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Tierwohl bis zum Tod: Wie der Wandel gelingen kann

Im Einklang mit der Natur: Die mobile Tierhaltung sorgt dafür, dass die Weiden nicht überdüngt werden.

freudige Rasse entschieden, die rund elf Wochen bei ihnen lebt. Als Schutz vor dem Habicht setzen sie auf Gänse und Lämmer. Wie das aussieht, zeigen sie nicht nur auf ihren Social-Media-Kanälen, sondern auch direkt vor Ort. Und das radikal ehrlich: So sind auf Instagram & Co. nicht nur flauschige Küken, sondern auch Bilder von den Schlachtungen zu sehen.

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„Wir wollen die Kluft zwischen Landwirt und Konsument verkleinern“, erklärt der 28-jährige Neuseeländer, „und zeigen, was alles hinter unserer Arbeit steckt.“ Für viele sei es schwer verständlich, warum man im Bioladen teils das Fünffache für Produkte zahle – und warum ein Bio-Weidehähnchen bei ihnen stolze 29 Euro kostet. Doch Blattmann und Taylor sind sich sicher: Wer sich selbst davon überzeugt, wie die Tiere bei ihnen gehalten werden, ist auch bereit, diesen Preis zu zahlen.

Für Blattmanns Eltern, deren Hof die beiden im Januar übernommen haben, sei die konventionelle Milchkuhhaltung noch wirtschaftlich zwingend gewesen. Dass sie es nun anders machen können, sei „ein Privileg“. Doch hinter ihrem „mehr als Bio“ stecken nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Überlegungen: „Kleine Schwarzwaldhöfe sind mit konventioneller Haltung nicht mehr wettbewerbsfähig“, ist sich die 32-Jährige sicher. „Der einzige Weg, wie wir langfristig noch Geld verdienen können, ist durch ökologische Landwirtschaft und Direktvermarktung.“

Neben den Hühnern leben auf den Weiden des Steingrubenhofs noch zehn „gerettete“ Vorderwälder Kälber, die Blattmann und Taylor von Höfen aus der Nachbarschaft aufgekauft haben – teilweise für den zehnfachen Preis, den die großen Viehhändler zahlen (s. Seite 15).

Für die Zukunft haben die beiden große Pläne: Neben ihren Hühnern und Kühen würden sie gerne Gänse und im Wald lebende Schweine halten. Zudem träumen sie von einem Agroforst-System, einem Hofladen und Events mit Musik und gutem Essen, um den Menschen ihre Produkte und ihren Hof näherzubringen.

„Viele Leute haben ein sehr oberflächliches Verständnis von landwirtschaftlichen Kreisläufen“, sagt Taylor, „weil einfach die Berührungspunkte fehlen. Deswegen freuen wir uns über jeden, der bei uns vorbeischauen will: Die Tür ist immer offen!“

„HERZKAMMER DER HEIMAT“ Mar ie Luise Kaschnitz in B ol l

s c hweil In Karlsruhe wurde sie geboren, in Frankfurt und Rom hat sie gelebt, aber der kleine Ort Bollschweil war ihre „Herzkammer der Heimat“. Die Dichterin Marie Luise Kaschnitz hat mit der „Beschreibung eines Dorfes“ der kleinen Gemeinde am südlichen Ausgang des Hexentals zu literarischer Berühmtheit verholfen. Eine Spurensuche.

Text: Hans Jürgen Truöl

Truöl Foto: ©

Die Tour startet am Schloss Bollschweil, dem Sitz der Familie Holzing-Berstett.

Bollschweil liegt idyllisch am Ufer der Möhlin zwischen den waldreichen Bergen des Schwarzwalds und dem rebenbestückten Ölberg. Reizvoll ist der Besuch allemal, wirklich spannend ist ein Rundgang auf den Spuren der Dichterin Marie Luise Kaschnitz (1901–1974). Im Dorf kennt sie jedes Kind, denn seit 2004 trägt die Grundschule ihren Namen. Ältere Dorfbewohner können von Begegnungen mit MLK erzählen, wie sie manchmal genannt wurde, die ihr Leben lang, manchmal für Monate, immer wieder nach Bollschweil zurückkehrte. Die Erinnerung an Kaschnitz wird im Dorf hochgehalten. Seit 1967 ist sie Ehrenbürgerin der Gemeinde, auf dem Friedhof fand sie 1974 ihre letzte Ruhestätte.

Der Friedhof ist der letzte Punkt eines Dorfrundgangs, dessen Marschrichtung ein Leitfaden des Arbeitskreises der Lokalen Agenda Bollschweil 21vorgibt. Grundlage ist die „Beschreibung eines Dorfes“, dieses fulminante Prosawerk, mit dem die Büchner-Preisträgerin die Öffentlichkeit 1966 überraschte. Statt leicht lesbarer Heimatprosa oder einem idyllischen Rückblick schuf sie in 21 Bildern ein genau beobachtetes, merkwürdig in der Zeit hängendes Bild von einem Dorf, dessen Zukunft offen ist. „Veränderung über Veränderung“ ist das Grundmotiv.

Wer mit dem Bus anreist, steigt an der Haltestelle „Alte Post“ aus und wandert zum „Schloss“ – Haus Nr. 84 nennt es Kaschnitz in ihrer Beschreibung lapidar, im Plan hat es die Nummer 1. Von Potsdam hatte ihr Vater 1918 hierher den Familiensitz verlegt. Die damals 17-jährige Freiin von HolzingBerstett, so ihr Familienname, war vom Umzug in die Provinz nicht begeistert. Schnell suchte sie den Absprung: Nach dem Abitur machte sie eine Buchhändlerlehre in Weimar, arbeitete in München

Lageplan für den Dorfrundgang unter www.bollschweil.de Info

Kaschnitz-Zimmer im neuen Rathaus:

geöffnet zu den Sprechzeiten des Bürgermeisteramts, Tel.: 07663/9510-0

und in Rom, wo sie ihre große Liebe traf, den Archäologen Guido Kaschnitz von Weinberg. Sie folgte ihm auf seinen Reisen und 1941 nach Frankfurt, wo er einen Lehrstuhl übernahm.

Braut im Pelzmantel

Das Schloss und sein Park sind nicht öffentlich zugänglich, da hier bis heute ein Neffe der Dichterin seinen Wohnsitz hat. So geht es auf der Hexentalstraße zurück ins historische Ortszentrum, an der Schule (4) vorbei zum Neuen Rathaus (5). Dort, im „KaschnitzZimmer“, würdigt eine sehenswerte Dauerausstellung Leben und Wirken der Dichterin. Es ist gleichzeitig das Trauzimmer der Gemeinde. Die Brautpaare blicken, am Kirschbaum-Schreibtisch sitzend, auf ein markantes Porträtfoto der Kaschnitz, das sie als distinguierte Dame mit Perlenkette zeigt, ihrem „Markenzeichen“. Die Doppelnutzung als Museum und Trauzimmer ist sinnreich, denn Marie Luise von Holzing-Berstett selbst hat hier geheiratet. Ein Foto zeigt sie mit dickem Pelzmantel überm Brautkleid beim Gang in die Pfarrkirche auf der anderen Straßenseite – es war kalt im Dezember 1925.

Die Pfarrkirche (Nr. 6) gegenüber ist schnell erreicht. Lohnend ist ein Blick ins Kirchenschiff mit seinen Nazarener-Gemälden. Auf Kaschnitz’ Spuren geht es weiter an der Hexentalstraße entlang, am Pfarrgarten (Nr. 7) vorbei, dann nach rechts zum schmucken Platz mit Milchhüsli (8) sowie dem Alten Rathaus (9), wo Marie Luise Kaschnitz 1967 zur Ehrenbürgerin ernannt wurde. Gegenüber dem Milchhüsli lockt im ehemaligen Stadtschreiberhaus das „Bolando“ zur Einkehr: Das genossenschaftlich organisierte Dorfgasthaus hat sich zu einem regional bekannten Anziehungspunkt entwickelt. Kaschnitz hätte das gefallen.

Mit wachen Augen geht’s weiter durchs Dorf Richtung Westen, über die Möhlin zum am Ölbergweg gelegenen Friedhof (Nr. 10). Marie Luise Kaschnitz starb im Oktober 1974 in Rom, wo sie ihre Tochter besucht hatte. Eigentlich wollte sie nach ihrer Romreise wieder nach Frankfurt zurückkehren, zur Buchmesse, und dort einen Vortrag halten, dem sie den Titel „Rettung durch die Phantasie“ gegeben hatte. Im Familiengrab in Bollschweil fand sie die letzte Ruhe, ein Gedenkstein ehrt die Dichterin und ihre „Beschreibung eines Dorfes“ – die auch mehr als 50 Jahre nach Erscheinen nichts von ihrer Aktualität verloren hat.

Dame mit Perlenkette: das „Markenzeichen“ der Dichterin.

Stadt Frankfurt a. M. Foto: ©

Mundart von Stefan Pf a u m

KOLUMNE

S HERBSCHTELET

Foto: Till Neumann

Der Mundart-Autor aus Schallstadt schaut, lauscht und schnuppert.

S Schpotjohr isch do. Am Rhiin verlöscht d Sunn hinter me graue Schleier. Störch un Fischreiher im Herbschtnebel. Septemberblätter im Wind. Ä Kind, taub un blind, sammelt Blätter gschwind. Liisli kunnt de Herbscht, d Gripp un d Grippeimpfunge. Oktoberrege, Novemberrege. Strooßemusiker. Kei Hund uff de Stroß. Im Schpotherbschtweiher hängt de Mond un zitteret. De selb Mond wie überall in de Welt.

De Wind in de Bäum macht kei Unterschiid zwische Blätter un Noodle, wirblet aber numme d Blätter umänand. Wenn d Sunn untergoht hinterem Berg, fangt s ganz Dorf obe aa brenne.

Regetropfe uf em Dach, s schönschte Wiigeliid. Zwiibelwaiheduft in de Strauße. Nüss un Wii. Ä Gidderli uf em Tisch, ä Knissli, Anke un ä Nussknacker. Hörsch ne de Kohlkrab? Hörsch de Wind im Laub? Un d Autobahn hinter de Lärmschutzmuere. S düschperlet. Im Wiiberg d letzschte Triibili am Stock hen d Spatze stibbizt. Spatzeschpätlese. Uffem Gott’sacker s Grab vunere Frau. Zwei goldini Blätter uffem Kriz. 99 isch si wore.

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