ELEMENTAR 04 2016

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ELEMENTAR TÜR AN TOR MIT DER CHEMIE

PSSST …! SCHON GEHÖRT?

Für viele Menschen im Rheinland ist es Alltag: das Leben als Nachbar eines großen Chemieparks

Medienpsychologe Jo Groebel über die Entstehung von Gerüchten – und warum wir Klatsch und Tratsch so mögen

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URSPRUNG VOR ORT UND WEIT HINAUS

04.2016

Magazin für die Beschäftigten in der Chemie


THEMA Wandel – Neu! Anders! Besser? 2

» A LLER ANFANG IST SCHWER.« OVID , antiker römischer Dichter » D IE ERFINDUNG DES ELEKTRISCHEN LICHTS HATTE IHREN URSPRUNG NICHT IN DER VERBESSERUNG VON KERZEN.« O REN HARARI , israelischer Autor » M AN SOLL DIE DINGE SO NEHMEN, WIE SIE KOMMEN. ABER MAN SOLLTE AUCH DAFÜR SORGEN, DASS DIE DINGE SO KOMMEN, WIE MAN SIE NEHMEN MÖCHTE.« CURT GÖTZ, deutsch-schweizerischer Schriftsteller und Schauspieler » W ER DIE VERGANGENHEIT NICHT KENNT, KANN DIE GEGENWART NICHT VERSTEHEN UND DIE ZUKUNFT NICHT GESTALTEN.« HELMUT KOHL, ehemaliger deutscher Bundeskanzler » D ER GRUND WAR NICHT DIE URSACHE, SONDERN DER AUSLÖSER.« FRANZ BECKENBAUER, ehemaliger deutscher Fußballspieler und Trainer

Besondere Nachbarschaft: drei Menschen, die eng mit der Chemie in ihrer Heimat verbunden sind.


ELEMENTAR 3

THEMA Ursprung – Vor Ort und weit hinaus → Interview

10 Tür an Tor mit der Chemie

Im Rheinland leben viele Menschen in direkter Nachbarschaft der Chemie – drei Anwohner erzählen von diesem besonderen Verhältnis

14 Die Arbeitswelt im Wandel der Zeit Seit drei Generationen in der Chemie tätig: Familie Quehl über Ausbildung und Arbeit früher und heute

18 Im Rheinland stimmt die Chemie ELEMENTAR zeigt Typisches aus der Region und erklärt den Beitrag der Chemie

20 Pssst …! Schon gehört?

Medienpsychologe Jo Groebel über Gerüchte zwischen Unterhaltung und Manipulation

rfolgsmodell der Chemie: E an Rhein und Ruhr zuhause Global aktiv, aber lokal verwurzelt – ELEMENTAR blickt auf die Chemie und ihren Ursprung

Übrigens: Unser Redaktionsteam freut sich unter redaktion@elementar-magazin.de über Feedback!

4.2016


UR|SPRUNG

Wortart: Substantiv, maskulin BEDEUTUNG:  Beginn; Zeitpunkt, Ort oder Material, von dem aus etwas seinen Anfang genommen hat; Schnittpunkt der Achsen eines Koordinatensystems (Mathematik)

Herkunft: mittelhochdeutsch „ursprunc“

göttlich, gemeinsam, pf lanzlich, vulkanisch TYPISCHE VERBINDUNGEN:

Synonyme:

ANFANG, AUSGANGSPUNKT, BEGINN,

HERKUNFT, HERD, QUELLE, WIEGE, WURZEL; NULLPUNKT



THEMA URSPRUNG – Vor Ort und weit hinaus 6

ERFOLGSMODELL DER CHEMIE: AN RHEIN UND RUHR ZUHAUSE Die Chemie ist an Rhein und Ruhr zuhause. Schon lange. Das liegt vor allem an der Nähe zu drei Dingen: dem Absatzmarkt, der wichtigsten Binnenwasserstraße Europas und dem Braunkohlerevier. ELEMENTAR blickt in die Geschichte. 4.2016


EIN GUTES FUNDAMENT

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ür viele Leverkusener wiegt ihre Heimat 300 Tonnen. Genau so schwer ist nämlich das Bayer-Kreuz, das für Tagespendler wie Weitgereiste bereits aus mehreren Kilometern Entfernung ein vertrauter Fixpunkt ist: wieder zuhause! Damit ist die „größte Lichtreklame der Welt“, wie die Bergische Post bei der Einweihung 1933 schrieb, weit mehr als ein Firmenlogo. Ihr Anblick löst bei vielen Menschen ein Heimatgefühl aus. Ein abendlicher Himmel ohne den riesigen Kreis mit den markanten Buchstaben aus über 1700 strahlenden Lämpchen? Unvorstellbar. Und damit ist Leverkusen nicht allein. Ganz gleich, ob aus dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug, stets lässt sich erkennen, dass die Chemie mit ihren Schornsteinen und Werkhallen, Firmenschildern und Logos die Landschaft an Rhein und Ruhr prägt. Das ist nicht verwunderlich, ist die Region von Essen den Rhein hinauf bis nach Bonn doch der Chemiestandort Nr. 1 in Deutschland und eine der bedeutendsten Chemieregionen Europas. Das zeigen schon die Zahlen: 30 Prozent der bundesweiten Branchen­ umsätze stammen aus unserem Bundesland. Unter­nehmen aller Größen und Spezialisierungen vom mittelständischen Familienbetrieb bis zum internationalen Großkonzern haben eine hiesige Heimatadresse auf ihrer Visitenkarte. RHEIN ALS OPTIMALER TRANSPORTWEG Dass die Region einmal die Herzkammer der chemischen Industrie in Deutschland würde, hatte ursprünglich mit der Nähe zu dreierlei Dingen zu tun: dem Absatzmarkt, dem Rhein und dem Braun­ kohlerevier. Schnell möglichst viele Kunden zu erreichen, also ein großer Absatzmarkt, war ein Hauptgrund für die ersten unternehmerischen Pioniere, sich zur Duftstoffherstellung im 18. Jahrhundert in Köln niederzulassen. Ein Übriges tat dabei die Anbindung an Handelsrouten zu den großen Chemieregionen in Antwerpen und Rotterdam. Wo Autos noch nicht erfunden waren, geschweige denn moderne Pipelines, diente der Rhein nicht nur als Wasserlieferant für die Produktion. Er war vor allem ein optimaler Transportweg, über den die ersten Unternehmer ihre Abnehmer einfacher beliefern und damit ihre Absatzchancen deutlich steigern konnten. Dies erkannte auch Fritz Henkel früh – und verlagerte seine kleine Wasch-

4.2016

Wer weit hinaus möchte, muss das gut vorbereiten. Das beginnt vor Ort, denn hier wird das Fundament für den Erfolg in der Ferne gelegt. Das gilt für Privatreisen ebenso wie für Unternehmen, die Standorte im Ausland eröffnen. Von zuhause aus werden die Verbindungen zu den Dependancen organisiert, in denen später Produkte, Wissen und Personal innerhalb des Unternehmens über Grenzen hinweg wechseln. Unternehmen, die im Rheinland zuhause sind oder hier einen Standort haben, haben in diesem internationalen Netzwerk einen klaren Vorteil: Hier finden

25

Nationen Der Chemiestandort Rheinland ist

sie eine stabile Basis mit guter Infrastruktur, einer hochspezialisierten Industrie und einer vielfältigen Forschungslandschaft ebenso wie zahlreiche Möglichkeiten, weitere Kontakte zu knüpfen. Das spricht sich in der Welt herum – zum Vorteil der Region. Auch in Zeiten einer weltweit vernetzten Wirtschaft steht somit eines nach wie vor fest: global braucht lokal.

international: Aus insgesamt 25 Nationen – darunter die USA, Frankreich, Japan und SaudiArabien – fließen Investitionen von Unter­nehmen in unsere Region.

mittelfabrik „Henkel & Cie“ bereits zwei Jahre nach der Gründung 1878 von Aachen nach Düsseldorf. Dort, so sein Plan, wollte er ein Fabrikgelände mit eigenem Bahnanschluss anlegen. Mit solchen Plänen wurde er neben Carl Duisberg, Otto Röhm und anderen einer jener großen Industriellen, die Rhein und Ruhr wirtschaftlich, infrastrukturell und auch durch die Verbesserung der Lebensqualität ihrer Arbeiter nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt haben. Das zeigt, dass die Menschen bald von ihren neuen Chemienachbarn profitierten, auch wenn es damals zunächst durchaus Befürchtungen und Einsprüche gegen die Ansiedlung der ersten Werke gab.

...


THEMA URSPRUNG – Vor Ort und weit hinaus 8

1865

1950

1980

2010

Gründerzeit und Kohle­chemie

Petrochemie

Globalisierung und Spezial­ chemie

Digitalisierung und Kreislauf­ wirtschaft

Chemie 1.0

Chemie 2.0

Chemie 3.0

Chemie 4.0

Durch die Industrialisierung

Erdöl gewinnt als Rohstoff für

Internationaler Handel und

Ziele sind die Vernetzung

erhöht sich die Nachfrage

die Produktion an Bedeutung.

Spezialisierung prägen die

sowie die bestmögliche Kom-

nach Chemieprodukten. Viele

Kunststoffe und Chemiefasern

Branche. Zunehmend werden

bination von Umweltschutz,

der heutigen Traditionsunter-

finden Eingang in den Alltag

nachwachsende Rohstoffe

Wettbewerbsfähigkeit und

nehmen entstehen.

der Konsumenten.

eingesetzt.

sozialem Engagement. Quelle: VCI, 2016.

...

Im wahrsten Sinne des Wortes „befeuert“ wurde diese Entwicklung der Region von der Kohle aus den nahen Braunkohlerevieren. Diese waren der dritte entscheidende Faktor dafür, dass sich die Chemieindustrie entlang des Rheins, vor allem aber im Ruhrgebiet, ansiedelte und florierte. In den 1950er und 1960er Jahren wiederum wurde der Grundstein für die heutige Bedeutung und das Erscheinungsbild der hiesigen Chemieregion gelegt: Indem nämlich die chemische Industrie weltweit weg von der Kohle hin zum Erdöl wechselte, entstanden petrochemische Werke wie die Rheinischen Olefinwerke in Wesseling. STÄRKER, ZUKUNFTSFÄHIGER, INTERNATIONALER Die Standorte blieben, doch die Unternehmen wandelten sich mit dem technischen Fortschritt oder durch eine neue Ausrichtung. Neben der Grundstoffproduktion konzentrierten sich viele Unternehmen mehr und mehr auf die Spezialchemie. Dadurch entstand eine vielfältige Produktpalette. Allein im Chempark Leverkusen verlassen heutzutage etwa 5000 verschiedene Chemieerzeugnisse das Werktor. In diesem und anderen Chemieparks im Rheinland zeigen sich die Vorteile der sogenannten Verbundproduktion: Hier arbeiten mehrere Unternehmen unterschiedlicher Größe so effizient wie möglich zusammen, zum Beispiel bei der Nutzung von Nebenprodukten oder der Energieerzeugung. In den Chemieparks haben auch traditionsreiche Unternehmen wie Bayer, INEOS, Covestro und LANXESS ihren Sitz – Unternehmen, die auf eine ebenso beeindruckende wie wechselvolle Historie zurückblicken können. So haben manche im

60

Prozent Exportschlager Chemie: Insgesamt

Laufe der Zeit den Eigentümer gewechselt, andere schlicht den Namen oder ihre Ausrichtung geändert. Wieder andere sind aufgespalten oder zu Joint Ventures verschmolzen worden. So reihen sich bei einigen der heutigen Unternehmen die wechselnden Firmennamen, von denen manche längst in Vergessenheit geraten sind, wie Perlen an einer Schnur: Rheinische Olefin­ werke – Elenac – Basell – LyondellBasell Industries. Sie sind nicht Zeichen dafür, dass die Chemieregion geschwächt ist. Im Gegenteil: Mit jeder Fusion beziehungsweise Spezialisierung wurden die Unternehmen stärker, zukunftsfähiger und internationaler. Dabei hat sich in der Chemiebranche jedoch eine Regel bewährt: Erfolge in der Welt beruhen auf einer starken Heimatbasis. Und diese bietet die Region im Westen nach wie vor.

60 Prozent des Umsatzes der deutschen chemischen Industrie sind auf Exporte zurückzuführen. Allein im Jahr 2014 beliefen sich die Erlöse aus dem Handel mit Kunden in den USA, dem wichtigsten Markt für die deutsche Chemie, auf mehr als 16 Milliarden Euro. Quelle: VCI, 2015.

REGION FÜR WELT INTERESSANT So gibt es beispielsweise das Evonik-Geschichts­ portal. Lokal und global schließen sich also nicht aus. Denn gerade die hiesigen Besonderheiten und strategischen Vorteile – der große Absatzmarkt bei kurzen Distanzen, die stabile Lieferantenketten, die einzigartige Verbundproduktion und die verlässlichen Industrienetzwerke – machen das Rheinland stark. Hierauf fußt der Erfolg der chemischen Industrie als Exportweltmeister. Und zugleich macht es die Region für die Welt interessant. So fließen mehr Investitionen aus dem Ausland nach Nordrhein-Westfalen als in jedes andere Bundesland. Ganz vorne mit dabei sind die Niederländer mit 34,4 Milliarden pro Jahr. Zudem steuern rund 18.200 ausländische Unternehmen von hier aus ihre Geschäfte in Deutschland und der EU. 4.2016

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WOHER WOHIN

+

„HALVE HAHN“

Vegetarische Sparversion Herzhaft und schnell serviert: Das ist der „Halve Hahn“ in jedem Fall. Dahinter verbirgt sich ein halbes „Röggelchen“ mit einer dicken Scheibe Gouda oder Mainzer. Um den Ursprung

Ist es wichtig, woher etwas kommt? Oft verrät der Ursprung einer Sache etwas darüber, wie sie ist. Wichtig ist aber auch, sich weiterzuentwickeln und mit Fremdem vertraut zu machen.

des Namens ranken sich viele Legenden. Eine besagt, ein junger Mann habe bei seiner Geburtstagsfeier im Jahre 1877 in einem Kölner Gasthaus mit dem Kellner verabredet, dass

INTERVIEW

Drei Fragen an ... → Rainer Beekes,

Mitarbeiter im Düssel­ dorfer Büro von „Global Cultures“, trainiert ausländische Beschäftigte, die von ihrem Arbeitgeber nach Deutschland entsandt werden.

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Wozu dient ein

kann zu Missverständnissen

teuren Bordeaux. Eis im Rot-

interkulturelles

führen. Man sollte sich immer

wein – das geht in Frankreich

Training?

über die kulturellen Besonder-

gar nicht! Das Geschäft

Wer in China aus dem Flug-

heiten eines Landes infor-

ist dann geplatzt.

zeug steigt, der merkt sofort,

mieren, um dort erfolgreich

dass er in einer anderen Kultur

arbeiten zu können.

ist. In Paris gäbe es diesen Eindruck nicht, obwohl sich die Franzosen in vielen Bereichen

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3

Stichwort „typisch deutsch“: Worauf

er zwar halbe Hähne für seine Gäste ordern würde, der Kellner stattdessen aber Brötchen mit Käse bringen solle. Die vege­ tarische Sparversion.

„MADE IN GERMANY“

Vom Makel zum Qualitätssiegel

Was kann passieren,

müssen Sie ausländische

wenn man sich zu

Kollegen vorbereiten?

Erst war es ein Makel, dann

von den Deutschen unter-

wenig auf fremde Sitten

In vielen Kulturen spielt Zeit

wurde es zur Auszeichnung:

scheiden – und das

vorbereitet?

eine andere Rolle als hier. So

„Made in Germany“ sollten

Ein Beispiel: Eine Gruppe

versteht kaum jemand, warum

ab 1887 die qualitativ schlech-

amerikanischer Geschäftsleu-

die Deutschen sogar ihre

teren deutschen Messer,

te kommt nach Paris, um einen

Ferien weit im Voraus planen.

Scheren und Feilen in England

Vertrag mit einer französi-

Außerdem trennen wir sehr

als Warnhinweis tragen. Doch

schen Firma zu unterzeichnen.

stark zwischen geschäftlich

dann holten die deutschen

Beim gemeinsamen Abend­

und privat, anders als etwa die

Produzenten massiv auf und

essen in einem guten Restau-

Amerikaner. Die tun sich wie-

plötzlich wurde „Made in

rant werfen die amerikanischen

derum schwer mit der direkten

Germany“ zum Gütezeichen –

Gäste Eiswürfel in ihren

Art der Deutschen.

und ist es bis heute.

»Deutsche trennen stark zwischen Beruf und privat.«

URSUPPE

Mit Chemie fing das Leben an

Zwar weiß man immer noch nicht, wie genau das Leben auf der Erde entstanden ist, doch 1953 machte der Chemiestudent Stanley Lloyd Miller mit seiner Theorie von der „Ursuppe“ Furore. Da er mittels Methan, Ammoniak und Wasserstoff Funken erzeugte, gilt er bis heute als Pionier der Frage nach dem Ursprung des Lebens. Aber eine exakte Erklärung konnte auch Miller nicht liefern. Nur eines steht fest: Ohne Chemie ist unser Anfang nicht zu erklären.



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TÜR AN TOR MIT DER CHEMIE Tür an Tor mit einem Chemie-Werk leben – geht das? Schnell denkt man an aufsteigenden Rauch, explosive Stoffe und unangenehme Gerüche. Doch im Rheinland leben viele Menschen direkt neben großen Chemieparks und fühlen sich wohl. ELEMENTAR sprach mit drei Chemie-Nachbarn über diese besondere Art der Nachbarschaft.

» I CH BIN INZWISCHEN FAST SELBST CHEMIE-ARBEITER« Seit fast 25 Jahren betreibt Kabil Sahin einen Kiosk vor dem Chempark Leverkusen

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abil, gib mir noch ’nen Kaffee und die Zeitung“, ruft eine Stimme am Verkaufsfenster der „Trinkhalle“ in Leverkusen. Seit fast 25 Jahren steht Kabil Sahin am Tresen seines Kiosks vor den Toren zum Chempark in Leverkusen und verkauft Brötchen, Limo, Teilchen und Börek. „Ich bin inzwischen fast selbst Chemie-Arbeiter“, sagt er lachend mit Blick auf seine vielen Jahre am Standort Leverkusen. „Wir sind hier wie eine Familie“, beschreibt er die Beziehung zwischen ihm und seinen Kunden. Zu 95 Prozent hat er Stammpublikum. „Noch bevor jemand an den Tresen kommt, haben wir schon alles fertig“, schildert Sahin den speziellen Service, den er und seine zwei Mitarbeiter bieten.

„Ich will weiterhin immer für alle da sein“, sagt Kioskbetreiber Kabil Sahin. 4.2016

„DER ZUSAMMENHALT IST ENG“ Immer wieder bildet sich ein Pulk rund um die Stehtische vor der „Trinkhalle“. Das erste Mal geht’s frühmorgens zwischen halb fünf und halb sieben rund. Mittags, pünktlich zum Schichtwechsel im Werk, herrscht wieder Hochbetrieb. Bei Frikadellenbrötchen und Kaffee wird diskutiert, gelacht, gefoppt und erzählt. Da bekommt Kabil Sahin doch auch so manches aus dem Innern des Werkes mit, oder? „Wir hören so viel, aber wir erzählen nichts“, bringt der 48-Jährige seine Berufsehre auf den

Punkt. Eines aus dem Werksinneren aber, das er seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder beobachtet, ist kein Geheimnis: „Der Zusammenhalt ist eng unter den Werksmitarbeitern.“ Die „Trinkhalle“ ist von morgens um vier bis nachts um halb elf geöffnet. Allerdings mit Pausen und die sind – wie es sich für einen guten Werksnachbarn gehört – ganz auf die Schichten hinterm Werkstor abgestimmt. Vor Jahren, als der Kiosk noch in der nahe gelegenen Titanstraße stand und plötzlich wegen Straßenumbauten geschlossen werden sollte, haben sich alle Kunden wie ein Mann hinter ihn gestellt und laut protestiert. Sogar die Medien wurden eingeschaltet. Letztlich war der Widerstand so groß, dass der Kiosk am Ende nur versetzt und nicht abgerissen wurde. Seitdem hat er seine Heimat in der Schießbergstraße gefunden. Diese Unterstützung wird Kabil Sahin seinen Kunden nie vergessen. Deswegen ist sein Kiosk auch an jedem Tag der Woche, werktags wie sonntags, ja sogar an Feiertagen geöffnet: „Damals waren alle für mich da. Deswegen will ich weiterhin immer für alle da sein“, verspricht er. Auch wenn das bedeutet, dass er noch viele Jahre morgens um Viertel vor drei aufstehen muss – pünktlich zur Frühschicht vor „seinem Werk“.

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„Wenn ich hier sitze und lese ...“, schwärmt Christel Koch von der wunderbaren Stimmung in ihrem Vorgarten.

» M IR GEFÄLLT, DASS SIE UNS EINBINDEN UND MIT UNS SPRECHEN« Als Anwohnerin in Knapsack schätzt Christel Koch den Umgang von InfraServ mit der Nachbarschaft

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in Haus in dieser kurzen Straße sieht deutlich anders aus als die anderen in der Reihe: Alle anderen Fassaden sind beige-braun, aber eine strahlt in Himmelblau. Vor dem Hauseingang blüht ein idyllischer Vorgarten. Dies ist das Heim von Christel Koch. Bereits seit mehr als 40 Jahren wohnt die 74-jährige Rentnerin in Knapsack. Damals war sie mit ihrem Mann, der als Chemielaborant auf Knapsack arbeitete, in die Umgebung des Chemiewerks gezogen. Erst in eine Wohnung, 1978 in dieses Haus. Früher hat sie vor allem auch die räumliche Nähe zum Werk geschätzt. „Mein Mann brauchte nur zehn Minuten ins Werk. Das war natürlich toll! Andere Leute sind morgens und abends zwei Stunden unterwegs“, nennt die gelernte Gärtnerin die Vorteile der Lage. Stört sie die Nähe zum Firmengelände inzwischen? „Wenn ich mich hier nicht wohl fühlen würde, hätte ich das hier doch nicht gemacht“, sagt Christel Koch und zeigt mit ausholendem Arm auf die Blumen-Idylle um sie herum: Physalis, Rosen,

bunte Wiesenblumen blühen um die Wette, riesige Sonnenblumen überragen alles. Der Vorgarten ist eine Oase. „Wenn ich hier sitze und meine Zeitung lese oder frühstücke oder mittagesse, und die Leute kommen nach Hause ...“, beginnt sie die gemütliche Stimmung im Sommer zu beschreiben. „WIR SIND ERNST GENOMMENE NACHBARN“ Was Frau Koch an ihrer Nachbarschaft zur Chemieindustrie besonders schätzt, ist der Umgang von InfraServ Knapsack, dem heutigen Betreiber des Chemieparks, mit den Menschen in der Umgebung. „Mir gefällt, dass sie uns einbinden“, schildert Christel Koch. „Dass sie Rundschreiben und Einladungen schicken, mit uns sprechen, unsere Meinung anhören. Dass sie uns immer, bei allem, was sie machen, erstmal informieren und uns nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Mir gefällt, dass wir ernst genommene Nachbarn sind“, schließt sie ihre Überlegung ab – und genießt auch weiterhin jede Minute, die sie im Grünen zu Hause verbringen kann. 4.2016

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» S O HAT SICH EIN FESTES SPONSORING FÜR UNSERE JUGENDARBEIT ENTWICKELT« Als Vereinsvorsitzender arbeitet Hans Krüppel in Krefeld eng mit Evonik zusammen

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ch habe jetzt noch den Seifengeruch in der Nase, wie früher als Kind“, sagt der Krefelder Hans Krüppel und erzählt: „Damals wurde in der benachbarten Fabrik noch Seife für die Textilindustrie produziert.“ Inzwischen ist hier ein Chemiepark entstanden. Für Evonik ist Krefeld der zentrale Forschungs- und Produktionsstandort für Superabsorber, die vor allem in Windeln eingesetzt werden. Aus seiner Nachbarschaft zur Chemie wurde im Laufe von Hans Krüppels Leben eine unverbrüchliche Partnerschaft. Denn seit 33 Jahren engagiert er sich als Vorsitzender des Handballvereins DJK Adler Königshof und hat dafür gemeinsam mit seinen Vereinskollegen vielfach die lokale Industrie als Unterstützerin gewinnen können. KABARETTABENDE FÜR DEN VEREIN Vor 25 Jahren hat er angefangen, Kabarettabende als Vereinsveranstaltungen zu organisieren. Schon der erste Abend wurde zu einem Riesenerfolg. Deswegen ging Hans Krüppel auf das Unternehmen in der Nachbarschaft zu und fädelte eine bleibende Zusam-

Aus lebenslanger Nachbarschaft wurde für Hans Krüppel eine feste Partnerschaft mit der Chemie. 4.2016

menarbeit ein. „Dadurch hat sich im Laufe der Jahre ein festes Sponsoring für unsere Jugendarbeit ent­ wickelt“, freut er sich. Gemeinsam veranstalten der Verein und Evonik einen jährlichen Kabarettabend. Wie ein „Who is who“ des politischen Kabaretts liest sich die Liste der Künstler, die sie schon nach Krefeld geholt haben: Thomas Freitag, Jürgen Becker, Urban Priol und auch Konrad Beikircher, der inzwischen sogar Ehrenmitglied des Vereins ist. Doch das war den Partnern nicht genug: Im Jahr 2002 riefen sie den Evonik-Adler-Ehrenpreis ins Leben. Mit ihm werden Ehrenamtler aus der Nachbarschaft für ihr langjähriges Engagement geehrt. Seit 2009 gibt es außerdem den Evonik-Adler-Cup, ein Mini-Handballturnier, bei dem Drittklässler aus drei Krefelder Grundschulen gegeneinander antreten. Im Vorfeld gehen Vereinsmitglieder in den Sportunterricht und fördern nicht nur den Spaß am Sport, sondern auch ein „Wir-Gefühl“. „Unsere Projekte mit Evonik zeigen, dass zwei starke Partner ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen“, so Hans Krüppel.

Seit 33 Jahren engagiert sich Hans Krüppel als Vereinsvor­ sitzender.

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THEMA URSPRUNG – Vor Ort und weit hinaus 14

DIE ARBEITSWELT IM WANDEL DER ZEIT Gerne wird von den „guten alten Zeiten“ geschwärmt. Wie steht es aber um diese nostalgische Betrachtung im direkten Vergleich mit der aktuellen Situation und den prognostizierten Veränderungen? Hat nicht jede Zeit besondere Merkmale, die sie prägen? ELEMENTAR hat mit Beschäftigten aus drei Generationen über Ausbildung und Arbeit in der chemischen Industrie gestern, heute und morgen gesprochen.

Familientreffen auf dem Werkgelände: Hier hatten und haben Katharina, René und Hans-Joachim Quehl ihren Arbeitsplatz.

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eim Blick zurück in die Anfänge seiner Karriere im Unternehmen gerät Hans-Joachim Quehl ins Schwärmen: „Das war Aufbruchsstimmung, die Firma war ja gerade zwei Jahre zuvor gegründet worden!“ Von 1959 bis 1996 war der 80-Jährige in der Prozessleittechnik im Werk KölnWorringen tätig, zunächst als Vorarbeiter, später als Meister. In seiner Zuständigkeit lagen mehrere der sogenannten Kracker, in denen das Rohölprodukt Naphtha, das bei der Treibstoffherstellung entsteht, aufgespalten wird. Eines der Produkte, die so entstehen, ist Ethylen, das als Grundstoff für die Herstellung von Kunststoffen dient. Seit 20 Jahren ist der gelernte Elektrotechniker nun schon in Rente – aber im Gespräch wird schnell deutlich, mit welcher Begeisterung er noch heute bei der Sache ist. Seinen Arbeitgeber, die heutige INEOS in Köln, kennt er aus seiner aktiven Zeit nur unter dem alten Namen: Die EC Erdölchemie war bis 2001 ein Joint Venture von BP und Bayer. „Wenn ich mit ehemaligen Kollegen spreche, dann ist das für uns noch die EC. Das steht ja auch an den Schornsteinen.“ STETIGE VERÄNDERUNG Bei seinem Sohn, René Quehl, sah das schon anders aus: Sein Arbeitsleben ist wesentlich stärker vom Wandel geprägt. „Ich habe 1982 bei der EC angefangen. Die Ausbildung für die technischen Berufe fand bei Bayer statt, danach wurden meine Kollegen und ich wieder an EC übergeben. Später gehörten wir zu BP und sollten danach eine Aktiengesellschaft werden, bis wir von INEOS gekauft wurden.“ Die Veränderungen in der Eigentümerstruktur gingen auch mit Änderungen in der Organisation einher, erinnert sich der 53-Jährige: „Mit jeder Umfirmierung hat sich auch unsere Abteilung verändert, von der Struktur ebenso wie vom Namen.“ Heute sind er und seine 23 Kollegen vom analytischen technischen Service dem Laborbereich zugeordnet. An die Übernahme durch INEOS kann sich René Quehl noch gut erinnern: „Am Anfang gab es natürlich Bedenken und Fragen. Aus heutiger Sicht war dieser Schritt aber etwas Gutes, nämlich die Geburtsstunde eines neuen Konzerns.“ VORTEILE DURCH WEITERBILDUNG Bei der Wahl des Arbeitgebers orientierte sich Katharina Quehl an den familiären Vorbildern und entschied sich für INEOS in Köln, wo auch ihre Zwillingsschwester als Werkstudentin tätig war: „Das Werk liegt quasi direkt vor der Haustür. Als die Berufswahl näher kam, haben mein Vater und 4.2016

HANS-JOACHIM QUEHL, 80 JAHRE Der gelernte Elektrotechniker hat von 1959 bis 1996 in Köln-Worringen gearbeitet und war am Bau aller Krackeranlagen beteiligt – erst als Vorarbeiter, später als Meister.

RENÉ QUEHL, 53 JAHRE

Der Worringer ist seit 1982 am Standort tätig. In seiner heutigen Abteilung arbeitet er seit 31 Jahren und begleitet ihren technischen und organisatorischen Wandel.

KATHARINA QUEHL, 20 JAHRE

Sie hörte auf den Rat von Vater und Großvater: Vor einem Jahr startete das jüngste Familienmitglied ihre Ausbildung zur Industriemecha­ nikerin bei INEOS in Köln.

»Als die Berufswahl näher kam, haben mein Vater und mein Opa schon eine Rolle gespielt.« mein Opa schon eine Rolle gespielt.“ Während deren Fachgebiete die Mess- und Regeltechnik sowie die Prozess- und Analysetechnik sind, hat sie sich für eine Ausbildung zur Industriemechanikerin entschieden. „Wir lernen den Umgang mit den verschiedenen Maschinen. Das Ziel der Ausbildung ist,

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THEMA URSPRUNG – Vor Ort und weit hinaus 16

Zu Gast an der ehemaligen Wirkungsstätte: Hans-Joachim Quehl kennt noch heute viele Details von einigen Anlagen, die er mit aufgebaut und weiterentwickelt hat.

»In der Chemie gibt es ein riesiges Portfolio an Berufen,

da ist für jeden etwas dabei.«

Ein echtes Familienunternehmen: Auch René Quehls Mutter, sein Bruder und seine zweite Tochter waren einmal bei INEOS tätig.

dass wir kontrollieren und überwachen, dass die Turbinen und Pumpen richtig funktionieren.“ Dass sich seine Tochter für ein anderes Berufsfeld entschieden hat, ist für den Vater kein Problem: „In der Chemie gibt es ein riesiges Portfolio an Berufen, da ist für jeden etwas dabei – vom kaufmännischen bis zum technischen Bereich, das sieht man ja hier bei INEOS in Köln.“ Die 20-Jährige ergänzt, dass in den unterschiedlichen Bereichen auch gezielte Weiterbildungen möglich sind: „Es gibt zahlreiche Schulungen, Seminare und Workshops. Darauf wird hier sehr viel Wert gelegt.“ Das beste Beispiel ist René Quehl, der zunächst – „auf Empfehlung meines Vaters“ – Messund Regeltechnik gelernt hat und sich anschließend im Bereich Elektrotechnik weiterbilden konnte: „Erst wenn man an der Werkbank steht, weiß man, ob man sich richtig entschieden hat. Da ist es gut, wenn

man den Berufsweg noch nachjustieren kann.“ Auch Großvater Quehl musste sich bei seinem Einstieg als Vorarbeiter im Jahr 1959 in der Mess- und Regeltechnik weiterbilden. „Ich musste mir auch die Chemie aneignen – aber das Fach hat mir schon in der Schule gelegen, deshalb bin ich damit ganz gut klargekommen“, berichtet der 80-Jährige. WANDEL DER TECHNIK Hinzu kamen die veränderten Anforderungen, die im Laufe der Zeit durch den technischen Fortschritt entstanden. „Ich habe ganze Anlagen von Pneumatik auf Elektronik umgebaut“, berichtet Großvater Quehl, „auch große Anlagen während der planmäßigen Stillstände. Manchmal habe ich Teile von Zulieferern komplett auseinandergenommen und neu gebaut, damit sie noch besser funktionierten“, 4.2016


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erinnert er sich. Weil nicht genügend externe Handwerker zur Verfügung standen, wurden viele Teile in Eigenregie in der hauseigenen Werkstatt hergestellt. „Ich hatte ein gutes Verhältnis zu meinen Vorgesetzten, die haben mir vertraut und mich gefördert.“ Mit der Freiheit ging eine große Verantwortung einher: „Wenn man eine Anlage umbaut, muss man sehr viele Dinge beachten. Und wenn es im laufenden Betrieb eine Störung gab, musste ich auch nachts auf der Matte stehen, weil ich jede Schraube und jede Klemme kannte.“ Auch sein Sohn erinnert sich noch an solche Zeiten: „Früher haben wir viele Messgeräte selbst hergestellt, weil es auf dem freien Markt keine Geräte gab, die unseren Anforderungen entsprachen. Später gab es dann eine enge Zusammenarbeit mit Zulieferern, die ihre Geräte gemeinsam mit uns weiterentwickelt haben.“ Heutzutage verliere das Physikalische aber immer mehr an Bedeutung, während die IT, die digitale Vernetzung und die intuitive Bedienung von Geräten immer wichtiger würden. „Rechner gab es auch bei uns,

aber wir haben sie deutlich weniger genutzt, als das heute der Fall ist“, ergänzt Hans-­Joachim Quehl.

9.200 Ausbildungsplätze Das Angebot der chemischen Industrie für den Nachwuchs ist bemerkenswert: Allein in Nordrhein-Westfalen stehen in der Branche jährlich 9.200 Ausbildungsplätze im naturwissenschaftlichen, technischen oder kaufmännischen Bereich für Jugendliche zur Verfügung. Ebenfalls beeindruckend: Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung werden 90 Prozent der Azubis übernommen – damit ist die Chemie ganz eindeutiger Spitzenreiter.

DER BLICK IN DIE ZUKUNFT Die Entwicklung hin zur Digitalisierung sieht das jüngste Mitglied der Quehls in der Runde aber nicht als Gefahr für das Handwerk: „Über das handwerkliche Geschick hinaus benötigt man nämlich auch Verständnis und Erfahrung – einen Kopf, der im Zweifelsfall eine Maschine auseinanderbaut und nach dem Fehler sucht.“ Auch René Quehl ist zuversichtlich, dass Katharina während ihres Berufslebens in der chemischen Industrie keine Sorge um ihren Arbeitsplatz haben muss: „INEOS investiert in den Standort, das ist ein klares Signal an die Beschäftigten.“ Für die Zukunft hat Katharina Quehl noch einen weiteren Wunsch: „Die Zahl der Frauen in der Chemie soll zunehmen. Dann wird man auch nicht mehr mit der Frage konfrontiert, warum man sich für einen Männerberuf entschieden hat. Das, was zählen sollte, sind Interesse und Spaß am Beruf – so wie bei mir!“

Wie sieht die Arbeitswelt heute aus – und wie war das vor 20 oder 50 Jahren? Was erwartet uns in der Zukunft? Katharina Quehl wünscht sich einen höheren Frauenanteil in der chemischen Industrie. 4.2016

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THEMA URSPRUNG – Vor Ort und weit hinaus 18

IM RHEINLAND STIMMT DIE CHEMIE Jede Region hat ihre Besonderheiten, die sie prägen – seien es Produkte, Bräuche oder Gewohnheiten. Das gilt natürlich auch für das Rheinland und das Ruhrgebiet. Ob Fußball, Karneval oder Kultur – ELEMENTAR stellt Typisches und Ursprüngliches aus der Region vor und zeigt, welchen Beitrag die Chemie leistet.

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1 MEHR KLASSIK, BITTE!

Mit 15 Opernhäusern zwischen Aachen und Detmold sowie zwischen Bonn und Bielefeld besitzt Nordrhein-­ Westfalen die reichste Opernlandschaft der Welt und prägt damit eine einzigartige Vielfalt in der Opernszene. Mehr als 100 Neuin­szenierungen bringen die Schauplätze der musikalischen Schauspielerei jährlich heraus und sprechen damit rund eine Million Zuschauer pro Jahr an. Das kulturelle Erbe ist wenigen bekannt, doch die Klassik ist Teil einer langen Tradition nordrheinwestfälischer Geschichte. Denn einer der größten Komponisten der Vergangenheit stammt aus der Region: Ludwig van Beethoven.

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DIE FÜNFTE JAHRESZEIT

Freunde des jecken Treibens strömen alljährlich aus aller Welt ins Rheinland, um die berühmte „fünfte Jahreszeit“ gemeinsam zu zelebrieren. Ganz oben auf der Besucherliste: unsere europäischen Nachbarn aus Frankreich, den Niederlanden und Belgien. Allein in den Hochburgen Köln und Düsseldorf feiern jährlich rund zwei Millionen Jecken beim Rosenmontagsumzug. Verkleidung, Festwagen und Show bilden die Eckpfeiler einer gigantischen traditionellen Feierlichkeit zum Beginn der christlichen Fastenzeit.

CHEMIE UND MUSIK Moderne Opernkulissen bestehen aus Glas- und Kohlefasern. Dadurch sind sie nicht nur deutlich leichter, sondern auch standfester und weniger entflammbar. Auch bei der Raumakustik unterstützt die Chemie: Schaumstoff aus Melaminharz dient als Schalldämpfer – und sorgt für perfekte Akustik.

CHEMIE UND KARNEVAL Kein Karneval ohne Kostüme. Dass den Narren in der meist noch recht winterlichen Jahreszeit nicht kalt wird, ist auch der Verdienst der chemischen Industrie: Die Kunstfaser Polyester sorgt dafür, dass die Kostüme unempfindlich sind. Und gebützt wird kussecht dank synthetischer Harze und eines flüchtigen Silikonöls.

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CHEMIE UND BIER Ob hell oder dunkel, naturtrüb oder klar: Vor dem Ausschank muss das Bier nach der Gärung filtriert werden. Zum Einsatz kommt dabei auch die sogenannte Filterkerze aus Polypro­ pylen, hergestellt unter anderem im Rheinland. Sie befreit das Bier von Trübungspartikeln und Heferückständen. Auch bei der Herstellung von Bierkästen sorgt die chemische Industrie durch Kunststoffe für ihren Anteil.

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DAS WAHRZEICHEN KÖLNS

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Der Kölner Dom ist eines der bekanntesten Wahrzeichen der Region. Die römisch-katholische Kathedrale ist mit einer Höhe von 157,38 m nach dem Ulmer Münster das zweithöchste Kirchen­gebäude Europas sowie das dritthöchste der Welt. 1996 erklärte die UNESCO den Kölner Dom als eines der europäischen Meisterwerke gotischer Baukunst zum Weltkulturerbe. Neueste Sehenswürdigkeit: das 113 m² große „Richter-Fenster“ des Künstlers Gerhard Richter mit 11.263 bunten Vierecken, die wie ein Mosaik leuchten.

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CHEMIE UND FUSSBALL Vom Trikot bis zum Schuh: Die Chemie ist immer am Ball. Im Jahr 1973 waren Fußballschuhe noch aus Känguru­­leder gefertigt, aber schon mit Kunststoffsohle bestückt. Der moderne Fußballschuh besteht zu über 70  Prozent aus Kunststoff, ist gerade einmal 200 g leicht, reißfest, wasserabweisend und trotzdem atmungsaktiv. Ein weiterer Botschafter der NRW-Chemie bei jeder Welt- und Europameisterschaft ist der Ball, der aus Kunststoffen aus dem Rheinland besteht.

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CHEMIE UND GLAS Die 72 verschiedenen Farben im „Richter-Fenster“ wurden nach dem Zufallsprinzip angeordnet, doch eines eint sie: Glas kann bereits bei seiner Herstellung durch unterschiedliche chemische Zusätze gefärbt werden. So färbt Eisenoxid grün, blau oder gelb, während Kupferoxide für rote Farbtöne sorgen. Aber auch eine spätere Einfärbung des Glases ist möglich, dann durch Emaillieren oder Lackieren.

WO DER FUSSBALL ZUHAUSE IST

Das Tor für Mönchengladbach zum 2:1 von Günter Netzer im Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln, die zwei Tore von Klaus Allofs 1978 beim 7:1-Sieg von Fortuna Düsseldorf über Bayern München oder das Tor des Jahrzehnts von Bernd Schuster im Jahr 1994 aus 45 m Entfernung beim Spiel Bayer Leverkusen gegen Eintracht Frankfurt: Alles unvergessene Traumtore Marke Rheinland. Die meisten Erstligisten stammen aus NRW – in der aktuellen Saison sind das fünf Traditionsclubs, die pro Spieltag über 270.000 Fans in ihren Stadien versammeln.

ALT, KÖLSCH ODER DOCH EIN PILS?

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Deutschland ist das Bierland Nummer eins: 7.744 verschiedene Biersorten werden hier produziert. Pro Kopf trinkt jeder Deutsche durchschnittlich 106 Liter Bier im Jahr. Dabei ist die Liebe zum eigenen Bier besonders in NRW tief verwurzelt und oft ein Bekenntnis zur Region: Was dem Ruhrgebietler sein herbes Pils ist, ist dem Kölner sein Kölsch und dem Düsseldorfer sein Alt. Die Auswahl ist dabei so vielfältig wie das Land selbst, denn NRW ist nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands, sondern auch das mit den meisten Biersorten.


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PSSST …! SCHON GEHÖRT?

Klatsch und Tratsch – kaum etwas macht so schnell die Runde wie heiße Gerüchte. Warum wecken sie unsere Neugier und was bleibt übrig, wenn man nach ihrem Ursprung forscht? Darüber hat ELEMENTAR mit dem Medienpsychologen Professor Jo Groebel gesprochen, einem gefragten Experten in Medien wie ZDF und RTL, der durchaus auch selbst auf dem roten Teppich wandelt.

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as war für Sie in den vergangenen Wochen ein interessantes Gerücht aus der Promi-Welt? Ich habe auf dem GQ Award im Dezember in Berlin Sophia Thomalla auf den Knien von „Rammstein“-Sänger Till Lindemann gesehen. Offiziell sind die beiden schon länger getrennt und sie ist mit einem anderen Musiker verheiratet. Jetzt haben wir also ein Gerücht, obwohl es eine Tatsache ist, dass ich sie gesehen habe. Man sagt, Gerüchte sind das älteste Massenmedium der Welt. Was ist ein Gerücht eigentlich genau? Es ist eine Aussage oder Geschichte, die nicht oder nur teilweise auf Fakten beruht. Besonders gerne ranken sich Gerüchte um archaische Themen wie Sex oder soziale Dinge wie Scheidungen oder den Auf- oder Ausstieg in einer Gruppe. Dabei unterscheidet man zwischen öffentlichen und privaten Gerüchten. Warum finden wir solche heimlichen Geschichten spannend? Wir Menschen sind unglaublich an Storys interessiert, bei denen man gerade die Personen gerne fallen sieht, die als moralische Instanzen gelten. Manchmal sind wir aber auch schlicht überfordert, Fakten zu überprüfen, oder lehnen es einfach ab.

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Ein Gerücht vereinfacht also die Welt? Ja, und es hat noch mehr Funktionen: Erstens bildet und verstärkt ein Gerücht eine Gemeinschaft. Es definiert, wer zu unserer Gemeinschaft noch dazugehört und über wen negativ geredet wird. Zweitens erhöht es denjenigen, der dieses Gerücht in die Welt setzt oder aufgreift und weiterverbreitet, in eine „Ich weiß mehr als der andere“-Position. Es macht ihn zu einem Meinungsführer. Das klingt erst einmal gar nicht negativ. Ich würde auch nicht sagen, dass Gerüchte grundsätzlich negativ sind. Allerdings ist eben das Problem, dass sie nicht auf Fakten beruhen müssen und daher schnell ins Verletzende umschlagen können. Darum sind sie tendenziell eher negativ – auch weil wir Menschen es spannender finden, Negatives oder Spektakuläres herumzuerzählen als Harmonisches und Positives.

Weiberkram? Mitnichten!

Auch das starke Geschlecht mischt bei Gerüchten kräftig mit. Jedoch anders als Frauen, wie der Bielefelder Soziologe Jörg Bergmann herausgefunden hat. Frauen werden gewöhnlich mitfüh-

Welche Zutaten muss ein erfolgreiches Gerücht haben? Einen plausiblen Kern. Es muss so realistisch sein, dass es zumindest wahr sein könnte. Das heißt, die Geschichte muss ungefähr in das Bild passen, das ich von dem betreffenden Politiker, Prominenten,

»Erst ein Prominenter, um den sich gemäßigte Gerüchte ranken, ist richtig interessant.«

Sportler oder einem Unternehmen habe. Das Gerücht muss also für mich nachvollziehbar sein. Und noch wichtiger: Derjenige, der das Gerücht verbreitet, muss glaubwürdig erscheinen.

lender oder aber gehässiger, während Männer emotionsloser plaudern, und das meist über die

Ein Gerücht zu streuen, kann Nervenkitzel erzeugen. Es kann aber auch durchaus peinlich werden … Wenn jemand ein brandheißes Gerücht in die Welt setzt und es sich als wahr herausstellt, kann er extrem viel gewinnen. Weil er ins Schwarze getroffen hat und der Erste war, der es losgetreten hat. Er kann allerdings auch viel verlieren, wenn es sich als unwahr erweist, denn dann ist die eigene Glaubwürdigkeit massiv angegriffen.

Statussymbole der Kollegen oder Nachbarn. Einig sind sich Männer und Frauen jedoch in einem Punkt: Beide tratschen gerne über das jeweils andere Geschlecht.

Haben Sie ein konkretes Beispiel? Ja, Monica Lewinsky! In den 1990er Jahren war der „Drudge Report“ eine bedeutende Website, die darauf spezialisiert war, möglichst schnell ein Gerücht über öffentliche Personen – insbesondere Politiker – in die Welt zu setzen. Drudge war der Erste, der die ­Affäre von Bill Clinton mit seiner Praktikantin verbreitet hat. Etablierte Zeitungen haben hingegen wegen mangelnder Beweise abgewunken. Sie hatten Sorge, ihren guten Ruf massiv zu beschädigen. Letztlich hatten sie allerdings das Nachsehen und die Drudge-Macher eine exklusive Story. 4.2016


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Schmutzige Wäsche waschen Das wurde früher an öffentlichen Waschplätzen im Dorf gemacht. Während die Frauen über Neuigkeiten schwatzten, schlugen sie ihre nassen Kleider und Stoffe aus. Das erzeugte laute

Was ist das Fatale daran, wenn man einmal Opfer eines Gerüchtes geworden ist? Dass immer etwas hängen bleibt. Man erinnert sich an das Madigmachen von Produkten mit Sätzen wie „Was ist alles in Hamburgern von McDonald’s?“ auch noch Jahre später. Das gilt auch für die Chemie: Sie wird seit den 70er Jahren immer wieder problematisiert. Darum klingt bereits das Wort „Chemie“ für manche Bürger nach Künstlichkeit, Manipulation und Umweltverschmutzung – auch wenn das mit der Realität der chemischen Industrie überhaupt nichts zu tun hat.

Klatschgeräusche und machte die Wäscherinnen im wörtlichen Sinne zu „Klatschweibern“.

Wie kann es gelingen, solchen Gerüchten den Boden wieder zu entziehen? Gerade für Unternehmen und in der Politik ist es wichtig, die Dinge schnell beim Namen zu nennen und klarzustellen, wie sie wirklich sind.

Zur Person: Prof. Dr. Jo Groebel Der 66-jährige

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So oft erzählen Kunden laut einer Studie des amerikanischen Marketingexperten Jerry R. Wilson schlechte Erfahrungen weiter. Waren sie hingegen zufrieden, stecken sie diese Infor-

Medienpsycho-

Mancher Prominente hingegen befeuert durch Tweets oder eigene Fotos bei Facebook gerade die Gerüchteküche … Erst ein Prominenter, um den sich gemäßigte Gerüchte ranken, ist richtig interessant. Boris Becker oder Lothar Matthäus wären ohne ihre Frauengeschichten viel weniger in den Medien sichtbar. Allerdings besteht die Gefahr, dass sich ein Gerücht verselbstständigt und nicht mehr steuerbar ist. Das kann im schlimmsten Fall in einer Schmutzkampagne enden.

loge ist Direktor des Deutschen Digital-­Instituts in Berlin. In den 1980er und 1990er Jahren hat er unter anderem die Fernsehforschung entscheidend vorangebracht. Zudem ist er Autor und

Muss man ein schlechtes Gewissen haben, wenn man gerne zu Klatschzeitschriften greift? Definitiv nicht. Es gibt einfach die menschliche Lust am Klatsch. Im Grunde ist es nichts anderes als eine griechische Tragödie oder ein Kasperletheater. Es muss immer einen strahlenden Helden und immer einen Bösen geben. Wir reden also bei Gerüchten letztlich auch immer über das menschliche Theater: mal harmlos und nett, mal weniger nett und weniger harmlos.

Herausgeber zahlreicher Fachbücher rund um Themen wie ­Medienwirkung und -psychologie sowie Digitalisierung. Er ist ein vielgefragter Experte in Talkshows und

mation lediglich bis zu drei anderen Personen.

in der Presse.

Haben Sie als Medienpsychologe eigentlich ein persönliches Lieblingsgerücht? Die Rolling Stones waren die Helden meiner Jugend. Deren Manager hat schon 1963 systematisch Gerüchte über Drogen und sexuelle Exzesse lanciert – und hat damit ein Klischee geschaffen, das bis heute nicht nur die Stones prägt, sondern ein ganzes Genre, die Rockmusik: Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll.

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Impressum

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Herausgeber Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e. V. Neumarkt 35–37, 50667 Köln Völklinger Str. 4, 40219 Düsseldorf Redaktion Arbeitgeberverband Chemie Rheinland e. V., Franziska Fazia, Friedrich Überacker (V. i. S. d. P.); vom Hoff Kommunikation GmbH, Düsseldorf, Heike Augustin, Norman Edelmann, Daniel Hitschfeld, Marie-Luise Küter, Alexandra Stoffel Gestaltung KD1 Designagentur, Köln Fotografie/Illustration shutterstock/Diana Hlevnjak (Titel, Seite 3, 5, Rückseite), shutterstock/Natalia N (Seite 3, 5), shutterstock/Makkuro GL (Seite 6), shutterstock/ Ewais (Seite 6), shutterstock/Jorg Hackemann (Seite 6), shutterstock/AllAnd (Seite 6, 7), shutterstock/totojang1977 (Seite 9), shutterstock/ Sketch Master (Seite 9), shutterstock/Goodreason (Seite 15), Oliver Tjaden (Seite 2, 3, 10, 12–14, 16, 17), fotolia/ted007 (Seite 18, 19), shutterstock/Yulia Reznikov (Seite 18, 19), fotolia/E. Schittenhelm (Seite 19), fotolia/Tom Bayer (Seite 19), shutterstock/tratong (Seite 19), shutterstock/Africa Studio (Seite 19), Jens van Zoest (Seite 3, 20–23), shutterstock/DMaryashin (Seite 22), shutterstock/ Olga Milagros (Seite 23) Bestellhinweis redaktion@elementar-magazin.de Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.


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