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Ich seh mich noch, ich sehe mich als Kind … Die Stufen Nischen, wo ich alles fand.

Und was es gab, das schien gemacht aus Wind. Toten-Ensemble, aus dem immer wieder jemand stumm über die Bühne irrt Das schien gemacht aus Wind für sie als Kind …

Wie jämmerlich Erinnerungen sind!

Die weiblichen Toten Das Vergessen ist ganz nah.

Komm zu uns, Ophelia!

Ophelia Auf dieser Bank las meine Mutter Dante.

Sie las mir vor, ich schlief in ihrem Schoß … Bis ich dann wieder zu den andern rannte. Und was ich dachte, schien mir gut und groß.

Toten-Ensemble Das schien ihr gut und groß, und doch – wie bloß … Wie bloß wird man Erinnerungen los?

Die weiblichen Toten Das Vergessen ist ganz nah. Komm zu uns, Ophelia!

Prinz Hamlet kommt die Stufen herauf. Er wirft den weißen Mantel ab und trägt darunter Grau. Reibt sich, wie Schnee, Schminke aus dem Gesicht. Als er im Garten umherzugehen beginnt wie zuvor Ophelia, verbirgt sich diese hinter der Eibe.

Ophelia Laertes war der schauderlichste Geist. Gesicht und Hände schwärzten wir mit Ruß … Ob du, mein Prinz, mein Freund, das auch noch weißt? Und Wellen, Wolken, alles schien ein Gruß.

Toten-Ensemble Wie Grüße schienen Wolken, Meer und Ruß! Doch das Vergessen folgte auf dem Fuß.

Die weiblichen Toten Das Vergessen ist ganz nah. Komm zu uns, Ophelia!

Ophelia Horatio fragte mich nach einem Kuss. Er fragte so, als wäre er dein Mund … Dass alle Liebe immer zweifeln muss. Und Scham, und Schuld, und Schein, sie sind der Grund.

Toten-Ensemble Schuld war die Scham, nur Anschein jeder Grund … Und die Erinnerung hat keinen Mund!

Die weiblichen Toten Das Vergessen ist ganz nah. Komm zu uns, Ophelia!

Ophelia Dort lag dein Vater – nur ein toter Mann. Du hast geweint, ich nahm dich bei den Händen … An diesem stillen Fleck fing alles an. Und Welt und Herzschlag scheinen hier zu enden.

Toten-Ensemble Sie stehen still, dein Herzschlag und die Welt. Was war, was ist und sein wird – es zerfällt. Die weiblichen Toten Das Vergessen ist ganz nah.

Komm zu uns, Ophelia!

Prinz Hamlet, der Ophelia nicht wahrnimmt, legt sich rücklings auf die Bank Oh, wär dies viel zu feste Fleisch geschmolzen, Zerlaufen, hätt sich aufgelöst zu Tau!

Wie abgeschmackt, schal, flach und ohne Sinn Schien mir das bunte Treiben aller Welt … Weg! Weg damit! Es war ein Garten, wo Nur Unkraut sprießt und bloß noch alter Giersch Wild wuchert. Dass es so weit kommen musste!

Zwei Monate erst tot – nein, nicht mal zwei … Ein König, prächtig … und so lieb zu Mutter, Den Böen am Himmel hätte er verboten, Ihr ins Gesicht zu fahren.

Toten-Ensemble stimmt ein Himmel, Erde, Wie das vergessen?

Gertrude allein, laut und klar Das Vergessen ist ganz nah.

Komm zu uns, Ophelia!

Prinz Hamlet brüllt Schwäche, du heißt Frau!

Hält die herausgebrüllte letzte Silbe so lange, dass Ophelia die Gelegenheit nutzt, um zu den Stufen zu gelangen. Dort verbirgt sie sich erneut, ihr Kopf bleibt jedoch sichtbar, während Hamlet sich aufsetzt, ohne dabei wahrzunehmen, dass Horatio den Garten betritt.

Ophelia „Das Vergessen ist ganz nah. Komm zu uns, Ophelia!“ … Wer nur ruft das – irr ich mich? Niemand? Oder bin das ich?

Die weiblichen Toten wispernd Das Vergessen ist ganz nah.

Komm zu uns, Ophelia!

Prinz Hamlet Ein Monatchen – und sie noch in den Schuhen, Mit denen sie auch Vaters Leichnam folgte, Als wär sie ganz aus Tränen – grade sie …! O Gott, ein Tier, das von Vernunft nichts weiß, Würd länger trauern – Frau jetzt meines Onkels, Noch eh das Salz verlogen falscher Tränen Ihr aus verquollen roten Augen schwand, War sie vermählt.

Gertrude schreit spitz und durchdringend.

Horatio näherkommend Mein toter Freund, mein Prinz, Liegt Euch noch was am Leben, so vertraut Nicht auf die Nacht …

Prinz Hamlet Oh Schande, wie geschickt Und rasch sie in verwandtes Bettzeug stieg.

Horatio noch näher Die Nacht ist da, damit wir sicher sind, Dass es nicht nur die Sonne gibt. Ruft, heiter He, Lieber!

Prinz Hamlet steht auf, und Ophelia duckt sich, verschwindet – ab. Wär nur Horatio hier … mein Freund, wär er So tot wie ich! „Horatio!“, würd ich sagen, „Mensch, wisst Ihr noch, wie wir mal Menschen waren! Der Garten … wisst Ihr noch? … Ophelia?“

Horatio fast bei ihm Wie das vergessen!

Prinz Hamlet „Setzt Euch!“, würd ich sagen. Und ihm erzählen: „Mutter! Onkel! Morde …! Oh wenigstens Ophelia sollte leben!“

Horatio bleibt stehen Solange niemand wen versteht auf Erden, Kann es auch kein Gespräch mit Schatten geben.

Prinz Hamlet Im Himmel und auf Erden gibt es mehr, Als was ihr Philosophen euch zurechtträumt.

Winkt ab Es ist nicht gut und kann nichts Gutes werden.

Horatio Seid nur nicht einsam, lieber Schattenprinz!

Prinz Hamlet So riete mir mein Freund Horatio …

Stürzt davon Ich einsam? Was! Ich hab ja meinen Schmerz! Los, brich, denn ich schweig besser still, mein Herz. Ab

Viertes Bild Regen

Horatio. Der graue König. Wachen. Toten-Ensemble. Grosser Schattenchor.

Nachdenklich geht Horatio im Garten umher: Einmal toben die vier Kinder vorbei. Als er vor der Eibe innehält, bewegt sich der Baum und kommt auf ihn zu. Die Eibe hat das Gesicht des grauen Königs. Schlangenartig schlenkern die Stricke an den Ästen umher. Am Rand des Gartens streift Prinz Hamlet die weiße Kluft der Toten wieder über und reiht sich in ihr Ensemble ein.

Horatio schrickt zusammen und versteckt sich, doch fasst sich kurz darauf ein Herz

Ich stelle es, und geh ich drauf –Breitet die Arme aus. Halt, Trugbild!

Seid Ihr zu Lauten fähig und habt Stimme, So sprecht mit mir!

Soll irgendeine gute Tat geschehen, Die Ruhe Euch und Gnade mir gewährt, So sprecht mit mir!

Ist Euch das Los für Euer Land bekannt Und wär es durch Vorausschau abzuwenden, So sagt’s – bleibt stehen und heraus damit!

Er versperrt dem Baum den Weg, ruft Bernardo, hier! Marcellus! Wachen! Helft!

Zwei Offiziere, beide bewaffnet, eilen herbei und versuchen vergeblich, mit Lanzen nach ihm stechend, den Geist aufzuhalten. Die Eibe entfernt sich. Horatio, der vor dem Baum umherspringt Mein König! Lebt Ihr noch

– seid nicht nur Baum!

Seid mehr! Verschwindet nicht

– bleibt! Seid kein Traum!

Der graue König, gefolgt von den beiden machtlosen Wachen, ab. Horatio taumelt durch den öden Garten, sinkt auf die Bank

Wir kränken sie nur, wenn wir Majestäten

Mit Anschein von Gewalt entgegentreten –Denn Pracht ist unverwundbar, wie die Luft, Bloß Spuk, bloß Spott sind für sie blinde Hiebe.

Legt sich auf die Bank wie zuvor Prinz Hamlet. Während Horatio weitersingt, betritt der Große Schattenchor den Garten und stellt sich, die Sängerinnen und Sänger in Grau oder Schwarz, einige von ihnen als Bäume verkleidet, mit kahlem, weit in die Höhe reichendem Astwerk, der Reihe nach im Hintergrund auf. Es dunkelt.

Tot Sohn, tot Vater, tot in einer Gruft … Wär von zwei Hamlets einer noch am Leben!

Er würde, mit der Zauberhand der Liebe, Dem anderen sein halbes Leben geben.

Grosser Schattenchor, leise, immer lauter

Der Regen, und sein Regnen, sie verbinden Den Himmel, und die Erde, und den Grund, Auf dem wir einst gegangen sind. Sie finden

Für uns den Ton, der von uns bleibt, das Und Zwischen den Tropfen und – und – und – den Mund, Der es verschluckt hat, und – und – und – und … Dunkel.

Zweite, Dritte und Vierte Ophelia. Polonius. Laertes. Prinz Hamlet. Der graue König. Rosenstern.

Der Thronsaal. Die beiden leeren Throne verziert mit Blumen und Kräutern, dazwischen die Eibe mit dem Gesicht des grauen Königs. In der Krone sind an die sich immer wieder bewegenden Äste mit den zuvor herabhängenden Stricken Prinz Hamlet, Laertes und Polonius gefesselt, unverändert weiß geschminkt und in weißen Gewändern, während Rosenstern am Stamm lehnt und in einigem Abstand, den Rücken zum Publikum, im Halbkreis die drei toten Ophelias stehen, auch sie in der weißen Uniform der Verblichenen. Vor den Fenstern prasselnder Regen. Polonius aus dem Baum

Es war uns immer fremd, Ophelia, Tochterherz, Dass Ihr für alles Sinn

Gehabt habt außer uns!

Zu viel Gefühl darin … Nichtsnutziges Empfinden!

Kein Herz kennt einen Grund, Es kann ja nichts ergründen.

Zweite Ophelia Muss jeder, Vater, denn Charakter haben?

Und weshalb wohnen, und in einem Haus?

Wieso sind Möwen weiß und schwarz die Raben?

Ich wollt das nicht!

Mir war der Tag Gedicht.

Ich wollt ins wilde Ungebiet hinaus.

Laertes aus dem Baum Reißt nicht das Maul so auf, Ophelia, Schwesterherz!

Ihr kennt der Frauen Pflicht

Und wisst, dass Ihr den Rand

Zu halten habt, wenn wer, Der keine Frau ist, spricht.

Ihr wart ein Ziel der Lust, Seid dessen Euch bewusst.

Dritte Ophelia Ihr hattet es bestimmt nicht leicht, Herr Bruder!

Wenn Ihr geschwommen seid, sah ich Euch zu. Und wenn wir segelten, saßt Ihr am Ruder Dann träumte mir

Es zog mich weg von hier Zu einem ungehörig wilden Du.

Prinz Hamlet aus dem Baum

Ihr wisst, was Ihr mir seid, Ophelia, liebstes Herz –Die Zukunft, Gegenwart Und die Vergangenheit. Der Tag blieb mir erspart, Solange Ihr noch schlieft! Nur das, was Euch gefiel, War mir ein Wunsch und Ziel.

Vierte Ophelia Was Himmel sein kann, habt Ihr mir versprochen –Und von Vertrauen, Liebe, Mitgefühl Gehalten nichts. Zerbrochen, in sechs Wochen … Ich Spottgestalt!

Mein Prinz, ich bin uralt Und sehne mich unbändig wild nach Spiel.

Prinz Hamlet donnernd, Polonius, Laertes und grauer König stimmen ein Knebelt sie!

Sie muss sofort geknebelt werden!

Knebeln, los!

Kein Wörtchen mehr von ihr auf Erden!

Rosenstern schreitet mit einem Strick zur vierten Ophelia und knebelt sie.

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