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IM BERLINER STRASSENVERKEHR •• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••
EINE VERLAGSBEILAGE DER BERLINER ZEITUNG
Eine Kampagne für ein besseres Miteinander.
Ein Plan für mehr Radverkehr in der Stadt.
Eine Erklärung für aggressives Verhalten.
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FREITAG, 19. APRIL 2013 I VERLAGSBEILAGE
Eine Dose Rücksicht
Mit einer modernen Werbe-Kampagne soll das gegenseitige Aufeinander-Achten im Straßenverkehr wieder ein geschätzter Wert werden
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eit Mai 2012 läuft die Kampagne „Rücksicht im Straßenverkehr“ in Freiburg und Berlin im Testbetrieb. Sie wird vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat, der Unfallforschung der Versicherer sowie mit Sponsorengeldern finanziert. Ihre Botschaft ist ein Plädoyer für mehr Aufmerksamkeit im Straßenverkehr. Etwas, das wir alle gern beanspruchen, im Zweifelsfall aber von den anderen erwarten. Der Kampagnenschwerpunkt ist der Sicherheit der Radler gewidmet. Die Macher reagieren auf die dynamischste Verkehrsteilnehmergruppe. Mehr als zehn Prozent der Wege in Deutschland werden von Pedalrittern gespurt. In Berlin sind es etwa 15 Prozent, und der Radverkehr ist seit 2000 um mehr als 40 Prozent gewachsen. Der Senat will die Zahl der mit dem Rad zurückgelegten Wege bis 2025 auf 18 bis 20 Prozent erhöhen. Heute steigen Berliner täglich für 1,5 Millionen Wege aufs Rad. Wissenschaftler erkennen, dass beim Radfahren fünf Zukunftstrends zusammenkommen: Kostenbewusstsein, Klimaschutz, gesunde Lebensführung, Zeitersparnis und ethisches Handeln. Zunehmende Aggressivität Der Trend hat aber auch seine Schattenseiten. Radfahrer bewegen sich in einem Spannungsfeld. Sie operieren in den engen Grenzen zwischen Fahrbahn und Bürgersteig. Und sie leben ihr Freiheitsgefühl gelegentlich wider die geltenden Regeln aus. Die wiederum stammen – inklusive des darauf gegründeten Sicherheitsverständnisses – meist aus einer Zeit, als das Auto noch das Monopol mobiler Freiheit verkörperte und dieses im Straßenraum politisch gehätschelt wurde. Doch diese Zeiten sind langsam vorbei. Das Zusammenspiel von Fußgängern, Radlern und Autofahrern muss koordiniert werden. Das weit verbreitete und zugleich schwer belegbare Gefühl zunehmender Aggressivität auf der Straße ist ein Indikator, dass dies nicht so leicht ist. Wie reagieren? Neue, bessere Regeln? Eine modernere Infrastruktur? Gewiss, aber das dauert, und dies ist leider auch kein Wandel zum Nulltarif. Da liegt es nahe, sich einer Ressource zu besinnen, ohne die es kaum gute Nachbarn gäbe, ohne die kein Konzertbesuch funktionierte und ohne die die Fahrt in der S-Bahn dem Vorhof zur Hölle gliche: Rücksicht!
Immer da, wo sich eine Gruppe auf ein gemeinsames Interesse verständigen kann, ist Rücksicht möglich. Aber auf und entlang der Straße ist die Gruppe sehr groß und heterogen. Das gemeinsame Ziel, gut und sicher ankommen, wird vielfach von anderen Interessen oder Gefühlen überlagert. Verkehrskampagnen der Vergangenheit kamen oft belehrend, manchmal drohend daher. Die neue Kampagne, die auf „Rücksicht“ setzt, will ihre Botschaft mit den Mitteln der Werbung unters Volk bringen. „Rücksicht im Straßenverkehr“ präsentiert sich nicht als Imperativ. Sie tritt uns als Produktpräsentation gegenüber. Es geht um eine Dose, eine sinnbildliche Dose – Rücksicht als Markenprodukt. „Wirkt sofort! Kostet keinen Cent!“ Der Verkäufer der Rücksicht-Dose, Christophorus, Schutzheiliger der Reisenden, tritt nicht als Engel oder Polizist auf. Er ist ein Schlipsträger – ein moderner Werbebotschafter eben. Sympathische Geschichte Je unsympathischer der Typ, desto sympathischer seine Geschichte. Die Macher der Kampagne zeigen im Internet, wie Christophorus einst war. Ein Bettelmönch mit Pappschild („Nehmt mehr Rücksicht“), den jeder verhöhnt und mit Füßen getreten hatte. Seine bescheiden daher gebrachte Bitte ist in der Kampagne nun zur modernen Marke mutiert (die Dose!), um mit ihrem schicken Image erfolgreich Wirkung zu entfalten. Dieser moderne Christophorus verdient eine Chance. Seit Mai 2012 – und nun auch wieder in diesem Jahr – verkündet er seine Botschaften auf Plakaten, im Radio, bei Facebook und Youtube. Der stylische Dosenverkäufer Christophoprus widmet sich typischen Konfliktfeldern zwischen Radlern, Fußgängern und Autofahrern (siehe Seite 6/7). Man wird seine aalglatte Erscheinung schwerlich ins Herz schließen, aber man wird sich an ihn erinnern. Und sein Anliegen nicht vergessen. Im Grunde wissen wir ja alle Bescheid. Rücksicht ist wichtig. Wir brauchen diese uns eigentlich nicht aufschwatzen zu lassen. Wir können sie leben. Jeden Tag – zum Nutzen aller. (mwo.) Weitere Infos unter: www.rücksicht-imstrassenverkehr.de www.berlin-nimmt-rücksicht.de www.freiburg-nimmt-rücksicht.de
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FREITAG, 19. APRIL 2013 I VERLAGSBEILAGE
„Wir haben uns viel vorgenommen“
Stadtentwicklungssenator Michael Müller plant höhere Ausgaben für den Radverkehr. Er ärgert sich über Gehwegradler und Bierbikes
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ie werden immer mehr. Radfahrer gehören wie früher wieder zum Berliner Straßenbild. Das geht allerdings nicht immer ohne Konflikte ab. Fahrradfahrer kritisieren, dass der Senat nicht genug Geld für neue Wege und Fahrspuren ausgibt. Michael Müller (SPD), Berlins Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, will zwischen den Verkehrsteilnehmern vermitteln. Doch an seinem Ziel hält er fest: Er will, dass in Berlin noch mehr Rad gefahren wird. Herr Müller, wann waren sie zuletzt mit dem Fahrrad unterwegs? Wegen des Winterwetters ist das schon etwas länger her. Ich bin ab und zu mit meiner Familie auf dem Tempelhofer Feld unterwegs. Im November sind wir mit dem Rad am Südkreuz, dem neuen Grünzug zwischen Schöneberg und Neukölln, über die Bahngleise hinweg auf einer neuen Brücke zur Schöneberger Insel gefahren. Ich hatte den Weg kurz zuvor mit Vertretern des Bezirkes eröffnet und war auf diese neue Verbindung neugierig. Und? Empfehlenswert? Ja, auf jeden Fall. Eine schnelle Verbindung, und man ist nicht im Autoverkehr. Der Weg führt durch Viertel, die man als Autofahrer normalerweise nicht so wahrnimmt. Würden Sie anderen empfehlen, in Berlin Fahrrad zu fahren? Ja klar! Gerade für die vielen kurzen Wege, die man am Tag so zurücklegt, bietet sich das an. Man kann in Berlin gut und sicher Rad fahren.
Viele Radfahrer sagen allerdings, dass Berlin vom Prädikat „Fahrradstadt“ noch weit entfernt sei. Wir sind in den letzten Jahren vorangekommen, aber es ist auch noch einiges zu tun. Wir haben uns viel vorgenommen. Weitere Fahrradstreifen werden auf den Fahrbahnen markiert, um Radfahrer zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern zu machen. Die Parksituation muss verbessert werden, vor allem an Bahnhöfen. Und wir bemühen uns darum, dass in Berlin ein Fahrradparkhaus gebaut wird. Für neue Wege und Radverkehrsanlagen stehen in Berlin in diesem Jahr 3,5 Millionen Euro zur Verfügung, für die Sanierung bestehender Radwege sind zwei Millionen Euro eingeplant. Reicht das aus für eine der größten Städte Europas? Wir streben an, den Betrag, den wir pro Jahr und Einwohner für Radverkehrsanlagen ausgeben, von derzeit rund zwei Euro in den nächsten Jahren schrittweise auf fünf Euro zu erhöhen. So, wie es auf nationaler Ebene vorgesehen ist. Aber das ist ein harter Verteilungskampf. Werden Sie bei den in diesem Jahr anstehenden Haushaltsberatungen des Senats mehr Geld für den Fahrradverkehr beantragen? Ja. Für 2013 stehen uns für den Bau neuer Radverkehrsanlagen, für die Sanierung bestehender Radwege und für das Leihfahrradsystem StadtRad 6,5 Millionen Euro zur Verfügung. Für 2014/2015 wollen wir 7,5 Millionen Euro pro Jahr beantragen – je-
BERLINER ZEITUNG
Stadtentwicklungs-Senator Michael Müller (SPD)
weils 0,5 Millionen mehr für Neubau und Sanierung. Bis wann wollen Sie die Ausgaben pro Jahr und Berliner Einwohner auf fünf Euro erhöht haben? Schrittweise in den nächsten zwei bis drei Haushaltsberatungen. Wichtig ist aber auch, dass das Geld, das zur Verfügung steht, auch verbaut wird. Das hieße: Wenn Sie tatsächlich fünf Euro pro Jahr und Berliner zur Verfügung hätten, könnten Sie das Geld nicht ausgeben, weil die Bezirksverwaltungen nicht genug Personal haben? Entsprechende Kapazitäten für die Umsetzung gehören dazu. Von heute auf morgen geht das nicht, auch darum sollen die Ausgaben schrittweise erhöht werden. Radfahrer haben allerdings nicht nur Freunde. In der Tat. Gerade ältere Men-
schen sehen Radfahrer, die mit hoher Geschwindigkeit über Gehwege fahren, als Risiko. Manch einer fühlt sich dadurch belästigt und gefährdet. Das kann ich verstehen und nachvollziehen. Deshalb gibt es ja unsere Kampagne für mehr Rücksicht im Straßenverkehr: Jeder muss auf jeden achten. Jeder ist auch mal zu Fuß unterwegs, auch Radfahrer laufen gelegentlich. Wir sind alle Bürger dieser Stadt. Wie wir zusammenleben, ist unser aller Thema und unsere Aufgabe. Sind die Berliner Radfahrer Rüpelradler? Nein, das glaube ich nicht, und ich teile solche Pauschalurteile nicht. Ich habe mich schon im vergangenen Jahr dagegen gewehrt, als Bundesverkehrsminister Ramsauer diese Begriffe benutzte. Es gibt immer schwarze Schafe, auch bei den Auto- und Motorradfahrern. Aber die meisten Verkehrsteilnehmer verhalten sich richtig und rücksichtsvoll. Manchmal wundere ich mich allerdings darüber, dass einige Radfahrer nicht die einfachsten Verkehrsregeln zu kennen scheinen – zum Beispiel rechts vor links auf gleichrangigen Straßen. Immer mehr ausländische Touristen bewegen sich in Gruppen auf zwei Rädern durch Berlin, meist ziemlich unbeholfen und wackelig. Ist das ein Problem? Nein, so etwas muss der Hauptstadtverkehr verkraften können, das gehört dazu. Natürlich führt das auch mal zu Unmut, zum Beispiel wenn solche Gruppen auf ei-
ner Busspur unterwegs sind. Aber wir freuen uns über die Menschen, die in unsere Stadt kommen und sich nicht mit dem Auto bewegen, sondern Berlin anders erleben wollen. Außer, wenn sie auf einem Bierbike unterwegs sind und grölend unsere Straßen blockieren. Das empfinde nicht nur ich als Belästigung, und darum wollen wir restriktiver als bisher damit umgehen. Radfahrer entgegnen, dass sie von den Autofahrern ignoriert, übersehen, schlecht behandelt werden. Das liegt nicht selten an der baulichen Situation. Darum ist es so wichtig, dass wir weiter daran arbeiten, mehr Fahrradstreifen auf den Fahrbahnen anzulegen. Damit die Radfahrer zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern werden, die von den Autofahrern besser gesehen werden als auf Radwegen, die auf Gehwegen verlaufen. Auf klassischen Radwegen ist es oft so beengt, dass Radfahrer keine Chance haben auszuweichen, wenn plötzlich eine Autotür aufgeht. Was meinen Sie, wird Berlin einmal eine Fahrradstadt wie Amsterdam oder Kopenhagen werden? Die sind deutlich weiter als wir. In Kopenhagen werden jetzt schon rund 30 Prozent aller innerstädtischen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. In Berlin sind es derzeit knapp 15, wir streben 20, perspektivisch 25 Prozent an. Der Radverkehr wird auch bei uns immer wichtiger. Interview: Peter Neumann
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16 weitere Kilometer exklusiv für Radler In Berlin gibt es mittlerweile mehr als 1 000 Kilometer Radwege – und das Netz wird 2013 weiter ausgebaut. Zudem sind zahlreiche Sanierungen geplant
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as Berliner Radwegenetz hat mittlerweile eine Länge von etwas mehr als 1 000 Kilometern. Das sind, lässt man die Stadtautobahn außer Betracht, rund ein Fünftel der Streckenkilometer, die die Stadt dem Auto gewährt. Weitere 400 Kilometer stehen, nach Auskunft der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, den Radfahrern auf Wegen „außerhalb des öffentlichen Straßenlandes“ zur Verfügung. Auch in diesem Jahr wird das Netz, vorrangig durch 14 neue Radfahrstreifen auf der Fahrbahn, um weitere 16 Kilometer ergänzt. 3,5 Millionen Euro werden dafür aus dem Haushalt eingesetzt. Die Erweiterung erfolgt in sieben Bezirken. Für weitere zwei Millionen Euro werden im gesamten Stadtgebiet 15 vorhandene Radwege auf einer Länge von rund sechs Kilometern saniert. Die Maßnahmen im einzelnen: Charlottenburg-Wilmersdorf: Hier werden die Lise-Meitner-/Sömmeringstraße südlich der Max-DornStraße fahrradfreundlich markiert. Von den Sanierungen sind der Siemensdamm zwischen NikolausGroß-Weg und Jakob-Kaiser-Platz auf der Südseite betroffen. Friedrichshain-Kreuzberg: Hier stehen Bestandsverbesserungen in der Blücherstraße zwischen Brachvogelstraße und Zossener Straße auf der Nordseite sowie in der Prinzenstraße südlich der Gitschiner Straße an. Lichtenberg: Hier werden die Fahrradwege auf der Südseite der Falkenberger Chaussee zwischen Prerower Platz und der Brücke, am Weißenseer Weg sowie am Paulund-Paula-Ufer an der Rummelsburger Bucht verbessert. Marzahn-Hellersdorf: Hier wird die Landsberger Allee zwischen Marzahner Brücke und Allee der Kosmonauten auf der Nordseite neu markiert. Mitte: Neue Fahrbahnstreifen entstehen in der Reinickendorfer Straße nördlich der Plantagenstraße, in der Brückenstraße südlich des Märkischen Ufers, in der Köpenicker Straße westlich der Brückenstraße und in der Annen-
straße östlich der Heinrich-Heinesowie in der Stülerstraße. Die Sanierungen erfolgen in der Seestraße zwischen Amrumer und Müllerstraße auf der Nordseite, in der Lessingstraße zwischen Lessingbrücke und auf der Nordseite der Flensburger Straße. Neukölln: Neue Streifen tragen künftig die Karl-Marx-Straße südlich der Silbersteinstraße sowie die Nordseite der Werbellinstraße östlich der Morusstraße. Pankow: Der Bezirk bekommt auf der Heinrich-Mann-Straße sowie auf der Dietzgenstraße zwischen Schiller- und Wackenbergstraße neue Streifen für Radfahrer. Spandau: Fahrradstreifen entstehen im Klosterbuschweg nördlich des Torweges. Die Sanierungen betreffen die Schönwalder Allee zwischen Hakenfelder Straße und Buswendestelle auf der Ostseite sowie die der Nordseite der Gartenfelder Straße westlich der Feldzeugmeisterstraße. Steglitz-Zehlendorf: Im Bezirk konzentriert sich die Sanierung auf die Ostseite der Albrechtstraße zwischen Stindestraße und der Bismarckstraße und die Nordseite des Kamenzer Damm zwischen Wedellstraße und Malteserstraße. Tempelhof-Schöneberg: Neue Kennzeichnungen werden in der Ringstraße westlich der Kaiserstraße und in der Kaiserstraße östlich der Machonstraße aufgebracht. Saniert wird auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz . Reinickendorf: Die Sanierungsmittel kommen der Südseite der Holzhauser Straße zwischen Seidelstraße und Wittestraße sowie dem Weg am Rande der Kolonie Frühauf zugute. Sicher werden noch weitere Streckenabschnitte im Laufe des Jahres saniert, wo genau, steht aber noch nicht fest. Zudem wird die Einbindung der Stadt ins Radfernwegenetz fortgesetzt. Zwei weitere Abschnitte des Fernwegs Berlin-Leipzig sollen 2013 fertig werden. Ein Dritter könnte nach Bewilligung des Geldes hinzukommen. Auch der Spreeradweg sowie der Havelradweg werden weiter gebaut. (mwo.)
„Es ist ein dickes Brett,
Senatsplaner Burkhard Horn über Rücksichtslosigkeit im Verkehr, nervige
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m Zimmer am Köllnischen Park in Mitte steht ein Prototyp für ein neues Leihfahrrad-Design, Pläne und Gutachten stapeln sich auf den Tischen. Burkhard Horn leitet in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt das Referat „Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik, Verkehrsentwicklungsplanung“. Er ist dort für die Kampagne verantwortlich. Herr Horn, wie sind Sie heute zur Arbeit gekommen? Mit der U-Bahn-Linie 5. Normalerweise fahren Sie mit dem Rad, haben Sie mir mal erzählt. Das stimmt. Radfahren macht mehr Spaß. Ich bewege mich, auch wenn es nur vier Kilometer pro Weg sind. Als Radfahrer erlebe ich die Stadt anders, intensiver. Und ich bin an der frischen Luft. Es bedeutet aber auch, dass Sie mit anderen Verkehrsteilnehmern auskommen müssen, die sich oft rücksichtslos verhalten. Worüber ärgern Sie sich am meisten? Manche Autofahrer meinen, sie müssten mich in einer Tempo30-Zone unbedingt überholen, obwohl ich selber schon 30 fahre. Ich ärgere mich auch darüber, dass unübersichtliche Ecken zugeparkt sind und dass Autos auf Radstreifen abgestellt werden, nur weil
sich der Fahrer mal eben einen Kaffee holen will. Dass ich von abbiegenden Autos geschnitten werde, ist ebenfalls Alltag in Berlin. Ich ärgere mich allerdings auch über andere Radfahrer. Zum Beispiel solche, die mich links überholen, wenn ich vor einer roten Ampel stehe und dann direkt vor mir rechts abbiegen, wenn es grün wird und ich geradeaus losfahren will. Und als Fußgänger ärgere ich mich über Radfahrer, die mit unverminderter Geschwindigkeit den Gehweg entlangrasen. Solche Verhaltensweisen lassen einen nicht kalt. Haben Sie auch schon mal aufgetrumpft? Berufsbedingt habe ich sicher eine bestimmte Brille auf, das liegt in der Sache. Wenn man sich wie ich täglich mit Verkehrssicherheit und den Folgen falschen Verhaltens befasst, hat man manches verinnerlicht. Aber ich bin kein Heiliger, natürlich habe ich mich auch schon mal nicht angemessen verhalten. Zum Beispiel, indem ich einen Gehweg zu schnell gequert oder mein Fahrrad in einem Bereich abgestellt habe, wo Fußgänger behindert werden. Oder dass ich beim Einsteigen in die U-Bahn hineindrängele. Die meisten von uns glauben, dass wir die besten Fahrer sind, es sind
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BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK
Burkhard Horn gehört zu den Chefplanern in der Verkehrsabteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Der Referatsleiter ist für die Masterpläne zuständig – zum Beispiel für den Stadtentwicklungsplan Verkehr. Der 52Jährige legt Wert darauf, dass auch Radfahrer und Fußgänger bessere Bedingungen bekommen. Jüngst hat der Senat die neue Radverkehrsstrategie beschlossen, die Fußverkehrsstrategie wird bereits umgesetzt. Nach dem Studium der Stadtplanung in Kassel war er in der dortigen Stadtverwaltung Verkehrsplaner (1991-95) und dann freiberuflich tätig. 1996 bis 2008 leitete er in Göttingen die Abteilung Verkehrsplanung. Dann zog Horn nach Berlin.
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Ein Bündnis für die Sicherheit auf Berlins Straßen Das Forum für Verkehrssicherheit kümmert sich seit fast zehn Jahren darum, dass die Zahl der Verletzten sinkt. Und es bietet Kurse für Schulkinder und Senioren an
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das wir da bohren“
Radfahrer und die Besonderheiten von Berlin im überregionalen Vergleich die anderen, die Probleme verursachen. Wie kann die Kampagne für mehr Rücksicht da ansetzen? Wir wollen an alle Verkehrsteilnehmer heran. Auch an diejenigen, die denken, dass sie alles richtig machen. Wir wollen erreichen, dass solche Einstellungen in Frage gestellt und aufgebrochen werden. Das versuchen wir, indem wir Alltagssituationen aufgreifen, die jeder kennt. Und wir versuchen die Menschen zu erreichen, über die unterschiedlichsten Medien und vor Ort im Gespräch. Das erste Kampagnenjahr ist vorbei. Wie sieht Ihre Bilanz aus? Gut. Das Echo bei Sponsoren und Unterstützern war beachtlich. Wir haben offenbar einen Nerv getroffen. Schließlich wird das Thema Rücksichtslosigkeit in unserer Gesellschaft auch in anderer Hinsicht breit diskutiert. Wir haben festgestellt, dass die Kampagne immer bekannter geworden ist. Wir freuen uns über das zunehmende internationale Interesse, über Anfragen aus England, der Schweiz und anderen Ländern. In Deutschland soll die Kampagne auf weitere Städte ausgeweitet werden. Im Mai will der Bund den Staffelstab übergeben. Auf die Zahl der Unfälle hat sich die Kampagne nicht ausgewirkt.
Das kann auch nicht das allererste Ziel sein. Wir erwarten nicht, dass sich die Kampagne sofort messbar auf das Unfallgeschehen niederschlägt. Sie ist ein Baustein der Verkehrssicherheitsarbeit des Senats – neben der Verbesserung der Infrastruktur oder der Überwachung des Verkehrs. Bei der Kampagne geht es uns darum, die Einstellungen der Verkehrsteilnehmer zu ändern. Es ist ein dickes Brett, das wir da bohren. Denn die Änderung von eingeübten Verhaltensroutinen ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Autofahrer sagen, dass die Behörden dazu beitragen, dass das Verkehrsklima schlecht ist – mit zu vielen schlecht koordinierten Baustellen oder behindernden Ampelschaltungen. Haben sie recht? Die Baustellen bauen wir nicht aus Jux und Tollerei auf, sie sind notwendig. Wir alle klagen über Schlaglöcher und Frostschäden in den Fahrbahnen, diese Gefahrenstellen müssen beseitigt werden. Ebenso wichtig ist es, unsere Straßen zu sanieren, um sie dauerhaft zu erhalten. Da muss man nun einmal akzeptieren, dass es nicht immer und überall freie Fahrt geben kann. Auch eine grüne Ampel-Welle ist kein Naturgesetz, sondern hat immer auch mit physikalischen Grundbedingungen zu tun: Wie weit
sind Knotenpunkte voneinander entfernt, in welche Richtung fließt wann der Großteil des Verkehrs? Wie würden Sie dasVerkehrsklima in Berlin beschreiben? Auswärtige meinen ja, dass es hier ruppig zugeht. Das würde ich nicht sagen. Ich selber fühle mich in Berlin nicht unsicherer als anderswo. Und manches funktioniert hier besser. Es gibt weniger Staus. Was die Zahl der Verkehrstoten pro Einwohner anbelangt, rangiert Berlin bei den großen Städten weit unten. Berlin ist aber auch eine Stadt, deren Verkehrsgeschehen sich in den vergangenen 20 Jahren stark verändert hat. Ein Beispiel: Es sind mehr Fahrräder unterwegs als früher. Manch einer braucht da Zeit, um sein Verhalten darauf einzustellen. Und manch einer pocht auf einzelne Regeln, um sich durchzusetzen und vergisst den Paragrafen 1 der Straßenverkehrsordnung, der von uns allen als Verkehrsteilnehmern Rücksicht verlangt. Das kann im Einzelfall auch mal schiefgehen. In Deutschland kann ich – so zumindest oft die Wahrnehmung – kaum damit rechnen, dass die Autos schon halten, wenn ich irgendwo auf die Fahrbahn trete, um über die Straße zu kommen. Im scheinbar chaotischen Rom dagegen schon viel eher. Interview: Peter Neumann.
eine Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden im Berliner Stadtgebiet“, lautet eines der anspruchsvollen Ziele, dem sich das Forum für Verkehrssicherheit verpflichtet fühlt. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von fast 30 Institutionen, zu dem neben dem Senat und den Bezirksämtern alle relevanten Vereine und Verbände in der Stadt gehören, die bei Verkehrssicherheitsthemen zusammenarbeiten. Ihre Ziele haben sie in einer Charta niedergeschrieben, die auch die jeweiligen Selbstverpflichtungen enthält. Seit 2008 informiert ein Internetportal über Projekte, Angebote und Termine der verschiedenen Akteure. Einmal im Jahr treffen sich die Teilnehmer des Forums, um den neuen Kurs zu bestimmen und den jährlichen Verkehrssicherheitsbericht zu verabschieden. Er enthält Daten und Fakten zur aktuellen Situation und durchaus auch selbstkritische Einschätzungen zum Verkehr in Berlin. Denn trotz einer insgesamt erfreulichen Entwicklung etwa bei den tödlich Verunglückten ist die Zahl der im Verkehr verletzten Personen mit rund 17 000 pro Jahr immer noch hoch. Nach zwischenzeitlicher Besserung entspricht sie nun wieder dem Stand von 2004, dem Jahr. in dem das Berliner Verkehrsforum gegründet wurde. Im jüngsten Sicherheitsbericht 2012 heißt es dazu: „Die Unfall- und Verunglücktenentwicklung bleiben insgesamt betrachtet wechselhaft und im Hinblick auf das erklärte Ziel unbefriedigend“. Gegründet wurde das Forum mit der Absicht, unter anderem das Verletzungsrisiko für nicht motorisierte, „schwache“ Verkehrsteilnehmer zu senken. Vor fast zehn Jahren waren 70 Prozent der Unfalltoten Radfahrer und Fußgänger. Zwar hat sich die Relation nicht verändert, 2012 betrug der Anteil der Radfahrer und Fußgänger sogar 76 Prozent. Immerhin aber konnte die Opferzahl der tödlich Verunglückten von damals 77 auf 42 im Jahr 2012 Jahr fast halbiert werden. Was sich im politischen Tagesgeschäft mitunter kontrovers aus-
nimmt, geht im Netzwerk durchaus auch gemeinsam. So zeigen etwa die Lobbys von Auto und Fahrrad, der ADAC und ADFC, dass man sich zum Thema Verkehrssicherheit über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg verständigen kann. Das Spektrum der Verkehrssicherheitsarbeit ist so breit, wie sich die Zielgruppen auffächern. So ist der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bereits in den Kitas aktiv, um „Eltern davon zu überzeugen, öfter mal das Auto stehen zu lassen und das Kind mit dem Laufrad oder zu Fuß zum Kindergarten zu bringen“. Und der ADAC kümmert sich etwa in seinem Trainingsprogramm „60plus“ darum, dass die Fahrkünste von Senioren auf der Höhe der Zeit bleiben. Die Präventionsarbeit gilt aber vor allem den sogenannten schwachen Verkehrsteilnehmern. 2011 nahmen 86 000 Berliner an den verschiedenen Projekten teil. Ein großer Teil der Arbeit konzentrierte sich auf die Schulen. 58 waren in dem Jahr beteiligt. Dass das Netzwerk bei aller Gemeinsamkeit keine Harmonieveranstaltung ist, bewies zuletzt der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Er kritisierte die Berliner Verkehrslenkung. Viel zu viele Ampeln wären längst veraltet. „Um die Ampelanlagen in Berlin fußgängerfreundlicher zu machen, braucht die Verkehrslenkung mehr Mittel für den Umbau von Kreuzungen und die Neuprogrammierung der Ampelschaltungen“, forderte BUND-Verkehrsreferent Martin Schlegel. Ob der Hinweis auf fruchtbaren Boden fällt, könnte sich in wenigen Wochen zeigen. Dann will der Senat seine überarbeitete Verkehrssicherheitsstrategie bis zum Jahr 2020 vorstellen. Darin sollen neue Akzente gesetzt werden, wie eine Intensivierung der Verkehrsüberwachung und eine verstärkte Mobilitäts- und Verkehrserziehung. Radler und Fußgänger will man noch stärker in den Mittelpunkt der Maßnahmen stellen. (mwo.) Weitere Infos unter: www.berlin-sicher-mobil.de
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F U S S W E G !
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Vorfahrt für Kinder – bis zum achten Lebensjahr müssen sie, bis zum zehnten Geburtstag dürfen sie mit dem Rad den Gehweg benutzen. Für alle anderen Radfahrer ist das Fußgängerterrain allerdings gemäß der geltenden Verkehrsvorschriften tabu. Denn Radler sind, erst recht wenn sie sich Fußgängern von hinten annähern, kaum zu hören und schwer wahrzunehmen. Verunsicherung und Erschrecken der Passanten führen zu schwer kalkulierbaren Reaktionen mit beträchtlichem Unfallpotenzial. Rücksichtsvolle Radler steigen deshalb ab oder halten sich von Fußwegen fern.
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A C H T E N !
Für Autos gemachte Ampelphasen sind ein häufiges Ärgernis für Radfahrer. Doch eine Rechtfertigung für die Missachtung des Rotlichtes sind sie nicht. Wo einer „rot“ hat, sieht ein anderer „grün“ und wähnt sich auf sicherem Kurs. Eine Situation mit erheblichem Unfallpotenzial. Außerdem trägt die Missachtung zum Aufweichen der Regeln bei und sorgt dafür, dass man womöglich selbst zum Opfer des Leichtsinns eines andern wird. Wer rücksichtsvoll handelt, akzeptiert auch unbequeme Stopps und respektiert die Interessen anderer.
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A B S T A N D ,
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Sich gegenseitig in die Augen zu sehen, lautet der Vermeidungscode. Um als rechts abbiegender Autofahrer nicht mit einem geradeaus fahrenden Radler auf Kollisionskurs zu geraten, ist Vorsicht angeraten. So wie sich der Autofahrer nicht darauf verlassen kann, dass keiner kommt, kann sich der Radler auch nicht darauf verlassen, dass jeder bremst. Auch wenn der Radler eigentlich freie Fahrt und Vorfahrt hat, ist Vorsicht hier Rücksicht. Denn manchmal sieht der andere nicht, was offensichtlich scheint. Wer rücksichtsvoll fährt, rechnet mit den Fehlern der anderen.
Aufgepasst! Zehn brenzlige Situationen sorgen immer wieder für Unfälle. Mit etwas Rücksicht lassen sich Konflikte vermeiden.
N A C H T S
L I C H T
A N !
In der Dunkelheit ein Buch zu lesen, ist wenig aussichtsreich – kaum aussichtsreicher, als nachts mit seinem unbeleuchteten Rad der Verkehrssicherheit auf den Zahn fühlen zu wollen. Während ein Radfahrer das Streulicht eines Autoscheinwerfers recht gut erkennen kann, bleiben dem Autofahrer Gegenstände außerhalb seines Lichtkegels verborgen. Ein unbeleuchtetes Rad mit der schmalen Silhouette erkennt der Autofahrer spät – manchmal eben auch zu spät. Wer rücksichtsvoll durch die Dunkelheit radelt, bleibt besser nicht unsichtbar.
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B L O C K I E R E N !
Während der Autofahrer in einem festen Gehäuse aus Plastik und Stahl unterwegs ist, umhüllt den Radfahrer nur seine Kleidung. Ausreichend Abstand entspricht dem Sicherheitsbedürfnis des Radfahrers. Rasante Fahrmanöver in nächster Nähe provozieren panisches Fehlverhalten. Außerdem: Schreibt kein blau beschilderter Radweg die Benutzung vor, sind Fahrräder ganz zu Recht auf der Straße unterwegs. Wer rücksichtsvoll handelt, hält aufmerksam Abstand und teilt sich gleichberechtigt die gemeinsame Verkehrsfläche.
Wenn man die Vorherrschaft des Autos beweisen müsste, nirgendwo anders ist sie dreister zu beobachten als beim Parken. Nicht nur, dass Autos auf dem Radweg – auch nur kurz – nichts zu suchen haben. Sehr oft stellen sie den schmalen Radweg komplett zu. Der Radfahrer wird zum abenteuerlichen Ausweichmanöver gezwungen. Die Emotionen kochen hoch angesichts solch kurzsichtigen Eigennutzes. Der Autofahrer stelle sich vor, ein anderer Pkw stünde so unbekümmert in der Einfahrt zu seiner Garage. Wer rücksichtsvoll parkt, vermeidet Zumutungen für andere.
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A U S S T E I G E N !
L A S S E N !
Wer sein Auto entlang der Fahrbahn abstellt, sollte sich eine AussteigeRoutine antrainieren. Blick in den Rück- und dann in den Seitenspiegel, ehe er die Autotür aufschwingt. Die ist nämlich meist bis zu 1,20 Meter breit, was im schmalen Verkehrsraum zwischen Bordstein und Fahrbahn für einen Radfahrer schnell zur Vollsperrung werden kann. Der Radfahrer hält beim Vorbeifahren besser Abstand, reduziert die Geschwindigkeit und schärft die Sinne. Wer rücksichtsvoll einparkt, schaut sich um und rechnet mit Vorbeifahrenden.
Der Zebrastreifen ist ein Schutzraum für Fußgänger. Hier soll er im Vertrauen aufs Anhalten aller anderen Fahrzeuge sicher von einer Straßenseite auf die andere wechseln können. Auch das Fahrrad gilt als Fahrzeug und muss deshalb dem Fußgänger den Vorrang lassen. Diesen Vertrauensschutz würde man als Radfahrer sicher auch gern haben, wenn man mit seinem Drahtesel schiebend den Schutzstreifen überquert. Wer rücksichtsvoll handelt, macht dem anderen keine Rechte streitig, auf die man sich an seiner Stelle selbst verlassen möchte.
K E I N E
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G E I S T E R F A H R T E N !
Bei keiner anderen Gelegenheit gefährden sich Radfahrer untereinander so sehr, wie in der Situation, in der sie sich auf Gegenkurs als Geisterfahrer begegnen. Der Radweg, ist er nicht ausdrücklich für die freie Fahrt in beide Richtungen freigegeben, verläuft links wie rechts der Straße in gleicher Richtung wie der Autoverkehr. Manchmal kommt ein Geister-Radler ungeschoren am ordentlich Radelnden vorbei, aber oft begegnen sich auch zwei, die so nicht miteinander gerechnet hatten. Wer rücksichtsvoll in die Pedale tritt, kalkuliert auch das Unwahrscheinliche.
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Auch Fußgänger und Radfahrer kommen sich mancherorts mitunter näher als ihnen lieb ist. Und dann hat Anstand viel mit respektvollem Abstand zueinander zu tun. So wie der Radweg neben dem Fußgängerweg keine hindernisfreie Hochgeschwindigkeitspiste darstellt, ist die benachbarte Fahrradstrecke kein Platz fürs unbekümmerte Flanieren. Tagträumende Fußgänger und stur geradeaus blickende Radfahrer sollten einander achten und auf einander achten. Wer rücksichtsvoll handelt, vermeidet eigene und fremde Schmerzen.
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Vorfahrt für Kinder – bis zum achten Lebensjahr müssen sie, bis zum zehnten Geburtstag dürfen sie mit dem Rad den Gehweg benutzen. Für alle anderen Radfahrer ist das Fußgängerterrain allerdings gemäß der geltenden Verkehrsvorschriften tabu. Denn Radler sind, erst recht wenn sie sich Fußgängern von hinten annähern, kaum zu hören und schwer wahrzunehmen. Verunsicherung und Erschrecken der Passanten führen zu schwer kalkulierbaren Reaktionen mit beträchtlichem Unfallpotenzial. Rücksichtsvolle Radler steigen deshalb ab oder halten sich von Fußwegen fern.
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Für Autos gemachte Ampelphasen sind ein häufiges Ärgernis für Radfahrer. Doch eine Rechtfertigung für die Missachtung des Rotlichtes sind sie nicht. Wo einer „rot“ hat, sieht ein anderer „grün“ und wähnt sich auf sicherem Kurs. Eine Situation mit erheblichem Unfallpotenzial. Außerdem trägt die Missachtung zum Aufweichen der Regeln bei und sorgt dafür, dass man womöglich selbst zum Opfer des Leichtsinns eines andern wird. Wer rücksichtsvoll handelt, akzeptiert auch unbequeme Stopps und respektiert die Interessen anderer.
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Sich gegenseitig in die Augen zu sehen, lautet der Vermeidungscode. Um als rechts abbiegender Autofahrer nicht mit einem geradeaus fahrenden Radler auf Kollisionskurs zu geraten, ist Vorsicht angeraten. So wie sich der Autofahrer nicht darauf verlassen kann, dass keiner kommt, kann sich der Radler auch nicht darauf verlassen, dass jeder bremst. Auch wenn der Radler eigentlich freie Fahrt und Vorfahrt hat, ist Vorsicht hier Rücksicht. Denn manchmal sieht der andere nicht, was offensichtlich scheint. Wer rücksichtsvoll fährt, rechnet mit den Fehlern der anderen.
Aufgepasst! Zehn brenzlige Situationen sorgen immer wieder für Unfälle. Mit etwas Rücksicht lassen sich Konflikte vermeiden.
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L I C H T
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In der Dunkelheit ein Buch zu lesen, ist wenig aussichtsreich – kaum aussichtsreicher, als nachts mit seinem unbeleuchteten Rad der Verkehrssicherheit auf den Zahn fühlen zu wollen. Während ein Radfahrer das Streulicht eines Autoscheinwerfers recht gut erkennen kann, bleiben dem Autofahrer Gegenstände außerhalb seines Lichtkegels verborgen. Ein unbeleuchtetes Rad mit der schmalen Silhouette erkennt der Autofahrer spät – manchmal eben auch zu spät. Wer rücksichtsvoll durch die Dunkelheit radelt, bleibt besser nicht unsichtbar.
N I C H T
B L O C K I E R E N !
Während der Autofahrer in einem festen Gehäuse aus Plastik und Stahl unterwegs ist, umhüllt den Radfahrer nur seine Kleidung. Ausreichend Abstand entspricht dem Sicherheitsbedürfnis des Radfahrers. Rasante Fahrmanöver in nächster Nähe provozieren panisches Fehlverhalten. Außerdem: Schreibt kein blau beschilderter Radweg die Benutzung vor, sind Fahrräder ganz zu Recht auf der Straße unterwegs. Wer rücksichtsvoll handelt, hält aufmerksam Abstand und teilt sich gleichberechtigt die gemeinsame Verkehrsfläche.
Wenn man die Vorherrschaft des Autos beweisen müsste, nirgendwo anders ist sie dreister zu beobachten als beim Parken. Nicht nur, dass Autos auf dem Radweg – auch nur kurz – nichts zu suchen haben. Sehr oft stellen sie den schmalen Radweg komplett zu. Der Radfahrer wird zum abenteuerlichen Ausweichmanöver gezwungen. Die Emotionen kochen hoch angesichts solch kurzsichtigen Eigennutzes. Der Autofahrer stelle sich vor, ein anderer Pkw stünde so unbekümmert in der Einfahrt zu seiner Garage. Wer rücksichtsvoll parkt, vermeidet Zumutungen für andere.
V O R S I C H T I G
V O R T R I T T
A U S S T E I G E N !
L A S S E N !
Wer sein Auto entlang der Fahrbahn abstellt, sollte sich eine AussteigeRoutine antrainieren. Blick in den Rück- und dann in den Seitenspiegel, ehe er die Autotür aufschwingt. Die ist nämlich meist bis zu 1,20 Meter breit, was im schmalen Verkehrsraum zwischen Bordstein und Fahrbahn für einen Radfahrer schnell zur Vollsperrung werden kann. Der Radfahrer hält beim Vorbeifahren besser Abstand, reduziert die Geschwindigkeit und schärft die Sinne. Wer rücksichtsvoll einparkt, schaut sich um und rechnet mit Vorbeifahrenden.
Der Zebrastreifen ist ein Schutzraum für Fußgänger. Hier soll er im Vertrauen aufs Anhalten aller anderen Fahrzeuge sicher von einer Straßenseite auf die andere wechseln können. Auch das Fahrrad gilt als Fahrzeug und muss deshalb dem Fußgänger den Vorrang lassen. Diesen Vertrauensschutz würde man als Radfahrer sicher auch gern haben, wenn man mit seinem Drahtesel schiebend den Schutzstreifen überquert. Wer rücksichtsvoll handelt, macht dem anderen keine Rechte streitig, auf die man sich an seiner Stelle selbst verlassen möchte.
K E I N E
R U N T E R
G E I S T E R F A H R T E N !
Bei keiner anderen Gelegenheit gefährden sich Radfahrer untereinander so sehr, wie in der Situation, in der sie sich auf Gegenkurs als Geisterfahrer begegnen. Der Radweg, ist er nicht ausdrücklich für die freie Fahrt in beide Richtungen freigegeben, verläuft links wie rechts der Straße in gleicher Richtung wie der Autoverkehr. Manchmal kommt ein Geister-Radler ungeschoren am ordentlich Radelnden vorbei, aber oft begegnen sich auch zwei, die so nicht miteinander gerechnet hatten. Wer rücksichtsvoll in die Pedale tritt, kalkuliert auch das Unwahrscheinliche.
V O M
R A D W E G !
Auch Fußgänger und Radfahrer kommen sich mancherorts mitunter näher als ihnen lieb ist. Und dann hat Anstand viel mit respektvollem Abstand zueinander zu tun. So wie der Radweg neben dem Fußgängerweg keine hindernisfreie Hochgeschwindigkeitspiste darstellt, ist die benachbarte Fahrradstrecke kein Platz fürs unbekümmerte Flanieren. Tagträumende Fußgänger und stur geradeaus blickende Radfahrer sollten einander achten und auf einander achten. Wer rücksichtsvoll handelt, vermeidet eigene und fremde Schmerzen.
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FREITAG, 19. APRIL 2013 I VERLAGSBEILAGE
Rücksicht in vollen Zügen
S-Bahn ist bei Radlern beliebt
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IMPRESSUM Berliner Verlag GmbH Anzeigenleitung: Mathias Forkel Redaktion: Peter Brock (verantwortlich), Angelika Giorgis Anzeigenverkauf: Juliane Naßhan-Kunert, Tel. 030 23 27 55 79 jnasshan-kunert@berliner-verlag.de Art Direction: Jane Dulfaqar, Annette Tiedge
Risiko auf zwei Rädern
2012 kamen 15 Radler auf Berlins Straßen ums Leben – das sind vier mehr als im Jahr zuvor Verkehrsunfallbrennpunkte mit Radfahrern
Otto-Braun-Str./Mollstr. 17 beteiligte Radfahrer (10 Leichtverletzte)
Otto-Braun-Str. Alexanderstr./ Karl-Marx-Allee 16 beteiligte Radfahrer (3 Schwer-/6 Leichtverletzte) en Unter den Lind
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Frankfurter Tor 13 beteiligte Radfahrer (4 Schwer-/7 Leichtverletzte) Karl-Marx -Allee FRIEDRICHSHAIN
MITTE
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is zum Jahr 2025 wird der Radverkehrsanteil in der Stadt von gegenwärtig etwa 15 Prozent auf gut ein Fünftel anwachsen. Von diesen Erwartungen geht die jüngst beschlossene neue Radverkehrsstrategie des Berliner Senats aus. Sie setzt darauf, dass sich im selben Zeitraum die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer um 40 Prozent, die der Verletzten um 30 Prozent verringern lässt. Dass das sehr wohl eine Herausforderung ist, lässt sich erahnen, wenn man sich allein das Unfalljahr 2012 anschaut. Etwa alle zwei Stunden musste die Polizei wegen eines verunglückten Radfahrers ausrücken. An sechs Prozent der mehr als 130 000 Verkehrsunfälle waren Radfahrer beteiligt. Wie die Statistik auch verrät, verletzten sich 4 533 dabei leicht und 628 schwer. Für 15 endete die Radfahrt tödlich. An sie erinnern die 15 weißen „Geisterräder“, die der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) zur Mahnung an den Unfallstellen installierte. Diese Mahnung ist berechtigt, denn der Anteil der Radfahrer am Unfallgeschehen ist auffallend hoch. „Obwohl diese Gruppe nur mit 5,6 Prozent am Unfallaufkommen beteiligt ist, zeigen sich Radfahrer in der Verunglücktenbilanz stark überrepräsentiert“, sagte Polizeipräsident Klaus Kandt. „Nur in dieser Risikogruppe ist ein deutlicher Anstieg der Verkehrstoten festzustellen“, so Kandt. Ein Plus von 36 Prozent. Bei Fußgängern nahm der Anteil ab, bei Autofahrern blieb er etwa gleich. Insgesamt forderte der Berliner Verkehr 2012 42 Todesopfer. Dabei sahen die Zahlen 2010 schon mal sehr
Friedrichstr. . lmstr Wilhe
isher nutzt nur ein kleiner Teil der Berliner Radfahrer das Zweirad, um damit längere Strecken zurückzulegen. 3,7 Kilometer sind es im Durchschnitt. Nach den Überlegungen der Verkehrsplaner sollen es mehr werden, um die Stadt weiter vom Autoverkehr zu entlasten. Wer größere Distanzen überwinden will, bezieht oft auch öffentliche Verkehrsmittel in seine Reiseplanung mit ein. Allein die S-Bahn in Berlin transportiert bereits etwa 18 Millionen Fahrräder im Jahr, an manchen Tagen bis zu 60 000. An fast drei Vierteln der S-Bahnhöfe gibt es mehr als 10 000 Abstellplätze. Im Tagesgeschäft klappt die Mitnahme allerdings nicht immer reibungslos. Wie S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz sagt, findet nicht jeder Radfahrer in das zur Mitnahme vorgesehene Mehrzweckabteil und wird dann zum Hindernis oder Sitzplatzblockierer. Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband wird noch etwas deutlicher. „Wir sehen an manchen Tagen die Mitnahmekapazitäten bereits erreicht.“ Im Gerangel zwischen Radfahrern und anderen Passagieren sei es bereits zu Verletzungen gekommen. Wieseke wünscht sich eine bessere Kenntnis der in allen öffentlichen Verkehrsmitteln geltenden Beförderungsbestimmungen, die einen Vorrang der Passagiere ohne Rad vorsehen. „Dann kommen die Kinderwagen und die Rollstuhlfahrer, und wenn dann noch Platz ist, die Biker“, sagt er. Für die BVG, die inzwischen mit Isabel Heins auch eine eigene Fahrradbeauftragte hat, drückt der Schuh an einer anderen Stelle. Zwar stiegen auch in U-Bahn und Straßenbahn die Beförderungszahlen, 2012 verkaufte man sechs Prozent mehr Fahrradtickets als 2011. Engpässe seien bislang aber selten. „Das Thema Rücksicht würden wir vorrangig bei der gemeinsamen Nutzung der Busspur verorten“, sagt Isabel Heins. Dort fühlten sich die Busfahrer mitunter vom Radverkehr ausgebremst. Gemeinsam mit dem ADFC setze man sich deshalb für neue Busspuren mit einer Mindestbreite von 4,75 Meter ein. (mwo.)
Moritzplatz 17 beteiligte Radfahrer (13 Leichtverletzte)
Mühlenstr./Stralauer Allee/ Warschauer Str./Am Oberbaum 17 beteiligte Radfahrer (10 Leichtverletzte) Mü hle Blücherstr./Zossener Str. ns tr. 13 beteiligte Radfahrer KREUZBERG Ora (1 Schwer-/ 11 Leichtnien verletzte) str. er Str. Skalitz Gitschiner Str. Kottbusser Tor 17 beteiligte Radfahrer (10 Leichtverletzte)
Hauptunfallursachen von Radfahrern falsches Verhalten gegenüber Fußgängern
186 201 227 229 211 232
Alkoholeinfluss nicht angemessene Geschwindigkeit Fehler beim Einfahren in den fließenden Verkehr
321 345 343 427
Benutzung der falschen Fahrbahn
2010 2011 2012
662 619
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1 108 1 113
B E R L I N E R Z E I T U N G / A N J A K Ü H L ; QU E L L E : U N FA L L B E R I C H T B E R L I N
Hauptunfallursachen von anderen Verkehrsteilnehmer bei Radunfällen Nichtbeachten der Verkehrsregelung Ungenügender Sicherheitsabstand Fehler beim Einfahren in den fließenden Verkehr Nichtgewähren der Vorfahrt Fehler beim Abbiegen
64 64 56
148 154 156
2010 2011 2012
402 475 457 519
651 608
1 180
1 441 1 461
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viel besser aus, als die Stadt den Tiefststand von sechs getöteten Radfahrern verzeichnete. Der Trend hat sich umgekehrt, die Ursachen sind geblieben. Am häufigsten waren es Fehler beim Abbiegen, überwiegend von LkwFahrern begangen, die den Radlern zum Verhängnis wurden. Aber auch untereinander – meist im Gegenverkehr – kommen sich Radfahrer mitunter gefährlich in die Quere. Fast ein Drittel der 52 tödlichen Unfälle seit 2008 geschah auf diese Weise, wie der ADFC bilanziert. War von den Todesfällen hauptsächlich die Altersgruppe der über 60-Jährigen betroffen, schätzen die Verkehrsexperten das allgemeine Unfallrisiko für Fahrradfahrer verteilter ein. Der jüngste Bericht des Berliner Verkehrssicherheitsforums erkennt auch Handlungsbedarf für die Altersgruppen von Kindern zwischen elf und 17 Jahren sowie für die der „Mittelalten“ zwischen 25 und 64 Jahren. Während die ganz Jungen und die Senioren über 75 eher als Fußgänger aufpassen müssen. Ein erhöhtes Radfahrrisiko listet der Bericht für Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Mitte und TreptowKöpenick auf. Für Fußgänger sind Neukölln, Mitte, Charlottenburg und Friedrichshain-Kreuzberg Bezirke verstärkter Aufmerksamkeit. Im Städtevergleich gilt die Berliner Unfallstatistik nicht als dramatisch. Anlässe zum Handeln bietet sie dennoch genug. Unter anderem durch die Ausdehnung des Radstreifen-Netzes auf Fahrbahnen versucht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, die Gefahr beim Rechtsabbiegen einzudämmen. (mwo.)
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Gleichberechtigt auf der Straße Neue Regeln im Verkehr
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„Verschiedene Wirklichkeitswahrnehmungen“ Unfallforscher Siegfried Brockmann untersucht das Verhältnis von Radlern und Autofahrern
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ie steigende Zahl der Radfahrer ist nicht jedem Autofahrer geheuer. Mitunter geraten beide Parteien heftig aneinander. Die Ursachen der Spannungen untersucht Siegfried Brockmann, 53, Leiter der Unfallforschung beim Gesamtverband der Versicherer (GDV). Herr Brockmann, sollten nicht die Straßenverkehrsregeln dafür sorgen, dass sich der Frust auf der Fahrbahn in Grenzen hält? Nur beobachten wir immer öfter, dass diese Regeln nach den eigenen Bedürfnissen ausgelegt werden. Sie sehen das an der Zahl der Geschwindigkeitsüberschreitungen, an der Missachtung des Rotlichts und dergleichen. Bei Radfahrern passieren solche egoistischen Interpretationen sehr häufig mit dem Argument: Ich schädige doch niemanden. Aber das kann sich schon im nächsten Moment als verhängnisvoller Irrtum erweisen. Warum haben Auto- und Radfahrer so häufig Stress miteinander? Das hängt unter anderem mit zwei sehr verschiedenen Wirklichkeitswahrnehmungen zusammen. Für den Radfahrer stellen Masse und Geschwindigkeit eines sich schnell annähernden Autos auch ohne unmittelbaren Konflikt bereits eine Bedrohung dar. Während der Autofahrer, sobald er eingestiegen ist, seine Fähigkeit zum Mitgefühl für andere Verkehrsteilnehmer einzubüßen scheint. Auch eigentlich aggressivitätsunverdächtige Mütter von Kleinkindern erlebt man in der 30er-Zone vor ihrer Kita sehr häufig mehr als doppelt so
Wegen bleiben. Wie reagiert man darauf? Jedenfalls nicht so, dass die alten Abschnitte auf dem Gehweg noch als eine Art undeklariertes Angebot belassen werden. Jetzt aber, ohne blaues Schild, nicht mehr gewartet werden müssen. Das sieht man derzeit immer häufiger. Aber das schafft neue Verunsicherungen. Sie müssen zurückgebaut werden, oder offizieller Fahrradweg bleiben.
schnell. Diese divergierenden Geschwindigkeitswahrnehmungen bilden ein Konfliktpotenzial. Worin besteht denn das Risiko des Radfahrens in einer Stadt? Gut nachvollziehbar, Fahrräder haben keinen Airbag, sind ziemlich ungeschützte Verkehrsmittel. Das erhöht massiv die Verletzungsgefahr, vor allem am Kopf, wenn der nicht wenigstens durch einen Helm geschützt wird. Das wird bei allen denkbaren Verbesserungen auch so bleiben und sollte den Radfahrer von selbst zu einer vorausschauenden Fahrweise motivieren. Noch weniger bewusst ist vielen Bikern: Sie sind – insbesondere aus dem rechts abbiegenden Auto heraus – schwer zu erkennen. Je schneller das Rad unterwegs ist, desto größer das Risiko. Darauf muss man sich einstellen. Denn trotz Schulterblick verschwindet die schmale Fahrradsilhouette ganz leicht im toten Winkel des Autofahrers zwischen Hindernissen am Straßenrand und immer breiter werdenden B-Säulen der Autos. Das macht die Abbiegesituation zum Risikoschwerpunkt und spiegelt sich auch deutlich in den Unfallzahlen wider. Welche Möglichkeiten hat der Radler, sein Risiko zu verkleinern? Gut erkennbar sein, ist das eine. Das andere wäre, abbiegende Straßen vorsichtig und bremsbereit zu passieren. Denn es ist keineswegs so, dass nur die abbiegenden Autofahrer die Aufmerksamkeit vermissen lassen. Es kommt vor, dass bei Unfällen mit Lkws der Aufprall in der Mitte oder am Heck des Fahrzeuges statt-
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Unfallforscher Siegfried Brockmann
fand. Da war das Fahrerhaus längst um die Ecke. Sodass man sich fragen musste, wer hat hier eigentlich wen übersehen? Fahrradstreifen auf der Fahrbahn sollen nun das Risiko solcher unliebsamen Begegnungen reduzieren. Stimmt das mit Ihren Erkenntnissen überein? Aus Sicht des Unfallforschers stimme ich dem zu, eben weil man als Fahrradfahrer viel früher und besser wahrgenommen wird. Aber auf dem Rad beschleicht auch mich ein ungutes Gefühl, so dicht neben vorbeirasenden Autos unterwegs zu sein oder auf die Fahrbahn ausweichen zu müssen, um ein einparkendes Auto zu umkurven. Ich gehe davon aus, dass viele Ältere das neue Angebot meiden werden. Umfragen sagen, dass 80 Prozent der Radfahrer lieber auf separaten
Wo sehen Sie darüber hinaus Handlungsbedarf? Die Radinfrastruktur insgesamt muss von realistischen Planungen ausgehend auf die neuen Bedürfnisse reagieren. Das gilt etwa auch fürs Linksabbiegen. Wenn ich dem Radfahrer da nicht auch einen Abbiegestreifen zubillige, ihm komplizierte Manöver über zwei Autofahrspuren hinweg zumute, wird er sich doch eigene Wege suchen. Der Weg ins städtische Fahrradparadies ist also lang? Ja, vor allem in polyzentrischen Städten wie Berlin, weil es hier eine große Vielfalt möglicher Wegebeziehungen gibt. Fortschritte lassen sich nur schrittweise erzielen. Um so wichtiger ist mir das Motto der aktuellen Kampagne: Rücksicht! Wir dürfen diesen Handlungsgrundsatz nicht einfach so preisgeben. Und das tut etwa auch ein Radfahrer, der sich auf dem Gehweg in beliebige Richtung breitmacht. Das führt dann zur Anarchie, unter der am Ende insbesondere die schwächeren Verkehrsteilnehmer leiden. Interview: Martin Woldt
it der wachsenden Zahl von Radfahrern wächst auch deren Verantwortung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, die geltenden Regeln im Straßenverkehr einzuhalten. Das machen auch die neuen, seit dem 1. April leicht angehobenen Bußgelder für eine Reihe von Verstößen deutlich – so kostet beispielsweise künftig das Nichtbenutzen eines beschilderten Radwegs 20 bis 35 Euro. Die Bußgelder basieren auf der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO), deren Auswirkungen auf den Radverkehr der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) grundsätzlich begrüßt. „Wenn Städte und Gemeinden die neue StVO konsequent umsetzen, stärken sie den Radverkehr und machen ihn sicherer“, sagt der ADFC-Bundesvorsitzende Ulrich Syberg. Zu den wesentlichsten Änderungen zählt die Gleichstellung der Fahrbahnstreifen als Radweg mit den bisherigen Fahrradwegen neben dem Gehweg. Unter Verkehrsexperten hat sich im Unterschied zum subjektiven Empfinden vieler Radler die Meinung durchgesetzt, dass die Radstreifen auf der Fahrbahn sicherer sind – weil sich Auto- und Radfahrer gegenseitig besser wahrnehmen. Die aufgewerteten Fahrbahnstreifen haben Folgen: „Zukünftig gelten Ampeln für die Fahrbahn auch für Radfahrer. Nach Fußgängerampeln mit ihren kurzen Grünphasen müssen sie sich nicht mehr richten“, so der ADFC. Wo aber noch die Fahrradampeln in Betrieb sind, müssen diese beachtet werden. Solange für Radwege neben Gehwegen keine Fahrradsignale eingerichtet sind, müssen Radfahrer die Fußgängerampeln befolgen. Akzeptanz und Nutzung der Fahrbahnstreifen dürften auch davon abhängen, wie es gelingt, diese von parkenden Autos freizuhalten. So weist der ADFC-Berlin darauf hin, dass hier „grundsätzlich nicht mehr geparkt“ werden dürfe. Das Befahren durch Kfz sei nur bei besonderer Verkehrslage, etwa um Gegenverkehr auszuweichen, erlaubt. Neu regelt die StVO die Benutzung von Fahrradwegen auf der linken, also der entgegen zur Fahrtrichtung verlaufenden Seite. Sie ist dann erlaubt, wenn diese Wege nicht mit einem blauen Fahrradwegzeichen markiert sind. Außerdem müssen diese Wege durch das allein stehende Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ gekennzeichnet sein. (mwo.)
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Blickkontakt kann Leben retten
Lastwagenfahrer sehen beim Rechtsabbiegen nicht alles in ihren Spiegeln – dieser tote Winkel kann für Radfahrer tödlich sein
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rontspiegel, Rampenspiegel, Weitwinkelspiegel, die rechte Seite eines modernen Lkw ziert eine ganze Batterie von Sichtverbesserern. Sie alle sollen den toten Winkel im Blickfeld des Fahrers möglichst klein halten, wenn er eines seiner sensibelsten Fahrmanöver ausführt: das Rechtsabbiegen an Kreuzungen. In diesem Moment nämlich wird er besonders für Radfahrer zum Risikofaktor. Vor allem in Berlin: Ein Fünftel aller Rechtsabbiegeunfälle zwischen Lkw und Radlern ereignet sich in der Hauptstadt, wie eine Dekra-Studie ermittelt hat. Im vergangenen Jahr gab es fast 1500 solcher Kollisionen, mehr als je zu vor. Das ist ein Fünftel aller Unfälle, in die Fahrradfahrer 2012 verwickelt waren. Unfallursache Nummer 1
Fehler beim Rechtsabbiegen sind die Unfallursache Nummer 1, wenn es um Radunfälle geht. Risikoreich ist die Situation vor allem dann, wenn der Radweg unmittelbar neben der Fahrbahn verläuft. Lkwund Radfahrer haben beide grün, kreuzen nun aber die Fahrtrichtung. Prinzipiell hat das Rad Vorfahrt. Und wenn der Lkw-Fahrer den Radler sieht, ist das kein Problem. Aber was, wenn nicht? Denn trotz allerlei Sichtverbesserungen bleiben einige tote Flecken im Blickfeld des Fahrers. Längst sind sich die Verkehrsexperten einig, dass man die Situation nicht allein dadurch verbessert, indem man die Lkw technisch aufrüstet. Denn wie Gerd Bretschneider, Geschäftsführer der Fuhrgewerbe-Innung Berlin-Brandenburg, erläutert, hat
Vorschrift waren. Und auch nicht jeder Fahrer überprüft regelmäßig, ob seine Spiegel optimal eingestellt sind. Gerd Bretschneider ist optimistisch, dass die Technik in den nächsten zehn Jahren so große Fortschritte macht, dass etwa Fahrassistenzsysteme einen neuen, viel detaillierteren Rundumblick gestatten. Entsprechende Sensoren könnten dann gar verhindern, dass das Fahrzeug überhaupt abbiegen kann, wenn sich Personen in der Gefahrenzone befinden. Derzeit aber sei die Aufklärungsarbeit auf allen Seiten noch die wirksamste Gefahrenabwehr.
ein abbiegender Lkw-Fahrer inklusive aller Spiegel inzwischen vier Sichtfelder zu berücksichtigen. „Alle gleichzeitig zu überblicken, damit ist jeder Verkehrsteilnehmer überfordert“, sagt Bretschneider. Gleichzeitig muss der LkwFahrer auf der Hut sein, weil nach wie vor 17 Prozent des Sichtfeldes versperrt bleiben. „Fast immer geben die Fahrer bei einem Unfall an, den Radfahrer wegen des toten Winkels nicht gesehen zu haben“, berichtet die Berliner Polizei in ihren Unfallanalysen. Die Fuhrgewerbe-Innung will, neben einer verstärkten Aufklärung in den eigenen Reihen, mehr für die Prävention der Allgemeinheit tun. Die VSBB Verkehrssicherheit Berlin-Brandenburg GmbH ist ein Tochterunternehmen der Fuhrgewerbe-Innung, das sich mit einer Kampagne insbesondere an Schüler wendet. Der Aha-Effekt vermittelt sich beim Erleben, wenn die Schüler selbst auf den Fahrersitz klettern können. Damit will man die Sensibilität bei Radlern für die Gefahr schärfen und einen simplen wie wirksamen Rat vermitteln: „Suchen Sie den Blickkontakt zum Fahrer eines rechts abbiegenden Lkw. Denn sehen Sie den Fahrer, kann auch er Sie sehen!“
Länger Grün für Radler Bei der Berliner Polizei sieht man aber auch noch weitere Verbesserungsmöglichkeiten. In einem eigens aufgelegten Programm soll das Konfliktpotenzial zwischen Lkw und Rad schrittweise unter anderem durch einen ausreichenden „Grünvorlauf“, also eine längere Ampelphase für Radfahrer, reduziert werden. Auf stark befahrenen Lkw-Routen könnte „gelbes Blinklicht“ auf die querenden Radfahrer aufmerksam machen. Des Weiteren zielen die Vorschläge auf das Anlegen von gestaffelten Haltlinien, sodass Radler vor dem Lkw stehen, sowie die Einrichtung von Radfahrerschleusen oder größeren Aufstell- und Abbiegestreifen für Fahrradfahrer. Dadurch können Radler besser ins Blickfeld der Lkw-Fahrer rücken. Auch an eine Ausweitung von Halteverboten an Kreuzungen wird bei der Polizei gedacht, um den Lastwagen-Fahrern eine freiere Sicht zu ermöglichen. (mwo.)
Gegen eingeübte Routine Aber auch bei den Lkw-Fahrern gibt es noch genug Präventionsarbeit zu leisten. Wie Untersuchungen der Dekra zeigen, blicken längst nicht alle Fahrer in alle zur Verfügung stehenden Spiegelflächen. Über Jahre eingeübte Routinen folgen mitunter noch Gepflogenheiten, die in Zeiten entstanden, als längst noch nicht so viele Spiegel
Zielbremsen und Eine sinnvolle Verkehrserziehung setzt früh an – deshalb sollen Grundschul-
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o wie Lilli stellt man sich eine Berliner Göre vor. Haare und Kleidung ähnlich wie Pippi Langstrumpf. Nur die Klappe ist noch ein bisschen größer. Lilli – „Mobililli“ – ist das Maskottchen, eine Puppe, mit der der Automobilclub Europa (ACE) spielerische Verkehrserziehung in der Grundschule betreibt. Janine Rettig ist die Projektkoordinatorin und kommt mit ihren drei Kollegen in einem Mercedes Sprinter direkt auf den Schulhof. Im Handumdrehen verwandelt dieser sich in einen Verkehrsparcour, auf dem sich nun ein
ganzer Aktionstag für die ersten bis vierten Klassen abspielt. „Wir wollen praktische Anstöße geben, damit sich die Kinder selbstständig und sicher in der Stadt bewegen“, erklärt Janine Rettig. Das Fahrrad und seine Handhabung spielen dabei eine wichtige Rolle. Und so wundert man sich auch nicht lange über so wenig olympische Disziplinen wie „Zielbremsen“ oder „Langsamfahren“. Erlernt wird gar, was man sonst lieber bleiben lässt: einhändiges Steuern seines Zweirades. Und der tückischste Feind des Radfahrers,
der tote Winkel, der genießt besondere Aufmerksamkeit. Was ist das und wie tot ist er überhaupt; und warum kann er eine ganze Schulklasse verschlucken? Das demonstriert „Mobililli“ mit Hilfe des mitgebrachten Mercedes SprinterLieferwagens. Kinder und Lehrer dürfen sich mal in die Fahrerperspektive begeben und bekommen eine Ahnung, dass der Mann am Steuer gerade beim Abbiegen eine schwere Verantwortung trägt, mit deren Last man ihn nicht alleine lassen sollte. Aber die Vorstellung, dass ein einzelner Aktionstag in
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Wenn die Zeit drängt und der Stress zunimmt Aggressivität im Straßenverkehr hat viele Ursachen / Psychologen raten zu mehr Gelassenheit
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ben sich die meisten als hilflos und ohnmächtig, erklären Verkehrspsychologen. Darauf wiederum reagieren nicht wenige hinterm Steuer und am Lenker mit Wut und Zorn als einer Form der Selbstbehauptung. Die typische Reaktion, um sich Bewegungsfreiheit vermeintlich zurückzuerobern. Das könne „in Extremsituationen“ jedem passieren, meint der Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss. Die Aggressionserklärung gilt mehr oder weniger für alle Verkehrsteilnehmer. Besonders jedoch verhält es sich mit dem Verhältnis Autofahrer-Radler: Da konkurrieren zwei ähnliche Freiheitsgedanken um ihren Platz und zunehmend auch ihre Vormachtstellung auf der Straße. Als Erbe der Kutsche lebt das Automobil einen „Tagtraum vom hochherrschaftlichen Transport“. Viele Verkehrsregeln über Jahrzehnte geformt, gehen stillschweigend von seiner begründeten Vorherrschaft aus. Ampelphasen, Abbiegevorschriften, Vorfahrtsregelungen – und sogar der ungleich verteilte Verkehrsraum in der Stadt werden durch eine stetig wachsende Radfahrerzahl infrage gestellt. Diese Situation hat das umstrittene Phänomen des „Kampfradlers“ hervorgebracht. Das sind jene Zweirad-Desperados, die sehr gut zur These des Wissenschaftlers Andreas Knie vom Berliner Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel passen, der sagt: „Der öffentliche Raum muss völlig neu aufgeteilt werden.“ Der Kampf darum habe gerade begonnen. Aber so „ungerecht“ die Verteilung auch sein mag, im „Freiheits-
b bei Autofahrer, Radler oder Fußgänger – das Unterwegs-Sein in der Stadt findet im Regelfall nicht zum Selbstzweck statt. Zumeist geht es um die Aktivität am Ende des Weges. Es liegt also nahe, dass man dem Zweck einer Reise eine größere Priorität zubilligt als dem Weg zum Ziel. In der Folge kalkuliert der Reisende – gerade in Zeiten großer Arbeitsverdichtung – die Minuten unterwegs eher knapp. Häufig führen solchermaßen erzeugte Eile und Hetze zu Stress, der wiederum eine Grundlage für Aggressionen bildet. Allerdings, das Missmanagement in Reisezeitfragen scheint das Phänomen mieser Laune im Straßenverkehr nur bedingt zu erklären. Wie die Diskussionen auf dem jüngsten Verkehrsgerichtstag in Goslar zeigen, liegen die Dinge offenbar tiefer. In einer Art Fundamentalkritik warnte der Automobil Club Europa (ACE): „Es sollte allen klar sein, je lieber wir uns in einem einzig auf Tempo, Konkurrenz, Vorteil und Rendite gedrillten Gesellschaftssystem bewegen, desto mehr ungeliebte Rambos tummeln sich auf unseren Straßen.“ Entgleiten von Kontrolle Oft hat man es nicht selbst in der Hand, entspannt ans Ziel zu kommen: „Im Straßenverkehr passiert es beinahe jede Sekunde, dass die eigenen Intentionen von anderen Verkehrsteilnehmern durchkreuzt werden“, sagt Unfallforscher Siegfried Brockmann. Zeitverluste erleben viele Verkehrsteilnehmer als ein Entgleiten von Kontrolle und Selbstbestimmung. In solchen Situationen erle-
Langsamfahren Kinder lernen, rücksichtsvoll auf der Straße miteinander umzugehen der Grundschule eine solide Basis für eine unfallfreie Radfahrerkarriere wäre, hat Janine Rettig nicht. „Dennoch bekommen wir von Eltern und Lehrern häufig bestätigt, wie sinnvoll unser spielerisches Lernangebot ist“, sagt sie. Die Vorbereitung auf die in der Berliner Grundschulordnung vorgeschriebene Fahrradprüfung in der vierten Klasse etwa sei mit „Mobilillis“ Hilfe doch ein bisschen wirkungsvoller. Dass es trotz dieser und anderer Initiativen noch immer viel zu tun gibt, bestreitet Joachim Krey
von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung um Umwelt, die die Mobilitäts- und Verkehrserziehung koordiniert, erst gar nicht. „Wir haben die Mittel für solche Aktivitäten nach und nach aufgestockt und reichen inzwischen 450 000 Euro pro Jahr an qualifizierte Partner wie den ACE oder den ADFC weiter“, sagt er. Ein großer Teil der Angebote ist auf Kinder im Grundschulalter ausgerichtet. „Vor allen Dingen“, sagt Krey, „weil sich Haltungen wie Rücksicht im Straßenverkehr sehr früh ausprägen.“ Dahinter verberge sich nicht
nur eine Charakter-, sondern letztlich auch eine Kostenfrage. „Mit 450 000 Euro erreichen sie mehr als 50 000 Schüler im Jahr, aber sie brauchen schon eine ganze Million, um eine einzige Kreuzung sicherer zu machen“, so Krey. Zu den jüngsten Bausteinen der Mobilitäts- und Verkehrserziehung gehören Kinderstadtpläne, die mit professioneller Unterstützung durch Schüler und Lehrer selbst erarbeitet werden. Bei deren Entstehung lernen Kinder die Perspektive von Rad- und Autofahrern kennen. (mwo.)
kampf“ der Pedal-Anarchos spiegeln sich womöglich nur zu bekannte Muster. So wie das Auto ist auch das Rad für manchen Fahrer längst Teil seiner psychischen Ausstattung. Eine Art verlängertes Ego, wie der Dresdner Verkehrspsychologe Bernhard Schlag sagt. Ein Selbst-Objekt, aufgeladen mit den eigenen Wünschen, Fantasien und Vorstellungen, „wie man sein und wie man wahrgenommen werden möchte“ im sozialen Raum der Straße. Das Auto, und wohl auch das Rad, diene der Regulation des Selbstempfindens und des Selbstwertgefühls. Rücksichtsappelle bleiben in diesem Umfeld vermutlich ähnlich wirkungslos, wie im harten Kern der Autofahrergemeinde. Schwache Persönlichkeiten Aggressivitätstäter hält der Unfallforscher Siegfried Brockmann für „eher schwache Persönlichkeiten mit geringer Selbstkontrolle, die ihr Revier verteidigen wollen“. Ein Fahrertyp, dem man nur mit Härte beikommen könne. Zwar gebe es für Aggressionen keinen handhabbaren Gradmesser wie eine Maßzahl. Aber da, wo sie wie häufig von eklatanten Gesetzesverstößen begleitet werden, ließe sich auch ein entsprechendes Strafmaß festsetzen. Eine gewisse Hoffnung, dass sich die Aggressivität im Straßenverkehr von selbst regulieren könnte, hegt der ACE und setzt dabei auf den demografischen Wandel: „Der Verkehr bekommt mehr und mehr Falten, er wird altersweise und gelassener, und er entdeckt für sich die Vorteile der Langsamkeit.“ (mwo.)
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Ein Rad für den Gewinner!
Bei der Verlosung der Kampagne Rücksicht im Straßenverkehr gibt es unter anderem ein verkehrssicheres Fahrrad für die Leser
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nautschzonen gibt es für kein Fahrrad, auch keine Sicherheitsgurte und keinen Airbag. Umso wichtiger ist es, dass Radfahrer vorausschauend und defensiv fahren – denn selbst wenn sie im Recht sind, im Zweifel ziehen sie bei einem Unfall mit Auto oder Lastwagen doch immer den Kürzeren. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, mit einem verkehrssicheren Rad unterwegs zu sein – auch das vermindert schon mal das Unfallrisiko. Neben zwei unabhängig von einander arbeitenden Bremsen gehört zum Beispiel eine Beleuchtung dazu (siehe Kasten). Ein solches verkehrssicheres Rad der Marke BBF verlost die Berliner Zeitung unter den Lesern dieser Beilage. BBF ist ein Berliner Traditionsunternehmen, das seit nunmehr mehr als 20 Jahren Fahrräder namhafter Firmen als Großhändler führt und auch eigene Markenfahrräder anbietet. Verlost wird ein BBF-Citybike „Venezia“ mit Alu-
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Ein verkehrssicheres Rad muss folgende Ausstattungen haben:
laubt. Scheinwerfer und Rückleuchte müssen nicht fest installiert sein.
Bremsen: Je eine unabhängige am Vorderund Hinterrad.
Pedale: Beide müssen rutschfest sein, nach vorn und hinten müssen sie gelbe Rückstrahler aufweisen und fest verschraubt sein.
Licht: Eine fest installierte Beleuchtung, die vorn weißes, hinten rotes Licht erzeugt und vom Dynamo gespeist wird, ist Pflicht. Reflektoren: Vorn in Weiß und hinten in Rot sind auch vorgeschrieben. Ausnahme: Für Rennräder bis elf Kilogramm ist anstelle des Dynamos eine Batterie als Stromquelle erminiumrahmen, Federgabel und Shimano-Schaltung. Zweiter bis fünfter Preis des Gewinnspiels ist jeweils eine wasser-
Klingel: Auch sie ist vorgeschrieben. Sie soll einen hellen und lauten Klang haben. Speichenrückstrahler: Zwei sogenannte Katzenaugen an Vorder- und Hinterrad sind Pflicht – ansonsten müssen die Reifen weiß reflektierende Streifen haben.
dichte Fahrrad-Aktentasche „Downtown“ des Herstellers Ortlieb, die auch als Schultertasche genutzt werden kann.
Sechster bis neunter Preis ist je ein Fahrradhelm „Urban-I Berlin“ der Firma Abus. Dieser Helm verfüg über 15 Lufteinlässe und sechs
Luftauslässe und hat sogar ein LED-Licht im Verstellrad für zusätzliche Sicherheit. Wer Fahrrad, Tasche oder Helm gewinnen will, kann sich an dem Gewinnspiel beteilgen. Er muss lediglich folgende Frage beantworten: Der Senat will die Anzahl der mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege bis zum Jahr 2025 auf 18 bis 20 Prozent aller Wege erhöhen. Für wie viele Wege steigen die Berliner bereits heute täglich aufs Rad? A) für 15 000 B) für 150 000 oder C) für 1,5 Millionen Wege. Bitte notieren Sie den Buchstaben der richtigen Antwort und senden Sie diesen versehen mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse an Berliner Zeitung Stichwort Christophorus 10171 Berlin Oder an: christophorus@berlinerzeitung.de Einsendeschluss ist der 29. April.