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Feuerrede vom Rektor

NEUERSCHEINUNG: HEIKO WEGMANN ÜBER DIE BÜCHERVERBRENNUNGEN IN FREIBURG

Am Abend des 10. Mai 1933 brannten auf den öffentlichen Plätzen vieler deutscher Städte Scheiterhaufen: In einer von oberster Propagandastelle konzertierten Aktion „wider den undeutschen Geist“ verbrannten Studenten und andere Angestachelte in theatralischen Inszenierungen Bücher, Zeitungen und andere Schriften, die die neuen Machthaber als schädlich erachteten.

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Zuvor hatten sie Büchereien und Buchhandlungen gestürmt, um sie „von Schmutz und Schund zu säubern“. Dabei hatten sie sämtliche Literatur beschlagnahmt, die dem Weltbild des gerade drei Monate vorher errichteten NS-Regimes nicht entsprach. Auch in Freiburg gab es solche Beschlagnahmungen – aber an diesem Abend wohl kein Feuer.

Dunkle Wolken über Freiburg von Heiko Wegmann

Nationalsozialistische Bücherverbrennungen, „Säuberungen“ und Enteignungen

Verlag: Regionalkultur, 2023

200 Seiten, broschiert

Preis: 12,90 Euro

Präsentation & Lesung:

10. Mai, 19 Uhr, Stadtbibliothek

Stadtrundgang:

12. Mai & 14. Juni, 17 Uhr, Treffpunkt: Rathausplatz

Zumindest kein größeres, wie der Freiburger Historiker Heiko Wegmann in seiner soeben erschienenen, gründlich recherchierten Forschungsarbeit „Dunkle Wolken über Freiburg – Nationalsozialistische Bücherverbrennungen, ‚Säuberungen‘ und Enteignungen“ schreibt. Zwar sei am 8. Mai in den Lokalzeitungen eine Verbrennung angekündigt worden – auf dem Platz vor der damaligen Universitätsbibliothek. Aufgerufen hatten die Ortsgruppen der Deutschen Studentenschaft und des Kampfbunds für deutsche Kultur, die damit „den geistigen Kampf gegen die marxistisch-jüdische Zersetzung des deutschen Volkes bis zur Vernichtung“ propagierten und die Bevölkerung aufforderten, ihren Beitrag zu dieser „deutschen Sitte“ zu leisten.

Doch Berichte über den Vollzug der geplanten Aktion fand Wegmann an keiner Stelle. Und die darauf beruhende Annahme, dass zumindest nichts erwähnenswert Spektakuläres geschehen sei, habe „zu einer Legende geführt“, die sich „bis heute hält“: nämlich, dass es im Unterschied zu anderen Universitätsstädten in Freiburg zu keiner Zeit verbrannte Bücher gegeben habe.

Die Begründungen reichten vom Regenwetter über die angebliche Schwäche der NSDAP und ihrer Anhängsel bis zu der „steilen These“, dass der seinerzeitige Uni-Rektor Martin Heidegger die Verbrennung verboten habe. Das hatte der Philosoph, der am 1. Mai 1933 Parteimitglied wurde, 1966 in einem Interview mit dem „Spiegel“ behauptet. Allerdings konnte er dafür keine Beweise vorlegen.

Wegmann hat nun herausgefunden, dass es sehr wohl Buchverbrennungen gab und dass die beteiligten Akteure, darunter die Städtische Kommission gegen Schmutz und Schund sowie die Hitlerjugend, bei der Verfolgung ihrer Ziele „einen starken Willen und ungeheure Hartnäckigkeit zeigten“ und verfemte Schriften sogar mehrmals öffentlichkeitswirksam ins Feuer warfen. Nachweisen kann er mindestens zwei lange übersehene Bücher-Feuer: am 17. Juni auf dem nicht weit vom jüdischen Friedhof entfernten, auf dem heutigen Messegelände gelegenen damaligen Exerzierplatz – in Anwesenheit von OB Franz Kerber. Eine weitere Verbrennung gab es beim Sonnwendfeuer am 24. Juni im Universitätsstadion an der Dreisam, wo Heidegger eine pathetische Rede auf die Flamme hielt, die „uns den Weg weise, von dem es kein Zurück mehr gibt“.

Die Netanjahus

Das Recht Der Erde

Der Letzte Sommertag

Ingo Herzke

Verlag: Schöffling & Co., 2. Aufl. 2023

288 Seiten, gebunden

Preis: 25 Euro

Wie eine biblische Plage

(ewei). Ende der 1950er-Jahre gehört Ruben Blum als Experte für Steuergeschichte zum Lehrkörper der fiktiven Corbin-University im Staat New York. Er stammt aus einer schon längst vor der Flucht in die USA assimilierten jüdischen Familie – und tut alles dafür, mit Ehefrau Edith und Tochter Judith als „ganz normale amerikanische Kleinfamilie“ zu gelten.

Doch er kommt aus der Ambivalenz „zwischen dem amerikanischen Zustand des Wählenkönnens und dem jüdischen Zustand des Erwähltseins“ nicht heraus: Seine noch lebenden, überlebenden Vorfahren pochen auf das eine, die ihn umgebende Gesellschaft und die Kollegen lassen das andere nicht zu.

Als sich der Historiker Ben-Zion Netanjahu auf einen freien Lehrstuhl bewirbt, muss er ihn betreuen – der einzige Jude auf dem Campus soll sich um „seinesgleichen“ kümmern. Zwar sieht Blum das ganz anders: Mit dem „obskuren Zionisten, der jüdische Traumata in israelische Propaganda verwandelt“, verbindet ihn nichts.

Doch er fügt sich. Und bereut es bald. Denn zum Antrittsgespräch bringt Netanjahu „die ganze Mischpoche“ mit: drei ungehobelte Söhne, die gleich einer biblischen Plage lärmend und marodierend ins Haus einfallen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Mittemang dabei: der damals zehnjährige Benjamin.

von Étienne Davodeau

Verlag: Carlsen, 2023

216 Seiten, Hardcover Preis: 27 Euro

Der Erde so nah

(jp). Die Tropfsteinhöhle Pech Merle im Südwesten Frankreichs ist für ihre Höhlenmalereien berühmt, die Sapiens vor Tausenden von Jahren angefertigt haben. Im Norden Frankreichs, im Örtchen Bure, planen andere Sapiens, Atommüll unter der Erde zu begraben, der mehr als 100.000 Jahre für Mensch und Umwelt gefährlich bleiben wird.

Étienne Davodeau sieht einen Zusammenhang zwischen beiden Orten – und wandert kurzerhand von Süd nach Nord. Er will der Frage nach-gehen, wie es um die Beziehung des Menschen zum Planeten und seiner Erde bestellt ist.

Vier Wochen – vom 11. Juni bis 11. Juli 2019 – ist der Autor und Illustrator unterwegs. In Form einer Comicreportage hat er die Tour quer durchs malerische Frankreich festgehalten. Einen Teil der Strecke geht er allein, teils wandert er in Begleitung: Experten aus der Agrarökonomie, der Energiewirtschaft und gar ein Sprachwissenschaftler unterstützen ihn in der Beantwortung der Frage, wie das Verhältnis des Menschen zu seinem Planeten und dem Boden, auf dem wir alle stehen, eigentlich aussieht.

Gespräche mit Menschen vor Ort und Umweltschützern sind ebenfalls festgehalten und lassen eine bilderreiche, multiperspektivische Erzählung entstehen, in der die Themen Kultur, Umwelt und Wissenschaft miteinander verzahnt sind.

von Marc Hofmann Verlag: Kirschbuch, 2023

220 Seiten, Hardcover

Preis: 16.50 Euro

Welt in Scherben

(ewei). Die Sommernachtsparty, die alles veränderte, liegt 30 Jahre zurück. Niels war damals 19, hatte gerade sein Abi in der Tasche – und das Gefühl, dass ihm die Welt offenstünde. Doch dann lag sie innerhalb von Sekunden in Scherben.

Kurz darauf verließ er das Dorf, in dem er aufgewachsen war. Er wollte nur noch weg – so weit wie möglich. Und nie wieder heimkommen. Diesen Vorsatz hat Niels, der sich später als Autor und Musiker in Berlin einen wenn auch nicht allzu berühmten Namen machte, in all den Jahren nie gebrochen. Selbst seinen Vater hat er nach dem überstürzen Aufbruch nur noch einmal getroffen, auf neutralem Terrain. Jedoch vergeblich: zu einer klärenden Aussprache über die damaligen Ereignisse kam es nicht.

Doch nun ist der Vater gestorben; Niels kehrt zurück ins Markgräflerland, kümmert sich um die Beerdigung – und trifft seine alten Freunde. Auch sie scheinen noch in jener Nacht festzustecken, in der sie sich zum letzten Mal sahen. Nach jahrelangem Verdrängen lassen sie sich widerwillig auf Gespräche über die Party ein – und über ihre eigenen Verstrickungen in deren tragische Wende, die der Freiburger Autor Marc Hofmann erst am Ende des Romans benennt.

Lesung: 12. Mai, 19.30 Uhr, Buchladen Rainhofscheune Kirchzarten

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