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Die Letzten ihrer Art
K Nstler Und Veranstalter W Nschen Sich Mehr Open Stages
Der Geruch von Rauch und Bier liegt in der Luft. Auf der kleinen Bühne in der Ecke des dunklen Raums spielen drei Musiker. An mehreren im Saal verteilten Tischen hören manche interessiert zu, andere lassen sich nicht in ihren Gesprächen stören. Nach einigen Minuten tritt der Sänger mit einer Ansage ans Mikro. „Wer ist der nächste“, will er wissen. „Du, oder?“, sagt er und zeigt auf einen Besucher. „Gut, okay“, erwidert der, wenig später steht er mit Gitarre auf der Bühne.
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die Abende mit einem kurzen Set, gibt bei Bedarf den Lückenfüller. „Zu uns können alle kommen, auch Anfänger“, erklärt der 36-Jährige.
Als die Open Stage in der Metal- und Rockkneipe startete, war sie eine unter
Das „White Rabbit“ hat eine Leerstelle hinerlassen
Seit Anfang an dabei: Host und Moderator Markus Schillberg auf der Open Stage im Eimer.
Eine Szene, die sich so ähnlich jede Woche im „Eimer“ in der Freiburger Innenstadt abspielt. Seit fast dreizehn Jahren steigt hier eine Open Stage, zu Beginn vierzehntägig, bald dann wöchentlich. Schon immer mit dabei ist Host und Moderator Markus Schillberg. Er eröffnet vielen. Heute ist das anders. „Es gibt in Freiburg keine Bühne mehr, die so offen ist wie diese“, sagt Schillberg. Als Verlust sieht er das Aus des „White Rabbit“ am Leopoldring. Über Jahre war die dortige wöchentliche Open Stage zur festen Instanz geworden.
Im Gegensatz zum kleinen Raum im „Eimer“ konnten Bands dort bis zur Schließung 2019 ordentlich Krach machen.
Zwar gibt es in Freiburg Formate, die dem im „Eimer“ oder „White Rabbit“ ähneln. Im „KuCa“ an der Freiburger PH steigen die Open Stages aber nur gelegentlich. Die „Jazzsessions“ im Ruefetto sind musikalisch festgelegt. Bei der „New Constellation Kitchen“ der Freiburger Blues Association stehen monatlich festgelegte Stücke im Mittelpunkt. Die „MyStage“ von Jugendbildungswerk und Jazz- & Rockschulen zielt auf angemeldete Bands mit Musiker·innen zwischen 16 und 25 Jahren.
Auch Cristian „Kata“ Carrasco findet, dass es zu wenige offene Bühnen in Freiburg gibt. Der Sänger und Trompeter der Freiburger Gruppe El Flecha Negra organisierte von Juni bis August eine Open Stage im „Mamita“. „Am Anfang kamen 15 Leute, am Ende 50“, erzählt der 38-Jährige. Nach dem Auftakt musste er wegen eigener Konzerte pausieren. Bei einer Session im Winter kamen dann wenig Besucher·innen, inzwischen fehle ihm die Zeit für weitere Events.
Sechs verrucht aussehende Typen aus Freiburg wollen der Musikwelt ihren Stempel aufdrücken. Mit der EP „Dawgs“ möchten Cosmic Mints durchstarten. Um ihren „Psychedelic Fuzz & Roll“ auf mehr Bühnen zu bringen, fehlt derzeit aber eine Verstärkung.
Auch der Popbeauftragte sieht Handlungsbedarf
Einer, der seine ersten Freiburger Konzerte auf Open Stages gespielt hat, ist Sebastian Hesselmann. Der Musiker, der mittlerweile unter seinem Nachnamen mit Band Konzerte spielt, hält viel von dem Konzept. „Open Stages sind eine super Möglichkeit, relativ einfach und unkompliziert aufzutreten“, sagt der 30-Jährige. Gerade zu Beginn einer Karriere sei ein solches Angebot richtig gut, um sich auszuprobieren und eigene Songs live zu testen. Vor allem für junge Bands fehle dieses Angebot nach dem Ende des „White Rabbit“ definitiv. „Dort war es toll, es war immer viel los, es gab eine große musikalische Bandbreite und die Möglichkeit, sich zu vernetzen.“
Auch Tilo Buchholz, Popbeauftragter der Stadt Freiburg, sieht Handlungsbedarf. Gerade der niederschwellige Zugang auf eine Bühne für neue, unbekannte Bands, den das „White Rabbit“ geboten habe, fehle. Angebote in bestehenden Venues könnten punktuell helfen. Daher habe er im November begonnen, sich mit Akteuren auszutauschen, die aktuell oder früher in verschiedenen Locations Abende oder Reihen im Format einer offenen Bühne veranstaltet oder organisiert haben.
„Aktuell sammele ich deren Ideen und Bedürfnisse, um zu schauen, ob sich das irgendwie sinnvoll bündeln lässt“, erklärt er. Eine finanzielle Unterstützung durchs Kulturamt wäre zwar wünschenswert. Zurzeit sei der Fördertopf für Rock, Pop und Jazz aber mit etwa 14.000 Euro pro Jahr eher klein und von vielen Einzelprojekten umworben oder in Beschlag genommen.
Ob es in Freiburg bald mehr Angebote geben wird, bleibt unklar. Im „Eimer“ wird in jedem Fall weiter musiziert. Der Gitarrist, den Schillberg auf die Bühne geholt hat, jammt nach dem Host mit zwei Mitmusikern. Kurz darauf gibt es den nächsten Wechsel: Ein weiterer Künstler hat sich angekündigt.
Auf dem Foto sind die Musiker umrandet von roten Blumen. Doch rosig war die Lage zuletzt nicht: Ihr Debütalbum veröffentlichten sie kurz vor der Corona-Krise. Vieles ging den Bach runter. Doch aufgeben war kein Weg. Es entstanden fünf Songs, die am 17. Februar als „Dawgs“-EP erscheinen. Im Sommer soll eine LP folgen. Das lässige Piano-Intro im EP-Opener „Nighttime“ wird nach 16 Sekunden von einem wilden Soundgewitter unterbrochen. „Der Krach geht von einer unmelodiösen in eine melodiöse Richtung“, erklärt Gitarrist Attilio „Atti“ Ferrarese. Nach acht Sekunden löst er sich in einer melancholischen Melodie auf. Der Knoten scheint geplatzt für neue Wege. „Der Sound klingt vibyer, melancholischer als früher“, sagt Bassist Joey Ssymank. Das Debütalbum sei jumpy gewesen, jetzt seien mehr Hintergrundgedanken dabei. „Es liegt an der Zeit“, erklärt Ferrarese. Die vergangenen Jahre haben die Band mitgenommen. Jetzt wollen sie wieder von sich reden machen. Zur ersten Single Nighttunes haben sie ein Video gedreht. Es erzählt von kreativen Momenten in der Nacht. Wie aus dem Nichts ist der Song entstanden. Bei einer Rooftop-Session kam Ferrarese die Idee zum Lick: „Ich habe einfach etwas gespielt, Axel hat dazu gesungen.“ Für ihn und Ssymank ist es der Lieblingstrack der EP. „Wir haben ihn im Sommer in einem One Take aufgenommen – es war so perfekt“, erzählt der Bassist. Es habe einfach Klick gemacht. „Das macht den Song ein bisschen magisch.“ Mit fünf erdigen Tracks zeigt die Band erneut ihr Gespür für Groove – serviert in einem wilden Stilmix: Alexander Emmert singt gewohnt leidenschaftlich, die Band mag es experimentell. „Coffee Later“ mischt Blues und Funk, „Don’t Move“ kommt als rotzige Gitarrenballade daher, „Black Dogg“ hat Country-Elemente, und „Defeaning Storm“ schickt Reggae durch die Boxen. An einer Releasetournee arbeitet die Band. Doch dafür bräuchte es eine Person mehr: „Gigs zu kriegen ist schwierig ohne Booker“, sagt Ferrarese. Umso wichtiger ist es ihnen, mit guter Musik auf sich aufmerksam zu machen. Und zwar im DIY-Style. Alles außer dem Mastering haben die Musiker selbst gemacht. Till Neumann
Blues made in Black Forest
(pt). Vor einem Jahr erschien die erste LP. Nun legt das Freiburger Psychedelic-, Soul- &-BluesrockQuartett Sound of Smoke mit „Phases“ nach. Berliner Produktion sei Dank, klingen die elf neuen Songs geschliffener, kommen aber nicht ohne musikalische Ecken und Kanten daher.
Aufgenommen wurden sie immerhin mit Tonband-Technik aus den 60er- und 70er-Jahren. Der Sound ist klar und warm, die erklärten und großen Vorbilder Grace Slick (Jefferson Airplane), Lemmy Kilmister (Motörhead), John Bonham (Led Zeppelin) oder Ritchie Blackmore (Deep Purple) sind trotz Albumtitel in Versalien allerdings weit weg. Oft muss Isabelle Baptés helle Stimme gegen die Instrumente ihrer Bandkollegen Jens Stover, Florian Kiefer und Johannes Braunstein kämpfen. Nicht immer gewinnt die Frontfrau gegen markante Gitarrenriffs, verspielte Drums und grollenden Bass.
Smoke auf Sound setzen mit ihrem neuen Werk nicht nur auf Bewährtes: Das psychedelische Phases fusioniert spielerisch Orgel mit orientalischen, sphärischen Synthies und kurzweiligen Krautrock-Klängen. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei, manchmal fehlt leider die geheime Zutat.
Nichts für Eilige
(pl). Das Debüt der Freiburger Formation Cydonia ist angenehm aus der Zeit gefallen. Die fünf Musiker zelebrieren Progressive Rock, der direkt aus den 70ern kommen könnte. Das Ergebnis ist spannend, langatmig wird’s trotz langer Songs selten.
Die Anfänge von Cydonia gehen zurück ins Jahr 2007, in der aktuellen Besetzung sind sie seit Ende 2019 unterwegs. Auf „Stations“ warten drei Studiosongs sowie zwei Liveaufnahmen aus dem Freiburger Slow Club. Der Opener „Way to Cydonia“ liefert einen super Einstieg. Der Song zieht die Hörer·innen direkt in den Sound des Quintetts. Über fast eine Minute dominieren Gitarre und Keyboard, bevor es etwas ruhiger wird und schließlich auch Sänger Michael Bernauer einsetzt. Klar, dass auf der Nummer mehrere Gitarrensolos nicht fehlen. Mit knapp unter acht Minuten ist der Song einer der kürzesten des Albums. Auf mehr als vierzehn Minuten bringt es „Union of Souls“.
Die hohe musikalische Klasse hört man etwa dem gelungenen Livetrack „Caravan of Slaves“ an: Auf der instrumentalen Nummer stehen – mit Ausnahme des Sängers – alle Musiker zeitweilig im Mittelpunkt. Zwar hat sich auf die Platte die eine oder andere Länge eingeschlichen, die die Spannung etwas mindert. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.
Typische Melancholie
(pl). Sie sind aktuell vermutlich die am wenigsten deutsch klingende Folkband – zumindest nach eigenem Bekunden. Wer die aktuelle Single der Freiburger Band Lambs & Wolves hört, denkt wirklich nicht an eine Combo aus dem deutschsprachigen Raum, sondern träumt sich eher in amerikanische Weiten.
Mit „Not a Party at all“ hat die Band 2021 ihr Debüt veröffentlicht, Ende März folgt „Devil in the Orchard“. Die zweite Vorabsingle kommt mit Country-Anleihen und – verhältnismäßig – beschwingt daher. Aus der Stimme von Sänger und Texter Julian Tröndle klingt dennoch die typische Melancholie, die den Sound der Formation prägt. Die Lyrics von „More Clouds“ sind verschlüsselt, Zeilen wie „I know you can’t bear the Moon tonight, I send in Clouds, let Angels cry till Rivers flow the Corners of your Mind“ bieten Interpretationsspielraum. Wer geübte Ohren hat, hört im Hintergrund die Stimme der Gastmusikerin Maggie Belm von der Freiburger Combo Catastrophe Waitress.
Die Nummer entfaltet zwar nicht die Dichte und den Sog des tollen Vorgängersongs „Devil in the Orchard“. Lust auf das gesamte in Freiburg und Augsburg aufgenommene Album macht sie aber allemal. Vorgestellt wird das Werk am 30. März mit einer Release-Show im Jazzhaus.
Scheissediebullen Simulation Eines Guten Lebens
Geschrammelte Kritik
(pl). Dass eine Band namens scheissediebullen ungehobelten Deutschpunk spielt, dürfte keinen wundern. Rund sechs Jahre nach „Anwohner raus!“ hat das Freiburger Quartett mit „Simulation eines guten Lebens“ seine dritte Platte vorgelegt. In den 14 Songs üben die Musiker größtenteils Gesellschaftskritik – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.
Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, roher Gesang – so zelebrieren scheissediebullen ihren Sound. Inhaltlich geht’s etwa um die Ablehnung der Leistungsgesellschaft („Fördern & Fordern“) oder Verschwörungsgläubige und Faktenverdreher („Ein Telegramm“). Im Ohr bleibt vor allem der Song „Mittelmeer“, der im Refrain musikalisch an Die Ärzte erinnert. Mit anklagenden Zeilen wie „Wenn über einem Kopf das Mittelmeer zusammenschlägt, dann ist das europäische Gewalt“ thematisieren scheissediebullen den Umgang mit Menschen auf der Flucht.
Auf „Kleinstadt“ arbeitet sich die Band an Themen ab, die ihr an Deutschland nicht behagen. Kritik an Spießertum oder Intoleranz geht klar. Doch mit Lyrics wie „Jede Zeitung eine Dorfgazette, überall die gleiche Hetze drin“ macht es sich die Gruppe zu einfach. Und der Disstrack gegen UniFM („88,4“) wird wohl wenige gegen den Freiburger Sender aufbringen.
Liebe und Schmerz
(tln). Die Freiburger Sängerin Fofo meldet sich mit ihrer zweiten EP zurück: Einsamer Sonntag heißt das Fünf-Track-Release. Es dreht sich vor allem um die Schattenseiten der Liebe: Sehnsucht, Enttäuschung, Lügen. Fofos Stimme ist unverkennbar: Zerbrechlich-sanft bis durchdringend-klar in den höheren Lagen singt Florine Puluj ihre deutschen Texte. Das ist mutig: Der emotionale Stoff klingt auf Englisch oft lässiger. Doch poetisch und feinfühlig arbeitet sie sich durch Gefühlswelten.
Im Intro „Einsamer Sonntag“ geht’s zu einer Akustik-Gitarre um das Warten auf den Liebling. Die vier Maintracks liefern mit elektronischen Beats und reduzierten Vocaleffekten modernen Pop-Sound. Im Ohr bleibt vor allem „Fata Morgana“ mit einem minimalistischen PingPong-Beat und einem LaidbackFlow, der zum Kopfnicken einlädt. Orchestral wird es bei „Mir den Atem raubst“. Streicher und ein Piano sind das Herz einer Ballade mit sphärischen Momenten.
Die Künstlerin zählt zu den markantesten Stimmen der Stadt. Das zeigt sie auch bei der Jazzband Triaz. Das Spektrum ihrer Stimme beeindruckt. Die Ausflüge in hohe Lagen dürften dennoch nicht jedermanns Sache sein. Für die jazzaffine Freiburgerin ist es ein Markenzeichen.
... zum neuen Jahr
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Neues Jahr, alter Dreck oder neuer Dreck in alten Schläuchen? Egal, was immer auch kommen mag, es wird nicht besser. Früher, ja, da war noch alles besser. Außer das Schlechte. Bevor es jetzt zu philosophisch wird, biegen wir hier ab und beschäftigen uns wieder mit dem harten Alltag eines Geschmackspolizisten und dem gemeinen Audioverbrechen. Der Thrill und die Herausforderung sind weiter allgegenwärtig. Ein Beispiel?
Wincent Weiss, Popbarde der seichten Sorte, mit einem dringlichen Statement (zum Berliner Silvester-Feuerwerk?), seinem „Feuerwerk“. Wir hören da mal rein, so rein textlich:
Lass uns leben wie ein Feuerwerk, Feuerwerk, oh oh Als wenn es nur für heute wär', oh oh Denn dieser Augenblick kommt nie zurück Lass uns leben wie ein Feuerwerk, Feuerwerk, oh oh Die ganze Welt kann uns gehör'n, oh oh Verbrenn'n wie Raketen Stück für Stück
Und leben wie ein Feuerwerk, Feuerwerk, Feuerwerk
Die Augen brenn'n, doch ich hör' auf mein Gefühl Geh' noch nicht heim, weil ich nichts verpassen will Du weiß auch genau, wir hab'n das alles nur einmal
Das Lied ist schon etwas älter, aber unfreiwillig brandaktuell. Musikalisch so aufregend wie ein nasser Knallfrosch, zündet es textlich gewaltig, aber letztlich doch fehl. Einweg-Metaphern treffen auf Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen und dort schwere Schäden anrichten. Berlin lässt grüßen.
Ergo: Finger weg von nicht von amtlichen Stellen zertifiziertem Feuerwerk als auch Liedgut.
Feurig grüßt, Ralf Welteroth