Semesterstart

Page 1

Berliner Zeitung · Nummer 239 · Montag, 14. Oktober 2013 – Seite 1

·· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ··

Semesterstart INHALT

IMAGO

Student trifft Migrantenkind: In einem berlinweit einmaligen Projekt treffen Studenten mit Kindern aus Kreuzberger Schulen zusammen, um gemeinsam die Stadt kennenzulernen. Die Idee stammt aus Malmö. Die Kinder sollen angeregt werden, über ihren Kiez hinauszublicken. Freundschaften entstehen. Außerdem können die Studenten ihr Engagement als Studienleistung abrechnen. Seite 2

BERLINER ZEITUNG/STEFFI REEG

Das Berliner NightingaleProjekt bringt Studenten und Migrantenkinder zusammen. Teilen statt kaufen: Studenten haben oft nicht viel Geld und nicht viel Platz. Auch aus diesem Grund verbreitet sich das Prinzip des Leihens und Verleihens von Dingen. Forscher sehen in der Sharing Economy sogar einen Wertewandel. Seite 3 Plagiate und Plakate: Wie kann man verhindern, dass in studentischen Abschlussarbeiten geschummelt wird? Was bedeutet E-Learning, wie sollte man sich im Auslandssemester verhalten und warum hängen so seltsame Zettel am Schwarzen Brett der Uni? Um all das und mehr geht es in der kleinen Serie „Aus dem Uni-Leben“. Seiten 2 bis 8 Elfenbeinturm ist woanders: Frauenfußball, Mieterproteste und Katastrophenschutz – junge Berliner Wissenschaftler kümmern sich um ganz lebensnahe Fragen. Sie erzählen über Projekte, Probleme und Pläne. Seiten 4 und 5

Eine muss

DPA

die Erste sein

Frauenfußball ist das Forschungsthema einer jungen Doktorandin der Humboldt-Universität.

Studienanfänger aus Elternhäusern ohne akademische Tradition haben es an der Universität oft schwer VON NICOLA MENKE

Die anderen wissen oft auch nicht mehr Die gebürtige Nürnbergerin gehört zu jenen, die man in der Bildungsforschung als „First Generation Student“ bezeichnet. Sie ist die Erste aus ihrer Familie, die sich für ein Studium entschieden hat. Obwohl in der Bundesrepublik prinzipiell jeder Zugang zu den verschiedenen Bildungsstufen hat, gibt es noch immer große Unterschiede zwischen den sozialen Schichten. Während 80 von 100 Akademikerkindern die Hochschulreife erwerben, sind es nur 35 von 100 Nicht-Akademikerkindern. Von diesen entscheiden sich dann auch weniger dafür, ein Studium wirklich zu beginnen. Woran liegt das? „Es gibt nicht den einen verallgemeinerbaren Grund“, sagt Niklas Haarstick, ehrenamtlicher Mitarbeiter von Arbeiterkind.de, einer Non-Profit-Organisation zur Förderung des Hochschulstudiums von Nichtakademiker-Kindern. Seiner Meinung nach seien mehrere Dinge ausschlaggebend. Zunächst die persönliche Erfahrungswelt. Wenn alle Freunde und Bekannten Ausbildungsberufe wählten und niemand studiere, werde ein Studium oft gar nicht als wirkliche Option wahrgenommen. „Ich denke, dass Akademiker-Kinder von ihren Eltern oft aktiv zum Studium ermuntert oder vielleicht sogar gepusht werden“, sagt Theologieabsolvent Haarstick, der selbst ein Student erster Generation war. In nicht-akademischen Kreisen fehle dieser Impuls meist. Auch Vorbilder gebe es oft nicht. Viele sähen zudem einen Hochschulbesuch als zu teuer an. Über tatsächliche Kosten und Fördermöglichkeiten herrschten kaum Vorstellungen. Oft entschieden sich Schulabsolventen gegen ein Studium, „weil sie sich schlichtweg nicht zutrauen, es erfolgreich zu meistern“, sagt Steffen Schindler, Autor der 2012 publizierten Studie „Aufstiegsangst? Eine Studie zur sozialen Ungleichheit“. Akademikerkinder dagegen besäßenVor-

bilder, durch die sie wüssten, dass man ein Studium schon bewältigen kann. „Bei mir wäre es ja beinahe auch nichts geworden“, sagt Anna-Lena. Sie erinnert sich an ein Mädchen ihrer Klasse, das sich wie sie für Geschichte interessierte. „Sie hatte unglaublich gute Noten, aber so viel Angst, auf der Uni nicht klarzukommen, dass sie stattdessen lieber eine Lehre in einem Reisebüro begann.“ Ob ihre Klassenkameradin die Entscheidung inzwischen bereut hat, weiß sie nicht. Sie selbst ist jedenfalls froh, dass sie sich traute, ihrem Studienwunsch zu folgen. Trotz des nicht sehr einfachen Starts. „Ich war unter ziemlichem Druck“, sagt Anna-Lena. „Ich hatte das Gefühl, die anderen wüssten immer etwas mehr als ich, weil sie Eltern hatten, die mit ihnen über Philosophie oder Geschichte diskutierten oder ihnen teure Enzyklopädien kauften.“ Außerdem musste sie sehr sparsam leben, um den Geldbeutel ihrer Eltern nicht übermäßig zu strapazieren. Das war nicht einfach mit Kommilitonen, die schon gerne mal Party machten und essen gingen. Im Gespräch mit einer älteren Studentin, auch aus einer Nicht-Akademikerfamilie, wurde Anna-Lena dann klar, dass sie sich zu viele Sorgen machte, was das „Vorwissen“ der anderen anging.Von ihr hörte sie auch zum ersten Mal den Rat, Bafög zu beantragen. „Das hatte ich bis dato gar nicht versucht, weil ich fälschlicherweise dachte, man müsse nach dem Studium alles auf einen Schlag zurückzahlen.“

BLZ

A

nna-Lenas* Vater ist städtischer Beamter, ihre Mutter Verkäuferin. Als sich die 20-Jährige nach dem Abitur dafür entschied, Geschichte und Ethnologie zu studieren, kam das für einige Leute aus ihrem Umfeld überraschend. „Ich wurde ständig gefragt, warum – und was man damit überhaupt anfangen kann“, erzählt sie. „Einige meinten, da könnte ich mich doch gleich arbeitslos melden. Oder sie waren der Ansicht, dass das komplette Zeitverschwendung sei, und ich jetzt wohl total abheben würde.“ Anna-Lenas Eltern sahen das zwar nicht so, aber sie machten sich Sorgen wegen der Finanzierung des Studiums.„Ich konnte sie davon überzeugen, dass das eine Investition in meine Zukunft ist. Und durch das Bafög, das ich bekam, waren die Kosten dann letztendlich auch gar nicht so hoch“, sagt sie.

Beeindruckende Schätze: Meist denkt man beim Begriff Universität an große Hörsäle, kahle Seminarräume und Flure voller Studenten. Doch die Berliner Unis sind auch wahre Schatzkammern. Ihre Sammlungen beherbergen einmalige Abgüsse antiker Plastiken, medizinische Raritäten, aber auch das weltweit einzige Historische Archiv zum Tourismus. Seite 6

Einzigartige antike Plastiken finden sich in den Sammlungen der Universitäten. Und vieles mehr. Die beste Zeit des Lebens: Das Studium soll etwas Besonderes sein, voller Partys, Flirts, endloser Debatten in WG-Küchen. Zugleich muss man lernen, sich Berge von Wissen anzueignen, zu verarbeiten und wiederzugeben. Da drohen mitunter Lernund Schreibblockaden. Wie man mit alledem umgeht und dennoch Spaß hat, zeigt ein neues Handbuch. Seite 7

Berater für alle Studienfragen Es gehe darum, Schüler „zum Studieren zu ermutigen und ihnen vom Studieneinstieg bis zum Abschluss mit Rat und Tat zur Seite zu stehen“, sagt Niklas Haarstick von Arbeiterkind.de. Neben der Website gibt es ein 5 000-köpfiges Mentoren-Netzwerk mit bundesweit 70 lokalen Gruppen. Die meisten Mitarbeiter sind Studenten erster Generation. Sie organisieren Infoveranstaltungen, stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. „Es gibt monatlich Sprechstunden. Man kann aber auch einfach über das Netzwerk oder das zentrale Infotelefon nach einer passenden Kontaktperson suchen und ein Gespräch vereinbaren“, sagt Haarstick. Er gehört zu den etwa 40 Ehrenamtlichen, die in Berlin beraten. Die Nummer des Infotelefons ist: 030/679 672 750. Als Anna-Lena studierte, gab es Arbeiterkind.de noch nicht. Manchmal hätte sie sich eine solche Anlaufstelle gewünscht, um Fragen loszuwerden, die sie sich anderswo lange nicht zu stellen traute, weil sie ihr dumm vorkamen. Oder um über die „Höllenangst“ davor zu sprechen, dass vielleicht doch alles eine Nummer zu groß für sie sein könnte. Geklappt hat es aber auch so. „Letztlich darf man sich nicht beirren lassen. Nur weil die Eltern von jemandem

studiert haben, heißt das nicht, dass er klüger ist. Als ich das kapiert hatte, lief alles viel stressfreier“, erzählt die 31-Jährige, die heute als Lektorin arbeitet. Aufstiegsangst erfolgreich besiegt – so könnte man resümieren. Damit dies noch viel mehr Nichtakademiker-Kindern gelingt, müsste sich bildungspolitisch mehr tun, meint Bildungsforscher Schindler: „Es geht nicht darum, das alle studieren. Aber es sollte für mehr Chancengleichheit gesorgt werden“, sagt er. Initiativen wie Arbeiterkind.de leisteten dazu fraglos ihren Beitrag. Um nachhaltig etwas zu bewirken, müsse man aber an den Schulen ansetzen und dafür sorgen, dass vorhandenes Potenzial noch stärker beachtet und gefördert wird. Und dass die Bildungsoption Studium möglichst früh Thema ist. * Name verändert

Keine Angst vor dem Abschluss: Viele Studenten beklagen das Phänomen. Psychologen nennen es „Angstaufschieberei“. Auf sich allein gestellt, entwickeln Studenten eine immer größere Scheu vor dem Studienabschluss. Sie lenken sich mit tausend Dingen ab und geraten in einen Kreislauf der Vermeidung. Seite 8

IMPRESSUM Torsten Harmsen (verantwortlich) Gestaltung: Christian Hoebbel Telefon: 23 27 56 75 torsten.harmsen@berliner-zeitung.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.