Energie 2013

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ENERGIE

2013

Das Stromnetz bald in neuer Hand?! Was bedeutet die Neuvergabe der Konzession für die Kunden?

Die Energiewende ist beschlossene Sache – Wie wird sie erfolgreich umgesetzt?

IST ICK /FR ANK PET E RS

Weniger verbrauchen und sinnvoll sparen – Das hilft dem Geldbeutel und der Umwelt.


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Berliner Zeitung · Nummer 201 · Donnerstag, 29. August 2013

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KOHLE Die Stromkosten für Verbraucher und Industrie haben das Vorgehen bei der Energiewende ins Schlingern gebracht. Die Debatte verlangt immer stärker eine Kurskorrektur. Aber wohin? Von Martin Woldt

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ancher versteht die ganze Aufregung nicht. Der Ölpreis sei in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen und provoziere lediglich die üblichen Aufregungsrituale der Autofahrer. Der zeitgleich lediglich um ein Drittel gekletterte Strompreis hingegen wird im industriepolitischen Managerseminar als Initialzündung für Deutschlands industriellen Abstieg beschworen. Der steigende Strompreis gilt jedenfalls als Menetekel einer schieflaufenden Energiewende. Deren hehres Ziel, die fossilen Energieträger bis zum Jahr 2050 zu 80 Prozent durch erneuerbare Quellen abzulösen, ist vorübergehend in den Hintergrund getreten. Jetzt geht es um Kosten und Kurskorrekturen. Die Einschätzungen über den Verlauf der Energiewende fallen im zweiten Jahr ihrer Inszenierung weit auseinander. Zwischen „größtem politischen Entwicklungsprojekt in der deutschen Geschichte“ und „Milliardengrab“, ist je nach Sichtweise alles dabei. Aber ernst zu nehmende Stimmen, die das Ganze am liebsten wieder abblasen würden, gibt es nur wenige.

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20 Milliarden Euro für die Umlage Als Preistreiber beim Strom ist die Umlage aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), also die Förderung für alternative Energien scheinbar leicht auszumachen. Deren anteiliger Aufwand von 1,30 Cent je Kilowattstunde im Jahr 2009 wächst demnächst wohl auf sechs Cent. Mit rund 20 Milliarden Euro beschwert die Umlage in diesem Jahr die Stromrechnungen. Für Claudia Kempfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat diese Transparenz eine Schattenseite. Sie führe allzu leicht zu einer „Stigmatisierung der erneuerbaren Ener-

gien“. Auch ohne Energiewende hätten wir durch Kohle, Öl und Gas steigende Kosten. „Das treibt auch den Strompreis“, sagt sie. Der scharfe Gegenwind für die Erneuerbaren erklärt sich für sie dadurch: Erstmalig würde eine Energieform durch die Anbindung an einen transparenten Verbraucherpreis gestützt. Bei Atomstrom oder Kohle sei dies früher viel subtiler geschehen. Einer Studie der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zufolge ist der Anteil der Stromkosten an den Konsumausgaben privater Haushalte von durchschnittlich knapp 2,4 Prozent 2012 auf knapp 2,5 Prozent im laufenden Jahr gestiegen. „Davon entfallen auf die EEG-Umlage 0,5 Prozentpunkte.“ Dies rechtfertige nicht den schrillen Tonfall der andauernden Preisdebatte, heißt es in dem Papier. „Energie wird zum Luxusgut“, überschrieb der Verband Berlin-BrandenburgischerWohnungsunternehmen (BBU) seine jüngste Auswertung der Wohnnebenkosten und gipfelte in der Forderung: „Die Energiewende muss auf den Prüfstand.“ Insbesondere der Strompreis habe sich völlig von der Einkommensentwicklung abgekoppelt. „Das hat negative Auswirkungen vor allem für untere und mittlere Einkommen“, so die BBU-Vorsitzende Maren Kern. Allein seit 2011 sei der durchschnittliche Strompreis in Berlin-Brandenburg um gut 20 Prozent gestiegen. Bei einem Verbrauch von 2 500 Kilowattstunden im Jahr entspricht das einer Mehrbelastung um rund 55 Euro in Brandenburg und etwa 52 Euro in Berlin. Wie die Studie der DUH allerdings auch zeigt, sind die strompreisbedingten Auswirkungen des EEG für die Wirtschaft derzeit durchaus überschaubar. Das durch Wind und Sonne geschaffene Stromangebot wirke sich an der Strompreisbörse für Großverbraucher sogar vergünstigend aus.

Statt über Strompreise sollte mehr über Energieeffizienz geredet werden.

Die Autoren stellen fest: „Für die große Mehrzahl der Industriebetriebe sind die Stromkosten nicht maßgeblich; selbst erhebliche Strompreiserhöhungen im zweistelligen Prozentbereich schlagen sich in den Bilanzen lediglich im Promillebereich nieder.“ Nur für knapp die Hälfte des industriellen Stromverbrauchs wird die volle Umlage überwiesen. Von den EEG-Umlagekosten zahle die Industrie wegen vieler Ausnahmeregelungen lediglich 30 Prozent. Die mehr oder weniger berechtigte Fixierung auf den Strompreis ist allerdings nicht der einzige Kritikpunkt am Energiewende-Projekt. Michael Süß, Energie-Vorstand bei Siemens, beanstandet zugleich den ungezügelten Ausbau der alternativen Energieerzeugung. Das habe zu redundanten Strommengen geführt. Nach seinen Berechnungen liegen die Ausbaupläne von Bund und Ländern derzeit beim Dreifachen der typischen Spitzenlast, ohne dass ausreichende Absicherungskapazitäten für Tage vorhanden wären, an denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Süß fordert, mehr in Speicher zu investieren. Die gegenwärtig in Deutschland installierten Kapazitäten von 44 Gigawattstunden würden nicht mal den Bedarf einer Stunde absichern. Solarwirtschaft am Pranger Er kritisiert ebenso die mangelnde Aufmerksamkeit für Netzstabilität. „In der Vergangenheit gab es fünf, sechs Regeleingriffe im Jahr, heute sind es fast eintausend.“ Das sei ein Signal, dass die Versorgungssicherheit nur über permanentes Regeln und Steuern gewährleistet werden könne. Gegenwärtig gebe es über 1,3 Millionen neue Einspeisequellen vor allem aus Photovoltaikanlagen, auf die die Netze nur unzureichend ausgelegt seien. Die von der Kritik betroffene Solarwirt-

schaft sieht sich zu Unrecht am Pranger. Die Förderung für neue Solarstromanlagen sei inzwischen so niedrig, dass sie den Strompreis nicht mehr in die Höhe treibe. Aufgrund der Fördereinschnitte habe sich die Inlandsnachfrage zuletzt halbiert. „Wenn wir die Energiepreise langfristig stabilisieren wollen, brauchen wir mehr erneuerbare Energien und nicht weniger“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes BSW-Solar. Doch eine Korrektur des EEG hält auch er für nötig. „Wir hätten in diesem Jahr auch ohne den Zubau einer einzigen Solar- oder Windkraftanlage eine Preissteigerung erlebt. Das EEG hat sich grundsätzlich bewährt, doch die Kostenwälzung der Förderung muss reformiert werden. Die Preise an der Strombörse sind durch die Energiewende stark gesunken. Doch beim Verbraucher kommt davon kaum etwas an“, erklärt Körnig. Maßgeblich für den Umlageanteil im Strompreis sei die Differenz zwischen den festgelegten Vergütungen und dem, was Alternativstrom an der Börse erzielt. Diese Erlöse wären derzeit viel zu gering, weil alte längst abgeschriebene Kohlekraftwerke durch viel zu niedrige CO2 -Kosten immer mehr Strom produzieren. Auch Energieexperte Felix Christian Matthes vom Öko-Institut hält eine Drosselung erneuerbarer Energien nicht für das Gebot der Stunde. „Wenn wir die Ziele der Energiewende ernst nehmen, müssen wir da jedes Jahr um zwei Prozent zulegen“, sagt er. Aus seiner Sicht geht es eher darum, den Strommarkt so umzubauen, dass künftig auch erneuerbare Energien stärker mit Preissignalen konfrontiert werden. Das Stromsystem sei aber nur eine Baustelle der Energiewende. „Die größte Leerstelle bei der Energiewende haben wir in der Auseinandersetzung mit der Energieeffizienz.“ Da rede keiner darüber.

„Unser Ziel ist, Berlin zum modernsten Netz Europas zu machen“ Der Vorstandsvorsitzende der niederländischen Alliander AG, Ton R. Doesburg, würde gerne in der deutschen Hauptstadt investieren

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Herr Doesburg, was macht Deutschland und sein Energiemarkt, für einen niederländischen Netzbetreiber wie die Alliander AG interessant? Vor allem die Situation in den Niederlanden. Das Land ist in diesen Zeiten der Energiewende, des Übergangs von fossilen auf erneuerbare Energieträger eigentlich zu klein, um dabei wirklich mitreden zu können. Die technologischen Veränderungen sind riesig, die Veränderungen im ITBereich sind riesig, die Veränderungen im Energiebereich haben globalen Charakter. Wir versorgen zwar mit unseren 7 000 Mitarbeitern über sieben Millionen Menschen mit Energie, aber wir müssen uns entwickeln. Da kommt es uns sehr entgegen, dass der deutsche Markt sehr viele Ähnlichkeiten aufweist. Die deutsche Technologie sehr gut ist. Also wenn wir uns entwickeln wollen, dann gerne hier. Würden Sie sagen, die Alliander AG ist ein ganz gewöhnliches Energieunternehmen,

viel. Wir reden an der Stelle von dem Anteil, den wir beeinflussen können, dem Anteil der Netznutzungsentgelte im Strompreis.

oder gibt es typische Besonderheiten, die Sie von anderen der Branche unterscheiden? Ich sage immer: Der ganze Energiemarkt befindet sich im Wandel, und wir sind die neue Lösung. Damit meine ich, wir haben kein Interesse mehr an der Energieerzeugung wie früher, an der Gasproduktion. Das ist alles verkauft. Wir haben auch keinen Vertrieb mehr. Wir sind gewissermaßen derjenige Dienstleister, der die Straßen der Stadt, also die energetischen Netze baut und wartet. Sie sind zwar auch an anderen Orten in Deutschland aktiv, aber worin drückt sich Ihr spezielles Interesse an Berlin und seinen Netzen aus? Berlin ist eine wunderbare Stadt, klar. Aber aus der Sicht eines Energieunternehmens, wie dem unsrigen zählt, dass man mit einem Mal genügend Volumen hat, um wirklich mitreden zu können. Berlin hat die verschiedenen Netze, die wir auch in den Niederlanden betreiben. Das macht es in dem Sinne für uns sehr einfach. Und dann gibt es in der Stadt natürlich jede Menge Kontakte, die wir brauchen, um uns weiterzuentwickeln. Wie sehen Sie Berlin als Herausforderung für Alliander? Worauf stellen Sie sich ein? Wir haben uns natürlich mit der Situation beschäftigt und sehen die Möglich-

STE FAN K EL L ER

on R. Doesburg ist Vorstandsvorsitzender des niederländischen Netzbetreibers Alliander AG. Das Tochterunternehmen Alliander Stadtlicht managt seit 2006 alle Ampelanlagen in Berlin. Nun will der Konzern auch das Stromnetz in der Hauptstadt übernehmen.

Alliander-Chef Ton R. Doesburg

keit, die Netze besser zu betreiben als bisher. Das ergibt sich aus den Anforderungen, die die Energiewende für die Stadt mit sich bringt, die so einige Veränderungen erfordern. Darüber hinaus glauben wir, einiges effizienter machen zu können, als es bislang war. Aber wenn Sie investieren werden, wie Sie andeuten, müssen Sie diese Investitionen refinanzieren. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die künftigen Energiepreise, die die Berliner zu zahlen hätten? Von heute aus gesehen, gehen wir davon aus, dass die Preise gleich bleiben, oder sogar ein bisschen sinken. Aber selbst wenn sie steigen sollten, jedenfalls nicht

Sie sagen, Sie könnten manches ein bisschen effizienter machen, was zum Beispiel? Bei uns käme alles aus einer Hand. Wir würden ein Berliner Netzunternehmen installieren, das wir dann gemeinsam mit der Stadt betreiben. Wir sind kommunal, genauso wie Berlin. Als kommunales Unternehmen wird man dann machen, was für die Stadt notwendig und für die Bürger wichtig ist. Sie wissen, dass viele Berliner inzwischen in Energiefragen mitreden und mitentscheiden wollen. Wie würden Sie denn künftig für die notwendige Transparenz in diesen Dingen sorgen? So wie wir das auch in den Niederlanden machen. Wir haben überall im Land sogenannte Bürgerbeiräte, mit denen wir in engem Kontakt stehen. Das ist heutzutage Standard. Es wird nicht einfach ein Bautrupp losgeschickt, der die Straße aufgräbt. Das wird gemeinsam geplant und koordiniert. Das betrifft Strom, Gas, Wasser und wenn möglich auch die Telekommunikationsleitungen. Der Umstand, dass Bürger mit an Bord sind, hat sich in den Niederlanden sehr positiv ausgewirkt. Diese Bürgerbeteiligung hat sogar dazu beigetra-

gen, dass die Kosten gesenkt werden konnten. Wie stellen Sie sich das Berliner Netz vor? Wir würden dafür sorgen, dass das Netz die modernen weltweit führenden, holländischen Standards erreicht. Das bedeutet, dass wir die Digitalisierung der Netze zu sogenannten Smart Grids vorantreiben. Damit ließen sich beispielsweise kleinere Erzeuger zu virtuellen Kraftwerken zusammenschalten, etwas das für kleinere Immobilienbesitzer wie für große Wohnungsunternehmen interessant ist. Wir haben dafür das Know-how, und wir können es teilen. Unser Ziel ist, Berlin zum modernsten Netz Europas zu machen. So, wie wir es bereits in Amsterdam umgesetzt haben Was hätten die Berliner davon, wenn Alliander den Zuschlag für das Netz bekäme? Sie dürften erwarten, dass das Netz nach optimalen Kriterien geführt wird. Das bedeutet, dass sie nicht mehr bezahlen, als absolut notwendig ist. Vielleicht erklären die vier Eckpunkte der Alliander-Eigner am besten, was die Berliner von uns erwarten dürfen: Versorgungssicherheit, bezahlbare Preise, einen Beitrag zum Umweltschutz, hohe Kundenzufriedenheit. Unser Anspruch ist, dass sie als Minimum über 90 Prozent betragen sollte. Das Interview führte Martin Woldt.


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ott sei Dank haben wir damals der Versuchung widerstanden“, sagt Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs. Und freut sich rückwirkend, dass seine Stadt nicht der Not der leeren Kassen gehorchend, den Beschluss gefasst hat, die Potsdamer Stadtwerke (EWP) einst zu verkaufen. Potsdam gehören heute 65 Prozent der Anteile, 35 Prozent der Eon edis AG. „Wir leben deshalb nicht auf der Insel der Seligen und können mal eben so beschließen, die Preise zu senken, aber in gewissen Grenzen sind Spielräume da“, sagt Jakobs. Er verweist darauf, dass die Potsdamer Energiepreise im Städtevergleich stets eher im unteren Drittel anzutreffen sind. Solche Spielräume wollen sich auch andere Kommunen zurückerobern. Seit 2007 sind mehr als 60 Stadtwerke-Neugründungen und mehr als 200 Konzessionsübernahmen durch Kommunen und kommunale Unternehmen erfolgt, berichtet der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU). Auch in Berlin gibt es das Ziel, die Verantwortung wieder selbst zu übernehmen. Ende des Jahres läuft die Konzession mit der Gasag für das Gasnetz, ein knappes Jahr später die mit Vattenfall für das Stromnetz aus. Doch kann das Land Berlin die gegenwärtigen Betreiber nicht einfach so ablösen. Es muss sich mit anderen Bewerbern beim eigenen Finanzsenator mit einem Angebot in die Bewerberschlange stellen. Mit der landeseigenen Gesellschaft Berlin-Energie sollen dann die Netze wieder in eigene Hände gelangen. Nach einer Forsa-Umfrage befürworten 73 Prozent der Berliner die Überführung der Stromversorgung in die öffentliche Hand.

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Volksentscheid im November

Wertvolle Das Land Berlin will das Stromnetz wieder in die eigene Verantwortung übernehmen. Und es will auch die Gasleitungen rekommunalisieren. Dazu muss sich das Land beim eigenen Finanzsenator bewerben. Von Martin Woldt

GETTY IMAGES/ISTOCKPHOTO/MARCO HEGNER

LEITUNGEN

Doch nicht alle wollen die Angelegenheit dem Senat allein überlassen. Auf Initiative des Berliner Energietischs wird es am 3. November einen Volksentscheid geben. Ziel ist, die Hauptstadt auf die Rückeroberung ihres Stromnetzes einzuschwören und sie zur Gründung einer eigenen Netzgesellschaft und eines eigenen Stadtwerkes zu verpflichten. Damit wollen die Initiatoren die Rekommunalisierungstendenzen in der Stadt per Gesetz unumkehrbar machen. Hinter dem Bündnis stehen Umwelt- und Sozialverbände, Mietervereine und Bürgerinitiativen. Eine entsprechende Unterschriftensammlung zum Auslösen des Volksbegehrens hatten zum Stichtag im Juni fast 230 000 Berliner unterstützt. Um die Ziele des Volksbegehrens verbindlich zu machen, sind nun die Mehrheit und rund 625 000 Zustimmungen notwendig. Widerstand gegen die Rekommunalisierungstendenzen gibt es allerdings auch. Am offensten wird dieser von der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Handwerkskammer artikuliert. „Im mit 63 Milliarden Euro verschuldeten Berlin fehlt dafür schlichtweg das Geld. Der gesamte Kauf der Netze, deren Preis noch nicht bekannt ist, müsste mit Krediten fremdfinanziert werden. Nahezu alles, was mit dem Netz verdient würde, müsste in den kommenden 20 Jahren in die Schuldentilgung gesteckt werden“, sagt der IHK-Bereichsleiter Energie und Umwelt Henrik Vagt. Demgegenüber glaubt der Sprecher des

DIE BEWERBER Vattenfall Europe: Der schwedische Konzern ist in Berlin Erzeuger und mit seiner Tochter, der Stromnetz Berlin GmbH auch aktueller Betreiber des rund 35 000 Kilometer langen Berliner Netzes. State Grid Corporation of China (SGCC): Das 2002 vom chinesischen Staat gegründete Unternehmen ist der große Stromnetzbetreiber Chinas. Das Unternehmen soll mehr als 1,5 Millionen Mitarbeiter haben. Thüga AG: Das Unternehmen will gemeinsam mit dem Land Berlin das Stromnetz betreiben. Laut Eigenaussage ist es das größte Netzwerk kommunaler Energieund Wasserdienstleister in Deutschland mit rund 100 Stadtwerken. BürgerEnergieBerlin: Die Berliner Genossenschaft bietet für das Stromnetz und will es gemeinsam mit Berlin betreiben. Die Genossenschaft hat etwa 1 200 Mitglieder, deren Anteile rund 5,5 Millionen Euro betragen. Alliander AG: Der größte Netzbetreiber der Niederlande bewirbt sich mit seiner deutschen Tochter sowohl um das Gas- wie um das Stromnetz. Der Mutterkonzern ist ein Zusammenschluss von Kommunen und Provinzen und konzentriert sich auf den Netzbetrieb. NBB: Hinter dem Kürzel steht die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg, die ihr Angebot aufs Gasnetz konzentriert. Die Gasag-Tochter hat 416 Mitarbeiter und betreibt Netze in mehr als 160 Städten. Gasag/NBB: In dieser Kombination würden Mutter- und Tochtergesellschaft im Bieterwettstreit auch eine Partnerschaft mit dem Land Berlin für möglich halten. Berlin Energie BE: Die landeseigene Gesellschaft befindet sich noch im Aufbau und wird für beide Netze ins Rennen geschickt.

Berliner Energietischs, Stefan Taschner: „Trotz Schuldenlast lässt sich der Rückkauf finanzieren und führt langfristig sogar zu sicheren Einnahmen. Ein Finanzierungsmodell wäre die Aufnahme von Kommunalkrediten zu etwa vier Prozent Zinsen. Bei einer Rendite von derzeit sieben Prozent aus dem Netzbetrieb lässt sich dieser gut bedienen.“ Denjenigen, die auf günstigere Strompreise mit Hilfe eines eigenen Stadtwerkes hoffen, rechnet die IHK vor: Wollte ein neuer Anbieter den zurzeit günstigsten Tarif des Grundversorgers unterbieten, müsste er die Kilowattstunde Strom (KW/h) für Privatkunden für weniger als 18 Cent netto anbieten. Ziehe man davon die festen Kostenanteile für Netzentgelte, Konzessionsabgabe, Stromsteuer, KWK-Umlage sowie EEG-Umlage ab, bliebe eine Marge von 5,4 Cent pro KW/h, die kaum zur Deckung der Beschaffungskosten an der Strombörse reichen dürfte. „Transparent und diskriminierungsfrei“ Eine breite Akzeptanz der Entscheidung zur Neuvergabe der Konzessionen dürfte letztlich von einem nachvollziehbaren transparenten Verfahren abhängen. Immerhin bewirbt sich die landeseigene Berlin-Energie mit der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt im Hintergrund bei der für die Vergabe zuständigen Senatsverwaltung für Finanzen, der Herrin des Konzessionsverfahrens. Letztere unterstreicht ihre neutralen Entscheidungskriterien. Demnach werde man „ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren durchführen“, das keinerlei Bevorzugung des landeseigenen Bewerbers zulässt. Nur wenn der landeseigene Betrieb das „beste Angebot“ abgibt, könne er den Zuschlag bekommen. Was als bestes Angebot zu gelten hat, richtet sich nach den Kriterien des Konzessionsrechts. Demnach muss eine Offerte eine „möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung mit Elektrizität und Gas“ gewährleisten. Andererseits dürfe es kein Verlangen geben, etwa nur „Strom aus regenerativer Erzeugung durchzuleiten“ oder die „energetischen Sanierungen für den Verbraucher zu finanzieren“. Die Kriterien sollen noch weiter präzisiert und im nächsten Verfahrensbrief veröffentlicht werden. Im Vergabeverfahren für das Gasnetz ist dieser zweite Brief inzwischen erschienen und schildert auch die Wertungsmaßstäbe, die an das Bewerberangebot angelegt werden. Eine Punktetabelle gewichtet Dinge wie die Sicherheit des Netzbetriebes, Verbraucherfreundlichkeit oder günstige Preise für die Kunden. Aussagen zur Versorgungssicherheit können doppelt so viele Punkte wie die zu den Preisabsichten erhalten. Nach dem ursprünglichen Zeitplan sollen die Gebote im Oktober ausgewertet werden. Im November soll das Abgeordnetenhaus über die neue Gaskonzession befinden. Der Zeitplan für die Stromkonzession ist ähnlich gestaffelt und sieht die Entscheidung der Abgeordneten für September oder Oktober 2014 vor. Beide Entscheidungen haben langfristige Auswirkungen und betreffen die nächsten 20 Jahre.


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Energie 2013

ENERGIESPARTIPPS

ENERGIESPARTIPPS

Bis zu 1 000 Euro, so schätzen Energieexperten, könnte ein durchschnittlicher EU-Haushalt noch an Energiekosten sparen, wenn die Bewohner effizienter mit Energie umgingen. Auf jede gesparte Kilowattstunde kommt es an, meint das Umweltbundesamt, denn damit ließen sich etwa 15 Hemden bügeln, 70 Tassen Kaffee kochen oder sieben Stunden in die Röhre gucken. Ein Kühlschrank mit 300 Litern Stauvolumen kommt damit über zwei Tage, eine Waschmaschine schafft immerhin eine Trommelladung.

Das Heizen ist für den höchsten Energiekostenanteil verantwortlich. Heizung und Warmwasser verbrauchen rund 80 Prozent des Energiebedarfs der eigenen vier Wände. Durch eine bedarfsgerechte Temperatursteuerung in den Räumen lässt sich der Verbrauch spürbar beeinflussen. Wichtig ist, dass die Heizkörper ungehindert ihre Wärmeleistung an die Umgebung abgeben können. Verkleidungen, abschirmende Möbel, überdeckende Vorhänge behindern die Wärmezirkulation. Das Temperaturempfinden ist zwar subjektiv, aber Wohnräume, die um 20 Grad Celsius warm sind, werden von vielen Menschen als angenehm temperiert wahrgenommen. Verlässt man die Wohnung übers Wochenende, empfiehlt sich, die Temperatur auf etwa 15 Grad Celsius abzusenken. Auch für die Nachtstunden ist dies ein kostensparender Schritt.

Der Stand-by-Betrieb ist weiterhin ein Problem. Viele alte Geräte haben in diesem Standby-Modus noch eine zu hohe Leistungsaufnahme. Wenn ein älteres Gerät, das ein externes Netzteil hat, noch nicht als Ganzes entsorgt und eine Weile genutzt werden soll, kann man ein sparsameres Steckernetzteil nach der neuen ERP-Norm kaufen, das weniger Strom verbraucht. Solche externen Netzteile sparen rund zehn Euro im Jahr, sodass sich eine Anschaffung nach etwa anderthalb Jahren amortisiert. Bei alten Geräten ohne Netzteil, lohnt es, sich eine Steckerleiste mit Schalter zu kaufen, damit das ganze Gerät einfach vom Stromnetz getrennt werden kann.

Richtig kühlen: Fürs Kühlen und Einfrieren werden etwa 20 Prozent des Strombedarfs in einem durchschnittlichen Haushalt benötigt. Am besten funktioniert ein entsprechendes Gerät in möglichst ungeheizten Räumen. Neben Heizkörpern sollte der Kühlschrank nicht stehen. Auch allzu lange Sonneneinstrahlung kann sich negativ in der Energiebilanz bemerkbar machen. Wer Speisen kühlt oder einfriert, sollte nur abgekühlte Ware in den geeigneten Fächern verstauen. Und wer Ordnung hält, muss weniger lange suchen und ist auch beim Energieverbrauch klar im Vorteil. Denn je schneller der Zugriff, desto kürzer muss die Tür des Kühlschrankes geöffnet werden. Dadurch kann weniger warme Luft ins Innere drängen, die wieder ans notwendige Temperaturniveau angepasst werden muss. Regelmäßiges Abtauen bei Geräten, die noch Eispanzer bilden, senkt die Verbrauchskosten zudem und verbessert die Kühlleistung. Auch ein Thermometer im Innern kann Kosten sparen. Denn tiefer als auf sieben Grad Celsius muss kein Kühlschrank die Temperatur absenken. Bei Gefrierfächern sollte die Temperatur minus 18 Grad Celsius betragen. Laptop statt Desktop: Wer die Neuanschaffung eines Computer erwägt und ohne die neuesten und schnellsten Computerspiele auskommen kann, sollte über einen Laptop als Alternative nachdenken. Im Durchschnitt verbrauchen diese tragbaren Geräte 70 Prozent weniger Energie als ihre großen Verwandten mit Extra-Bildschirm. Platzsparender, zudem mobil einsetzbar, sind sie sowieso. Außerdem werden viel weniger Kunststoffe, Glas und teure Edelmetalle verbaut. Zudem lässt sich, wie an großen Geräten, mit dem Energiemanagement des Laptops auch der Verbrauch deutlich reduzieren. Huschen keine Finger über klappernde Tasten, geht das Gerät schlafen und verbraucht statt 80 Watt nur etwa ein bis vier Watt. Das kann im Jahr einen Unterschied von 60 Euro auf der Stromrechnung ausmachen. Bildschirmschoner sind unnötige Energieverschwender, weil sie mehr Energie verbrauchen, als wenn das Gerät im Schlafmodus wäre. Und auch die volle Helligkeit des Bildschirms wird selten benötigt. Weniger kann mehr sein und schont zudem die Augen.

Intelligente

STEUERUNG Noch geht ein Viertel von Deutschlands Energiebedarf fürs Wohnen drauf. In Charlottenburg aber steht ein Haus, das dank cleverer Technik mehr Strom erzeugt, als es verbraucht. Von Martin Woldt HEMERA

Akku statt Batterie: Immer mehr mobile Geräte kommen nicht ohne Batterien aus. Aber diese enthalten nicht nur giftige Schwermetalle wie Quecksilber oder Cadmium. Sie sind auch auf die Dauer ein Kostenfaktor. Günstiger auf längere Sicht sind aufladbare Alkali-/Mangan-Akkus oder Geräte, die bereits eine eingebaute Solarzelle besitzen. Eine aufladbare Batterie lässt sich zwischen 500 und 1 000 Mal wiederverwenden. Das macht selbst günstige Discounterpreise der Einmal-Batterien auf längere Sicht gesehen teuer. Bei 750 Nachladungen stehen sich Anschaffungspreise von einem Euro bei wiederverwendbaren AAA-Akkus und bis zu 150 Euro bei herkömmlichen Batterien der gleichen Bauart gegenüber.

Moderne Thermostatventile an den Heizkörpern können programmiert werden, sodass die Temperatur zum Beispiel nachts runter- und morgens wieder hochgeregelt wird. Die Stiftung Warentest stellte fest, dass dadurch etwa zehn Prozent Energie eingespart werden kann. Manche Thermoastate lassen sich per Funk vom Computer aus bedienen. Die Preise für einzeln programmierbare Thermostatventile beginnen derzeit etwa bei 20 Euro, funkgesteuerte Geräte kosten inklusive Computeranschluss etwa 50 Euro.

wei Millionen Euro Baukosten für ein Einfamilienhaus, das ist ein stattlicher Preis. Aber das Haus an der Fasanenstraße 87a in Charlottenburg ist ja auch etwas Besonderes. Es ist ein sogenanntes Effizienzhaus Plus, errichtet vom Bundesbauministerium. „Entdecken Sie die Zukunft des Bauens!“, fordert ein Einladungsblatt auf. „Die EU-Gebäuderichtlinie verlangt ab 2021 das sogenannte Nearly-Zero-EnergyBuilding“, erklärt Laurenz Hermann, Projektleiter der Berliner Energieagentur für das Effizienzhaus Plus. Die Bundesregierung habe daraufhin beschlossen, in einem Forschungs- und Öffentlichkeitsprojekt zu zeigen, „was gegenwärtig schon alles geht“. Der Ehrgeiz drückt sich in dem Anspruch aus, dass das Gebäude mehr Energie produziert, als es benötigt. Deshalb kamen modernste Gebäudetechnik, effiziente Haushaltsgeräte und die neueste Wärmedämmung zum Einsatz. Mit dem angestrebten Energieüberschuss sollen das zugehörige Elektroauto und Elektrofahrräder aufgeladen und gewonnener Sonnenstrom ins öffentliche Netz abgegeben werden.

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Etwas kühl, aber sparsam Von März 2012 bis Mai 2013 lebte eine vierköpfige Testfamilie (Ehepaar, zwei Kinder) auf den knapp 150 Quadratmetern Wohnfläche, die sich über zwei Etagen erstrecken. Sieht man von der wissenschaftlichen Begleitung durch mehrere Institute ab, gingen die vier einem ganz normalen Alltag nach. Eine Luft-Wasser-Wärmepumpe versorgte sie mit Warmwasser. Die Raumwärme im Winter spendete eine daran angeschlossene Fußbodenheizung unter dem Korkfußboden. Die in der Abluft enthalte Wärme wurde zu 80 Prozent eingefangen. Eine Solaranlage versorgte einerseits Wärmepumpe und Hausgeräte und lieferte anderseits den Strom für Auto und Elektrobikes. Eine 40-kWh-LithiumIonen-Batterie sorgte dafür, möglichst viel selbst erzeugten Sonnenstrom für den Bedarfsfall vorzuhalten. Den Protokollen zufolge haben sich die Testbewohner weitgehend sehr wohl im Gebäude gefühlt. Nur von Januar bis März monierte die Ehefrau ein gewisses Behaglichkeitsdefizit und empfand den Wohnbereich als etwas zu kalt. Die Bedienung der Gebäudetechnik (Beleuchtung, Lüftung, Heizung ) über Touchpanels bedurfte einer Eingewöhnungsphase. Elektroauto und EFahrräder fanden großen Zuspruch. Deren Aufladung am Haus empfand man durch

INFORMATIONSBOX 5,8 Kilowatt Leistung hat die im Effizienzhaus Plus eingesetzte Wärmepumpe. Sie nutzt die Außenluft als Energiequelle und entzieht ihr durch einen Wärmetauscher die Wärme zur Erwärmung des Trinkwassers und des WasserKreislaufs der Fußbodenheizung. Je niedriger die Außentemperatur absinkt, desto geringer wird allerdings auch die erzielbare Wärmemenge, die die Pumpe aus der Luft gewinnen kann. 175 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr benötigten die in den 80er-Jahren eingeführten sogenannten „Solarhäuser“ noch als zusätzliche Energie für Heizung und Warmwasser. Dieser Bedarf konnte seit Ende des letzten Jahrzehnts schließlich durch die Null-Energie-Häuser auf null gedrückt werden. Diese Häuser erzeugen die gesamte benötigte Energie selbst. Die Wärmedämmung ist bei diesen sparsamen Häusern entscheidend. Seit den 1950er-Jahren hat sich die Wärmedämmung von Hausaußenwänden bei vergleichbaren Wanddicken um das Zehnfache verbessert.

die vorhandene kontaktfreie Induktionsaufladung als sehr komfortabel. Im Haus, verraten die Protokolle, habe immer ausreichend Energie zurVerfügung gestanden. Die im technischen Sinne spannendste Frage war allerdings die nach dem Energieüberschuss. Wie die Bilanz des FraunhoferInstituts für Bauphysik ausweist, fing die Photovoltaikanlage 13 306 Kilowattstunden ein, von denen etwa die Hälfte im Haus verbraucht, die andere Hälfte ins öffentliche Netz eingespeist wurde. Aus dem Netz wurden 5 800 kWh benötigt. Der Überschuss betrug rund 900 kWh, die aber nicht ausreichten, um den Bedarf von Auto und Fahrrädern zu decken. Denn diese wurden ziemlich beansprucht – 16 000 Kilometer im E-Mobil und 6 000 Kilometer per E-Bike war die Familie unterwegs. Fehler, aus denen man lernen kann Den Energieüberschuss hatten sich die Projektplaner größer vorgestellt. Aber die Sonne ließ sich gerade im Sommer 2012 nicht oft genug blicken, 20 Prozent weniger Ausbeute als vorausberechnet. Auch technisch lief nicht alles optimal. Das Heizungssystem arbeitete nicht rund, die Verluste bei der aus der Abluft rückgewonnenen Wärme waren hoch. Der ermittelte Hausstrombedarf erwies sich als zu niedrig kalkuliert. Die automatischen Beleuchtungsschalter zeigten sich nicht sparsam genug. „Auch die offene Konstruktion des Hauses hat sich für diese Nutzer nicht als optimal erwiesen“, erklärt Laurenz Hermann. Wenn die oberen Schlafräume nachts kühl sein sollten, versuchte die Fußbodenheizung unten, den Temperaturunterschied auszugleichen. Vermutlich sind es diese Fehler, die den eigentlichen Reiz ausmachen.Weil sich aus ihnen für die künftigen wirklichkeitsnäheren Projekte lernen lässt. Es ist aber nicht vorgesehen, Plus Energiehäuser völlig autark zu machen. „Autarkie ist schon auf Effizienzgründen kein sinnvolles Ziel“, sagt Laurenz Hermann. Auch würden die Kosten durch den dann notwendigen großen Speicher jedes sinnvolle Maß überschreiten. “ Ein hoher Eigenversorgungsgrad bei guter Wirtschaftlichkeit sei aber anzustreben. Zum Effizienzhaus-Plus-Projekt mit Elektromobilität gehören neben dem Berliner Flaggschiff noch mehr als 30 weitere sanierte, neu gebaute oder geplante solcher Häuser in Deutschland. Bis 22. Dezember ist das Berliner Haus mittwochs bis sonntags von 13 bis 18 Uhr für Besucher kostenfrei geöffnet. Infos unter www.zebau.de

Zu den Kostentreibern des Energieverbrauchs zählt auch ein Faktor, der unabhängig von allen technischen Fragen ist: die komplizierte Informationslage. Wer kennt schon die eigenen Verbrauchszahlen bei Heizenergie, Strom und Wasser, analysiert detailliert sein Verbrauchsverhalten? Um mehr Transparenz in seinen womöglich verschwenderischen Umgang mit Energie zu bringen, besteht die Möglichkeit, bei dem vom Bundesumweltministerium geförderten Onlineportal CO2-online (www.co2online.de; www.energiesparclub.de) ein persönliches kostenloses Energiesparkonto einzurichten. Es ist eine Art Haushaltsbuch und soll Vergleichsmöglichkeiten mit ähnlichen Haushalten schaffen, Verbrauchsveränderungen dokumentieren. Daraus ergeben sich Hinweise auf Einsparpotenziale. Das Konto kann auch als Modernisierungsratgeber dienen und verwaltet die jährlichen Energieabrechnungen. Aus den Daten wird überdies eine persönliche CO2-Bilanz erstellt. Umwälzpumpen sorgen im Wasserkreislauf der Zentralheizung für eine ausreichende Zirkulation und somit dafür, dass an allen Heizkörpern oder in jedem Strang der Fußbodenheizung genügend Wärme ankommt. Sie gelten häufig als die größten Stromfresser in einem Haushalt und sind für rund zehn Prozent des Verbrauchs verantwortlich. Sie brauchen also mehr als Waschmaschine oder Kühlschrank – insbesondere dann, wenn sie schon etwas älter sind. Moderne Pumpen mit Drehzahlregelung und sparsamem Motor können den Verbrauch um bis zu 75 Prozent senken. Damit amortisiert sich ihr höherer Anschaffungspreis in der Regel schon nach kürzerer Zeit, und das selbst dann, wenn die alte Pumpe durchaus noch ihren Dienst tun würde. Sollte es sich bei dem älteren Modell um eine regelbare Pumpe handeln, empfehlen Energieexperten, den Heizungsbetrieb mal mit einer verringerten Pumpleistung auszuprobieren. Auch dadurch ließen sich Energieeinsparungen erzielen. Ob die im Haushalt eingesetzte Umwälzpumpe ein potenzieller Wechselkandidat ist, verrät beispielsweise das Onlineportal www.sparpumpe.de.

IMPRESSUM Berliner Verlag GmbH Anzeigenleitung: Mathias Forkel Redaktion: Peter Brock (verantwortlich), Angelika Giorgis Anzeigenverkauf: Mareen Beu, Tel. 030 23 27 51 18, ehdl@berliner-verlag.de Art Direction: Jane Dulfaqar, Annette Tiedge


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Berliner Zeitung · Nummer 201 · Donnerstag, 29. August 2013

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Energie 2013

erlin ist mit achtWerken der größte Produktionsstandort von Siemens. Seit Kurzem mischt sich der Konzern verstärkt in die Energiewende-Diskussion ein. Dr. Frank Büchner, Geschäftsleiter von Siemens/Region Ost und Leiter Energy Deutschland des Konzerns hat genaue Vorstellungen davon, wo bei der Energiewende noch nachjustiert werden sollte.

B

Worin besteht die Vorreiterrolle von Siemens? Wir sind mit den allermeisten Themen der Energiewende eng vertraut. Wir haben die neuestenTechnologien zur Nutzung von Windenergie und Wasserkraft, hochmoderne Gasturbinen zur Stromerzeugung, intelligente und sparsame Lösungen des Energietransports im Netz, sogenannte Smart Grids sowie auch sehr effizienteTechnik zur Energienutzung in Gebäuden in unserem Angebotsspektrum. Das macht uns zum Vorreiter. Aber wir sehen auch, dass für ein Erreichen der gemeinsamen Ziele eine gewisse Neuausrichtung der Energiewende notwendig ist.

Bessere

WENDE AFP

Siemens sieht die Energiewende als Chance. Allerdings sollte an einige Stellen nachjustiert werden. Siemens-Manager Frank Büchner sagt, wie es künftig besser klappen könnte mit einer sicheren und umweltfreundlichen Stromversorgung.

völlig falsche Richtung. Nehmen wir den Klimaschutz. 2012 ist der CO2 -Ausstoß gegenüber dem Vorjahr um zwei Prozent gestiegen. Falsche Richtung! Und schließlich die Versorgungssicherheit. Da wächst seit einiger Zeit die Zahl der Regeleingriffe, die Versorgungsunternehmen und Stadtwerke durchführen müssen, um Stabilität im Netz und damit die gewohnte Versorgungssicherheit zu gewährleisten, bedenklich an. Und auch das ist der falsche Weg.

Worin soll diese Neuausrichtung bestehen? Als Unternehmen interessieren wir uns sehr stark dafür, wie unsere Kunden denken. Und auch da lässt sich ein klares Bekenntnis zur Energiewende feststellen. Aber über 90 Prozent, die wir in diesem Zusammenhang persönlich und ausführlich befragt haben, geben zu verstehen, dass sie die Notwendigkeit von Korrekturen sehen, für die sich auch Siemens aktiv einsetzen sollte. Sie betreffen vier zentrale Handlungsfelder. Den Klimaschutz, die Bezahlbarkeit, die Versorgungssicherheit und die Energieeffizienz. Lassen wir die Effizienz als ein ganz spezielles Thema mal einen Moment beiseite. Auf den anderen drei Feldern, so war der Tenor, verläuft die gegenwärtige Entwicklung in die falsche Richtung; trotz rasanten Wachstums erneuerbarer Energien.

Wie weit sind wir entfernt vom Stromausfall? Ich gehe nicht davon aus, dass das passiert. Aber ich ziehe meinen Hut vor den Netzbetreibern und deren Anstrengungen, die Stabilität zu gewährleisten. Denn für die zukünftigen Anforderungen sind die Netze bisher nicht ausgebaut. Bislang erfolgte die elektrische Versorgung der Ballungszentren in eine Richtung von zentralen Großkraftwerken aus. Jetzt wird das mehr und mehr dezentraler und damit viel komplexer. Mittlerweile gibt es mehr als eine Million weit verteilte Einspeispunkte ins Nieder- oder Mittel- und Hochspannungsnetz und somit vermischen sich Erzeugung und Verbrauch. Das erfordert eine gravierendeVeränderung der gesamten Netzstruktur und der Systemsteuerung. Und weil das nicht abgestimmt mit dem Zuwachs der erneuerbaren Energien erfolgt, wächst das Risiko, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Aber noch mal, ich gehe nicht davon aus, dass uns ein großer Stromausfall droht.

Inwiefern? Nehmen wir die Energiepreise. Deutschland liegt bei den Preisen für die Industrie um 19 Prozent und bei den Verbraucherpreisen der Privathaushalte sogar 40 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Das ist die

Wie erklärt sich der CO2-Zuwachs? Der wesentliche Grund ist der Preisverfall der CO2 -Zertifikate, also der Mengenpreis, den Firmen bei der Erzeugung von Energie bezahlen müssen, damit sie eine Tonne CO2 ausstoßen dürfen. Sind die Preise

SIEMENS

Siemens hatte unlängst zum Zukunftsdialog über die Energiewende eingeladen und sich einerseits als ein Vorreiter bekannt, andererseits eine Neuausrichtung gefordert. Heißt das Sie wollen die Energiewende, aber nicht diese? Ja, wir wollen die Energiewende und sehen sie überwiegend als Chance. Sie kann einen großen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. NeueTechnologien, die dafür entwickelt werden, können von der deutschen Wirtschaft exportiert werden. Wir verstehen uns als deutsches Unternehmen mit globaler Ausrichtung, das mit seinen Produkten, seinem Know-how und seinen Innovationen die gesamte Bandbreite der Erzeugung, der Verteilung und der effektiven Nutzung von Energie abdeckt. Deswegen ist die Energiewende genau unser Thema. Andererseits ist sie aber auch eine große Herausforderung für die deutscheWirtschaft, im Grunde eine Generationenaufgabe. Wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir sie richtig gestalten. Der Industriestandort Deutschland muss wettbewerbsfähig bleiben, wozu auch moderate Strompreise gehören.

Siemens-Manager Dr. Frank Büchner

so gering wie gegenwärtig, haben sie keinen steuernden Effekt auf Kraftwerke mit hohen Emissionen. So kommt es, dass vor allem alte, abgeschriebene Kohlekraftwerke den Bedarf bereitstellen, wenn erneuerbare Energien nicht liefern. Das ist kontraproduktiv, weil sauberere Technologien, wie moderne Gas- und Dampfkraftwerke als Absicherung nicht zum Zuge kommen. Welche Auswirkungen ergeben sich aus den hohen Energiepreisen? Mit steigenden Energiepreisen sinkt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Bürger müssen einen größeren Teil ihres Einkommens für Strom ausgeben. Die EEG-Umlage verursacht etwa ein Fünftel des Energiepreises. Dazu kommt der Netzausbau, der etwa den gleichen Anteil ausmacht. Das verursacht langfristig Kostensteigerungen. Die nächste erfolgt vermutlich im Oktober. Und auch das muss überdacht werden. Sie sprachen noch vom vierten Problemfeld, der Energieeffizienz? Was liegt da im Argen?

Wir sind der Meinung, dass dieses Thema viel stärker in den Mittelpunkt gehört. Hier lässt sich nämlich die größte Hebelwirkung erreichen. Die Energie, die gar nicht erst erzeugt werden muss, weil sie nicht benötigt wird, ist die einfachste und günstigste Art, CO2 -Emissionen zu vermeiden. Außerdem gehört die Senkung des Energieverbrauchs neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der CO2-Einsparung zu den Zielen, die innerhalb der EU festgelegt wurden. Bis 2020 sind zehn Prozent Energieeinsparung im Vergleich zu 2008 vereinbart, aber vorangekommen sind wir bisher so gut wie gar nicht. Wo lässt sich noch mehr Energie einsparen? Da ist zunächst die Wirkungsgraderhöhung bei der Erzeugung selbst zu nennen. Erneuerbare Energien sollten bevorzugt dort installiert werden, wo der Wind am stärksten bläst, die Sonne am häufigsten scheint. Moderne Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad sollten die alten mit hohem CO2 -Ausstoß ablösen. Die Kraft-Wärmekopplung sollte noch stärker in den Fokus rücken. In der Industrie ließen sich durch modernste Antriebslösungen bis 70 Prozent des aktuellen Verbrauchs einsparen. Im Gebäudebereich könnte man durch intelligentes Energiemanagement schon ohne zusätzliche Gebäudedämmungsmaßnahmen 20 bis 40 Prozent heben. Ein flächendeckendes Energiemanagement würde auch bei Nutzung der Energieverbrauchssteuerung den Bedarf und die Erzeugung besser in Einklang bringen. Daund durch fielen VorhalteSpeicherprozesse weg, die von Energieverlusten begleitet werden. Das alles findet noch viel zu wenig Aufmerksamkeit.

Worauf will sich denn Siemens in diesem Zusammenhang konzentrieren? Wir sind da auf mehreren Feldern aktiv. Wir haben zum Beispiel Gasturbinen mit dem weltweit höchsten Wirkungsgrad entwickelt, die wir auch hier in Berlin bauen. Gaskraftwerke sind nach unserer Einschätzung die ideale Ergänzung zu den Erneuerbaren. Sie können einspringen, wenn die Sonne nicht scheint, und der Wind nicht weht. Ein anderer Vorschlag wäre, Smart Grids mit Smart Buildings zu verschmelzen, um Verbraucher stärker und direkt in das Netzsystem zu integrieren. Das gilt für alle Gebäude bis zu Krankenhäusern oder der Industrie und wäre ein aktiver Beitrag zur Energiewende. Wir haben Lösungen, um die Speichermöglichkeiten im Netz auszubauen. Das betrifft sogenannte Power-toGas-Anlagen, also überschüssigen Windstrom in Gas zu verwandeln, und in das Gasnetz einzuspeisen. Dazu gehören aber auch unterschiedlich leistungsfähige Lithium-Ionen-Batterie-Blöcke bis zu mehreren Megawatt für schnelle Speicher- und Regelvorgänge gerade in der Nähe von Windparks und Solaranlagen, aber auch Wärme- und Kältespeicher für Gebäude. Wir haben Lösungen für leistungsstarke und effiziente Stromautobahnen. Das sind Überlandleitungen, die anstelle von Wechselstrom mit Gleichstrom arbeiten und dadurch die Verluste typischerweise um 30 bis 50 Prozent reduzieren. Inwiefern stoßen Ihre Vorstellungen an Grenzen? Nehmen wir die Speichertechnik. Jeder wird zustimmen, dass Speicher im Netz notwendig sind, weil sie mehr Stabilität bringen und Schwankungen ausgleichen. Der aktuelle Vollzug der Energiewende erschwert aber, sie wirtschaftlich zu betreiben. Denn ein Speicher rentiert sich, wenn er bei günstig verfügbarem Strom aufgeladen wird und bei teurem Strom, also steigendem Bedarf, Energie abgibt. Diese Differenz aber wird mit dem aktuellen Stromangebot soweit eingeebnet, dass ein Investor kaum Interesse am Speichern zeigt. Warum sollte er auch, wo doch gleichzeitig die Erzeugung von erneuerbarer Energie durch Photovoltaik oder Windkraftanlagen durch die Einspeisevergütungen über viele Jahre gute Renditen verspricht. Diese Fehlsteuerung destabilisiert das Netz und muss deshalb dringend korrigiert werden. Lassen Sie mich abschließend noch nach der Rolle von Berlin fragen, die Siemens der Stadt im Rahmen der Energiewende zubilligt. Berlin hat große Bedeutung für Siemens. Siemens wurde in Berlin gegründet, und die Stadt ist nach wie vor unser größter Fertigungsstandort. Wir produzieren hier unter anderem Gasturbinen, Hochspannungsanlagen und Komponenten für Smart Grids. Von großer Bedeutung ist die Forschungsund Entwicklungsarbeit in Kooperation mit den Hochschulen am Standort. Wir haben in Berlin Pilotanlagen, die als Beispiele für die sichere Integration einer solchen Stadt in das überregionale Versorgungsnetz dienen können. Gemeinsam mit dem Senat haben wir inzwischen 200 öffentliche Gebäude energetisch saniert. Ich denke, das unterstreicht die herausgehobene Rolle, die Berlin für Siemens spielt. Das Interview führte Martin Woldt.


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Berliner Zeitung · Nummer 201 · Donnerstag, 29. August 2013


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