Berliner Zeitung · Nummer 24 · 28./29. Januar 2012
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Lange Nacht der Museen AM 28. JANUAR 2012
So gehts’ lang: Alle Routen auf einen Blick – Seiten 4 und 5
Nah dran: Ausgewählte Werke aus Berliner Sammlungen – Seiten 2 und 5
BLZ/ANJA KÜHL
DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM
STIFTUNG STADTMUSEUM
Die illustrierte Legende
U
m die königlichen Spuren zu lesen, braucht man weder Taschenlampen, Lupen noch Karten, nicht mal übertrieben viel Spürsinn. Nur Neugier, die muss sein. Dann sieht jeder, der in dieser Langen Museumsnacht seine Füße in eines der 70 beteiligten Museen und Veranstaltungshäuser setzt, wie sehr Friedrich der Große (1712–1786) das kulturelle Selbstverständnis Berlins und Brandenburgs geprägt hat, wie stark seine zwiespältige Person in den hiesigen musealen Sammlungen, von denen Sie auf der letzten Seite dieser Beilage lesen, nachklingt: als Flötenmusik zu einer Lichtshow in besagter Nacht auf dem Vorplatz des Berliner Kulturforums, als Gemälde und in zeitgenössischen Stichen, in höfischen Objekten, historischen Waffen, Uniformen, Bauten und zahllosen Dokumenten, darunter so manche Order oder das eine oder andere Edikt. Der 300. Geburtstag Friedrichs des Großen ist gewissermaßen der rote Faden durch diesen nächtlichen Kultur-Ritt mit Shuttlebussen, per Fahrrad oder per pedes. Aber gemach, gemach. Seiner Majestät sollten wir entspannt, ohne diese verbissene Rückbesinnung auf den geschichtspolitischen Furor und ohne jene penetrante Idealisierung begegnen, dieser, wie die Historiker schreiben, „erschreckend gespaltenen Persönlichkeit“. Diesem „begnadeten Flötisten und rücksichtslosen Führer, dem großen Staatsingenieur und noch größerem Menschenfeinde, dem Militaristen und divenhaften Ästheten, dem Stinkstiefel, grotesken Verstellungsvirtuosen und Hundenarren. Dem mit Voltaire philosophierenden Monarchen mit der „geschundenen Seele und der großen, ungeteilten Macht“. Allein im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden erlebt der Besucher Friedrich II. in zahllosen Kunstwerken und historischen Objekten. Sogar, wie oben abgebildet, mitten auf einem Kartoffelacker, fachsimpelnd mit den Kossäten (das waren zu Naturalien-Abgaben und Arbeits-Diensten verpflichtete Dorfbewohner). Das Bild malte der Künstler Robert Warthmüller allerdings bald 100 Jahre nach des Preußenkönigs Ära und es illustriert in geneigter Art und Weise eine beliebte Legendenbildung. Friedrich der Große hat nämlich kaum in persona die Kartoffel nach Preußen gebracht, das wird nur gern behauptet, von der Forschung aber ist es nunmehr widerlegt: Der Mann hat sich für die Kartoffel interessiert und ihren Anbau auch gewollt. Aber höchstselbst wusste er nicht besonders gut, wie die Erdfrucht schmeckt, weder roh, gekocht noch gebraten. Und wie hätte er schon von den köstlichen Pommes frites – was für ein Kalauer: Pommes frit(z)es – wissen sollen, die man heute weltweit in Unmengen verzehrt? Wäre er seinerzeit bei den Schweizern zu Gast gewesen, hätte er zumindest die ersten Rösti probieren können. Aber auch Friedrichs bisweilen hungernde Untertanen aßen lieber das gewohnte Brot und tauschten, sofern sie Kartoffeln anbauten, diese gegen Getreide. Bemüht aber hat der König sich Anfang der 1740er-Jahre um den Anbau der aus Südamerika stammenden erwiesen nahrhaften „Tartoffel“. Worte darüber machte er so einige: „Es ist Uns in höchster Person in Unsern und anderen Provintzien die Anpflanzung der sogenannten Tartoffeln, als
So sah der Maler Robert Warthmüller (1859 bis 1895) den Preußenkönig Friedrich II. hundert Jahre nach dessen Ableben. Der Alte Fritz auf dem märkischen Kartoffelacker, fachsimpelnd mit den Kossäten, in Szene gesetzt als Initiator des Kartoffelanbaus. Solche Friedrich-Motive waren nach der Reichsgründung1871 sehr populär und die Friedrich-Begeisterung Teil des preußischen Nationalmythos. Zu sehen im Deutschen Historischen Museum. Route 1
Der
König
wusste
nicht, wie Pommes frites schmecken In dieser 30. Langen Nacht begleitet uns kein Geringerer als Friedrich der Große – mit der ganzen Zwiespältigkeit seiner Person VON INGEBORG RUTHE
ein nützliches und so wohl für Menschen, als Vieh auf sehr vielfache Art dienliches Erd Gewächse, ernstlich anbefohlen ...“ Oder: „Übrigens müßt ihr es beym bloßen Bekanntwerden der Instruction nicht bewenden, sondern durch die Land-Dragoner und andere Creißbediente Anfang May revidieren lassen, ob auch Fleiß bey der Anpflantzung gebraucht worden.“ 1756 erließ er sogar eine „Circular-Ordre“, die den Anbau auf preußischen Äckern verlangte. Auch von Inspektionsreisen nach dem Siebenjährigen Krieg, sogar von der Bewachung der Äcker durch Soldaten ist in überlieferten Dokumenten die Rede. Aber es waren eben doch mehr Worte als Taten. Schon gar nicht gegen die Vorurteile, die im Umlauf waren: „Die Dinger riechen nicht und schmecken nicht und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen?“ Der Aberglaube, die Kartoffel sei giftig, mache gar unfruchtbar, wirkte. Und ein Grund war wohl die Umstellung der Anbaumethoden. Die seit dem Mittelalter praktizierte Dreifelderwirtschaft musste wegen der Kartoffel abgeschafft werden. Die Grundbesitzer waren nicht begeistert, da sie fürchteten, der Anbau der Kartoffel werde weniger Getreide einbringen. Dass Friedrich für die Erdäpfel diese tradierte Dreifelderwirtschaft abgeschafft haben soll, diente wohl eher der Idealisierung des Königs als Reformer. Er hat die Sache mit der Kartoffel zwar thematisiert, aber durchgesetzt hat er den Anbau zunächst doch nicht, wie es etwa zur gleichen Zeit in der Schweiz, in Luxemburg und in Österreich der Fall war. Und nicht mal in der Hungersnot der 1770er-Jahre haben die Leute in Preußen in größerem Umfang Kartoffeln angebaut, geschweige denn gegessen. Denn auch in Preußen galt: „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.“ Erst 1765 zeigen sich die Erfolge der fridericianischen Kartoffelpolitik: Sie wurde endlich als menschliche Nahrung akzeptiert. Trotz der starken Widerstände in Stadt und Land – 1785 war die Kartoffel eingeführt. Die Kartoffelernte, das merkten die Bauern alsbald, war auch dann gut, wenn die Getreideernte missriet. Außerdem gab es inzwischen Rezepte, die Knollen schmackhaft zuzubereiten. 1861 wird in dem „Handbuch des preußiAnzeige schen Staates“ von Carl Friedrich Wilhelm DieBeRlins inteRaktives MuseuM tericis für die preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg, Rheinland und Westfalen „eine unglaubliche Verbreitung der Kartoffel“ notiert. Die Knolle war ein Jahrhundert nach den „KartoffelbeDDR Museum fehlen“ in Preußen zum Karl-Liebknecht-Straße 1 Hauptnahrungsmittel 10178 Berlin-Mitte geworden – nährte vor www.ddr-museum.de allem die armen Leute.