Lizentiatsprüfung der Philosophischen Fakultät
Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten: Die Regimetypologie von Esping-Andersen
Autor:
Christoph Lutz
Hauptfach:
Soziologie
1. Nebenfach:
Management and Economics
2. Nebenfach:
Publizistikwissenschaft
Matrikelnummer:
04-712-899
Adresse:
Reggenschwilerstrasse 28 9402 Mörschwil
E-Mail:
chrislutz@access.uzh.ch
Inhaltsverzeichnis Tabellenverzeichnis
II
Abbildungsverzeichnis
III
1
Einleitung
1
2
Einführung in die Sozialpolitik und Ananlyse von WFS
1
2.1 Kaufmann: Varianten des Wohlfahrtsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2.2 Opielka: Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
2.2.1
Theorie der Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
2.2.2
Arbeit, Armut und Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
2.2.3
Familienpolitik und Familienproduktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
2.2.4
Zukunft der Alterssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2.5
Globalisierung und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.2.6
Sozialpolitische Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2.7
Sozialpolitische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.3 Schmid: Wohlfahrtsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3
Kritik an Esping-Andersens Regimeytpologie
17
3.1 Borchert: Historische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3.2 Arts & Gelissen: Zusätzliche Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.3 Obinger & Wagschal: Empirische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4
Institutionelle Analysen
25
4.1 Rentenversicherung und Altenpflege: Kern & Theobald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4.2 Lebenslauf-Regime: Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.3 Arbeitsmarkt-Regime: Erhel & Zajdela . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5
Soziale Sicherung in der Schweiz
31
5.1 Wicki . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5.2 Häusermann & Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 6
Wohlfahrtsstaatliche Folgen und Leistungen
34
6.1 Kohl: Wohlfahrtsstaatliche Regimetypen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 6.2 Vogel: Der europäische Welfare-Mix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 7
Schluss und Synthese
38
Anhang
.1
39
Alternativtypologien zu Esping-Andersens drei Welten (Arts & Gelissen 2002) . . . . . . . . . . . . . . . 39
I
Tabellenverzeichnis 1
Ursachen wohlfahrtsstaatlichen Wandels in verschiedenen Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . 19
Abbildungsverzeichnis 1
Die drei Regimtypen von Esping-Andersen: Liberal, Konservativ und Soziademokratisch
2
Kaufmann schaut sich die wohlfahrtsstaatliche Geschichte und Ausgestaltung der USA,
1
von Grossbritannien, Deutschland, Schweden, Frankreich und der UDSSR bzw. Russland an. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Deutschland nimmt in der Sozialpolitik einen unauffälligen Platz im europäischen Mittelfeld ein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
6
In jedem betrachteten Regime existieren andere Konfliktlinien oder Cleavages (Lipset & Rokkan 1967), wie man auf dem Bild unschwer erkennen kann. . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
5
Die Rentenversicherung ist vorwiegend nach dem Prinzip der Sozialversicherung und bei bestimmten Gruppen nach dem Prinzip der Versorgung organisiert. . . . . . . . . . . . .
5
4
8
Das AGIL Schema von Talcott Parsons ist eine wichtige Grundlage des Buches „Sozialpolitik“ von Opielka. Viele Analysen stützen sich darauf. Nicht weiter verwunderlich: ist es doch überaus nahrhaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
7
Sogar Beat Fux (a. k. a. beatfox) wird im Buch von Opielka erwähnt! . . . . . . . . . . . . . . . 10
8
Die Altersverteilung glich früher einer Pyramide (links), heute haben wir es dagegen eher mit der Form eines zerzausten Tannenbaums (rechts) zu tun. . . . . . . . . . . . . . . . . 11
9
Der globale Wandel, der mit dem Schlagwort „Globalisierung“ umschrieben wird ist vielseitig und umfasst mindestens vier Dimensionen des Wandels: ökologisch & ökonomisch, politisch, gemeinschaftlich-kulturell und religiös. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
10
Der Mensch: Ein Produktionsfaktor mit Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
11
Wilensky (links) gehört zu den Funktionalisten, Flora (rechts) dagegen zu den Makrosoziologen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
12
Der Film groundhog day bildet die empirische Ausgangslage für Borcherts Artikel. . . . . 18
13
Borcherts Aufsatz setzt sich mit der Pfadabhängigkeit wohlfahrtsstaatlicher Regimetypen auseinander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
14
Die gängigsten Alternativtypen zu Esping-Andersens drei Welten sind: mediterran oder südeuropäisch (links) und radikal oder antipodisch (rechts). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
15
Korpi (links im Bild Kiira Korpi, bei der es sich allerdings nicht um die Autorin der besagten Typologie handelt) & Palme (rechts im Bild; bei dem es sich sehr wohl um den Autor der besagten Typologie handelt) haben eine Alternative zu Esping-Andersens Regimetypologie vorgebracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
16
Drei Kritiken an der Regimetypologie von Esping-Andersen: Gender-Blindheit, methodische Vorbehalte und zu wenige Typen berücksichtigt (von links nach rechts) . . . . . . . 23
II
17
Kern & Theobald schauen sich die Konvergenz der Altenbetreuung in Europa an... Daneben thematisieren sie auch die Renten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
18
Kern & Theobald unterscheiden ein Bismarck-System (links) von einem BeveridgeSystem (rechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
19
Achtung Falle! Unemployment traps... sind gefährlich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
20
Silja Häusermann von der Uni Zürich (YESSSSS!) hat diesen Artikel geschrieben. . . . . . . 32
21
Wie sind die Schweizer gegenüber Umverteilung und Sozialversicherung eingestllt? Dieser Frage geht der Artikel von Häusermann (siehe Abbildung 20) und Walter (siehe Abbildung 21, d. h. ca. 0.5 cm weiter oben) nach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
22
Jürgen Kohls Beitrag zur Wohlfahrtsstaatsforschung ist ein bedeutender. Er zeigt, wie die unterschiedlichen Regime unterschiedlich gut performen bezüglich sozialrelevanten Themenbereichen, z. B. Frauenfrage und Wohlfahrtsstaat (siehe Bild), wirtschaftspolitischer Erfolg und sozialpolitische Gerechtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
23
Vogels Typologie von Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
24
Laut Vogel zeichnen sich die nördlichen WFS durch eine grössere soziale Gleichheit bezüglich Geschlecht und Klasse aus, die südlichen dagegen haben bessere Vermeidung der Ungleichheit in der Jugend und im hohen Alter. Die Abbildung hat absolut nix mit dem Thema zu tun, sieht aber zumindest schön aus ;-) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
25
Regimetypologien sorgen für Übersicht und Gehalt. Nicht nur Regimetypologien schaffen das, sondern auch Bilder (siehe oben). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
III
Zusammenfassung Wohlfahrtsstaaten
1 Einleitung Esping-Andersens Regimetypologie unterscheidet drei Modelle des Wohlfahrtsstaates (WFS): ein liberales, ein konservatives und ein sozialdemokratisches. Die Kriterien für diese Unterscheideung sind: Dekommodifizierung, Stratifizierung und Welfare-Mix. Zur Stratifizierung gehören Resudalismus, private Kranken- und Rentenversicherung, Etatismus, Korporatismus, Universalismus und Unterstützungsleistungen.
Abbildung 1: Die drei Regimtypen von Esping-Andersen: Liberal, Konservativ und Soziademokratisch
Warum gibt es die Cluster? Für E-A sind Klassenkoalitionen und Parteikonstellationen der wichtigste Faktor für deren Herausbildung. Drei Faktoren sind zu trennen: • The nature of class-mobilization • Class-political action strucutre • The historical legacy of regime institutionalization
2 Einführung in die Sozialpolitik und Ananlyse von WFS
2.1 Kaufmann: Varianten des Wohlfahrtsstaates In „Varianten des Wohlfahrtsstaats“ vergleicht Kaufmann europäische Wohlfahrtsstaatsarrangements mit den USA und der Sowjetunion. Dem Buch ist eine historische und institutionelle Perspektive eigen, die sowohl die geschichtliche Gewachsenheit der Sicherungssysteme in den untersuchten Staa-
1
ten (USA, Sowjetunion, Grossbritannien, Schweden, Frankreich, Deutschland) betont als auch einen institutionellen Rahmen wählt, d. h. die einzelnen Sicherungsbereiche getrennt betrachtet. Es überzeugt durch seinen grossen Detailreichtum, seine kluge und faktenreiche Argumentation und seine stringente und gut verständliche Sprache. Damit findet es einen Mittelweg zwischen rein quantitativen zahlenlastigen Studien, die historische Aspekte vernachlässigen, und geschichtlichen Betrachtungsweisen, die die Generalisierbarkeit dem Einzelfall opfern und kaum Zahlenmaterial beinhalten. Das Buch ist sechs Kapitel gegliedert: 1. Methodische Vorbemerkungen 2. Theoretische Grundlagen 3. Wohlfahrtsstaatlichkeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus (Sowjetunion und USA) 4. Varianten der Wohlfahrtsstaatlichkeit in Europa (GB, Schweden, Frankreich) 5. Und Deutschland? 6. Synoptische Schlussbemerkungen Es lassen sich vier gängige Verfahren in der Forschung unterscheiden: quantitative Methode, historisch vergleichende WFS-Forschung, institutionelle Vergleiche und die Methode der Typologie. Bei letzterer sind Titmuss und Esping-Andersen bekannte Vertreter. Besonders problematisch ist v. a. bei den Typologien das induktive Vorgehen. Bevor Untersuchungen stattfinden, müsse man zuerst den Analysebereich genau festmachen, so der Autor. Deshalb verzichtet Kaufmann auf die typologische Methode und es wird „stattdessen versucht, anhand einzelner ausgewählter Länder und mit Bezug auf bestimmte Aspekte der Gesamtproblematik Vergleiche zu ziehen“. Hier stellt der Autor die grundlegenden Theorien der WFS-Forschung vor, um dann seine eigene Begrifflichkeit einzubringen. Zunächst aber sollen die Grundfragen der Studie dargelegt werden. Es sind dies: (a) Wie lässt sich die unterschiedliche historische Entwicklung zum Wohlfahrtsstaat in verschiedenen Ländern beschreiben und erklären? -> Diachrone Perspektive, historisch (b) Wie lassen sich die institutionellen Unterschiede im Rahmen der bestehenden Wohlfahrtssektoren und deren unterschiedliche Leistungsfähigkeit beschreiben und erklären? -> Synchrone Perspektive, ahistorisch, Gegenwart (c) Wie lässt sich die unterschiedliche Fähigkeit von Staaten beschreiben und erklären, den tendenziell widersprüchlichen Anforderungen von Kapital und Arbeit bzw. Wirtschafts- und Sozialpolitik gerecht zu werden? -> Zukünftige Herausforderungen, Globalisierung, Reformen Es fehlt momentan an einem theoretischen Referenzrahmen für die Beantwortung dieser Fragen, denn die meisten Forschung geht empirisch-induktiv vor. Einen Wohlfahrtssektor, also einen Bereich der sozialen Sicherung finden wir in fast allen Staaten. Dieser sagt aber über die Involviertheit
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des Staates und die unterschiedlichen Verständnisse und Ausgestaltungen der Sicherung wenig aus. Denn ein Programm der Wohlfahrtsstaatlichkeit ist wesentlich voraussetzungsvoller. In diesem Buch gibt es gewichtige Unterschiede zu vielen anderen Untersuchungen: nicht institutionelle Einzelentwicklungen, sondern deren Zusammenspiel (Konfiguration) stehen im Zentrum des Interesses. Die Studie ist in den Rahmen einer Theorie gesellschaftlicher Wohlfahrtsproduktion eingebettet (wobei die Rolle des Staates zentral ist) und es soll die Eigensinnigkeit unterschiedlicher nationaler Entwicklungen verdeutlicht werden. Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates hängt wesentlich mit den Problemen zusammen, die im Zuge der Industrialisierung auftraten. Konkret sind zu nennen: Industrialisierung und Verstädterung. Mehrere theoretische Ansätze lassen sich unterscheiden: • Funktionalistische Ansätze (Betonung Sozialausgaben, Vertreter: Wilensky) • Konflikttheoretische Ansätze (Betonung politische Parteien und Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, Vertreter: Korpi, Esping-Andersen) • Institutionalistische Ansätze (Betonung der Rolle der Institutionen bei der Ausbildung von WFS, politische und administrativ Problemlösungsprozesse, Vertreter: Skocpol und Rueschemeyer) „Durch die Kombination der Vorgehensweisen bzw. der Ergebnisse vorliegender Studien im Rahmen von Metaanalysen lassen sich verlässlichere und problemgemässere Ergebnisse erzielen.“ Das Problem dieser drei Ansätze ist, dass sie normative Aspekte unterbelichtet lassen. Besonders im Bereich der Sozialpolitik und dessen Erforschung ist es aber schwer bis unmöglich der Verzahnung von Politik und Forschung zu entgehen. Dazu muss man die Wertungen jedoch erkennen und reflektieren, sobald sie auftauchen, was selten geschieht. Zudem gibt es nationale Besonderheiten in der Forschung, die den Vergleich erschweren. Kaufmann möchte diese Reflexion vorantreiben, was im Rest des zweiten Kapitels geschieht. „Sozialpolitik setzt die Existenz eines politischen Gemeinwesens als Solidaritäts- und Reziprozitätshorizont für die Bevölkerung und für handlungsfähige politische Eliten voraus.“ Die Etablierung sozialpolitischer Programme erfolgte denn auch oft in Krisenphasen, wenn sich die Eliten durch die Bindung der Bevölkerung mit diesen Massnahmen Vorteile versprachen. „In komplexen Gesellschaften entwickeln sich dabei differenzierte Gerechtigkeitsstandards...“ Wichtig ist, dass die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung aus der Vermittlung zwischen Wirtschaft, Politik und Kultur hervorgeht. Es lohnt sich also zu fragen, wie die soziale Frage in einzelnen Gesellschaften gestellt wird bzw. welche Leitprobleme zu Beginn der Entwicklung figurieren. „Aus den hoch kontingenten Auseinandersetzungen resultiert unter nationalstaatlichen Bedingungen der idiosynkratische Charakter wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen.“ Unterschiede in den historischen Grundlagen werden als höchst relevant für das Verhältnis nationaler Unterschiede erachtet (Pfadabhängigkeit). So ist auch der unterschiedliche begriffliche Horizont der Begriffe „Sozialstaat“ (deutsche Konnotation: Staatsziel, verfassungmässig festgelegter Aufgabenbereich des Staates) und „Wohlfahrtsstaat“ (internationale, besonders angelsäschische Konnotation: Gesamtheit der Wohlfahrtseinrichtungen, soziale Sicherung) in diesem Rahmen zu sehen. Das
3
Problem der funktionalistischen Perspektive besteht darin, dass sie „die Bedeutung kultureller und politischer Faktoren für die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung unterschlägt.“ Trotzdem bleiben die von dieser Theorie thematisierten ökonomischen und soziodemographischen Variablen wichtige Erklärungsfaktoren. Kaufmann trennt somit den „Sozial- oder Wohlfahrtssektor“ (politics) von „sozialoder wohlfahrtsstaatlicher Politik“ (policy). Es lässt sich ein kapitalistischer von einem sozialistischen Weg der Modernisierung unterscheiden. Zwei Probleme will Kaufmann explizit umgehen: Verdinglichung des Wohlfahrtsstaates und explizite Einbeziehung der kulturell-normativen Dimension. Lösung: Bezug auf das international akzeptierte Kriterium zunehmender Gewährleistung sozialer Rechte. „Wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen setzen gesellschaftliche Prozesse der Problemartikulation und politische Prozesse der Problembeachtung voraus.“ Gemeint sind ein statistisches Grundsystem, Presse und Öffentlichkeit, internationale Organisationen (ILO), Teilhabe an fundamentalen Rechten, besonders Menschenrechten etc. Die Menschenrechte dienen als Grundstock für die Wohlfahrtsstaatlichkeit. Hier nimmt Kaufmann Bezug zu T. H. Marshalls Konzept der Citizenship: „... regeln in modernen Gesellschaften die ausdifferenzierten Funktionssysteme die Teilhabe“ (im Gegensatz zu früher, wo es die Haushalte waren). Anschliessend rechtfertigt der Autor seinen - politisch neutralen - Begriff „Wohlfahrtsproduktion“. Spannender ist dagegen schon der Aspekt des Verteilungskonflikts: Interessensgegensätze artikulieren sich politisch und sorgen damit auch für entsprechende Auswirkugnen auf die Ausgestaltung der wohlfahrtsstaatlichen Arrangements.
Abbildung 2: Kaufmann schaut sich die wohlfahrtsstaatliche Geschichte und Ausgestaltung der USA, von Grossbritannien, Deutschland, Schweden, Frankreich und der UDSSR bzw. Russland an.
Die Modernisierungstheorie eignet sich als Bezugsrahmen, denn wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen ereigneten sich „typischerweise im Rahmen der neuzeitlichen Transformationsprozesse.“ Allerdings plädiert der Autor dazu, schon früher anzusetzen und zwar bei der privatrechtlichen Aneignung von Grund und Boden und der Urbanisierung, die beide zu Exklusionsprozessen und Armut führten, die Eingriffe erforderlich machten. Schon früh lassen sich staatliche Versuche einer rudimentären Armutspolitik finden - besonders in England (poor laws). Drei grosse Komplexe, die die wohlfahrtsstaatliche Politik beinhaltet, können festgemacht werden: (a) Sozialpolitik im Produktionsbereich -> Arbeitsverhältnisse und abhängig Beschäftigte) (b) Sozialpolitik im Verteilungsbereich -> Gewährung sozialer Sicherheit gegen die Standardrisiken des Einkommensverlusts: Krankheit, Unfall, Alter und Invalidität, Arbeitslosigkeit und Familienlasten (c) Sozialpolitik im Reproduktionsbereich -> Bildung, medizinische Versorgung und Pflege, Wohnung, persönliche Notlagen
4
Der oben eingeführte Begriff des Wohlfahrtssektors bezieht sich - dem angelsächsischen Begriff welfare state folgend - auf die Bereiche 2 und 3, also auf das „Bildungs- und Sozialrecht“, nicht jedoch auf das Arbeitsrecht (Bereich 1). Dieses zählt im deutschen Verständnis des Sozialstaats allerdings dazu. „Bezogen auf die in Kapitel 1 unterschiedenen methodischen Zugriffe wird man das hier gewählte Vorgehen am ehesten als Verbindung von historischem und institutionellen Vergleich charakterisieren dürfen.“ Das Ziel ist es die Idiosynkrasien der einzelnen Entwicklungspfade zu verdeutlichen. Verzichtet wird damit auf Variablensoziologie, denn der Versuch die Gestalt als Ganzes zu erfassen und die Zusammenhänge nicht ausser Acht zu lassen widerspricht einem solchen Wissenschaftsverständnis. Im Vergleich mit den anderen Ländern zeichnet sich Deutschland durch das Fehlen extremer Ausprägungen aus. Es nimmt einen unauffälligen Platz im europäischen Mittelfeld ein. Der Autor streicht heraus, dass es Deuschland offenbar besser als anderen europäischen Ländern gelungen sei, die Abgaben und Sozialleistungen ans Wirtschaftswachstum zu koppeln. So wuchsen die Sozialleistungsquoten zwar in allen betrachteten Ländern zwischen 1960-1995 beträchtlich an, aber in Deutschland geschah dies weniger stark als z. B. in Schweden. Momentan bewegt sich der Wert bei ca. 30% des BIP. Bringt man die Sozialausgaben mit den Beschäftigten bei den 15-64 Jährigen zusammen, so bilden sich 3 Cluster, die der Esping-Andersenschen Typologie gleichen - mit Holland und der Schweiz als Aussreisser.
Abbildung 3: Deutschland nimmt in der Sozialpolitik einen unauffälligen Platz im europäischen Mittelfeld ein.
Auf der Leistungsseite fehlt es an aussagekräftigen Masszahlen. Denn es existieren vielfältige Leistungen, die sich heterogen auf die Bevölkerungsteile verteilen. „Am ehesten messen lassen sich in diesem Zusammenhang Einkommensunterschiede, denen auch das Hauptinteresse der international vergleichenden Wohlfahrtsforschung gilt.“ Bei der Armutsvermeidung ist Schweden am besten, aber auch die Schweiz und GB sind nicht schlecht. Es gilt: „Je höher die Sozialleistungsquote, desto nivellierter die Einkommensverteilung.“
5
Aus der europäischen Perspektive gibt es schliesslich zwei Prozesse, die besondere Beachtung verdienen: Globalisierung und Supranationalisierung in Form der EU. In Deutschland hat die europäische Integration v. a. für die Frauen nachhaltige Vorteile gebracht. Die EU hält sich bis jetzt mit Massnahmen zur interpersonellen Einkommensverteilung zurück, so dass eine einheitliche europäische Sozialpolitik nicht absehbar ist. Dafür ist nicht zuletzt die Pfadabhängigkeit institutioneller Lösungen verantwortlich.
2.2 Opielka: Sozialpolitik 2.2.1 Theorie der Sozialpolitik
Nach der Einleitung, die aufs Thema hinführt, kommt nun die Theorie der SP zur Sprache. In DE geniesst der Sozialstaat ein relativ hohes Ansehen und schneidet bei Meinungsumfragen keineswegs schlecht ab. „Die Bevölkerung sieht im Sozialstaat eine Vergemeinschaftung von Lebensrisiken, aber auch den Garanten für relative Gleichheit der Lebenschancen aller Bürger.“ In der Öffentlichkeit werden aber Stimmen laut, die den Abbau des WFS und Sparmassnahmen bei der sozialen Sicherung fordern. Gemäss Kaufmann geht die deutsche Tradition der Sozialstaatlichkeit auf bedeutende Philosophen und Soziologen (Hegel, Kant, Marx, Weber, Sombart, Tönnies) zurück. Ohne Umschweife kommt Opielka auf EspingAndersen1 zu sprechen. Bevor er aber dessen Typologie ausführlicher abhandelt, taucht die bekannte Unterteilung der Systemprinzipien in Sozialversicherung, Fürsorge / Sozialhilfe und Versorgung auf. In den NL und in der CH kommt schliesslisch die Bürgerversicherung hinzu. In jedem der drei Regimetypen von E-A ist ein Typus dieser Prinzipien dominant: Im liberalen WF-Regime dominiert die Sozialhilfe, im sozialdemokratischen die Sozialversicherung, im konservativen die Versorgung und im garantistischen die Bürgerversicherung. „Die Abgrenzung des sozialdemokratischen und des konservativen WF-Regimes macht, wie weiter unten gezeigt wird, auch im internationalen Vergleich Schwierigkeiten.“ Der gewichtigste Un-
Abbildung 4: Die Rentenversicherung ist vorwiegend
terschied zwischen den beiden Regimen liegt in
nach dem Prinzip der Sozialversicherung und bei be-
der unterschiedlichen Dekommodifizierung. Der
stimmten Gruppen nach dem Prinzip der Versorgung
deutsche Sozialstaat zeichnet sich durch Lohnar-
organisiert.
beitszentriertheit aus. Das Spezifische am Band von Opielka liegt darin begründet, dass er mit dem garantistischen Regime den E-A Modellen einen 1 Im
Verlauf der Zusammenfassung wird Esping-Andersen häufig mit E-A abgekürzt.
6
vierten Typus hinzufügt. Mit dem Prinzip der Teilhabegerechtigkeit und dem Fokus auf die Bürgerversicherung weist dieser Typus Merkmale auf, die nirgendwo in Reinform anzutreffen sind, aber an gewissen Orten schon in Ansätzen bzw. in bestimmten Institutionen. Anschliessend geht es um die WF-Regime. Neben den bekannten Dimensionen und Indikatoren (Dekommodifizierung, Stratifizierung mit allen Unterformen, Welfare-Mix) und der Zuteilung der Länder werden auch Kritikpunkte erwähnt: Geschlechtsblindheit, Konzentration und Fokus auf den AM, Istitutionenblindheit2 , fehlende Vollständigkeit3 und idealistischer Fehlschluss4 . Sodann werden ein paar Statistiken zu den sozialpolitischen Differenzen in Europa präsentiert. Datenbasis ist Eurostat. Wie üblich sind die Sozialausgaben in % des BIP vermerkt. Die Zahlen werden für verschiene Jahre angegeben (1992, 1996, 2001): Zum letzten Zeitpunkt hatte nur Schweden mit 31.3 eine Quote grösser als 30. FR (30.0), DE (29.8), DK (29.5) und AU (28.4) folgen auf dem Fuss. An letzter Stelle liegt Irland (14.6), SP (20.1) und LU (21.2). Die CH liegt mit 28.9 auf einem guten Platz. Die Exportquote und die Sozialausgaben hängen positiv zusammen, wie der Autor zeigen kann. In jedem WF-Regime existieren andere dominante Konfliktlinien und Problemlagen: in den sozialdemokratischen Ländern ist es die Kluft zwischen öffentlichem und weblich-geprägtem Sektor und männlichem Privatsektor, in den liberalen sind ethnische Cleavages stark ausgeprägt und in den konservativen WFS findet man die Dichotomie von Insidern/Outsidern. Opielka hält es für sinnvoll kulturell institutionalistische Daten zur Erklärung dieser Cleavages zu berücksichtigen. Zu nennen sind hier die Einstellungen in der Bevölkerung zu Sozialdiensten, zu Individualismus und Kollektivismus. Wie sich zeigt, entfallen von den Sozialausgaben die grössten Anteile auf Gesundheit (30%) und Rente (40%). Weniger zentral figurieren familienpolitische Ausgaben sowie ALV und Unfallversicherung. Opielka bespricht auch die vier Gerechtigkeitskonzepte: (a) Leistungsgerechtigkeit (b) Teilhabegerechtigkeit (c) Bedarfsgerechtigkeit (d) Verteilungsgerechtigkeit Jede dieser vier Formen kann einem Regimetypen zugeordnet werden. Fazit: „Insoweit beinhalten auch alle vier Regimetypen eine Wahrheit. Jede Vereinheitlichung trägt in sich den Kern des Fundamentalismus.“ Der weitaus spannendere Teil des Abschnitts betrifft die Entwicklung und die Entwicklungsoptionen des WFS - Konvergenz oder Pfadabhängigkeit. Hier wird der Aufsatz von Borchert (1998) herangezogen, der sich auf die Typologie von Hicks et al. (1995) stützt. Dieser unterscheidet in der Enstehungsphase einen Lib-Lab Pfad von einem konservativen Pfad5 In der zweiten Phase nach dem 2. WK differenzieren sich die Typen aus und es kommt zu Pfadwechseln: Australien, NZ, NO und 2 Der
machtressorucen- und konflikttheoretische Ansatz berücksichtigt die Parteikonstellationen zu wenig, insbesondere die christdemokratischen, und kann auch Föderalismus und ähnliche institutionelle Gliederungen kaum fassen. 3 Latin Rim, Castles & Mitchell, Ferrera, Leibfried, Bonoli, Korpi & Palme als Ergänzungen. 4 Eine solche Typologie setze bereits voraus, was sie zu beweisen trachtet. 5 Hicks et al. spalten ihrerseits den konservativen Pfad in zwei Unterformen auf: Bismarck und paternalistisch.
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SW wechseln den Pfad (von Lib-Lab entweder zu radical bzw. labouristisch oder zu sozialdemokratisch). In der 3. Phase vollziehen sehr viele Länder einen Pfadwechsel. Einzig der konservative bzw. christdemokratische Pfad bleibt sich relativ treu.
Abbildung 5: In jedem betrachteten Regime existieren andere Konfliktlinien oder Cleavages (Lipset & Rokkan 1967), wie man auf dem Bild unschwer erkennen kann.
2.2.2 Arbeit, Armut und Aktivierung 2.2.3 Familienpolitik und Familienproduktivität
Dieses Kapitel streift die Familie und die Politik, die sich mit ihr befasst. In der kurzen Einleitung werden Funktionen der Familie erläutert: Humankapitalbildung, Substitenzproduktion und reproduktive Funktion (Fertilität bzw. Aufrechterhaltung der Gesellschaft). Alle diese drei Funktionen sind Produktionsfunktionen. „Die Kinderlosigkeit gebildeter Frauen ist in Westdeutschland allerdings schon seit vielen Jahren zu beobachten, etwa 30 Prozent der Frauen mit Abitur, die in den 1950er Jahren geboren wurden, werden dauerhaft kinderlos bleiben.“ In der Forschung wird die Frage, ob und wie die Politik die Familiengestaltung planen und beeinflussen kann, kontrovers und heftig diskutiert. Im ersten Abschnitt beschäftigt sich Opielka mit der „Familiensolidarität“ und was der WFS dazu beitragen kann und muss. Dazu rekurriert er auf das AGIL-Schema von Parsons und wendet es auf den Bereich der Familie. Für Parsons bildet Solidarität „eine von vier Vorbedingungen für das Funktionieren eines sozialen Systems neben ökonomischer Produktivität, politischer Effektivität und der Integrität der institutionalisierten Wertbindungen“. Opielka folgt diesem Verständnis und formuliert ebenfalls vier Funktionen, die die Familie erfüllt: ökonomische Funktion (Hilfe), erzieherische Funktion (Bildung), emotionale Unterstützung (Kommunikation) sowie überindividuelle Werte und Aufrechterhaltung von Strukturmustern (Legitimation). Wie an anderer Stelle bemerkt wurde, ist der moderne WFS eng an ein bestimmtes Bild und eine gewisse Entwicklung von Familie gebunden. „Die Einbindung der Familie in das sozialstaatliche Institutionengeflecht wird international sehr
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unterschiedlich realisiert“. Mit diesem Satz sind wird mitten im Thema angelangt. Zu familieninterner Solidarität und Transfers wurden bislang nur wenige Untersuchungen durchgeführt6 . Während Kinder früher die wohl wichtigste soziale Sicherung darstellten und es ein Zeichen der Depriviertesten war, keine Kinder zu haben bzw. haben zu können, sind Kids heute zum Kostenfaktor geworden. Je nach Schätzung kommen sie den Eltern mehrere Hunderttausend Euronen zu stehen. Opielka sieht zwei Wege, wie man die Solidarität gesellschaftlich verankern kann und damit Familienpolitik betreibt: Ausbau familienbezogener Sozialleistungen oder Verankerung neuer Formen auf Grundlage des Bürgerrechts (obligatorischer Sozialdienst). Der zweite Abschnitt dreht sich um „Familienpolitik in Europa“ und wagt einen internationalen Vergleich. Vor wenigen Jahrzehnten wäre es undenkbar gewesen, Familien für ihre Erziehungsarbeit mit Kindergeld zu belohnen. Heute sei es v. a. aufgrund der demographischen Entwicklung normal. Für die Abnahme der Fertilitätsquoten sieht der Autor v. a. soziokulturelle Gründe verantwortlich. Gemäss den vier Regimetypen lassen sich vier sozialpolitische Grundlinien erkennen: • liberal: hier sind Familienkosten Privatangelegenheit, „als öffentliches Gut gilt allein die Bildung der Kinder als künftige Bürger“ • sozialistisch-etatistische: Familienarbeit soll vergesellschaftet werden • konservativ: gemeinschfliche Orientierung und traditionelles Familienbild, Geldleistungen an Familien durch Kindergeld • garantistisch: Optionserweiterung aller Familienakteure
Abbildung 6: Das AGIL Schema von Talcott Parsons ist eine wichtige Grundlage des Buches „Sozialpolitik“ von Opielka. Viele Analysen stützen sich darauf. Nicht weiter verwunderlich: ist es doch überaus nahrhaft.
6 Szydlik
müsste ja Bescheid wissen und auch sein Lehrmeister Kohli wir im Buch erwähnt.
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Wie die statistischen Daten zeigen, sind die Fertilitätsquoten in den südeuropäischen besonders tief (IT 2000: 1.24, SP 2000: 1.23, PO 2000: 1.52) und in den nordeuropäischen und Irland und FR besonders hoch. Am meisten Geld für die Familie gibt man in Luxemburg aus, gefolgt von Österreich, Deutschland und Frankreich, also in den konservativen Ländern, wie dies auch der Welfare-Mix erahnen lässt. In diesen Bereich fällt auch die Genderblindheit der E-A Regimetypologie. Es wurde vorgeschlagen Gender-Regime zu bilden, die die familienpolitischen Aspekte besser berücksichtigen. Eine Typologie von Leitner (2003) unterscheidet vier Formen des Familialismus: optionaler Familialisus (viel öffentliche Kinderbetreuung und viel Kindergeld: SW, DK, FR, BE sowie als Grenzfall FI), expliziter Familialisus (wenig Kinderbetreuung, aber viel Kindergeld: DE, AU, IT, LU, NL), impliziter Familialisus (wenig Kinderbetreuung und wenig Kindergeld: GR, POR, SP) und und De-Familialismus (verbreitete öffentliche Kindererziehung, aber kein Kindergeld und wenig finanzielle Benefits: IRL, GB). „In der familienwissenschaftlichen und demographischen Literatur besteht weitgehend Konsens, wonach die Familienpolitik keinen oder allenfalls einen marginalen „pronatalistischen“, die Geburtenraten erhöhenden Effekt habe.“ Anschliessend wird Beat Fux genannt und gewürdigt. Auch er bildete in Anlehung an E-A familienpolitische Typen: familialistisch (konservativ), individualistisch (liberal) und etatistisch (sd). Im dritten Abschnitt beschäftigt sich Opielka mit dem Sonderfall Deutschland („Familienlaboratorium Deutschland“). Während manche Autoren das Hochhalten des normativen Idealbilds der Hausfrauenehe aus nationalsozialistischen Quellen sprudeln sehen, widerspricht PfauEffinger; ihr zufolge habe die HFE schon früher - seit der zweiten Hälfte des 19. Jhd - als Ideal gegolten und entwickelte sich v. a. im Zuge des Aufkommens bürgerlicher Familienmodelle. Nachher wird die ganze Geschichte der HFE sowohl im Osten als auch im Westen durchgespielt. In der DDR lässt sich zur Vereinbarkeit
Abbildung 7: Sogar Beat Fux (a. k. a. beatfox) wird im
von Familie und Beruf ein „Kombinationsarran-
Buch von Opielka erwähnt!
gement“ postulieren. In der BRD herrschte dagegen eher eine Versorgerehe - zumindest bis in die 1990er - und danach eine Partnerfamilie. Im vierten und letzten Abschnitt des Kapitels geht es um „Familienpolitik und den Wert der Familienarbeit“. Zunächst werden mit den Schlagworten Sozialkapital und Humankapital zwei Begriffe gebracht, die auch im Zusammenhang mit Familien relevant sind. Wie eine Studie ermittelt, ist der Wert der im BIP nicht verrechneten Familien- und Haushaltsarbeit riesig. Man geht davon aus, dass er bis zur Hälfte des BIPs beträgt. Allerdings fand in einer neueren Studie die Relatvierung statt. Stahmer et al. setzen den Wert bei 11.5% an, was immer noch viel Geld ist. Sodann wird berechnet, ob es sich lohnt, Kinder zu haben.
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2.2.4 Zukunft der Alterssicherung
Kapitel 4 behandelt die Rentenpolitik und die Alterssicherung. Ca. 40% der Sozialausgaben werden in den meisten OECD-Ländern für die Rente ausgegeben. Damit stellt sie den bedeutendsten Posten unter den grossen Sozialversicherungen. In gewissen Ländern, wie IT, beträgt der Anteil bis zu 60%. Die Alterspyramide in DE hat sich zwischen 1910 und heute von einer klaren Pyramide zu einem „zerzausten Tannenbaum“ gewandelt. Im Alter zwischen 25 und 55 hat der Baum einen leichten Ausschlag und weist einen Männerüberschüss auf, im höheren Alter sind dagegen Frauen übervertreten.
Abbildung 8: Die Altersverteilung glich früher einer Pyramide (links), heute haben wir es dagegen eher mit der Form eines zerzausten Tannenbaums (rechts) zu tun.
Nach der Einleitung kommt auch schon der internationale Vergleich. Zunächst werden die EK-Ersatzraten dargestellt. Mitte der 1990er kriegte man in Kanada und in den USA am meisten (87 bzw. 84% des verfügbaren Durchschnittseinkommens), in GB und FI am wenigsten. Während in JP, USA und CA ein grosser Teil der Rente durch private Ersparnisse und Kapitaldeckungsverfahren bereitgestelllt wird, sind in FI, DE, SW und GB Umverteilungsleistungen die wichtigste Quelle. „In praktisch allen hier verglichenen Ländern nahm bis Mitte der 1990er Jahre der Anteil der Sozialtransfers, d. h. der Leistungen öffentlicher Rentensysteme, am jeweiligen Bruttoeinkommen der Altershaushalte zu.“ Erneut geht es um den deutschen Sonderfall, aber auch um die Schweiz. In deutschend Landen gestaltet sich die Alterssicherung zerfasert und komplex. DE nahm mit der Institutionalisierung der Rentenversicherung im Jahre 1889 eine Pionierrolle im europäischen Raum ein. Die CH dagegen hat ein spezielles System, wie ich ja weiss. 1999 waren in DE 91.3% der AN Mitglied der gesetzlichen RV (trotz des starken Korporatismus). Beamte (5.8%) haben dagegen Anspruch auf Versorgung. Die durchschnittliche Rente beträgt ca. 1000 Euronen bei Männern und die Hälfte davon bei Frauen. Wie bei der Familiensicherung können auch bei der RV vier Modelle unterschieden werden, die sich an die E-A Regimetypololgie anlehnen: familien- und verwandschaftsbezogen, lohnarbeitsbezogene Altersrente (konservativ), private Altersrente (in Reinform nur in Australien institutionalisiert, sonst eher liberal) sowie Grundrente. In der Praxis trifft man die Modelle in Mischform an, wobei das erste familien- und verwandschaftsbezogene Arrangement am seltensten vorkommt. Die Grundrente ist
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der Meinung von Opielka nach am zukunftsträchtigsten. Sie ist aber in DE sehr umstritten. Der Abschnitt „Idee und Geschichte der Grundrente“ dreht sich um die Idee und Geschichte der Grundrente. Die Schweiz wird als prototypischer Fall etwas ausführlicher behandelt. Die Idee der Grundrente wird für jeden der vier Opielka’schen Regimetypen durchdekliniert. Die Unterabschnitte heissen „Die Grundrente im Marktmodell“, „Die Grundrente im sozialdemokratischen Regime“, „Konservative Grundrentenmodelle“ und „Das garantistische Modell: beitragsfinanzierte Grundrente“. Ein Beispiel für die letztgenannte Form ist die AHV in der CH und die niederländische RV. Im vierten und letzen Abschnitt des Kapitels behandelt Opielka die Kapitalsorten und orientiert sich dabei an Bourdieu. „Ein ganzheitlicher Blick auf das Alter [...] wird also nicht umhinkommen, Alterssicherungspolitik über die EK- und Vermögensdimension hinaus zu bedenken.“ 2.2.5 Globalisierung und Sozialpolitik
Dieses Kapitel scheint dagegen wieder prüfungsrelevanter zu sein und wird in den nächsten Tagen ohne Zweifel noch besprochen werden. Im Gegensatz zu einem engen Verstädnis von Sozialpolitik, das v. a. die sozialen Sicherungssysteme untersucht, möchte Opielka in diesem Buch ein weites Verständnis anwenden. Im Sinne von Luhmann geht es um die Totalinklusion der Bürger in die Funktionssysteme. Auch Globalisierung erfordert eine weite Perspektive, die über die Entgrenzung von Kapital und Information hinausgeht. Zwei Aspekte gehören auf jeden Fall dazu: 1. vermehrte kulturelle und ökonomische Verflechtung 2. Verdichtung von Raum und Zeit Mit dem Begriff der Netzwerkgesellschaft von Castells können diese Prozesse auf den Punkt gebracht werden. Das Kapitel enthält drei Abschnitte: Ebenen der Globablisierung, Globablisierung als Problem für den Sozialstaat? und Aspekte der globalen sozialpolitischen Agenda. Vier Aspekte lassen sich unterscheiden, „die für die Sozialpolitik relevant sind“: der globale ökonomische und ökologische Wandel (Durchsetzung der Marktwirtschaft), der politische Wandel der Globalisierung, der gemeinschaftlich-kulturelle Wandel und der legitimativ-religiöse Wandel. Um weltweite Vergleiche zu ermöglichen, bilden die wichtigsten globalen Player (UNO, IWF, Weltbank, WTO, ILO) Indices, die den Entwicklungsstand - z. T. auch soziapolitischer Art - einfangen: HDI, WDI ... „WFS treten in einen Wettbewerb untereinander, derzeit vor allem mit der Gefahr, sich gegenseitig zu unterbieten.“ Zudem treten neue Akteure - IWF, ILO, UNO, WHO, attac - auf den Plan und es entsteht ein globaler Diskurs über best practices. Im zweiten Abschnitt geht Opielka der Frage nach, ob sich die Globalisierung zum Problem für den Sozialstaat entwickelt. In einer Unterscheidung von Genschel lassen sich Globalisierungstheoretiker
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Abbildung 9: Der globale Wandel, der mit dem Schlagwort „Globalisierung“ umschrieben wird ist vielseitig und umfasst mindestens vier Dimensionen des Wandels: ökologisch & ökonomisch, politisch, gemeinschaftlichkulturell und religiös.
von -skeptikern und Revisionisten trennen. Erstere gehen davon aus, dass der WFS unter der G. leide, zweite halten die G. für nicht allzu relevant bzw. überschätzt, letztere halten den WFS für (medizinisch nicht normativ) krank. Eine vierte Position könnte hinzukommen, die man mit dem Schlagwort WF-Globalisierer umschreiben kann. Völlig aus den Wolken vor Verblüffung fällt der Leser als Opielka erwähnt, diese vier Typen liessen sich mit der Regimetypologie von E-A bzw. mit seiner (Opielkas) Erweiterung um den Garantismus in Einklang bringen. Die Theoretiker gehören zum liberalen Regime (Ökonomisten), die Skeptiker halten den Staat - nicht den Markt - für tragend (Etatisten: sozialdemokratischer Regimetypus), die Revisionisten können dem konservativen Modell zugeordnet werden und setzen auf Familie statt Markt und Staat (Kommunitaristen). „Es bleibt die vierte Position. Sie entspricht mit ihrem Blick auf Menschenrechte dem garantistischen Regimetyp. Im Folgenden werden die vier Positionen etwas ausführlicher beschrieben. Der letzte Abschnitt verweist schliesslich auf Aspekte der globalen sozialpolitischen Agenda. Hier hat sich in den letzen Jahres einiges getan, u. a. die Gründung einer Fachzeitschrift mit dem Namen „Global Social Policy“. Fünf Punkte oder Bereiche stehen im Brennpunkt des Interesses: 1. Armut: Millenium-Goals, Konzepte zur Reduzierung etc, 2. soziale Grundrechte und ein sozialpolitisches Grundprogramm 3. Prozesse und Probleme der global governance: Welche Institutionen sind verantwortlich 4. Migration 5. EU
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2.2.6 Sozialpolitische Reformen
Dieses Kapitel halte ich für höchst relevant und behandle es drum sehr genau. Es behandelt die Frage, wie sich die Idee der Grundsicherung, wie sie fürs garantistische Regime so zentral ist, auf die verschiedenen Bereiche und Versicherungen der Sozialpolitik wenden lässt. Der erste Abschnitt ist „Bürgerversicherung in DE: Allgemeine Krankenversicherung (AKV)“ betitelt. Im zweiten Abschnitt „Die Idee einer Grundeinkommensversicherung“ behandelt Opielka das bedingungslose Grundeinkommen und legt dar, wie es sich sozialpolitisch implementieren lässt. Wie Franz-Xaver Kaufmann bemerkt, ist ein grosser Teil der sozialpolitikwissenschaftlichen Literatur selbst sozialpolitisch, „d. h. sie bezieht ihre impliziten Kriterien aus normativen Vorstellungen, die im Objektbereich geläufig oder aber dem Geläufigen gerade kritisch entgegengesetzt sind“. Bereits verschiedene Exponenten der Sozialpolitik, darunter die Rürup Kommission und die Herzog Kommission, fordern eine Abkehr vom lohnarbeitszentrierten Bismark’schen Modell der Krankenversicherung in DE. FDP will eine private KV, die linken Parteien (inkl. SPD) dagegen eine einkommensbezogene Bürgerversicherung, wie sie in Österreich weitgehend verankert ist. Die CDU plädiert eher für das Schweizer Modell mit einer Kopfpauschale. Die Frage, ob alle Bürger gemeinsam im System vertreten sein sollen oder ob es Sonderregelungen für bestimme Bevölkerungsgruppen (Beamte, Freiberufler, Selbständige) geben soll, wird dabei kontrovers diskutiert. Im Gegensatz zum Bismark’schen Regime sollen alle Bürger zu gleichen Teilen einbezogen werden. Dabei wird die Lohnarbeitszentriertheit gelockert. „Aus Lohnnebenkosten werden faktisch Sozialsteuern.“ Bei der einkommensbezogenen Vorstellung müssen Gutverdienende mehr bezahlen, bei der Kopfpauschale alle gleich. Sozialer Ausgleich soll bei letzterem über das Steuersystem garantiert werden, das die Kopfpauschalen subventioniert. Der durchschnittliche Beitragssatz betrüge 14.1%. In Österreich liegt der Wert mit 7.4% deutlich tiefer. Opielka scheint sich eher für die einkommensabhängige österreichische Variante als für die Kopfpauschale der schweizer Variante auszusprechen. Als Mischung liesse sich ein Modell wie die AHV in der Schweiz denken. Im Folgenden geht es um ein paar organisatorische Details, die ich nicht zusammenfassen kann und will. Im zweiten Abschnitt behandelt Opielka das bedingungslose GEK und seine Implikationen auf verschiedene soziale Sicherungssystemen. Statt eines bereichsfragmentierten Systems, das Gesundheit, AL, Rente, Unfall und die anderen Formen getrennt erhebt, soll neu ein einheitlicher Betrag für alle Systeme entrichtet werden. „Diese durchaus revolutionär wirkende Sozialreform soll im weiteren Fortgang erörtert und exemplarisch reflektiert werden.“ Auch in dieser Vorstellung wird die Lohnarbeitszentriertheit der Sozialsicherung weitgehend aufgegeben, denn finanziert werden soll das Ganze über Steuern.... 2.2.7 Sozialpolitische Kultur
Das letzte Kapitel schliesst das Buch ab. „Ob man Armut und AL als naturgegeben oder die soziale Teilhabe aller Bürger als politisches Ziel verfolgt, hat viel mit Wertorientierungen zu tun.“ Ferner geht es um die kulturelle oder ideologische Komponente der WFS. Dabei spielen auch religiöse Traditionen
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eine Rolle, z. B. Konservatismus (christlich-katholisch) und Liberalismus (angelsächsisch protestantisch). Ansonsten werden wichtige Teile des Buches repetiert und zusammengefasst, so die Unterteilung der WFS in vier Regimetypen und die Anlehnung an E-A. Zunächst geht es um die religiösen Grundlagen der Sozialpolitik. Er ist so kurz gehalten, dass es praktisch keine Information gibt (die ich nicht schon weiss). Es würde deshalb nichts bringen in der Zusammenfassung länger zu sein als im Original.
Abbildung 10: Der Mensch: Ein Produktionsfaktor mit Würde
Der zweite und letzte Abschnitt behandelt SP als öffentliches Gut und stellt so etwas wie eine Konklusion des ganzen Buches dar. Bislang liegt keine Theorie öffentlicher Güter vor, v. a. nicht im Zusammenhang mit dem WFS. Die liberale Position argumentiert zurückhaltend, macht aber klar, dass die schlechter Gestellten mehr Mühe haben sich öffentlich zu organisieren. Einig ist man sich über ein Recht auf Würde („Der Mensch - ein Produktionsfaktor mit Würde“, Göbel 2003). Sonst existieren aber je nach Regimetypus unterschiedliche (jeweils entweder eher optimistische oder pessimistische) Deutungen der öff. Güter Problematik. Während im liberalen Regime der freie Marktzugang als wichtigstes Gut gilt, stehen im sozialdemokratischen Regime (Chancen)Gleichheit und im konservativen Regime die Sicherung bisheriger Zustände (= Sicherheit) im Zentrum. Der Fokus des garantistischen Regimes liegt auf der Gewährleistung von Grundrechten. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive wird sodann beleuchtet, wieso indirekte oder repräsentative Politik (im Gegensatz zur direkten Volksabstimmugn in CH oder Kalifornien) Nachteile im Bezug auf öffentliche Güter aufweist. Drei Gründe werden genannt: Problem der organisierten Interessen (Olson), Trittbrettfahrer und schliesslich Kultur- und Wertebasis.
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2.3 Schmid: Wohlfahrtsstaaten Das Buch von Schmid vergleicht unterschiedliche europäische Wohlfahrtsstaaten in Hinblick auf ihre Sicherungssysteme. Für jedes Land werden die wichtigsten Sicherungssysteme vorgestellt und ihrem Aufbau und ihrer Finanzierung abgehandelt. Einleitend bringt der Autor einen Überblick über das Forschungsfeld und die unterschiedlichen Theorien des WFS. In konzeptioneller Hinsicht deckt sich die Darstellung der Stränge mit derjenigen von Kaufmann: Schmid unterscheidet historischholistische Analysen des Wohlfahrtsstaats als Ganzes (die oft sozialphilosophisch daherkommen), quantitative Zugangsweisen und die Fokussierung auf institutionelle Teilbereich. Hinzugefügt werden kann die Typologie-Forschung, die so etwas wie eine Synthese der Ansätze darstellt. In Bezug auf die theoretischen Herangehenswesen macht Schmid vier Richtungen fest7 : • sozalökonomische Analytiker: Funktionalisten, Modernisierungstheoretiker, z. B. Wilensky • Neomarxisten: Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, z. B. Offe • Makrosoziologen, z. B. Flora und Alber • politisch-institutionalistische Schule, z. B. Schmidt und Esping-Andersen Des Weiteren werden drei Phasen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklungunterschieden, die sich mit den von Borchert (1998) decken. Als Hauptkontroverse für die Frage nach der Entstehung der WFS wird die Betonung von sozialökonomischen Prozessen (Industrialisierung, Demographie) einerseits und Parteikonstellationen andererseits herausgehoben. Letztere These rekurriert stark auf die Neomarxisten.
Abbildung 11: Wilensky (links) gehört zu den Funktionalisten, Flora (rechts) dagegen zu den Makrosoziologen.
7 Bei
Kaufmann sind es deren 3.
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Bei den empirisch gehaltenen Länderprofilen beschränkt sich Schmid auf die oberflächliche Darstellung von Deutschland, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Niederlande, Schweden und Spanien. Anschliessend werden die einzelnen Sicherungsbereiche - ALV, Familie, Gesundheit, Rente, Unfall - international verglichen, aktuelle Probleme aufgeworfen und am Schluss zusammengefasst und mit aktuellen Herausforderungen konfrontiert, d. h. Globalisierung, Europäisierung, demographischer Wandel, struktureller Wandel, regionale Arbeitsmärkte. Das Buch ist in fünf Teile gegliedert: einen theoretisch und methodisch einführenden, einen vergleichenden mit Länderprofilen der oben angesprochenen Länder (2), einen institutionellen (3), einen aktuelle Probleme und ausländische Lösungen besprechenden (4) und einen schliessenden, der Erträge und Ausblicke beinhaltet. Aus Gründen der Zeitnot möchte ich mich auf bestimmte Kapitel beschränken.
3 Kritik an Esping-Andersens Regimeytpologie
3.1 Borchert: Historische Kritik In der Einleitung vergleicht der Autor das Esping-Andersen’sche Modell mit dem Film groundhog day. Auch den politischen und gesellschaftlichen Akteuren in den westlichen WFS ist ein ewiger groundhog day zugedacht, denn einmal etabliert verändern sich die Typen nicht mehr: Pfadwechsel sind bei Esping-Andersen nicht vorgesehen und seiner Ansicht nach wird die Typologie auch im postindustriellen Zeitalter Bestand haben. Borchert unterstellt E-A zwei Ziele: Typologie und Merkmale von WFS herausarbeiten. Allerdings wird fast nur der erste Faktor, also die Typologie, wahrgenommen, auf den zweiten Faktor, also wie diese Typologie zustande kommt, geht man relativ selten ein. Während die Dekommodifizierung (gemessen mit den Ersatzquoten) als Operationalisierung hinterfragt wurde, ist die Stratifizierung besser akzeptiert. In einem Artikel hat E-A die Konstruktionsmechanismen der Typen genauer erläutert, als dies im Buch der Fall ist und dort legt er sein Bestreben offen: ihm gehe es um eine Sozialdemokratisierung des Kapitalismus. Somit wurde das Modell nicht anhand abstrakter Kriterien deduktiv aufgebaut, sondern induktiv -ausgehend vom „normativ überhöhten schwedischen Modell“. Der liberale Typus ist dabei als Kontrastfolie noch relativ greifbar, aber der kontinentale Typ fungiert lediglich noch als Restkategorie, die sich sehr heterogen gestaltet. Ausserdem wirft Borchert E-A ein tautologisches Vorgehen vor, indem er die Typen aus real existierenden Staaten ableitet und dann wieder an diesen Staaten überprüft. Das Ergebnis muss zwangsläufig positiv sein. Ausserdem ist die eindeutige Zuordnung nicht immer möglich und bei einzelnen Fällen sehr fragwürdig - so auch die Einstufung von Deutschland. Wie lässt sich die Ausbildung der Typen erklären? Und wie kommt es zur festgesetzten Entwicklung auf vorgegeben Pfaden? Hier ist wiederum das Argument der „Sozialdemokratisierung des Kapitalismus“ zu nennen. E-A macht z. B. die Parteistärke und Geschlossenheit der Linken Parteien dafür verantwortlich, bei gleichzeitiger Gespaltenheit des bürgerlichen Blocks und fehlendem politischen Katholizismus. Letztlich sind also die politischen Machtkonstellationen erklärungsrelevant. Allerdings sagt diese Begründung nicht viel „über die po-
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litische Dynamik der Enstehung und Entwicklung von WFS“. Lustigerweise begründet E-A seine Typologie mit Daten für 1946-1980, also viel später als die Formierung. „Wohlfahrtsstaatliche Regime wurden demnach bereits etabliert, bevor die Faktoren, die sie erklären sollen, überhaupt existent waren.“
Abbildung 12: Der Film groundhog day bildet die empirische Ausgangslage für Borcherts Artikel.
Der zentrale Kritikpunkt Borcherts umfasst das empirische Vakuum zwischen Theorie und Empirie. Ihm fehle es am Gefühl für den historischen Prozess genauso wie am genuin komparativen Zugang. Seine Typologie ist damit im schlechten Sinn zutiefst theoretisch. Was nun? Sollte man nach diesem Bashing die Untersuchung abbrechen? Im Gegenteil: Jetzt geht’s erst richtig los. Ein richtiger Machtressourcen-Ansatz, in dessen Theorietradition E-A ja steht, würde besser ein Kontinuum von Mach und keine qualitativen Differenzen berücksichtigen. E-As reduktionistische Sichtweise der historischen Invarianz reduziert die wfs Analyse auf zwei Punkte: • Den Moment der Herausbildung • Die Beschreibung des unveränderlichen Regimemodells Zunächst erläutert Borchert den Begriff der Pfadabhängikeit. Siehe dazu Kapitel 2 der Seminararbeit. Im Zentrum steht der Gedanke, „dass eine bestimmte, einmal eingeschlagene Handlungsweise oft so gut wie unmöglich wieder umzukehren ist.“ Dies sollte man jedoch nicht mit einem ahistorischen Blickwinkel im Sinne von Behaviorismus und RC verwechseln. Geht man einmal von Pfadabhängigkeit aus, so stellt sich die Frage, ob Wechsel möglich sind und wenn ja: wie. Der Theorie der Pfadbhängigkeit stehen mehrere theoretische Alternativen entgegen: RC und Machtressourcen, Modernisierungstheorie (Funktionalismus bei Kaufmann), internationale Diffusion - kollektives Lernen. „Für unseren Zusammenhang heisst dies, dass die Pfadabhängigkeitsthese eher auf die gewöhnliche Routine von WFS verweist, während die Diffusions-Theorie stärker die aussgewöhnliche Situation der
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Neuorientierung erfasst.“ Besonders erwähnenswert sind im Zusammenhang mit der Pfadabhängigkeit die critical junctures. An ihnen lässt sich besonders gut untersuchen, ob Pfadwechsel stattfinden oder nicht. Tabelle 1: Ursachen wohlfahrtsstaatlichen Wandels in verschiedenen Ansätzen
Akteursebene entscheidend Strukturebene entscheidend
exogene Ursachen
endogene Ursachen
Internationale Diffusion Modernisierung, Globalisierung
RC, Machtressourcen Pfadabhängigkeit
Zum Schluss des Abschnitts definiert Borchert die drei Phasen, für die im folgenden die einzelnen Länder untersucht werden: Entstehung, Rekonstitution, Restrukturierung. Die Entstehungsphase kommt bei E-A fast nicht vor. Obwohl es eine machtpolitische Erklärung gibt (Spaltung der Arbeiterschaft, Koalitionsscheitern...), bleiben zwei bedeutsame Punkte offen: Zeitpunkt der Entstehung und die Ursachen und Mechanismen der Entstehung. Am Beispiel Schweden wird E-As geschichtliche Ignoranz besonders deutlich (S. 8). Als Kontrast wählt Borchert eine Studie von Hicks, Misra und Ng, die zwischen 1880 und 1930 die Entstehung von WFS in verschiedenen Ländern mit der QCA vergleichen. Ihrer Meinung nach gibt es drei Pfade: Bismarck (D, AU), Lib-Lab (DK, GB, NZ, SW), katholisch-paternalistisch (BE, NL). Die Differenzen zu E-A werden schnell offensichtlich. Für die Frühphase ist diese Kategorisierung weitaus plausibler als diejenige von E-A. Hinzu kommen die Nachzügler, also Länder die verspätete Entwicklungen des WFS zeigen. Hier lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: liberaler Weg
Abbildung 13: Borcherts Aufsatz setzt sich mit der Pfadabhängigkeit wohlfahrtsstaatlicher Regimetypen auseinander.
oder gescheitertes Lib-Lab (NO, FR), föderal-antietatistisch (AU, CA, CH, USA). In der Synthese lassen sich ein konservatives und ein Lib-Lab Modell generieren, das man jeweils noch nach Vorreitern und Nachzüglern aufteilen kann. Das so erhaltene Bild unterscheidet sich stark von dem E-As. Bei der zweiten Phase der Rekonstitution geht es besonders um die critical juncture der Wirtschaftskrise und der Nachkriegsphase. Hier müsste Esping-Andersens Modell besonders stark sein. In der Tat bewegt sich Schweden von Lib-Lab zu sozialdemokratisch in dieser Phase. Auch die konservativen Staaten stimmen bei Hicks et al. und Esping-Andersen überein. Mit den USA sehen wir jedoch eine Diskrepanz zwischen den beiden Ansätzen. GB bleibt bei Hicks dem Lib-Lab Pfad treu,
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die Esping-Andersen’sche Einordnung zum liberalen Typus ist dagegen fragwürdig (nur mittelhoch ausgeprägte Stratifizierungswerte - gleich wie Schweden. Auch der konservative Pfad macht einen Modernisierungsprozess durch. Sonderfälle sind Irland, Japan, Finnland und die Schweiz. Auch Dänemark, Frankreich, Kanada und Holland sind keineswegs eindeutig zu verorten. „Wenn wir diese notwendigerweise skizzenhaften Ausführungen nun bilanzieren, so ergibt sich, dass das Regimemodell von G. E-A selbst in der Phase, für die es eigentlich die grösste Gültigkeit haben sollte, nur begrenzt tauglich ist.“ In der letzten Phase der Restrukturierung wird für gewöhnlich die Konvergenz betont. Diese Argumentationen nennen v. a. die Globalisierung als begünstigendes Momentum. Andere - darunter E-A streichen die überlieferten nationalen wohlfahrtsstaatlichen Strukturen heraus. Divergenz überwiegt demnach gegenüber Konvergenz. Immer noch gebe es die drei Regime. Trotzdem gibt es Veränderungen, die sich jedoch nach Regimetyp unterscheiden. Welche Ausnahmen sind zu beobachten? Die Niederlande: „Sie scheinen in der Tat einen Pfadwechsel zu vollziehen.“ Die Konvergenzhypothese erscheint Borchert plausibler als die Kontinuitätshypothse, auch wenn erstere das Ausmass der Konvergenz überbetont. Er schlussfolgert, dass die Pfadabhängigkeit zwar keine schlechte Ausgangslage sei, da viele Länder tatsächlich auf ihren Pfaden blieben, aber manche vollzögen eben Pfadwechsel, wie demonstriert wurde.
3.2 Arts & Gelissen: Zusätzliche Typen Eine reife empirische Forschung sollte sich nicht auf die Formulierung von Idealtypen konzentrieren, sondern auf Theorien. Allerdings befindet sich die komparative Makrosoziologie der WFS noch in ihren Kinderschuhen. E-A: „The welfare state cannot be regarded as the sum total of social policies, it is more than a numerical cumulation of discrete programs.“ Jeder Typus weist ein spezifisches Set an institutionellen Konfigurationen auf und zeichnet sich durch einen eigenen Entwicklungspfad aus. Nach Weber gibt es zwei Arten von Idealtypen: individuelle und holistische. Die von E-A sind holistisch. Bei ihm sind die Typen Ausdruck unterschiedlicher sozialphilosophischer Vorstellungen und politischer Mobilisierung. Kriterien für eine gute Typologie sind laut den Autoren: Validität, Reliabilität und Mittelhaftigkeit (nicht Zielhaftigkeit oder Zweckhaftigkeit, d. h. dass die Typologie als Mittel zur Erklärung und nicht als Ziel selbst erstellt wird), Theoriekonstruktion befindet sich noch in der frühen Phase. Laut den Autoren werden diese Kriterien einigermassen erfüllt. Die Regimetypen sollten also eher als unabhängige als als abhängige Variablen benutzt werden. Eine wichtige Frage, die sich stellt: Gibt es einen eigenen mediterranen Typ? Die wichtigsten Alternativen sind: • Leibfried (1992): Er propagiert Latin Rim • Ferrera (1996): Er propagiert Southern • Bonoli (1997): Er propagiert Mediterranean oder Southern
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Die Typologie von Bonoli wird im Aufsatz ausführlich besprochen. Ihm zufolge hat das Konzept der Dekommodifizierung bei E-A Schwächen (vgl. auch Borchert 1998), denn es erlaubt keine genügende Differenzierung zwischen Bismarck und Beveridge (was ehrlich gesagt ziemlich scheisse ist). Als Alternative schlägt er zwei Klassifizierungsdimensionen vor: how much (angelsächsische Tradition) und how (kontinentale Dimension). Die drei Propagierer eines southern type ähneln sich untereinander, was die Argumentation anbelangt und kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Abbildung 14: Die gängigsten Alternativtypen zu Esping-Andersens drei Welten sind: mediterran oder südeuropäisch (links) und radikal oder antipodisch (rechts).
Einen weiteren Unsicherheitsfaktor stellt die Frage dar, wie die Antipoden zu behandeln seien. Sie sind inklusiver und universalistischer als die rein liberalen Typen. Hier gibt es folgende Typologien: • Castles & Mitchell (1993): Sie propagieren Radical • Siaroff (1994): Er propagiert Late Female Mobilization • Korpi & Palme (1998): Sie propagieren grad 2 Sachen, nämlich Targeted und Voluntary State Subsidized Castles & Mitchells (1993) Kritik an E-A Regimetypologie stützt sich auf zwei Motive. Einerseits sagen sie die politische Linke könnte sich ja durch pre-tax pre-transfer Einkommenserhöhungen ausgezeichnet haben, andererseits vernachlässige E-A das Potential von einkommensverwandten Vorteilen mit Hinblick auf die Umverteilung. Die andere Evidenz kommt von Korpi & Palme (1998). Sie konzentrieren sich auf institutionelle Merkmale der WFS. Dabei nehmen sie zwei Programme in den Blick: das Rentensystem und die Gesundheitsvorsorge bzw. Einkommensersatz bei Krankheit. Ihre Einteilungskriterien sind: die Ersatzbasis, das Prinzip - in welchem Ausmass soll die Sozialversicherung das entgangene Einkommen ersetzen - und die Governance (staatliche oder betriebliche Regelung). Damit stellen sie fünf Typen her. Danach gehen die Autoren auf die Gender-Problematik ein. Ihrer Ansicht nach gibt es ganze Bereich, die E-A einfach aussen vor lässt. Was ganz besonders fehlt ist die Diskussion der Rolle der Familie in der Regimetypologie. Auch die Rolle der Frau im AM wird systematisch vernachlässigt. Die
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geschlechtliche Arbeitsteilung in Bezug auf bezahlte und nichtbezahle Arbeit sollte laut einigen feministischen Autorinnen unbedingt berücksichtigt werden. Ein anderes Problem betrifft social care. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern, die E-A nicht berücksichtigt. In D ist die Pflege eher Angelegenheit privater Dienstleister, in Skandinavien von öffentlichen Institutionen und in Italien von der Familie. In FR gibt es eine strikte Trennung zwischen Altenpflege und Kinderpflege. Daly & Lewis plädieren dafür, Regime auf der Basis von Pflege zu bilden.
Abbildung 15: Korpi (links im Bild Kiira Korpi, bei der es sich allerdings nicht um die Autorin der besagten Typologie handelt) & Palme (rechts im Bild; bei dem es sich sehr wohl um den Autor der besagten Typologie handelt) haben eine Alternative zu Esping-Andersens Regimetypologie vorgebracht
Auch Siaroff (1994) ist der Auffassung, dass die E-Asche Typologie nicht genug auf Gender achtet. Um eine differenziertere Typologie zu erreichen, berücksichtigt er ein Bündel von Faktoren im AM, die Ungleichheit und Gleichheit betreffen. In der konkreten Anwendung auf die einzelnen Länder sind Australien und NZ Mischfälle, die mal zu den Antipoden, mal zu den Liberalen gezählt werden. Korpi & Palme z. B. machen für Australien extra den Typus Targeted auf. Bei Siaroff und Leibfried wird Australien jedoch den Liberalen zugeordnet. Bonoli & Ferrera berücksichtigen nur europäische Länder. Bei Siaroff kommt die Geschlechtsdimension am stärksten zu Tragen von allen Typologien. Weitgehende Einigkeit herrscht dagegen für die skandinavischen Länder und die übrigen angelsächsischen. Belgien stellt einen Mischfall dar, genauso wie die NL und die Schweiz. Allerdings tun die meisten Autoren die NL zum korporatistischen Regime, trotz Voten für sozialdemokratisch (E-A) oder gar liberal. E-A hat die NL sogar als Dutch Enigma bezeichnet. Spezielle Methoden wie BOOLEAN oder Cluster-Analyse führen zu einer zumindest teilweisen Bestätigung von Esping-Andersen. Die Autoren, die die Regimetypologie von E-A mit speziellen Methoden untersucht haben sind: • Obinger & Wagschal -> Cluster • Kangas (1994) -> Cluster • Ragin (1994) -> BOOLEAN • Shalev (1996) -> Faktor
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• Wildeboer Schut et al. (2001) -> nichtlineare Prinzipal-Komponenten Analyse Dabei kommen z. B. Obinger & Wagschal mit der Cluster-Analyse des Stratifizierungskonzepts zum Schluss, dass fünf Typen besser geeignet sind als drei die Daten der Three Worlds zu modeln. Wildeboer Schut et al. (2001) können hingegen die Regimtypologie von E-A weitgehend bestätigen. „Summing up, E-As original three-world typology neither passes the empirical tests with flying colours, nor dismally fails them.“ Wie hat E-A selbst auf die Modifikationen reagiert? Er ist sich selbst gar nicht sicher. So war er zunächst auf Castles & Mitchells (1993) Antipoden-Ergänzung positiv gestimmt, sagte dann aber später, dass Australien und NZ zum liberalen Modell streben. Gleiches gilt für den mediterranen Typus. Stark gewichtet der dänische Sozialwissenschaftler analytische Sparsamkeit. Gründe, warum WFS so träge sind, sind einerseits institutionelle Trägheit, andererseits Pfadabhängigkeit. Das Problem mit vielen oben besprochenen Autoren ist die starke Fokussierung auf empirische Belange. Die wichtigsten Einflüsse, die wohlfahrtstaatliche Veränderungen antreiben sind nach der Synthese der Autoren von oben: funktionale Zwänge und Diffusion von Innovationen (Lerneffekte). Laut den Autoren des Aufsatzes kanne es wenig Widersprüche geben, möchte man die empirischen Ergebnisse in eine Machtressourcen-Paradigma einbinden.
3.3 Obinger & Wagschal: Empirische Kritik Neben viel Lob an E-A gab es auch Kritik. Folgende Punkte werden im Artikel erwähnt: Geschlechterblindheit, weitgehende Ausklammerung der Dienstleistungen des WFS aus der Analyse (Welfare-Mix wird kaum angeschnitten), Institutionenblindheit (Vernachlässigung genuin politologischer Variablen), methodische Vorbehalte (Längsschnittdimension wird weitgehend aussen vor gelassen), ideologische Ordnungsvorstellung mit Schweden als Ideal, keine Beantwortung zur Frage der Konvergenz oder Divergenz, Anzahl der Typen und allfällige Ergänzungslösungen und Ahistorizität.
Abbildung 16: Drei Kritiken an der Regimetypologie von Esping-Andersen: Gender-Blindheit, methodische Vorbehalte und zu wenige Typen berücksichtigt (von links nach rechts)
Dieser Abschnitt macht den Hauptteil des Artikels aus. Zuerst fragen die Autoren danach, wie E-A Stratifizierung operationalisiert. Dies geschieht anhand von sieben Indikatoren (siehe dazu Tabelle 1 auf Seite 117): Korporatismus, Etatismus, Residualismus (Bedarfsabhängige Sozialleistungen),
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private Renten, private Gesundheitsausgaben, Universalismus und Unterstützungsleistungen (Differential). Die ersten beiden Indikatoren gehören dem konservativen Typus an, die mittleren drei dem liberalen und die letzten beiden dem sozialdemokratischen. Die Daten beziehen sich auf das Jahr 1980 und umfassen 18 OECD-Staaten. Die Einstufung zu den drei Typen geschieht nicht von den Originaldaten ausgehend, sondern über ein Zuweisungsverfahren. Dadurch werden Teilindizes generiert. Für jede Variable bildet E-A Terzile, also drei Gruppen, die wenn möglich die gleiche Anzahl an Mitgliedern aufweisen sollen (siehe Tabelle 2 auf Seite 119). Das erste Terzil erhält 4 Punkte, das zweite 2 und das dritte 0. Die Punktezuweisungen wurden sodann für die entsprechenden Typen addiert. Insgesamt sind E-A dabei viele Fehler bei der Codierung unterlaufen: Nicht weniger als 10, was knapp einem Fünftel entspricht! Die Fehlcodierungen führen mitunter zu gravierenden Divergenzen. Belgien wird z. B. von stark konservativ zu mittel. Immerhin vier Ländern fallen durch solche Fehler in einen anderen Typus: BE, FR, NO, GB. Zudem ist die Einteilung der Länder zu den Typen nicht konsequent. Während E-A für den konservativen und sozialdemokratischen Typus zwei Variablen verwendet (Korporatismus und Etatismus bzw. Universalismus und Unterstützungsleistungen Differential), sind es bei der liberalen Ausprägung drei Variablen (Residualismus, private Rente, private Gesundheitsversicherung). Während für den sozialdemokratischen Typus 6 oder 8 Punkte genügen, sind beim konservativen Dingens 8 Punkte vonnöten. Finnland wäre bei Gleichbehandlung von konservativ und sozialdemokratisch im Bezug auf die Punktevergabe sowohl konservativ als auch sozialdemokratisch. Nun ist es aber ein reiner sozialdemokratischer Fall. Zudem verändert die Datentransformation das Ergebnis. Die Punktescores fördern andere Einteilungen zutage als die Originalwerte mit Rangplätzen (siehe dazu Tabelle 3 auf Seite 122). Sie sind weniger eindeutig als über das Punkteverfahren ausgewiesen. Zuletzt nennen die Autoren das Problem der Terzilgrenzen: Weil die Daten (z. B. für die KorporatismusVariable) mitunter sehr schief sind, ergeben sich Zuordnungsprobleme. So verfügen allein sechs Länder über zwei Rentensysteme und drei Länder über lediglich eines. Da die optimale Aufteilung sechs Länder pro Terzil ist, müsste die Gruppe mit zwei Rentensystemen aufgeteilt werden, was natürlich nicht geht. E-A ordnet sie dem untersten Terzil zu. Tut man sie jedoch ins mittlere Terzil (was genauso gut möglich ist) ergeben sich veränderte Zuordnungen. Die Clusteranalyse versucht diesen Problemen Abhilfe zu verschaffen, indem sie alle relevanten Merkmale zur Gruppeneinteilung berücksichtigt und nicht so stark der Willkür des Forschers ausgesetzt ist. Die Autoren standardisieren die Daten vor der Analyse, wie man das machen sollte. Drei Cluster werden in keiner der optimalen Lösungen angezeigt. Wenn man von vorneherein vier Cluster annimmt (wie dies z. B. Castles & Mitchell 1993 tun), dann zeigen sich oke Lösungen. „In der Tat passen die Originaldaten von E-A wesentlich besser zu einer Vier- als zu einer Drei-Cluster-Lösung.“ Im ersten Schritt wählen die Autoren die Distanzmasse: euklidisch und complete-linkage. Wie das Dendogramm auf Seite 125 erahnen lässt sind vier Cluster eine bessere Lösung als drei. Wenn man die Ward-Methode nimmt, kommen sogar fünf Cluster heraus, wie das Dendogramm
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auf Seite 128 zeigt. Die Differenz zwischen der Vier- und Fünf-Cluster-Lösung liegt vor allem in der Unterscheidung eines sozialdemokratischen Typus oder der Hinzurechnung dieser Länder zu einem europäischen Typus. Im Vergleich 5-4 und 3-Cluster-Lösung, schneidet erstere am besten ab, gefolgt von der zweiten und dann erst von der dritten (E-Aschen). Die Verdienste von E-A seien ja kaum bestritten. Trotzdem können andere Methoden bessere Ergebnisse liefern. Ausserdem ist eine gewisse Willkürlichkeit und Fehlerhaftigkeit bei E-A Zuordnung zu den Typen festzustellen. In dieser Hinsicht ist die Clusteranalyse dem E-A Vorgehen überlegen. Die Originaldaten sprechen für eine Einteilung in fünf Welten und nicht etwa in drei. Die Clusteranalyse enthüllt im Vergleich mit E-A drei Veränderungen: • Sie unterstützt Einwände, wonach der konservative Typus als zu determenistisch betrachtet worden war. Die clusteranalytische Zweiteilung in einen europäischen Typus und in einen wirklichen konservativen Typus (FR, IT, AU) verschafft hier Abhilfe • Sie liefert starke Anhaltspunkte für einen radikalen WFS, wie dies bereits Castles & Mitchell (1993) propagiert hatten. • Auch der sozialdemokratische Typus ist kein festgefügter Block. Während sich SW, NO und DK diesem Typus einigermassen einwandfrei zuordnen lassen, sieht es für FI und NL kritischer aus: Hier sind eindeutige Zuordnungen schwieriger.
4 Institutionelle Analysen
4.1 Rentenversicherung und Altenp ege: Kern & Theobald Die Autorinnen gehen in diesem Beitrag der Frage auf den Grund, ob sich die Sozialpolitik der europäischen Staaten einander angenähert hat oder ob Unterschiede fortbestehen. Anhand der Untersuchung der Rentenversicherung und Altenbetreuung versuchen sie aufzuzeigen, wie sich die Europäisierung - als zunehmende Wichtigkeit der EU - und Globalisierung auf die Gestaltung der Wohlfahrtsstaaten auswirkt, also ob es zur Konvergenz kommt oder Pfadabhängigkeit festzustellen ist. Sie erwarten, dass die Europäisierung bei der Altenbetreuung weiter fortgeschritten ist als bei der Rentenversicherung, weil letztere schon länger besteht, in einem spezi-
Abbildung 17: Kern & Theobald schauen
fischen nationalen Kontext gewachsen und dementsprechend
sich die Konvergenz der Altenbetreuung
schwer auf transnationaler Ebene zu reformieren ist.
in Europa an... Daneben thematisieren
Zunächst werden Erklärungsansätze für die Konvergenz der
sie auch die Renten.
Sozialpolitik präsentiert. Dabei unterscheiden die Autorinnen ökonomische, demographische, sozialstrukturelle und politische Ursachen auf nationaler Ebene, einen
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bilateralen Politiktransfer zwischen einzelnen Ländern und internationale und supranationale Tendenzen im gesamteuropäischen oder zumindest im EU-Raum. Sie kommen zum Schluss, dass „die Europäisierung in der Sozialpolitik offensichtlich nicht so weit fortgeschritten wie in anderen Politikfeldern ist“ (293). In einem dritten Teil wird die Frage nach der Konvergenz systematisch zu beantworten versucht. Zuerst wird die Rentenversicherung genauer unter die Lupe genommen, wobei zwei Idealtypen unterschieden werden: das Bismarck-Modell und das Beveridge-Modell. Während ersteres v. a. in Zentralund Südeuropa beheimatet ist, lässt sich letzteres vornehmlich in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern beobachten. Obwohl beide Systeme die gleiche Zielsetzung verfolgen, nämlich die Absicherung älterer Menschen, und ungefähr zur gleichen Zeit entstanden (am Ende des 19. Jahrhunderts), sind die Strategien zur Erreichung der Ziele verschieden: im Beveridge-Modell werden die Beiträge v. a. durch Steuern finanziert - d. h. die ausgezahlten Summen werden relativ egalitär verteilt, bewegen sich aber auf tiefem Niveau -, im Bismarck-Modell durch Abgaben seitens der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, was zu uneinheitlichen Beiträgen führt, denn diese hängen hauptsächlich von der Dauer der Arbeitszeit und vom bisherigen Lohn ab. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mischten sich diese Systeme kaum, aber seither haben sie sich einander angeglichen. Dies äussert sich in der Ausbildung einer Mischfinanzierung durch Beiträge und Steuern. In der Altenbetreuung bestehen weitergehende Ähnlichkeiten zwischen den Ländern als bei der Rentenversicherung.
Abbildung 18: Kern & Theobald unterscheiden ein Bismarck-System (links) von einem Beveridge-System (rechts)
Im vierten Teil wird auf die im zweiten Teil getroffene Unterscheidung von nationalen, bilateralen und supranationalen Faktoren Bezug genommen. Auf nationaler Ebene verlor die Konkurrenz zwischen den beiden Idealtypen mit der Zeit an Bedeutung, im supranationalen Kontext fallen Programme auf, die auf eine zunehmende Koordinierung der Sozialpolitik in Europa verweisen, so dürfte die „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK) und die vermehrte Bezugnahme aufeinander in der Sozialpolitik die ohnehin schon vorhandene Konvergenz noch verstärken. Die Autorinnen kommen schliesslich zum Schluss, dass sowohl in der Rentenversicherung als auch
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in der Altenbetreuung seit der Institutionalisierung dieser Sicherungssysteme beträchtliche Konvergenz stattgefunden hat. Als Referenzpunkt dafür wird das stark diskutierte Mehr-Säulen-Modell angeführt. Nichtsdestotrotz bleiben nationale Entwicklungspfade bestehen Der Artikel bietet einen informativen Einstieg in die komplexe Thematik der sozialen Sicherung auf verschiedenen Ebenen. Insbesondere der transnationale Bezug auf EU-Ebene zeigte Aspekte auf, die bisher im Seminar kaum zur Sprache gekommen sind. Obwohl mit der Rentenversicherung und der Altenbetreuung zwei wichtige Felder der Sozialpolitik abgedeckt wurden, wäre der Einbezug eines anderen, vielleicht nicht primär auf ältere Menschen bezogenen, Sicherungssystems, wie der Arbeitslosenversicherung oder der Krankenversicherung, meiner Ansicht nach besser geeignet gewesen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzgl. Sozialpolitik herauszuarbeiten. Zudem blieb das empirische Material etwas dürftig. Es bleibt deshalb viel Raum für Anschlussfragen: Wie sieht die Tendenz bei anderen Sicherungssystemen aus? Wie gestaltet sich der Politiktransfer zwischen nichteuropäischen Ländern und Nicht-EU-Ländern? Welchen Einfluss haben globale Prozesse auf die Ausgestaltung des Transfers von Wohlfahrtsstaatsideen?
4.2 Lebenslauf-Regime: Mayer Mayers Entfaltung der Perspektive erfolgt in zwei Schritten: die Veränderungen sozioökonomischer Natur, mit denen die fortgeschrittenen Gesellschaften konfrontiert sind, ähneln sich untereinander stark und zweitens der erhöhte internationale Wettbewerb und der Verlust nationaler regulativer Macht sind dafür verantwortlich. Nach der Aufschlüsselung der globalen Transformationen in verschiedene Punkte, die die Vielschichtigkeit der Veränderungen verdeutlichen, und der Erwähnung weiterhin bestehender nationaler Differenzen, schildert der Autor die historischen Veränderungen in den Lebenslaufmodellen oder -regimes. Er unterscheidet folgende Regime: • vorindustrielles Lebenslauf-Regime • industrielles Lebenslauf-Regime • fordistisches Lebenslauf-Regime • post-industrielles bzw. post-fordistisches Lebenslauf-Regime. In einer übersichtlichen Tabelle macht er Unterschiede zwischen diesen Regimen fest. Anschliessend folgt ein Ländervergleich mit Hinblick auf die Lebenslauf-Regimes. Seine These in diesem Zusammenhang lautet, dass der Einfluss der Globalisierung und De-Industrialisierung auf die Lebensläufe je nach institutioneller Ausprägung und dominanter politischer Ökonomie im jeweiligen Land unterschiedlich ausfallen. Die untersuchten Länder sind D, USA, GB, DK, SW, IT und FR. Aus diesen bildet er vier Typen, die sich in Bezug auf typische Lebensläufe unterscheiden: liberaler Marktstaat, kontinental-konservativer WFS, skandinavisch-sozialdemokratischer WFS, südeuropäischer WFS. Anhand spezieller Ereignisse, wie Auszug von zu Hause, Eintritt ins Arbeitsleben, Pensionierung oder berufliche Veränderungen macht er die Unterschiede zwischen den Typen fest. Die Lebenslauf-Regimes
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können als Idealtypen in Bezug auf vier Dimensionen interpretiert werden: zentrale Organisationseinheit, vorherrschende zeitliche Organisation, (Un)Einheitlichkeit der Lebensläufe zwischen verschiedenen sozialen Gruppen (besonders Männern und Frauen und sozialen Klassen), wie entwickeln sich Ungleichheiten in den Kohorten über die Lebensspanne hinweg. Der Artikel zeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass die wichtigsten Informationen und Konzepte übersichtlich in den Tabellen ersichtlich sind. Deshalb bietet sich eine eher knappe Zusammenfassung an.
4.3 Arbeitsmarkt-Regime: Erhel & Zajdela In der Forschung herrscht Uneinigkeit, ob die bestehenden Unterschiede in der Ausgestaltung der WFS bestehen bleiben (Pfadabhängigkeit) oder konvergieren. Letzteres geschieht am wahrscheinlichsten hin zu einem liberalen Modell. Trotz einiger empirischer Studien ist mehr Material notwendig für eine abschliessende Beurteilung. Der Vergleich von Frankreich und GB lässt ein paar spannende Befunde zutage treten: die Konvergenz findet sich v. a. an der Schnittstelle zwischen sozialer Sicherung und Beschäftigungs- bzw. Arbeitsmarktpolitik. Die Entwicklung führt hin zu job supplyoriented policies. Diese Hypothese möchte der Artikel prüfen. Zwei Punkte sollen dabei herausgestrichen werden: 1. Es braucht eine ganzheitliche funktionale Analyse innerhalb des institutionalistischen Paradigmas, insbesondere innerhalb des Konzept der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktregime 2. Pfadabhängigkeitstheorie ist hochsignifikant für die Erklärung der nationalen Dynamiken und sollte damit berücksichtigt werden Die Autorinnen nehmen Bezug auf den institutionalistischen Begriff des labour market regime um die Eigenheiten nationaler Syteme in den OECD-Ländern zu charakterisieren. Dieser Framwork berücksichtigt nicht nur individuelle und kollektive Akteure (z. B. Firmen, Arbeiter, Gewerkschaften), sondern auch öffentliche und private Institutionen, z. B. Gesetze, Arbeitsmarktpolitik, Steuern, Lohnbeiträge etc. „Employment regimes are closely related to E-As welfare state regimes.“ So lassen sich GB und Frankreich in den 1980er klar unterscheiden, denn sie bildeten unterschiedliche Beschäftigungsregime aus. Der Gegensatz lässt sich auch mit Bismarck (FR) vs. Beveridge (GB) umschreiben. Zu Beginn der 1990er zeichnete sich GB durch die Abwesenheit von Mindestlöhnen und ein flexibles und dereguliertes Arbeitsmarktssystem aus. Eine wichtige Unterscheidung lässt sich zwischen demand oriented programmes und supply oriented programmes ziehen. Erstere setzen beim Arbeitgeber an (Job-Subventionen, Teilanstellungen im öffentlichen Sektor), letztere beim Arbeitnehmer (Weiterbildung, Training, Suchhilfe). Seit den 1980er Jahren setzt GB stark auf die angebotsorientierten Programme. In Frankreich sind frühzeitige Pension und Reduktion der Arbeitskosten wichtige Massnahmen. Glaubt man der These der Pfadabhängigkeit müssten diese Unterschiede sich in den 1990er Jahren bis in die Gegenwart perpetuieren.
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Zunächst wird das Konzept der Pfadabhängigkeit erläutert. Siehe dazu die Ausführungen von Wenzl (2007) in unserer Seminararbeit. Danach geht’s an die empirische Untersuchung: Zu Beginn der 1990er haben sowohl Frankreich als auch GB sehr hohe ALQ (über 10%). Nach 1993 sinkt die AL in GB, während sie sich in FR nicht veränderte. In GB ist die ALQ bei Frauen tiefer als bei Männern, in FR ist es umgekehrt. Ein spezielles Merkmal von Frankreichs Beschäftigungspolitik ist die Frühpension. Sie trägt zur schlechten Performance bei, so dass die ALQ bei den älteren Bevölkerungsschichten sehr hoch liegt. In diesem Bereich sind klare Pfadabhängigkeiten ersichtlich. Schliesslich sind sowohl GB als auch FR Länder mit hohen weiblichen Beschäftigungsquoten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat GB keine Regulierung der Arbeitszeit. Eine gesetzlich vorgeschriebene maximale Arbeitszeit existiert nicht. Deshalb unterscheidet sich die Verteilung der Arbeitsstunden zwischen den beiden Ländern ziemlich stark. Hier wie da sind es v. a. die Frauen, die teilzeit arbeiten, doch die Erwerbskarrieren unterscheiden sich: In GB nehmen die Frauen häufiger Babypausen als in FR und kehren danach meist als teilzeit Arbeitende in den AM zurück. Sowohl FR als auch GB haben relativ hohe Armutsquoten. In letzterem Land ist ein Abwärtstrend spürfbar, während in FR die Situation stabil scheint. Die Gründe für Armut verändern sich in FR aber über die Zeit. Mehr und mehr ist es Arbeitslosigkeit, die sich dafür verantwortlich zeigt. „France has higher unemployment and lower activity rates, while the UK ist characterized by a larger number of jobs with low working hours and low pay.“ Diese Fakten beeinflussten die Politik in den jeweiligen Ländern: In GB führte die Deregulierung zu vielen working poors mit Teilzeitstellen und schlechter Bezahlung. Deshalb wurden die Einkommenszulagen erhöht (Income Support Beneficaries). In Frankreich wird die AL v. a. der makroökonomischen Politik und den hohen Arbeitskosten zugeschrieben. Ab 1992 führte man Unterstützungszahlungen für Teilzeitler ein, ab 1993 für alle schlecht bezahlten Berufe. „This combination of a reducion in both labour costs and working time appeared to be a major feature of the French case at the beginning of the 2000s. It also confirmed the existence of some path dependency in French employment policy.“ Ende der 1990er Jahre blieben die Hauptunterschiede zwischen den beiden Ländern mit Hinblick auf ihre AM-Politik bestehen: tiefe Ausgaben in GB, tiefere Ausgaben für Jugendliche und Ausbildung in GB, keine Frühpension in GB und auch keine „recruitment subsidies“, tiefe Staatsintervention in GB. „Overall it seems that the national institutional systems in each country remained consistent with the previous decade, and thus differed clearly from another, given their different starting points.“ Zur Erklärung dieser Stabilität geben die Autorinnen verschiedene Mechanismen an, weisen aber auch auf Konvergenztendenzen hin, besonders die angebotsorientierten Massnahmen (inkl. Workfare). Die kürzlich erfolgten Reformen deuten auf teilweise Konvergenz hin: „Most of the British reforms still aim at making work pay, and thus concentrate on working incentive problems.“ Ein wichtiges Instrument stellt dabei Working Tax Credit (WTC) dar. Diese grosszügigere Regelung im Gegensatz zu früher ermutigt Vollzeitarbeit und dämmt die Anreize auf Teilzeitbeschäftigung ein. Damit will man dem working poor Phänomen Herr werden. Gleichzeitig wurde auch ein Mindestlohn eingeführt. Als nächstes wird die Frage gestellt, ob es eine Konvergenz hin zu angebotsorientierten Beschäftigungsre-
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gimen gibt. Ja, denn die Systeme erscheinen sehr nahe. Das wird an ein paar exemplarischen Punkten festgemacht: Minimumeinkommen und -lohn, ein Anreiz-ALV System, ein aktivierendes Steuersystem, das zur Jobsuche animiert (WTFC - Working Tax Family Credit), Arbeitsvermittlungsmassnahmen, die gut ausgebaut sind. Im nächsten Schritt werden die Gründe und Konsequenzen dieser Ähnlichkeiten untersucht. Hier ist das Stichwort der unemployment traps wichtig. Es wird im folgenden aufgeschlüsselt und genauer untersucht. Aus einer allgemeinen Perspektive stellt die Falle ein disincentive, also einen Missanreiz zu arbeiten dar, d. h. der Wohlfahrtssektor ist so ausgestaltet, dass es sich für bestimmte Personen nicht lohnt zu arbeiten. Beide Länder sind mehr und mehr besorgt über dieses Problem. In hoch deregulierten AM mit grossem Anteil Teilzeitstellen und tiefen Löhnen (+ kein Mindestlohn, wie es in GB vorher der Fall war) ist das Risiko solcher Fallen schnell ziemlich hoch. Obwohl auch FR diesem Risiko ausgesetzt ist, unterscheiden sich die Gründe. Beide Länder ergreifen jedoch ähnliche Massnahmen, um das Problem zu lösen. In GB sind das die New Labour Politiken (dritter Weg). Ganz ähnlich in FR: Hier wurde das RMI unter strengere Bedingungen gestellt, um die finanziellen Anreize des Arbeitens zu erhöhen. Aus RMI wurde RMA (Revenu Minimum D’Activite). Dabei findet ein stärkerer Kontrollprozess auf Arbeitsfähigkeit statt und Arbeitgeber, die ehemalige RMI-Bezüger anstellen werden subventioniert.
Abbildung 19: Achtung Falle! Unemployment traps... sind gefährlich.
Aber: „the main policy innovation in the UK was the minimum wage, while in France it was the principle of a negative income tax.“ Die Probleme und Konsequenzen, die sich weiterhin und auch in Zukunft ergeben: Armut trotz Mindestlohn, das welfare-to-work Modell widerspricht dem Versicherungsprinzip Frankreichs, „insurance-based continental models tend to raise levels of assistance in the second, they made assistance conditional on work or job search, as in the liberal model.“ Die politischen Massnahmen haben also zu wirklichen wohlfahrtsstaatlichen Veränderungen geführt, sind also nicht bloss kurzzeitige Anpassungen. Dieser Trend (der Konvergenz) widerspricht der Hypothese der Pfadabhängigkeit. Die Gründe für die Veränderungen und die Konvergenz sind ähnlich wie im Artikel von Kern und Theobald (2004) dargelegt: EU, ähnliche Zwänge, Globalisierung , Idee, OECD...
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5 Soziale Sicherung in der Schweiz
5.1 Wicki Wicki beschreibt in diesem Beitrag die Entwicklung und Struktur der sozialen Sicherungssysteme in der Schweiz. Zuerst geht er auf die spezielle Ausgestaltung ein, über die der schweizerische Sozialstaat im internationalen Vergleich verfügt. Zu nennen sind hier insbesondere die relativ späte Entwicklung des Sozialversicherungssystems sowie der ausgeprägte Föderalismus, der sich im fragmentierten Beitragssystem äussert. Anhaltspunkte für diese Sonderstellung der Schweiz liegen in den sozialstrukturellen und politischen Eigenheiten des Landes, u. a. der Referendumsdemokratie, durch die das Volk die Sozialpolitik auf verschiedenen Ebenen in bestimmte Bahnen lenken kann, der kleinbetrieblichen Struktur der Wirtschaft, der geringen Arbeitslosigkeit, den konfliktarmen Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die sich in der geringen Anzahl von Arbeitskämpfen (z. B. Streiks) zeigen, sowie der ungleichen Einkommensverteilung bei allgemein hohem Lebensstandard. Historisch gesehen war die Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt in der Schweiz lange Zeit Sache der Kantone und Gemeinden. Erst ein knappes halbes Jahrhundert nach Gründung des Bundesstaats (1848) wurden in der vom Freisinn dominierten Politik erste Grundlagen zur Einrichtung bundesstaatlicher Sicherungssysteme geschaffen. Bis diese in Kraft traten, sollte es aber noch längere Zeit dauern: 1901 wurde die Militärhaftpflicht eingeführt, 1912 die Krankenversicherung und 1918 die Unfallversicherung. Erst 30 Jahre später kamen mit der AHV (1948) und - wenig später - dem Erwerbsersatz sowie der Arbeitslosenversicherung die nächsten Absicherungen hinzu. Wicki (S. 256) bezeichnet die Schweiz als „verspäteten Sozialstaat, der vor allem in den letzten fünfzig Jahren entwickelt worden ist und dabei die vorhandenen Strukturen nach dem Prinzip der Subsidiarität in ein nationales Sicherungssystem einbaute“. Nichtsdestotrotz weist das schweizerische System in gewissen Bereichen europäischen Pioniercharakter auf und ist mit Sozialausgaben von ca. 21% des BIP im internationalen Mittelfeld. Die auf dem Drei-Säulen-Prinzip beruhende AHV (und auch die IV) wird oft als genuin schweizerische sozialpolitische Lösung mit Vorbildcharakter angeführt. Bei der strukturellen Beschreibung der sozialen Sicherung der Schweiz unterscheidet Wicki sechs Zweige und geht näher auf sie ein: Krankheit und Unfall, Alterssicherung, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Mutterschaftsschutz und Familienzulagen sowie Sozialhilfe. Während die Alterssicherung, die Sozialhilfe - obwohl kantonal oder auf Gemeindeebene geregelt - und die IV solid ausgestaltet sind, besteht beim Mutterschaftsschutz noch Potential zur Verbesserung, da dieser nur wenig flexible Lösungen für erwerbstätige Mütter anbietet. Wickis Darstellung des sozialen Sicherungssystems der Schweiz ist sehr informativ, aber bisweilen etwas zu faktenzentriert. Obwohl die Beschreibung inhaltlich fundiert und sprachlich kohärent daherkommt, fehlt mir die vergleichende und normative Perspektive ein wenig. So wird die Sonderrolle der Schweiz im europäischen Vergleich nur am Anfang kurz erwähnt und nicht systematisch behandelt. Eine Bezugnahme zu Esping-Andersens Regimetypologie hätte sich angeboten um die Eigenheiten der schweizerischen Sozialpolitik besser herauszuarbeiten. Während die historische Entwicklung und Struktur der Sicherung genau und auch in Bezug auf verschiedene Bevölkerungsgruppen aufge-
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zeigt werden, bleibt ein Defizit bei der Verknüpfung der beiden Elemente und somit bleiben ein paar offene Fragen: Wie war die Bevölkerung den jeweiligen sozialpolitischen Massnahmen gegenüber eingestellt und wie äusserte sich das in den Abstimmungen? Welche Rolle spielte die Ausgestaltung der Sozialstruktur genau bei der Anpassung der Sicherungssysteme zu verschiedenen Zeitpunkten? Hatten z. B. die Arbeiterimmigration in den Nachkriegsjahren und die Frauenbewegung - mit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 - einen Einfluss auf sozialpolitische Belange und wie sahen diese Interdependenzen aus? Orientierte man sich an schon bestehenden Lösungen (aus dem Ausland) und wie gestaltete sich die Umsetzung der Massnahmen? Schliesslich hätte bei der Frage der Finanzierung der einzelnen Zweige eine Tabelle oder schematische Darstellung den Überblick erleichtert und den ansonsten sehr gelungenen Text abgerundet.
5.2 Häusermann & Walter Die Entwicklung des WFS in den letzten Jahrzehnten wird von manchen als Ausdruck des Konflikts zwischen Arbeiterschicht oder -klasse und der etablierten Klasse gesehen. Traditionellerweise sind die Arbeiter gegenüber Umverteilung positiver eingestellt als die besser Verdienenden. Gelten diese klaren Zuordnungen auch für den post-industriellen Arbeitsmarkt? Durch die Fragmentierung und Flexbilisierung des AM könnten sich die Berufsgruppen in ihrer Einstellung unterscheiden. Unter diesen Bedingungen - Postindustralismus, konservativer WFS, offene Wirtschaft - erwarten die Autorinnen eine Heterogenisierung der Einstellungen und Präferenzen gegenüber Sozialversicherung und Umverteilung („giving rise to new conflict lines“). „The goal of this contribution is to examine a) whether these conflict lines surface in the Swiss case, and b) to what extent they may restructure party political conflict patterns on welfare state issues.“ Im Gegensatz zum industriellen WFS, wie er für die Nachkriegsjahrzehnte charakteristisch war, haben sich die Verhältnisse in den letzten Jahren gewandelt: Übergang von einer industriellen zu einer post-industriellen Wirtschaft (Tertiarisierung), untypische Arbeitsverhältnisse, Teilzeit, Erhöhung der weiblichen Erwerbsquote, neue soziale Risiken mit Aufteilung in Insider und Outsider. Im
Abbildung 20: Silja Häusermann von der Uni
Gegensatz zu den Tiefgebildeten haben die Hochgebil-
Zürich (YESSSSS!) hat diesen Artikel geschrie-
deten eher eine Präferenz für Sozialversicherung als für egalitäre Umverteilung. Zwei Hypothesen lassen sich generieren:
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ben.
H1: Insider-Outsider Konflikt in Bezug auf die Einstellungen zu Sozialversicherung und Umverteilung H2: Ausbildungskonflikt in Bezug auf die Einstellungen zu Umverteilung NICHT ABER SV. Besser gestellte Arbeiter favorisieren SV gegenüber Umverteilung, weil sie ihre Fähigkeiten absichern und ihre Privilegien verteidigen möchten. H3 betrifft den Sektor der Anstellung: öffentlich vs. privat. Es wird lediglich ein Einfluss postuliert, nicht jedoch die genaue Richtung. „In sum, attitudes on social welfare should become increasingly structured according to skills, labormarket status and sector of employment.“ Drei Gründe sprechen dafür, wieso diese Einflüsse speziell in der Schweiz wichtig sind: • post-industrialisierter Arbeitsmarkt • konservativer WFS • offene Wirtschaft Die Datenbasis bildet der World Value Survey der Wellen 1996 und 2007. Die meisten Studien differenzieren nicht zwischen Einstellungen zu Umverteilung und SV. Oft wird bei der Frage nach Einkommensungleichheit einfach gefragt, ob man mehr oder weniger Wohlfahrt bevorzuge. Häusermann bildet je einen Index für SV und Umverteilung. Der Umverteilungsindex wird aus zwei Fragen erstellt: beide drehen sich um die EK-Verteilung („Einkommen sollten gleicher gemacht werden vs. wir brauchen mehr EK-Ungleichheit als Leistungsanreiz“). Der SV-Index bildet sich aufgrund von V118, die auf einer Zehnpunktskala fragt, ob der Staat mehr zur Absicherung tun sollte oder jeder für sich selbst sorgen sollte. Die Operationalisierung der u. V. ist im Text dokumentiert. Im Resultatteil stellt die Autorin zunächst fest, dass Einkommen ein wichtiger Prädiktor für Umverteilung ist. Wer viel hat, will tendenziell weniger Umverteilung. Hinzu kommt eine neue Konfliktlinie, die durch den Gegensatz von Insidern und Outsidern geprägt ist. Die erste Hypothese bestätigt sich also in Hinblick auf Umverteilung. Wichtig: über die Zeit ist sogar eine Zunahme des Effekts festzustellen, so dass die neue Konfliktlinie an Relevanz gewinnt. Ausbildungsniveau zeigt in die gleiche Richtung wie Einkommen in Hinblick auf Umverteilung. Gut Gebildete wollen weniger Umverteilung als schlecht Gebildete. Allerdings ist der Effekt nicht signifikant. Angestellte im öffentlichen Sektor sind Umverteilung gegenüber positiver eingestellt als solche im privaten Bereich. Was die Einstellungen gegenüber SV anbelangt, so hat das Einkommen den gleichen Einfluss wie zuvor. Es wirkt sich negativ aus. Der Insider-Outsider Status hat keinen Einfluss auf die Einschätzung der Sozialpolitik. Meinungen nur zur Umverteilung sind also ungenügend um die Wirkungen von WFS zu messen. In Bezug auf H2 (Skill-Level) widersprechen die Resultate den Erwartungen. Keineswegs favorisieren Hochqualifizierte die Sozialversicherung im Gegensatz zu Tiefqualifizierten. Im Gegenteil der Effekt fällt negativ, wenn auch nicht sehr stark aus (schwächer als in Bezug auf Umverteilung). Sektor spielt keine Rolle mit Hinblick auf SV.
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Bei der Umverteilung ist das Insider-Outsider Cleavage das wichtigste Resultat, bei SV dagegen das komplexe Bild, bei dem nur das Einkommen einen eindeutig gerichteten Einfluss aufweist. Linke Parteien sind eher mit Outsider-Status verknüpft. SVP und FDP können mehr Insider mobilisieren. Gut Ausgebildete sind speziell bei den Grünen und bei der FDP beheimatet. Insgesamt repräsentieren die Linksparteien ein mittelmässiges bis gut gebildetes Bevölkerungsniveau. Das Einkommen zeigt kein klares Bild. Tiefe Schichten sind eher bei der SVP und bei den linken Parteien, wobei letztere über die Zeit hinweg in der Einkommenstärke ihrer Wähler erlebt haben. Die SVP hat sich was Umverteilung angeht drastisch nach rechts bewegt (von viel Umverteilung zu wenig Umverteilung). Dagegen ist die SVP klar negativ (und über die Zeit hinweg relativ konstant) gegenüber SV eingestellt.
Abbildung 21: Wie sind die Schweizer gegenüber Umverteilung und Sozialversicherung eingestllt? Dieser Frage geht der Artikel von Häusermann (siehe Abbildung 20) und Walter (siehe Abbildung 21, d. h. ca. 0.5 cm weiter oben) nach.
6 Wohlfahrtsstaatliche Folgen und Leistungen
6.1 Kohl: Wohlfahrtsstaatliche Regimetypen im Vergleich Für die folgende Untersuchung wird der Index der Dekommodifizierung verwendet, d. h. die Zuordnung aufgrund dieser Dimension. Dabei werden dei angelsächsischen Länder dem liberalen Typus zugeordnet, die skandinavischen (inkl. DK, aber ohne FI) sowie NL, BE und AU dem sozialdemokratischen und die restlichen Länder (DE, FR, SP, CH, JP, FI) dem konservativen. Die Forschungsfrage lautet: Unterscheiden sich die Regimetypen auch hinsichtlich ihrer Leistungen, d. h. ihrer Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft? Die wirtschaftspolitischen Ziele werden durch das Wirtschaftswachstum (GDP pro Kopf Wachstum), die Preisstabilität (Inflationsrate) und die Vollbeschäftigung (ALQ) gemessen, die sozialpolitischen durch die Einkommensungleichheit (Gini) und die Armutsquoten (40%, 50% und 60% des durchschnittlichen Einkommens). Für letzere Dimensionen siehe auch den Aufsatz von Vogel. Anschliessend geht Kohl kurz auf die Diskussion in der sozialpolitischen Forschung ein. Manche behaupten
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der sozialdemokratische WFS sei der beste, andere halten liberal für überlegen, weil am kompetitivsten. Wie gut ist konservativ? Diese Fragen sollen beantwortet werden - und zwar aufgrund von Daten auf Zeitreihenbasis (1983-1994), die ihrerseits gemittelt werden. Zuerst schaut sich Kohl an, ob sich die Regimetypen in den Staats- und in den Sozialausgaben widerspiegeln. Das tun sie. Die Staatsausgaben sind in den sozialdemokratischen Typen am höchsten (über 50%) und in den liberalen Ländern am tiefsten. In den konserativen Ländern liegen sie in der Mitte, allerdings mit der grössten Streuung (JP und CH sehr tief, FI, DE und FR eher hoch). „Sowohl beim sozialdemokratischen als auch beim konservativen Regimetyp entfallen die Hälfte der Staatsausgaben auf die Sozialausgaben - beim liberalen Modell sind es nur 40%.“ (C. H.) Was das Wirtschaftswachstum angeht, sind keine Typeneffekten zu verzeichnen. Das Wirtschaftswachstum ist in keinem der Typen besonders hoch oder tief. Eher sorgen länderspezifische Bedingungen (JP, NO, IR) für Wachstum. Die Konjunktur wirkt sich - überraschenderweise - in allen Typen aus. Auch bei der Preisstabilität gilt das fürs Wirtschaftswachstum Gesagte. Somit können wir in-
Abbildung 22: Jürgen Kohls Beitrag zur Wohlfahrtsstaatsforschung ist ein bedeutender. Er zeigt, wie die unterschiedlichen Regime unter-
nehalten und zusammenfassen: die Typen variieren we- schiedlich gut performen bezüglich sozialrelenig nach wirtschaftspolitischen (Erfolgs)Zahlen. „Was vanten Themenbereichen, z. B. Frauenfrage und die Höhe der Inflationsraten betrifft, ist also ein deut-
Wohlfahrtsstaat (siehe Bild), wirtschaftspoliti-
licher Trend zur Konvergenz auf niedrigerem Niveau
scher Erfolg und sozialpolitische Gerechtigkeit.
festzustellen.“ Entgegen der Erwartung weisen die sozialdemokratischen Länder die niedrigsten ALQ auf, die liberalen dagegen die höchsten. Aber auch hier gilt es die grossen regimeinternen Varianzen zu beachten. Was die sozialpolitischen Indikatoren angeht, ist das Bild eindeutiger: Der Gini-Koeffizient liegt in den sozialdemokratischen Ländern am tiefsten, in den liberalen am höchsten und in den konservativen im Mittelfeld. Tendenziell hat die EK-Ungleichheit in den meisten Ländern seit den 1980er Jahren zugenommen. Genau das gleiche Bild erhalten wir für die Armut (siehe dazu auch die Zusammenfassung zu Vogel). „Es gibt kein Lande aus dem liberalen Cluster, das in der Armuts-bekämpfung besser abschneidet als irgendein Land aus dem sozialdemokratischen Cluster. Für den konservativen Regimetyp liegen Armutsquoten nur für wenige Länder vor; sie liegen auf einem mittleren Niveau.“ Es würde wenig brauchen die 50% Armut aufzuheben. Ein zusätzlicher Sozialaufwand von 1% würde genügen.
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6.2 Vogel: Der europäische Welfare-Mix Die wichtigsten Herausforderungen des WFS sind: struktureller Wandel, Globalisierung und globaler Wettbewerb, regionale AM, demographischer Wandel und europäische Integration. „Sinkende Beschäftigung, mehr Dienstleistungsarbeit und flexibilisierte Arbeitsverträge fordern den WFS heraus.“ Es lassen sich verschiedene Bereiche der Sozialpolitik unterscheiden (Abb. 1.3, Seite 35): die erste wichtigste Unterscheidung ist die zwischen staatlicher und betriebliche SP. Die staatliche SP lässt sich weiterhin aufdröseln in arbeitsweltorientierte, gruppenorientierte, sonstige und ändere sozialpolitisch besonders relevante Politikbereiche (Wettbewerbspolitik, Verbraucherpolitik, Umweltschutzpolitik). Der arbeitsweltorientierte Bereich ist sicherlich der wichtigste. Darunter fallen AN-Schutz, alle Sozialversicherungen, AM-Politik und Betriebsverfassungs- und Unternehmensverfassungspolitik.
Abbildung 23: Vogels Typologie von Sozialpolitik
Zu den gruppenorientierten Bereichen gehören Jugendpolitik, Altenhilfenpolitik, Familienpolitik, Mittelstandspolitik und Sozialhilfepolitik, zu den sonstigen Bereichen: Wohnungs-, Bildungs- und Vermögenspolitik. Zu den Zielen und Daten des Papers ein paar Worte: Ziel ist es die Frage der Ungleichheit nach dem Welfare-Mix zu erklären, d. h. „Kann das Niveau und die Struktur der Ungleichheit in den Mitglieds-staaten durch den welfare mix erklärt werden [...]?“ Da Schweden ein besonders interessanter Fall ist, wird ihm ein eigenes Kapitel eingeräumt. Es geht also einerseits um die komparative Perspektive (14 EU-Länder im Vergleich) und um den Längsschnitt (SW). Als Datengrundlage dienen Sozialberichte, einerseits ein europäischer, andererseits der schwedische. EUROSTAT liefert die europäischen Daten. Zunächst werden im Unterkapitel „Wohlfahrtsstaatsregime“ die Typen der E-A Anderschen Regimetyologie erläutert und in ihrer Operationalisierung beschrieben (Dimensionen, Zuteilungen etc.). „Die grundlegende Idee von WFS Regimen ist als Variation in der Verteilugn materieller Lebensbedingungen oder in Effekten der Dekommodifizierung zu sehen, in Form von EK-Ungleichheit, Armut
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und soziale Ausgrenzung im weitesten Sinn.“ Jedes Regime hängt mit bestimmten Cleavages zusammen: das liberale mit Klassencleavages, das konservative mit Insidern und Outsidern (siehe Häusermann) und das sozialdemokratische mit Geschlechts- und Generation-cleavages. Dann kommt das Arena-Konzept zur Sprache. Arenen sind soziale und ökonomische Umwelten, in denen Ressourcen investiert und produziert werden. Die wichtigste Arena ist der AM. Auch Beschäftigungsregime sind ein hilfreiches theoretisches und empirisches Konzept. Unterscheiden lassen sich ein nordisches, ein angelsächsisches und ein kontinentales Modell. Zudem müssen Geschlechtsregime genannt werden, wie sie z. B. von Lewis (1992) untersucht wurden. Hier ist sicherlich die Unterscheidung von starken und schwachen Geldverdienerstaaten wichtig zu nennen. Nun zu den eher empirisch operationalen Abschnitten. Die Arbeitsmarktmobilisierung wird mit der Quote der Inaktiven im Verhältnis zu den Aktiven im Alter von 16-84 gemessen. Je tiefer die Quote, desto besser. Schweden hat die tiefste Quote, IT, SP und GB die höchsten (mit über 100, d. h. einem Verhältnis von grösser 1:1 Inaktive zu Aktive). SW ist
Abbildung 24: Laut Vogel zeichnen sich die nörd-
auch beim Index der weiblichen Beschäftigung (mit
lichen WFS durch eine grössere soziale Gleichheit
5 Indikatoren) der Spitzenreiter. Negative (standardisierte) Werte haben L, IR, IT, SP, GR und NL. Auch bei den Arbeitslosigkeitsrisiken ist Schweden (negativ) führend. In SP und IT ist das AL Risiko am höchs-
bezüglich Geschlecht und Klasse aus, die südlichen dagegen haben bessere Vermeidung der Ungleichheit in der Jugend und im hohen Alter. Die Abbildung hat absolut nix mit dem Thema zu tun, sieht aber zumindest schön aus ;-)
ten (Index mit 4 Indikatoren: AL total, LZ AL, Frauen AL und Jugend AL). Bei Schweden fand allerdings in den 1990er ein Anstieg der AL statt. „Mit anderen Worten, Schweden war plötzlich einer Verschiebung des WF Mixes ausgesetzt: Die Verantwortung verschob sich vom AM auf den WFS.“ Die Familie stellt nicht-materielle Wohlfahrtserträge zur Verfügung, teilweise aber auch materielle. „Der allmähliche Niedergang der Familie geht Hand in Hand mit der Entwicklung des WFS.“ Familie und WFS sind negativ korreliert. Wo traditionelle Familienarrangements vorherrschen ist der WFS schwach ausgeprägt. Wiederum wird ein Index mit 5 Indikatoren gebildet (HH Grösse, % alleinstehende Erwachsene im Alter 30-64, Erwachsene in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft, Erwachsene unter 30 bei den Eltern, Erwachsene in einer erweiterten 3-Generationen Familie). Erwartungsgemäss ist wieder vorne und SP, IT und PO hinten. Wie die Zusammenfassung der Ergebnisse zeigt, clustern die Länder ziemlich klar nach der E-A Regimetypologie, was den Welfare-Mix angeht.
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7 Schluss und Synthese Man sagt ja immer, am Schluss solle man wieder an den Anfang zurück. Das geschieht hier: Darum noch ein paar Worte zum Titelblatt. Der Typ, den man dort sieht, ist Gösta Esping-Andersen höchstpersönlich. Er hat mit seiner Regimetypologie diese Zusammenfassung überhaupt erst möglich gemacht. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken und ihm diese Zeilen widmen. Ausserdem schulde ich zigmilliarden von anonymen Reviewern meinen Dank. Ohne sie wäre diese Zusammenstellung zweifellos genau gleich herausgekommen - und das ist doch geil.
Abbildung 25: Regimetypologien sorgen für Übersicht und Gehalt. Nicht nur Regimetypologien schaffen das, sondern auch Bilder (siehe oben).
Vielleicht noch ein paar schöne Zitate zum Schluss: „If I were a dog and you a man I’d throw a stick for you.“ „I’m told the eventual downfall is just a bill from a restaurant.“ „We don’t think we’re special, Sir, we know everybody is.“ „When summer gets along your hair gets too long.“ „Bis auf weiteres ist jedoch damit zu rechnen, dass die nationale Ebene auch innerhalb Europas weiterhin die entscheidende sozialpolitische Arena bildet.“ „I have read the right books to interpret your looks / You were knocking me down with the palm of your eye... Go Na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na na.“ „Cats walks around New York with two fillings / One is in their mouth / The other is the killing.“ Aber ich sehe, ich muss aufhören, denn die Seite geht langsam zu Ende und überziehen möchte ich nicht.
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Anhang
.1 Alternativtypologien zu Esping-Andersens drei Welten (Arts & Gelissen 2002)
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