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Die Presse Unabhängige Tageszeitung für Österreich Wien, am 02.01.2021, 312x/Jahr, Seite: 12 Druckauflage: 73 927, Größe: 60,19%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 13315953, SB: Paznaun
Vorarlberg. Je mehr Lifte, desto besser ist das Skigebiet. Die alte Touristikerweisheit wird im Montafon widerlegt. Die Bielerhöhe hat nur einen Schlepplift und ist in Coronazeiten mehr denn je ein Geheimtipp. VON GEORG WEINDL
W
as für eine umständliche und beschwerliche Anreise, und dann ist da oben offensichtlich fast nichts, und auch fast gar nichts los. Zuerst schwebt die Seilbahn von Partenen gute 700 Höhenmeter hinauf bis auf 1700 Meter. Dann sitzen die paar Passagiere in schmalen Bussen, die recht schneidig durch dunkle und enge Stollen sausen, wo die Felswände oft nur wenige Zentimeter von den Fensterscheiben entfernt vorbeihuschen. Wieder an der Sonne warten noch etliche Serpentinen nach dem Vermuntsee bis zur Endstation auf 2032 Metern Höhe. In Nicht-Lockdown-Zeiten würde nun das Gepäck ausgeladen und käme der finale Spaziergang ein paar Meter bergauf zum Quartier. Das hat man – vor dem Pandemie-Jahr – gern gemacht, um ein paar Tage seine Ruhe zu haben. Die Bielerhöhe ganz hinten im Montafon ist der Jekyll & Hyde des österreichischen Bergtourismus. Im Sommer ist die Silvretta-Hochalpenstraße, die das Montafon mit dem Paznaun verbindet, frequentiert wie eine zweite GroßglocknerStrecke, ziehen Autos und Motorräder an sonnigen Tagen kolonnenartig hinauf auf die Passhöhe auf 2037 Metern, dazwischen strampeln noch ein paar mutige Radler. Im Winter ist die Strecke geschlossen, mutiert die Gegend um den Silvretta-Stausee zu einem Refugium winterlicher Naturliebhaber, die zu den wenigen gehören, die wissen, wie man hinaufkommt. Die Bielerhöhe ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eines der kleinsten Skigebiete in den Alpen. Bei einem Schlepplift und zwei Kilometern Piste ist weniger eigentlich nicht mehr möglich. Mehr braucht es auch nicht, sagt eine Skifahrerin, die schon Hunderte Male hier gewesen ist. „Unsere Kinder haben hier alle Ski fahren gelernt“, erklärt sie stolz.
Klassiker für Tourengeher Auf der Bielerhöhe ist ein einfaches Leben angesagt. Wer hier oben landet, muss keine komplizierten Entscheidungsprozesse hinter sich bringen. Es gibt – für die Zeit nach dem harten Lockdown – nur zwei Hotels und ein Berggasthaus, eine Piste, 21 Loipenkilometer und ansonsten viel Natur. Die Gipfel rund um die Passhöhe liegen knapp unter oder über der 3000er-Marke. Ganz hinten im Süden erkennt man den Piz Buin, mit 3312 Metern der höchste Berg im Vorarlberg und die Attraktion schlechthin in dieser einsamen Welt aus Eis und Schnee. Eine exzellente Gegend für Skitouren, das sorgt auch dafür, dass an Wochenenden etliche Tagesgäste hier unterwegs sind, die aber bald von der Passhöhe verschwinden und zumeist in Richtung Süden über den zugefrorenen See zur Wiesbadener Hütte und weiter zum Piz Buin aufsteigen. Eben der Klassiker für Tourengeher. Die sanftere
Bielerhöhe: Wenig kann ganz schön viel sein
Das Silvretta-Haus zitiert die Moderne in den Alpen: Pultdach, Bruchsteinsockel, schlichte halbrunde Form: Für den Bau von [ Illwerke] Much Untertrifaller sen. und jun. mit Gerhard Hörburger gab es in den 1990ern einige Architekturpreise.
Alternative wären Schneeschuhtouren rund um den Stausee, zum Vermuntsee oder hinunter nach Galtür mit 450 Höhenmetern, was sich auch mit Langlaufski machen lässt. Man kann hier im Prinzip alles erleben wie in normalen Skigebieten. Nur ist es eben ein wenig anders und vor allem viel ruhiger. Das hat in Coronazeiten seine be-
sondere Qualität. Der Schlepplift ist in Zeiten von Seilbahnen mit Porsche- und Pininfarina-Design, WLAN und beheizten Ledersitzen ein musealer Anachronismus, nunmehr aber in Sachen Corona unverdächtig und damit wieder begehrenswert. Das gilt auch für die Art und Weise, wie sich die Gäste hier in die eisige Winterwelt
einfügen, wie sie sich damit zurechtfinden, dass es genügt, da zu sein, und man nichts inszenieren oder arrangieren muss. Wer hier zu Fuß oder mit Schneeschuhen die Umgebung erwandert, ist weitgehend allein unterwegs. Das gilt für die Tourengeher genauso wie für die Spaziergänger, die sich mit kurzen Ausflügen über den See
oder zum Madlenerhaus begnügen. Das alte Berggasthaus errang dank Ernest Hemingway eine gewisse Berühmtheit, weil dieser im Winter 1925/1926 hier öfters mit Skiern unterwegs war und Station machte, später in der Kurzgeschichte „Schnee auf dem Kilimandscharo“ davon schwärmte, dass Skifahren schöner als Fliegen sei. Vor dem Madlenerhaus sitzt ein pensionierter Bankmanager in der Sonne und erzählt davon, dass er seit 40 Jahren im Winter hier logiere – eigentlich. Und hofft, mehrere Wochen auf seiner geliebten Bielerhöhe bleiben zu können, sobald das wieder möglich ist. Sitzen und schauen Der Winter auf der Bielerhöhe hat eine treue und offensichtlich auch umfangreiche Fangemeinde. „Wir haben hier gut 90 Prozent Stammgäste im Winter“, verrät Mirko Mijovic, der das Silvrettahaus oben an der Passhöhe leitet. Das Dreisternehaus ist mit seiner geschwungenen Form der auffälligste der drei Gastbetriebe auf der Bielerhöhe. Das Interieur ist schlicht und klassisch reduziert. Der Blick über den See in Richtung Piz Buin gehört wie die betont regionale Küche zu den besonderen Qualitäten des Hauses, das im Besitz des Energieversorgers Illwerke ist. Das spezielle Lebensgefühl auf der Bielerhöhe erklärt sich auch, wenn man schaut, was hier die Gäste im Normalfall so machen: einfach nur auf der Terrasse sitzen an sonnigen Wintertagen und abgesehen von Mittagessen, Kaffee und Kuchen weitgehend nichts tun. Einfach nur sitzen und den Ort spüren: die Natur ist im Mittelpunkt, man selbst weit weg wie auf einem tief verschneiten Planeten, wo es keine Autos, keine Supermärkte und schon gar kein Après-Ski gibt. In der Ferne auf dem Eis des Stausees bewegen sich Langläufer, Tourengeher und Spaziergänger wie winzige Käfer. Die einzige Abwechslung ist die Ankunft und Abfahrt des Busses, der die Passagiere von der Seilbahn abliefert und andere wieder mitnimmt. Da sind auch einige dabei, die sich das skifahrerische Highlight auf der Bielerhöhe gönnen. Die Silvretta-Skisafari ist eine Rundtour für ein paar Stunden, die sich auch auf einen ganzen Tag ausweiten lässt. Offiziell startet sie unten in Partenen, führt dann aber mit der Vermuntbahn und dem Bus bis zur Bielerhöhe, wo man sie ebenfalls beginnen kann. Dann folgt eine acht Kilometer lange Abfahrt mit Skiern hinunter nach Galtür, wo dann Zeit für die Skipisten bleibt. Anschließend zieht die Pistenraupe die Skifahrer am Seil von Galtür hinauf zum Zeinisjoch, wo dann die abschließende Abfahrt über Ganifer hinunter nach Partenen und zur Talstation der Vermuntbahn wartet. Bei der Rückkehr auf dem Berg wird einem bald bewusst: An ein Leben ohne Autoverkehr, Staus und Menschenschlangen gewöhnt man sich hier oben sehr schnell.
STILLE SEITE DER SILVRETTA
Sitzen und schauen, was sich tut: die Ankunft des Busses, die Aufstiegsspuren, das Rattern des Schlepplifts.
[ Weindl, Montafon Tourismus ]
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Skitouren, Schneeschuhwandern, Schleppliftfahren auf der Bielerhöhe: Vermuntbahn und Tunnelbusse in Betrieb. Mehr zu aktuellen Sicherheitsmaßnahmen: vwww.silvretta-bielerhoehe.at, www.montafon.at Anreise: Mit dem Auto bis zur Ausfahrt Bludenz-Montafon und weiter auf der Bundesstraße 188 bis Partenen. Rechts an der Straße ist der Parkplatz der Vermuntbahn. Übernachten (ab 18. 1.): Silvrettahaus: Drei-Sterne-Hotel, Anfahrt mit dem Shuttlebus, www.silvretta-bielerhoehe.at Berggasthof Piz Buin, www.buin.at Madlenerhaus, www.madlenerhaussilvretta.com
Vorarlberg Tirol Bielerhöhe Silvretta-Stausee
Piz Buin
SCHWEIZ
5 km
Grafik: „Die Presse“ · GK
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