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Betörende Pastelltöne
DES US-AMERIKANISCHEN KÜNSTLERS WAYNE THIEBAUD
Wayne Thiebaud? Wer ist denn Wayne Thiebaud? Diese Frage, die selbst unter kunstaffinen Menschen in Europa bisher mit einiger Berechtigung gestellt werden konnte, ist seit Ende Januar zumindest im euroregionalen Dreiländereck Schweiz/ Frankreich/Deutschland leicht zu beantworten: In der Fondation Beyeler in Riehen ist bis zum 21. Mai eine Werkschau dieses außerhalb der USA weitgehend unbekannten Künstlers zu sehen. Und wer sie besucht, wird ihn und sein Werk bestimmt nicht so schnell wieder vergessen.
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Bei der Retrospektive mit 65 Gemälden und Zeichnungen dieses Malers handelt es sich um die erste Thiebaud-Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum. Bisher war hier lediglich eine kleine Auswahl seiner Bilder zu sehen, zusammen mit Werken anderer Kunstschaffender – und das vor 50 Jahren: 1972 bei der Documenta 5 in Kassel und 1975 im Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Und anders als in den USA sind sie in Europa auch in öffentlichen Sammlungen und Dauerausstellungen nur sehr spärlich vertreten. Kein Wunder also, dass Thiebaud, der in der figurativen Tradition von Edward Hopper und Georgia O’Keeffe steht, immerhin 101 Jahre alt wurde und bis an sein Lebensende (2021) malte, hierzulande kaum bekannt ist.
Dank der Pionierleistung des Teams um Beyeler-Chefkurator Ulf Küster kann sich dies jetzt ändern. Ob bei der Entscheidung, Thiebaud nun ins Dreiländereck zu holen, ein in blassen Blautönen gehaltenes Ölgemälde auf Leinwand den Anstoß gab? „35 Cent Masterworks“ heißt das 1970 entstandene Bild, und es zeigt zwölf bedeutende, sehr teuer gehandelte Werke der Welt-Kunstgeschichte,
Wayne Thiebaud: Eating Figures (Quick Snack) 1963 (u.l.), Öl auf Leinwand, 181,6 x 120,7 cm, Privatsammlung, Courtesy Acquavella Galleries die zugleich als seine künstlerischen Vorbilder gelesen werden können. Fein säuberlich hat er sie arrangiert in einem Zeitschriftenregal, das vor jedem Kiosk stehen könnte. Drei dieser hier im Miniaturformat dargestellten Werke gehören zur Sammlung der Fondation Beyeler: Piet Mondrians Tableau No. IV, Claude Monets Seerosen und Pablo Picassos Stillleben mit Gitarre.
Cent Masterworks, 1970−72 (o.r.), Öl auf Leinwand, 91,4 x 61 cm, Sammlung der Wayne Thiebaud Foundation, beide: © Wayne Thiebaud Foundation/2022, ProLitteris, Zurich
Dieses Bild, das gewissermaßen die Verbindung zwischen Beyeler und Wayne Thiebaud manifestiert und das in jedem einzelnen, bis ins kleinste Detail wiedergegebenen Werk trotz Postkartengröße ein breites und differenziertes, das jeweilige Original nie verfälschendes Farbspektrum aufweist, macht den Auftakt zu der Ausstellung. Zusammen mit dem 1968 entstandenen Porträt „A Student“, dessen farbliche Tiefe, Vielfalt und Strahlkraft sich erst beim zweiten Blick offenbart – und Bewegung und Leichtigkeit in die strenge, sehr statisch scheinende Figur bringt.
Diese Bilder, sagt Kurator Küster, können als Schlüsselwerke für die Ausstellung gelten, die nach seinen wichtigsten Werkgruppen sortiert ist: Stillleben, Porträts, Stadtansichten und (Fluss-)Landschaften. Zu den Schlüsselwerken gehört auch das Bildnis einer Figur, die allen vertraut ist: Mickey Mouse. So, wie man diesen liebenswerten Superstar der Comic- und Popkultur kennt – mit gelben Latschen, roter Hose und frechem, vorwitzigem Gesichtsausdruck. Und beim Anblick dieser räumlich dargestellten Gestalt mit dem merkwürdigen blauen Schatten hat man das Gefühl, Wayne Thiebaud doch gekannt zu haben, ohne seinen Namen zu kennen – allein durch dieses ikonische Werk.
Außer den erwähnten Miniaturen gehört auch Mickey zu den Sujets, die Thiebauds künstlerischen Werdegang geprägt haben: Während seiner Studentenzeit verdiente sich der talentierte Zeichner seinen Lebensunterhalt in den Walt-Disney-Studios. Und womöglich hat er sich seinen ironischen Blick auf die Verheißungen des konsumorientierten American Way of Life, die er auf einem Großteil der ausgestellten Bilder in betörenden Pastelltönen beschwört und zugleich entlarvt, von dieser cleveren Maus abgeschaut.
Info
Wayne Thiebaud
Ausstellung mit umfangreichem Rahmenprogramm
29. Januar bis 21. Mai 2023
Fondation Beyeler
Kulturnotizen
100.000 mehr in Freiburgs Museen
Die fünf städtischen Museen Freiburg zählten im vergangenen Jahr 240.672 Gäste, über 100.000 mehr als im Vorjahr. Ins Augustinermuseum mit dem Haus der Graphischen Sammlung strömten knapp 108.000 Kunstbegeisterte – trotz baubedingter Teilschließungen. Publikumsmagnet war mit mehr als 40.000 Besuchern die Ausstellung „Freiburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!“, die noch bis zum 25. Juni läuft. Im Haus der Graphischen Sammlung wollten 3443 Menschen die Schau „Christoph Meckel – Mensch-Sein, KindSein, Ich-Sein“ (siehe Foto) sehen.
Im Museum Natur und Mensch sorgten 55.200 kleine und große Gäste für regen Betrieb, das Museum für Neue Kunst erzielte mit 33.023 Besucher·innen ein deutliches Plus von fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (16.948), mehr als 10.000 allein, um „Freundschaftsspiel. Horst und Gabriele Siedle-Kunststiftung: Museum für Neue Kunst“ zu erleben.
Skeptischer Blick: Die „Eating Figures“ scheinen nicht begeistert vom „Quick Snack“
Baselstrasse 77, CH-4125 Riehen www.fondationbeyeler.ch
Das Archäologische Museum Colombischlössle verkaufte 31.190 Tickets, sogar mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019 (23.119). Der dritte Teil der Trilogie zum Stadtjubiläum, „freiburg.archäologie – Leben vor der Stadt“ zählte insgesamt 18.154 Gäste. Bei „Habalukke – Schätze einer vergessenen Zivilisation“ hinterfragten 13.860 Personen Erkenntnistheorien der Archäologie, die Museumspraxis und die Geschichte ausgestellter Objekte der vermeintlichen MittelmeerZivilisation „Habalukke“.
Das Museum für Stadtgeschichte hatte 13.366 Interessierte, mehr als doppelt so viel wie 2021. Die Website der Städtischen Museen Freiburg wurde im vergangenen Jahr fast 200.000 Mal aufgerufen. bar