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ELEMENTAR DER UNSICHTBARE ALLESKÖNNER

DIREKTE VERBINDUNG INS ALL

Er verbindet die unglaublichsten Dinge und rettet uns manchmal sogar das Leben: Klebstoff steckt in vielen alltäglichen Dingen

Vom Kontrollraum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln steuert Professor Rainer Willnecker Experimente im Weltraum

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VER BIN DUN GEN

WIE ALLES MIT ALLEM ZUSAMMENHÄNGT

03.2015

Magazin für die Beschäftigten in der Chemie


THEMA Wandel – Neu! Anders! Besser? 2

»WENN SIE MIR SAGT, DASS ETWAS NICHT GUT AUSSIEHT, GLAUBE ICH IHR. WIR HABEN SO EINE VERBINDUNG.« DAVID BECKHAM , Fußballstar, über seine Ehefrau Victoria » IM GRUNDE SIND ES DOCH DIE VERBINDUNGEN MIT MENSCHEN, DIE DEM LEBEN SEINEN WERT GEBEN.« WILHELM VON HUMBOLDT, preußischer Gelehrter » DIE EHE IST WIE EIN TELEFON: WENN MAN NICHT RICHTIG GEWÄHLT HAT, IST MAN FALSCH VERBUNDEN.« DORIS DAY, US-amerikanische Schauspielerin » ES WÄCHST ZUSAMMEN, WAS ZUSAMMEN GEHÖRT.« WILLY BRANDT , anlässlich des Mauerfalls 1989

Er verbindet die unglaublichsten Dinge und rettet uns manchmal sogar das Leben: Klebstoff steckt in vielen alltäglichen Dingen.

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ELEMENTAR 3

THEMA

VERBINDUNGEN – Wie alles mit allem zusammenhängt

→ Interview

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Der unsichtbare Alleskönner ELEMENTAR zeigt, wie Klebstoff unseren Alltag beherrscht

Richtig verbunden Die zahlreichen Chemiestandorte im Rheinland sind bestens vernetzt

Auf gute Nachbarschaft Wie die Unternehmen sich bemühen, einen guten Draht zu ihrem Umfeld herzustellen

Direkte Verbindung ins All Vom Kontrollraum des Deutschen Zentrums für Luft­ und Raumfahrt in Köln steuert Professor Rainer Willnecker Experimente im Weltraum

Chemie im Rheinland: eine starke Verbindung Die regionale Ballung in NRW bringt die Chemieunternehmen und ihre Nachbarschaft näher zusammen

Oberirdische Rohrleitungen sind nur ein Teil der komplexen Verbundstruktur im Rheinland

Übrigens: Unser Redaktionsteam freut sich über Feedback unter redaktion@elementar­magazin.de!

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VER|BIN|DUNG|EN Wortart: Substantiv,

feminin, Plural

BEDEUTUNG: das Verbinden;

Zusammenhalt; Zusammenhang; Stoff, der aus mehreren Elementen besteht; Kombination; traditioneller Studentenverein; veraltet: Beziehung, Ehe Herkunft: SPÄTMITTELHOCHDEUTSCH „VERBINDUNGE“

Typische Verbindungen: CHEMISCH, ORGANISCH, ANORGANISCH, DIREKT, IONISCH, UNERSETZLICH, ENG, SCHNELL

SYNONYME: Aneinanderreihung, Brückenschlag, Paarung, Verknüpfung, Vermischung, Vernetzung; Einheit, Komposition; Beziehung, Gemeinsamkeit, Bund, Bündnis, Partnerschaft, Verband, Vereinigung



THEMA VERBINDUNGEN – Wie alles mit allem zusammenhängt 6

CHEMIE IM RHEINLAND: EINE STARKE VERBINDUNG Verbindungen in der chemischen Industrie, das sind nicht nur C2H4 oder H2O2. Die Unternehmen produzieren zwar eine Vielzahl an Produkten, die aus der Kombination kleinster Teilchen bestehen. Sie stellen aber auch noch ganz andere Arten von Verbindungen her. Solche, die man erst auf den zweiten Blick sieht: zu ihren Beschäftigten, ihrer Nachbarschaft und in die gesamte Region. Und indirekt auch zum Bäcker vor dem Werkstor.


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er Wecker klingelt. Raus aus den Federn. Hektik im Bad. Den Einkaufszettel nicht vergessen. Und plötzlich ist die zweite, farblich passende Socke unauffindbar, vom Autoschlüssel ganz zu schweigen und eigentlich ist man eh schon spät dran – nicht nur wer Kinder hat, kennt diese allmorgendliche Hektik oftmals nur zu gut. Ein ausgiebiges Frühstück? Dafür bleibt meist keine Zeit. Gut, dass es eine Bäckerei auf dem Weg zur Arbeit gibt. Und für die Einkäufe am Abend den dortigen Supermarkt. Knurrt der Magen schon mittags, geht es mit den Kollegen statt in die Kantine auch mal zum Metzger um die Ecke, der günstigen Mittagstisch nach guter Hausmannsart feilbietet. Und auf dem Weg kann man die Schuhe noch schnell beim

1 Std. Für den Absatz ihrer Produkte profitiert die Che­ mie im Rheinland von ihrer Lage: In nur einer Stunde Fahrzeit können unglaubliche 16 Millionen Menschen erreicht werden.

NASE VOLL VOM STAU

Schuster besohlen lassen. Kurzum: Es ist ein vielfältiger Dienstleistungs-Kosmos, der im Umfeld unserer Arbeitsstätten gewachsen ist und von vielen von uns gerne genutzt wird. In Zahlen ausgedrückt heißt das: Jeder Arbeitsplatz in einem Industrieunternehmen beeinflusst in der Regel indirekt zwei bis drei Arbeitsplätze vor dem Werkstor. Dies zeigt: Gerade in Deutschland ist die Industrie unverzichtbar. Immerhin lag ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung 2013 bereits bei 21,8 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durchschnitt. Ein Erfolg, der durchaus sichtbar ist. Denn ein florierender Firmenstandort zeigt sich nicht nur an imposanten Pipelines und reger Produktivität. Er verändert vielmehr oft das Gesicht (s)eines gesamten Stadt- oder Ortsteils p ­ ositiv: Ein neuer Kindergarten wird gegründet, die Schule mit einer modernen Laborausstattung ­bedacht und die Busverbindungen werden ausgebaut. Voraussetzung für diese Entwicklung ist eine starke Wirtschaft, also Löhne, Steuern und Abgaben, die in die

Kurz gesagt: Man hat die

überwiegt häufig die Skepsis

Nase voll von Staus, Verspä­

gegenüber neuen Projekten

tungen, unterbrochenen

und Planungen, aber wie

Handy­­tele­fonaten und

die Ergebnisse der Allens­

niedrigen Da­tenraten. „Zum

bach-Umfrage zeigen, hat

Mond fliegen können wir, aber

ein Umdenken begonnen.

das kriegen wir nicht hin“ – dieses Zitat ist bei vielen

Das Problem der maroden

Beispielen schnell zur Hand.

Verkehrswege könnte also der Auslöser für eine

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Ob die Unzufriedenheit mit

neue Debatte über die

dem maroden Zustand

Zukunft der Infrastruktur –

der Infrastruktur bei den

Autobahnen, Windparks,

Laut einer Allensbach-Um­frage sind zwei

Bürgerinnen und Bürgern

Hochspannungsleitungen,

Drittel der Deutschen der Meinung, dass

auch zu einer größeren

Pipeline-Trassen, Glasfaser­

hierzulande nicht genug in die Infrastruktur

Zustimmung zu Straßen­

kabel und vieles mehr – sein.

investiert wird. In den letzten Jahren wurde

bauprojekten, Handymasten

Wünschenswert wäre das

der Ausbau von Verkehrswegen und Internet-

und anderen Vorhaben

allemal, birgt es doch Vorteile

verbindungen von den Bürgerinnen und

führt? Das wäre logisch und

für Beschäftigte ebenso wie

Bürgern als immer dringender eingestuft.

konsequent. Im Moment

für Unternehmer.

...


THEMA VERBINDUNGEN – Wie alles mit allem zusammenhängt 8

→Ü bung macht den Meister Dieser Spruch ist für die

Köpfe im Unternehmen zu

auf Weiterbildung. Bereits

chemische Industrie schon

halten und zu fördern,

stolze 91 Prozent der Arbeit­

seit langem praktizierte

setzen die Unternehmen

geber investieren in die

Realität. Um den Beschäftig­ der Branche nicht nur auf ten ein attraktives Arbeits­

umfeld zu ermöglichen, also flexible Arbeitszeitmodelle, gut ausgebildete und kluge

...

Region fließen. Wie eng diese Verflechtung gerade in der chemischen Industrie ist, wird in kaum einer anderen Region der Republik so sichtbar wie im Rheinland: Mit seinen rund 80.000 Beschäftigten trägt es dazu bei, dass Deutschland die größte Chemienation Europas sowie die viertgrößte weltweit ist. GUTEN TAG, LIEBE NACHBARSCHAFT! So zahlreich auch die Vorteile dieser regionalen Ballung für die chemische Industrie sind, sie stellt diese zugleich vor eine Herausforderung: ein guter und geschätzter Nachbar zu sein. In keinem anderen Bundesland Deutschlands nämlich leben Mensch und Industrie so nah beieinander wie in Nordrhein-Westfalen. Will ein Unternehmen heutzutage akzeptiert werden, so muss es eine transparente und bürgernahe Kommunikation pflegen. Wo Unternehmen früher hohe Werkstore umgaben, bieten sie heute häufig niedrigschwellige Informa­ tionsangebote wie Bürgertelefone und Nachbarschaftsbüros. Oder sie öffnen gleich ihre Werkstore wie zum „Tag der offenen Tür in der Chemie“. Hierbei wird für viele erst sichtbar, was für sie in ihrem Alltag unverzichtbar ist: chemische Produkte und ihre Herstellung. Wer versteht, wie die Chemie arbeitet, akzeptiert Industrie und ihre Technologien stärker. Doch die chemische Industrie kann mehr als ein guter Gastgeber sein. Sie engagiert sich auch in zahlreichen sozialen und kulturellen Projekten. Und das gerne ganz konkret vor Ort. So ziert nicht nur ein Logo der örtlichen Firma die Trikots so mancher hiesigen Fußballmannschaft, sondern ganze Veranstaltungsorte tragen den Namen ihres Geldgebers wie der Henkel-Saal in Düsseldorf. Oftmals geht die Verflechtung so weit, dass gerade traditionsreiche Unternehmen identitätsstiftend für einen ganzen Ort werden. Was wäre Leverkusen ohne Bayer und Lanxess? Oder Wesseling und Hürth ohne

Interessierte

Allein im vergan­ genen Jahr kamen rund 400.000 Interessierte, um in mehr als 200 Chemiewerken bundesweit Produk­ tionshallen zu be­ sichtigen, Vorträgen eine Runde mit der Werkfeuerwehr übers Gelände zu drehen.

deutlich über dem in ande­

sondern insbesondere auch ren Industriebranchen liegt.

400.000

zu lauschen oder

Weiterbildung ihrer Mit­

Nachwuchsprogramme und arbeiter – ein Schnitt, der

chemische Industrie? Damit dies auch in nachwachsende Generationen weitergetragen wird, pflegt beispielsweise der Fonds der Chemischen Industrie eine „Schulpartnerschaft Chemie“. Über 25 Millionen Euro hat dieser Fonds in den vergangenen 17 Jahren allgemeinbildenden Schulen beigesteuert, um den Chemieunterricht experimenteller zu gestalten, den Lehrern mit fachlichem Rat und Tat zur Seite zu stehen sowie Wettbewerbe wie „Jugend forscht“ zu unterstützen. So dass aus kleinen Forschern von heute kluge Wissenschaftler von morgen werden. MIT FORSCHUNG HAND IN HAND Gerade diese klugen Wissenschaftler nämlich benötigt die chemische Industrie immer stärker. Denn damit deutsche Chemieerzeugnisse auch in Zukunft noch global gefragt sind, pflegt die chemische Industrie – neben der engen Verbindung zu anderen Industrien sowie Dienstleistungsunternehmen – bewusst auch eine intensive Verzahnung mit der Forschung. Insbesondere in NRW mit seiner dichten Hochschullandschaft arbeiten zwei Drittel der Chemiefirmen mit Wissenschaftlern Hand in Hand. Ein leistungsfähiges Innovationsnetzwerk aus exzellenten Hochschulen und privaten Forschungseinrichtungen, das stets für neue Impulse und Entwicklungen sorgt. Damit sichert die chemische Industrie nicht nur die Zukunft des Chemiestandorts ­ Deutschland mit seinem jährlichen Export von 80 Milliarden Euro, sondern vermag mit innovativen Produkten auch Antworten auf globalgesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimaschutz zu geben. Das hat auch die NRW-Politik erkannt. Und hat daher gerade in diesem Jahr in einem Enquete-Bericht parteiübergreifend die herausragende Bedeutung der chemischen Industrie für eine positive Entwicklung unseres BindestrichBundeslandes hervorgehoben. 3.2015

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BINDEN TRENNEN

+ TRIKOT DER EINHEIT

Die richtige Verbindung muss nicht immer eine besonders feste sein. Mal kommt es auf Flexibilität an, mal auf Zuverlässigkeit und Ausdauer – und manchmal auf symbolischen Zusammenhalt.

Sport verbindet Ein grün-goldenes Trikot wurde am 24. Juni 1995 zum Symbol der Gemeinschaft: Nelson Mandela winkte im

2

INTERVIEW

Drei Fragen an ... → Willi Weber,

59, Deutschlands bekanntesten Standesbeamten

1

Sie haben tausende Trauungen durchge-

führt. Welche ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

»Eine Trauung ist Vergnügen, keine Arbeit«

Was gefällt Ihnen

Dress der südafrikanischen

am Beruf des

Rugby-Nationalmannschaft

Standesbeamten?

den 62.000 Zuschauern im

Es ist ein freudiger Anlass,

Ellis-Park-Stadion von Johan­

es gibt eine positive Grund­

nesburg. Lange Zeit galt Rugby

stimmung aller Beteiligten.

als „weißer Sport“. Fünf Jahre

Das Brautpaar und die Gäste

nach dem Ende der Apartheid

freuen sich alle auf diesen

hatte nun das südafrikanische

Tag. Außerdem kann ich jeden

Team, die Springboks, im Finale

Tag neue Leute kennenlernen

den Weltmeistertitel gegen

und dazu beitragen, dass die

Neuseeland geholt. Das Trikot

Hochzeit der schönste Tag im

stand an diesem Tag

Leben des Brautpaars wird.

für Hoffnung und Einheit

Eine Trauung ist Vergnügen,

statt für Rassentrennung.

keine Arbeit.

3

Kommen Menschen auch mehrfach zu

Ihnen? Haben Sie Tipps für eine glückliche Ehe? Den Rekordhalter habe ich

100

echte Gelenke

bisher fünfmal getraut. Außergewöhnliche Tipps für eine lange Ehe habe ich

Ich kann mich an viele außerge­

FLEXIBLES SKELETT

gibt es im menschlichen Körper. Zählt man sämtliche

wöhnliche Trauungen erinnern:

mit seinem Motorrad auf einem

eigentlich keine. Für mich

beweglichen Verbindungen

in einem Flugzeug, unter Was­

Seil gefahren, seine Frau saß

sind es die selbstverständ­

beispielsweise über Sehnen

ser und im Eishockey-Stadion

auf einem darunterhängenden

lichen Dinge: dass man viel

und Bändern hinzu, kommt

zum Beispiel. Das Highlight

Trapez. Ich wurde mit einer

miteinander spricht und sich

man auf rund 360 Gelenk­

war sicherlich die Hochzeit von

Hebebühne hochgefahren und

respektiert. Der Partner sollte

verbindungen. Die Anzahl

Hochseil-Weltmeister Falko

habe die beiden vor tausenden

jeden Tag wie ein Geschenk

der Knochen beträgt 206.

Traber. In 35 Metern Höhe ist er

Menschen getraut.

behandelt werden.

VERBINDUNGSAUFBAU ...

Das erste Transatlantikkabel

wurden zu hohe Spannungen

Lange Leitung

ging 1858 zwischen Großbri­

und Probleme mit der Isolierung

tannien und Amerika in Betrieb,

vermutet. Ein weiteres, 4.200

war jedoch nach wenigen Wo­

Kilometer langes Kabel ging

chen unbrauchbar. Als Ursache

1866 in Betrieb.


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DER UNSICHTBARE ALLESKÖNNER

Man sieht sie nur selten, man kann sie oft nicht riechen, man nimmt sie häufig gar nicht wahr. Sie halten (sich) im Hintergrund, und dennoch sind sie aus unserem Alltag nicht wegzudenken: die Klebstoffe. Sie verbinden Einzelteile zu einem großen Ganzen und kommen bei viel mehr alltäglichen Gegenständen zur Anwendung, als wir denken. Das ist kein Wunder, denn irgendwo müssen sie ja stecken, die sechs Kilogramm Klebstoff, die jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr verbraucht.

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chon in der Steinzeit gelang es den Menschen, aus Birkenpech, tonhaltiger Erde oder Tierhäuten eine klebrige Masse herzustellen. Inzwischen haben Klebstoffe ihren Siegeszug um die Welt angetreten. Nahezu kein Gebrauchsgegenstand unseres Alltags kommt heutzutage ohne sie aus. Rund 200.000 Klebstoffsorten werden weltweit verwendet und verdrängen zunehmend andere Techniken wie Löten

oder Schweißen. Der Vorteil des Klebens liegt auf der Hand: Klebstoffe können zahlreiche Materialien verbinden, ohne die Einzelteile dabei zu verändern. Im europäischen Vergleich sind wir Deutschen übrigens die Klebe-Nation Nummer eins. Das betrifft sowohl die Herstellung als auch den Verbrauch. ELEMENTAR zeigt einige Beispiele, wo sich Klebstoff in unserem Alltag verbirgt.

→ Kein Tagesablauf ohne Klebstoff Der Wecker Sechs Uhr morgens, der Wecker klingelt und bekommt umge­ hend einen mehr oder weniger liebevollen Klaps, damit er Ruhe In zahlreichen Schlafzimmern

sind, kommen wir das erste

Mal in Kontakt mit Geklebtem:

Rest der Republik am längs­

Die winzigen Elektronikteile im

ten, um morgens aus dem

Inneren des Weckers sind mit­

Bett zu kommen: Die meisten

hilfe von Klebstoff fixiert. Für die

drücken mehr als einmal

Verbindung von Materialien auf

auf die Snooze­Taste. Umso

kleinstem Raum ist das Kleben

wichtiger ist es also, dass der

die sicherste Methode – und die

Klebstoff den Wecker

kostengünstigste dazu.

möglichst stabil macht.

gibt. Noch bevor wir richtig wach

Die Westdeutschen

brauchen im Vergleich zum

Die Lebensmittelverpackungen

Am Frühstückstisch

Selbst in der Küche

Kälte im Kühlschrank

begegnet uns der

standhalten als auch

Klebstoff in vielen For­

gesundheitlich un­

men. Schauen wir uns

bedenklich sein. Damit

eine Getränkeverpa­

die Getränke die Ver­

ckung genauer an: Sie

packung nicht durch­

muss das Getränk frisch

weichen, wird auf

halten und vor äußeren

den Karton von beiden

Einflüssen schützen.

Seiten eine dünne

Dazu werden mehrere

Schicht Kunststoff

Materialien mitein­

aufgetragen. Diese

ander verklebt. Auch

macht rund 20 Prozent

der Verschluss wird

der gesamten Ver­

angeklebt. Dabei muss

packung aus.

der Klebstoff sowohl der

...


THEMA VERBINDUNGEN – Wie alles mit allem zusammenhängt 12

Die Kleidung Auch bei unserer Kleidung

Geklebt wird übrigens nicht

kommen Klebstoffe sehr

nur bei der Freizeitkleidung,

häufig zum Einsatz. So sorgt

sondern auch im Bereich

Klebstoff zum Beispiel bei

der Arbeitskleidung: Ein

Outdoorbekleidung dafür,

Chemie­Schutzanzug muss

dass die Nähte wasser­

nicht nur unempfindlich

undurchlässig sind. Denn

gegenüber Flüssigkeiten

auch der hochwertigste

und Feuer, sondern auch

Stoff hilft nicht, wenn an

sprüh­, partikel­, spritz­,

den Nähten trotzdem

blut­ und virendicht sein.

Wasser eindringen kann.

Bei solcher Schutzkleidung

Die Lösung: Alle Nähte

sind zur Sicherheit alle

werden mit einem speziel­

Nähte geklebt.

Vor dem Kleiderschrank

len Klebeband so verschlos­ sen, dass keine Feuchtigkeit eindringen kann.

Das Post-it

Im Büro

Auch am Schreibtisch

schicht eingebettet. Die

müssen Klebstoffe

Kugeln haften nur punk­

besonderen Anforde­

tuell. Sie sind beweglich

rungen gerecht werden,

und nicht immer an der­

wie etwa im Falle von

selben Stelle aktiv. Da­

Haftnotizen: Sie dürfen

durch können die Zettel

sich nicht plötzlich von

nicht nur einfach gelöst,

alleine lösen. Trotzdem

sondern auch mehrfach

muss man sie aber jeder­

verwendet werden. Auch

zeit rückstandsfrei von

deswegen sind sie sehr

allen Flächen entfernen

beliebt: In Deutschland

können. Dafür werden

werden jährlich rund

größere Klebsto�kugeln

viereinhalb Millionen

in eine dünne Klebstoff­

Blöcke verkauft.

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Nach der Mittagspause

Das Kaugummi Auf einem Klebstoff kauen

zen sich aus synthetischen

wir sogar gerne herum: dem

Bestandteilen (dies sind in

Kaugummi. Würde es nicht

der Regel Kunststoffe) und

kleben, zerfiele die Masse

elastischen Fasern zusam­

im Mund. An vielen Stellen

men. Je mehr von diesen

klebt es unerwünschter­

hinzugefügt werden, desto

weise extrem hartnäckig,

besser lassen sich Blasen

übrigens mit zunehmendem

im Mund jedoch passiert

formen. Die elastischen

Alter ab. So kauten im

das nicht. Dafür sorgt unser

Fasern dehnen sich dabei

Jahr 2012 75 Prozent der

Speichel. Kaugummis set­

aus wie ein Einkaufsnetz.

10­ bis 14-Jährigen min­

Die Beliebtheit

von Kaugummis nimmt

destens einmal pro Woche Kaugummi. Die 40­ bis 49-Jährigen kamen hingegen

Das Pflaster

nur noch auf 44 Prozent.

Zieht man sich beim Sport eine Verletzung zu, ist der erste Griff meist der zum Pflaster. Jeder von uns verbraucht durchschnitt­ lich einen halben Meter pro Jahr. Klebstoffe sorgen dafür, dass die Wundauflage an Ort und Stelle

Zuhause

bleibt. Größere Wunden wie Stirn­ und Augenbrauenplatz­ wunden können bisweilen auch direkt geklebt werden. Und die Medizin bietet noch ein Klebe­ wunder: Bei Brandwunden und inneren Verletzungen kommt Fibrinkleber zur Anwendung. Aus Blutplasma gewonnen, weist er eine ähnliche Funktionsweise wie die Blutgerinnung auf. Bei Herz­

transplantationen sorgt er beispiels­ Auf dem Sportplatz

weise für die Blutungsstillung.

Die ErdbebenTapete Und zum Schluss noch eine außergewöhnliche Kleb­ stoffanwendung, die eben­ falls Leben retten kann: Die Erdbeben­Tapete, bestehend aus einem reißfesten Glas­

Klebstoff direkt am Mauer­

fasergewebe und dem sehr

werk befestigt. Sie hält die

dehnbaren Kunststoff Polypro­

Wand großflächig zusammen

pylen, wird mit einem speziell

und kann so ein Einstürzen

zu diesem Zweck entwickelten

verhindern oder zumindest hinauszögern. Das kann den Menschen wertvolle Zeit verschaffen, um sich in Sicherheit zu bringen.

.


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RICHTIG VERBUNDEN Das Rheinland ist eine Region mit guter Vernetzung – das gilt nicht nur für die zahlreichen Pendlerrouten, sondern auch für die chemische Industrie. Die Verbindungen zwischen den Unternehmen an den zahlreichen Produktionsstandorten bilden ein engmaschiges Netz. ELEMENTAR berichtet über die zahlreichen Vorteile und Merkmale dieses Verbunds.

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erbundstrukturen sind in der Chemie keine neue Erfindung: So fußt zum Beispiel die Arzneimittelproduktion von Bayer auf einem Nebenprodukt aus der Farbenherstellung aus dem Jahr 1888. Mit der Umstellung der chemischen Industrie vom Rohstoff Kohle auf Erdöl in den 1950er Jahren entstanden auch im Rheinland petrochemische Standorte. Diese legten das Fundament für die Entwicklung des stofflichen und energetischen Netzwerks, das heute einen wichtigen Wettbewerbsvorteil der Chemieregion Rheinland darstellt. „Aus relativ wenigen Grundprodukten sind im Verbund über die Jahre hinweg sehr breit angelegte Produkt-Stammbäume entstanden, deren Verästelungen unzählige unterschiedlichste Produkte ergeben“, erklärt Dr. Karl-Heinz Eichin (62), Experte der Verbundthematik bei CURRENTA, diese Entwicklung. Bestandteil dieses Netzwerks sind auch die zahlreichen Chemieparks, von denen CURRENTA drei betreibt.

Dinslaken

Kamp-Lintfort

Bottrop

Moers

Oberhausen

Duisburg

Essen Mülheim

Krefeld

Wuppertal

Ratingen

Viersen

Düsseldorf Neuss

Hilden Remscheid

Mönchengladbach

Solingen Langenfeld

Leverkusen Bergisch Gladbach

Köln

Hürth

...

Chemiepark­ Standorte Mineralöl Mineralöl­ produkte Kraftstoffe Kohlen­ monoxid

Ethylen Gas Wasserstoff Stickstoff Sauerstoff Propylen Verschie­ denes

Wesseling

Troisdorf

Bonn Königswinter

Quelle: Studie „Chemielogistik im Rheinland“, ChemCologne, 2014.

VORTEILE DES VERBUNDS Die vielfältigen Vorteile des Verbunds zeigt KarlHeinz Eichin am Beispiel der CHEMPARK-Standorte in Dormagen, Leverkusen und Krefeld-Uerdingen auf: „Hier finden sich zahlreiche chemische Anlagen, die wechselseitig miteinander verbunden sind.“ So produzieren manche Betriebe Zwischenprodukte, die in anderen Anlagen weiterverarbeitet werden. Auch Abfall- oder Nebenprodukte können für andere Unternehmen wertvolle Rohstoffe sein. In einer Chlorelektrolyse-Anlage der Covestro fällt

Erfolgsfaktor des Standorts: das Pipelinenetz


ELEMENTAR 15

Ein Symbol der Verbindungsstruktur: die unzähligen Pipelines im Chemie­ park von CURRENTA in Leverkusen.

3.2015


THEMA VERBINDUNGEN – Wie alles mit allem zusammenhängt 16

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beispielsweise Salzsäure an, die für die Herstellung von Aluminiumchlorid genutzt werden kann und in der Firma Kemira im CHEMPARK einen Abnehmer findet – in diesem Fall sogar ein Unternehmen, das sich aus genau diesem Grund dort neu angesiedelt hat. Die aus dieser Zusammenarbeit entstehenden Endprodukte werden beispielsweise für die Trinkwasseraufbereitung genutzt. In manchen Fällen können aus Verbundstrukturen – damals wie heute – ganz neue Geschäftszweige entstehen. So fällt bei der Chlorelektrolyse auch Wasserstoff an, der wiederum eine Rolle bei der Entwicklung neuer Antriebstechnologien für Automobile spielt. RÜCKGRAT ROHRLEITUNG Nichts symbolisiert die Verbundstruktur in der Chemie besser als Rohrleitungen. Bei CURRENTA wird die Bedeutung von Rohren für die Verbundproduktion schon bei einem Blick auf das Gelände deutlich: 1000 Kilometer oberirdische Rohrleitungen verlaufen allein in den CHEMPARK-Standorten kreuz und quer über Straßen und zwischen Gebäuden und Produktionsanlagen der Unternehmen. Weitere 65 Kilometer sind unterirdisch verlegt. Rohre sind aber nicht nur das Rückgrat der Produktion der Unternehmen im Chemiepark, sondern als Transportwege für Gas, (Trink-)Wasser, Dampf und Strom auch ein unverzichtbarer Pfeiler der Energieversorgung. Auch hier sind die Zahlen beeindruckend. 870 Kilometer lang ist allein das oberirdische Energierohrnetz, ergänzt durch 530 Kilometer unter der Erde. Nicht nur in den Chemieparks spielen dabei die Transportleitungen für Dampf, der in der chemischen Industrie zahlreiche Abnehmer findet, eine besondere Rolle. Aus diesem Grund sind auch Gas- und Dampfkraftwerke für die chemische Industrie attraktiv, da sie die Strom- und Dampf­ erzeugung kombinieren.

»Aus wenigen Grund­ produkten sind sehr breite Produkt-Stammbäume entstanden.«

→ 50 % Im Rheinland werden mehr als 50 % der ChemieProdukte und Roh­

irdischen Transports zurück. Das Pipeline-Netzwerk reicht daher bis in die Häfen von Rotterdam und Antwerpen. Von dort wird beispielsweise Ethylen unter der Erde nach NRW transportiert und hier zu Alltagsprodukten weiterverarbeitet, wie etwa Polyethylen oder Polystyrol für Folien und Dämmungen. Der Vorteil liegt auf der Hand, so Karl-Heinz Eichin: „Für gasförmige Stoffe ist der Transport in Pipelines sicherer als in Fahrzeugen und er erspart auch die Abfüllung in spezielle Behälter wie Tankcontainer.“ Laut der Hafenleitung Rotterdam werden pro Jahr 23,5 Millionen Tonnen Waren vom Hafen Rotterdam durch Rohrleitungen nach NRW transportiert. Damit wird das Straßennetz jährlich um knapp 80.000 Tank-LKW entlastet.

stoffe per Pipeline transportiert.

UNTERIRDISCH VERNETZT Die Verbundproduktion ist übrigens nicht auf einen Standort beschränkt: Unterirdische Rohrleitungen (Pipelines) verbinden die Chemiestandorte im Rheinland auch untereinander. Zusätzlich zu LKW, Bahn und Binnenschiff greift die chemische Industrie für den Transport von flüssigen und gasförmigen Stoffen in großen Mengen und über größere Distanzen insbesondere auf die Option des unter­

Dr. Karl-Heinz Eichin, Experte der Verbundthematik bei CURRENTA

BLICK IN DIE ZUKUNFT Verbundproduktion und -strukturen liegen aber nicht nur im Trend, sondern müssen sich auch an Trends orientieren. So ist die chemische Industrie eng mit zahlreichen anderen Branchen verzahnt, beispielsweise mit dem Automobilbau. Die dortigen Entwicklungen, wie Leichtbau oder alternative Antriebstechniken, fußen häufig auf Innovationen aus der Chemie. Um diese Trends sinnvoll in Chemieanlagen umzusetzen, ist es wichtig, möglichst 3.2015


Vom Rohstoff zum Endverbraucher

30

Rohstoffe

30.000

Endprodukte der chemischen Industrie

20 % 80 %

Endverbraucher

weiterverarbeitende Unternehmen

viele Verbindungen zu anderen Anlagen und Unternehmen zu nutzen oder zu schaffen. In diesem Zusammenhang verwundert die aktuelle Kritik an Pipelines der chemischen Industrie. In der Chemieregion Rheinland ergeben sich durch die Nähe zahlreicher Chemiestandorte zu einer hohen Zahl von produzierenden Unternehmen besonders viele Möglichkeiten für solche Verbindungen. Um den Chemiestandort Rheinland zu sichern, ist und bleibt es die zentrale Aufgabe, Produktions- und Versorgungsanlagen so sinnvoll und effizient wie möglich miteinander zu kombinieren.

Verknüpfungen, so weit das Auge reicht: Die Verbundstruktur prägt die Chemieproduktion. 3.2015

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AUF GUTE NACHBARSCHAFT

Georg Fabian, Personalleiter CHEMION Logistik

rs Die Chemie­Pe

pektive

rth tätig. als Stadtrat in Hü ch tli m na re eh ng. ehr als 15 Jahren Stadtentwicklu it bin ich seit m ungspolitik und ld Bi ik, In meiner Freize lit po bt, gi nd e d Juge iebetrieb sind Kinder­ un platz viele Chem its be Ar er Meine Themen en us m Leverk gen. Ich u wie an meine ig im Rat einbrin Da es hier gena n Industrie häu� he isc sionen em ch r nen und Diskus Wissen aus de r Chemie zu öff de kann ich mein e iss rfn einer dü Be he die ation zwisc n i, den Blick für jährige Kooper ng la versuche dabe he ic re lg fo d ne er splätze un n. So ist etwa ei Ziel, Praktikum zu versachliche nden, mit dem ta ts en rk pa zu vermitteln. ie dem Chem ichen Berufen ftl ha sc en iss Realschule und rw n und natu ze in technische Ausbildungsplät

Das Werkstor, das „Innen“ und „Außen“ trennt – dieses Image der chemischen Indus­ trie ist heute längst nicht mehr zutreffend. Ganz im Gegenteil: Die Chemieunternehmen öffnen sich in vielen Bereichen zunehmend für Interessierte und sind darüber hinaus auf die unterschiedlichsten Arten mit der Region verbunden. ELEMENTAR zeigt einige Beispiele aus dem Miteinander von Chemie und ihren Nachbarn.


Offene Türe fü Meine Kollegen

r Jugendliche

und ich bilden die organisatoris praktika. Unsere che Schnittstel Firmenphilosoph le für alle Schü ie ist es, für inte ler­ zu öffnen und zu ressierte Jugend sagen: „Schau liche die Tür es Di r an!“. Allein in di über 75 Praktik esem Jahr hatte anten im kaufm n wir schon ännischen, tech erhalten sie eine nischen und La n Paten an die borbereich. Da Ha bei nd und konkrete in Sensoriktests Einblicke, beisp , bei denen die ielsweise Ko ns ist en z von Cremes ge gerne möchten testet wird. Beso wir Mädchen fü nders r die MINT-Fäch er begeistern.

D re h s c Christian Zöller, Leiter Politik­ und Bürgerdialog Leverkusen bei CURRENTA

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ürgerb

Ute Gorol, Koordination Ausbildung bei BASF Personal Care and Nutrition GmbH

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Der CH EMPUN KT ist s unsere eit 201 r Nach 3 der D barsch reh­ un verans aft. Wir d Ange talten g eben z Aktion lpunkt u hören m s für den t a B g e e is wir abe mit Un piel Info Austau r t e a rmatio r u n sch mit c e vor Or h h m z u nen üb e , n aus d welche t disku e r e t P T ie m r h o r e t C je men d wird. W HEMPA Wir sin kte un ie Bürg d RK. Als d Ansp ir scha er bew uen da rechpa guter N Das ist e n g r n t achbar en und ner für , ob wir ein seh was ge alle Th etwas r abwe emen rade dazu b chslun und Bin eitrage gsreich d n könn eglied er Job en. zwisch – hier is en „Au t kein T ßen un ag wie d Inne der an n“. dere.

Jens Kählig Koordinator des Global Care Days bei LyondellBasell im Werk Wesseling

Faszination Chemie für Kin

der

erem die Brigida­Grund­ „Global Care Day“ unter and Seit 2011 besuchen wir am r Auszubildenden mit bauen mehr als 20 unsere schule in Wesseling. Dabei trische Energiequelle mit ronenbatterie“, also eine elek den Viertklässlern eine „Zit en, wie spannend Chemie Kindern möglichst früh zeig den wir en cht mö it Dam Obst. g wirkt aber auch nach ufe es gibt. Diese Verbindun ist und welche Chemieber Lehrjahr ihr Wissen direkt n können bereits im ersten Innen: unsere Auszubildende für tolle Dankesbriefe. Selbstwertgefühl und sorgt anwenden. Das stärkt das


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»Wir Menschen auf der Erde wissen ­automatisch, wo oben und unten ist. ­ Der Astronaut nicht.« Rainer Willnecker, Leiter Nutzerzentrum für Weltraum­ experimente am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

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ELEMENTAR 21

DIREKTE VERBINDUNG INS ALL Der Weltraum – faszinierend, unendlich, aber selten einsam. ­Regelmäßig werden neue Satelliten hoch­geschossen und stets kreist die bemannte Inter­ nationale Raumstation ISS in rund 400 Kilometern Höhe um den Globus. Ganz schön nah, wenn man bedenkt, dass das ungefähr der Strecke Köln–Hamburg ­entspricht. Und dennoch erscheint uns der Weltraum auch heute noch fern und unerreichbar.

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icht jedoch Professor Rainer Will­ nec­ker. Aus den Kontrollräumen am Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt in Köln nehmen Wissenschaftler regelmäßig Verbindungen ins All auf und erforschen den Weltraum. Was fasziniert Sie am Weltraum? Das, was wahrscheinlich alle Menschen fasziniert: es mit einer Umgebung zu tun zu haben, die viele Unbekannte hat. Der Weltraum hat zudem extreme Bedingungen. Hohe Temperaturunterschiede, Vakuum und Weltraumstrahlung sind nur einige Aspekte. Es ist eigentlich eine menschenfeindliche Umgebung. Und trotzdem können wir dank der heutigen technischen Möglichkeiten vom Boden

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aus Weltraumexperimente betreiben und mit Astronauten auf der Raumstation forschen. Das hat etwas Faszinierendes. Woran genau forschen Sie im Nutzerzentrum für Weltraum­ experimente in Köln? Zunächst einmal bereiten wir hier Weltraumexperimente vor. Wir haben von den Instrumenten im All funktionsgleiche Modelle hier auf der Erde. Die stehen auf über 500 Quadratmetern Laborfläche. Hier testen wir zunächst Experimente in ihren Abläufen, die wir auf der ISS, auf Satelliten oder Planeten durchführen möchten. Anschließend werden von den Kontrollräumen aus die Experimente im Welt­raum gesteuert und überwacht. ...


THEMA VERBINDUNGEN – Wie alles mit allem zusammenhängt 22

Welche Experimente führen Sie denn konkret durch? Auf der ISS werden ganz verschie­dene Experimente in vielen Forschungs­ bereichen durchgeführt. An den Astronauten untersuchen wir beispielsweise die ­Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Menschen, auf seine Sinnesorgane oder veränderte Stoffwechselvorgänge. So wird der Mineralverlust in den Knochen analysiert, ein ganz wichtiges Thema für zukünftige Langzeitmissionen im All. Außerdem untersuchen wir die Auswirkungen der harschen Weltraum­ umgebung auf einfache Lebensformen, wie Sporen und Einzeller. Dafür werden Proben auf der Außenseite der Raum­ station aufgebracht, die ein bis zwei Jah­re durch den Weltraum schweben.

12 Millionen Dollar So viel kostet ein moderner Raum­ anzug. Dabei schlägt nicht etwa ausgefallenes Design zu Buche, sondern dass er die Vitalfunktionen seines Trägers sichern muss. Mittels

Eines der Experimente hat 2014 für viel Aufsehen gesorgt: die Rosetta-Landeeinheit PHILAE. Warum war das so spektakulär? Auf diese Mission sind wir hier in Köln besonders stolz. PHILAE ist auf der Raumsonde Rosetta ins All geflogen und ist der erste Roboter, der auf einem ­ Kometen gelandet ist. Wir arbeiten zusammen mit europäischen Partnern seit 20 Jahren daran und niemand hat geglaubt, dass wir es wirklich schaffen, auf einem Kometen zu landen. Die Amerikaner haben uns belächelt. Nach zehn Jahren Flugzeit haben wir es 2014 tatsächlich geschafft, eine Landeeinheit abzusetzen! PHILAE konnte anschließend bereits erfolgreich Messungen auf der Kometenoberfläche machen und u.a. die chemische Zusammensetzung der Kometenmaterie analysieren. Sie haben sozusagen einen direkten Draht ins All. Wie stellen Sie eigent­ lich den Kontakt zu den Raumstatio­ nen oder den Landeeinheiten her, um die Instrumente bei Messungen steuern zu können? Das ist einfacher, als man denkt. Wir stehen in Kontakt mit Missionskontrollzen-

zahlreicher Schichten verschiede­ ner Materialien kann er den Ast­ ronauten unter Überdruck setzen, liefert S ­ auerstoff, kühlt ihn durch ­eingearbeitete Kaltwasserschläuche, schützt ihn gegen Strahlung sowie Mikro­meteoriten – und hält für den Notfall eine Art Windel bereit.

Ein Schritt für die Ewigkeit Den tat Neil Armstrong bei der Mondlandung am 21. Juli 1969. Denn:

tren auf der ganzen Welt und bauen über sie unsere Datenverbindungen auf. Das kann man sich vorstellen, als ob man am heimischen Computer eine Internetverbindung aufbaut, allerdings bei uns unter entsprechenden Sicherheitsbedingungen.­ Wir schicken dann unsere Kontrollbefehle an die Missionskontrollzentren. Von da aus gehen sie zu Bodenstationen und diese bauen über Funk den Kontakt zur Raumstation oder zu Satelliten auf. Dann können wir die Instrumente im All direkt aus Köln bedienen. Wie stabil ist eine solche Verbindung? Kann sie auch reißen? Wenn der Kontakt einmal hergestellt ist, ist die Verbindung sehr stabil. Dann können wir von der Erde aus die Experi­ mente regeln und erhalten im Gegenzug Daten zur Analyse. Diese brauchen hin und zurück zur ISS nur drei bis vier Sekun­ den. Wenn sich die Raumstation dreht und die Antennenausrichtung der Station zeitweise nicht optimal ist, haben wir Ausfälle. Das wissen wir aber vorher, so dass wir den optimalen Moment, um Kontakt aufzubauen, fast sekunden­genau vorhersagen können. Bei einer Mission wie Ro­setta, die 500 Millionen Kilometer entfernt stattfindet, brauchen die Daten circa 25 Minuten für eine Strecke. Wir sehen also erst nach 50 Minuten, dass unsere Kommandos planmäßig durchgeführt worden sind.

Sein Fußabdruck als erster Mensch auf dem Mond existiert noch heute unverändert, da es auf dem Him­ melskörper keine Luft, kein Wasser und keinen Wind gibt.

1,5 kg So viel privates Handgepäck darf jeder Astronaut mit an Bord nehmen.

Sprechen Sie von Köln aus auch mit den Astronauten der ISS? Ja, allerdings nur in ganz speziellen Fällen. Es ist eine ganz besondere Erfahrung, mit den Astronauten auf der ISS direkt zu kommunizieren und gemeinsam an Experimenten zu arbeiten. Sie sind zwar nur rund 400 Kilometer entfernt, leben und arbeiten aber unter ganz anderen Bedingungen. Im Allgemeinen ist es aber besser, wenn Bodenpersonal mit ihnen spricht, das auch eine Astronauten­ ausbildung hat.


ELEMENTAR 23

Warum? Die Kommunikation mit den Astronauten im All ist eine kleine Wissenschaft für sich. Die Sprache muss sehr kurz und prägnant sein. Deshalb sprechen wir meist nur mit den Missionszentren in Houston und in Oberpfaffenhofen. Die geben dann unsere Mitteilung oder Frage weiter an die ISS.

Hitliste

für ­Außerirdische Um mögliche Außerirdische über die Menschheit zu informieren, wurden 1977 Datenplatten an Bord der Raum­

Das klingt sehr technisch – aber was nützt uns eigentlich die Weltraumforschung konkret? Hinter allem steckt Neugier. Wir möchten verstehen, wie unser Leben mal entstanden ist: Wie ist die Entwicklungsgeschichte abgelaufen und wie kann es in der Zukunft verbessert weitergehen? Außerdem geht es um medizinwissenschaftliche Fragen wie: Welchen Einfluss hat hohe UV-Strahlung auf Zellstrukturen und die menschliche DNA? Das ist in Zeiten des Klimawandels − Stichwort Ozonloch − ein wichtiges Thema. Und weiter: Wie verändert sich das Pflanzenwachstum unter Schwerelosigkeit? Wieso Pflanzen? Wir Menschen auf der Erde wissen automatisch, wo oben und unten ist. Der Astronaut nicht. Er orientiert sich unter anderem daran, dass sein Kopf das „Oben“ definiert. Die spannende Frage lautet: Woher wissen Pflanzen, dass die Wurzeln nach unten und die Blätter nach oben wachsen müssen? Ein Ergebnis der

sonden Voyager 1 und 2 angebracht. Diese „Voyager Golden Records“ sollen 500 Millionen Jahre halten und umfassen unter anderem: 1. Musik von Bach, Beethoven und Mozart 2. Gesprochene Grüße in 55 verschiedenen Sprachen

Weltraumforschung ist, dass nicht nur wir komplizierte Sinnesorgane haben. Auch ganz einfache Lebensformen haben Sensoren. Selbst Einzeller können „oben“ und „unten“ registrieren. Dabei schwingt stets die Frage mit, ob der Mensch auch außerhalb der Erde leben könnte … Genau. Deshalb untersuchen wir, wie wir uns auf anderen Planeten, die wir erkunden wollen, selbst versorgen können. Wie können wir auf dem Mond oder Mars Pflanzen anbauen? Wie können wir unter diesen veränderten Bedingungen leben und arbeiten? Wie gehen wir damit um, dass es eine reduzierte oder keine Schwerkraft gibt? Die große Frage, die dahintersteht, lautet: Wie kann Leben außerhalb der Erde entstehen oder bestehen?

3. Geräusche wie Kuss, Wind, Tierlaute und Morsecodes 4. Bilder von Menschen, einer Geburt, DNA, Natur und Planeten

Das klingt ein bisschen nach E.T. Glauben Sie als renommierter Wissenschaftler an Außerirdische? Dass es Außerirdische gibt, ist sicherlich nicht auszuschließen. Ich überlasse es aber den Theoretikern, die Wahrscheinlichkeiten dafür zu berechnen. Ich glaube, dass ich in meiner beruflichen Zeit keinen Kontakt mit Außerirdischen mehr haben werde.

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Zur Person: Prof. Dr. Rainer ­Willnecker Der 60-jährige Physiker ist Professor im Fachbereich Raum­fahrt­technik an der Fachhochschule Aachen und leitet zudem seit 15 Jahren das ­Nutzer­zentrum für Weltraumexperimente am D ­ eutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Seit über 30 Jahren forscht er und führt zusammen mit inter­nationalen Wissen­schaftlern konkrete Welt­raum­ experimente durch, eine Art „Bodenjob“ für höhere Missionen. Dabei hat er seine nächste Mission fest im Blick: die Landung auf einem Mond um den Planeten Jupiter herum – nach 2050.

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Impressum

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Herausgeber Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e.V. Neumarkt 35–37, 50667 Köln Völklinger Str. 4, 40219 Düsseldorf Redaktion Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e.V., Franziska Bade, Friedrich Überacker (V. i. S. d. P.); vom Hoff Kommunikation GmbH, Düsseldorf, Jennifer Arnscheidt, Heike Augustin, Isabel Grabow, Daniel Hitschfeld, Marie-Luise Küter, Martin Reuleke, Florian Schäfer

Gestaltung KD1 Designagentur, Köln Fotogra�ie/Illustration shutterstock/Maxger (Seite 3, 6), Andreas Wiese (Seite 3, 15, 16, 17, 19-21, 23), shutterstock/ Roman Sotola (Seite 5), shutterstock/venimo (Seite 7), shutterstock/Pressmaster (Seite 8), shutterstock/tinbee (Seite 8), Hürten Fotografie (Seite 9), © STR/Reuters/Corbis (Seite 9), shutterstock/ussr-Solomonkein (Seite 9), shutterstock/FINDEEP (10-13), Chemion Logistik GmbH (Seite 18), RHEIN-ERFT AKADEMIE (Seite 18), shutterstock/ExpressVectors (Seite 18-19), shutterstock/SaimonSailent (Seite 18-19), shutterstock/Svyatoslav Aleksandrov (Seite 18-19), shutterstock/Crocolot (Seite 21), shutterstock/ eatcute (Seite 22), shutterstock/All Vectors (Seite 23)

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