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UNENDLICHE GESCHICHTE

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FÜR JUNG UND ALT

FÜR JUNG UND ALT

SEIT JAHREN WARTEN BANDS AUF EINE LÖSUNG FÜR DEN PROBERAUM-MANGEL

Von Till Neumann

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Viele Musiker in Freiburg fühlen sich von der Stadtverwaltung im Stich gelassen. Seit dem Abriss der alten Gebäude am Güterbahnhof warten sie auf Ersatz. Für die rund 75 weggefallenen Proberäume ist nichts nachgekommen – trotz Versprechen, Zusagen und Druck der Szene. Derzeit droht der Umbau einer Garage zum Soundlabor zu scheitern. Dafür taucht eine neue Option auf: flexible Holzmodule. Standortvorschläge gibt es bereits. Doch das Rathaus gibt sich zugeknöpft.

Eine kleine Gasse in Zähringen, es ist ruhig am Haupteingang des wuchtigen Gebäudes. Vögel zwitschern, ein Radler huscht vorbei. Geht man ums Haus, ist mehr Betrieb: Zwei Männer tragen Instrumente ins Untergeschoss. Hier im Kunsthaus L6 ist wohl Freiburgs letztes größeres Proberaumareal. Acht Hauptmieter sind in den Räumen ohne Tageslicht. Sie vermieten wiederum unter an andere Bands. „Wir können rund um die Uhr Lärm machen für 25 Euro pro Nase im Monat“, erzählen zwei Musiker der Punkband Schalko. Für sie ist das Luxus, doch der ist endlich: Auch L6 wird im Juni 2024 schließen, dort sollen Wohnungen entstehen. Die beiden ärgert das: „Alles, was kapitalistisch ist, dafür gibt es Geld, für so etwas aber nicht.“ Vor 20 Jahren seien sie aus ihrem Proberaum am Güterbahnhof geflogen. „Da haben sie uns versprochen, dass etwas kommt.“ Doch geschehen sei nichts. Was Schalko erzählen, spiegelt die Meinung vieler Musiker. Sie fühlen sich hingehalten, vergessen. Ein Beispiel? Als die Debatte 2015 kochte, sagte Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach dem chilli: Das Rathaus möchte bis Ende des Jahres eine Lösung finden. Sieben Jahre später zeigt sich: Das Warten hat kein Ende. Und das, obwohl die Musikerinitiative Multicore seit Jahren Dampf macht. 2019 kämpften sie mit Pauken und Trompeten für eine große Lösung auf dem Güterbahnhof. Die „Musikzentrale“ hätte mit 40 Proberäumen viel Druck aus der Sache nehmen können. Auch eine Bühne, Workshopräume, ein Tonstudio und eine Künstlerwohnung waren geplant.

Neun Jahre ohne Ergebnis: Die lange Geschichte der Proberaumsuche im Zeitstrahl. "Full House" wie auf einer Wand im KA52-Keller zu lesen, ist da noch lange nicht.

Der Abriss am alten Güterbahnhof beginnt. Unzählige Bands spielten dort in rund 75 Proberäumen. Sie sind obdachlos, viele weichen ins Umland aus. Der Verein Pop-Frequenz stellt aus Protest einen Container auf den Rathausplatz und lässt dort vor dem Gemeinderat eine Band spielen. Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach verspricht eine Lösung bis Ende des Jahres.

2014 2015

Der Musiker Michael Simon startet mit MeinProberaum.com eine Plattform für Proberäume. Er richtet Räume her und vermietet diese.

2016

Tilo Buchholz wird Popbeauftragter. Sein erstes Ziel: Proberäume schaffen.

2017

Doch das Vorhaben scheiterte unter anderem an zu hohen Kosten. Rund fünf Millionen Euro standen im Raum. Zudem wollte die Stadtverwaltung eine Mischlösung auf dem Grundstück D4: Auch der Bürgerverein Brühl-Beurbarung soll dort Platz bekommen und auf dem Dach ist ein Bolzplatz geplant. Auf Details zur D4-Planung wartet die Öffentlichkeit noch immer. 2020 gab es erneut Stunk: In einer Telefonkonferenz informierten Stadtverwaltung, Kulturamt und Popsupport die Aktivisten von Multicore, dass die Musikzentrale weg soll vom Güterbahnhof. Dafür schlugen sie eine Tiefgarage als Ersatz vor. Sie liegt an der Karlsruher Straße 52, unweit vom Güterbahnhof. „Das hat kein Herz“, schimpfte MulticoreChef Franck Mitaine. Platz für 10 bis 15 Proberäume könnte die Garage bieten. Aus Mangel an Alternativen stürzte sich das Team aber in die Planung für den schmerzhaften Kompromiss.

Rund ein Jahr später zeigt Mitaine dem chilli die Räumlichkeiten. Sein Tatendrang war wieder geweckt: Zehn Proberäume möchte der Verein dort einrichten, mit Platz für 30 bis 40 Bands. Außerdem eine kleine Bühne, Sharing-Studios, einen Workshopraum, Büros und eine Küche. Full House stand auf einer Betonwand, wirklich einladend wirkte das Ganze jedoch nicht. Die Fantasie beflügelte aber auch der Gemeinderat. Er hatte 1,1 Millionen Euro für das Vorhaben lockergemacht. Im Herbst 2021 sollte das Soundlabor öffnen. Was könnte jetzt noch schiefgehen? Dann wurde es still rund um KA52. Die Pandemie wütete, im Februar kam der russische Angriffskrieg dazu. Im April 2022 folgte die Hiobsbotschaft: Das Vorhaben könnte durch gestiegene Baukosten zu teuer werden. Kurios: Nach all den Monaten hatten Multicore weder einen Kostenvoranschlag noch einen Mietvertrag gesehen. „Wir haben ein mulmiges Gefühl“, sagt Multicore-Mann Markus Schillberg. Sollte auch das nächste Projekt scheitern? Das zuständige Kulturamt gab sich schmallippig. chilli-Fragen wurden nur knapp schriftlich beantwortet. Der stellvertretende Leiter Udo Eichmeier glaubt dennoch an die Umsetzung: „Die Kulturverwaltung geht nach wie vor davon aus, dass das Projekt realisiert wird.“ Neben den Baukosten macht Multicore auch eine geplante Staffelmiete Sorgen. Für den Betrieb von KA52 sind ihnen jährliche 40.000 Euro Betriebskostenzuschuss zugesagt. Geplant hatte der Verein mit einem Quadratmeterpreis von drei bis vier Euro. Da die Staffelmiete nun aber bis auf fünf oder sechs Euro steigen soll, geht die Rechnung für Schillberg nicht mehr auf. Sie bräuchten deutlich mehr Geld für den Betrieb. Genaue Zahlen als Grundlage für Berechnungen kennen sie jedoch nicht. „Das ganze Projekt ist echt Glaskugel“, schimpft Schillberg. Schock und Hoffnung folgten im Juni: Einerseits wurde klar, dass die Investition für KA52 1,8 Millionen Euro teuer werden soll. Stadtrat Johannes Gröger (Freie Wähler) brachte daher einen neuen Vorschlag ein: modulare Proberäume der Firma Meom. In einem interfraktionellen Antrag schrieben zahlreiche Gemeinderatsfraktionen: „Uns erscheint die Karlsruher Straße 52 aufgrund der enormen Kostensteigerungen nicht mehr als die beste Lösung.“ Die Stadträt·innen sind überzeugt: Die Module wären „um einiges günstiger als die Proberäume in der Karlsruher Straße 52“. Zudem wären sie im Eigentum der Stadt. Auch Standorte nennt das interfraktionelle Schreiben: „die Brachfläche in Freiburg-St. Georgen neben den Wohnwägen, die Fläche neben der Skateranlage im Dietenbach-Park oder auch ehemalige Containerflächen von Flüchtlingsunterkünften“. Ulrich von Kirchbach ließ durchblicken, dass das Rathaus KA52 weiterhin bevorzugt. Es prüfe jedoch nun auch die Module. Anfang Oktober soll der Gemeinderat dazu informiert werden. Meom-Chef Oliver Schulte ist überzeugt, dass die Module geeignet wären. Er preist sie als „perfekten Proberaum an“ (siehe Interview Seite 12). Popbeauftragter Tilo Buchholz hat sie bereits besichtigt und getestet, Auskunft dazu gibt er aber nicht. Einen weiteren Standort bringt Franck Mitaine ins Spiel: die Stadthalle. Dort könnte eine Kombilösung mit der Musikschule gefunden werden. Auch die sucht händeringend Räume. Bis zu drei Stöcke hoch könnten die Container dort reingebaut werden. Und im Falle eines nötigen Umzugs an einen anderen Ort gebracht werden. Mit Blick auf die vergangenen Jahre wäre eine schnelle Lösung jedoch eine faustdicke Überraschung. Räume für Musiker sind in Freiburg nicht prioritär.

Die Musikerinitiative Multicore möchte eine Musikzentrale auf dem Güterbahnhof eröffnen. Mit 40 Proberäumen, Konzertsaal für 400 Leute, Tonstudio, Workshopräumen und einer Künstlerwohnung. Geschätzte Kosten: 5,5 Millionen Euro.

2018

Die Musikerinitiative Multicore veranstaltet eine Kundgebung am Güterbahnhof. Sie fordert endlich Bewegung in Sachen Musikzentrale. Mit auf dem Podium: Baubürgermeister Martin Haag. Die Musikzentrale ist dem Rathaus wohl zu teuer. Martin Horn verspricht eine „viel bessere Lösung“. Popbeautragter Tilo Buchholz sagt: Die Wartelisten sind voll. Auf jeden Proberaum kämen in Freiburg 60 Bands. Eine Garage an der Karlsruher Straße 52 soll zum Soundlabor KA52 mit elf Räumen für Bands werden. Der Gemeinderat stellt 1,1 Millionen Euro bereit.

2019 2020 2021

Die Baukosten sind explodiert, Multicore hat ein „mulmiges Gefühl“. Das wird bestätigt: Das Projekt soll jetzt 1,8 Millionen Euro kosten. Der Gemeinderat lässt die Stadtverwaltung Container-Module prüfen. Das Rathaus will Anfang Oktober mitteilen, wie tauglich diese sind.

2022

»LEGO FÜR GROSSE«

MEOM-CHEF OLIVER SCHULTE ÜBER VORZÜGE VON PROBERAUM-MODULEN

Freiburg könnte mobile Holzmodule als Proberäume bekommen. Was taugen die Container-ähnlichen Bauten? Die Firma Meom aus Groß-Umstadt in Hessen ist als Anbieter im Gespräch. Geschäftsführer Oliver Schulte (48) erzählt im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann von Nachhaltigkeit, Flexibilität und Schimmel.

Setzt auf Holz und Licht: Meom-Chef Oliver Schulte mit seinen Modulen. chilli: Herr Schulte, Sie preisen die Container als „perfekten Proberaum“ an ... Schulte: Bei dem Wort Container kriege ich leichte Gänsehaut. Da möchte ich gleich mal reingrätschen. Man könnte meinen, das sind Blechbüchsen. Außer einem ungefähr gleichen Maß haben Container mit unseren hochwertigen Holz-Modulen nichts gemeinsam.

chilli: Warum braucht es Ihre Module? Schulte: Gewöhnliche Proberäume sind kompromissbehaftet: wenig oder kein Tageslicht, ein muffiger Keller, Schimmel an der Wand ist keine Seltenheit. Ein Angestellter würde seine acht Stunden Arbeit niemals unter ähnlichen Bedingungen verbringen. Bands sind aber gezwungen, dort viele Stunden zu proben. Das kann krank machen. Ein Zustand, den es zu ändern gilt: Wir wollen einen gesunden und nachhaltigen Raum schaffen.

chilli: Wie fühlt sich das Proben im Holzmodul an? Schulte: Man möchte nicht mehr raus. Ich bin Schlagzeuger, habe viele Proberäume gehasst, wenige geliebt. In den Modulen ist Tageslicht, gute Luft, es riecht nach Holz, die Temperatur ist angenehm. Die Akustik knallt nicht zu sehr. Sie kann entsprechend dem Wunsch des Kunden ideal angepasst werden. Gerade Tageslicht, angenehme Temperatur und vernünftige Sanitäranlagen sind für normale Proberäume Luxus.

chilli: Wie viel Schall dringt nach außen? Schulte: Das konzipieren wir je nach Wünschen – zum Beispiel für ein Projektstudio oder einen Proberaum. Die Akustik hängt vom Isolierungsgrad ab: In der Basisversion sind es bei konstant 110 Dezibel "rosa Rauschen" im Raum, außen noch 60 Dezibel. Das ist Umgebungslautstärke. Wir können noch weiter isolieren. Bisher hat die Basisvariante aber immer gereicht. chilli: Wie ist es bei 40 Grad Hitze? Schulte: Hohe Temperaturen sind kein Problem. Wir haben Kühlgeräte und Heizlösungen, Klima-Splitgeräte können jeden Raum autark versorgen. Ein Riesenvorteil ist: Es braucht keine globale Heizungsleitung, somit entstehen auch keine Schallbrücken zwischen den Räumen und die Musiker bleiben ungestört voneinander. Wir bieten auch Dachbegrünung an, die sorgt für zusätzliche, natürliche Kühlung.

chilli: Wie groß sind die Module? Schulte: 3 mal 7 Meter. Es ist möglich, mehrere Module zusammenzufügen. Dann werden aus 18 Quadratmetern Innenraum-Nutzfläche 36, 54 oder auch 72. Die Mittelwand wird dafür rausgenommen. Holzmodulbau ist multiflexibel. Das ist Lego für Große.

chilli: Und was kosten sie? Schulte: Das ist abhängig von Transport und der Anzahl. Für ein Einzelmodul in der Basisvariante sind es zirka 2000 bis 2500 netto pro Quadratmeter. Bei einer größeren Stückzahl wird es günstiger.

chilli: Passen sie auch in Innenräume? Schulte: Wir haben viele Anfragen dafür. Das ist aber doppelt gemoppelt. Wir brauchen keine Außenhülle. Die Module sind für die Ewigkeit gebaut. 50 bis 70 Jahre Nutzung sind kein Thema. Wir können auch dreistöckig bauen.

chilli: Wie viele davon stehen schon? Schulte: Da wir zu Pandemiezeiten gegründet haben, sind es noch nicht viele. Bis Jahresende stehen deutschlandweit etwa 30 bis 40. Wir haben Anfragen von Vereinen, Kommunen oder Kirchen.

chilli: Wie schnell könnten Sie liefern? Schulte: Ab Bestellung dauert es in der Regel drei bis sechs Monate. Die Module werden bezugsfertig geliefert.

Fotos: © Meom, privat

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