale Standorte so hoch zu fördern, brauchen sie sehr viel Geld – auch von privaten Geldgebern. Das ist in Österreich wohl nicht machbar. Weiss: Ich gebe Ihnen prinzipiell recht, aber dort, wo wir Universitäten neu bauen, sollen sie auch die Möglichkeit haben, wieder ein lokales Zentrum zu begründen. Umso

sensibler muss die Standortwahl erfolgen. Wichtig ist der Aspekt, was mit der Entscheidung städtebaulich ausgelöst wird. Hanappi-Egger: Die offene Einbindung in die Umgebung ist auch genau der Grund, warum wir Zäune um den Campus nicht gewollt hätten. Natürlich ist der Campus ein ­öffentlicher Raum. Aber gleichzeitig werden zum Beispiel für die Pflege dieses öffentlichen Raums, also des Campus, zusätzliche Kosten schlagend, die es politisch im Rahmen des Unibudgets zu verhandeln gilt. Darüber hinaus muss es gewisse Regeln geben. Studentische Feste können nicht zu jeder Zeit und bei jeder Lautstärke erlaubt sein. Es ist nach zwei Jahren Betrieb sicher ein guter Zeitpunkt, auf Basis der ­Erfahrungen auch darüber zu diskutieren, wo denn hier

«Wir Architekten sind überzeugt: Wenn man Subzen­tren am Rande einer Stadt mit Institutionen wie Universitäten, Museen etc. schafft, birgt das ungeahntes Potenzial.» Elke Delugan-Meissl

34

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


ROUND TABLE

«Was will eine Universität? Wohin bewegt sich eine Universität? Was passiert dort eigentlich? Ich habe oft den Eindruck, vordergründig wird auf Sparkurs gebaut.» Markus Peschl

unter­schiedliche Arbeits-, Lebens- und Studier­bedürfnisse aufeinandertreffen. Inwieweit hat auch der Bauherr gemeinsam mit dem Planer die Verpflichtung, solche „Probleme“ vorherzusehen? Weiss: Wir sehen generell einen Effekt bei allen universitären Bauvorhaben. Wo Partizipationsprozesse breit aufgestellt sind, wird auch das Ergebnis besser. Wir sind als Investor und Eigentümer weder Planer noch definieren wir die Nutzeransprüche. Damit stellt sich die Frage: Wie weit ist denn die Beratung der Nutzer durch uns gewollt? Es ist ja auch eine Gratwanderung für uns, weil das die interne Organisation der Universitäten betrifft. Peschl: Viele zukünftige Prozesse werden definitiv von räumlichen Verhältnissen blockiert. Ich glaube, da ist kompetente Beratung jederzeit willkommen. Aber ich bin kein Rektor, daher kann ich auch die Frage nicht beantworten, wie weit das gewünscht ist. Generell haben wir aber jetzt sehr viel über eine Makroperspektive gesprochen. Ich sehe Partizipation als sehr wichtig an, doch die Frage ist immer: Was will eine Universität? Wohin bewegt sich eine Universität? Was passiert dort eigentlich? Ich habe oft den Eindruck, vordergründig wird auf Sparkurs gebaut. Vielleicht nicht am WU-Campus. Wenn überhaupt, gibt es eher zufällig eine freie Fläche, die dann zu einem sozialen Bereich oder einer Kommunikationszone erklärt wird. Die Frage, wie sich die Lehre oder Forschung verändert oder welche Wissensprozesse ablaufen, stellt sich niemand. Da rede ich nicht von der Virtualisierung der Lehre. Die ist schon gegessen. Veränderungen manifestieren sich im Raum. Es geht vielmehr darum, gemeinsam über einen Prozess neues Wissen zu schaffen. Nicht nur in der Forschung, da passiert das schon seit jeher, sondern auch in der Lehre. Solche Überlegungen finde ich in neueren ­Gebäuden, die WU ist wirklich die Ausnahme, schwer. Wie designe ich einen ­Seminarraum? Wie gestalte ich einen ganzen Campus? Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Verstehe ich ihn als einen offenen Raum, wo nicht nur die ganze städtebauliche Frage oder der Durchfluss der Personen interessant ist, sondern beispielsweise auch die Frage der Interaktion mit der Wirtschaft? Solche Dinge sind ex­ trem wichtig! Die USA wurden genannt – da gibt es gute Referenzobjekte, an denen man sieht, wie solche Dinge gut funktionieren könnten. Wir arbeiten auch viel mit Architekten zusammen – das muss nicht notwendigerweise ­teuer sein. Delugan-Meissl: Es freut mich wirklich sehr, dass das jemand sagt, der kein Architekt ist (lacht). Aber im Ernst. ­Architekten müssen in der Lage sein, auf Aufgabenstellungen zu reagieren. Die Lehre hat sich verändert, die räum­ liche Entsprechung sollte gegeben sein – umso wichtiger sind Partizipationsprozesse. Aber kurz zurück zum Thema der innerstädtischen Universitäten. Da war ich von der Aussage meines Vorredners irritiert. Wir Architekten sind überzeugt: Wenn man Subzentren mit Institutionen wie Universitäten, Museen etc. schafft, birgt das ungeahntes Potenzial. Da gibt es offensichtlich zwei Denkschulen. Frau Rektorin, ich bilde mir ein, in Ihrem Gesicht leichte Unmutsregungen wahrgenommen zu haben. War das wegen der Aussage von Herrn Peschl, die Virtualisierung der Lehre sei gegessen? Hanappi-Egger: Da müsste ich jetzt nachfragen, wie er das genau gemeint hat (lächelt). Alle Lehrräume an der WU sind technisch entsprechend ausgestattet. Früher hat man den eigenen Laptop in den Hörsaal mitgeschleppt, am besten auch den eigenen Beamer, weil der andere eh nicht funktioniert hat. Dazu kamen noch Unterlagen und vieles mehr. Immer mehr Lehrende sind schon aus gesundheit­ lichen Gründen mit diesen Trolleys herumgefahren. Das ist am Campus vorbei. Wir haben gerade die Diskussion über Möglichkeiten des Online-Lernens. Neue Konzepte werden dabei entwickelt, aber ich denke, dass es in vielen Lehrver- ›

BIG BUSINESS

35


THEMA ROUND TABLE

anstaltungen auch Sinn macht, vor Ort zu sein und miteinander zu lernen. Ich würde keinen WU-Campus haben wollen, der in zwei Jahren zur Fernuniversität deklariert wird. Peschl: Das mit der gegessenen Virtualisierung der Lehre habe ich humorhaft gemeint. Es geht im Grunde wieder darum, gute, gemischte „Settings“ zu finden, wo mehr Inter­ aktion – auch physisch – stattfindet. Das ist schwierig. Dafür sind die Universitäten nicht bereit, zumindest die meisten. Punkto Lehre beginnt erst langsam ein Umdenken … Heintel: Das ist alles miteinander verzahnt. So wird angewandte Forschung beispielsweise immer stärker in ein Lehrsetting integriert. Das betrifft natürlich auch die Frage der Finanzierung. Wir haben gerade gehört, die meisten Universitäten wären noch nicht so weit, über sich selbst nachzudenken … Als Prä­ sident der Rektorenkonferenz haben Sie vermutlich einen profunden Überblick. Stimmt das? Schmidinger: Weder bin ich Architekt noch traue ich mir zu, für alle Universitäten in Österreich irgendetwas zu sagen. Ich glaube, diese Frage kann man nur anhand des ­jeweiligen Falles diskutieren. Delugan-Meissl: Herr Peschl, Sie haben irgendwie einen negativen Eindruck von Ihren Räumlichkeiten vermittelt. Jetzt wollte ich nachfragen: Ist nicht in den letzten Jahren sehr viel auf diesem Gebiet unternommen worden? In meiner Zeit im BIG-Beirat haben wir sehr viele Diskussionen geführt. Auch über Kommunikationsbereiche, flexible Zonen und Doppelnutzungen im Sinne einer effizienten Nutzung der räumlichen Gegebenheiten. Darum wundert mich Ihr Eindruck ein bisschen. Peschl: Ich hatte ein paar neuere Gebäude der Universität Wien im Kopf gehabt. Zum Beispiel die Publizistik und Informatik in der Währinger Straße oder die Mathematik und Wirtschaftswissenschaften an der Rossauer Lände … Da war zwar der Anspruch vorhanden, aber entsprechende Ideen wurden eher halbherzig umgesetzt. Weiss: Zumindest bei der Rossauer Lände müssen wir jede Verantwortung von uns weisen (lacht) (Anm. d. Red.: ein Projekt der Raiffeisen evolution). Ich glaube, wir haben gerade bei neueren Projekten aktuellen Ansprüchen sehr weit Folge geleistet. Auch das ist ein Lernprozess. Dabei sammeln wir viele Erfahrungen. So versuchen wir in einer westlichen Universitätsstadt zwischen Wien und Salzburg einen der neu errichteten Gebäudekomplexe an Private, die mit der Universität verbunden sind, zu vermieten. Das ­gestaltet sich sehr schwierig. Denn aufgrund dieser vielen Begegnungszonen, also für Flächen, die für den eigent­ lichen Betrieb nicht notwendig sind, wird es teurer. Eine Frage, die sich immer stellt: Was kostet es und was bringt es? Wir sind in einer Zeit, in der wir alles genau messen wollen. Folge ich der These, Raumqualität hätte eine direkte positive Auswirkung auf den Erfolg einer Universität, müss­ ten doch, bezogen auf die Investitionen in den letzten zehn Jahren, lauter Nobelpreisträger in Österreich herumlaufen, oder? Heintel: Es ist ja in der Regel so, dass Sachen miteinander verglichen werden sollen, die schwer miteinander ver-

36

BIG BUSINESS

gleichbar sind. Aufgrund unterschiedlicher Formen der ­gesellschaftlichen Steuerung, wie etwa Hochschulzugangs­ regelungen, monetäre Zuwendung oder Steuersysteme, ist es sehr schwer, Standorte zu vergleichen. Diese tiefe Sehnsucht des Menschen nach Vergleichen ist vor allem im Wissenschaftsbetrieb sehr problematisch. So hat es sich eingebürgert, die Anzahl der Publikationen als Erfolgsmaß heranzuziehen. Schmidinger: Darf ich zurückfragen? Haben Sie gemeint, ob sich in jeder Hinsicht gelungene Gebäude positiv auf ­Ergebnisse der Lehre oder Forschung auswirken? Genau. Schmidinger: Ich glaube, diese Relation kann nicht hergestellt werden. Wo es sich aber auswirkt, ist die Identifika­ tion mit einer Universität. In Salzburg erlebt man das bei den meisten Evaluierungen. Vor allem die Studierenden werden dabei gefragt: Haben Sie hier gern studiert? Haben Sie das Gefühl, Sie sind hier gut ausgebildet worden? Da kommt dann sehr oft die Auskunft: Wir haben hier gerne studiert. Dabei spielen auch Räume eine Rolle. Ob deshalb jetzt gleich die Forschungs- und Lehrergebnisse besser werden? Da wäre ich vorsichtiger. Peschl: Ich glaube, die Frage zeigt einfach, dass wir zunehmend in einem gewissen Wettbewerb stehen. Gelungene Architektur ist sicher ein Standortvorteil. Bei der Wahl der Uni spielt der Standort für Professoren und Studierende ­eine ganz wichtige Rolle. Bei Ihnen stehen die internationalen Professoren also Schlange? Hanappi-Egger: Ja, so ist es (lacht) … Eine kleine Anekdote zur Identifikation mit der Universität. Die ersten Sponsionen auf dem neuen WU-Campus betrafen noch eine Generation von Studierenden der alten WU. Sie waren dann gar nicht so glücklich, weil der Campus eben nicht „ihre“ Uni war. Sie hätten sich die Feier im alten Festsaal in der Au­ gasse gewünscht. In erster Linie gibt es die Identifikation mit dem akademischen Leben, unabhängig von der Hülle. Gleichzeitig hat die WU durch den Campus internationale Aufmerksamkeit. Das Interesse an Führungen oder internationalen Konferenzen ist enorm. Trotzdem stürmen die Nobelpreisträger nicht mein Büro. Allerdings glaube ich schon: Kreativität und Innovation, die Kernelemente des universitären Geschehens, können mit Infrastruktur stark unterstützt werden. Im Neubau können sich Architekten natürlich nach Lust und Laune austoben. Wie viel Spielraum gibt es beispielsweise im historischen Bestand, um diese geforderten neuen Wissensund Lernprozesse zu verwirklichen? Delugan-Meissl: Das Hauptgebäude der Universität Wien am Ring hat Potenzial und Spielraum für spannende Konzepte. Man muss als Architekt mit den vorhandenen Qualitäten arbeiten. Ich bin voll und ganz von der physiolo­ gischen Erfahrbarkeit von Räumen überzeugt. Das ist auch immer eine ganz wichtige Fragestellung in unseren Entwurfsprozessen. Jeder Raum ruft letztendlich Emotionen hervor. Es existiert exzellente zeitgenössische Architektur, aber auch qualitativ hochwertiger Bestand. Nr. 18 | 2015 | www.big.at


ROUND TABLE

«Kreativität und Innovation, die Kernelemente des universitären Geschehens, können mit Infrastruktur stark unterstützt werden.» Edeltraud Hanappi-Egger

Wie schafft man es beispielsweise, das Hauptgebäude der Universität Wien für eine breite Öffentlichkeit attraktiv zu machen. Zufällig kommen dort wohl kaum Passanten oder Fußballfans vorbei und gehen hinein … Delugan-Meissl: Da muss man sich ein strukturadäquates Gesamtkonzept überlegen. Es wäre jetzt unprofessionell, einzelne Interventionen anzusprechen. Heintel: Eine kleine Ergänzung dazu. Wenn von der Universität Wien gesprochen wird, reden wir nicht nur vom Hauptgebäude. Ein Ort, wo das fantastisch gelungen ist, ist das Alte AKH. Weiss: Das ist aber auch der Vorteil innerstädtischer Bereiche. Dadurch ist eine Form von Integration möglich, die in peripheren Lagen nicht ginge. Peschl: Wir denken, dass wir nur mit dem Kopf denken. Aber wir denken auch mit unserer Umgebung. Es ist nicht nur ein Reagieren. Ich reagiere also nicht nur deprimiert auf einen schlechten Raum oder bin besonders kreativ in einem hellen Raum. Der Raum reagiert auch auf mich. Es wäre interessant, das aus architektonischer Sicht noch viel mehr auszuschlachten. Delugan-Meissl: Das denke ich auch. Wie reagiert der Benutzer auf den Raum, wie reagiert der Raum auf den Benutzer? Jetzt wird es philosophisch. Aber ist es wirklich ein Wechsel­ spiel oder passt sich der Mensch einfach an die Gegeben­ heiten an? Delugan-Meissl: Ich finde nicht, dass man sich als Nutzer an Räume anpassen muss. Architekten entwickeln in der Regel ihre Konzepte nicht fern jeglichen Nutzungsbedarfs. Für jeden Entwurf sind Bedarfs- und Nutzungsanalysen ­essenziell, damit ein Gebäude den Erwartungen entspricht. Diese Aspekte wurden beim WU-Campus in vielen Bereichen sehr gut umgesetzt. Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Sind Sie der Meinung, wenn man die entsprechenden Räum­ lichkeiten zur Verfügung stellt, kann man auch eingefahrene Verhaltensstrukturen auflösen? Delugan-Meissl: Ja. Hanappi-Egger: Dafür habe ich ein sehr schönes Beispiel. Am WU-Campus erreichen Sie Ihr Department nicht mehr über die Parkgarage. Sie müssen auf die offene Kommunikationsebene hinaus – eigentlich eine massive Interven­ tion in das WU-Zusammenleben. Im Vorfeld sind lauter un­ heim­liche Szenarien entwickelt worden: wie schlimm, ­etwa bei minus 40 Grad Celsius, Glatteisgefahr, bepackt mit vielen Ordnern, die man mühsam mit dem Auto in die Garage ­gebracht hat. Wo es doch viel einfacher wäre, irgendetwas ­direkt ins Büro zu bringen. Ich schildere das jetzt natürlich sehr drastisch. Aber das war für uns eine intensive Diskussion. Inwieweit darf uns Architektur entsprechende Maßnahmen, also ein bestimmtes Verhalten aufzwingen? Ich habe dieses Misstrauen am Anfang sehr spannend gefunden. So nach dem Motto: Wir sind die, die wissen, was wir brauchen. Und die da – also die Architekten oder die BIG – bauen dann irgendetwas, verstehen aber wahrscheinlich nicht, was wir brauchen. Letztendlich hat es in diesem Diskurs ­eine Annäherung gegeben, die sehr wichtig war. Peschl: Noch ein letzter Punkt. Ich glaube, es ist eine Frage der Einstellung. Wenn ich versuche, irgendjemandem ­irgendetwas überzustülpen, dann arbeite ich mit Einschränkung. Wenn ich versuche, eher mit der Einstellung des Ermöglichens zu arbeiten, dann werde ich auch den Rahmen dafür schaffen. Dazu braucht man extrem viel Feingefühl. Bei Architektur und Innovation sind das die zentralen Punkte, wo man ansetzen müsste. Vielen Dank für das Gespräch. ‹

BIG BUSINESS

37


THEMA JUSTIZANSTALT SALZBURG

38

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


JUSTIZANSTALT

SALZBURG

Eine Stunde pro Tag dürfen die Insassen der Justizanstalt Salzburg an die frische Luft. Für Beschäftigung im Freien stehen zwei Spazierhöfe, ein Innenhof und ein Sporthof zur Verfügung.

Foto: Andrew Phelps

Nach den Regeln der Höflichkeit

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

Das Leben in einer Justizanstalt ist definitiv kein Kindergeburtstag. Die Strafe ist Freiheitsentzug. Schlechte Behandlung gehört nicht dazu. Denn irgendwann werden die „schweren Jungs und Mädchen“ wieder aus dem Vollzug entlassen und müssen sich in die Gesellschaft reintegrieren. Von Sabine Gaggl

BIG BUSINESS

39


THEMA

Foto: Andreas Kolarik

JUSTIZANSTALT SALZBURG

«Ich kann ja keine Käseglocke über die Anstalt stülpen und die Insassen komplett von der Außenwelt abschneiden. So funktioniert keine Reintegration. Daher versuchen wir den Kontakt nach draußen in einem verträglichen Maße aufrechtzuerhalten.» Dietmar Knebel, Anstaltsleiter

Anstaltsleiter Dietmar Knebel trägt in der Justizanstalt Salzburg die Verantwortung für 227 Häftlinge und 101 Mitarbeiter.

E

in ruhiger Tag in Puch bei Hallein. Freundliche Bewohner, perfekt gepflegte Gärten, die klassische Vorstadtidylle. Hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Einige hundert Meter weiter, im nahegelegenen Industriegebiet und etwas versteckt hinter üppigen Büschen, ist es mit der einladenden Atmosphäre vorbei. Hier, im Ortsteil Urstein, liegt die neue Jus­ tiz­anstalt Salzburg. Das Gefängnis bietet 227 Haftplätze für strafgefangene Männer, Frauen und Jugendliche mit einer Freiheitsstrafe bis zu 18 Monaten und Insassen in Untersuchungshaft. Eine meterhohe Betonmauer samt Stacheldraht umrandet das Grundstück. Videokameras, wohin das Auge reicht. Vergitterte Fenster. Es kostet ein wenig Überwindung, freiwillig das Gebäude zu betreten. Bei der Besucheranmeldung steht eine Frau mit ihrer Tochter. Sie wollen „den Papa besuchen“. Während die Mutter und ihre Tochter durch eine Schleuse Richtung Besucherbereich verschwinden, beginnt der Rundgang mit Anstaltsleiter Oberst Dietmar Knebel im ersten Stock des Verwaltungstrakts, wo die Büros der Anstaltsleitung und die Diensträume der Justizwache liegen.

Die VisitenkartenHalterung von Dietmar Knebel ist ein Geschenk seiner Insassen aus der Anstaltsschlosserei.

Es überrascht, wie hell der Bürobereich ist. Einzig die Uniformen der ­Justizwache erinnern an den eigentlich unerfreulichen Aufenthaltsort. Es herrscht geschäftiges Treiben. Für die Justizwache hat sich der Alltag seit dem Umzug in den Neubau grund­ legend geändert: „Wir mussten uns

40

BIG BUSINESS

Foto: BIG

Neue Abläufe für Justizwache

komplett neu organisieren. Der alte Standort war klein und überschaubar, hier ist es viel weitläufiger. Wir können nicht mehr so leicht Mitarbeiter von einem Bereich abziehen, wenn irgendwo Not am Mann herrscht“, erklärt Knebel. Insgesamt überwiegen aber die Vorteile: Das Haus ist groß, gut strukturiert und übersichtlich. Der Neubau bietet mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für die Insassen, und die Hafträume sind geräumiger. In Urstein gibt es nur noch Einzel- oder Doppelzellen. „Das wirkt sich positiv auf die Stimmung im Haus aus“, sagt Knebel. Über den Büros im Verwaltungstrakt liegt die Freigängerabteilung. Freigänger dürfen die Justizanstalt tagsüber verlassen und auswärts arbeiten. In dieser gelockerten Vollzugsform sind die Insassen Selbstversorger. Sie müssen selbst kochen, Wäsche waschen und Eigenverantwortung für ihren Job übernehmen. Die Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit erfolgt also noch in Gefangenschaft. „Ich kann ja keine Käseglocke über die Anstalt stülpen und die Insassen komplett von der Außenwelt abschneiden. So funktioniert keine Reintegration. Daher versuchen wir den Kontakt nach draußen in einem verträglichen Maße aufrechtzuerhalten“, erklärt Dietmar Knebel. Trotzdem gibt es auch in dieser Vollzugsform strenge Regeln. Die Häftlinge müssen zu einer bestimmten Uhrzeit wieder zurück sein, sie dürfen keinen Alkohol geschweige denn andere Suchtmittel konsumieren und können am Arbeitsplatz jederzeit stichprobenartig kontrol- › Nr. 18 | 2015 | www.big.at


JUSTIZANSTALT

SALZBURG

Fotos: Andrew Phelps

Die BIG hat die Justizanstalt Salzburg im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz errichtet und rund 36 Millionen Euro in den Neubau investiert.

Einkaufen und Besuche empfangen – was im Leben in Freiheit alltäglich ist, ist hinter Gittern nur sehr eingeschränkt möglich.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

41


THEMA JUSTIZANSTALT SALZBURG

Den Justizbeamten im Wachzimmer (oben) entgeht nichts. Auch an der Personenkontrolle am Besuchereingang (unten) führt kein Weg vorbei.

liert werden. Wer sich nicht an die Regeln hält, ist seinen Freigängerstatus schnell wieder los. Die Disziplin der Freigänger ist hoch. Es gibt nur selten Probleme. Schließlich will niemand in den normalen Vollzug zurück. Die räum­ liche Trennung von den übrigen Häftlingen ist daher beabsichtigt: „Wir wollen unter den Insassen keinen Neid schüren“, sagt Knebel.

Gesiebte Luft

Fotos: Andrew Phelps

Die Insassen im normalen Vollzug sind im Hafttrakt untergebracht. Für den Zugang ins sogenannte „Gesperre“ sind ­eine elektronische Keycard, die den Anstaltsleiter identi­ fiziert, und ein Code notwendig. Erst dann öffnet sich die schwere, vergitterte Stahltür wie ein Tor zu einer anderen Welt. Auch hier hat der Alltag längst begonnen. Um sieben Uhr Früh werden die Hafträume geöffnet. Es folgt eine Anwesenheitskontrolle und Überprüfung etwaiger besonderer Vorkommnisse über Nacht. „Es kann vorkommen, dass jemand über Nacht auf natürliche Weise verstirbt oder ­etwas kaputt wird“, schildert Knebel. Um 7.30 Uhr ­beginnt an Wochentagen die Arbeit, es herrscht Arbeitspflicht.

42

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


JUSTIZANSTALT

­ earbeitet wird in den Wirtschaftsbetrieben innerhalb der G Jus­tiz­anstalt. In den Zellen zurück bleiben von den Straf­ gefangenen nur jene, die vom Anstaltsarzt als nicht arbeits­ fähig eingestuft werden. Die Hafträume sehen alle gleich aus. Auf den ersten Blick erinnern sie fast ein wenig an ­Studentenheimzimmer: Bett, Kasten, Dusche, WC, TV-Gerät und Kühlschrank gehören zur Ausstattung. Aber der Vergleich entlarvt sich beim Anblick der Gitterstäbe und der ­dicken Metalltür sofort als unzulässig. Mit der Freiheit des Studentenlebens hat das hier gar nichts zu tun. Was es heißt, einen fremdbestimmten Alltag zu führen, nicht einfach raus in die Sonne gehen zu können oder Freunde zu treffen, mit fremden Menschen auf engstem Raum zusammenzuwohnen und eine nur sehr eingeschränkte Privatsphäre zu ­haben, lässt sich als Außenstehender bloß erahnen. Die ­Bedeutung einer einfachen Türschnalle bekommt hier eine neue Dimension. Beginnt nämlich die Einschlusszeit, ist ­eine Sprechanlage für Notfälle die einzige Kontaktmöglichkeit nach draußen. Unter der Woche fallen die ­Türen ab 20 Uhr ins Schloss. An Wochenenden sind die Einschlusszeiten länger, weil nicht gearbeitet wird und weniger Wachpersonal da ist, das Aufenthalte in der Sporthalle oder den Spazierhöfen beaufsichtigen könnte. Daher sind vor allem Jobs in Bereichen, die auch an Wochenenden besetzt werden müssen, wie zum Beispiel in der Anstalts­ küche, besonders begehrt. Unter der Woche sind tagsüber innerhalb der Abteilungen die Türen offen. „Die moderne Technik und klassische Sicherheitsmerkmale wie Mauer, Stacheldraht und Gitter machen uns nach außen hin sehr sicher. Deshalb kann man sich innen relativ frei bewegen“, sagt Knebel. Während des Rundgangs halten die meisten Häftlinge beim Anblick des Anstaltsleiters kurz inne, grüßen freundlich, auch ein kurzer Smalltalk wird da und dort geführt. Die meisten ziehen sich aber lieber rasch in ihre Zellen zurück. „Wir legen großen Wert darauf, dass wir mit den Häftlingen normal, nach den Regeln der Höflichkeit umgehen. Unsere Aufgabe ist nicht, noch zusätzlich zu bestrafen, sondern der Vollzug einer gerichtlich angeordneten Strafe und die Vorbereitung auf ein rechtschaffenes ­Leben in Freiheit“, erklärt der Chef von 85 Justizwache­beamten.

SALZBURG

«Die moderne Technik und klassische Sicherheitsmerkmale wie Mauer, Stacheldraht und Gitter machen uns nach außen hin sehr sicher. Deshalb kann man sich innen relativ frei bewegen.» Dietmar Knebel, Anstaltsleiter

Eingesperrt. Fällt die Tür ins Schloss, wachsen Gefühle von Beklemmung und Panik.

Die Häftlinge, die hier einsitzen, stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten. In der Strafhaft sind die Haftgründe hauptsächlich Eigentumsdelikte und Körperverletzung. In Untersuchungshaft kommen alle Tätergruppen zusammen. Da kann vom Taschendieb bis zum Mörder alles dabei sein. „Aber die unmittelbare Gefährlichkeit ergibt sich nicht automatisch aus dem Delikt. Ein Mörder, der sein Problem aus der Welt geschafft hat, ist vielleicht entspannter als jemand mit einer grundsätzlich niedrigen Frustrationstoleranz“, erklärt Knebel. Nicht unbedingt beruhigend. „Aggressives Verhalten gegenüber der Wache ist selten, aber es kommt vor, und man muss immer damit rechnen. Können wir nicht deeskalieren, bleibt nur die Gewaltanwendung, aber das kommt nur vereinzelt vor“, so Knebel. Zimmer mit Ausblick? Trotz der etwas kargen Atmosphäre wird das Sportangebot in der Viele Konflikte der Häftlinge untereinander entstehen › Justizanstalt gerne zur Ablenkung und Entspannung genutzt. Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

Fotos: Andrew Phelps

Macht und Ohnmacht

43


THEMA

Fotos: Andreas Kolarik

JUSTIZANSTALT SALZBURG

durch kulturelle Unterschiede oder ergeben sich einfach aus dem Zusammenleben. „Wir stellen aber fest, dass die Stimmung unter den Insassen besser geworden ist, seit wir im Neubau sind. Mit den Einzel- und Doppelzellen gibt es mehr persönlichen Rückzugsraum, und das wirkt bereinigend. Es ist einfacher geworden, Konflikten aus dem Weg zu gehen“, analysiert Dietmar Knebel. Dieses Bild bestätigt sich im Hafttrakt: Viele Häftlinge stehen zusammen und plaudern. Es herrscht kollegialer Zusammenhalt. Die gängigen Klischees aus dem Fernsehen bemerkt man hier nicht. „Es gibt natürlich Tätergruppen, die weniger Ansehen genießen, wie zum Beispiel Sexualstraftäter. Aber es ist nicht der an der Spitze der Hierarchie, der am härtesten zuschlagen kann, sondern derjenige, der sich am geschicktesten mit der Situation hier arrangiert und auf andere Einfluss nehmen kann“, so Knebel.

Suizid, Gewalt, Sucht

Aber auch im modernen Strafvollzug ist nicht alles eitel Wonne. Suizidversuche und psychische Erkrankungen sind Teil des Alltags. Zwar liegt der letzte Suizid in der Justizanstalt Salzburg schon Jahre zurück, aber nicht umsonst gibt es ein eigenes Frühwarnprogramm. ­Alle Häftlinge müssen einen computergestützten Persönlichkeitstest absolvieren, der am Ende die Selbstmordwahrscheinlichkeit im Ampelsystem auswertet. Grün bedeutet keine Gefährdung. Bei Gelb sollte der Häftling nicht in einer Einzelzelle untergebracht werden. Bei Rot darf es keine Einzelhaft geben, fallweise muss die Zelle sogar

44

BIG BUSINESS

­ ideoüberwacht werden. Bei akuter Gefährdung erfolgt die v Unterbringung in einem Sonderhaftraum alias Gummi­ zelle oder im Extremfall die Einweisung in die Psychiatrie. „Wir behelfen uns oft mit dem sogenannten Listener-System. Dabei treten wir an erfahrene Häftlinge heran und bitten sie, ein bisschen auf einen anderen aufzupassen. Das funktioniert ganz gut. Außerdem haben wir hier sehr erfahrene Abteilungsbeamte, die aufmerksam auf etwaige Warnsignale achten“, erklärt Knebel. Sexuelle Übergriffe schließt Knebel aufgrund der Unterbringung in maximal Zweimannzellen und der Überwachungsmöglichkeiten außerhalb der Zellen „nahezu aus“. „Sofern es keine offensichtlichen Erkennungs­ merkmale gibt, sind wir aber in diesen Fällen stark davon abhängig, dass sich Opfer selbst bei uns melden“, so Knebel. Beim Greißler der Justizanstalt gibt es ausgewählte Lebensmittel, Zeitschriften und Zigaretten zu kaufen. ­Alkohol führt der Laden natürlich nicht. Schließlich ist Beschaffungskriminalität einer der Hauptgründe für den Aufenthalt einiger Insassen in der Justizanstalt. Viele sind alkohol- oder drogenabhängig. Die Sucht ist bei manchen so stark, dass sie versuchen, in den Zellen Obst zu Alkohol zu fermentieren oder nach einem Freigang Suchtmittel in die Justizanstalt zu schmuggeln. „Das ist auch der Grund, warum hier unter anderem Überraschungseier verboten sind. Das kleine Plastik-Ei fürs Spielzeug wird gerne zweckentfremdet“, erklärt Dietmar Knebel. Um Schmuggel zu verhin­dern, müssen daher stichprobenartig Leibesvisita­tionen mit „Untersuchung ­aller Körperöffnungen“ durchgeführt ­werden. › Nr. 18 | 2015 | www.big.at


Was es heißt, einen fremdbestimmten Alltag zu führen, nicht einfach raus in die Sonne gehen zu können oder Freunde zu treffen, mit fremden Menschen auf engstem Raum zusammenzuwohnen und eine nur sehr eingeschränkte Privatsphäre zu haben, lässt sich als Außenstehender bloß erahnen.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

SALZBURG

Foto: Andrew Phelps

JUSTIZANSTALT

45


THEMA JUSTIZANSTALT SALZBURG

„Es gibt keinen Luxusknast“

Foto: Andreas Kolarik

Anstaltsleiter Dietmar Knebel im Gespräch über sein mittlerweile langes Leben hinter Gittern, den schlechter werdenden Zustand der Insassen und die Rückkehrerquote als Erfolgsmaßstab.

46

Knebel: Nein! Der Insasse ist in seiner Lebensführung ■ Sie sind ausgebildeter Mathematik- und massiv eingeschränkt und hat im Tagesablauf ein ­Geschichtelehrer. Welcher Weg führt vom sehr enges Korsett mit wenig Privatsphäre. Dazu Klassenzimmer in die Justizanstalt? kommt das Machtgefälle zwischen Wache und HäftKnebel: Ich war Mitte der 80er-Jahre mit lingen. Daher gibt es aus meiner Sicht keinen Luxusmeinem Lehramtsstudium fertig, aber da gab knast. Es macht erstens keinen Sinn, es praktisch keine Anstellungsmöglichkeiten. ­einen Neubau absichtlich hässlich Über Bekannte habe ich erfahren, dass für den zu bauen, zweitens muss der Bau Strafvollzug Leute gesucht werden. Aus eifunktional sein, und drittens gibt nem Jahresvertrag sind dann ein paar es klare gesetzliche Auflagen, Jahrzehnte geworden. In meiner Karriedie zu erfüllen sind. Die Abre gibt es viele Menschen, denen ich schreckung liegt im Entzug sehr dankbar bin und die mir viel erder Freiheit. Punkt. möglicht haben. Zum Beispiel hat Vielleicht liest auch der ei­ mich mein erster Chef und Anstaltsne oder andere Strafgefan­ leiter sehr gefördert und in vergene das BIG Business. Wel­ schiedenen Bereichen eingesetzt. chen Rat geben Sie den Insas­ Da konnte ich von Anfang an insen für einen erträglichen Alltag tensiv mitarbeiten und lernen. in Haft? ­Daher bin ich dann quasi hängen Knebel: Sie sollten sich so gut geblieben. wie möglich an die Regeln halten, 30 Jahre sind eine lange Zeit. Ich nehme dann haben die Insassen schon an, der Strafvollzug hat sich seit Ihren einmal von unserer Seite weAnfängen massiv verändert … nig zu befürchten. Mit den Knebel: Früher gab es wenig TechMithäftlingen sollten sie vernik und dafür mehr Personal, jetzt Trotz vieler Verwaltungsaufgaben legt Dietmar Knebel träglich umgehen und Konflikist es umgekehrt. In meiner Angroßen Wert auf den persönlichen Kontakt zu ten aus dem Weg gehen. Gibt es fangszeit gab es noch Wachtürme, Mitarbeitern und Häftlingen. Streit, geben Insassen am besten Holztüren und keine AlarmtelefoBescheid, bevor es eskaliert, dann können wir rechtzeitig ne, die den Kollegen jederzeit anzeigen, wo man sich geradurch Vermitteln oder Verlegen helfen. de befindet. Dafür ist der Verwaltungsaufwand gestiegen. In der heutigen Zeit wird versucht, alles in Zahlen auszu­ Bei den Häftlingen fällt auf, dass der körperliche Zustand drücken. Ist der Erfolg Ihrer Arbeit messbar? immer schlechter wird. Wir haben eine steigende Zahl Knebel: Es gibt zwei Faktoren: die Stimmung im Haus und von Suchtgiftkranken, die wegen Beschaffungsdelikten da die Rückkehrerquote. Die Stimmung messen wir an der sind. Außerdem stammen viele Insassen aus Ländern, wo Zahl der Beschwerden, die an externe Kontrolleinrich­ die Gesundheitsversorgung deutlich schlechter ist als bei tungen wie zum Beispiel die Volksanwaltschaft gerichtet uns, daher bringen sie schon eine schlechtere Grundverwerden. Heuer hatten wir bisher fünf Beschwerden – das sorgung mit. Im Vollzug war das Regime früher viel strenist praktisch nichts. Die Rückkehrerquote ist nicht ganz so ger. Fernsehempfang zum Beispiel hat es nur zweimal pro aussagekräftig, weil viele nach der Haftstrafe ins HerWoche gegeben. Jetzt versuchen wir das Leben in Haft in kunftsland zurückkehren und wir dann nicht wissen, wie einem verträglichen Ausmaß dem Leben draußen anzusie sich entwickeln. Dann gibt es manche, die kommen passen. Handy, E-Mails oder freien Internetzugang gibt es ­immer wieder, da kann man machen, was man will. Ein geaber nicht. wisses Kontingent an Stammkunden hat man halt! Trotz dieser Einschränkungen hört man immer wieder Sätze Welche Eigenschaften braucht es für die Justizwache? wie: Das ist ja schöner als in meiner Kaserne oder in meinem Knebel: Justizwachebeamte müssen persönlich gefestigt Studentenheim damals. Sind Österreichs Häftlinge auf­ sein, eine körperliche Grundkondition und einen gesunden grund ihrer „Wohnsituation“ zu beneiden?

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


JUSTIZANSTALT

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

„Auch das gehört zum Leben in Haft“, so Knebel. Allein der Gedanke daran ist gleichsam ­Werbung für ein rechtschaffenes Leben.

„Sackelpicken“ war einmal

Der nächste Halt auf dem Rundgang durch die neue Justizanstalt ist der Wirtschaftstrakt. Hier befinden sich die ­Arbeitsbetriebe für Häftlinge, zum Beispiel Anstaltsküche, Wäscherei, Autowerkstatt, Schlosserei, Tischlerei und Fertigungsbetriebe für externe Unternehmen. Wenige wissen, dass man das Auto zur Reparatur oder zum Waschen in die Justizanstalt Salzburg stellen kann. Aber das geht tatsächlich. Die Vielseitigkeit der Werkstätten hier ist beeindruckend. In der Tischlerei zum Beispiel werden Vogelhäuschen nach Maß angefertigt – vom Münchner Hofbräuhaus bis zum Feuerwehrhaus ist nahezu jedes Modell möglich. Zum Produktportfolio der Justizanstalt Salzburg gehören auch Gartenmöbel nach Maß oder in der Schlosserei gefertigte Kunstwerke. Verkauft wird die Ware direkt oder auf lokalen Wochen- und Weihnachtsmärkten. Neben Arbeit ist Sport ein weiteres Mittel, um den Umgang miteinander zu trainieren und einen geistigen Ausgleich zum Alltag in der Haft zu schaffen. Deshalb gibt es in der Justizanstalt Salzburg auch eine eigene Sporthalle und Sportplätze. Hier können die Häftlinge Fußball, Basketball, Badminton und vieles mehr spielen. Auch eigene Matches werden organisiert. „Schiedsrichter sind die Wachebeamten, ich bin die UEFA“, scherzt Knebel. Denn bei harten ­Regelverstößen entscheidet der Anstaltsleiter, ob die Sportart für eine bestimmte Zeit ausgesetzt werden muss oder nicht – diese Strafe gilt dann für alle Spieler. Ein besonderer Anreiz also, sich an die Regeln zu halten. Denn der „UEFA“ entgeht nichts. Im Gegensatz zum Fußball in Freiheit gibt es in der Justizanstalt auch den Videobeweis. Hier ist jeder Milli­meter überwacht. Alle Kamerabilder laufen in der Hauptwache im Erdgeschoß des Verwaltungstrakts zusammen. „Ich habe Sie schon kommen sehen“, berichtet der diensthabende Wachebeamte sichtlich unüberrascht ob unseres unangekündigten Besuchs. Er habe schon den gesamten Rundgang beobachtet. Ein gutes Indiz dafür, dass die Technik funktioniert! Längst sind ein paar kleine Kinderkrankheiten ausgemerzt. So wertete das System nach Inbetriebnahme nämlich viele Vogelüberflüge knapp über der Anstaltsmauer als Angriff von außen und schaltete in den Alarmmodus – samt Flutlichtbeleuchtung der gesamten Anlage. Für die Anrainer war das besonders nachts eher unangenehm. Aber mittlerweile stimmt auch das Finetuning. ‹ Fotos: Andrew Phelps

Zugang zu Menschen haben. Ich muss bei Kollegen voraussetzen können, dass sie mit Extremsituationen umgehen können. Und die Arbeit mit Menschen muss Spaß machen. Abgesehen von „lustig sein“ wird es aber noch ein paar andere Anforderungen in der Ausbildung geben … Knebel: Definitiv. Die Ausbildung besteht aus einer rechtlichen Komponente, einem Schwerpunkt in exekutivem Handeln und der Anwendung einsatzbezogener Körperkraft sowie einem humanwissenschaftlichen Schwerpunkt. Von gesetzlichen Rahmenbedingungen über Psychologie und Medikamentenlehre bis hin zum Training konkreter Vollzugsszenarien ist also alles ent­ halten. Die Ausbildung dauert ein Jahr und endet mit einer kommissionellen Dienstprüfung. Von hundert Bewerbern schaffen es ungefähr fünf. Denn schon das Auswahlverfahren vor der Aus­ bildung ist hart. Hier scheitern die meisten am Einstiegstest, wo Allgemeinwissen, Grundrechnungsarten und Rechtschreibkenntnisse überprüft werden. Körperlich müssen die Berufsanwärter in der Lage sein, mehrere Kilometer in einer bestimmten Zeit zu laufen und einen leblosen Körper aus einer Gefahrensituation zu bergen, sowie einen psycho­ lo­gischen Eignungstest meistern. Wer das geschafft hat, wird am Ende noch zu einem Aufnahmegespräch mit einer Kommission geladen. Es ist also nicht leicht. Wie gehen Sie mit belastenden Erlebnissen aus Ihrem ­Arbeitsalltag um? Knebel: Ich kann nicht einfach einen Schalter umlegen, wenn ich bei der Tür hinausgehe. Es gibt natürlich Situationen, die lange belastend sind, und jeder hat seine Strategie, damit umzugehen. Für viele wie auch für mich ist es in erster Linie Sport, manche basteln in der Freizeit oder garteln oder engagieren sich in Vereinen. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, Supervision in Anspruch zu nehmen. Machen das viele? Knebel: Supervision wird leider nicht von vielen genutzt. Interessanterweise sind die erfahreneren Kollegen mehr dazu bereit als die Einsteiger. Ich glaube, die Jungen sehen das eher als ein Eingeständnis von Schwäche. Ich kann mich erinnern, als ich selbst angefangen habe, habe ich auch oft gedacht: Wozu brauche ich das? Ich drück’ das schon durch! Du bekommst ja gesagt, du darfst nie verlieren. Und wir verlieren auch nicht. Wir sind verdammt zu gewinnen. Aber es macht einen Unterschied, wie ich gewinne und ob mein ­Gegenüber auch damit leben kann oder ob ich Gewalt anwenden muss. Aber ich denke, im Strafvollzug darf Gewaltanwendung nur das letzte Mittel sein. Vielen Dank für das Gespräch!

SALZBURG

Anstaltsküche und Wäscherei dienen zur Selbstversorgung und Beschäftigung von Insassen.

BIG BUSINESS

47


THEMA ASYL

Auf der Flucht Hunderttausende klopfen an die Tore Europas. Die meisten wollen nach Deutschland. Selbst auf der Durchreise müssen diese Menschen irgendwo schlafen. Die BIG übernimmt bei der Organisation der Quartiere eine tragende Rolle. Von Sabine Gaggl & Marlene Schloffer

D

ichter Nebel liegt über der knapp 1.700 Einwohner zählenden Gemeinde Nickelsdorf an der Grenze zu Ungarn. Immer wieder regnet es. Während der Ortskern nahezu menschenleer ist, befindet sich einige hundert Meter davon entfernt ­Mitte ­Oktober das Epizentrum der Völkerwanderung in ­Europa. Ein erstes Gefühl für die Dimension des bereits mehrere Wochen andauernden Katastropheneinsatzes bekommt man schon an der Zufahrt zur Grenze. Hier ist ein großer Busparkplatz für den Flüchtlingstransport. Ein eigener Buskoordinator stimmt sich mit dem Verkehrsleitzen­ trum in Wien und der Einsatzleitung vor Ort ab, wann wie viele Flüchtlinge wohin weitertransportiert werden können. Die Zufahrt zum Grenzübergang ist für Zivilisten gesperrt. Vier Polizeiautos mit Blaulicht blockieren die Straße. Sie lassen nur Einsatzfahrzeuge, Hilfskräfte und Medienvertreter mit Voranmeldung durch. Auf der 30.000 Quadratmeter großen Liegenschaft ist eine ganze Zeltstadt entstanden, die, gemessen an der Flüchtlingszahl, größer ist als manch österreichische Gemeinde. „Allein heute sind seit Mitternacht rund 2.700 Flüchtlinge eingetroffen. Im Laufe des Tages wird sich diese Zahl noch verdoppeln“, sagt

48

BIG BUSINESS

Helmut Marban, Pressesprecher der Landespolizeidirektion Burgenland. Und dabei ist es an diesem Tag vergleichsweise ruhig. Zu Spitzenzeiten waren es 20.000 Menschen, die hier hilfesuchend angekommen sind. „Das zu bewältigen, ist eine enorme Herausforderung. Einsätze wie diese kann man nicht trainieren. Zur Bewältigung der Massen haben wir Anleihen bei Großveranstaltungen genommen. Zum Beispiel wurden ,Transfer-Schnecken‘ eingeführt, sodass ein geordnetes Anstellen ohne Drängen und Panik möglich ist“, erklärt der Polizeisprecher.

Flüchtlinge auf der Durchreise

Insgesamt hat Nickelsdorf allein zwischen Anfang September und Mitte Oktober 250.000 Asylwerber abgefertigt. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn zum Zählen, Registrieren oder gar Bearbeiten von Asylanträgen ist hier keine Zeit. Auf dem riesigen Areal von Asfinag und BIG herrscht seit Wochen Ausnahmezustand. Trotzdem ist der Ablauf geordnet. Die Flüchtlinge bleiben nur für wenige Stunden, bevor es mit Bussen weiter in mittelfristige Quartiere geht, von wo aus sie nach einigen Tagen an die deutsche Grenze gefahren werden. Wer es sich leisten kann, nimmt ein Taxi › Nr. 18 | 2015 | www.big.at


ASYL

Fotos: Richard Tanzer

Den Platz in der Warteschlange f端r den Bustransport will an der Grenze trotz Schlechtwetter kaum jemand aufgeben. Zelte zum Unterstellen stehen jedenfalls bereit.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

49


THEMA ASYL

Die fünfköpfige Familie der syrischen Buben will nach Deutschland.

Die Taxis werden vom sogenannten „Dispatcher“ abgefertigt, bevor sie auf das Areal an der Grenze dürfen.

nach Wien und reist selbst per Bahn Richtung Deutschland. Eine hundert Meter lange Taxi-Schlange steht bereit. Die Fahrt in die Bundeshauptstadt kostet rund 170 Euro. Da zahlt sich das Warten auf Kundschaft aus. Auch Omar will sich bis nach Deutschland durchschlagen. Der Mittzwanziger erzählt: „Ich komme aus Syrien. Ich spreche ein bisschen Deutsch.“ Warum, erklärt er dann doch lieber auf Englisch. Er war bereits mehrere Monate in Deutschland, bei seinem Bruder, der dort lebt. Weil seine Fingerabdrücke in Italien aufgenommen wurden, wurde er allerdings dorthin zurückgeschickt. Doch da hatte er niemanden. Also ist er in die Türkei weitergereist, wo seine Mutter und seine Schwester leben. Aber er wollte nach Deutschland zurück –

50

BIG BUSINESS

und dort Pharmazie studieren. Nun probiert er es also noch einmal. Ob sie ihn dann nicht wieder nach Italien zurückschicken? Sein Anwalt hat ihm gesagt, nach drei Monaten gehe ein erneuter Einreiseversuch in Ordnung. Die Fingerabdrücke verschwänden dann aus den Dokumentationen. Omar steht exemplarisch für viele Tausende. Obwohl nur ein geringer Prozentsatz der Flüchtlinge Asyl in Österreich beantragt, ist die Suche nach Quartieren für Flüchtlinge das beherrschende Thema des Jahres. Denn es müssen nicht „nur“ dauerhafte Unterkünfte im Rahmen der Grundversorgung geschaffen werden, sondern auch winterfeste Übernachtungsmöglichkeiten für Flüchtlinge auf der Durchreise – sogenannte Transitquartiere. In der BIG Nr. 18 | 2015 | www.big.at


ASYL

Fotos: Richard Tanzer

Obwohl nur ein geringer Prozentsatz der Flüchtlinge Asyl in Österreich beantragt, ist die Suche nach Quartieren für Flüchtlinge das beherrschende Thema des Jahres.

­ rbeitet ein zehnköpfiges Projektteam an a der Organisation von Flüchtlingsquartieren für das Innenministerium. Insgesamt rund 110.000 Quadratmeter in BIG-Gebäuden werden derzeit (Anm.: Stand November 2015) vom BM.I und den Ländern (bzw. deren Betreibern) genutzt. Weitere rund 66.300 Quadratmeter stünden bereit. Bereits im ­September 2014 hat die BIG zwei Objekte zur Flüchtlingsunterbringung in Wien zur Verfügung gestellt. Laufend stieg der Druck. Denn die Intervalle zwischen den in Österreich ankommenden Flüchtlingsgruppen wurden kürzer, und die Anzahl der Schutzsuchenden erhöhte sich weiter. „Die Aufgabe des Objektmanagements ist in diesem Fall, die leer stehenden Liegenschaften schnellstmöglich bezugsfähig zu machen“, so Thomas Glanzer, Leiter der Abteilung Objektmanagement der BIG. Das bedeutet: Die BIG stellt die Immobilien inklusive funktionierender Haustechnik (Strom, Heizung, Wasser) zur Verfügung. Die Innenbewirtschaftung, wie das Aufstellen von Feldbetten oder die Bereitstellung von Lebensmitteln, überNr. 18 | 2015 | www.big.at

nehmen Trägerorganisationen wie zum Beispiel das Rote Kreuz. Eine ­wesentliche Anforderung an die Liegenschaften ist die Größe. Denn Ziel ist es, „möglichst viele Flüchtlinge menschenwürdig an einem Ort ­unterzubringen, sodass die Trägerorganisationen nicht ein Dutzend Standorte gleichzeitig betreuen ­müssen“, sagt Glanzer. Diese Aufgaben verlangen von allen Projekt­ beteiligten viel Flexibilität und Einsatzbereitschaft. Denn oft muss es ganz schnell gehen.

Maximal ein paar Tage bleiben die Flüchtlinge in der Vorderen Zollamtsstraße. Im Bürogebäude sind die Sonderfahrten zu den Duschen besonders begehrt.

Alltag im Ausnahmezustand

So auch am Donnerstag, 10. September, um 19 Uhr. Bei ­BIG-Objektmanager Georg Natiesta und seinem Kollegen Walter Bernauer läuten praktisch gleichzeitig die Diensthandys. Haupt- und Westbahnhof in Wien sind vom Flüchtlingsansturm überlastet. Dringend muss die leer stehende Liegenschaft in der Vorderen Zollamtsstraße 7, die ab Frühjahr 2016 für die Universität für angewandte Kunst ›

BIG BUSINESS

51


THEMA ASYL

„Bis spät in die Nacht“ Sandra Stickler von der BIG über die Herausforderungen bei der Quartiersuche.

Foto: BIG

Das Projektteam der BIG kümmert sich um die oftmals kurzfristige Bereitstellung von Unterkünften.

52

■ Wie ist die Herangehensweise der BIG bei der Unterbringung von Flüchtlingen? Stickler: Aktuell vermieten wir rund 150 BIG-Liegenschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen. Wir sind in laufendem Austausch mit dem Innenministerium. Mittlerweile melden wir sogar einzelne leer stehende Dienst- und Naturalwohnungen und suchen im Auftrag des BM.I aktiv auch außerhalb des Konzerns nach potenziellen Flüchtlingsquartieren. Was genau suchen Sie? Stickler: Alles über 1.000 Quadratmeter. Von Hallen und Lagern bis hin zu Büros kann alles dabei sein, was beheizbar ist und wo sich etwaiger Sanierungsbedarf in Grenzen hält. Liegenschaften unter 1.000 Quadratmetern bieten wir den Bundesländern zur Unterbringung von Asylwerbern im Rahmen der Grundversorgung an. Sie sind Leiterin eines zehnköpfigen Projektteams. Was genau ist dabei Ihre Aufgabe? Stickler: Ich bin eine Informationsdrehscheibe. Meine Aufgabe ist, Informationen über potenziell geeignete Liegenschaften einzuholen, intern abzustimmen und gesammelt ans BM.I zu melden. Darüber hinaus liegen auch die Mietvertragsabwicklung sowie die Koordina­ tion von Übergaben und etwaigen Sanierungen in meiner Verantwortung. Oft muss es ja sehr schnell gehen … Stickler: Ja. Die Kurzfristigkeit ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen. Als sich Mitte Oktober der Flüchtlingsstrom an die steirischen Grenzen verlagert hat, haben wir an einem Wochenende binnen weniger Stunden zwei Grenzliegenschaften an das BM.I vermietet. Der zuständige Objektmanager hat bis spät in die Nacht die Übergaben vor Ort gemacht. Auch die Bereitstellung der Notunterkunft in der Vorderen Zollamtsstraße in Wien war eine Nacht-und-Nebel-Aktion.

BIG BUSINESS

saniert werden soll, zur Notunterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert werden. Avisierte Ankunft der ersten Flüchtlinge: 22 Uhr. Die Uhr tickt. „Wir sind sofort ins Büro gefahren, um die Schlüssel zu holen und haben uns vor Ort mit dem BM.I zu einer Besichtigung getroffen“, erzählt Georg Natiesta, der „Verstärkung“ durch seinen fünfjährigen Sohn hatte, für den er so kurzfristig keine Betreuung organisieren konnte. Schnell war klar: Das Gebäude ist brauchbar, und das BM.I möchte einen Leihvertrag bis zum Beginn der geplanten Sanierungsarbeiten abschließen. „Noch während wir die Gebäudetechnik, also Heizungssystem, Strom und Wasser, hochgefahren haben, hat das Rote Kreuz mit dem Aufbau von Feldbetten begonnen“, schildert ­Walter Bernauer die hektischen Vorbereitungen. So ist es gelungen, binnen drei Stunden Raum für 1.500 Flüchtlinge zu schaffen. Mittlerweile ist in der Notschlafstelle in der Vorderen Zollamtsstraße Routine eingekehrt. Flüchtlinge werden ­direkt von den Grenzen oder von Bahnhöfen hierher gebracht, damit sie sich stärken und schlafen. „Es ist schlimm zu sehen, wie erschöpft die Menschen sind. Es kommt vor, dass wir Kinder sogar aus dem Bus tragen müssen, weil sie einfach keine Kraft mehr haben“, berichtet Ulrike Karpfen, Einsatzleiterin des Roten Kreuzes. Dennoch reisen die meisten schon am nächsten Tag weiter. Einige organisieren die Weiterreise selbst, andere nutzen organisierte Transporte an die deutsche Grenze. Trotz der kurzen Verweildauer ist das Notquartier gut ausgelastet. „Gestern sind rund 800 Flüchtlinge eingetroffen. Es waren aber auch schon mal 1.500 gleichzeitig da“, berichtet Karpfen. Täglich sind hier mindestens 14 freiwillige Helfer und sechs hauptamtliche Mitarbeiter vom Roten Kreuz im Einsatz. Dazu kommen noch viele ehrenamtliche Kräfte, die kurzfristig unterstützen. Auch nachts ist die Notschlaf­ stelle stets besetzt. Denn wann genau wieder ein Bus oder eine Sonderstraßenbahn mit Flüchtlingen eintrifft, wird nicht immer angekündigt.

Duschen dringend benötigt

Seit Kurzem gibt es probeweise auch einen eigenen Sicherheitsdienst vor Ort – nicht etwa, weil die Flüchtlinge besonders streitsüchtig wären, sondern in erster Linie, um sicherzustellen, dass sich nur Berechtigte Zutritt zum Gebäude verschaffen. Als Erkennungsmerkmal dienen blaue Armbänder für Flüchtlinge und die Uniformen der Einsatz­ kräfte. „Aber natürlich gibt es hier auch Konflikte. Die MenNr. 18 | 2015 | www.big.at


ASYL

«Es kommt vor, dass wir Kinder sogar aus dem Bus tragen müssen, weil sie einfach keine Kraft mehr haben.» Ulrike Karpfen, Einsatzleiterin des Roten Kreuzes

Fotos: Richard Tanzer

schen haben eine harte Reise hinter sich. Zum Teil haben sie Familienmitglieder verloren und schlimme Kriegseindrücke zu verarbeiten. Dazu kommen Kulturunterschiede und Schlafmangel“, so die Einsatzleiterin. Das drängendste Problem in der Büroliegenschaft sind aber die fehlenden Duschen. „Wir organisieren jetzt an zwei Tagen pro Woche Bustransporte in ein Bad der Stadt Wien, wo die Flüchtlinge duschen können. Wünschenswert wäre aber, wenn Duschen in Containern im Innenhof aufgestellt werden könnten“, berichtet Ulrike Karpfen. Bei der BIG wird die Umsetzungsmöglichkeit bereits geprüft. Während unseres Gesprächs erhält die Einsatzleiterin eine Anfrage hinsichtlich ­freier Kapazitäten am Wochenende: „Es werden wieder Tausende Flüchtlinge erwartet. Zur Vorbereitung werden wir noch mehr Betten aufstellen und unsere Verpflegungslager aufstocken“, sagt Karpfen.

Neue Wege und geänderte Strategien

Auch in der BIG läuft indes die Herbergssuche weiter. Da der Bedarf nach Unterbringungsmöglichkeiten nicht allein aus dem Bestand gedeckt werden kann, koordiniert die BIG im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres auch die Anmietung von Drittliegenschaften. „Das heißt, wir kümmern uns nicht nur um die Vermietung unserer eigenen Objekte. Privatpersonen, Handelskonzerne, Versicherungen, Land- und Forstbetriebe, die ÖBB und viele mehr melden uns ihre verfügbaren Leerstände“, sagt BIG-Projekt­ leiterin Sandra Stickler. Die BIG übernimmt die Erstbesichtigung und Kostenschätzung für etwaige Sanierungen und Adaptierungen sowie das Verhandeln und Aufsetzen der Mietverträge. Zusätzlich werden auch Freiflächen auf Eignung für die Errichtung von Containerdörfern geprüft. „Die Entscheidung, ob eine Liegenschaft zur Unterbringung von Flüchtlingen geeignet ist und der Standort aufgrund der Quotenregelung infrage kommt, liegt aber allein beim Bundesministerium für Inneres“, erklärt Stickler. Der Aufwand für Vorprüfung, Besichtigung und Kalkulation ist daher leider oft vergebens. „Lehnt das BM.I eine Liegenschaft ab, haben wir noch die Möglichkeit, sie dem betreffenden Bundesland für die Grundversorgung anzubieten. Bisher nutzen die Länder aber unsere Angebote nur sehr spärlich“, berichtet Stickler. Zusätzlich zur Anmietung von Eigenund Fremdliegenschaften prüft die BIG auch den Erwerb von leer stehenden Hotels und Wohnanlagen oder Frei­ flächen für die Errichtung von Containerdörfern. „Die ­große Herausforderung bei den Ankäufen ist auf der einen Seite › Nr. 18 | 2015 | www.big.at

„Sie sind hier“: ­Eines der vielen mehrsprachigen Schilder verweist auf die vorüber­ gehende Adresse der Flüchtlinge.

Insbesondere die Kinder müssen sich von der langen, beschwerlichen Anreise erholen.

BIG BUSINESS

53


THEMA ASYL

INFO Die BIG ist eine Kapitalgesellschaft mit klar geregelter Aus­ richtung; der Vermietungsgrad beträgt rund 98 Prozent. Aufgabe der BIG ist, den Raumbedarf des Bundes zu markt­ konformen Bedingungen und wenn es für sie wirtschaft­ lich vertretbar ist, zu befriedigen. Grundsätzlich wäre also eine marktadäquate Miete Basis für die Anmietung von Gebäuden. „Es gibt aber sehr wohl Ausnahmen“, sagt ­Matthias Plattner, Projektteammitglied aus dem Büro der Geschäftsführung: „Jene Liegenschaften, die vorüber­ gehend leer stehen, weil sie in absehbarer Zeit für General­ sanierung oder Entwicklung vorgesehen sind, werden mietfrei zur Verfügung gestellt.“ Für Letztere, rund 25.000 Quadratmeter Gebäudefläche, verrechnet die BIG lediglich die Betriebskosten. Das entspricht rund einem Viertel der derzeit (Anm. der Red.: Stand Anfang November 2015) zum Zweck der Flüchtlingsunterbringung genutzten Gebäude­ fläche. Weitere 74.000 Quadratmeter in Gebäuden und 110.000 Quadratmeter Freiflächen wurden von der BIG zur Aufstellung von Containern angeboten. Das Bundesminis­ terium für Inneres schickt bei Bedarf eine Anfrage an die BIG, woraufhin ein Mietvertrag erstellt wird. „Ab Unterfer­ tigung des Vertrags wird das Gebäude in der Regel binnen weniger Tage übergeben“, sagt Plattner.

der Zeitdruck. Das BM.I braucht so schnell wie möglich geeignete Liegenschaften zu final kalkulierten Konditionen. Gleichzeitig liegt es in unserer Verantwortung, qualitätsvolle Liegenschaften anzukaufen, die das Portfolio nachhaltig aufwerten und auch Nachnutzungspotenziale haben. Das macht auf der anderen Seite genaue Vorprüfungen notwendig. Hier das richtige Mittelmaß zu finden, ist entscheidend“, so Rainer Marschall von der BIG. Abgesehen von den kurz- und mittelfristig benötigten Liegenschaften steigt mit der Zahl der Asylanträge auch der Bedarf an längerfristigen Unterkünften für Asylwerber. Ein Beispiel dafür ist die ARE-Liegenschaft in der Erdberger Straße 186–196. Für den seit 2013 leer stehenden Gebäudetrakt gab es schon viele Zukunftspläne. Zuletzt war die Entwicklung zum Studentenheim geplant. Mit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise kam aber alles ganz anders. Bereits im Herbst 2014 hat das BM.I das Gebäude zur Entlastung des Asylheims Traiskirchen angemietet und Ende Jänner 2015 wieder retourniert. Ab Mai 2015 war das BM.I erneut eingemietet. Seit November kümmert sich die Stadt Wien um die Unterbringung von rund 500 Asylwerbern. Der Vorteil der Liegenschaft: Die ehemaligen Internatszimmer ver­ fügen über die passende Ausstattung. Der Nachteil: Im Gebäude ist ein Gymnasium eingemietet. Verständlicherweise hat das besonders am Anfang zu Ängsten und Unsicherheiten geführt. Um dem entgegenzuwirken, hat die BIG rasch mit dem Schuldirektor und den Anrainern von Verwaltungs- und Asylgerichtshof den Dialog gesucht. Abgesehen von Feuerlöschern, die von spielenden Kindern gerne als Riesenspritzpistolen zweckentfremdet werden und unnötig ausgelösten Feueralarmen funktioniert das Zusammenleben heute weitgehend reibungslos.

Foto: Richard Tanzer

Mit vereinter Kraft

Nächstenliebe oder Entrümpelungsaktion? In Sammelstellen trennen die Helfer nützliche Sachspenden von Unbrauchbarem.

54

BIG BUSINESS

Während an manchen Orten bereits erste Integrations­ bemühungen laufen, geht es für viele Neuankömmlinge an der Grenze mit Einbruch des Winters um ein simples Dach über dem Kopf. Über viele Stunden stehen die Flüchtlinge beim Lokalaugenschein in Nickelsdorf in der Kälte. Die Flüchtlinge, die hier ankommen, sind laut Martin Rechnitzer, Einsatzleiter des Roten Kreuzes, „in relativ guter Verfassung – wenn man bedenkt, wie weit sie gereist sind“. ­Blasen, Erschöpfung und Erkältung sind die häufigsten Gründe für einen Aufenthalt im Feldlazarett. Zusätzlich zu den offiziellen Einsatzkräften von Polizei und Bundesheer übernehmen viele Zivilisten ehrenamtlich wichtige Funktionen in der Flüchtlingsversorgung. Eine tragende Rolle kommt zum Beispiel den Übersetzern zu. An diesem Tag sind zwei Pensionisten im Einsatz, die Farsi bzw. Arabisch sprechen. Ansonsten wäre eine Verständigung in vielen Fällen unmöglich, denn nicht alle Flüchtlinge haben ausreichende Englischkenntnisse. Eine weitere wichtige Stütze ist das Team Nr. 18 | 2015 | www.big.at


ASYL

Zelte oder Hallen, Absperrungen und Dixi-Klos: Für die Organisation an der Grenze nimmt man Anleihen bei Großveranstaltungen. Mehrere Tausend Flüchtlinge warten dort pro Tag auf die Weiterreise.

rund um Ina Sattler. Die Angestellte der Gemeinde Nickelsdorf koordiniert die Sammlung und Sortierung von Kleiderspenden. „Am dringendsten benötigen wir derzeit warme Socken, Schuhe, Jacken und Oberbekleidung“, erklärt Sattler. Aber es ist auch viel Unbrauchbares dabei. „Die Kleidersammlung ist wohl Österreichs größte Entsorgungsaktion“, sagt die Helferin. Denn viele schicken vom Bikini über ­Stöckelschuhe bis hin zu Vorhängen einfach ­alles, was zu Hause nicht mehr benötigt wird. Umso mühsamer wird das händische Sortieren für die freiwilligen Helfer. Die größten Herausforderungen für die Helfer sind die kurzen Vorlaufzeiten, der teilweise schleppende Informationsfluss und das Wetter. Trotzdem gibt es auch viele positive Erlebnisse für die Helfer: „Vielen Flüchtlingen ist anzusehen, dass ihnen mit der Ankunft in Österreich eine Last von den Schultern genommen wird“, schildert Polizeisprecher Helmut Marban. Eine Prognose, wie sich die Situation weiterentwickelt, will niemand wagen. Fest steht: Je kälter es wird, desto gefährlicher wird die Reise für die Flücht­linge. Die raue See macht die Überfahrt übers Mittelmeer noch schwieriger. Wie und wann sich eine etwaige politische ­Einigung mit der Türkei auf den Umgang mit Flüchtlingen auswirken wird, weiß niemand. Beleg für die schwer kal­ kulierbare Lage ist die plötzliche Verschiebung des BrennNr. 18 | 2015 | www.big.at

Fotos: BIG

Prognose ungewiss

punkts von Nickelsdorf in das steirische Spielfeld an der slowenischen Grenze. „Mittlerweile kommen jeden Tag rund 5.000 bis 6.000 Personen“, so ein dort stationierter Polizist: Analog zu Nickelsdorf schieben sich auch hier die Flüchtlinge in der Warteschlange vorwärts. Das wenige Hab und Gut wird geschultert, die Kinder werden an die Hand genommen, und langsam bewegt sich der Tross in Richtung Einstiegstelle. Alles läuft an diesem Tag höchst kon­trolliert ab. Wieder haben rund 100 Flüchtlinge Platz in einem der beiden Busse ergattert. Viele bleiben allerdings zurück und müssen auf die nächste Gelegenheit warten. ‹

BIG BUSINESS

55


THEMA MOLDAWIEN

Im Wein liegt die Wahrheit Die Republik Moldau ist ein kleines Land zwischen Rum채nien und der Ukraine. Dem haupts채chlich auf Landwirtschaft ausgerichteten Staat fehlt vor allem eines, n채mlich Geld. Daher wird auch wenig investiert. Viele verlassen mangels Aussichten das Land. Die BIG versucht im Rahmen eines Projekts, in Not geratenen Familien zu helfen. Ein Bericht von Ernst Eichinger

56

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


MOLDAWIEN

N

ach rund eineinhalb Stunden Flug aus Wien landet die Maschine der AUA sanft auf dem Rollfeld des Flughafens Chisinau. Die Temperaturen treiben das Quecksilber in lichte Höhen. Die Hitzewelle des Sommers 2015 hat auch die Republik Moldau fest im Griff. Der Flughafen ist klein, aber zumindest optisch durchaus in Ordnung. Angeblich hat sich ein russischer Geschäftsmann gefunden, der sein Geld gewinnbringend investiert. Erste Effekte sind durchaus erkennbar. Die Wartezeiten sind gering. Das Gepäck dreht bereits am Förderband seine Kreise. Der erste Schritt aus dem „ganz normalen“ Flughafen­gebäude, mit dem Koffer bepackt, bedeutet gleichzeitig aber auch die Ankunft im ­„Armenhaus Europas“. Die Hauptstadt von Moldau liegt – ähnlich wie Wien – nur einen Steinwurf vom Flughafen entfernt. Eine breit ausgebaute, sechsspurige Straße führt in das Zentrum des Landes. Der erste Eindruck ist keineswegs schlecht. Felder und vertrocknete Wiesen säumen die gut asphaltierte Fahrbahn. Julian Mariutsa, Mitarbeiter der Caritas, dämpft aber sogleich die Hoffnungen auf Infrastruktur nach „westlichem Standard“. Der Grund, warum die Verbindung zwischen Chisinau und dem Flughafen in Ordnung sei, liege in dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin vor rund zwei Jahren. Mit viel Aufwand wurden damals die rund 20 Kilometer im Vorfeld hergerichtet. Immerhin. Das Geschwindigkeitslimit beträgt 90 Stundenkilometer – Autobahnen gibt es nicht. Trotz rigoroser Strafen und einer in gewisser Weise unbürokratisch flexibel agierenden Polizei halten sich aber – außer unserem Fahrer – nicht viele daran. Dann Nr. 18 | 2015 | www.big.at

taucht eines der Wahrzeichen der Hauptstadt auf: „Vorota kishineva“ als Tor zu einem Lebensraum für rund 800.000 Einwohner. Genaue Zahlen gibt es nicht. Statistiken sind Interpretationssache. Eines ist jedenfalls „amtlich“: die ­Migrationsströme. Die Menschen ziehen generell, wenn sie die Möglichkeit dazu haben, von den Dörfern in die Stadt. Optimalerweise verlassen sie aber Moldawien in Richtung Italien, Belgien oder auch Russland. Lagen die Schätzungen vor etwa zehn Jahren noch bei 3,5 Millionen Einwohnern, so dürfte sich die Bevölkerungszahl jetzt bei 2,8 Millionen einpendeln. Dieser Exodus ist in vielerlei Hinsicht problematisch, denn vor allem Menschen mit hoher Bildung kehren dem Land den Rücken. Und dieser Abfluss an Knowhow ist für die Perspektive eines Staates, der hauptsächlich von Landwirtschaft lebt, problematisch.

Zwingende Gründe

Der erste visuelle Eindruck der Stadt verrät auch schon ein bisschen mehr, was den Chisinau-Besucher erwartet. Viele unter den Sowjets erbaute Hochhäuser, deren Fassaden gröberen Instandhaltungsrückstau aufweisen, sind für architekturaffine Menschen nicht gerade ein Augenschmaus. Dann aber doch eine Überraschung: Zwischen in den Himmel ragenden Betonklötzen finden sich weitläufige Grün­ flächen, die in dem offiziellen Prospekt „11 Reasons to visit Moldova“ auch prominent angepriesen werden. So richtig gepflegt sind diese Flächen allerdings nicht. Gelegentlich liegt Müll auf dem Boden. Die Sträucher und Bäume sind nicht geschnitten. Blumen gibt es kaum. Sehr natürlich und doch verwahrlost. Der Folder ist aber in einer Hinsicht ›

BIG BUSINESS

Fotos: Fotolia.com – Rostislav Sedlacek/Fotolia.com – daboost

Zu Moldawien finden sich viele „offizielle“ Zahlen. Sie sind allerdings nicht immer deckungsgleich, sondern eher „Größenordnungen“ zur Orientierung.

•   Einwohner: ca. 2,58 Mio. plus 329.000 im Ausland lebende Moldauer •   Fläche: 33.700 m2 •  Bevölkerungsdichte: ca. 77 pro km2 •   Amtssprache: Rumänisch •  BIP: 5,98 Mrd. E (nominal) [zum Vgl. Ö: 329 Mrd. E] •   BIP pro Kopf: 1.680 E (nominal) [zum Vgl. Ö: 38.500 E] •  BIP-Wachstum: 4,6 % •  Inflationsrate: 12,6 % •   Anteil der Landwirtschaft am BIP: 12,3 % •   Anteil der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft: 29 % •   Anteil der EU-Importe: 48,3 % •  Anteil der Exporte in die EU: 53,3 % •  Durchschnittsgehalt (2013): 220 E •  Handelsbilanzdefizit: 3,0 Mrd. $ •  Hauptstadt: Chisinau, ca. 809.600 Einwohner

Quelle: www.auswaertiges-amt.de

MOLDAWIEN (STAND: 2014)

57


THEMA

Fotos: BIG

MOLDAWIEN

Auch wenn sich Moldawien intensiv bemüht, seine Vergangenheit abzulegen: Noch erinnern sehr viele Zeugnisse unweigerlich an die sowjetischen Zeiten.

sehr aufschlussreich. Denn er lässt erkennen, wie viele ­Attraktionen die Republik Moldau tatsächlich aufzuweisen hat. Von „11 Gründen, nach Moldawien zu reisen“, betreffen allein vier den Weinbau. „Der Wein hat in den letzten Jahren – nicht zuletzt durch die gute Kooperation mit der Entwicklungszusammenarbeit Österreichs – an Qualität zugelegt“, sagt Gerhard Schaumberger, der das ört­liche Büro der Austrian Development Agency (ADA) des Außenministeriums leitet. Da Diplomaten selten direkt formulieren, könnte man also übersetzen: Der Weg stimmt, aber es gibt noch Luft nach oben. Denn trotz der einen oder anderen möglicherweise gelungenen Flasche rangiert Moldau bei Liebhabern eines guten Tropfens noch nicht sehr weit vorne.

Highlight Transnistrien

Dann bleibt neben „einzigartigen“ Klöstern und Kirchen nur mehr ein „Highlight“: Transnis­trien. Hier beschreiten moldawische Tourismusexperten bei der Empfehlung absolutes Neuland. Denn Transnistrien ist eine abgespaltene, autonom verwaltete und von Russland unterstützte Region. Für dieses Gebiet gilt eine Reisewarnung. Um dorthin zu kommen – und vor allem auch wieder ­zurück – sollte der Abenteuerurlauber

58

BIG BUSINESS

gute Nerven haben und sich viel Zeit nehmen. Wie groß das Vergnügen beim Grenzübertritt ist, bestimmt die Tages­laune der dort stationierten schwer bewaffneten ­Soldaten. Unter dem Strich drängt sich nach Lektüre der elf „zwingenden“ Gründe dem nach Sehenswürdigkeiten dürstenden Touristen also doch irgendwie das Gefühl auf, die Versäumnisse wären bei einer plötzlich auftretenden Krankheit nicht allzu gra­ vierend. Irgendwie interessiert sich generell niemand so richtig für das Land. Die proeuropäisch orientierte Regierung hat mit ihrem Kurs die Unbill Putins inklusive nachfol­ gender Wirtschaftssanktionen heraufbeschworen. Gleichzeitig hat Moldau aber scheinbar auch der EU nicht allzu viel zu bieten. So unterhält Österreich etwa keine eigene Botschaft in Moldau. Das Land wird diplomatisch von Rumänien aus betreut. Wobei sich das im Jahr 2016 ändern soll. Zynisch betrachtet gibt es nur einen ­Exportschlager, bei dem die Republik Moldau im Spitzenfeld zu finden ist – „perfekt organisierte Verbrecherorganisationen“, wie Rudolf Kirisits, Attaché des Bundesministeriums für Inneres, weiß: „Die Banden sind viel effizienter und auch brutaler als ihre rumänischen Pendants.“ Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die Chancen, sich auf ehrliche Weise einen bescheidenen Lebensstandard zu erarbeiten, sind denkbar gering. Zahlen verNr. 18 | 2015 | www.big.at


MOLDAWIEN

deutlichen die Misere. Das durchschnittliche Monatseinkommen beläuft sich auf rund 200 Euro. Das Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2014 knapp sechs Milliarden Euro. Zum Vergleich: Österreich kommt auf 330 Milliarden Euro.

Die kleine Olessyia, ein Patenkind der BIG, in diesem Umfeld zu sehen, ist extrem bedrückend. Die Zustände sind jämmerlich.

Hilfe vor Ort

„Oft werden wir gefragt: Warum helft ihr nicht in Österreich? Die Antwort darauf ist sehr einfach. Unser Projekt ist darauf ausgerichtet, Menschen in ihrer Heimat zu unterstützen. Das ist aber nicht nur reiner Altruismus, sondern auch der Versuch, präventiv zu handeln. Denn sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge verlassen ihr Land ausschließlich dann, wenn sie keine Perspektive mehr sehen“, sagt Wolfgang Gleissner, Geschäftsführer der BIG. Seit mittlerweile fünf Jahren unterstützt das Unternehmen in wirtschaft­ liche Not geratene Familien mit rund 60 Euro pro Monat. Darüber hinaus übernehmen zahlreiche Abteilungen Patenschaften für die Kinder. Unterschiedlich ambitioniert werden für die nachkommende Generation Sachspenden gesammelt oder es wird einfach nur Geld gespendet. Regelmäßig fahren oder fliegen Vertreter der BIG nach Molda­ wien und besuchen die Familien. Die Eindrücke dabei sind so unterschiedlich wie die Fälle. Ein Muster zeichnet sich aber doch ab. Der „Klassiker“ sind Mütter mit einem oder mehreren Kindern. Der Vater: ­verschwunden. Die Frauen haben keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit. Wohnsituation: prekär. Dabei wird man als Besucher mit Schicksalen konfrontiert, die nahegehen. So „wohnen“ beispielsweise die kleine Olessyia und ihre Schwester Alexandra mit ihrer Mutter in einem etwa 14 Quadratmeter großen Zimmer in einer mehrstöckigen „Bruchbude“ mitten in Tiraspol, der Hauptstadt von › Nr. 18 | 2015 | www.big.at

In österreichischen Medien würde dieses Haus eher nicht mehr unter „Bastlerhit“, sondern wahrscheinlich unter „Abbruchobjekt“ angeboten werden. Dennoch wohnen hier über 200 Menschen.

BIG BUSINESS

59


THEMA MOLDAWIEN

Unteilbare Armut Barbara Wolf, Länderreferentin der Caritas für Ostund Südosteuropa, über ein Phänomen, mit dem sich mitteleuropäische Gesellschaften auseinandersetzen müssen. ■ Wie erleben Sie die Situation in Moldau der­ zeit? Wolf: Ich war das letzte Mal Anfang Oktober in dem Land. Erstmals fanden ähnlich wie in der ­Ukraine groß angelegte Proteste statt. Für ­Ärger sorgt ein Skandal, da rund eine Milliarde Euro des Staates in dubiosen Kanälen versickert ist. Wobei grundsätzlich – soweit ich das als Besucherin beurteilen kann – alles sehr ruhig verläuft. Die einzige Einschränkung sind die derzeitigen Stromausfälle, die es normalerweise in Chisinau nicht gibt. Irgendwie wirkt in der Hauptstadt alles ein biss­ chen ungepflegt. Es würde doch auch nichts kos­ ten, bei einer Wohnhausanlage ein schönes Blu­ menbeet anzulegen und sich darum zu küm­ „Wir stellen immer die mern … Menschen in den Wolf: Stimmt. Wir versuchen daher auch solche Vordergrund“, sagt Barbara Projekte anzustoßen und die Menschen zu motiWolf von der Caritas. vieren, sich um ihre eigene Umwelt zu kümmern. Mit der öffentlichen Ordnung ist es ein bisschen anders. Da gibt es einfach auch kulturelle Unterschiede. Wie groß sind diese Unterschiede zwischen Moldau und Österreich? Wolf: Ich glaube, das kann man nicht messen. Daher sage ich: genauso groß wie zwischen Österreich und Italien. Dort ist auch vieles anders. Dass aber ein über 70 Jahre kommunistisch organisiertes Land ganz anders denkt, ist wohl nicht verwunderlich. Projekte wie das der BIG haben auch intern nicht immer nur Freunde. Das Kern­ argument: Wozu überweisen wir das Geld ins Ausland, wenn es doch in Öster­ reich ebenfalls viel Armut gibt. Was würden Sie antworten? Wolf: Armut kann man nicht teilen. Armut ist ein Phänomen, mit dem sich wohlhabende Staaten auseinandersetzen müssen. Wir helfen, indem wir den Menschen ermöglichen, in ihrem Land zu bleiben und sich nicht als illegale Arbeitskraft irgendwo in Europa verdingen zu müssen. Wie stehen Sie zu der Seitenblicke-Gesellschaft, die Hilfsprojekte für ihre EigenPR nutzt? Wolf: Jeder hat seine Art zu helfen. Wenn ein Prominenter durch besondere Einladungen Geld lukriert, ist das sein Weg. Wir als Caritas stellen immer die Menschen in den Vordergrund, denen wir helfen. Darüber hinaus gelten bei uns strenge Richtlinien, wessen Geld wir nehmen. Ein Waffenproduzent könnte niemals unser Partner sein. Nach welchen Kriterien „verteilt“ die Caritas Gelder in Moldau? Wolf: Wir unterstützen diejenigen, die es am meisten brauchen. Alte, Kranke, Kinder und Jugendliche oder Alleinerzieherinnen. Die Auswahl erfolgt durch lokale Koordinatoren. Denn sie kennen die Situation am besten. Vielen Dank für das Gespräch!

60

BIG BUSINESS

Oft leben viele Kinder in einem (desolaten) Haus. Man merkt an der großen Freude: Geschenke bekommen sie nicht sehr oft.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


MOLDAWIEN

Fotos: BIG

An allen Ecken fehlt das Geld. Bei der öffentlichen Infrastruktur fällt das besonders auf. Manchmal ist es aber auch umgekehrt: ein Pferde­fuhrwerk als gelebter Anachronismus auf einer frisch asphaltierten Schnellstraße.

Auch beim Thema Sicherheit oder Haftung ticken die Uhren in Moldau anders. Die Technik, einen tonnenschweren Lkw (vermutlich aus Sowjetzeiten) „aufzubocken“, entspricht wohl eher nicht österreichischen Standards.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

61


THEMA MOLDAWIEN

Fotos: BIG

In manchen entlegenen Orten sagen sich nicht einmal mehr Fuchs und Hase gute Nacht. Bei Trockenheit und schönem Wetter hat das noch etwas von dörflicher Idylle. Spätestens bei Regen, Schnee, Eis und Kälte wandelt sich die Romantik aber zum Überlebenskampf.

Transnis­trien. Die Eingangstür: desolat. Nur ein Vorhang trennt das Zimmer von einem langen Gang mit zahllosen Wohnungen. Die Sanitäreinrichtungen werden genauso wie die Küche von allen Stockwerksbewohnern, rund 40 Personen, genutzt. Es bedarf einiges an Fantasie, um sich diese olfak­­torische Melange vorzustellen, wenn man es nicht selbst riecht. Vor allem bei Hitze. Im Winter sind die Probleme anders gelagert. Während sich österreichische Behörden Maßnahmen zur flächendeckenden thermischen Sanierung überlegen, geht es dort ums nackte Überleben. In der Wand sind Risse. Es zieht nicht nur durch das kaputte Fenster, sondern einfach überall. Die beiden Kinder wirken trotzdem fröhlich und freuen sich über die mitgebrachten Geschenke. Eine bedrückende Situation. Das Gebäude, in dem Olessyia und Alexandra leben, steht exemplarisch für besonders heruntergekommene Gebäude in den Städten, wo die meisten Häuser desolat anmuten. Der Grund: ­Eigentum ist weit verbreitet. Für die Allgemein­flächen interessiert sich die Gemeinschaft aber meistens nicht. Auch die Wohnungen sehen nicht nur von außen kümmerlich aus. Hinter verwaschenen Plattenfassaden verbergen sich dunkle, teppichbehangene Zimmer, die ­Risse an den

Die Bilder können nicht im Ansatz die wahren Lebensumstände vieler Menschen in den Dörfern vermitteln. Als wohlbehüteter Zentraleuropäer ist es kaum denkbar, hier zu übernachten, geschweige denn zu wohnen.

62

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


MOLDAWIEN

Der Nistru teilt Moldau von Transnistrien. Schwer bewachte Grenzübergänge (die selbstverständlich nicht fotografiert werden dürfen) müssen auf dem Weg vom einen in den anderen Teil des Landes passiert werden.

­ änden kaschieren und vermutlich im Winter auch ein W bisschen dämmen sollen. Der Vorteil einer Stadtwohnung ist aber jedenfalls eine halbwegs funktionierende Infrastruktur – wie zum Beispiel die Versorgung mit Gas. Das unterscheidet die Ballungsräume von ländlichen Gegenden. Aber nicht nur.

Keine Romantik

Schon die Erreichbarkeit ist dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, deutlich reduziert. Viele Dörfer haben keine asphaltierten Straßen. Wenn es also länger geregnet hat, sind ganze Landesteile nur mehr eingeschränkt erreichbar. Im tiefen Winter – Moldau verfügt über ähnliche Klimaverhältnisse wie Österreich – sind die Aussichten auf Außenkontakt unter dem Schnee begraben. Mit diesen Herausforderungen kämpft eine Familie im äußersten Nordosten Moldaus. Der Weg dorthin ist beschwerlich. Die Grenzen des VW Polo der Caritas sind erreicht. Am Ende eines Weges steht auf der rechten Seite das Haus von Familie Shevciuk. Der 14-jährige Wanja wird von der BIG unterstützt. Vor über zwei Jahren stellte sich heraus, dass seine Weigerung, in die Schule zu gehen, weniger mit Lern­un­ Nr. 18 | 2015 | www.big.at

willigkeit als mit fehlendem Gewand zu tun hatte. Es mangelt also an Grundsätzlichem. Dennoch wirkt die Szene fast idyllisch. Der Vater treibt die Gänse und Enten hinter dem Haus hervor. Offensichtlich sein ganzer Stolz. Der Topf steht auf der Feuerstelle. Irgendwie drängt sich einem Besucher sogar ein Hauch von Ferienlagerstimmung auf, sprächen nicht die nackten Tatsachen gegen jede Form von Romantik. Fließendes Wasser gibt es nicht. Die Versorgung erfolgt über den 800 Meter entfernt liegenden Brunnen. Mindestens dreimal pro Tag muss jemand mit einem ­Kanister Nachschub holen. Kanalisation: nicht vorhanden. Acht Personen leben in drei Räumen mit geschätzt jeweils rund zwölf Quadratmetern, dementsprechend wenig Freiraum gibt es für den Einzelnen. Die Herausforderungen des Winters sind für einen Durchschnitts­österreicher mit Wohlstandsproblemen vermutlich unvorstellbar. Dennoch ist diese Familie ein Vorzeigebeispiel für Solidarität, selbst in einer existenzbedrohenden Situation. Denn vier der sechs Kinder sind nicht „die eigenen“, sondern wurden zusätzlich aufgenommen. Das sollte Schule machen. Insgesamt unterstützt die BIG 22 Familien in der Hoffnung, ihnen eine neue Perspektive zu geben. ‹

BIG BUSINESS

63


THEMA MOLDAWIEN

„Moldau bezaubert die Menschen“ Immer mehr Touristen, steigende Qualität beim Wein und kulturelle Vielseitigkeit. Das Land hat für den Leiter der Agentur der Österreichischen Entwicklungs­ zusammenarbeit (ADA) einiges zu bieten. Darüber hinaus kündigt Gerhard ­Schaumberger im BIG-Business-Interview die Gründung einer eigenen Botschaft an.

Foto: Beigestellt von Gerhard Schaumberger

auch dieses Umfeld, das die Menschen ■ Warum gibt es in der Republik Moldau hier so freundlich und offen für Gäste ­keine Botschaft, sondern „nur“ ein Büro macht. der ADA? Vor Kurzem verbrachte ich einen Abend in Schaumberger: Die Republik Österreich ­einer privaten Runde. Wir haben die aus ist bereits über die Botschaft in Bukarest Moldawien mitgebrachten Weine verkos­ tätig. Sicherlich hat die ADA eine ganz tet. Ich behaupte, den einen oder anderen ­wesentliche Rolle in Bezug auf den Auskonnte man schon trinken. Aber irgendwie bau und die Vertiefung der exzellenten Be­ hatten die Weine von Anfang an keine ziehung Österreichs mit Moldau und Chance und wurden noch vor dem Öffnen ­unseren guten Ruf hier gespielt. Bereits der Flasche nur belächelt. Hat Moldawien nächstes Jahr wird unsere Dienststelle nicht auch ein gewaltiges Imageproblem? auch zur vollen Botschaft ausgebaut. Oder hat es überhaupt ein „Image“? Haben Sie einen Überblick, wie viele öster­ Schaumberger: Aus meiner Sicht bessert reichische Touristen das Land pro Jahr be­ sich dieses Image gerade gewaltig. Dies suchen? Gerhard Schaumberger, ADA. hat damit zu tun, dass die Republik MolSchaumberger: Wenn Sie so wollen, ist dau ihren wichtigsten Abnehmer und Moldau das exklusivste Land für internatiMarkt verloren hat – Russland. 2014 gab es dort wiederholt onalen Tourismus in Europa, einfach weil so wenig Leute einen politisch motivierten Importstopp moldauischer hierherkommen. Laut Statistischem Zentralamt hatten wir Weine. Nun orientiert man sich notgedrungen stärker an 2014 knapp 4.000 Nächtigungen österreichischer Herder EU, was gut für den Wein und seine Qualität ist. kunft. Das ist in der Tat nicht viel, allerdings stimmt die PerÜber ein ADA-gefördertes Projekt haben wir übrigens bei spektive: Vor zehn Jahren war es noch ein Drittel davon. der Winzerausbildung – in Zusammenarbeit mit KlosterIn einem offiziellen Folder stehen elf Gründe, Moldawien zu neuburg und Silberberg – große Fortschritte gemacht. Der besuchen. Dabei wird sogar für Transnistrien geworben – Wein der von uns geförderten Partnerschule hat bei inter­obwohl eine Reisewarnung besteht. Insgesamt also keine nationalen Bewerben mehrfach Goldmedaillen erhalten. zwingenden Gründe, sofort das nächste Flugzeug zu bestei­ Klar ist auch, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion die gen. Welche Argumente würden Sie gegenüber potenziellen Etablierung von Kleinbauern und Winzern seine Zeit Touristen ins Treffen führen, um das Land zu besuchen? braucht. Es kam gerade in den letzten Jahren eine neue Schaumberger: Moldau bezaubert die Menschen vielfach Welle an guten und qualitätsvollen Weinen auf den Markt, aufgrund seiner sanften Landschaft, der schönen Klöster die international durchaus Chancen haben und die auch und der Weinkultur. Es ist wenig bekannt, dass die weltüber verstärktes Marketing weltweit Abnehmer finden. weit größten Weinkellereien in Moldau sind. BeispielsweiIch formuliere die wirtschaftliche Situation bewusst sehr se ist der Keller in Cricova nahe der Hauptstadt ganze 120 ­trivial: Moldawien hat kein Geld. Woher soll es kommen? Die Kilometer lang. Bei den Klöstern gibt es wunderschöne orLandwirtschaft trägt einen großen Teil zum BIP bei. Ist das thodoxe Bauten, auch Höhlenklöster. Und reizvoll ist natürein Zukunftskonzept? Wenn nein, was wäre Ihr Ansatz? lich auch die kulturelle Vielseitigkeit: Abgesehen von Schaumberger: Die Moldau wurde früher als der FruchtTransnistrien leben im Süden die turksprachigen Ga­ garten der Sowjetunion bezeichnet. Bis heute spielt die gausen sowie bulgarische Minderheiten, und im Norden Landwirtschaft eine tragende Rolle, und auch in Zukunft spricht man viel Russisch. Auch eine große ukrainische wird die schwarze Erde Moldaus sicherlich einen wichtigen Minderheit gibt es. Wer also ein multikulturelles Umfeld und hoffentlich auch nachhaltigen Beitrag zur Wirtschaft mag, ist in Moldau am richtigen Ort. Wahrscheinlich ist es

64

BIG BUSINESS

Nr. 18 | 2015 | www.big.at


MOLDAWIEN

Seit meinem Besuch habe ich mir viele Gedanken zu dem Projekt der BIG gemacht. Fazit (wenn es eines geben kann): Zielgerichtet helfen ist nicht einfach. Wie stehen Sie persön­ lich zur Entwicklungshilfe bzw. zu konkreten Hilfsprojekten? Schaumberger: Den Beitrag der BIG hier in Moldau schätze ich sehr, und ich möchte allen Förderern des Projekts meinen Respekt zum Ausdruck bringen. Sie machen es sich in der Tat nicht leicht, aber ihre Unterstützung kommt an. Ich selbst bin jemand, der aus der humanitären Hilfe kommt und daher auch viel Leid der Menschen in verschiedenen Ländern und Kulturen erlebt hat. Die Zielgerichtetheit, die Sie ansprechen, liegt mir ebenfalls am Herzen, und auch unsere aus Steuergeldern finanzierte Unterstützung soll bei den Menschen ankommen! Im Fachjargon reden wir hier übrigens von Begünstigten – direkten und indirekten. In der Entwicklungsagentur ADA schauen wir darauf, dass wirklich die Ärmsten erreicht werden, dass durch die Projekte Frauen und Kinder nicht zu kurz kommen, dass wir der Umwelt dabei nicht schaden und dass Konflikte eher gelöst und nicht ausgelöst werden. Man muss also ­allerhand bedenken, wenn man ein Projekt wirklich qualitätsvoll und zielgerichtet umsetzen will. Und dann ist da noch die Frage der Nachhaltigkeit: Hat man den Menschen wirklich über den Zeitraum der Unterstützung hinaus geholfen, sich selbst zu einem besseren Leben zu verhelfen? Aus meiner Sicht ist dies eine der Königsfragen der Entwicklungszusammenarbeit, und hier sollten wir einen ehrlichen und verständnisvollen Umgang mit den Menschen im Partnerland pflegen. Vielen Dank für das Gespräch! ‹

In Moldau stehen viele Kirchen, Klöster und andere Kulturgüter. Sie sind jedenfalls sehenswert.

Foto: BIG

leisten. Meine persönliche Meinung ist aber, dass wir das Land nicht auf diesen Sektor reduzieren dürfen. Auch bei uns fand der Hauptanteil des Wachstums in den letzten Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, durch die Indus­ trie und das Dienstleistungsgewerbe statt. Das sollten wir bei der Entwicklung der Republik Moldau nicht vergessen, wenn es mehr und besser bezahlte Jobs geben soll. Ich hatte bei meinem Besuch das Gefühl, dass sich die Men­ schen mit ihrer Armut teilweise „arrangiert“ haben. Als Grund würde ich mangelnde Perspektiven oder Aussichts­ losigkeit sehen. Teilen Sie diesen Befund? Schaumberger: Diese Ansicht teile ich nicht, als jemand, der aus der Entwicklungszusammenarbeit kommt, wäre ich ja sonst hier fehl am Platz. Sicherlich ist es bedauerlich, dass so viele Menschen das Land verlassen haben und dass Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit die Entwicklung lähmen. Dieser Tage gehen auch viele Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen diese Missstände, was nun ein Zeichen ist, dass man sich nicht einfach abgefunden hat. Zudem hätte das Land eine gute Entwicklungsstrategie, und auch in verschiedenen Sektoren wie Bildung oder Wirtschaftsentwicklung sind diese Per­spektiven klar herausgearbeitet. Das leider etwas unstete politische Umfeld macht nun die konsequente Verfolgung dieser Strategien in der Tat schwierig. Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit ist übrigens eine Konstante: Seit zehn Jahren arbeiten wir in den Schwerpunktsektoren Wasser, Siedlungshygiene und Berufsausbildung und haben gemeinsam mit Moldau gute Erfolge vorzuweisen.

Nr. 18 | 2015 | www.big.at

BIG BUSINESS

65


www.big.at Ausgabe Nr. 18 • Dezember 2015

Das Magazin der Bundesimmobiliengesellschaft

Auf der Flucht

Hunderttausende Asylsuchende klopfen an die Tore Europas. Die BIG sorgt hierzulande für viele Notunterkünfte.

Weinselig

Moldawien ist ein bitterarmes Land. Hilfe von außen ist dringend notwendig. Die BIG unterstützt 22 Familien.

BIG BUSINESS Nr. 18 • Dezember 2015 • www.big.at


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.