Das Prognose Modell des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Deutschland SEIR-Modell und die wesentlichen Annahmen – Versuch einer einfachen aber transparenten Erklärung
Christian Hoffmeister
Die Publikation auf die sich die folgenden Darstellungen beziehen*
*
Was sind die Grundannahmen des Modells und der Berechnungen?
* Quelle: an der Heiden M, Buchholz U: Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. | DOI 10.25646/6571.2 unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText15
Grundsätzlich geht es aktuell vor allem darum, vorherzusagen, wie schnell sich das Virus verbreiten wird
Für eine Abschätzung der Ausbreitung des Corona Virus werden von der Infektionsepidemiologie verschiedene mathematische Prognosemodelle eingesetzt. In Deutschland gibt es dazu u.a. ein Prognosemodell des RKI (Robert-Koch-Institutes).* Die Ergebnisse und Aussagen aus der Publikation, die die Ergebnisse der Modellierung und Berechnungen beschreibt, werden im Folgenden versucht einfach und schematisch darzulegen. Das RKI verwendet ein deterministisches Differentialgleichungsmodell ohne Zufallseffekte, um die Ausbreitung des Corona Virus zu simulieren. Dieses Modell wird SEIR-Modell bezeichnet.
* an der Heiden M, Buchholz U: Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. | DOI 10.25646/6571.2
Im Folgenden wird das SEIR-Modell vorgestellt und mit den Aussagen aus der RKI Publikation befĂźllt und die Anpassungen des Modells dargestellt. Etwas vereinfacht, aber Ăźbereinstimmend mit den Aussagen aus der Publikation.
SEIR-Modell – vier Zustände von Personen
Das SEIR-Modell geht von vier möglichen „Zuständen“ aus, die Menschen haben können.
S
Susceptible = anfällig: sind noch nicht infiziert könnten aber infiziert werden
E
Exposed = haben bereits eine Infektion diese aber noch nicht weitergegeben
I
Infected (infiziös): diese haben die Infektion und können diese auch übertragen
R
Recoverd/resistant: diese Personen haben diese Infektion gehabt und sind genesen und damit auch resistent
SEIR-Modell – zeitliche Dimension
Das SEIR-Modell geht von einer logischen und zeitlichen Abfolge aus, bei der eine Person von Zustand S Ăźber Zustand E, I zu R gelangt. Gelangt er nicht zu Zustand R, bedeutet es dass er verstorben ist. Es gibt eine logische Abfolge der Infektionskette
S
E
I
R
Das RKI geht von folgenden zeitlichen Verlauf von der Ăœbertragung zur VerbreitungsmĂśglichkeit und zur Genesung beim Corona Virus aus
Das RKI geht dabei von einer zeitlichen Verteilung dieser Zustande wie dargestellt aus.
S E
R
I 3 Tage
9 Tage
SEIR-Modell – die Weitergabe von einer Person zu anderen Personen = Folgeinfektion
Inn dem Modell wird jeder infizierte zum Verbreiter des Virus und steckt mit der Folgeinfektionsrate Rt andere Personen an. Das RKI geht dabei im Wesentlichen von zwei Infektionsvorgängen pro I aus*
Folgeinfektionen (R0)=2** S
E I
S
E I
I
* Es gibt auch Modellannahmen des RKI, die von einer Immunität bzw. Resistenz (R) in der Bevölkerung von 1/3 ausgehen, dann wurde aber Rt dafür auf 3 gesetzt. Was zu identischen Ergebnissen geführt hat ** Diese Annahme beruht auf Erkenntnissen aus drei früheren Grippe-Pandemien im 20. Jahrhundert. Im Schnitt hat damals jeweils ein Patient etwa zwei Menschen angesteckt.
SEIR-Modell – mit der Zeit entstehen resistente Populationen
R
S
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
S
E I
S
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
I S
E I
S
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
R
S
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
Menschen die die Infektion überwunden haben sind genesen und resistent und können niemanden mehr anstecken. Wenn sich also genügend Menschen infiziert haben und überlebt haben, dann kann sich das Virus immer schlechter verbreiten. Das RKI geht davon aus, dass sich 70% aller Deutschen infizieren werden und 99,44% die Infektion überleben werden. Dieser verlauf wird als nicht veränderbar gesehen, es geht also nur um die zeitliche Steuerung dieses Prozesses.
SEIR-Modell – hochdynamisch und nur noch von Computern berechenbar
S
S
R
S R
S
E I
S E I
S
S
S
R
S
E I
S I
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
S
Zustand1 à Zustand2
R
Das Modell ist eigentlich hochdynamisch, da sich theoretisch auch Distanzen zwischen Menschen auswirken oder auch geografische Eigenschaften einen Einfluss auf die Verbreitung haben, diese wurden aber in dem Modell nicht berücksichtigt.
R
S
ZITAT: „Für die Modellierung wird Deutschland als einheitlicher Raum aufgefasst und geografische Besonderheiten werden nicht berücksichtigt. Diese Annahme führt eher zu einer Überschätzung des Ausmaßes und der Geschwindigkeit der Ausbreitung“ S. 3*
* an der Heiden M, Buchholz U: Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. | DOI 10.25646/6571.2
SEIR-Modell und Annahmen RKI: Folgeinfektion alle 3 Tage In dem nun konkreten Fall geht das RKI von einer Verdopplung der Infektionen innerhalb von 3 Tagen aus, da dann erst aus E à I wird In einer einfachen Rechnung* dargestellt: Annahme: jeder Infizierte steckt zwei andere an = Folgeinfektionen (R0)=2 und (R1)=2 und dann auch in (R3)=2 ….
*ohne vorhandene Resistenzen in der Bevölkerung Das Modell des RKI ging von einer Startmenge von 1.000 Personen aus ( diese Fallzahl wurde zwischen 8. und 9.3. in Deutschland erreicht) •
Wir beginnen an t 0 mit einer Menge von 1 Infektiösen (I) à in t 1 sind dann also 2 mit dem Virus angesteckt worden (E =2) Diese E werden nach drei Tagen zu I und stecken jeweils zwei weitere Empfängliche (S) an. Die zu E werden und nach weiteren drei Tagen zu I. Es kommt also zu einer Verdopplung der I´s alle 3 Tage.
S Folgeinfektionen (R0)=2
Infizierte
infiziös
I
E I
I
I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
S
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
S
E I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
3 Tage
S
I
E I
I
I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
I S
E I
I
I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
S
I
E I
I
I
Zustand0 à Zustand1 à Zustand2
t0 1
t1 2
t3
t2 4
3 Tage
8
I
I I I I
I I
I
I I
I
t4 3 Tage
I
16
I
SEIR-Modell – Messcheck der aktuellen Daten Die bisherigen Prognosen des Modells treffen für Deutschland ganz gut zu.
Wachstumsrate und Infektionen alle 3 Tage 25000
160% 147%
22.364 140%
20000
120%
112%
112%
100%
15000
81% 80%
12.327 10000
60% 40%
5.813
5000
20%
2745 0
1112 09. Mär
10. Mär
0% 11. Mär
12. Mär
13. Mär
14. Mär
15. Mär
Infektionen
16. Mär
17. Mär
Wachstumsrate
18. Mär
19. Mär
20. Mär
21. Mär
Verdopplungsgrenze alle 3 Tage
SEIR-Modell – Planmodell bis Mitte April der Simulation Wenn sich die Messungen nicht verändern, wachsen die Fallzahlen bis Anfang April auf 700.000 Infizierte .
7000000
160%
Diagrammtitel
147%
5.725.184140%
6000000
120%
5000000
112%
112%
100%
100%
4000000 81%
80%
3000000
2.862.592
60%
2000000
40% 1.431.296
1000000
20%
Wachstumsrate
15. Apr
14. Apr
13. Apr
12. Apr
11. Apr
10. Apr
09. Apr
08. Apr
07. Apr
06. Apr
05. Apr
04. Apr
03. Apr
0% 02. Apr
01. Apr
31. Mär
30. Mär
29. Mär
28. Mär
27. Mär
26. Mär
25. Mär
23. Mär
22. Mär
21. Mär
20. Mär
19. Mär
18. Mär
17. Mär
16. Mär
24. Mär
Infektionen
357.824
178.912
89.456
44.728
22.364
12.327
5.813 15. Mär
14. Mär
2745 13. Mär
11. Mär
1112 10. Mär
09. Mär
0
12. Mär
715.648
Verdopplungsgrenze alle 3 Tage
SEIR-Modell – Erweitertes Modell um Krankheitsphasen und Todesfälle Das Modell wurde nun um wesentliche „Zustände“ erweitert, um die eigentliche Problemstellung modellieren zu können. Denn um was es ja eigentlich geht ist der Versuch einer Vorhersage, wie stark sich dii Infektion auf den Gesundheitszustand der Personen auswirkt und wie viele davon vor alle, im Krankenhaus behandelt werden müssen und wie viele davon intensiv. Daher gibt es weitere relevante Zustände: • Infizierte werden krank • Kranke können einen schweren Verlauf aufweisen und müssen ins Krankenhaus • Diese Fälle können sich weiter verschlechtern und müssen auf die Intensivstation (ICU) • Und diese sterben an dieser Erkrankung
Susceptible (empfänglich)
exposed
infiziös
S
E
I
Zustand0
Zustand1
Zustand2
genesen & resistent
R
Symptome/krank Il
Zustand2a
Krankenhaus H
Zustand2b
Intensivstation ICU
Zustand2c
Dead (verstorben)
D Zustand3
Modellannahmen RKI in Bezug auf Wahrscheinlichkeiten Im Rahmen des Berechnungsmodells des RKI wurden diesen verschiedenen Zuständen jeweils bestimmte Wahrscheinlichkeiten zugewiesen. Diese wurden vor allem aus den Daten aus China und anderen bekannten Verlaufsfällen ähnlicher Viren abgeleitet und unter anderem an die Altersbedingungen in Deutschland angepasst.
Über 99,5 % aller Infizierten überleben
Folgeinfektionen (R0)=2
Susceptible (empfänglich)
exposed
infiziös
S
E
I
Zustand0
Zustand1
Zustand2
genesen & resistent
R 4,5 % bezogen auf alle Infektionen
Symptome/krank Il
Zustand2a
Krankenhaus H
Zustand2b
25 % Intensivstation ICU
Zustand2c
50 % Dead (verstorben)
D Zustand3
0,56 % bezogen auf alle Infektionen
SEIR-Modell – Einfaches Beispiel auf Basis RKI Annahmen
10.000 Infizierte
113 ICU
57 sterben
Folgeinfektionen (R0)=2
Susceptible (empfänglich)
exposed
infiziös
S
E
I
Zustand0
450 Krankenhaus
Zustand1
genesen & resistent
R 4,5 % bezogen auf alle Infektionen
Zustand2 Symptome/krank Il
Zustand2a
Krankenhaus H
Zustand2b
25 % Intensivstation ICU
Zustand2c
50 % Dead (verstorben)
D Zustand3
0,56 % bezogen auf alle Infektionen
SEIR-Modell – aktuelle Zahlen Hamburg Auf Hamburg angewandt liegen die Werte in den von dem Modell berechneten Korridoren. Für Deutschland gibt es aktuell keine belastbaren und einsehbaren Daten. In einigen Quellen wird von 5 % ICU Patienten von allen „Patienten“ berichtet. 768 Infizierte
32 Krankenhaus
IST-Raten
19 %
4,2 % bezogen auf alle Infektionen
Davon würden dann 50% sterben
Folgeinfektionen (R0)=2
Susceptible (empfänglich)
exposed
infiziös
S
E
I
Zustand0
6 ICU
Zustand1
Abgleich zu Prognosewerten
genesen & resistent
R 4,5 % bezogen auf alle Infektionen
Zustand2 Symptome/krank Il
Zustand2a
Krankenhaus H
Zustand2b
25 % Intensivstation ICU
Zustand2c
50 % Dead (verstorben)
D
0,56 % bezogen auf alle Infektionen
Zustand3
* Etwa 80 bis 85 Prozent der Patienten hätten leichte Krankheitsverläufe oder sogar so gut wie keine Symptome, erklärt der Mediziner. Sie würden zu Hause gesund. Von den übrigen könnten zwei Drittel auf der Infektionsstation versorgt werden. Etwa fünf Prozent aller Patienten müssten intensivmedizinisch betreut werden.
SEIR-Modell – Modellannahmen RKI in Bezug auf Zeit Des Weiteren wurde eine Zeitprognose und Zeitannahme für dieses Modell hinterlegt, die ebenfalls aus Daten aus China und anderen Verläufen wie SARS, abgeleitet wurden. Annahme über Dauer der Erkrankungsstadien: Zeit von Ansteckung bis zum Beginn der Infektiosität: 3 Tage Mittlere Inkubationszeit: bis Symptome erkennbar sind 5 Tage Mittlere Dauer der Symptome (ohne Krankenhaus-Aufenthalt): 9 Tage, Mittlere Dauer von Erkrankungsbeginn (Beginn der Symptome) bis Krankenhaus: 4 Tage Mittlere Liegedauer im Krankenhaus: 14 Tage, Mittlere Dauer bis zur eventuellen Intensivstation 1 Tag Mittlere Liegedauer auf der Intensivstation: 10 Tage.
Susceptible (empfänglich)
exposed
infiziös
S
E
I
Zustand0
Zustand1
Zustand2
genesen & resistent
R
Symptome/krank 3 Tage
∅ 5 Tage
Krankenhaus
Il
Intensivstation
H
Zustand2a ∅ 9 Tage
∅ 4 Tage
ICU
Zustand2b
Zustand2c
∅ 14 Tage
∅
∅ 10 Tage
1 Tag
Dead (verstorben)
D Zustand3
0,56 % bezogen auf alle Infektionen
SEIR-Modell – Annahmen werden in ein Computerprogramm eingegeben und Millionenfach-berechnet und verschiedene Szenarien ausgeworfen Basierend auf diesem Modell wurden dann die Annahmen und Daten aus China in eine Software eingegeben und dann verschiedene Szenarien berechnet. Es wird davon ausgegangen, dass nach 4 Monaten der Peak der Verbreitung erreicht wurde. Bei einer Verlangsamung der Kurve dauert die sogenannte „Durchinfizierung“ der Bevölkerung entsprechend länger. Prognosen RKI*
Quelle: an der Heiden M, Buchholz U: Modellierung von Beispielszenarien der SARSCoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. | DOI 10.25646/6571.2
Jedes Modell benötigt Annahmen – so auch im Fall von Corona*
Original Aussagen aus der Publikation des RKI* Bei den Ergebnissen handelt es sich um Beispielszenarien, um eine Einschätzung möglicher Verläufe der Epidemie zu bekommen. Viele Annahmen im Modell sind mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet, die hier nicht systematisch erforscht und dargestellt werden kann. Dutzende Parameter wie die Altersverteilung in der Bevölkerung, die Häufigkeit von Kontakten, die Schwere der Symptome und die Versorgung der Infizierten können variiert werden und sorgen für teils drastische Veränderungen der Ergebnisse.
Eine Herausforderung für die Kommunikation entsteht dabei insbesondere aus der Problematik: je „erfolgreicher“ wir sind (= je flacher die Kurve wird), umso länger müssen wir durchhalten, …
Die schweren Verläufe orientieren sich an den veröffentlichten Schätzungen aus ganz China demnach liegt die Wahrscheinlichkeit, bei einem schweren Krankheitsverlauf (severe) auch intensivpflichtig zu werden, bei etwa 25 %. Das Risiko von Intensivpflichtigen zu versterben liegt bei etwa 50 %. Schwieriger gestaltet sich die Schätzung des Anteils der schweren Verläufe unter allen Infizierten Vorbestehende Immunität ist eine weitere Größe, die nicht bekannt ist. Wir vergleichen daher ein Szenario ohne Immunität mit einem mit Immunschutz bei einem Drittel der Bevölkerung. In diesem Szenario erhöhen wir gleichzeitig den Wert von R0 auf 3, so dass am Anfang der Epidemie nach wie vor etwa 2 Sekundärfälle entstehen Für die Modellierung wird Deutschland als einheitlicher Raum aufgefasst und geografische Besonderheiten werden nicht berücksichtigt. Diese Annahme führt eher zu einer Überschätzung des Ausmaßes und der Geschwindigkeit der Ausbreitung
Es wird deutlich, dass die Szenarien mit erheblichen Unsicherheit behaftet sind * Aussagen aus der Publikation des RKI unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText15 : an der Heiden M, Buchholz U: Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland. | DOI 10.25646/6571.2
Vielen Dank fĂźr Ihr Interesse C. Hoffmeister