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BUNKER, BECKEN UND KRIECHGÄNGE
Das Chilli Taucht In
DEN FREIBURGER UNTERGRUND EIN
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Von Pascal Lienhard, Till Neumann, Jennifer Patrias, Philip Thomas
Schlossberg, Münster, Martinstor – die oberirdischen Highlights der Breisgaumetropole kennt jeder. Doch was sich unter Freiburgs Füßen verbirgt, wissen die wenigsten: in den Berg gesprengte Bierkeller, ein Rohrpostsystem und ein Tank mit mehr als 300.000 Litern Wasser.
2083 Kilometer Stromkabel, dazu 776 Kilometer Erdgas- sowie 987 Kilometer
Trinkwasserleitungen ziehen sich unter Freiburg entlang. Doch nicht nur die Badenova kennt die Stadt von unten: Frank Löbbecke ist Experte für die Architekturgeschichte der Freiburger Altstadt. „Das Grundwasser im Bereich der Innenstadt liegt bei einer Tiefe von 18 Metern“, erklärt er. In Villingen bekommt man schon ab zwei Metern nasse Füße.
Das Straßenniveau in der Freiburger Altstadt sei zwischen 12. und 13. Jahrhundert um zwei bis drei Meter angehoben worden. Nachvollziehen lässt sich das im Stadtarchiv an der Grünwälderstraße. Dort zeigt Mona Djabbarpour, Fachbereichsleitung „Historische Forschung und Vermittlung”, auf eine historische Tür – die inzwischen im Keller liegt. Die meisten Häuser der Altstadt haben heute zwei Kellergeschosse, einige sogar drei. „Genutzt wurden sie früher als Lagerräume, besonders für Wein“, berichtet Löbbecke.
Zwischen den Kellern wurden Verbindungen gegraben, vor allem am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. „In Vorbereitung auf den Krieg wurden die Keller der Altstadt über Kriechgänge verbunden“, sagt Löbbecke. Bewohner·innen sollten im Brandfall schnell ihr Haus verlassen können. Heute ist der größte Teil der Gänge zugemauert. Beispielsweise zwischen der Unibibliothek und dem Kollegiengebäude.
Bierkeller und Bunker
Joachim Scheck, Vorstand und Geschäftsführer von Vistatour, organisiert seit 1993 Führungen durch die Stadt. Immer wieder geht es auch in die Tiefe.
Stationen sind etwa die Nonnengruft des Schwarzen Klosters, der Tiefkeller unter dem „Roten Bären“ nahe Schwabentor oder die Keller privater Wohnhäuser in der Oberstadt. Interessantes hat er zum Schlossberg zu erzählen: Im 19. und 20. Jahrhundert wurden Keller in den Stein gesprengt. „Dort sollte Bier kühl lagern, das ging ja nicht elektrisch“, sagt Scheck.
Ein ehemaliger Kühlkeller befindet sich unter der Hauptgeschäftsstelle des Schwarzwaldvereins, rechts neben der Schlossbergbahn. Zum Ende des 19. Jahrhunderts sah es hier vollkommen anders aus. „Dort, wo jetzt unser Parkplatz ist, war früher ein riesiger Biergarten“, sagt Hauptgeschäftsführer Mirko Bastian. Um den einstigen Bierkeller heute zu erreichen, müssen sich Abenteuerlustige in einen Aufzug wagen oder gleich zwei Leitern runterklettern.
Mit seinen Felsbögen erinnert das Gemäuer ans Freiburger Jazzhaus – wäre da nicht die dicke Schicht an Lehm und Dreck. „Wenn es regnet, schießt ein Bach aus der Wand“, sagt Bastian. Ein Start-up möchte den modrigen Keller in Zukunft zur Pilzzucht nutzen. Es wäre nicht die erste Anlage ihrer Art: Im Stollen unter dem schwarzen Gneis des Hirzbergs über der Kartäuserstraße züchtet Stefan Metzger seit 30 Jahren Champignons in einem Militärbunker aus dem Zweiten Weltkrieg.
Auf der dem Schlossberg zugewandten Seite geht’s durch die Hauptgeschäftsstelle des Schwarzwaldvereins über eine Zugangsschleuse zum versiegelten Bunker. Selten setzt hier jemand einen Fuß hinein: Es ist feucht, von der Decke wachsen Tropfsteine. Hinter dem verriegelten Zugang verbirgt sich eine ganz eigene Welt: „Der Bunker hat ein sehr verzweigtes System, da kommen etwa zwei Kilometer zusammen“, erklärt Scheck.
Kulisse für James Bond
Auch im Freiburger Institutsviertel liegt viel im Verborgenen, die Uni hat dort unterirdische Anlagen. Ein Eyecatcher ist der Infrastrukturkanal (großes Bild links). Mehr als 250 Meter schlängelt sich der Schacht unter der Erde entlang. Mit Leitungen und grellem Licht sieht das nach James-Bond-Kulisse aus. Doch 007 könnte sich dort verlaufen. „Das ist schon ein bisschen skurril mit all den Abzweigungen“, sagt Sabrina Oppermann. Sie leitet die Abteilung Umwelt und Nachhaltigkeit der Universität Freiburg und berät in dieser Funktion auch den Betrieb des unterirdischen Systems.
Modriges Gewölbe: In diesem Keller wurde einst Bier gekühlt. Jetzt will ein Start-up rein.
Zehn Meter tief: Durch diesen Gang im Keller des Freiburger Uniklinikums bewegen sich Container mit medizinischem Material.
Der Kanal dient der Kälteversorgung für Labore und Maschinen. „Mit einer Turbokältemaschine wird Kältemittel verdichtet“, erklärt Oppermann. Dafür werde Wasser aus dem Tiefbrunnen entnommen und verdampft. „Danach speisen wir es wieder ein“, erklärt die Expertin. Das System setzt auf Nachhaltigkeit und spart viel Energie. Wie viel das ist, hat ein Ausfall der Anlage von 2012 bis 2015 gezeigt. Ersatzkühlmaschinen mussten angeworfen werden. „Dazwi- schen war der Verbrauch temporär um 20 Millionen Kilowattstunden gestiegen“, erklärt Oppermann. Zum Vergleich: Ein Zweipersonenhaushalt verbraucht rund 3000 Kilowattstunden im Jahr. Auch Glasfaserkabel und Lichtwellenleiter gehen durch den Kanal.
Ein paar Meter weiter ist die „Neutra“. In der muffig riechenden Neutralisationsanlage werden Abwasser gesammelt und wieder aufbereitet. Vollautomatisiert kann der pH-Wert von verdünnten Säuren oder Laugen korrigiert werden. „Das Schlimmste sind die Waschmittel aus den Waschmaschinen“, sagt Oppermann. Soll heißen: Was hier landet, ist nichts Dramatisches. Das meiste neutralisiere sich selbst.
Geschichte ist der einst „giftigste Keller” der Uni unter der Albertstraße. Dort lagerten noch 2016 amtliche 20 Tonnen ätzende, brennende oder giftige Stoffe. Sie waren explosionsgeschützt und luftüberwacht. Doch das Lager wurde aufgelöst.
Ausgedient hat auch ein Bunker unter dem Institutsviertel. Vier Leute hätten dort Schutz suchen können. Es gab ein Plumpsklo, eine Notausstiegsluke und einen Frischlufthebel. Heute steht dort ein Schrank voller Technik. Der ist dort sicher platziert und gut gekühlt.
Ozean unter dem Theater
Nicht weniger überraschend ist die Welt unter dem Theater Freiburg. Bis zu acht Meter geht es tief unter die Säle. Das wohl Spektakulärste dort: ein Becken mit 3330.000 Litern Wasser. „Das ist unser Vorrat zum Löschen“, erklärt Haustechniker Michael Wiehle. Seit 1998 gibt’s den kleinen Ozean. Falls es oben brennen sollte, kann das Theater selbst Erste Hilfe leisten. Dafür steht ein Riesenmotor bereit, Leitungen führen in verschiedene Teile des Theaters. „Die dickste geht zur Bühne“, sagt Wiehle. Bis zu 20 Minuten kann das Wasserbecken Abhilfe leisten, falls die Feuerwehr nicht gleich da ist. Treffen die Retter ein, bedienen sie sich ebenfalls aus dem Becken. Die sonstigen Leitungen wären zu schwach für einen Großeinsatz.
Das Wasser verbirgt sich hinter 4,5 Meter hohen Wänden. Nur ein Spalt breit ist oben offen. Wiehle holt eine Leiter, der chilli-Reporter steigt hoch und macht im Balanceakt ein Handyfoto. Was darauf nicht zu sehen ist: Das Becken ist 9,80 Meter breit und 14,80 Meter tief. „Wir machen einmal die Woche einen Test“, berichtet Wiehle. Mit zirka
1000 Litern Wasser wird die Sprinkleranlage überprüft. Und das lohnt sich. Zuletzt brannte es vor etwa zehn Jahren bei Dacharbeiten.
Unter dem Theater verstecken sich weitere Überraschungen. So steht in der Ecke eine Vespa. „Am Theater ist Folgendes zu beachten: Nichts ist, wie es scheint“, erklärt Wiehle. Der E-Roller habe mal in einem Stück mitgespielt. Ein paar Meter weiter geht es durch eine Stahltür in einen riesigen Requisitenraum. In Hochregalen stapeln sich alte Lederkoffer, RetroKinderwagen und Körbe.
Auch im zum Lager gehörigen Zwischengang sind unzählige Requisiten zu entdecken: Wiehle zeigt Geschenkkartons, eine silberne Riesengabel oder einen ultragroßen Waschmittel-Karton. Er ist seit 29 Jahren am Theater und kennt hier quasi jeden Winkel. Mindestens einmal täglich ist er hier unten für seinen Kontrollgang.
Dabei kommt er auch durch das etwas höher gelegene „Level 1 der skurrilen Geschichten am Theater“: ein kleines Lager für historische Objekte aus Glas. Früher waren die Räume Teil der Zu- und Abluftkanäle. „Als das Haus 1910 gebaut wurde, gab es bestimmte Dinge noch nicht, zum Beispiel die heutige Lüftung“, erklärt Wiehle. Beim Umbau in den 70er-Jahren habe man Löcher in die Wände geschlagen, um sie durchgängig zu machen. Geblieben ist auch eine alte Telefonleitung – eingewickelt in ölgetränktes Papier. Wie eine Schlange windet sie sich an der Wand entlang. Dass oben mobil telefoniert wird, scheint hier unten nicht angekommen zu sein.
Hängebahn, Umschlagplatz und Rohrpost
Im Freiburger Untergrund wartet noch mehr antiquiert anmutende Technik. Rund zehn Meter unter dem Uniklinikum ist neben dem Automatischen Warentransport (AWT) auch die interne Rohrpost beherbergt. Die vollautomatische Anlage hat 28 Linien und erstreckt sich über elf Kilometer. „Sie hat rund 110 Stationen und mehr als 2000 Transporte pro Tag“, erklärt ein Mitarbeiter des Klinikums, der anonym bleiben will.
„Die AWT-Anlage dagegen ist sieben Kilometer lang und hat 28 Aufzüge“, sagt er. Bei zirka 2500 Transporten pro Tag werden rund 1008 Container unterirdisch über eine Ein-Schienen-Hängebahn bewegt. Das Fahrwerk nimmt den Container an der jeweiligen Versand-Station auf und bringt ihn zum Umschlagplatz. Die Aufzüge sorgen anschließend dafür, dass die Behälter auf die richtige Station kommen. Transportiert werden neben Essen auch Wäsche, medizinisches Material, Müll und Verbrauchsmaterialien.
Leichenwagen im Keller des Friedhofs
Die Mitscherlich Kapelle auf dem Freiburger Hauptfriedhof wurde 1901 als Familiengruft für die gleichnamige Professorenfamilie erbaut. „Heute wird sie nur noch für Trauerfeiern genutzt, die Gruft ist aber erhalten geblieben“, erklärt Michael Krapp, Abteilungsleiter der Friedhofsverwaltung und des Bestattungsdienstes.
Die Gruft liegt ein Stockwerk unter der Kirche und ist über eine schmale Wendeltreppe zu erreichen. Mehrere Gedenksteine schmücken den hellen Raum, ein alter Holzsarg mit geöffnetem Deckel steht am Rand. Darin befindet sich ein balsamierter Leichnam. Wer die Tote ist, weiß niemand. In Freiburg geht das Gerücht um, es könnte die jung verstorbene Tochter des Professors sein.
Ebenfalls gut erhalten ist der von 1894 bis 1898 erbaute Kellerbereich der Einsegnungshalle. Der vordere Teil wird als Lager genutzt, im hinteren Teil stehen zwei alte Kutschen und drei schwarze historische Leichenwagen. „Zu besonderen Anlässen werden sie noch benutzt“, erklärt der Abteilungsleiter und verweist auf die Türen am Ende des Ganges, die aufs weitläufige Friedhofsgelände führen.
Bis heute werden im Freiburger Untergrund Entdeckungen gemacht. Seit April 2020 wurden etwa in der Wiehre Hunderte Skelette gefunden. Einst befand sich hier ein Lepra-Friedhof. Was sonst vielleicht noch unter den Füßen Freiburgs ruht, ist offen. Die Geschichte ist noch nicht auserzählt.