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TITEL
Eine Familie: Elisa und Gerusa Dürr mit ihrem Sohn Jasper und dem Vater Rudolf Heeg. Die drei leben bei Freiburg. Er in Bonn.
EIN KIND, DREI ELTERN
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WIE EINE REGENBOGENFAMILIE IHR GLÜCK FINDET
von Till Neumann
Jasper hat zwei Mütter und einen Vater. Der Eineinhalbjährige wächst bei Freiburg in einer Regenbogenfamilie auf. Seine Mütter sind lesbisch. Sie haben nach intensiver Suche den für sie idealen Vater gefunden. Dem chilli erzählen die drei Eltern, wie sie das Babyglück teilen und nach Normalität streben. Möglich ist das aber nicht immer. Vor wenigen Tagen ist ihre Familie weiter gewachsen. Mit einer fast unglaublichen Parallele. Eine Mutter schiebt den Kinderwagen, die andere ist hochschwanger. Beide sind ein Paar, verheiratet und ziemlich entspannt an diesem sonnig-kühlen Februar-Nachmittag in Stegen. Elisa Dürr (30) und Gerusa Dürr (36) leben dort vor den Toren Freiburgs als Regenbogenfamilie. So nennt man gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern. Kennengelernt haben sie sich 2010 in Schottland. Die Deutsche und die Brasilianerin verliebten sich, wurden ein Paar. Nur ein Jahr lang waren sie seitdem getrennt. Geheiratet haben sie gefühlt schon zweimal: 2017 mit einer eingetragenen Partnerschaft. Ein Jahr später dann mit der frisch eingeführten Ehe für alle. „Bei beiden Terminen war es dieselbe Standesbeamtin“, erzählen die beiden und lachen. Ihr Sohn Jasper schläft derweil seelenruhig im Kinderwagen. Seit fast eineinhalb Jahren haben sie ein gemeinsames Kind. Jasper wurde
durch eine Samenspende gezeugt. Für Elisa und Gerusa ist klar: „Er hat zwei Mütter und einen Vater.“ Eintragen lassen konnten sie das in die Geburtsurkunde aber nicht. „Das war schon ein komisches Gefühl, wir sind doch verheiratet“, erzählt Gerusa, der das verweigert wurde. Das Gesetz macht eine solche Eintragung für die nicht leibliche Mutter unmöglich. Bis jetzt. In Niedersachen kämpft ein lesbisches Paar um die Gleichstellung mit heterosexuellen Paaren. Denn die können beide Partner in die Geburtsurkunde eintragen lassen – selbst wenn das Kind durch die Samenspende eines Dritten entstanden ist. Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) setzt sich dafür ein. „Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Familien“, sagt Pressesprecher Markus Ulrich. Keine Familie dürfe wegen der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eines ihrer Mitglieder diskriminiert werden. „Langwierig und oft entwürdigend“ sei das Verfahren der Stiefkindadoption.
Aus Mangel an Alternativen wählten die Dürrs diesen Weg dennoch. Ein paar hundert Euro habe das gekostet, berichtet Gerusa. Vor allem der Zeitaufwand hat sie gestört. Eine Menge Formulare musste sie ausfüllen und gleich dreimal zum Arzt für einen Komplettcheck. Zudem war eine Frau vom Jugendamt bei ihnen zu Hause, um sich ein Bild von ihrem Leben zu machen. „Ich hatte Angst, dass sie eine Sache findet, die nicht passt“, berichtet Elisa. „Das bisschen Abchecken war schon merkwürdig.“ Mit der Geburt des gemeinsamen Sohnes hat sich die 30-Jährige einen Wunsch erfüllt. „Das war ihr größter Traum“, sagt Gerusa über ihre Frau. Die gebürtige Brasilianerin ist sechs Jahre älter und hat Elisa dennoch den Vortritt gelassen. „Die Entscheidung ist nicht einfach“, berichten die beiden. „Ich wäre so neidisch gewesen, wenn sie es bekommen hätte“, ergänzt Elisa. Sich in die Doppelmutterrolle reinzufinden, war ein Lernprozess. „Man muss flexibel sein, die Gedanken frei machen“, betont Gerusa. Sie hatte bisher nur Beziehungen zu Frauen und wollte schon immer Kinder. „Ich wusste nur nicht wie.“ Elisa hingegen hatte auch schon Gefühle für Männer. Sie findet den Begriff lesbisch gewöhnungsbedürftig. „Ich bin einfach Elisa.“ Die Suche nach dem richtigen Vater war kein Kinderspiel: Eine anonyme Samenspende kam für die beiden Mütter nicht in Frage. „Das wusste ich schon immer“, erzählt Elisa. Denn dann könne das Kind erst mit 18 Jahren erfahren, wer der Vater ist. Zudem koste eine anonyme Spende etwa 800 Euro. Das könne bei mehreren Anläufen sehr teuer werden. „Freunde von uns probieren es schon seit Jahren“, berichtet Elisa. Also suchten die beiden im Bekanntenkreis. Ohne Erfolg. Auch der Weg über die Online-Plattform family-ship misslang. „Wir haben Männer getroffen, aber es war komisch, fremd“, erinnert sich Dürr. „Wir müssen ihn mögen, eine innere Verbindung sollte es schon geben.“ Zu ihrer Überraschung bot sich ein Freund von Elisa an. „Wir haben einen Antrag bekommen“, nennen die beiden das. Sie wussten sofort: Das passt. „Rudi“ ist ein ehemaliger WG-Mitbewohner von Elisa. „Komplett richtig“ fühle sich das an. Man vertraue sich und habe keinen Vertrag aufsetzen müssen. „Du wirst immer Papa sein“, haben sie ihm gesagt. Selbst Elisas Eltern seien entzückt gewesen: „Zum Glück ist es der Rudi.“ Auch für den 32-Jährigen ist das Kind ein Glücksfall. „Ganz normal“ fühle sich das an, sagt Rudolf Heeg. Er lebt in Bonn und sieht Jasper regelmäßig. Sogar seine Eltern kommen als Oma und Opa vorbei. „Ich bin Papa aus ganzem Herzen und mit allem, was ich in mir trage, habe aber keine eigenen Kinder im Sinne einer Kernfamilie, die unter einem Dach leben“, sagt Heeg (mehr dazu im Interview mit ihm auf Seite 12). Mittlerweile ist Heeg sogar schon zweifacher Vater. Anfang März hat auch Gerusa eine Tochter bekommen. Mit überraschenden Parallelen: Beide Kinder sind zur gleichen Uhrzeit geboren, gleich groß und gleich schwer. „Richtig verrückt“, sagt Elisa. Auch sie wird den Weg einer Adoption gehen. Oder der Fall in Niedersachsen hat Erfolg. Mitte März soll ein Urteil am Oberlandesgericht Celle fallen. Die Klägerinnen sprechen von einer „verfassungswidrigen Diskriminierung“ und wollen notfalls Verfassungsbeschwerde einreichen. Beim Bundesverfassungsgericht heißt es, ein entsprechender Gesetzesentwurf sei schon in Arbeit. Für die Familie Dürr wäre das ein weiterer Schritt „Normalität“. Die ist ihnen wichtig. Dass ihr Lebensmodell noch für Verwirrung sorgt, merken sie aber immer wieder. „Faul“ seien sie, sagen manche. Sie glauben, eine heterosexuelle Beziehung sei anstrengender. „Du gehörst in die Männerwelt“, sagen andere zu Elisa. Auf der Arbeit hat sie sich daher nur vorsichtig geoutet. Und stellte fest: „Es war für alle okay.“
»DAS BISSCHEN ABCHECKEN WAR MERKWÜRDIG«

Till Neumann
HOCHMOTIVIERTE ELTERN
„Regenbogenfamilien sind Familien, in denen mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder transgeschlechtlich lebt“, heißt es beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es rund 12.000 solche Familien mit Kindern in Deutschland. Seit 2017 ist die Ehe für alle in Kraft. Um beide Eltern rechtlich anzuerkennen, ist jedoch bisher nur der aufwendige Weg einer Adoption möglich.
Internationale Studien zeigen seit vielen Jahren, dass Kinder in Regenbogenfamilien nicht benachteiligt sind. Eine niederländische Studie von 2020 kommt sogar zum Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien bessere schulische Leistungen liefern. Das liege auch daran, dass Regenbogeneltern in der Regel „hochmotiviert“ seien.
»LEBENSLANGE BEZIEHUNG«

RUDOLF HEEG IST SAMENSPENDER FÜR EIN LESBISCHES PAAR
Foto: © iStock.com/LeManna
Zwei Frauen, die gemeinsam Eltern werden möchten. Das geht nicht ohne einen männlichen Spender. Rudolf Heeg ist einer davon. Er hilft zwei Müttern aus Freiburg, ihr Glück zu verwirklichen. Gerade ist der 32-Jährige so zum zweiten Mal Vater geworden. „Ganz normal“ fühle sich das an, berichtet er im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann.
chilli: Herr Heeg, warum haben Sie sich dem lesbischen Paar als Vater angeboten? Heeg: Schon vor mehr als fünf Jahren hatte mich Elisa mehr scherzhaft danach gefragt, damals war das für mich unvorstellbar, aber das Thema war seitdem in meinem Unterbewusstsein. Als die beiden geheiratet haben und mir von ihrer Suche nach Samenspendern erzählt haben, fühlte sich ihre relativ anonyme Suche irgendwie komisch an. Da mir dieses Gefühl etwas überheblich vorkam, habe ich das nicht kommuniziert, sondern mir die Frage gestellt: Warum eigentlich nicht ich? Auch nach tagelanger Suche habe ich nichts gefunden, was dagegensprechen könnte. Also habe ich mich als möglichen Vater ganz vorsichtig ins Gespräch gebracht. Daraus sind lange Gespräche entstanden, auch Zweifel und Ängste gekommen, und wir konnten sie alle offen ausräumen. Wichtig ist mir, dass ich das nicht „für“ Elisa und Gerusa gemacht habe. Das hätte mir nicht gereicht, mir selbst zu vertrauen, dass ich dieser lebenslangen Beziehung zu Jasper gewachsen bin.
chilli: Wie fühlt es sich an, Vater zu sein und dazu zwei Mütter zu haben? Heeg: Ganz normal. Für mich in meinem persönlichen Alltag ist die Vaterschaft eher der Unterschied zwischen „haben“ und „sein“: Ich „bin“ Papa aus ganzem Herzen und mit allem, was ich in mir trage, „habe“ aber keine eigenen

Kinder im Sinne einer Kernfamilie, die unter einem Dach leben. Ich finde es super, dass Jasper und Nahla Morena drei sie liebende Elternteile haben. Ich bin sehr dankbar, dass uns Eltern eine sehr tiefe, liebende Freundschaft verbindet, die zu beiden Müttern natürlich anders, aber für mich absolut gleichwertig vertraut ist. chilli: Wie würden Sie die Verbindung zu den Kindern beschreiben? Heeg: Sehr vertraut. Und das vom ersten Moment an. Wenn ich sie sehe, dann bin ich einfach da, nehme sie auf den Arm und sie sind mein Sohn und meine Tochter. Ich habe da keine Berührungsängste und habe auch von den beiden bislang noch keine ablehnende ängstliche Reaktion gespürt, auch wenn wir uns monatelang mal nicht gesehen haben. Bei anderen Babys habe ich manchmal Sorge, etwas falsch machen zu können und gebe die Kinder dann irgendwann gerne den Eltern zurück. Mit den Kleinen habe ich immer nur ein Gefühl von: „Auf geht’s, komm, lass uns die Welt entdecken!“
chilli: Könnten Sie sich vorstellen, so auch andere Mütter zu unterstützen? Heeg: Nein, zumindest nicht im Sinne einer Unterstützung. Denn für mich ist das ja auch keine „Unterstützung“ von Elisa und Gerusa. Wenn es nur das wäre, dann würde ich mich selbst nicht wertschätzen. Was wir teilen, sind so viele verschiedene Formen von Liebe, und in dieser Konstellation lebe ich so viele Anteile meiner eigenen Liebeskraft, das ist weit mehr als eine „Unterstützung“. Noch mal eine solche Konstellation mit zwei Müttern? Nein, mit wem denn? Das ist für mich aktuell unvorstellbar. Aber das habe ich vor über fünf Jahren auch gesagt.
Foto: © privat
Zweifacher Vater: Rudolf Heeg
