Technologie als Quelle sozialer Ungleichheit Der Digital Divide in komparativer Perspektive
Seminararbeit im Rahmen des Seminars „Institutionelle Ordnungen – Markt, Staat, Unternehmung, Schule – und soziale Ungleichheit“ Leitung: Professor Dr. Volker Bornschier Sommersemester 2007 Eingereicht am Soziologischen Institut der Universität Zürich 30. Juli 2007
Christoph Lutz Reggenschwilerstrasse 28 9402 Mörschwil
Matrikel: 04-712-899 E-Mail: chrislutz@access.uzh.ch Telefon: 079 504 13 61 Hauptfach: Soziologie 1. Nebenfach: Englische Sprachwissenschaft 2. Nebenfach: Publizistikwissenschaft
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung
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2. Erkenntnissinteresse, Datengrundlage und Fragestellung
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3. Theoretische Einordnung
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3.1 Begriffsdefinitionen
5
3.2 Volker Bornschier: Technologischer Stil
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3.3 Manuel Castells: Die Netzwerkgesellschaft
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3.4 Der Digital Divide
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4. Empirische Ăœbersicht: global divide und social divide
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4.1 Der global divide
11
4.2 Der social divide
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4.2.1 Der social divide in der Schweiz
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4.2.2 Der social divide in Deutschland
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5. Massnahmen: 100$ Laptop und Estland als Vorbild
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5.1 Die 100$ Laptop Initiative
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5.2 Estland als Vorbild
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6. Schlussfolgerungen
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Anhang
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Literatur und Online-Quellen
27 1
1. Einleitung Dass Technologie eine Quelle von sozialer Ungleichheit sein kann, gehört mittlerweile zu den wenig bestrittenen Aussagen in der Soziologie. Wer über Produktionsmittel verfügt und im Umgang und der Kontrolle mit neuen Technologien bewandert ist, hat entscheidende Vorteile in der Durchsetzung seiner Macht. Es erstaunt wenig, dass im Verlaufe der Geschichte der Menschheit oft diejenigen Gesellschaften erfolgreich im Krieg und in den Eroberungen weiter Gebiete waren, die sich auf neuartige Innovationen stützen konnten (Lenski 1973). So war der Erfolg Alexander des Grossen bei der Eroberung des Perserreiches – nebst anderen Faktoren – auf der zentralen Rolle fortschrittlicher Kriegstaktik, u. a. einer starken Vertretung der Kavallerie im Gegensatz zu den von Fusstruppen und Bogenschützen geprägten Soldaten Persiens, begründet (Bengtson 2000). Auch die Erfolge der Kolonialisten in den Ländern der heutigen dritten Welt wären ohne fortschrittliche Ausrüstung und Bewaffnung kaum denkbar gewesen. Aber nicht nur zwischen Gesellschaften, sondern auch innerhalb davon kann die Verteilung von Technik starke stratifizierende Effekte haben. Lenski (1973) berichtet von der grossen Bedeutung, die der Militär- und Produktionstechnik bei der Verteilung von Positionen in einer Gesellschaft zukommt. Im Zusammenhang mit dem Aufkommen immer fortschrittlicher Technologien z. B. im Bereich der Metallverarbeitung und Waffenherstellung, schreibt er: Zum einen führten die Fortschritte auf dem Gebiet der Militärtechnik zu einer wichtigen gesellschaftlichen Spaltung. […] Die neue Technologie begünstigte jene, die entweder über genug Arbeitskräfte in Form von Sklaven und Dienern verfügten, um Festungen bauen zu lassen, oder die reich genug waren, um die erforderlichen Spezialisten anstellen zu können, die ihnen die neue Ausrüstung, also Wagen und Rüstzeug, fertigten. (ebd.: 262)
Dass die erwähnte gesellschaftliche Spaltung nicht nur aufgrund von materiellen und durch Handarbeit hergestellten Technologien, wie Waffen oder Wagen, entsteht, zeigte sich im Verlauf der Entwicklung und des Aufkommens immer neuer Erfindungen, insbesondere auch immaterieller. Wissen und Bildung verstärkten die schon bestehenden Klüfte oder schufen neue Gräben. Am Beispiel der Schrift, deren Kenntnis während Jahrhunderten einer kleinen Minderheit vorbehalten war, lässt sich das gut nachvollziehen. Die herrschende Klasse konnte sich durch sie besser organisieren und entwickelte so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl, das sie einte und gegenüber den beherrschten Klassen abgrenzte (ebd.: 280f.). Technologien können also auch identitätsstiftend wirken, wie dieses Beispiel zeigt. 2
Dass dieser Vorgang der Kluftbildung nicht auf die Antike oder das Mittelalter beschränkt ist, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Moderne. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa war der Zugang zu einem Auto auf einen geringen Teil der Bevölkerung beschränkt und brachte Vorteile für die besitzende Elite mit sich, die sie für bestimmte Zwecke nutzen konnte und durch die sich die schon bestehende Kluft zu den Nichtbesitzern noch vergrösserte. So bot das Auto Mobilität, Achtung und Freiheit in einem und ermöglichte den Besuch abgelegener Verwandter in den Bergen oder das bequeme Einkaufen im Hypermaché. Mit dem Aufkommen eines neuen Gesellschaftsmodells änderte sich dann auch der dominante technologische Stil (Bornschier 1998). Nicht mehr die Autos und Fortbewegungsmittel standen
im
Vordergrund,
sondern
der
Halbleiter
mit
seinen
zahlreichen
Anwendungsmöglichkeiten (Computer, Handys etc.). Er brachte ein völlig neues soziales Verständnis von Technologie mit sich. Was bis anhin undenkbar schien und nur in den Utopien resp. Dystopien einiger waghalsiger Schriftsteller aufgetaucht war (man denke hier z. B. an Aldous Huxleys „Brave New World“ oder an „1984“ von Orwell), wurde innerhalb weniger Jahre zumindest teilweise Realität. Bis anhin unvorstellbare Rechenleistungen1 konnten erzielt werden und der Computer drang zunehmend in die soziale Welt der Arbeit und später auch Freizeit ein. Als dann im Laufe der 1990er Jahre das Internet in den meisten fortgeschrittenen Industrienationen aufkam, wurde gedankenschnellen Theoretikern schnell bewusst, dass dadurch die soziale Realität nicht unbeträchtlich umgekrempelt würde. Wie das aber oft der Fall ist, profitierten zuerst die gebildeten Eliten und technikbeflissenen Advokaten von diesen neuen Anwendungen. Erst im Laufe der Zeit fand so etwas wie eine Popularisierung des Internets statt, aber noch immer sind grosse digitale Klüfte vorhanden, die sich entlang sozioökonomischer Klassenlagen zu bilden scheinen. In dieser Arbeit geht es darum diese Klüfte in vergleichender Perspektive zu analysieren und sie in einen theoretischen Kontext zu stellen. Sie gliedert sich in 6 Kapitel. Nach der Einleitung folgt ein Kapitel zur Forschungsfrage, die beantwortet werden soll und zu den Daten auf deren Grundlage dies geschehen wird. In einem 3. Kapitel werden wichtige Begriffe genauer definiert sowie Ansätze und Theorien vorgestellt, die zum Verständnis der Arbeit hilfreich sind. Sodann folgt ein empirisches Kapitel, in dem Daten zur Beantwortung der Forschungsfrage präsentiert und diskutiert werden. Dieses vierte Kapitel gliedert sich in zwei Teile. Zunächst werden Unterschiede in der Verteilung digitaler Technologien international vergleichend analysiert, anschliessend intrantional, also zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen innerhalb von Gesellschaften. In einem fünften Kapitel werden 1
Von der drastischen Unterschätzung dieses Fortschritts zeugen einige Kommentare der Pioniere im Informatikbereich, z. B. von Bill Gates oder Ken Olson, die in Bornschier (2005: 510) wiedergegeben werden.
3
Massnahmen diskutiert wie die im vorigen Kapitel beschriebenen Klüfte gemindert werden könnten. Dies sind die 100$ Laptop Initiative sowie die internetfreundliche Politik Estlands. Schliesslich wird die Arbeit in mit einer kurzen Zusammenfassung und einem Kommentar abgeschlossen.
2. Erkenntnisinteresse, Fragestellung und Datengrundlage Die Ausgangslage dieser Seminararbeit ist die Gegenwart. Ich gehe von Norris’ (2001) Unterscheidung zwischen global divide und social divide aus und will in einer empirischen Übersicht die derzeitige Verteilung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere des Internets, aufzeigen – und zwar sowohl in globaler Hinsicht, also im Ländervergleich, als auch im nationalen Kontext, hier für Deutschland und die Schweiz. Anschliessend werde ich die Diffusion dieser Technologien während der letzten 10 Jahre unter die Lupe nehmen. Ich werde mich an den Fragen:
Ist der Digital Divide ein temporäres Phänomen? Folgt er den Diffusionsgesetzen herkömmlicher Medien und Innovationen oder brauchen wir neue Konzepte für ein digitales Zeitalter? Inwiefern und auf welche Weise sind Massnahmen gegen den Digital Divide sozial plan- und durchsetzbar und auf welche Hindernisse stossen sie?
orientieren und sie so gut wie möglich auf der Basis der neuesten Daten zu beantworten versuchen. Als empirische Grundlage dienen mir in Bezug auf den global divide (Kapitel 4.1) Daten der ITU, der „International Telecommunication Union“, einer zur UNO gehörenden Organisation, die sich mit Informations- und Kommunikationstechnologien im internationalen Vergleich befasst, der UNO, mit dem Human Development Report, sowie von Freedom House mit Daten zu politischen Rechten und ziviler Freiheit. Zur nationalen Analyse (Kapitel 4.2) bediene ich mich der Untersuchungen von Marr (2005) und Zillien (2006), die ausführlich dokumentiertes Datenmaterial beinhalten. Es soll aber nicht bei einer rein deskriptiven Bestandesaufnahme bleiben, denn in einem weiteren Kapitel werden auch Massnahmen gegen den Digital Divide zur Sprache kommen, die beurteilt und im theoretischen Rahmen, der im vorigen Kapitel skizziert wurde reflektiert werden.
4
3. Theoretische Einordnung In diesem Kapitel geht es darum die theoretischen Grundlagen und das nötige Vorverständnis für die später präsentierten empirischen Ergebnisse zu liefern sowie einen Einblick in das weite und vielfältige Feld der Techniksoziologie zu geben. Dazu werden in einem ersten Schritt die wichtigsten in dieser Arbeit auftauchenden Begriffe definiert und anschliessend in einen theoretisch passenden Rahmen eingeordnet.
3.1 Begriffsdefinitionen Die im Folgenden häufig gebrauchten Begriffe „Technik“ und „Technologie“ müssen unterschieden werden, da ihnen in dieser Seminararbeit eine wichtige Position zukommt. Technik kommt vom griechischen „techne“ und bedeutet Kunstfertigkeit, Handwerk, Gewerbe und Kunst, aber auch List und Betrug (Zillien 2006: 14). Es wird ferner differenziert zwischen „Technik als Ding“ und „Technik als Handlung“ (Huning 1990). Im Folgenden stütze ich mich, wenn nicht anders darauf hingewiesen, auf das erste Bedeutungsspektrum. Im Gegensatz zur Technik kommt im Wort „Technologie“ das griechische „logos“ zum Vorschein, was übersetzt ungefähr „Lehre“ bedeutet. Die Technologie ist folglich die „Lehre von der Technik“. Zillien (ebd.) weist darauf hin, dass „die Technik einen stärkeren Dingcharakter besitze, während der Begriff der Technologie in einem höheren Ausmass auf Handlungsaspekte hinweist.“ Während sich die Technik vorwiegend auf den materiellen Horizont der Dinge und auf die konkrete Benützung jener bezieht, impliziert Technologie darüber hinaus auch soziale Aspekte. Aus diesem Grund habe ich mich für den zweiten Begriff als Titelinhalt für meine Arbeit entschieden (und sie nicht etwa „Technik als Quelle sozialer Ungleichheit“ genannt). Die übrigen zentralen Begriffe werden, wenn nötig im Laufe des Textes oder der Untersuchung selbst definiert.
3.2 Volker Bornschier: Technologischer Stil In Bornschiers (1998) Gesellschaftstheorie nimmt der technologische Stil eine wichtige Rolle ein. Dieses Konzept ist mit den gesellschaftlichen Subsystemen „politökonomisches Regime“ und „normative Theorien“ eng verknüpft. Definiert wird der technologische Stil wie folgt: Unter einem technologischen Stil verstehen wir in Ahnlehnung an Carlota Perez ein Bündel von Komponenten. Dieses komplizierte Gebilde umfasst Grundstoffe, industrielle Verfahrensweisen mit ihren typischen Formen der
5
Mechanisierung, die Art der Arbeitsteilung, die organisatorische Struktur, die Konzernstruktur mit der Aufteilung von Eigentumsrechten, die Güterpalette mit Verteilungs-, Konsum- und Freizeitmustern. (Bornschier 2005: 500)
Im Laufe der letzten Jahre, v. a. seit Anfang der 1990er, konnte sich mit dem Aufkommen eines neuen Gesellschaftsmodells ein neuer technologischer Stil etablieren, der mit dem Begriff der Telematik – ein zusammengesetztes Wort aus Telekommunikation und Informatik – umschrieben werden kann. In ihm nimmt der (Silizium)Chip als tragende Komponente eine zentrale Bedeutung ein. Bornschier (2005: 499 ff., worauf ich mich im Folgenden stütze) beschreibt das Aufkommen und die Diffusion dieses neuen Stils und erläutert auch das Konzept der Digitalisierung, das in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. So wurde in einem ersten Schritt durch viele technische Innovationen2 ein breites technologisches Angebot geschaffen. In einer zweiten Phase, in der wir uns heute befinden, werden diese Angebote wiederum vereinheitlicht und es kommt zu einer gewissen Konvergenz - beobachtbar in Angeboten wie Telefonieren übers Internet oder Konsolen (z. B. Playstation 3), die vielfältige Möglichkeiten der Nutzung beinhalten. Wie aus der Definition des technologischen Stils ersichtlich wird, handelt es sich bei diesem Verständnis von Technologie genauso wenig um eine geistlose technizistische Sichtweise, die soziale Aspekte der Verteilung und der Aneignung verschiedener Techniken ausser Acht lässt und in der Technologie eine unveränderliche Eigendynamik sieht wie um eine sozialzentristische
Gegenposition
dazu,
die
technologische
Belange
umfassender
gesellschaftlicher Gestaltbarkeit unterwerfen. Vielmehr weist Bornschier (ebd.: 505) darauf hin, dass seine Theorie den Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen beschreiten möchte, indem er wie folgt formuliert: In der sozialen Anpassung an technologische Innovationen liegt damit eine Ursache für sozialen Wandel, der andererseits den zukünftigen technologischen Wandel bestimmt. (ebd.: 505)
Damit
eignet
sich
sein
Ansatz
sehr
gut
als
Prämisse
zu
einem
integralen
Technologieverständnis, das in einen breiten gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist und neue technologische Innovationen nicht im luftleeren Raum sieht. Für diese Arbeit bildet er somit das Fundament, auf das spezifisch aufgebaut wird.
2
Zu nennen sind hier u. a. Text- und Datenverarbeitungsprogramme, Mobiltelefone, ISDN, Digital-Fernsehen, Digitale Kameras, Drucker (Tintenstrahldrucker, Laserdrucker etc.) oder auch verschiedene Speichermedien, angefangen von der Diskette, über die CD bis hin zur DVD.
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3.3 Manuel Castells: Die Netzwerkgesellschaft Dass sich in der Ära des neuen technologischen Stils der Telematik weite Felder vieler industrialisierter Gesellschaften stark verändert haben, beschäftigt viele Sozialwissenschaftler. So erstaunt es wenig, dass zahlreiche Gesellschaftsbeschreibungen und -konzeptionen auf diesen in den letzten 15 Jahren vor sich gehenden Wandel Bezug nehmen. Eine von ihnen ist diejenige des spanischen Soziologen Manuel Castells, der mit seinem als Trilogie konzipierten Werk „The Information Age“ (1996, 1997, 1998) einige Beachtung erregen konnte. V. a. im ersten Band dieses Werks beschreibt er die soziale Revolution, die sich durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in viele Sphären sozialer und wirtschaftlicher Tätigkeit ausbreiten konnte. Diese Technologien, deren wichtigstes Element das Internet ist, erlauben es aber nicht nur Informationen zu sammeln3 und sich Wissen anzueignen4, sondern gehen darüber hinaus, indem sie die Individuen vernetzen und somit zusammenbringen.
Die
soziale
Einbettung
der
Informations-
und
Kommunikationstechnologien steht also im Vordergrund dieser Theorie. Was in früheren Zeitaltern nur in Ansätzen möglich war, nämlich die Koordination und Kooperation über geographische Grenzen hinweg, ist durch die neuen Technologien für viele Leute schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Unter einem Netzwerk versteht Castells „eine Reihe miteinander verknüpfter Knoten“ (Zillien 2006: 47). Es stellt eine herkömmliche Form der sozialen Organisation dar, die flexibel, anpassungs- und entwicklungsfähig ist. Des Weiteren geht er davon aus, dass nicht alle im gleichen Masse auf die zur Netzwerkbildung notwendigen Knoten Zugriff haben und dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen aus diesen Netzwerken ausgeschlossen sind, denn diese sind nach dem entweder oder Prinzip konstituiert. Entweder man ist drin oder draussen. Dadurch sind Gesellschaften in diesem Zeitalter durch „eine zunehmend polarisierte Sozialstruktur charakterisiert […], in der Anteile von Oben und Unten auf Kosten der Mitte wachsen“ (Castells 2001: 234 f.). Wir sehen also, dass durch die neuen Technologien soziale Ungleichheiten vergrössert werden, dass es zu einer Spaltung der Gesellschaft kommt. Hier sind Anknüpfungspunkte ersichtlich, die sich in den späteren Ausarbeitungen und Spezifizierungen der Digital DivideForschung zeigen.
3
Dies wird durch den Begriff der Informationsgesellschaft betont, der sich auf globaler Ebene einiger Beliebtheit erfreut, wie man z. B. an einem Kongress (World Summit on the Information Society) der Uno oder einem EU-Kommissionsressort (Informationsgesellschaft und Medien) sehen kann. 4 Dies soll mit dem Begriff der Wissensgesellschaft, der auch im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt wurde, betont werden.
7
3.4 Der Digital Divide Wie wir im vorherigen Abschnitt und in der Einleitung gesehen haben, kann Technologie als stratifizierender Faktor innerhalb einer Gesellschaft betrachtet werden. Nun geht es darum, das Konzept des Digital Divide, das sich mit dieser Stratifizierung resp. Kluft befasst, genauer unter die Lupe zu nehmen und auf die Fragestellung der Seminararbeit hin zu konzeptionalisieren. Kubicek und Welling (2000: 5) bezeichnen den Digital Divide als „eine sich
verstärkende
Differenz
in
der
Internetnutzung
durch
unterschiedliche
Bevölkerungsgruppen“. Die Untersuchung von digitalen Klüften, so der deutsche Ausdruck für den Digital Divide, ist seit dem Aufkommen des neuen technologischen Stils ein beachtetes Thema in den Sozialwissenschaften, insbesondere in der Soziologie und der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Aus diesem Kontext beziehen Autoren, die sich mit dem Digital Divide beschäftigt haben, auch das theoretische Rüstzeug und Vorwissen. So kann die in den 1970er Jahren entstandene und in den nächsten Jahrzehnten weiter ausgearbeitete, aber in den Jahren vor
dem
Aufkommen
des
Internets
weitgehend
in
Vergessenheit
geratene
Wissenskluftforschung als Vorgängerin oder als Basis der sozialen Ungleichheitsforschung im Bereich der digitalen Technologien gelten. Von ihr beziehen Analysen zur digitalen Spaltung im deutschsprachigen Raum entscheidende Impulse. Es ist darum ratsam die zentralen Aussagen der Wissenskluftforschung wiederzugeben. Ausgangspunkt der Wissenskluftforschung war die Annahme, dass Massenmedien zu einer Erhöhung des Wissensstandes der Allgemeinbevölkerung führen und somit einen entscheidenden Beitrag zur politischen Willensbildung leisten. (Zillien 2006: 71)
Diese Annahme wird infrage gestellt, indem die These in den Raum gestellt wird, dass die bestehenden Wissensunterschiede in der Bevölkerung durch die neu aufkommenden Massenmedien eher verstärkt als abgebaut würden. Die Oberschicht ist in der Aneignung der neuen Massenmedien schneller und kompetenter und kann sich somit zusätzliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile verschaffen. Eine weitere Quelle der Digital Divide Forschung findet sich in der klassischen Sozialstrukturanalyse Zusammenhang
oder
besteht
der
eine
Forschung lange
und
zur
sozialen
ausführlich
Ungleichheit.
dokumentierte
In
diesem
soziolgoische
5
Forschungstätigkeit, auf die ich nicht näher eingehen möchte . 5
Als Einführung und (grobe) Zusammenfassung eignet sich Burzan (2004) gut, das auch für diese Arbeit konsultiert wurde
8
Eine der frühesten und detailliertesten Abhandlungen zum Digital Divide hat Norris in ihrem 2001 herausgekommenen Werk „Digital Divide - Civic Engagement, Information Poverty, and the Internet Worldwide“ präsentiert. In diesem Werk unterscheidet Norris drei Dimensionen des Digital Divide: global divide, social divide und democratic divide. Während der global divide auf Unterschiede in der Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien zwischen Ländern eingeht und sich für Differenzen zwischen industrialisierten Gesellschaften und Schwellen- und Entwicklungsländern interessiert, rekurriert der social divide auf Verteilungsunterschiede innerhalb von Staaten und untersucht den Einfluss den beispielsweise soziodemographische Variablen oder Statusvariablen auf die Nutzung digitaler Technologien haben. Als democratic divide bezeichnet Norris schliesslich die Kluft zwischen denen, die das Internet für die politische Information und für ein Engagement in der Zivilgesellschaft nutzen und denen, die dies nicht tun. Für diese Seminararbeit lasse ich den democratic divide aussen vor und beschäftige mich lediglich mit dem global und social divide. Sodann erstellt Norris ein Modell, das den Digital Divide in den gesellschaftlichen Kontext einordnet. Dieses „Internet Engagement Model“ ist unter Abbildung 1 sichtbar. Obwohl die Outputvariable auf der Individualebene das zivilgesellschaftliche Online-Engagement ist, also eine Variable, die sich eher auf den democratic als auf den social oder global divide bezieht, kann diese Variable etwas allgemeiner als Internetnutzung oder Affinität zu digitalen Technologien bezeichnet werden (Zillien. 90ff.). Wir sehen, dass Makrofaktoren, die unter „National Context“ subsumiert werden, die abhängige Variable über den Zusammenhang der politischen Institutionen (Mesoebene) beeinflussen. Diese Makrofaktoren machen wesentliche Unterschiede in der Verteilung von Informations- und Kommunikationstechnologien zwischen Gesellschaften aus. Wie aus dem Modell ersichtlich wird, ist die technologische Diffusion das zentrale Kriterium, das in den weiteren Verlauf des Prozesses einfliesst. Für diese Seminararbeit stellt sich die Frage, ob und in welchem Masse die beiden anderen Kontextvariablen (Demokratisierung und sozioökonomische Entwicklung) einen Einfluss auf die abhängige Variable, in diesem Falle die prozentualen Anteile an Internetnutzern pro Land resp. die Durchdringung mit digitalen Technologien (gemessen mit dem Digital Access Index), haben und ob sich dieser Effekt direkt oder indirekt, vermittelt über die technologische Diffusion, die ich als Infrastrukturausstattung einer Gesellschaft betrachte, auswirkt.
9
Abbildung 1: Das Internet Engagment Modell nach Norris (2001: 15)
Auch van Dijk (2005) untersucht den digital divide und präsentiert eine ausgezeichnete theoretische Konzeptionalisierung, die er bisweilen mit sekundäranalytischen Daten untermauert. Für ihn spielen Faktoren auf der Individualebene, die soziodemographische, mentale Merkmale6 umfassen, eine wichtige Rolle bei der
statusbedingte, aber auch
Entscheidung, ob eine Person Zugang zum Internet hat (Zillien 2006: 117). Diese Faktoren wirken sich auf die Ressourcen einer Person aus, die ihrerseits wiederum mehrschichtig sind und von zeitlich, über materiell, bis hin zu sozial und kulturell reichen. Wer über die nötigen Ressourcen
verfügt,
wird
auch
eher
Zugang
zu
Informations-
und
Kommunikationstechnologien haben und entsprechende Vorteile daraus ziehen, die sich in verschiedenen Dimensionen manifestieren, je nach Art der Nutzung der Technologien. Diese Vorteile oder Gratifikationen werden ähnlich wie die Ressourcen in grössere Kategorien (z. B. wirtschaftliche, soziale, kulturelle oder politische Vorteile) eingeteilt und können ihrerseits als Makrofaktoren betrachtet werden. Der Kreislauf schliesst sich, indem sich die gewonnen Vorteile
wiederum
positiv
auf
die
Ressourcen
einer
Person
auswirken
(ebd.).
Zusammenfassend kann das Modell wie folgt umschrieben werden: Personen mit bestimmten personellen Eigenschaften und Fähigkeiten eignen sich mehr Ressourcen an als Personen mit anderen Eigenschaftskonstellationen. Diejenigen mit mehr Ressourcen haben privilegierten 6
Hierbei handelt es sich um (psychologische) Konstrukte, die wir in der Alltagssprache wohl mit Charaktereigenschaften und Intelligenz benennen würden, z. B. Umgänglichkeit, Pflichtbewusstsein, Klugheit etc. (ebd.)
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Zugang zu den digitalen Technologien und ziehen Vorteile aus dem Zugang, die zur Mehrung ihrer Ressourcen beiträgt. Die soziale Ungleichheit perpetuiert sich durch die Technologie und wird nicht etwa nivelliert. Man kann es mit dem Phänomen des Matthäus-Effekts umschreiben: Wer hat, dem wird gegeben.
4. Empirische Übersicht: global divide und social divide 4.1. Der Global Divide Digitale Technologien ordnen sich entlang schon bestehender Ungleichheiten zwischen verschiedenen Gesellschaften an. Länder mit tiefem Entwicklungsstandard weisen tiefe Werte im Ranking des Digital Access Index7 auf, solche mit hohem BIP/Kopf hohe Werte (auch in ähnlicher Form: Norris 2001: 43 ff.). So finden sich die Entwicklungs- und Schwellenländer Afrikas und Asiens fast ausschliesslich im unteren Teil des Ranking, während die westlichen Gesellschaften, also die Staaten Europas und Nordamerikas, die Tigerstaaten in Ostasien, Japan, Australien sowie Neuseeland, an der Spitze dieses Indexes stehen. Insgesamt steht der Digital Access Index in starkem Zusammenhang mit dem Human Development Index (HDI), der eine ganz ähnliche Strukturierung aufweist. In Abbildung 2 sehen wir die Internetnutzung nach Weltregion.
Abbildung 2: Die Internetverteilung nach Weltregion (ITU 2004)
7
Zur Konstruktion und Interpretation des Digital Access Index, siehe Anhang. Auch die übrigen nachfolgend besprochenen Daten finden sich dort.
11
Auch hier wird schnell ersichtlich, dass ein starkes Nord-Süd-Gefälle zwischen den entwickelten und den sich entwickelnden Gesellschaften besteht. Auch über die Zeit ist keine Durchmischung dieser Verhältnisse ersichtlich (Abbildung 3).
Abbildung 3: Internetverteilung über die Zeit 1994-2004 (ITU 2004)
Die Kluft zwischen den beiden Polen - developing countries auf der einen Seite, developed countries auf der anderen - hat sich zwar über die Zeit relativ verkleinert, aber im Anbetracht der immer noch marginalen Verbreitung dieser Technologien in den unten rangierten Ländern sowie der schon einigermassen gesättigten Verteilung in weiten Teilen der westlichen Welt kann von einem Ausgleich keine Rede sein. Vielmehr hat sich die absolute Differenz in den letzten zehn Jahren drastisch vergrössert. Angewandt auf Norris’ Modell wird ersichtlich, dass die sozioökonomische Entwicklung bzw. Entwicklungsstufe einen grossen Einfluss auf die Verteilung von Informations- und Kommunikationstechnologien hat. Dies leuchtet implizit ein, stehen doch in den Entwicklungsländern viel weniger Mittel zur Verfügung um die nötige technologische Infrastruktur zur Nutzung und Anwendung dieser Technik durch die Bevölkerung bereitzustellen. Dazu kommen weitere Probleme viel grundsätzlicheren Charakters, wie Analphabetismus, Krieg oder Unterernährung, deren Lösung Priorität hat. Im Bezug auf die Variable „Demokratisierung“ (democratization in Norris’ Modell) dient der Freedom House Index8 zur Messung und zum Vergleich derselben. Auch hier stellen wir fest, dass demokratisierte Gesellschaften, also diejenigen die im Freedom House Ranking weit 8
Mehr Informationen dazu finden sich im Anhang und auf der offiziellen Homepage: www.freedomhouse.org.
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vorne liegen, tendenziell höhere Werte in der Verteilung und Nutzung digitaler Technologien aufweisen. Obwohl es einzelne Inkonsistenzen gibt, so z. B. China oder Russland, die auf der Demokratie-Skala recht weit unten sind im DAI aber im oberen Mittelfeld mitspielen, dürfte alles in allem eine hohe Korrelation zwischen den beiden Variablen bestehen (im Rahmen dieser Arbeit ist es leider nicht möglich die entsprechenden statistischen Analysen durchzuführen). Im weiteren Verlauf gälte es zu klären inwieweit die in Norris’ Modell veranschaulichten Effekte indirekt vermittelt werden, also über andere mögliche Kontrollvariablen auf der Makro-Ebene, wie z. B. geographische Beschaffenheit des Landes, historisch-kulturelle Entwicklung oder auch demographische Zusammensetzung. Dies systematisch und ausführlich durchzuführen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und kann nur in einem grösseren Projekt geschehen. Trotzdem soll hier zumindest ein kleiner Einblick in diese Problematik gegeben werden. Interessante Resultate zum Zusammenhang zwischen Demokratie und Technologie (bzw. technologischem Stil) finden sich nämlich, wenn dieser indirekt, d. h. vermittelt über eine andere Variable, untersucht wird (Bornschier 2004). Demokratie wirkt sich vermittelt durch Bildung besonders stark auf das Wirtschaftswachstum und den technologischen Stilwechsel einer Gesellschaft aus. In demokratisch geprägten Gesellschaften ist der Bildungslevel allgemein höher und die Alphabetisierung i. d. R. wesentlich weiter fortgeschritten als in nichtdemokratischen. Dadurch und durch das höhere generalisierte Vertrauen in erstgenannten Staaten ist man dort viel zugänglicher für neue technologische Produkte und somit kann sich der neue technologische Stil in demokratischen Ländern schneller und früher durchsetzen. Die vorgenommene Analyse zeigt, dass die Verteilung neuer Technologien eng an den allgemeinen Entwicklungsstand einer Gesellschaft geknüpft ist. Eine blosse infrastrukturelle Ausstattung benachteiligter Nationen verfehlt also den Kern der Sache: dem Land und seiner Bevölkerung in seiner Ganzheit weiterzuhelfen, indem die Ursachen dieser mangelhaften Verteilung gezielt untersucht werden und mit sinnvollen Konzepten Abhilfe geschaffen wird. Nur eine holistische Perspektive kann den global divide auf längere Frist hin verkleinern oder gar überbrücken.
4.2 Der social divide Als social divide bezeichnet Norris (2001) die ungleiche Verteilung digitaler Technologien innerhalb von Gesellschaften, also z. B. die ungleichen Zugangschancen zum Internet 13
zwischen Akademikern und Hilfsarbeitern oder zwischen jüngeren Männern und älteren Frauen. Die Variablen, die diese Klüfte bewirken, sind sowohl soziodemographischer Natur als auch statusbedingt. Im Folgenden wird der social divide für die Schweiz und für Deutschland genauer unter die Lupe genommen.
4.2.1 Der social divide in der Schweiz Marr (2005) untersucht die Internutzung in der Schweiz für die Jahre 1997 bis 2003 und unterteilt diese Nutzung in verschiedene Kategorien: gelegentliche Nutzung, häufige Nutzung, Internetzugang zu Hause. Des Weiteren schlüsselt er diese Nutzung entlang den Variablen „Alter“, „Geschlecht“, „Bildungsgrad“, „Einkommen“ und „Sprachregion“ auf. Für all diese Variablen stellt er beträchtliche Nutzungsunterschiede fest. So kommt er zum Ergebnis, dass das Internet eher von jungen Personen (sowohl gelegentlich als auch häufig) genutzt wird als von älteren. Bezüglich Geschlecht ist bei männlichen Personen die Internetnutzung rund 20% häufiger als bei weiblichen. Inwieweit sich diese Kluft in den letzten Jahren (also von 2003 bis 2007) geschlossen hat, bleibt zu untersuchen. Einkommen und Bildung – letztere gemessen mit dem höchsten erreichten Bildungsabschluss: Hochschule, Berufsbildung, Sekundarschule und obligatorische Schule – sind sehr starke Prädiktoren für die gelegentliche und häufige Internetnutzung, aber auch für einen Internetanschluss zu Hause. Die Klüfte zwischen den einkommensstärksten und einkommensschwächsten bzw. den bildungsstärksten resp. bildungsschwächsten Gruppen betragen jeweils ungefähr 50%. Während das Internet bei der
statushöchsten
Bevölkerungsgruppe,
d.
h.
bei
Personen,
die
über
einen
Hochschulabschluss verfügen oder mehr als 8000 Franken pro Monat verdienen, von rund drei Vierteln aller untersuchten Personen regelmässig genutzt wird, liegt die Zahl der regelmässigen Nutzern bei den statusniedrigsten Bevölkerungsgruppen lediglich bei rund 20 bis 25%. Besonders hervorhebenswert ist die Tatsache, dass sich diese Klüfte über die Zeit nicht geschlossen haben. Von 1997 bis 2003 sind sogar eher Vergrösserungen der Klüfte zwischen verschiedenen demographischen und sozialen Gruppen feststellbar. Die Befunde können zusammenfassend mit Marrs Worten wie folgt wiedergegeben werden: Bemisst man den Tatbestand einer digitalen Spaltung der Gesellschaft wie üblich an der Existenz und dem Ausmass der Zugangsklüfte zwischen verschiedenen demographischen Gruppen, so lassen die in diesem Kapitel vorgelegten Daten keinen Zweifel daran, dass er in der Schweiz seit längerem und wohl auch bis auf weiteres als erfüllt gelten kann. Die in der Frühphase der Internetverbreitung feststellbaren Ungleichheiten haben sich im weiteren Verlauf der Diffusion alles andere als eingeebnet. (ebd.: 147)
14
Inwieweit sich die hier beschriebenen Klüfte mit dem Aufkommen von kostengünstigen Breitbandanschlüssen und der Verbreitung von Wireless-Lan in bestimmten Gebieten der Schweiz verkleinert haben, bleibt abzuwarten. Im Bezug auf die Forschungsfragen kann gesagt werden, dass der Digital Divide kein temporäres Phänomen ist und dass das Internet nicht den Diffusionsgesetzen herkömmlicher Medien folgt.
4.2.2 Der social divide in Deutschland In Deutschland nimmt Zillien (2006) eine umfassende Analyse der Internetnutzung vor, indem sie diese in ein theoretisches Modell einordnet, das sich am methodologischen Individualismus, besonders an Essers (1993) Konzept der soziologischen Erklärung, orientiert. Das von ihr skizzierte Modell (Zillien 2006: 129) nimmt sich in Grundzügen der Vorstellung der Colemanschen Badewanne an, versucht also die Mikroebene der Handlung mit der Makroebene sozialer Strukturen zu verbinden. Aufgrund dieser Konzeptionalisierung interessiert
Zillien
nicht
nur
der
blosse
Zugang
zu
Informations-
und
Kommunikationstechnologien, sondern auch die dazu nötigen Kompetenzen und die aus der Nutzung entstehenden Vorteile, von ihr Gratifikationen genannt, welche sich ihrerseits wieder als soziale Ungleichheit auf der Makroebene manifestieren. Im Grundgedanken lehnt sich Zilliens Modell also an die in Teil 2.4 gemachten Ausführungen zu van Dijks (2005) Modell des Digital Divide an. In einem ersten Teil ihrer empirischen Analyse findet Zillien ähnliche Befunde wie Marr (2005) für die Schweiz. Die Internetnutzung ist stark statusabhängig. So finden sich in den tiefen Statusgruppen nur um die 30% Internetnutzer, während in den höchsten zwei (von sieben Gruppen) immerhin fast 80% das Internet nutzen. Auch nach der Kontrolle soziodemographischer Merkmale (Alter, Geschlecht) bleibt dieser Unterschied stark signifikant. Diese deutlichen Statusgruppenunterschiede lassen sich auch durch motivationale Gründ nicht wegerklären. Im Gegenteil: bei den Offlinern (also den Nichtnutzern) hoher Statusgruppen besteht sogar öfter eine bewusste Negierung der Internutzung im Sinne von: „Brauch ich nicht, bringt mir nichts.“ als bei den statusniedrigen. Es zeigt sich auch, dass der Zugang in den unteren Schichten durchaus erwünscht ist und nicht etwa grundsätzlich abgelehnt wird aus dem oben genannten oder andern Motiven (ebd.: 159 ff.). Es liegt also eine digitale Kluft vor, die recht stark ausgeprägt ist und nicht allein meritokratisch oder motivational begründet werden kann. Dann nimmt die Autorin eine empirische Untersuchung der digitalen Kompetenzen nach Sozialstatus vor. Weisen statushöhere Personen bessere Kenntnisse im Umgang mit den 15
neuen Technologien auf und falls ja, wie manifestieren sich diese Unterschiede? Dazu unterscheidet sie vier Aspekte der digitalen Kompetenz (ebd.: 168): technische Bedienkompetenzen, internetbezogenes Wissen zweiter Ordnung, Nutzungserfahrung und Computeraffinität der sozialen Umgebung. Auch hier findet Zillien hohe Statusabhängigkeit. Die Statushohen sind kompetenter im Umgang mit digitaler Technologie als die Statusniedrigen. Dies gilt für drei der vier genannten Aspekte, nämlich für die Bedienkompetenzen, für das Wissen zweiter Ordnung und die Nutzungserfahrung. Was die Computeraffinität
der
sozialen
Umgebung
anbelangt,
ist
eine
weitgehende
Statusunabhängigkeit festzustellen. In allen Statusgruppen findet sich ungefähr die Hälfte der Befragten in einem computeraffinen Umfeld wieder. Schliesslich interessiert sich Zillien für die Gratifikationen, die den verschiedenen Statusgruppen aus der Nutzung des Internets entstehen. Da diese Komponenten sehr schwer mess- und operationalisierbar sind, wählt die Autorin einen differenzierten Approach über die motivationalen Gründe, die hinter der Nutzung stehen. Sie geht also davon aus, dass die Art der Nutzung und die Motivation, die hinter dieser Nutzungsmodalität steht, die Vorteile bestimmen, die einem hieraus erwachsen. Es gelte nichtsdestotrotz zwischen gesuchten Gratifikationen
oder
Kommunikationsabsichten
und
erhaltenen
Gratifikationen,
als
Realisierung betitelt, zu unterscheiden. Mittels Faktoren- und Dimensionsanalysen werden zahlreiche Einzelvariablen zu zehn Nutzungsfeldern (z. B. Online-Zeitungen, Kleinanzeigen, Gesundheits- und Verbrauchertipps oder auch Sozialkontakte) zusammengefasst, die das Spektrum der vorhandenen Nutzungsmöglichkeiten des Internets möglichst breit abdecken sollen. Des Weiteren werden vier Nutzungsarten oder -modalitäten unterschieden: Information, Kommunikation, Transaktion und Unterhaltung. Es zeigt sich, dass statushohe Personen das Internet in allen Nutzungsbereichen tendenziell eher zu Informations- und Transaktionszwecken (E-Banking, Zahlung übers Internet per Kreditkarte u. ä.) als zur Unterhaltung oder Kommunikation verwenden. Statusniedrige Personen hingegen pflegen im Internet v. a. Sozialkontakte (Chats, Dating-Homepages) oder unterhalten sich mit Onlinespielen o. ä. Zusammenfassend zeigt sich somit, dass auch die Gratifikationen der Internetnutzung – genau wie der technologische Zugang und die digitalen Kompetenzen – vom gesellschaftlich-wirtschaftlichen Status abhängen (ebd.: 221).
Die Ergebnisse zum social divide können mit dem so genannten Matthäuseffekt umschrieben werden: „Wer hat, dem wird gegeben“.
Die statushohen Personen nutzen das Internet 16
häufiger, verfügen über bessere Kompetenzen im Umgang mit ihm und profitieren in grösserem Mass von dessen Nutzung. In diesem Sinn kann von einer Schliessung der digitalen Kluft momentan nicht die Rede sein. Vielmehr scheinen die bestehenden Unterschiede stabil und stratifizierend zu sein. Die in Kapitel 3. aufgestellten Forschungsfragen müssen also für die Schweiz und Deutschland verneint werden. Neue Konzepte zur Diffusion und Verteilung sind gefordert.
5. Massnahmen: 100$ Laptop und Estland als digitales Vorbild Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, dass es sowohl in globaler als auch in nationaler Perspektive grosse Unterschiede der Nutzung digitaler Technologien zwischen verschiedenen Gesellschaften und Bevölkerungsgruppen gibt. Diese Unterschiede haben sich über die Zeit nicht verringert. Im Gegenteil: aus der Weltsicht waren die absoluten Differenzen noch nie so gross wie heute und auch innerhalb zweier fortgeschrittener Industrienationen ist eine Verstetigung digitaler Ungleichheiten über die Zeit erkennbar. In diesem Kapitel werden Lösungen zur Verkleinerung des global und social divide untersucht, zum einen die 100$ Laptop Initiative, die den Entwicklungsländern digitale Technologien zu einem günstigen Preis zur Verfügung stellt und so die drastischen globalen Klüfte verringern will, zum anderen zwei Initiativen in Estland, die das Land zu einem Vorreiter im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien gemacht haben und auch für Länder ähnlicher Struktur (Schweiz, Österreich, Benelux) als Vorbild dienen könnten.
5. 1 Die 100$ Laptop Initiative Diese Initiative9 wurde vom Computerwissenschaftler Nicholas Negroponte vom MIT Media Lab ins Leben gerufen. Im Jahre 2005 wurde eine gemeinnützige Stiftung unter dem Namen „One laptop per child“ (OLPC) gegründet, die sich mit der Produktion eines kostengünstigen, aber dennoch funktionalen Laptops für den Einsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern beschäftigte. In den folgenden Jahren wurden die ersten Prototypen dieses Laptops vorgestellt, so auch am WEF 2006. Während herkömmliche tragbare Computer über relativ 9
Für eine aktuelle und ausführliche Dokumentation des Projektes bietet sich die offizielle Homepage: http://laptop.org/ oder die deutsche Version: laptop.org/index.de.html an.
17
hohe Produktionskosten verfügen, da die Elektronik komplex und die benötigten Rohstoffe teuer
sind,
ist
bei
dem
100$
Laptop
der
Herstellungspreis
aufgrund
grosser
Produktionsmengen (Skaleneffekt) so tief wie möglich gehalten. Dank entfallenden Distributions- und Marketingkosten kann der Endpreis weiter verringert werden. Mit einem Budget von rund 20 Millionen US$, das im Wesentlichen durch Spenden zusammenkommt, ist die Organisation auf den Goodwill zahlreicher Spender und engagierter Privatpersonen angewiesen sowie auf die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Unternehmen aus der Computerindustrie angewiesen. Kurz nach der Bekanntgabe des Projektes, konnte OLPC Partnerschaften mit u. a. Google, NewsCorp. und AMD schliessen. Die Initiative ist, so wird von Negroponte betont, nicht nur ein Computer- oder Infrastrukturprojekt im Sinne einer Ausstattung von Entwicklungsländern mit neuer Technologie, sondern ein Erziehungsprojekt (WEF Magazin 2006). Da Erziehung die primäre Ressource einer Gesellschaft sei, müsse diese gefördert werden und dazu diene der 100$ Laptop, indem er nicht nur Interaktivität – mittels Internetanschluss – erlaubt und die anderen klassischen Funktionen eines Computers umfasst (wie Textverarbeitung, Rechner o. ä), sondern auch im Sinne eines Fernsehers oder Buchs verwendet werden kann, je nach Bedarf, und somit optimal für den Unterricht an der Schule und das eigeninitiative Lernen zu Hause dient. Auf Nachhaltigkeit wird besonderen Wert gelegt. Die Schulen und Kinder, die mit den 100$ Laptops ausgestattet werden, sollen von Mitgliedern des Projektteams langfristig begleitet werden. Abbildung 2 zeigt den Prototyp des Laptops. Wie man rechts und links erkennen kann verfügt dieses Notebook über ausklappbare Antennen, Lautsprecher sowie ein Mikrofon. Der Bildschirm ist schwenkbar und ermöglicht eine hohe Funktionalität, die sich in den verschiedenen Anwendungen, die oben beschrieben wurden, ausdrückt. Der 100$Laptop kann zwar bezüglich Speicherkapazität und Schnelligkeit des Prozessors mit gewöhnlichen Handheld-Computern nicht mithalten und auch die Sofwareausstattung ist eher rudimentär gehalten und aufs Nötigste beschränkt im Vergleich mit einem handelsüblichen Laptop, doch die wichtigsten Programme sind alle vorhanden.
18
Abbildung 4: Der 100$ Laptop
Negroponte und seinem Team ist es gelungen seit der Lancierung des Projekts ein relativ grosses Medienecho zu erzeugen. Davon zeugen z. B. die vielen Zeitungsartikel über den Stand des Projekts, die auf der Homepage fein säuberlich dokumentiert sind. Im Verlaufe der Entwicklung des 100$ Laptops ist es aber auch zu Kritik am Projekt gekommen, die sich auf verschiedene Probleme desselben bezieht. Kritisiert wird z. B. die rudimentäre Hardware mit wenig Speicherplatz, die Konzeption des Bildschirms, die Stromversorgung, die in verschiedenen Regionen der Welt zum Problem werden kann oder auch die angeblich mangelnde pädagogische Fundiertheit. Obwohl sich z. T. bekannte Exponenten der Computerindustrie – so z. B. Bill Gates – kritisch gegenüber dem Projekt geäussert haben10 und Zweifel an der Machbarkeit bzw. dem Erfolg vorbringen, erfreut sich One laptop per child allgemein grosser Beliebtheit und wird für seriös und wertvoll erachtet. Davon zeugen auch die Verträge mit verschiedenen Ländern, die sich sehr interessiert zeigten und die Laptops in Schulen einsetzen wollen. Darunter finden sich Brasilien, Argentinien und Nigeria. Auch die UNO ist seit 2006 im Rahmen des UN Development Programs an der Initiative beteiligt. Momentan (Juli 2007) befindet sich der Laptop in der Testphase. Mit der Produktion wird im Herbst dieses Jahres begonnen und die Auslieferung der ersten Computer wird wohl ebenfalls noch in diesem Jahr erfolgen.
10
Der Laptop wurde u. a. als Gadget bezeichnet (Kossel 2005)
19
5.2 Estland als Vorbild? Der baltische Staat Estland hat seit dem Aufkommen des Internets Mitte der 1990er Jahre grosse wirtschaftliche und soziale Fortschritte gemacht. Während das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren bei über 5% lag (Eurostat 2007), wurde das Land auch als Tourismusdestination bekannter und beliebter. Der Beitritt zur EU brachte dem kleinen Staat (Bevölkerung: ca. 1,3 Millionen, Landesfläche: 45000 Quadratkilometer) zudem strukturelle Unterstützung, die beim Aufbau und der Instandhaltung der technologischen Infrastruktur weiterhin half. Früh erkannte man die Wichtigkeit des neuen technologischen Stils und hat mithilfe von Auslandhilfe und Kooperationen mit Unternehmen aus der Wirtschaft zwei Initiativen ins Leben gerufen, die die Durchdringung des Landes mit diesen digitalen Technologien ermöglichen sollten. In öffentlichen Gebäuden wurden Internetanschlüsse installiert, die für die ganze Bevölkerung frei zugänglich sind. So ist es z. B. möglich in einer Bibliothek oder in einem Dorfladen auf das Internet zuzugreifen und die dadurch entstehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Mittlerweile (Sommer 2007) sind dadurch landesweit etwa 1100 so genannte Hotspots entstanden, wo das kostenlose oder sehr günstige Surfen im Internet möglich ist. Um auch tendenziell schwer erreichbare Bevölkerungsgruppen, d. h. besonders die ältere ländliche
Bevölkerung,
in
den
neuesten
Standard
der
Informations-
und
Kommunikationstechnologien einzuführen, wurden im Rahmen der Initiative „Tiggrihüppe“ (Tigersprung) breitflächig kostenlose Computer- und Internetseminare und -kurse angeboten, in denen die weniger technologiebegabten Bürger den praxisbezogenen Umgang mit digitalen Technologien und die Chancen und Möglichkeiten, die diese eröffneten kennen lernen konnten. Eine andere Initiative namens „wifi.ee“ sorgte ab 2002 dafür, dass die ganze Landesfläche mit Wireless-LAN bedeckt ist. Hier konnte man sich stark auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Computer- und Telekommunikationsbranche stützen11, die schon Erfahrungen und Vorwissen mit drahtlosen Netzwerken besassen. Durch die kleinmaschige Aufgabenteilung und die starke Bindung an die regionalen Verwaltungen bei wifi.ee konnte auch differenzierter auf sich stellende Probleme und Eigentümlichkeiten des jeweiligen Orts oder der jeweiligen Gegend eingegangen werden. Auch die Digitalisierung öffentlicher Institutionen wie der Verwaltung und der Schule wurde konsequent vorangetrieben. Mittlerweile arbeitet die estnische Regierung papierlos und viele Bürger füllen ihre Steuererklärungen mit dem Computer aus. Auch beim E-Voting, also beim
11
Zu den Partnern gehören u. a. Linksys, ein Unternehmen, das zu Cisco Systems gehört, D-Link und einige estnische Anbieter von IP-Solutions
20
Wählen übers Internet, ist Estland ein Pionier. So war es 2005 erstmals möglich seine Stimme online abzugeben und in diesem Jahr wird es sogar möglich sein bei den Parlamentswahlen so abzustimmen. Aber nicht nur das Internet, sondern auch andere digitale Technologien wie Handys nehmen in der estnischen Bevölkerung einen ausserordentlich hohen Stellenwert ein. So gibt es in diesem Land mehr Handys als Einwohner (Spiegel-Online 2007) und Parkgebühren werden oft per SMS bezahlt. Wohl einzigartig ist auch, dass die Benützung des Internets gesetzmässig institutionalisiert ist. So haben die Estinnen und Esten einen rechtmässig garantierten Anspruch auf diese Technologie (Abendblatt-Online 2007). In einem Interview mit dem Spiegel erläutert der ehemalige estnische Ministerpräsident Mart Laar jedoch, dass diese rapide und umfassende Digitalisierung des Alltagslebens auch Gefahren in sich berge. So seien Hackerangriffe und die daraus entstehenden Schäden ungleich gravierender als bei einem nicht so stark digitalisierten Land. Und obwohl die Bereitstellung und der Aufbau der für diese digitale Ausnahmestellung notwendigen Infrastruktur im Wesentlichen von privaten Unternehmen übernommen wurde, stellt sich die Frage, ob sich für Estland - das immerhin bezüglich Entwicklungsstand unter dem EUDurchschnitt liegt - nicht dringlichere Probleme stellen. Was den Willen und Mut der Regierung anbelangt in zukunftsträchtige Technologien und Innovationen zu investieren, kann Estland aber sicherlich als Vorbild auch für weiter fortgeschrittene Gesellschaften angesehen werden. So antwortet der ehemalige Staatspräsident Laar auf die Frage was denn in Deutschland notwendig wäre um ein vergleichbares Drahtlosnetzwerk wie dasjenige in Estland zu errichten: Was solch einem Projekt normalerweise im Weg steht, sind mangelnder Wille oder zu wenig Mut. Ich bin mir sicher, dass die Deutschen das hinbekommen können. Schließlich bauen sie die weltbesten Autos, warum sollten sie also an einem Netzwerk scheitern? Just do it! (Spiegel-Online 2007)
Nichtsdestotrotz sind Aufbau und Instandhaltung eines so grossflächigen Drahtlosnetzwerks sicherlich einfacher zu bewerkstelligen, wenn die geographischen und demographischen Hindernisse nicht so stark ausgeprägt sind wie in manchen Gebieten der Schweiz und Deutschlands oder auch anderen Ländern Osteuropas.
21
6. Schlussfolgerungen In dieser Arbeit wurde zu zeigen versucht, wie Technologien in der Gesellschaft stratifizierend wirken können und zu sozialer Ungleichheit beitragen. In der Einleitung wurde ein kurzer und unsystematischer Blick in die Vergangenheit geworfen um zu zeigen wie sich Technologie im Laufe der Geschichte gewandelt hat und welche Konsequenzen in sozialer Hinsicht, insbesondere mit Blick auf die Ungleichheitsthematik, sich daraus ergeben. Sodann wurden theoretische Konzepte und empirische Arbeiten vorgestellt, die sich mit der Rolle von Technologie in der Gesellschaft befassen. Dabei kamen insbesondere Ansätze zur Sprache, die den neuen technologischen Stil, also die Erzeugnisse der Telematik und deren Verbreitung in der Bevölkerung, reflektieren und untersuchen. Vom Allgemeinen ging es dann ins Konkrete. Es wurde anhand der Durchsicht von Daten über den neuen technologischen Stil, der bei der Untersuchung durch das Internet als Generalbeispiel charakterisiert wird12, demonstriert, dass sich die Klüfte, die in der Verwendung digitaler Technologien sichtbar werden, über die Zeit nicht schliessen. Zwar sind die relativen Unterschiede zwischen information haves und have-nots im internationalen Kontext kleiner geworden und im nationalen stagniert, aber von einer üblichen Diffusionskurve, wie sie bei älteren Medien wie dem Fernseher oder Radio feststellbar ist, kann keine Rede sein. Die absoluten Unterschiede sind nach wie vor gravierend. Erwähnenswert ist ferner die Tatsache, dass sich nicht nur Klüfte im Zugang zu digitalen Technologien finden lassen, sondern dass sich die Klüfte auch durch die unterschiedliche Art der Nutzung verstärken oder zumindest aufrechterhalten. Zur Festigung und Präzisierung dieses Befundes ist sicherlich auch zukünftige Forschungsarbeit wünschenswert. Alsdann habe die beiden Massnahmen, die in Kapitel 5 vorgestellt wurden, gezeigt, dass es mit einem starken Commitment und viel Überzeugung und Engagement möglich ist Projekte auf die Beine zu stellen, die längerfristig in der Lage sind die digitalen Klüfte zu verkleinern. In den letzten Jahren hat sich einiges in die richtige Richtung bewegt. So will die Kommission der EU bis 2010 alle Haushalte mit Breitbandtechnologie ausstatten. Dies ist angesichts der geringen Zahl an Haushalten, die in den EU-Ländern über einen Breitbandanschluss verfügen (nur etwas ein Viertel aller Haushalte für 2006 (Eurostat 200713)) und den geographischen Erschliessungsproblemen in einigen Teilen des EU-Gebiets aber sehr optimistisch. 12
Der auch sehr wichtigen Rolle anderer Anwendungen des neuen technologischen Stils, z. B. dem Handy, dem Digital-TV oder dem Pager, konnte im Rahmen dieser Arbeit aufgrund Platzmangels nicht Rechnung getragen werden 13 Genaue Daten, siehe Tabelle 2 im Anhang
22
Untersuchungen, die die Nutzungsmodalitäten detailliert untersuchen, weisen darauf hin, dass es mit dem blossen Zugang nicht getan ist. Es kommt auf die Gratifikationen an, die mit dem Zugang zum Internet oder auch zu einem Mobiltelefon verbunden sind und in diesem Bereich scheinen sich soziale Ungleichheiten zu perpetuieren oder gar zu verstärken (Van Dijk 2005). Wenn man die Vorteile und Möglichkeiten digitaler Technologien, aber auch die darin steckenden Risiken den bisherigen information have-nots bewusst macht und Anreize zu einem kreativen Umgang damit liefert, ist ein erster und bedeutender Schritt getan. Nur so wird sich der beschriebene Matthäus-Effekt, mit dem die Probleme im Zusammenhang mit digitalen Ungleichheiten prägnant auf einen Nenner gebracht werden können, bekämpfen lassen. Die Erfolge in Estland geben Anlass zur Hoffnung auf nationaler Ebene, dass dies in nicht allzu ferner Zeit geschehen kann. Ob die OLPC Initiative ähnliches auf globaler Ebene bewerkstelligt, wird sich weisen.
23
Anhang
A1. Zum Digital Access Index (DAI) Der DAI setzt sich aus fünf Komponenten zusammen und wurde speziell für die Messung der Ausstattung eines Landes mit Informations- und Kommunikationstechnologien entwickelt. Er umfasst einen Range von 0 (Minimum: keinerlei Ausstattung mit digitalen Technologien) bis 1 (Maximum: optimale Ausstattung mit digitalen Technologien). Die fünf Komponenten im Einzelnen sind: •
Infrastruktur:
Dichte
der
Telefonanschlüsse
(Anzahle
Anschlüsse
pro
100
Einwohnern) und Handynutzung (wie viele Handys pro 100 Einwohnern) •
Erschwinglichkeit: Preis Internetzugang in % BSP
•
Wissen: Alphabetisierung in der Erwachsenenbevölkerung, Schullevel nach Primar-, Sekundar- und Tertiärschule
•
Qualität: Pro-Kopf Informationsmenge aus dem Internet, Dichte der Breitbandnutzer (wie viele Personen haben Zugang zu einem Breitbandanschluss pro 100 Personen)
•
Nutzung: Dichte der Internet Nutzer (Internetnutzer pro 100 Personen)
A2. Zu den Freedom House Daten Die Skala des Freedom House Index’ für den Stand der demokratischen Entwicklung eines Landes reicht von 1 (Maximum: es herrscht Meinungs- und Pressefreiheit) bis 7 (Minimum: die Einwohner sind überhaupt nicht frei, die Presse ist staatlich kontrolliert. Die Werte für 2006 finden sich auf der folgenden Website: http://www.infoplease.com/ipa/A0930918.html.
24
A3. Digital Access Index f체r ausgew채hlte L채nder Sweden 0.85
Switzerland 0.76
Denmark 0.80
Japan 0.75
Iceland 0.82
Luxembourg 0.75
Korea (Rep.) 0.82
Austria 0.75
Norway 0.79
Germany 0.74
Netherlands 0.79
Australia 0.74
Hong Kong 0.79
Finland 0.79
Taiwan 0.79
Italy 0.72
Canada 0.78
China 0.43
United States 0.78
Ecuador 0.41
United Kingdom 0.77
Burkina Faso 0.08 Niger 0.04
Quelle: International Telecommunication Union, Daten f체r 2004
25
A4. Prozentualer Anteil der Haushalte mit Breitbandzugang
time 2004
2005
2006
27 EU (27 Länder)
:
:
30
Belgien
:
41
48
Bulgarien
4
:
10
Tschechische Republik
4
5
17
Dänemark
36
51
63
Deutschland
18
23
34
Estland
20
30
37
Irland
3
7
13
Griechenland
0
1
4
Spanien
15
21
29
Frankreich
:
:
30
Italien
:
13
16
Zypern
2
4
12
Lettland
5
14
23
Litauen
4
12
19
Luxemburg
16
33
44
Ungarn
6
11
22
Niederlande
:
54
66
Österreich
16
23
33
Polen
8
16
22
Portugal
12
20
24
Rumänien
:
:
5
Slowenien
10
19
34
Slowakei
4
7
11
Finnland
21
36
53
Schweden
:
40
51
Vereinigtes Königreich
16
32
44
Island
45
63
72
Norwegen
30
41
57
Quelle: Eurostat 2007
26
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29