Schwerpunkt: HALBWERTSZEIT
Cartoonmuseum Basel: PLONK & REPLONK
Christoph Merian Verlag: HÖRT DIE BÜCHER!
SHORTCUT DAS KULTURMAGAZIN DER CHRISTOPH MERIAN STIFTUNG
#4
April 2014
DEUTSCHER HÖRBUCHPREIS FÜR «FALLBEIL FÜR GÄNSEBLÜMCHEN»
EDITORIAL —
Eine bekannte Schweizer Stiftung mit dem Förderschwerpunkt Wissenschaft unterstützt grundsätzlich nur innovative Initiativen. Gefragt seien Projekte «von hoher Relevanz und wissenschaftlicher Qualität, die durch ‹Originalität›, ‹Wirksamkeit›, ‹Transferpotential› und ‹Interdisziplinarität› abgesichert» sind und sich in der fragilen Phase zwischen Prototyp und Massenproduktion, also im Stadium mit dem emphatischen Namen «Tal der Tränen», befinden. Beeindruckt von diesem Statement, hat sich die Kulturabteilung der Christoph Merian Stiftung im vergangenen Jahr Gedanken darüber gemacht, ob sich diese Förderideen aus den Gefilden der Wissenschaftstechnik auch auf den Bereich der Kultur übertragen lassen. Basierend auf den entsprechenden internen Diskussionen widmet sich der Schwerpunkt der vierten Ausgabe von «Shortcut» den Fragen rund um das Thema von Fortschritt und Innovation, von Erfinden und Vergessen, von Nachhaltigkeit und Wertezerfall in unsrer beschleunigten Warenindustrie. Mit den verschiedenen Beiträgen möchten wir einige kritische, skeptische, aber auch charmant-absurde Antworten geben: Aus der Perspektive der digitalen Kunst, des Buchhandels, der Collagekunst und der Kulturförderung beleuchten wir einige Aspekte zu Novität und Invention – sozusagen direkt aus dem Auge des Orkans. Alexandra Stäheli, Leiterin iaab
In der ersten «Shortcut»-Ausgabe 2013 stellten wir unsere Zusammenarbeit mit der Stiftung Radio Basel vor. Seit 2007 vergibt sie den internationalen Featurepreis für herausragende Radiofeatures von ARD, ORF und SRF. Das Gewinnerfeature erscheint jeweils auf CD im Hörbuchprogramm des Christoph Merian Verlags. Feature ist eine faszinierende Form der Radioreportage und «Fallbeil für Gänseblümchen» – das Gewinnerfeature von 2012 – ein besonders eindrückliches Stück. September 1955, ein Gerichtssaal irgendwo in Ostberlin: Der Spionageprozess gegen Elli Barczatis, Sekretärin des DDR-Ministerpräsidenten, und ihren Geliebten Karl Laurenz findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Aus den bisher unveröffentlichten Originaltonaufnahmen der Staatssicherheit, begleitet von wenigen Kommentaren, entstand dieses Feature. Es zeigt in bewegender und exemplarischer Weise, wie Rechtsprechung in einer Diktatur funktioniert. Noch heute, sechzig Jahre nach der Verhandlung, sind die Rhetorik und die Fangfragen des Richters kaum zu ertragen, ist die Bedrohung förmlich zu spüren. Das Hörbuch sorgte bereits im letzten Jahr für viel positives Presse-Echo und wurde gut verkauft. Es liegt nun in der zweiten Auflage vor. Ein besonderer Höhepunkt war die Nominierung für den Deutschen Hörbuchpreis, der 2003 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, ein Qualitätssiegel für das Hörbuch zu schaffen. Diese Idee fand – und findet – zahlreiche Befür-
worter. Dies führte im Jahr 2006 zur Gründung des Deutschen Hörbuchpreises e.V. mit weiteren wichtigen Mitgliedern, unter anderem dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem «Focus»-Magazin. Heute sind verschiedene ARD-Anstalten und die Wochenzeitung «Die Zeit» die wichtigsten Partner des mit Abstand bedeutendsten Hörbuchpreises im deutschsprachigen Raum.
sich umfangreiche und preisgekrönte Features entwickelt, die auf O-Ton-Dokumenten basieren. Für die «Stammheim-Bänder» gewann er im März 2009 erstmals den Deutschen Hörbuchpreis, nun erhielt er bereits zum zweiten Mal diese wichtige Auszeichnung. Dem Christoph Merian Verlag wurde der Preis im Rahmen einer Gala in Köln verliehen. Es ist ein im wahrsten Sinne gewichtiger Preis, den er im März nach Basel brachte: Die Der Christoph Merian Verlag war Trophäe ist ein Unikat, besteht in den vergangenen Jahren bereits aus massivem Edelstahl und wiegt fünfmal für einen Preis in verstolze sechs Kilogramm! schiedenen Kategorien nominiert, was an sich schon eine grosse Oliver Bolanz Auszeichnung und Anerkennung für ein herausragendes Hörbuchprogramm darstellt. Nun hat es geklappt: Das Feature «Fallbeil für Gänseblümchen» setzte sich gegen starke Konkurrenz durch (Egon Bahr: «‹Das musst du erzählen›, Erinnerungen an Willy Brandt» und Peter Handke/ Siegfried Unseld: «Der Briefwechsel») und wurde als bestes Sachhörbuch ausgezeichnet! Die www.deutscher-hoerbuchpreis.de Jury schreibt zur Begründung: «Die Überfülle des zugrunde liegenden O-Ton-Materials haben Autor und Regisseur auf verdienstvolle Weise gefiltert. Ihr Feature leuchtet nicht nur die Persönlichkeit und Psyche der beiden Angeklagten aus, sondern entlarvt darüber hinaus die schamlose, ideologiekonforme Art der Prozessführung. Die Collage ist ein eindrucksvolles Zeitdokument, spannend und außerordentlich erschütternd.» Autor dieses Stücks Zeitgeschichte ist Maximilian Schönherr, der im Auftrag des WDR das Feature erstellt hat. Aus seinem Projekt «Archivradio» haben
EIN FEST DER KÜNSTE IM AUFBRUCH OSLO NIGHT 2014
Einmal im Jahr verwandelt sich der Dreispitz vom Industrieareal zur Festivalzone und die 40-Tönner machen dem interessierten Kunstund Kulturpublikum Platz. Für die diesjährige Ausgabe der Oslo Night am 24. Mai 2014 schliessen sich die Kulturakteure der Oslostrasse bereits zum dritten Mal zusammen und präsentieren ein spartenübergreifendes Programm aus Ausstellungen, Performances, Open-Air-Kino, Workshops, Konzerten und Party. Initiator dieses eintägigen Kunstfestivals ist das seit 2011 auf dem Dreispitz ansässige Haus für elektronische Künste Basel (HeK), das zusammen mit seinen Nachbarn erneut ein gemeinsames Festivalthema erarbeitet hat, um die Aktivitäten der unterschiedlichen Institutionen miteinander zu verbinden. Dies sind Radio X, die Fotogalerie Oslo 8, der Kunstraum OSLO 10 , das Internationale Austausch- und Atelierprogramm Region Basel iaab, das Fotofachlabor Pascale Brügger mit dem Aufziehatelier TRISUL und erstmals
auch die neu auf dem Areal ansässige Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW. Das Motto, auf das man sich für 2014 geeinigt hat, ist «Aufbruch»: Es verweist auf die grossen Veränderungen, die das Quartier in diesem Jahr erfahren wird. Die HGK / FHNW wird mit allen Instituten und Fakultäten auf das Dreispitzareal ziehen und mit ihren ca. 800 Studierenden und 200 Lehrkräften deutlich zur weiteren Transformation des Quartiers beitragen. Auch das HeK und iaab werden im November 2014 ihre neuen Räume am Freilager-Platz 9/10 beziehen. Schon jetzt ist die Veränderung vor Ort zu spüren – neue gastronomische Angebote entwickeln sich, die Studierenden der Hochschule erforschen ihr neues Quartier und die fertigen «Plätze» und Mini-Parks ziehen erste Flaneure an. Die beteiligten Partner inszenieren und interpretieren diese Aufbruchsituation auf unterschiedliche Weise. Im HeK wird im Obergeschoss die Ausstellung «Perspectives on Imaginary Futures» gezeigt, welche internationale
künstlerische Positionen beinhalten wird, die HeK installiert Raphael Lauper eine Werkstatt sich mit Fragen nach einer möglichen alterna- und veranstaltet einen «Upcycling» Workshop, tiven Zukunft beschäftigen. Gesellschaftliche den er im Zuge seines Diploms am Hyperwerk und ökologische Fragestellungen stehen dabei entwickelt hat. Kinder und Erwachsene sind ebenso im Fokus wie die Veränderungen des dazu eingeladen, Elektroschrott und AbfallAlltags. Gemeinsam ist den verschiedenen Po- teile zu verarbeiten und ihnen neues Leben sitionen in der Ausstellung ihre unbefangene einzuhauchen. Um die aktive Beteiligung des Herangehensweise, die unsere Vorstellungen Publikums geht es auch in einem vom HeK der Zukunft einer ironisch-kritischen Prüfung initiierten Open Call. Bis Ende April werden unterziehen. Video- und Filmbeiträge zum Thema «ImaDie US-Künstlerin Stephanie Rothenberg ginary Futures» gesammelt, die während der beispielsweise reflektiert in ihrem Online- Oslo Night in einem solarbetriebenen OpenProjekt «Laborers of Love/ Air-Kino vorgeführt werLOL» (2013), wie sich Seden. Dabei können sowohl xualität und Lust mit der eigene Clips als auch geEntwicklung neuer Medifundenes Material eingeen und Technologien und reicht werden. der dadurch ermöglichten Das mehrstündige MuArbeitsauslagerung in Zusikprogramm präsentiert kunft entwickeln werden. aktuelle Tendenzen der Der englische Künstler elektronischen Musik in Tobias Revell thematisiert einem entspannten Setin seiner fiktiven Dokuting auf dem Vorplatz der mentation «New Mumbai» HGK ab 18 Uhr und an (2012) die positiven Folgen der anschliessenden Party einer Invasion von Riesenab 23 Uhr im Kunstraum pilzen auf die EigenstänOSLO 10 . Im Aussenbedigkeit der Bewohner in reich spielen S S S S (CH) den Slums von Mumbai. und Huerco S. (USA). An Wie wir uns in Zukunft der Party tritt dann die alternativ ernähren könngesamte Crew des Young David Semper: Echo Labels aus Bristol ten, zeigt das Künstlerduo Auf der Strecke zwischen Studio und Old Delhi, Fotografie, 2013 auf. Dieser achtköpfige Burton Nitta aus GrossbriAusstellung iaab: tannien in seinem Projekt Verbund von Künstlern ge«Going places – Aufbruch in die Weite» «Algaculture» (2010 – 2014). hört zu einer neuen Welle Sie untersuchen, wie Menschen mit Algen von Musikern, die der Tradition Bristols als symbiotisch leben und sich so wie Pflanzen Stadt der Musik neue Impulse liefert. von Licht ernähren könnten. Weitere PositiVor der Party kann man die vom Team von onen stellen Zukunftsvorstellungen aus der OSLO 10 zusammen mit Margit Säde kuratierPeripherie von Bamako, der Hauptstadt von te Gruppenausstellung «Cats in the throat» Mali, vor (Neil Beloufa, «Kempinski», 2007) sehen. Gleich daneben im Fotofachlabor oder zeigen auf, wie das Aufziehen von Kin- Pascale Brügger / Aufziehservice Trisul und dern in Zukunft per Roboter funktionieren bei Radio X wird dem Publikum die Möglichkönnte (Addie Wagenknecht, «Optimization keit geboten, einen Blick hinter die Kulissen of Parenthood», 2013). Im Untergeschoss des zu werfen.
Die Fotogalerie Oslo 8 eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Polis – Bilder von Städten» mit Bildern der Fotografin Christa Ziegler. Während vier Jahren bereiste die Künstlerin zahlreiche Städte vornehmlich ausserhalb Europas und Nordamerikas und entwickelte eine eigenständige Perspektive auf den urbanen Raum. Sie verzichtet auf die Illustration sozialer Brennpunkte und begreift die Stadt vielmehr als eigengesetzlichen Körper. «Polis» ist gleichzeitig ein Bildband mit dazugehöriger Textedition, der um 19 Uhr von der Künstlerin selbst vorgestellt wird. Das Internationale Austausch- und Atelierprogramm der Region Basel iaab eröffnet an der Oslo Night die Ausstellung «Going Places – Aufbruch ins Weite», die Arbeiten von 20 Kunstschaffenden aus der Region Basel, Südbaden und Solothurn präsentiert, welche 2013 ein Stipendium für einen Aufenthalt in einem der Partnerateliers im Ausland erhielten. Dabei wird der Aufbruch nicht nur geografisch im Sinne des Aufbrechens an andere und ferne
Orte thematisiert, sondern, damit verbunden, auch als ein Aufbrechen der gewohnten Zeichensysteme und scheinbar selbstverständlichen künstlerischen Praktiken. Beteiligt sind unter anderem Dunja Herzog, Vanessa Safavi, Clare Kenny sowie Monica Studer und Christoph van den Berg. Der Beitrag der Hochschule für Gestaltung und Kunst kommt von der Vereinigung der Alumni HGK. Ehemalige Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen präsentieren selbst hergestellte Produkte und zeigen Showcases mit Workshops und partizipativer sowie performativer Kunst. Auf der Oslostrasse selbst wird den Besuchern ein ausgesuchtes kulinarisches Angebot offeriert, wobei auch hier das Thema der zukünftigen Lebenswelten in der Frage «Was wollen wir essen?» aufgegriffen wird. Leon Heinz, Student am Hyperwerk in Basel und Mitglied der Gastronauten, lädt die Besucher ein, unter professioneller Anleitung eine personalisierte Wurst aus unterschiedlichsten Zutaten zu
fertigen und im Anschluss an der gegenüberliegenden Grillstation zu konsumieren. Im breit gefächerten Angebot an Waren, die für die Wurst ausgesucht werden können – von Fleisch bis hin zu Sauerkraut und Gewürzen –, werden die Geschmacksnerven angeregt und aufgezeigt, wohin die Zukunft der Nahrungsmittelzubereitung gehen könnte. Die Initianten der Oslo Night begreifen sich als Pioniere und Mitgestalter eines neuen urbanen Raumes. Im Format einer organisierten Kollaboration eröffnet sich die Möglichkeit, in einem festlichen Ambiente einem grossen Publikum die Aktivitäten und Programme der einzelnen Partnerinstitutionen vorzustellen. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Bauarbeiten, den positiven Rückmeldungen des Publikums der letzten Jahre und dem Zuzug neuer Partner feiert die diesjährige Oslo Night den Neubeginn des Quartiers. Als alljährlicher Fixpunkt im lokalen und überregionalen Kulturkalender kann man auch in Zukunft an der Oslo Night die
Weiterentwicklung der Oslostrasse und des Areals mitverfolgen. Lukas Zitzer Lukas Zitzer ist im Haus für elektronische Künste Basel verantwortlich für die Kommunikation.
c Tobias Revell: New Mumbai Film Still, Video, 2012 Ausstellung HeK: «Perspectives on Imaginary Futures» g Die Oslostrasse an der Oslo Night 2013 Foto: Stefan Holenstein
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ANSICHTEN VON BASEL :
PLONK & REPLONK IM CARTOONMUSEUM
Andere versuchen vorauszuschauen, die Westschweizer Künstlerbrüder und Verleger Hubert und Jacques Froidevaux alias Plonk & Replonk aus La Chaux-de-Fonds blicken entspannt zurück. Sie recyceln alte Postkarten und Fotografien, die sie entweder mit Untertiteln subtil umdeuten oder in digitalen Bildbearbeitungsprogrammen neu kombinieren, und schreiben so an ihrer eigenen Version der (helvetischen) Geschichte. Jedes neue Bild von Plonk & Replonk behauptet eine weitere absurde, aber ungemein charmante Wahrheit, die einen Platz in ihrem Koordinatensystem aus inzwischen Hunderten von thematisch und gestalterisch verwandten Collagen findet. Mit ätzendem Humor, wenigen aber entscheidenden Bildmanipulationen und lakonischen bis skurrilen Kommentaren
wird die Vergangenheit umgepolt und der Gegenwart ans Schienbein getreten. Besonders über Erfindergeist und Verbesserungswahn machen sich Plonk & Replonk mit Verve lustig. Scheinbar Modernes, aufgegebene Berufe, überholte Sitten und widerlegte Mythen sind der Stoff, aus dem sie ihre Pointen formen. Ihr schräger Blick auf das Gestern lässt die Betrachter über die Lächerlichkeit alter Strategien schmunzeln und gleichzeitig ahnen, dass die heutigen kaum besser funktionieren. Die Wende zum 20. Jahrhundert, die Plonk & Replonk liebevoll verdreht wieder aufleben lassen, ist unserem hektischen Start ins neue Jahrtausend ähnlicher, als uns lieb ist. Das Cartoonmuseum Basel würdigt Plonk & Replonk erstmals auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens mit einer grossen Werk-
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schau. Hierzulande erscheinen ihre humoristischen Postkarten vor allem im Westschweizer Satiremagazin «Vigousse», in «L’Hebdo» und in der Deutschschweiz zeitweise in der Tageszeitung «Der Bund». In Frankreich, wo sie ganze Museen gegen den Strich gebürstet haben, sind die beiden Jurassier bestens bekannt und etabliert, dort publizieren sie regelmässig in der linksliberalen Pariser Tageszeitung «Libération», in «Charlie Hebdo» und in «L’Humanité». Plonk & Replonk sind nicht zeichnende Cartoonisten, ihre Collagetechnik orientiert sich an Künstlern wie dem deutschen Fotomontagekünstler John Heartfield (eigentlich Helmut Herzfeld, 1891 – 1968). Ihr Ausdrucksmittel ist die im Fotobearbeitungsprogramm Photoshop ausgeführte Collage von Ausschnitten historischer Postkarten und Fotografien. Die im Computer montierten schwarz-weissen, sepiafarbenen oder pseudohandkolorierten Bilder sind aber nicht perfekt verschmolzen, sondern erkennbar zusammengefügt, so dass spätestens auf den zweiten Blick klar wird, dass hier geschummelt wurde. Die Spuren der Bildmontage bleiben bewusst sichtbar, um dem Betrachter der Manipulationen die Dechiffrierung der umgedeuteten Zusammenhänge zu ermöglichen. Ebenso wichtig wie die Bilder sind die nur auf den ersten Blick erklärenden Bildlegenden, die lustvoller Kalauer wie hintergründige Pointe sein können. Anstatt den Betrachter zu informieren, verleihen diese den arrangierten g echanisierung des Steuerwesens im Jahre 1899 1 M © Plonk & Replonk Basler Geschichte. 2d Zehntausend 1966: Die festeJahre Installation eines Kreisels erlaubt es, © & Replonk flüssig zu halten. diePlonk Rheinschifffahrt © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel c 1966: Die feste Installation eines Kreisels erlaubt es, flüssig zu halten. 3 die Die Rheinschifffahrt Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel alten Schweizer Viertels. © Plonk & Replonk, 2014 / Staatsarchiv Basel a Die Pariser Elendsviertel. Ansicht des verrufenen Schweizer Viertels. 4 alten Zehntausend Jahre Basler Geschichte. © Plonk & Replonk, Replonk 2014 / Staatsarchiv Basel
Bildern eine weitere, oft kauzige oder gar groteske Qualität. Sie können aber auch die historisch anmutenden Bilder an konkrete aktuelle Themen anbinden oder mit bekannten Ereignissen verknüpfen. Die mit Hintersinn und Wortspielereien gespickten, verfremdeten Postkarten von Plonk & Replonk präsentieren die Schweiz als Hort des Skurrilen und kratzen mächtig an der Politur erhabener Gipfel, nobler Teppichetagen, stolzer Militärs, ordentlicher Kleinbürger und alter Klischees. Die Werkschau in Basel zeigt einen Überblick über die vielfältige künstlerische Arbeit von Plonk & Replonk, die auch die bildhauerische Auseinandersetzung mit Schweizer Ikonen wie den Schuhen von Rousseau, der Brille von Le Corbusier oder dem Gartenzwerg beinhaltet. Speziell für Basel kreieren Plonk & Replonk ein Kabinett mit einer Serie von Arbeiten zu den Besonderheiten der Stadt am Rheinknie. Anette Gehrig
BEGLEITVERANSTALTUNGEN — CAFÉ BELLEVUE Treten Sie ein in die gute Stube! Führung durch die Ausstellung mit anschliessendem Kaffeetrinken und Gebäck von der Confiserie Beschle, Basel.
13.4., 11.5., 22.6.2014, 14 Uhr — INTERNATIONALER MUSEUMSTAG (K)EINE PERFEKTE SCHWEIZ 11 Uhr: Führung mit der Kuratorin Anette Gehrig 14 Uhr: Workshop mit der Illustratorin Alessia Conidi
Sonntag, 18.5.2014 — Für Schulklassen, Betriebsausflüge und sonstige Gruppenbesuche bieten wir Führungen an.
EIN HÖRBUCH VON SCHWEIZER RADIO UND FERNSEHEN IM CHRISTOPH MERIAN VERLAG
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Die BuchBasel 2005 markierte den Startschuss für ein neues Kapitel im Christoph Merian Verlag: Das erste Hörbuchprogramm erschien. Ausgangspunkt war die Vereinbarung einer exklusiven Partnerschaft mit dem Schweizer Radio DRS, um ausgewählte Erwachsenenhörspiele des Radios als Hörbuch in Lizenz in den Buchhandel zu bringen. Damit verschaffte sich der Verlag auch Zugang zum umfangreichen Archiv des Radios. Mittlerweile ist aus dem Schweizer Radio DRS das «Schweizer Radio und Fernsehen» geworden und die gemeinsame Reihe heisst nun «Ein Hörbuch von Schweizer Radio und Fernsehen im Christoph Merian Verlag». In dieser Edition konnte der CMV erfolgreiche Titel wie die «Schreckmümpfeli»-Reihe oder Gisela Widmers «Zytlupe» auf CD veröffentlichen. Letztere liegt bereits in der vierten Auflage vor! Einen Schwerpunkt im Hörbuchprogramm bilden Schweizer Autorinnen und Autoren. Das Programm umfasst Werke der beiden «Grossen» Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, Krimiklassiker von Friedrich Glauser oder Hansjörg Schneiders erfolgreiche Kommissär-Hunkeler-Fälle. Auch Mundartstücke mit prominenter Besetzung wie zum Beispiel Ruedi Walter und Margrit Rainer in «Spalebärg 77a» dürfen im Programm nicht fehlen, ebensowenig viele Hörspiele von zeitgenössischen Autorinnen und Autoren im Verlagsprogramm. Welche Werke den Weg aus den Archiven auf die CDs und seit einigen Jahren auch auf das Download-Angebot des Verlags finden, wird zusammen mit den Radio-Verantwortlichen aus der Hörspielredaktion entschieden. Bei der Auswahl achten wir zum Beispiel darauf, ob eine Produktion grundsätzlich ins Programm passt und ob es einen aktuellen
Anlass gibt, ein bestimmtes Werk gerade jetzt als Hörbuch ins Verlagsprogramm aufzunehmen: Feiert ein Autor Jubiläum? Gibt es einen neuen Kriminalfall des Publikumslieblings Franz Musil? Welches Hörspiel hat bei der Radioausstrahlung besonders viel positives Echo ausgelöst? Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Auswahl. Das Radio verfügt zwar über die Senderechte, nicht aber über diejenigen für kommerzielle Verwertungen. Oft stehen aufwendige Recherchen und Verhandlungen mit den Rechteinhabern an. Danach werden mit dem Grafiker Hans Sommer von «rébus» die Ideen für jedes einzelne Hörbuch-Cover besprochen. Zusammen mit ihm haben wir die einheitliche Gestaltung der Hörbuchreihe entwickelt und damit ein Wiedererkennungs- und Qualitätsmerkmal geschaffen. Danach müssen die Produktionspläne gemacht, die Offerten des Presswerks eingeholt und alle Informationen rund um die Produktionen für die Verlagsvertreter, den Buchhandel und die Medien zusammengetragen werden. Das Erscheinen der Hörbücher wird in den meisten Fällen auf die Buchmessen im Frühling in Leipzig und im Herbst in Frankfurt terminiert. Die CDs können danach überall im Buchhandel in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sowie im SRF-Shop und über unsere Website merianverlag.ch erworben werden. Karin Matt
HÖREN SIE ZU!
HÖRBÜCHER AUS DEM CHRISTOPH MERIAN VERLAG FÜR ALLE LEBENSLAGEN Im Christoph Merian Verlag erscheinen jedes Jahr zahlreiche und vielfältige Hörbücher. Hier seien einige besondere Perlen hervorgehoben. Lassen Sie sich auf die Geschichten ein und geniessen Sie es, vom Alltag abzuschalten. Vorschläge für ein Hörbuchabenteuer.
brechen bekennt, das er nicht begangen hat. Und das Beste: Dürrenmatt selbst spricht die Einleitung. Am Rhein liegen, sich sonnen, vielleicht sogar die Angelrute auswerfen, mit Arno Camenischs «Fred und Franz» im Ohr. Die besten Freunde und Brüder im Geiste kämpfen mit dem Alltag. Im Erfolgsroman geht es um die Liebe, die Frauen, den Tod und das Menschsein. Ein starkes Stück neue Schweizer Literatur, virtuos als intimes Hörspiel von Geri Dillier in Zusammenarbeit mit Arno Camenisch umgesetzt.
Im ehemaligen Restaurant Milchhüsli, heute Caffè Bologna: Nehmen Sie Platz im neu von Studierenden betriebenen Caffè Bologna, bestellen Sie Kaffee und Kuchen und setzen Sie sich die Kopfhörer auf. Kommissär Hunkeler entführt Sie in alte Zeiten, als das Milchhüsli noch die Stammkneipe der Quartierbewohner war. Zuerst haben Sie jedoch noch Im Stau stehen bedeutet die Qual der Wahl: «Das nicht unbedingt Zeit verPaar im Kahn», «Hunkeler lieren. Hören Sie stattdessen zu, wenn «Max Frisch macht Sachen», «Hunkeler und der Fall Livius», «Hunspricht». Er wird Sie beskeler und die Augen des tens unterhalten mit Auszügen aus OriginalmitÖdipus», «Hunkeler und schnitten seiner Reden, die goldene Hand» oder Ein Klassiker im Christoph Merian die anlässlich seines 75. Gedoch lieber «Tod einer Verlag: Dürrenmatts «Die Panne» burtstags erschienen sind. Ärztin»? Eines ist sicher: Ueli Jäggi – 2004 erhielt er als bester Sprecher Nicht nur die Reden sind spannend, sondern den Deutschen Hörbuchpreis – glänzt in der auch das Gespräch mit Hans Ulrich Probst, in Rolle des kauzigen Kommissärs von Hansjörg dem sich Frisch zu zentralen Themen seines Schneider. Werks äussert. Ausserdem ist dieser Autor so aktuell wie nie, hat er doch schon 1965 zur Mit Dürrenmatt in die Badewanne: Ein gewag- damaligen Zuwanderung in die Schweiz getes Experiment! Achtung: Das Wasser könn- schrieben: «Man hat Arbeitskräfte gerufen, te kalt werden, ohne dass Sie es bemerken. und es kamen Menschen.» Es ist 2014 besonDenn Friedrich Dürrenmatt schrieb neben ders lohnend, Max Frisch wieder einmal genau Romanen, Erzählungen und Theaterstücken zuzuhören! auch Hörspiele, die vielfach ausgezeichnet wurden. Im Klassiker «Die Panne» erzählt er Spalenberg 77a, das ist der Wohnort des Ehedie Geschichte des Durchschnittsmenschen paars Ehrsam, das ab 1955 jeden dritten SamsAlfredo Traps, der sich stolz zu einem Ver- tag nach den Mittagsnachrichten in traulich-
heiterem Gespräch die Ereignisse der Zeit kommentierte. Die Wohnung werden Sie wie viele andere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht finden. Doch Margrit Rainer und Ruedi Walter, die für Radio Basel in der satirischen Sendung «Spalebärg 77a» auftraten, schafften mit elfjähriger Laufzeit und weit über 100 Folgen mit regelmässigem Hörerrekord einen bis heute einmaligen Erfolg.
Joggen: Aber vielleicht besser nicht im Zolli, denn ein «nulluns macrosalis» ist ausgebüxt! Das verbreitet Angst und Schrecken und versetzt den Tierforscher Benno Potzi in Alarmbereitschaft. Jetzt heisst es Ruhe bewahren und das exotische Wesen zurück in den Käfig locken. Diese Geschichte gibt es im Hörbuch «Lockstoff» von Joachim Rittmeyer zum Mithören und -lachen. Erschrecken Sie nicht, wenn die Geschichte plötzlich unterbrochen werden muss: Eine zoologische Taskforce übernimmt und koordiniert die diffizile Aufgabe, das Tier wieder einzufangen.
Es regnet das ganze Wochenende, Sie liegen krank im Bett oder haben Ihren Frühlingsputz vor sich. Auf jeden Fall haben Sie ohne Probleme 18 Stunden Zeit, sich ein Hörbuch zu Gemüte zu führen? Dann nehmen Sie sich Und zum Schluss: Schaurig schöne BettBeat Sterchis «Blösch» vor, einen der wich- mümpfeli-Geschichten! Am 5. November 1975 tigsten Schweizer Romane drang es zu später Stunde der Gegenwart. Er erzählt erstmals in die helvetivom Leben eines Spanischen Stuben und Schlafzimmer: das Schreckers, der als Knecht auf mümpfeli. Seither gingen einen Schweizer Bauerngegen tausend dieser irohof kommt, von seinem friedlichen Leben mit den nischen Kurzkrimis über Kühen und von den nicht den Sender. Der Sendeterso friedlichen Dorfbemin wurde zur Fixzeit für wohnern. Das von SebasHörerinnen und Hörer, die tian Mattmüller gelesene sich ohne beschleunigten und von Raphael Zehnder Puls und Kribbeln im Unterwegs mit an Originalschauplätzen Bauch nicht mehr unter «Max Frisch spricht» (Kuhstall, Weide, Schlachtdie Bettdecke verkriechen hof u.a.) aufgezeichnete Hörbuch beschwört mochten. Mittlerweise sind neun verschiedene mit der wuchtigen Sprache Sterchis und den Schreckmümpfeli-CDs sowie «Das Beste vom authentischen Geräuschkulissen Bilder herauf, Schreckmümpfeli» erschienen, die Sie nicht die durch Mark und Bein gehen. nur zu bestimmter Sendezeit hören können. Zamira Angst
SCHWERPUNKT
HALBWERTSZEIT Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit exponentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit. Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, Trend nach und hinterlassen mit ihrem Innoist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir vationszwang einen Berg von halbfinanzierten eine neue Software installiert, will sie aktu- Projekten und Initiativen. alisiert werden. Kaum hat sich computerbaWir haben uns im vergangenen Jahr in sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der Abteilung Kultur zu mehreren internen der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler Workshops zum Thema Innovation getroffen, als Shootingstar gefeiert, verschwindet er denn schliesslich muss eine Stiftung wie die schon démodé in der VerChristoph Merian StifMenge senkung. Kaum hat das tung «open-minded» sein Stadtbuch ein Thema als und an vorderster Front ultraaktuell aufgegriffen, Neues fördern. Mit dieser gerinnt es schon zwischen Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen den Buchdeckeln zu Geund bei meinen jüngeren schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es Kolleginnen und Kollevom Buchhandel remitgen auf unerwartete und Zeit (T) tiert und verschwindet in vehemente Opposition der anonymen Backlist. gestossen. Als Historiker, T½ Das ist die Kehrseite der der dem Vergangenen und Abnahme der Menge mit Halbwertszeit «Diktatur der Innovation», Vergehenden nähersteht der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs als der Extrapolierung in die Zukunft, fand des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech- ich mich als Apostel der Innovation plötzlich nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und sei krankhaft und bedeute einen unendlichen Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In und unnötigen Druck. Die Anbetung des ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als «Neuen» führe zu einer perversen MissachMotoren der Innovation, steigen jedem neuen tung des Gewachsenen, des Erreichten, des
Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart. Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbereitschaft nicht eine innere Abschottung gegen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovationsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome? Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kollegen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Innovationsdruck verursacht, indem er das Nachdenken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend notwendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, herauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über
die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthema «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und diskutieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austauschprogramm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Künsten. Die Illustrationen stammen von den welschen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen. Beat von Wartburg
Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk © Plonk & Replonk
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Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk
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Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit a 2 Bildern, Typografien und Prozentzahlen © Plonk & Replonk
Diplomierter Abstempler, während eines b 4 Weiter bildungskurses dem frontalen Angriff einer automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk
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ERTSZEIT 1
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Geschaffenen. Entschleunigung und nicht Beschleunigung tue not. Man solle eher über Nachhaltigkeit als über Novität nachdenken. Das Problem sei, dass wir nicht der Zukunft hinterherhinken, sondern der Gegenwart. Aha, dachte ich spontan, jetzt sind auch meine Kolleginnen und Kollegen ganz der Zukunftsangst, vielleicht schlimmer noch dem neokonservativen Trend verfallen. Sind die jetzt auch gegen Hochhäuser, fürchten sie sich vor Europa, der Globalisierung? Ist die Ablehnung von Innovation und Zukunftsbereitschaft nicht eine innere Abschottung gegen jede Veränderung? Erklärt sich daraus das Stimmverhalten der Schweizer Bevölkerung? Hat der Dichtestress etwas mit dem Innovationsstress zu tun? Geht es da möglicherweise um dieselben Symptome? Stopp, Halt, Pause. Wer zu schnell denkt, denkt zu kurz. Meine Kolleginnen und Kollegen sind weltoffen, haben am 9. Februar Nein gestimmt und sind auch sonst ganz nett. Und natürlich haben sie nicht unrecht, wenn sie auf den Schwindel verweisen, den der Innovationsdruck verursacht, indem er das Nachdenken behindert und Werte und Werke dem exponentiellen Verfall preisgibt. Deshalb: Es lohnt sich, mehr noch, es ist dringend notwendig, sich in der Zeit zu verorten, sich über die Halbwertszeit Gedanken zu machen, herauszufinden, was Bestand haben muss und was dem Zerfall anheimfallen darf, ja soll. Es ist richtig und wichtig, über Vergänglichkeit und Vanitas nachzudenken, sich über Werte und Wertbestimmung zu unterhalten, über
HALBWE
die Frage von Nachhaltigkeit und Neuerung, von Innovationsdruck und Bestandsresistenz, von Entstehen und Vergehen zu debattieren. So sind wir zum «Shortcut»-Schwerpunktthema «Halbwertszeit» gekommen. Auf diesen Seiten greifen wir das Thema auf und diskutieren es kontrovers, da, wo es uns in unserer täglichen Arbeit begegnet: beim Austauschprogramm iaab, bei der verlegerischen Arbeit, beim Nachdenken über Nachhaltigkeit, in der Stiftungsarbeit, beim Basler Stadtbuch und bei den elektronischen und digitalen Künsten. Die Illustrationen stammen von den welschen Künstlern Plonk & Replonk, die sich in ihren Collagen augenzwinkernd mit dem technischen Fortschritt und der Gegenwart der Vergangenheit auseinandersetzen. Beat von Wartburg
Die Farben von morgen. Mit angereichertem Geranium betriebenes Kernkraftwerk © Plonk & Replonk
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Erster Prototyp für automatisches Schreiben mit a Bildern, Typografien und Prozentzahlen © Plonk & Replonk Bananenbiegemaschine bei voller Auslastung © Plonk & Replonk
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Diplomierter Abstempler, während eines b Weiterbildungskurses dem frontalen Angriff einer automatischen Sortiermaschine der letzten Generation trotzend © Plonk & Replonk
Die Halbwertszeit ist die Zeit, in der sich ein mit der Zeit exponentiell abnehmender Wert halbiert hat. So lautet die Definition der Halbwertszeit, und da steckt alles drin, was uns in diesem Schwerpunkt beschäftigt: das Exponentielle, der Wertzerfall, das Gefühl einer sich beschleunigenden Zeit. Kaum haben wir ein neues Handy gekauft, Trend nach und hinterlassen mit ihrem Innoist es schon wieder veraltet. Kaum haben wir vationszwang einen Berg von halbfinanzierten eine neue Software installiert, will sie aktu- Projekten und Initiativen. alisiert werden. Kaum hat sich computerbaWir haben uns im vergangenen Jahr in sierte Kunst bemerkbar gemacht, droht schon der Abteilung Kultur zu mehreren internen der digitale Zerfall. Kaum wird ein Künstler Workshops zum Thema Innovation getroffen, als Shootingstar gefeiert, verschwindet er denn schliesslich muss eine Stiftung wie die schon démodé in der VerChristoph Merian StifMenge senkung. Kaum hat das tung «open-minded» sein Stadtbuch ein Thema als und an vorderster Front ultraaktuell aufgegriffen, Neues fördern. Mit dieser gerinnt es schon zwischen Haltung bin ich in die Diskussion eingestiegen den Buchdeckeln zu Geund bei meinen jüngeren schichte. Kaum ist ein Buch erschienen, wird es Kolleginnen und Kollevom Buchhandel remitgen auf unerwartete und Zeit (T) tiert und verschwindet in vehemente Opposition der anonymen Backlist. gestossen. Als Historiker, T½ Das ist die Kehrseite der der dem Vergangenen und Abnahme der Menge mit Halbwertszeit «Diktatur der Innovation», Vergehenden nähersteht der «Neuheitsakupunktur», des «Pesthauchs als der Extrapolierung in die Zukunft, fand des ewig Neuen»: die Müllhalde der tech- ich mich als Apostel der Innovation plötzlich nischen Produkte, der zeitgeschichtlichen auf verlorenem Posten. Die Innovationssucht Kulturbestände, der überlebten Ideen. Und sei krankhaft und bedeute einen unendlichen Stiftungen tragen das Ihre zur Halde bei. In und unnötigen Druck. Die Anbetung des ihrer Selbstwahrnehmung sehen sie sich als «Neuen» führe zu einer perversen MissachMotoren der Innovation, steigen jedem neuen tung des Gewachsenen, des Erreichten, des
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LOB DES ZERFALLS Der Fortschritt ist ein schielender Engel. Ein geflügeltes Wesen mit lockigem Haar und bemerkenswert kleinen Füssen, aber auch mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, ein bleiches Geschöpf, dessen Flügel so weit aufgespannt sind, dass sich in ihnen die Paradieseswinde verfangen, die es unablässig in die Zukunft wehen lassen. So zumindest hat Walter Benjamin in seiner berühmten neunten geschichtsphilosophischen These eine Zeichnung von Paul Klee interpretiert
in Windeseile vor sich auf- und wieder niedersteigen; erschrocken über den steten Zerfall, möchte er die Trümmer wieder zusammenfügen, doch der Sturm treibt ihn endlos weiter. Die Winde des Fortschritts sind seit Erscheinen von Benjamins Text 1928 bestimmt nicht milder und verdaulicher geworden, vielmehr haben sie sich im Zuge globalisierter Produktionsprozesse in einen Pesthauch des ewig Neuen verwandelt. Mit den sekündlich auf den Markt poppenden Erzeugnissen der
— VIELLEICHT BESTEHT DIE EIGENTLICHE DEKADENZ UNSERES ZEITALTERS JA GERADE DARIN, DASS WIR NICHT MEHR ORDENTLICH ZERFALLEN KÖNNEN. — und damit die ganze Ambivalenz umrissen, mit der uns die Ausläufer der Moderne noch immer umfangen, das lächelnd fletschende Faszinosum tremendum unserer zerrissenen Conditio postpostpost. Während wir dabei aus unsrer kleinen Gegenwart eine Kette von Begebenheiten dicht hinter und dicht vor uns erblicken, die einen logischen Sinn zu ergeben scheinen, sieht Benjamins melancholischer Engel der Geschichte das Werden und Vergehen all unsrer Errungenschaften buchstäblich
Warenindustrie wird unsere durchschnittliche Adrenalinausschüttung dabei so sehr im Fluss gehalten, dass unsere Aufmerksamkeit der Gegenwart immer schon hinterherhinken muss. Es ist kein Geheimnis, dass uns die Dinge und Informationen seit langer Zeit in gespenstischer Weise auf allen Kanälen bedrängen, und bis wir jeweils herausgefunden haben, ob es sich bei dem jeweiligen neusten Wunderwerk nun um billigen Trash oder um wertvolle Inputs handelt, ist die Produktion
bereits wieder eingestellt worden. Der Philosoph und Medientheoretiker Boris Groys hat diese Zusammenhänge in seiner Abhandlung «Über das Neue» (1992) noch entspannt und nur mit einem ganz sanften zynischen Unterton beschrieben, wenn er in einer typisch postmodernen Wendung behauptete, dass das von der Industrie so fetischisierte Neue eigentlich nur das recyclierte Alte sei; denn die Kategorie des Neuen komme, so Groys, erst in der Moderne mit der Entstehung der grossen Archive und Sammlungen auf: Erst seit man über eine allgemeinere Übersicht fein säuberlich etikettierter Objekte und Gedanken verfügt, lassen sich Vergleiche zwischen alten und neuen Dingen ziehen – und dabei, so Groys, lassen sich auch im Archiv gelagerte Ideen wieder hervorholen, neu aufbereiten und als Scoop verkaufen, während der letzte Schrei auf der anderen Seite des Produktionsrades gerade dabei ist, wieder in die Tiefen des kulturellen Fundus zu sinken. Boris Groys versteht den Fortschritt also, ähnlich wie Walter Benjamin, als einen stets sich weitertreibenden Prozess von Werden und Vergehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es uns in all der trommelnden Neuheitsakupunktur tatsächlich jemals gelingt, dem Vergehen der Dinge auch nur ein NanoMü an Aufmerksamkeit und Hirnschmalz zu widmen? Wann haben wir uns in der Raserei der brennenden Alltagsgeschäfte je die Zeit genommen, uns mit der Würde des Zerfallens zu beschäftigen? Und wissen die Objekte überhaupt, wie sie schad- und lautlos in die (endgültige oder vorgelagerte) Hölle der UnDinge verschwinden können, sind sie des Zerrinnens überhaupt fähig? Der amerikanische Fotograf und Filmemacher David LaChapelle
greift diese Fragen in seinen farbenprächtigen Vanitas-Bildern in pointiert ironischer Weise auf, wenn sich unter seinen üppigen, majestätisch welkenden Blumensträussen nach dem Vorbild niederländischer Stillleben frisch und unvergänglich zerknautschte PET-Flaschen, glänzende Plastikprothesen und ewig verbundene Mobiltelefone recken. Vielleicht besteht die eigentliche Dekadenz unseres Zeitalters ja gerade darin, dass wir nicht mehr ordentlich zerfallen können. Vielleicht würden wir uns weniger ausgepresst fühlen, wenn wir uns parallel zu all den Neuheitshuldigungen ganz still und unauffällig auch dem natürlichen Erschöpfungsprozess aller organischen und anorganischen Materie hingeben könnten. Es mag vielleicht etwas unbescheiden klingen, aber im Kern ist es eigentlich genau das, was das Internationale Austauschprogramm iaab mit seinen Auslandstipendien anstrebt: den Prozessen von Entstehen und Vergehen, Ankommen und Dasein Raum zu geben, das Leben zu entschleunigen und den Kunstschaffenden eine Auszeit aus der Hektik des uferlosen Produktions- und Broterwerbszwangs zu ermöglichen. Alexandra Stäheli
GERANGEL IN REGAL UND INTERNET
ODER: DER WANDEL IM BUCHHANDEL 55 Thesen zur Entwicklung des Buchhandels und der Verlage bis 2025 hat der Börsenverein – der Verband der deutschen Verleger und Buchhändler – 2011 aufgestellt. Die Thesen sorgten seinerzeit für grosse Aufregung in der Branche. Mittlerweile weiss man: Die Veränderungen werden noch viel schneller und drastischer kommen als vorhergesagt. Der Grundsatz bleibt derselbe, die beiden Kernaussagen werden sich wohl einfach noch rascher und drastischer bewahrheiten: 1) Der Buchhandel verliert über einen Drittel seiner Verkaufsfläche, sei es durch Schliessung ganzer Geschäfte oder Umnutzung vorhandener Flächen für andere Waren. 2) Der Verkaufsweg Internet wird stark an Bedeutung zunehmen, mit ihm der Anteil der E-Books, die allerdings das gedruckte Buch nicht verdrängen, jedoch einen Anteil von bis zu dreissig Prozent des Buchmarkts einnehmen werden. Was bedeutet das für uns Verleger? Noch immer erscheinen jedes Jahr über 90 000 neue deutschsprachige Bücher. Diese Novitäten konkurrieren mit immer weniger Platz in den Regalen der verbliebenen Buchhandlungen. Längst gibt es in den grossen Geschäften neben Druckerzeugnissen Papeterie-, Geschenkartikel und allerlei Wellness-Schnickschnack (von der Duftkerze über den Badezusatz bis zum Zimmerspringbrunnen) zu kaufen, und die Kinderbuchabteilung ähnelt oft einem Spielzeugladen. Den Buchhändlern darf man deswegen keinen Vorwurf machen: Viele kämpfen ums Überleben und müssen auf die veränderten Kaufgewohnheiten der Konsumenten reagieren. Fraglich ist aber, ob ein solcher «Gemischtwarenladen» für buchaffine Menschen auf Dauer ein attraktiver Ort zum Bücherkaufen bleibt. Ich fürchte eher nein.
Selbst wenn die vielen Neuerscheinungen die begehrten Plätze in den Regalen und auf den Tischen der Buchhandlungen einnehmen (wobei die Stapel direkt bei den Eingängen gerade von Buchhandlungsketten oft von Grossverlagen mit dem Ziel gekauft werden, populäre Mainstream-Titel noch begehrenswerter erscheinen zu lassen − man nennt das «Werbekostenzuschuss» an die Buchhändler), müssen sich auch diese möglichst rasch verkaufen und am besten täglich in der Verlagsauslieferung nachgeordert werden. Wenn das Warenwirt-
— WENN DAS WAREN WIRTSCHAFTSSYSTEM MELDET, DASS EIN TITEL EINIGE TAGE NICHT VERKAUFT WORDEN IST, FLIEGT DAS BUCH AUS DEM SORTIMENT. — schaftssystem aber meldet, dass ein Titel einige Tage nicht verkauft worden ist, fliegt das Buch aus dem Sortiment oder schafft es bestenfalls noch, als Einzeltitel im Regal eingereiht zu werden. Denn: Jede Woche erscheinen weitere Publikationen aus diversen Verlagen, die eben auch in die Regale und auf die Tische drängen. Die Halbwertszeit der Aufmerksamkeit für Neuerscheinungen ist somit oft ernüchternd kurz. So kann es etwa vorkommen, dass der Katalog einer aktuellen Ausstellung
in einem Basler Museum von der örtlichen Buchhandlung bereits drei bis vier Wochen nach Eröffnung remittiert, d.h. zurück an die Verlagsauslieferung geschickt wird und die Buchhandlung dafür eine Gutschrift erhält. Das immer wichtiger werdende OnlineGeschäft von «echten» Büchern und von E-Books stellt uns als kleinen Schweizer Verlag vor vielfältige Herausforderungen: Das Geschäft diktieren wenige grosse, oft international agierende Anbieter, die die Konditionen bestimmen, wenn man in den Datenbanken dieser Händler vorkommen will. Der weitaus grösste Online-Buchhändler der Schweiz ist amazon.de. Amazon nutzt seit einiger Zeit den Wegfall der Buchpreisbindung in der Schweiz dazu, den Schweizer Kunden die Bücher mit mindestens 20 Prozent Rabatt vom eh schon günstigeren Euro-Preis portofrei nach Hause zu schicken. Mit der Kostenstruktur von Amazon kann kein Schweizer Buchhändler mithalten. Was das allerdings für die Angestellten bei Amazon bedeutet – nämlich katastrophale Arbeitsbedingungen und ein unmenschlicher Umgang mit den Mitarbeitenden –, hat ein kontrovers diskutierter ARD-Dokumentarfilm letztes Jahr gezeigt. Beim E-Book dominiert Amazon mit ihren Kindle-Geräten und dem Kindle-Shop seit Jahren ebenfalls den Markt. Es bleibt abzuwarten, ob die gemeinsamen Anstrengungen der Buchhändlerbranche im E-Book-Geschäft (mit den Tolino-Geräten und in der Schweiz auch mit dem E-Book-Angebot des Buchzentrums Olten) Erfolg haben werden und dem übermächtigen Konkurrenten Amazon die Stirn bieten können. Und was unternehmen wir als Christoph Merian Verlag, um auf diese Verwerfungen der
Branche im digitalen Zeitalter zu reagieren? Wir wollen einerseits den verbleibenden, engagierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern den Rücken stärken und sie bei Veranstaltungen, Lesungen etc. unterstützen, damit die Buchhandlung ein Ort der Begegnung und der Buchkompetenz bleibt. «Buy local»-Initiativen etwa, wie sie auch von Basler Buchhandlungen angestossen wurden, sind absolut unterstützenswert. Gleichzeitig werden wir, wenn immer sinnvoll, auch elektronische Versionen unserer Publikationen erstellen, so wie unsere Hörbücher schon seit mehreren Jahren auch per Download erhältlich sind. Darüber hinaus hat die Christoph Merian Stiftung viel in einen neuen Internetauftritt des Verlags investiert, der demnächst online gehen wird, und wir haben die Lieferbedingungen für Direktbestellung über unsere Website attraktiver gestaltet, damit eine Bestellung «ab Erzeuger» für unsere Kundinnen und Kunden interessant bleibt. Auf www.merianverlag.ch kann man in Bücher reinlesen, Hörbücher probehören, E-Books und Hörbücher downloaden und sich über Veranstaltungen informieren. Das Verlegersein im 21. Jahrhundert ist spannend, herausfordernd und macht Spass: Wir sind Vermittler von Inhalten und Themen, wollen zu Diskussionen anregen und Geschichte lebendig werden lassen − egal in welcher Form: ob als Buch, Hörbuch, DVD, E-Book oder App. Das hat Zukunft! Oliver Bolanz
ÜBER DIE VERGÄNGLICHKEIT EIN ESSAY
Wie schnell doch alles entschwindet! In der Welt die Menschen selbst, im Lauf der Zeit ihr Gedächtnis! Marc Aurel
Seit dem Menschen bewusst ist, dass sein Dasein ein endliches ist, befasst er sich in den mannigfaltigsten Formen quer durch die Geschichte mit dem Thema der Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis und die Auflehnung dagegen liessen nicht nur Totenkulte entstehen, sondern auch Vorstellungen eines wie immer gearteten Jenseits, Religionen und philosophische Schulen. Ihr verdanken wir grossartige Kunstwerke weit über die Memento-moriBildwelt mit ihren Stillleben hinaus, ganze Bibliotheken und reiche Symbolwelten, die ein Lexikon füllen würden. Erwähnt sei hier, beispielhaft, das Grabmal der Maria Magdalena Langhans in der reformierten Kirche Hindelbank, 1751 von Johann August Nahl geschaffen. Die junge Frau starb bei der Geburt ihres Sohnes, der ihr bald nachfolgen sollte. Durch die aufbrechende Grabplatte sieht man Mutter und Kind, die ihren Blick nach oben richten, eine eigentliche Auferstehungsszene. Und ebenfalls beispielhaft: Einer der eindrücklichsten unter den Vergänglichkeitstexten findet sich im Alten Testament im Buch Kohelet, beginnend mit den Worten: «Nichtig und flüchtig, sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, alles ist nichtig.» (Prediger 1,2), was bei Andreas Gryphius in seinem berühmten Vanitas-vanitatum-Gedicht wie folgt klingt:
Ich seh’ wohin ich seh nur Eitelkeit auff Erden Was dieser heute bawt reist jener morgen ein Wo jtzt die Städte stehn so herrlich hoch vnd fein Da wird in kurtzem gehn ein Hirt mit seinen Herden: […] Als Schlüsseltext zum Thema Vergänglichkeit kann auch die Geschichte von Adam und Eva gelesen werden: Durch den Genuss des Apfels vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben, werden sie sich ihrer begrenzten Lebensspanne bewusst; eine Erfahrung um die eigene Endlichkeit, die jeder Mensch einmal – mehr oder weniger schmerzlich – machen muss. Der Möglichkeiten, wie wir damit umgehen, sind viele, und sie prägen oft mit, wie wir zu unserem Leben stehen und wie wir es gestalten. Werden wir zu habgierigen Raffern, zu Hedonisten im heutigen Sinn des Begriffs, verfallen wir in Trauer und Depressionen oder entwickeln wir einen gewissen Gleichmut, der sowohl die fröhlichen Melodien als auch die Basssaiten des Lebens kennt? Unsere Gesellschaft hat verschiedene Strategien entwickelt, wie mit Vergänglichkeit umgegangen werden kann. Eine davon besteht im Sammeln und Horten, dem verzweifelten (und letztlich vergeblichen) Versuch, Dinge, Objekte vor dem Zerfall und Vergehen zu bewahren. Davon zeugen unzählige Museen mit ihren oft schon jetzt aus allen Nähten platzenden Depots. Wer in den letzten Monaten durch die Klus bei Angenstein fuhr, dem bot sich hoch über der Birs ein starkes und zunächst irritierendes Bild, das beispielhaft von diesem
Drang des Bewahrens spricht: Auf einem Felssporn des Blauen steht die Ruine Pfeffingen, eingerüstet, ein Baukran streckt seinen Ausleger in den Himmel. Mag das Unterfangen, die Ruine zu erhalten, durchaus zu begrüssen sein, so löst es doch auch Bedenken aus, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Reste der Burg im 18. Jahrhundert als Steinbruch versteigert wurden: andere Zeiten, andere Sitten … Eine weitere Strategie, der Vergänglichkeit zu trotzen, findet sich in verschiedenen Textformen, in Briefen und Rödeln, in Dokumenten, Verträgen, Büchern, Chroniken, gesammelt in Archiven und Bibliotheken. Das Sammeln und Bewahren ist das eine, das andere das Zugänglichmachen: Ohne Transkriptionen, ohne Übersetzungen (ein Lob all denen, die das Erlernen des Lateinischen nach wie vor sinnvoll finden!) und ohne sich immer wieder durch die Seiten mühende Leserschaft gäben uns die Texte früher oder später die gleichen Rätsel auf wie die etruskische Sprache. Chroniken spielen auch für die Basler Stadtgeschichte eine bedeutende Rolle. Die wohl einer breiteren Öffentlichkeit bekannteste ist das Werk von Christian Wurstisen, 1580 bei Sebastian Henricpetri erschienen: ein Genuss, darin zu lesen! Weniger bekannt, aber für die Stadtgeschichte eine grossartige Fundgrube sind die Basler Chroniken, deren erster Band 1872 und deren bisher letzter, der zwölfte, 2009 erschien. Eine Jahreschronik war auch lange Zeit Bestandteil der gedruckten Ausgabe des Basler Stadtbuchs – das dieser Tage zum 134. Mal erschienen ist. Seit 2011 ist dieser Chronikteil in digitaler Form zugänglich (www.baslerchronik.ch). Wenn die digitalisierte Chronik auch nach wie vor versucht, das Wissen über Ereignisse der Nachwelt zu erhalten, so ist sie doch gleichzeitig von einer neuen und beschleunigten Art der Vergänglichkeit bedroht. Dabei haben technische Erfindungen immer wieder gesammeltes Wissen in Buchform bedroht, so zum Beispiel die Entwicklung des
Holzschliffverfahrens in der Papierherstellung. Die Papiere waren zwar billiger, jedoch auf Kosten der Haltbarkeit, was dazu führte, dass ganze Bibliotheken in aufwendigen Verfahren vor dem Zerfall geschützt werden müssen. Bei den digitalen Daten droht nun eine andere Gefahr: Die aktuell verwendeten Datenträger haben eine vergleichsweise kurze Lebensdauer, ebenso die entsprechenden Lesegeräte. Daten müssen deshalb in immer kürzeren Zeitabständen auf neue Träger überspielt werden. Doch wer entscheidet, was würdig ist, in die Zukunft gerettet zu werden, und was verschwindet endgültig aus dem Gedächtnis der Menschheit? Nehmen wir’s mit einer gewissen Gelassenheit und schliessen wir mit Arno Holz’ «Geisterduo»: Der Zeitgeist brennt wie trocknes Stroh Und singt: «In dulci jubilo!» Der Weltgeist brummt dazu im Baß: «O vanitatum vanitas!» Lukas Hartmann Lukas Hartmann ist Gestalter, Dozent und Redaktor des Basler Stadtbuchs.
WIE NACHHALTIG IST DIE KULTURFÖRDERUNG DER ZUKUNFT? Wenn wir über die Zukunft sprechen und wie wir in der Gegenwart handeln sollen, kommen wir nicht um sie herum: die Nachhaltigkeit. In ökologischen und ökonomischen Bereichen wurde in den letzten Jahren unter diesem Begriff ein zweifellos wertvolles Verständnis für langfristige Zusammenhänge entwickelt. Wir interessieren uns heute dafür, dass fahrlässiger Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen unsere Lebensgrundlage zerstört. Wir bewerten zum Beispiel Bauvorhaben nach ihrer Nachhaltigkeit und erwarten von Investoren, dass sie ökologische und soziale Faktoren respektieren. Sympathisch konkret ist der Soziologe Harald Welzer, der in seinem «Handbuch für eine enkeltaugliche Zukunft»1 gleich eine Sammlung von Beispielen gibt, wie heute schon Menschen erfolgreich wirtschaften und dabei die Bedürfnisse kommender Generationen höher gewichten als die eigene kurzfristige Gewinnmaximierung. Darunter sind viele inspirierende Geschichten, die deutlich machen, dass es beim nachhaltigen Handeln nicht nur um Normen geht, sondern eben: um gute Geschichten und Vorbilder. Aber sind dies die richtigen Vorbilder für Kulturschaffende und -förderer? Soll auch Kultur immer «enkeltauglich» sein? Auch in die Kultur werden private und staatliche Gelder investiert, gerne wird dabei von einer Investition in die Gesellschaft, in die Zukunft, in das kreative Kapital oder in den Standort gesprochen. Die Aussicht auf eine Nachhaltigkeit dieser Investition ist verführerisch – der Begriff verspricht Dauerhaftigkeit und ein stabiles Gleichgewicht des Systems. Nachhaltigkeit in diesem herkömmlichen Sinn hat aber einen faden Beigeschmack: den des Konservatismus.
Natürlich muss Kultur nicht immer enkeltauglich sein. Kulturgut für die Nachwelt zu bewahren ist nur ein (wenn auch teurer) Teil der Aufgaben, die kulturelle Akteure erfüllen, und damit allein ist es nicht getan. Die Gesundheit unseres kulturellen Systems hat mehr mit Wandlungsfähigkeit und Relevanz als mit Permanenz zu tun. Danach sollte sich das Verständnis nachhaltiger Kulturförderung richten. Wenn wir den Konservatismus aus der Nachhaltigkeit streichen, was bleibt übrig? Einen konkreten Vorschlag hat WolfBrown Consulting 2011 in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel «Is Sustainability Sustainable?»2 veröffentlicht. Sie definieren die Nachhaltigkeit von arts organizations in drei Dimensionen: community relevance, artistic vibrancy und (diesen untergeordnet) capitalization. In diesen Dimensionen sind die Faktoren für den Erfolg kultureller Unternehmungen zu suchen. Gehen wir einen Schritt zurück und betrachten den Kontext der Kulturförderung. In welchem Verhältnis steht das private Engagement zum staatlichen, und welche Rolle übernimmt der NPO-Sektor, die Non-ProfitOrganisationen? Unsere pluralistische Demokratie umfasst eine Vielzahl von Lebensformen, Sprachen und kulturellen Traditionen. Den einen Gemeinwillen, den die demokratische Gesellschaftsordnung repräsentieren soll, gibt es nicht, sie kann lediglich die Pluralität verwalten und dabei vermeiden, zu stark Position zu beziehen. Staatliche Kulturförderer sind deshalb gespalten in ihrer Rolle, selbst produktive Akteure der Kultur zu sein und gleichzeitig die Vielfalt der partikulären Willen gerecht zu beaufsichtigen.3 Gerade private Kulturförderer müssen es also wagen, sich mit den Minderheiten und den (möglicherweise
zukunftsweisenden) Randerscheinungen zu befassen. Als Vertreter eines dritten Sektors, die ihre Rolle zwischen Staat, Gesellschaft und Markt ständig neu verhandeln müssen, stehen NPOs besonders in der Pflicht. NPOs müssen Instrumente entwickeln, mit denen sie gesellschaftlich relevante Erscheinungen erfassen und gezielt darauf reagieren. Aber sie dürfen nicht zu reinen Geldverwaltern werden, die sich selbst mit bürokratischen Prozessen und formalen Argumentationen lähmen. Es gibt in der Kulturförderung einen zentralen Unterschied zur Ökologie: Kreativität ist keine knappe Ressource. Private und Förderer in NPOs sollten sich für die Sache der Kultur mutig, partikulär und verschwenderisch (statt vorsichtig, gerecht und sparsam) einsetzen, um
die Gesellschaft im Rahmen einer Kultur der Demokratie mitzugestalten. Paradoxerweise bedeutet gerade dies die wahre nachhaltige Kulturförderung. Christoph Meneghetti 1 Harald Welzer, Stephan Rammler (Hg.): Der Futurzwei Zukunftsalmanach 2013, Frankfurt 2012.
2 Alan Brown, Joseph Kluger et al.: Is Sustainability
Sustainable?, Sounding Board Vol. 30, 2011 (http:// wolfbrown.com/insights/41-sounding-board/348-issustainability-sustainable)
3 Boris Groys: Kunst im Zeitalter der Demokratie, in:
Public Affairs. Von Beuys bis Zittel: Das Öffentliche in der Kunst, Kunsthaus Zürich (Katalog) 2002 (http:// www.publicaffairs.ch/groys_boris.html)
Lesemeerschweinchen © Plonk & Replonk
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ERINNERN UND VERGESSEN
ZUR HALBWERTSZEIT DIGITALER KUNST Für die Generation der Digital Natives ist ein Leben ohne Internet eine unmögliche Vorstellung. Für sie war das globale Netzwerk schon immer da und ist zugleich prägend für ihre sozialen Interaktionen. Heute ist nahezu jeder mit Smartphone und Tablet-Computer ausgestattet, und die mobile Technologie ermöglicht es, dass wir jederzeit online sind und unsere digitalen Spuren im Netz auf Schritt und Tritt hinterlassen. Bewegungsdaten, Facebook-Einträge – jede Aktivität ist unweigerlich im globalen Netzwerk gespeichert, und auch so mancher kleine Fauxpas kann sich zum Problem auswachsen, wenn er sich nicht mehr tilgen lässt und auf ewig abrufbar bleibt. Bei all der Vernetzung stellt sich im Zeitalter von PRISM und den bekannt gewordenen staatlichen Übergriffen auf persönliche Daten immer zentraler die Frage des öffentlichen Zugriffs auf die digitale «Cloud» und die in ihr gespeicherten Informationen.
Dem digitalen Speicherwahn und der täglich wachsenden Datenflut steht im Bereich der digitalen Kultur dagegen das unaufhaltsame Vergessen gegenüber. Unser digitales Zeitalter ist geprägt von der Schnelllebigkeit von Technologien und der rasanten Weiterentwicklung von Hardware und Software. Neue Geräte erscheinen in immer kürzeren Abständen auf dem Markt. Im Jahresrhythmus werden Smartphones und Betriebssysteme vorgestellt, die ihre Vorgänger an Funktionalität übertreffen, besser und schneller sind. Eine zehn Jahre alte Diskette hat da schon eine nahezu steinzeitliche Anmutung. Zeitgenössische Medienkunst spürte schon immer den Veränderungen des technologischen Wandels nach und zeigte die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen auf. Von der frühen Computergrafik der Sechzigerjahre bis hin zur Netzkunst der Neunzigerjahre, von Softwarekunst bis
hin zu interaktiven Installationen wird das Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Medien ausgelotet. Die Nutzung aktuellster Technologien führt zu immer kürzeren Halbwertszeiten der digitalen und elektronischen Kunst. Datenträger haben eine sehr begrenzte Lebensdauer. Die technischen Komponenten eines Werkes sind heute schnell veraltet, die Geräte selbst oft nicht mehr zu beschaffen. Ist das Material noch auf alten Datenträgern erhalten, so lässt es sich meist nicht mehr abspielen, da die Abspielgeräte nicht mehr funktionieren. So mancher Restaurator für Medienkunst ist dann schon mal auf Ebay aktiv, um obsolete Technik für alte Werke zu erstehen und wieder in Betrieb zu nehmen. Hier braucht es Know-how und Expertenwissen, um diese Kunst vor dem endgültigen Verfall zu retten und historische Werke und Meilensteine der kulturhistorischen Entwicklung auch für die Zukunft zu bewahren. Was also tun, um Werke der computerbasierten Kunst funktionstüchtig zu halten oder vor dem digitalen Verfall zu schützen? Museen und Kulturinstitutionen mit Sammlungen digitaler und elektronischer Kunst setzen sich seit Jahren für den Fortbestand medialer Kunstformen und die Sicherung dieser Werke ein. Die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Medienkunst führt dazu, dass individuell für jedes Werk eine passende Strategie für den Erhalt gesucht werden muss. Bei den Videoinstallationen von Nam June Paik spielt der Röhrenmonitor eine zentrale Rolle, und so wird hier vor allem auf den Erhalt der Hardware gesetzt, auch wenn dies zeitlich nur begrenzt möglich ist. Pionierarbeiten der frühen Computerkunst stellen wiederum andere Herausforderungen an den Erhalt. Oftmals wird hier mit dem Prinzip der Emulation gearbeitet. Das bedeutet die Verwendung neuer Software, die versucht, den «Look and Feel» alter Programme zu erzeugen, um beispielsweise den Bildaufbau einer Website bewusst
zu verlangsamen und damit die Ästhetik einer früheren Zeit zu reproduzieren. Die Migration von Daten auf neue Betriebssysteme und aktuelle Software ist eine weitere Methode, und manchmal bleibt nur die Dokumentation oder Re-Interpretation eines Werkes als Alternative. Auch das Haus für elektronische Künste Basel (HeK) engagiert sich mit einer eigenen Sammlung für den Erhalt elektronischer und digitaler Kunst. Im Rahmen des trinationalen Forschungs- und Restaurierungsprojekts «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» wurde zusammen mit Partnern aus Frankreich und Deutschland über drei Jahre an diesen zentralen Fragestellungen gearbeitet. Als Fallstudie wurde vonseiten des HeK das netzbasierte Projekt «TV Bot 2.0» des Schweizer Künstlers Marc Lee angekauft und behandelt. «TV Bot 2.0» von 2010 beruht auf einem von Lee entwickelten Programm, welches im Internet Bild-, Video-, Audio- und Textdaten zusammenträgt, die nicht älter als eine Stunde sind. Aus diesen Materialien aus unterschiedlichsten Kontexten wird live im Internet eine Nachrichtensendung generiert. Die Zugänglichkeit im globalen Netz ist ein inhärenter und wesentlicher Aspekt der Arbeit. Schon innerhalb weniger Jahre gab es starke Software-Veränderungen, die die ästhetische Anmutung und Funktionalität der Arbeit verändert haben. Gemeinsam mit dem Künstler wurde am HeK eine Strategie zum Erhalt der ursprünglichen Intention und Ästhetik der Arbeit entwickelt. Das Sammeln von digitaler Kunst stellt Kuratoren und Konservatoren vor neue Aufgaben. Neben den genauen Informationen zu den technischen Komponenten einer Arbeit ist die Dokumentation der künstlerischen Idee und Wirkungsabsicht ein zentraler Aspekt, der aufgearbeitet werden muss. Nur so lässt sich später eine Funktionalität im Sinne des ursprünglichen künstlerischen Anliegens sicherstellen, die es den Kuratoren und Kon-
DIE DIKTATUR DER INNOVATION ODER: MORGEN IST DIE VERGANGENHEIT VON ÜBERMORGEN
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servatoren erlaubt, im Zweifelsfall eine ReInterpretation eines Werks vorzunehmen. Die Herausforderungen sind gross, und es braucht übergreifende Strategien und Konzepte für den Austausch von Wissen und Information. «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» war eines dieser internationalen Projekte, die den fachlichen Diskurs befördert haben und gemeinsam Wege aus dem Dilemma des digitalen Verfalls und Vergessens weisen. Sabine Himmelsbach Sabine Himmelsbach ist Leiterin des Hauses für elektronische Künste Basel
1 H a ervé Graumann, Raoul Pictor cherche son style …, 1993 – 1997 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht 2 N g am June Paik, Internet Dream, 1994 Ausstellung «Digital Art Works. The Challenges of Conservation» am Haus für elektronische Künste Basel, Installationsansicht
Gemeinnützige Stiftungen haben gegenüber Staat und Wirtschaft einen entscheidenden Vorteil: Durch den rechtlich definierten Umstand, dass Stiftungen ein selbstbestimmtes Zweckvermögen darstellen und sich quasi selbst gehören, sind sie, abgesehen von den Aufsichtsbehörden, niemandem Rechenschaft pflichtig. Dies gibt ihnen eine einzigartige Freiheit. Abseits von Trends und Zeitgeist können sie das Unbequeme, das Neue, das Innovative fördern. Und sie nutzen ihre Freiheit. Kaum ein Förderkriterium kommt ohne den Ruf nach Pionierhaftem und Innovativem aus. Die Krux dabei ist aber, dass wirklich Neues nur von ganz wenigen gesehen wird, wie bereits Albert Einstein treffend vermerkt hat: «Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausgeschlossen erscheint.» Und damit ist der Mist noch lange nicht geführt. Ob sich eine Idee durchsetzt und sich der Ressourceneinsatz gelohnt hat, zeigt immer erst der Blick zurück. Dazwischen liegt ein langer Weg. Stiftungen, die sich der Innovationsförderung verschrieben haben, brauchen viel Sachverstand, einen langen Atem, eine grosse Unabhängigkeit im Denken und Entscheiden und eine enorm hohe Risikobereitschaft. Denn was heute innovativ ist, kann morgen bereits überholt sein. Dies müssen Stiftungen und ihre Entscheidungsträger aushalten. Da liegt der Gedanke nahe, dass manche Stiftung gut beraten wäre, anstatt der manchmal schon fast zwanghaften Forderung nach dem ewig Neuen Bewährtes und Liegengebliebenes weiter zu fördern. Das Abfallprodukt des Innovationszwanges ist nämlich eine immer grösser werdende Halde anschubfinanzierter Projekte und Initiativen. Vieles darun-
ter ist gut, nur: nicht mehr neu. Aber muss es das denn immer sein? Diese Fragen sollten sich Stiftungen vermehrt stellen. Sind sie nämlich nicht in der Lage, die oben erwähnten Bedingungen für wirkliche Innovationsförderung zu erfüllen, stünde es ihnen gut an, nachhaltig und hartnäckig die besten und nicht
— WAS HEUTE INNOVATIV IST, KANN MORGEN BEREITS ÜBERHOLT SEIN. — immer die neusten Umsetzungen für ihren Stiftungszweck zu suchen. Christian Meyn, der Geschäftsführer der gemeinnützigen Auridis GmbH, hat dies anlässlich der Präsentation seiner Förderstrategie am Schweizer Stiftungssymposium 2013 in Basel auf den Punkt gebracht: «Es muss nicht immer innovativ sein. Es reicht, wenn es gut ist.» Beate Eckhardt Beate Eckhardt ist Geschäftsführerin von SwissFoundations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen.
Redaktion und Texte Zamira Angst, Praktikantin Abteilung Kultur Oliver Bolanz, Leiter Christoph Merian Verlag Anette Gehrig, Leiterin Cartoonmuseum Basel Karin Matt, Vertrieb und Hörbuchprogramm Christoph Merian Verlag Christoph Meneghetti, Projektleiter Abteilung Kultur Alexandra Stäheli, Leiterin iaab Beat von Wartburg, Leiter Abteilung Kultur
Gestaltung Hauser, Schwarz – Basel Druck Gremper AG – Basel / Pratteln Christoph Merian Stiftung St. Alban-Vorstadt 5 CH-4002 Basel
h Michael Burton & Michiko Nitta: Near Future Algae Symbiosis Suit, Prototype, 2010 / «Perspectives on Imaginary Futures» Haus für elektronische Künste Basel
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