Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums _____________________________________________ Ein städtebauliches Konzept für Aachen Nord
Bachelorarbeit von Sven Kohlschmidt Prüfer/-in Dipl.-Ing. Päivi Kataikko-Grigoleit Dr.-Ing. Mehdi Vazifedoost Technische Universität Dortmund Fakultät Raumplanung
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Titelblatt: Eigene Darstellung
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums Ein städtebauliches Konzept für Aachen Nord
Bachelorarbeit am Fachgebiet Städtebau der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund
Verfasst von:
Sven Kohlschmidt
Matrikelnummer:
159185
Semester:
Wintersemester 2016/17
Erstgutachterin:
Dipl.-Ing. Päivi Kataikko-Grigoleit
Zweitgutachter:
Dr.-Ing. Mehdi Vazifedoost
Eingereicht am:
21.02.2017
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................... ii Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. iv Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. v 1
Einleitung .......................................................................................................... 2 1.1 Anlass und Problemstellung ............................................................................................. 3 1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage ..................................................................................... 3
1.3
Aufbau der Arbeit und Methodik .................................................................................. 4
2
Geschichtlicher Hintergrund .............................................................................. 8
3
Mensch, Stadtraum und Planung ..................................................................... 12 3.1 Die menschliche Wahrnehmung und Stadt ................................................................... 12 3.2 Aktivitäten in der Stadt und im öffentlichen Raum ....................................................... 14 3.3 Stadtplanung und das menschliche Maß ....................................................................... 16
4
Die Lebenswerte Stadt ..................................................................................... 20 4.1 Der Begriff lebenswerte Stadt ........................................................................................ 20
4.2 Die lebenswerte Stadt – ein neues Leitbild.................................................................... 21 4.3 Eigenschaften der lebenswerten Stadt .......................................................................... 22
5
Der öffentliche Raum ....................................................................................... 28 5.1 Anforderungen an den öffentlichen Raum .................................................................... 28 5.2 Funktionen des öffentlichen Raums .............................................................................. 29 5.3 Elemente des öffentlichen Raums ................................................................................. 30 5.3.1
Straßen ................................................................................................................ 31
5.3.2
Plätze ................................................................................................................... 32
5.3.3
Parks .................................................................................................................... 32
5.4 Gestaltung des öffentlichen Raums ............................................................................... 33
6
Analyse in Aachen ........................................................................................... 38 6.1 Analyse auf Stadtebene ................................................................................................. 39 6.2 Analyse auf Stadtteilebene ............................................................................................ 39 6.3 Analyse auf Quartiersebene ........................................................................................... 40
ii
6.3.1
Nutzungsanalyse ................................................................................................. 41
6.3.2
Verkehrsanalyse .................................................................................................. 43
6.3.3
Städtebaulich-gestalterische Analyse ................................................................. 46
Inhaltsverzeichnis
7
Konzept fĂźr Aachen ......................................................................................... 50 7.1 Leitbild ............................................................................................................................ 50 7.2 Themenkonzepte ........................................................................................................... 50 7.2.1
Nutzungskonzept................................................................................................. 51
7.2.2
Verkehrskonzept ................................................................................................. 53
7.2.3
Gestaltungskonzept............................................................................................. 56
7.3 Gesamtkonzept .............................................................................................................. 58
8
7.3.1
Perspektiven ........................................................................................................ 58
7.3.2
Gestaltungsplan................................................................................................... 61
Fazit ................................................................................................................ 68
Quellenverzeichnis .................................................................................................... I Literaturquellen.......................................................................................................................... I Internetquellen ........................................................................................................................ III Rechtsquellen ........................................................................................................................... IV Kartengrundlage ....................................................................................................................... IV
iii
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Forschungsdesign.............................................................................................................. 5 Abb. 2: Straßenraum in der autogerechten Stadt......................................................................... 9 Abb. 3: Verhältnis von Geschossigkeit und Wahrnehmung ........................................................ 13 Abb. 4: Verhältnis Qualität der Umgebung und Aktivitäten in der Stadt ................................... 15 Abb. 5: Assoziationen zu der lebenswerten Stadt ...................................................................... 22 Abb. 6: Eigenschaften der lebenswerten Stadt ........................................................................... 22 Abb. 7: Multifunktionalität des öffentlichen Raums ................................................................... 30 Abb. 8: Schmale Gasse mit Details als Ort der Begegnung und des Aufenthalts........................ 31 Abb. 9: Tanzende, beobachtende, sich unterhaltende Menschen ............................................. 32 Abb. 10: Der Park als Ort zur Erholung, Bewegung und Begegnung........................................... 33 Abb. 11: Räumliche Einordnung des Plangebiets........................................................................ 38 Abb. 12: Quartiersabgrenzung .................................................................................................... 40 Abb. 13: Nutzungsanalyse ........................................................................................................... 42 Abb. 14: Aktueller Straßenquerschnitt der Jülicher Straße ........................................................ 43 Abb. 15: Wenig Platz für Fußgänger- und Radfahrer .................................................................. 43 Abb. 16: Technische Elemente auf dem Gehweg ....................................................................... 43 Abb. 17: Parkende Autos auf den Gehwegen ............................................................................. 44 Abb. 18: Barrieren auf den Mittelinseln...................................................................................... 44 Abb. 19: Verkehrsanalyse............................................................................................................ 45 Abb. 20: Fehlende Raumkante .................................................................................................... 46 Abb. 21: Schlechter Durchgang zum Spielplatz ........................................................................... 46 Abb. 22: Sanierte, prägende Raumkante .................................................................................... 46 Abb. 23: Schlechter Zustand der Fassaden ................................................................................. 46 Abb. 24: Gut ausgestattete Spielplätze ....................................................................................... 47 Abb. 25: Uneinsichtige Wege ...................................................................................................... 47 Abb. 26: Eingeschränkte Spielmöglichkeiten .............................................................................. 47 Abb. 27: Mangelhafter Stadteingang .......................................................................................... 47 Abb. 28: Städtebaulich-gestalterische Analyse ........................................................................... 48 Abb. 29: Nutzungskonzept .......................................................................................................... 52 Abb. 30: Geplanter Straßenquerschnitt der Jülicher Straße ....................................................... 53 Abb. 31: Angestrebte Änderung des Mobilitätsverhaltens in Aachen........................................ 54 iv
Inhaltsverzeichnis
Abb. 32: Verkehrskonzept ........................................................................................................... 55 Abb. 33: Gestaltungskonzept ...................................................................................................... 57 Abb. 34: Perspektive der Jülicher Straße .................................................................................... 58 Abb. 35: Perspektive des neuen Parks an der Wurm .................................................................. 59 Abb. 36: Perspektive des neuen Platzes an der Jülicher Straße/ Ecke Krantzstraße .................. 60 Abb. 37: Gestaltungsplan ............................................................................................................ 63 Abb. 38: Maßnahmen zur Zielerreichung des lebenswerten Stadtquartiers .............................. 65
Abkürzungsverzeichnis Abb.
Abbildung
Bzw.
Beziehungsweise
BauGB
Baugesetzbuch
D. h.
Das heißt
HBF
Hauptbahnhof
MIV
Motorisierter Individualverkehr
ÖPNV
Öffentlicher Personennahverkehr
ROG
Raumordnungsgesetz
RWTH
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule
U. a.
Unter anderem
Vgl.
Vergleiche
Z. B.
Zum Beispiel
v
KAPITEL 1 EINLEITUNG
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
1
Einleitung
_____________________________________________________________________________ „[…] ach wie vor ist es vordringlich, die Lebendigkeit, ja buchstäblich die Bewohnbarkeit von Städten zum Ziel jedes städtebauliche Projekts zu
a he “ (Gehl 2012: 3)
_____________________________________________________________________________ Immer mehr Menschen leben in den Städten. Ein Trend, der auch in Zukunft anhalten wird (vgl. Fraunhofer 2012: 3). Die Lebensqualität in den Städten bestimmt demnach die Lebensqualität für den Großteil der Bevölkerung. Umso wichtiger ist es ein lebenswertes Umfeld zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Menschen sich gerne dort aufhalten und wohlfühlen. Doch was macht eine Stadt lebenswert? Zum einen sind es oft rein praktische Erwägungen und die vielfältigen Möglichkeiten in den Bereichen Wohnen und Arbeiten sowie der Zugang und die Anbindung an eine gute Infrastruktur wie z.B. Bildung, Verkehr und Versorgung. Zum anderen ist es die Qualität und Gestalt der Räume, in denen die Aktivitäten und Nutzungen stattfinden. „Der öffe tli he Rau
ei er Stadt- ihre Straßen, Plätze, Parks und Grünanlagen – bildet Bühne
und Katal sator für diese Akti itäte .“ (Rogers 2010: 9) Die Wechselwirkung zwischen der physischen Stadtgestalt und dem Menschen ist längst bekannt, sodass eine attraktive Gestaltung, die den menschlichen Bedürfnissen gerecht wird, als einleuchtend und selbstverständlich erscheinen sollte (vgl. Kuhn 2012: 7). Dennoch wurde dies in der Vergangenheit durch eine Phase des wirtschaftlichen Wachstums und der Priorisierung auf den motorisierten Verkehr vernachlässigt und dadurch die Qualität der Städte und ihrer Räume stark beeinträchtigt. Heute erleben wir wieder eine Renaissance der Innenstädte und ihrer Bedeutung für die Lebensqualität durch eine Aufwertung der öffentlichen Räume (vgl. Kuhn 2012: 7). Beispiele hierzu in verschiedenen Städten zeigen, wie eine attraktive Gestaltung die Funktionsfähigkeit und Aufenthaltsqualität in den öffentlichen Räumen steigert und somit zu lebenswerten Orten führt. Das Problembewusstsein der Verantwortlichen ist bereits vorhanden. Allerdings bestehen in vielen Städten noch behindernde Strukturen und gestalterische Missstände, die die Stadtentwicklung zukünftig vor Herausforderungen stellen werden und Handlungsbedarf aufzeigen.
2
Einleitung
1.1
Anlass und Problemstellung
Im Fokus städtebaulicher Planung stehen, aufgrund ihrer übergeordneten Bedeutung, vor allem die Innenstädte. Während diese bereits vielerorts eine Aufwertung ihrer öffentlichen Räume erfahren haben, weisen die innerstädtischen Randgebiete häufig noch Problemzonen auf. Durch das Städtebauförderungsprogramm Soziale Stadt sollen auch benachteiligte und strukturschwache Ortsteile aufgewertet werden (vgl. BMUB 2017). So auch in Aachen. Die Stadt möchte dem direkt an die Innenstadt grenzenden Stadtteil Aachen Nord mehr Beachtung schenken und „die Vo aussetzu ge fü die Weite e t i klu g zu ei e
le e dige
Stadtteil […] s haffe “ S hlau -Forum 2016: 8).Besonders entlang der Haupterschließung, der Jülicher Straße, fehlen für die Bewohner*innen attraktive Aufenthaltsorte. Neben dem NichtVorhandensein attraktiver öffentlicher Räume bestehen auch in der Gestaltung schon bestehender Räume große Defizite. Das industriell geprägte Gebiet wurde durch den Strukturwandel stark in Mitleidenschaft gezogen und weist eine mindere Aufenthaltsqualität auf. Die ungeordnete Struktur aus Wohn- und Gewerbegebieten und das hohe Verkehrsaufkommen widersprechen den menschlichen Anforderungen an eine attraktive Wohngegend. Es besteht daher aus städtebaulich-gestalterischer Sicht eine planerische Notwendigkeit zur Behebung der aktuellen Missstände, um ein lebenswertes Umfeld zu schaffen.
1.2
Zielsetzung und Forschungsfrage
Ziel der Arbeit ist es, die lebenswerte Stadt und den Beitrag des öffentlichen Raums und die Bedeutung seiner Gestaltung zu untersuchen und ein Konzept für das Quartier entlang der Jülicher Straße im Stadtteil Aachen Nord zu entwickeln. Dabei ist die Leitidee durch die Aufwertung der bestehenden öffentlichen Räume und die Schaffung neuer, attraktiver öffentlicher Räume ansprechende Aufenthalts- und Begegnungsorte zu gestalten. Es sollen damit Ansätze zur Problemlösung der aktuellen Situation erarbeitet und aus städtebaulichgestalterischer Sicht Ideen für eine Steigerung der Lebensqualität gefunden werden. Dabei lautet die Forschungsfrage: Wie kann durch die Gestaltung des öffentlichen Raums ein lebenswertes Stadtquartier geschaffen werden? Durch die Beantwortung der Forschungsfrage soll die Zielsetzung erreicht werden und exemplarisch am Untersuchungsgebiet veranschaulicht werden.
3
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
1.3
Aufbau der Arbeit und Methodik
Die Arbeit gliedert sich in drei wesentliche Teile: Den theoretischen Hintergrund zur lebenswerten Stadtgestaltung durch den öffentlichen Raum, die Analyse des Plangebiets bezüglich seiner öffentlichen Räume und deren Lebensqualität sowie den konzeptionellen Teil, in dem auf dieser Grundlage ein städtebaulicher Gestaltungsplan entworfen wird. Abschließend werden die Ergebnisse im Fazit in den Kontext eingeordnet. Teil I – Theoretische Grundlagen Der theoretische Teil I beinhaltet die notwendigen Grundlagen zur Erarbeitung der Zielsetzung. Alle Ergebnisse basieren auf der Sekundäranalyse, d.h. auf der Recherche und Auswertung geeigneter Literatur sowie veröffentlichter Vorträge städtebaulich relevanter Themen. Kapitel 2 gibt zunächst eine Einführung in das Thema und erklärt die Entwicklung der Stadt anhand verschiedener Leitbilder und aktueller Trendentwicklungen und der daraus resultierenden Debatte um eine lebenswerte Stadt. In Kapitel 3 wird der Mensch mit seinen natürlichen Fähigkeiten und seinen Bedürfnissen im Zusammenhang mit der Stadt als Lebensraum genau betrachtet und hinsichtlich einer Einflussnahme durch Planung untersucht. Dabei wird sich hauptsächlich auf das Planungsverständnis des dänischen Architekten Jan Gehl bezogen. Gehl erforscht ausgehend vom Menschen und seinen Bedürfnissen die Stadt und seine öffentlichen Räume als Lebensraum und entwickelte Planerische Handlungsansätze für eine menschengerechte Planung. Kapitel 4 klärt zunächst das allgemeine Verständnis des Begriffs lebenswert sowie seine Bedeutung im Zusammenhang mit der Stadt, bevor im weiteren Verlauf seine kontextuelle Verwendung und die inhaltlichen Merkmale einer lebenswerten Stadt beschrieben werden. Kapitel 5 widmet sich diesbezüglich dem öffentlichen Raum, als Kernfunktion einer lebenswerten Stadt im Detail. Es werden die Anforderungen, seine Funktionen und Elemente erläutert und schließlich bestimmte Kriterien für seine attraktive Gestaltung abgeleitet. Gemeinsam mit dem Ideal der lebenswerten Stadt bilden sie den Ausgangspunkt für die Analyse. Teil II – Analyse In Kapitel 6 wird das Untersuchungsgebiet vorgestellt und auf seine Wohn- und Lebensqualität untersucht sowie mögliche Anknüpfungsunkte für eine Planung und Verbesserung zu einer lebenswerten Stadt identifiziert. Durch eine Ortsbegehung des Plangebiets wird der Bestand
4
Einleitung
erhoben und kartiert und damit die aktuellen Nutzungen und die derzeitige Situation, der Status Quo, erfasst. Zudem werden bereits bestehende Pläne und Konzepte hinzugezogen. Teil III - Konzept Basierend auf den theoretischen Grundlagen und den Analyseergebnissen beinhaltet Kapitel 7 das Leitbild sowie einzelne Themenkonzepte, die schließlich in einem städtebaulichen Gestaltungsplan zusammengeführt und textlich erläutert werden. Perspektiven zeigen zusätzlich gestalterische Möglichkeiten zur Verbesserung der Attraktivität der öffentliche Räume und der Lebensqualität des Quartiers in Aachen Nord. Dabei werden gezielt Aspekte der Theorie praktisch angewandt und es wird darauf geachtet, durch bestimmte Nutzungen und eine attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums den Entwurf eines lebenswerten Stadtkonzepts umzusetzen. Fazit In dem finalen Kapitel 8 werden in einem Fazit die Ergebnisse aus Theorie, Analyse und Konzept reflektiert sowie die Forschungsfrage aufgegriffen und beantwortet. Abschließend wird ein Ausblick gegeben.
Abb. 1: Forschungsdesign Quelle: Eigene Abbildung
5
THEORIE
KAPITEL 2 GESCHICHTLICHER HINTERGRUND
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
2
Geschichtlicher Hintergrund
_____________________________________________________________________________ „Städte si d ko ple er Ausdru k der lokale Orga isatio
o Gesells hafte . Sie si d der
räumliche Ausdruck sozialer, technischer und kultureller Bedingungen, der Lösungen und Mögli hkeite ei er Zeit.“ (Curdes 1996: III) _____________________________________________________________________________ Zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Stadt bestehen enge Wechselwirkungen. Die Gesellschaft kann also Städte formen, umgekehrt prägt die Stadt die Gesellschaft. Diese Entwicklung hat eine lange Geschichte und ist wichtig, um aus der Vergangenheit zu lernen (vgl. Curdes 1996: III). Durch gesellschaftliche, politische und ökonomische Veränderungen werden neue Rahmenbedingungen formuliert und gleichzeitig neue Anforderungen der Gesellschaft an die Stadt gestellt. Die Stadt und der öffentliche Raum unterliegen daher einem ständigen Wandel (Selle 2008: 7). Der Städtebau ist ausgerichtet auf eine lenkende Einflussnahme der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und ihrer auf den Raum der Stadt bezogenen Ansprüche (vgl. ARL: 1057). Die historische Entwicklung zeigt, wie stetig neue Leitbilder und Maßstäbe zu Veränderungen der Städte und der Bedeutung des öffentlichen Raums führten. In den alten, organisch gewachsenen Städten der Antike und des Mittelalters wurden der Mensch und das Leben stets in den Vordergrund der Stadtentwicklung gestellt und dem öffentlichen Raum höchste Bedeutung zugestanden. Daher bildeten Grundelemente der Stadtstruktur Gassen und Straßen als Bewegungsräume sowie Plätze als Aufenthaltsorte und Erlebnisräume (vgl. Gehl 2015: 55, 231). Die Städte und ihre Struktur wurden aufgrund der Notwendigkeit nach mehr Wohnraum und der Bedürfnisse der Menschen in kleinem Maßstab schrittweise erweitert (vgl. Curdes 1996: 7). Plätze zeichneten sich durch eine zentrale Lage und gute Aufenthaltsqualität aus, die vor allem auch durch eine gezielte Dimensionierung und Beziehung von Bauten, Plätzen und Freiflächen entstand. Sie bildeten Zentren der lokalen Gesells haft, T effpu kt u d O t kollekti e E eig isse. „Sie
ae
u d si d oft o h de „Wohn-
au “ de Stadt“ (Curdes 1996: 12). Form und Dimensionierung der Straßen boten dem Menschen sinnliche Reize und waren funktional differenziert. Öffentliche Räume waren Orte geprägt von Macht, Politik, Öffentlichkeit und dem alltäglichen Leben (vgl. Curdes 1996: 11- 12). Im 19. Jahrhundert stieg in den Städten während der Industrialisierung das Bevölkerungswachstum enorm an und damit einhergehend auch das Verkehrsaufkommen. Öffentliche Räume wurden großzügig geplant und es entstanden breite Boulevards zur Verkehrsbewälti8
Geschichtlicher Hintergrund
gung und gleichzeitig auch zur Durchlüftung der Stadt. Plätze dienten sowohl dem Verkehr als auch der politischen Machtdemonstration. Gehwege sollten eine wesentliche Aufenthaltsfunktion für die Bürger und das öffentliche Leben übernehmen und wurden hierbei durch Parks ergänzt. (vgl. Curdes 1996: 78-82) Der negative Einfluss der Industrialisierung auf die Stadtgestalt mit seinen öffentlichen Räumen wurde zum Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem von Camillo Sitte in seinem Werk Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen beklagt, mit der Forderung einer Rückkehr zum qualitätsvollen mittelalterlichen Städtebau (vgl. ARL: 1056). Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und dem modernen Städtebau kam es jedoch zu einer radikalen Veränderung der Städte. Bekannt unter der Charta von Athen beschloss Le Corbusier im Congres Internatiaux d´Architecture Moderne (CIAM) die Idee einer räumlichen Trennung der Stadtfunktionen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr (Reicher 2012: 25). Der öffentliche Raum in Form von gefassten Plätzen und einem Straßenraum zur Aufenthaltsfunktion verlor an Bedeutung und Gebäude wurden als solitäre Baukörper in neuen, größeren Dimensionen geplant (vgl. Curdes 1996: 175-177). Die räumliche Trennung spiegelte sich auch im Straßenraum wider und hatte die Separierung von Fußgängern und den Fahrzeugen zu Folge. Auch nach dem 2. Weltkrieg setze sich das Prinzip der Funktionstrennung durch das Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt weiter fort und prägte somit den Wiederaufbau und die Erweiterung der Städte (vgl. ARL 2005: 1057). Die Reaktion auf den wachsenden motorisierten Individualverkehr (MIV) mit dem Leitbild einer autogerechten Stadt verstärkte diese Strukturen und führte zu erheblichen Urbanitätsverlusten. Zur Optimierung des motorisierten Verkehrs wurden Stadtautobahnen und Parkhäuser in Citylage errichtet und die Situation für Fußgänger und Radfahrer deutlich verschlechtert (vgl. ARL 2005: 1053; Gehl 2015: 112). Der öffentliche Raum der Stadt wurde nun durch die autogerechte Straße, den autogerechten Platz und den grünen Park geprägt (vgl. Reicher 2009: 13).
Abb. 2: Straßenraum in der autogerechten Stadt Quelle: Foto von Website Urbanophil 2017
9
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Fokus der Stadtplanung war nicht mehr der Mensch, sondern das Auto. Durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, die Funktionstrennung und die Priorisierung auf den Autoverkehr wurden einstmals lebendige Städte und deren öffentliche Räume leblos und öde (vgl. Gehl 2012: 17). In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden bereits unter dem Leitbild einer behutsamen Stadterneuerung erste Ansätze gegen die Maßstablosigkeit und Qualitätsverluste in den Städten entwickelt. Fußgängerzonen, Verkehrsberuhigungen, stadtgestalterische Korrekturen und Sanierungen waren Maßnahmen zur Wiedergewinnung von Urbanität und zur Verbesserung der Stadtgestalt sowie des Wohnumfeldes (vgl. ARL 2005: 1057). Zudem entstand im Zuge des ökologischen Städtebaus eine nachhaltige Stadtentwicklung unter sozialen Aspekten, in dem Stadtbegrünung, eine dezentrale Konzentration und Partizipation eine zentrale Rolle spielten (vgl. ARL 2005: 1053, 1057). Der Mensch als Maßstab rückte allmählich wieder in den Mittelpunkt und eine Skepsis gegenüber monofunktionalen Strukturen machte sich bemerkbar (s. Kapitel 3.3) (vgl. Pesch 2014: 9). Aktuell werden nach dem Leitbild einer kompakten und durchmischten Stadt eine hohe Baudichte, Nutzungsmischung sowie öffentliche Räume und ökologisch aufgewertete Räume angestrebt. Durch belebte Erdgeschosszonen, Straßenräume und Plätze soll dem Funktionsverlust öffe tli he Räu e u d de „E osio soziale Ko t olle“ (ARL 2005: 605) entgegengewirkt werden. Wohnumfeldverbesserungen, Nutzungsanreicherungen und integrierte Verkehrskonzepte sollen die Aufenthaltsqualitäten steigern und das öffentliche Leben fördern (vgl. ARL: 605). Es kommt zu einer Rückbesinnung auf traditionelle Stadtgestaltung der vielfältigen europäischen Stadt und Urbanität durch gemischte Stadtstrukturen, begünstigt durch den Wandel zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft (vgl. Huber et al. 2016: 5; Pesch 2014: 15). Des Weiteren taucht gegenwärtig immer häufiger der Begriff lebenswerte Stadt oder im Englischen livable City in der Literatur und im Zusammenhang mit Stadtentwicklungskonzepten auf. Der Mensch und seine Bedürfnisse bilden nun wieder den Ausgangspunkt der Planung. Zahlreiche Projekte versuchen, besonders durch eine Aufwertung des öffentlichen Raums, die Lebensqualität in den Städten zu erhöhen. Vor allem sollen vom MIV überformte Plätze und Freiflächen als Kommunikations- und Aufenthaltsraum zurückgewonnen und vermehrt Aspekte der Sicherheit und Gestaltqualität berücksichtigt werden (vgl. Kuhn 2012: 9-10). Allerdings bestehen derzeit in vielen Städten immer noch mangelhafte Strukturen der Vergangenheit, die einer lebenswerten Entwicklung im Wege stehen und zukünftig eine Herausforderung an die Stadtentwicklung zur Steigerung der Lebensqualität darstellen. 10
THEORIE
KAPITEL 3
MENSCH, STADTRAUM UND PLANUNG
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
3
Mensch, Stadtraum und Planung
_____________________________________________________________________________ „Die Stadtla ds haft ist u.a. et as, das
a sehe , i Gedä ht is ehalte u d a de
an
sich freue soll“ (Lynch 1968: 5) _____________________________________________________________________________ Für eine den menschlichen Bedürfnissen adäquate Planung ist es unabdingbar, zunächst das Verhalten und die Anforderungen der Adressat*innen, sprich der tatsächlichen Bewohner*innen der Stadt, zu untersuchen. Kommunikative Grundregeln und Verhaltensweisen helfen dem Menschen sich im öffentlichen Raum sicher zu bewegen. Daraus ergeben sich bestimmte Muster und Aneignungen der Räume, die durch die Stadtplanung beeinflusst werden können. Das Wissen darüber bietet einen guten Ausgangspunkt für die Dimensionierung eines Raums (vgl. Gehl 2015: 68).
3.1
Die menschliche Wahrnehmung und Stadt
Wie bereits in der Einleitung erwähnt ist eine lebenswerte Stadt am Menschen orientiert. Grundlage für eine menschenfreundliche Stadt ist eben die Berücksichtigung des Menschen mit seinen Sinneswahrnehmungen und Bewegungsströmen, denn diese bilden die Basis für das Verhalten und die Aktivitäten in der Stadt (vgl. Gehl 2015: 48). Der Mensch als ein linear, frontal und horizontal orientiertes Wesen bewegt sich mit Schrittgeschwindigkeit fort (vgl. Gehl 2015: 48-50). Die Sinneswahrnehmungen Sehen, Hören, Riechen und die Aktivitäten Gehen, Stehen, Schauen werden vor allem maßgeblich durch zwei Faktoren beeinflusst. Zum einen durch die Distanz und zum anderen durch die Geschwindigkeit (vgl. Gehl 2015: 50-63). Diese haben Auswirkungen auf die Möglichkeiten der menschlichen Kommunikation und die Aktivitäten der Menschen in Städten und öffentlichen Räumen. Das Sehen und das Hören sind für die Wahrnehmung und die Kommunikation der Menschen zentral. Ein entscheidender Faktor dafür ist die Distanz. Wir erkennen ansatzweise Bewegungen der Menschen ab 100 Meter. Während einer Entfernung von 100 Metern bis 25 Metern verändert sich die Wahrnehmung nicht wesentlich. Ab einer Schwelle von 25 Metern können Kommunikation durch Gesichtsausdrücke und das Hörverständnis erfolgen. Die Art und Intensität der Wahrnehmung steigert sich besonders ab einer Entfernung von sieben oder weniger Metern. Es kann nun mit allen Sinnen wahrgenommen werden und Begrüßungen, Gespräche oder Umarmungen sind jetzt möglich (vgl. Gehl 2015: 50-52). Je geringer die Entfernung, desto 12
Mensch, Stadtraum und Planung
größer ist die Wahrnehmung und damit auch die Möglichkeit zu Kontakten und zur Kommunikation in besonderer Art und Intensität. „Bei de Stadtpla u g ist die Beziehung zwischen Sinneswahrnehmungen, Kommunikation sowie Maßstäblichkeit und Größenordnungen ein wichtige Aspekt u d
i d als „soziales Gesi htsfeld“ ezei h et.“ Gehl
:
Die Dista zen
von 100 Metern und 25 Metern sind besonders relevant für die Planung öffentlicher Räume. (vgl. Gehl 2015: 51) Mittelalterliche Plätze sind deshalb meist nicht größer als 100 Meter, damit sowohl ein Gesamtüberblick aus der Ferne als auch Details aus der Nähe erkennbar sind (vgl. Gehl 2015: 51 - 55). Plätze der Moderne sind dagegen seltener durch Gebäude gefasst und sehr weitläufig, was die Dimension der menschlichen Wahrnehmung übersteigt und für sie unattraktiv ist (s. Kapitel 1). Zudem spielt die Höhe eine wichtige Rolle, da der Mensch horizontal ausgerichtet ist und hauptsächlich sieht, was sich auf Augenhöhe vor ihm befindet. Hierbei sind die Distanz und der Winkel entscheidend (vgl. Gehl 2015: 55). Nur von den ersten fünf Obergeschossen ist Kontakt zum Boden möglich, darüber verringern sich die Kontaktmöglichkeiten stetig, sodass die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen im öffentlichen Raum unmöglich wird (s. Abb. 3). So entsprechen niedrige Bauten dem Fassungsvermögen unserer Sinne, während Hochhäuser sie überfordern (vgl. Gehl 2015: 56).
Abb. 3: Verhältnis von Geschossigkeit und Wahrnehmung Quelle: Eigene Abbildung nach Gehl 2015: 57
13
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Der zweite wichtige Faktor ist die Geschwindigkeit. Beim Gehen mit einer Geschwindigkeit von 5 km/h kann das Gehirn alle Sinneseindrücke aufnehmen und verarbeiten. Die physische Umgebung wird also gänzlich wahrgenommen. Beim Laufen mit 12 km/h oder dem Radfahren mit 18 km/h verhält es sich ähnlich und es bleibt genug Zeit, Details wahrzunehmen (vgl. Gehl 2015: 59 - 60). Je höher jedoch die Geschwindigkeit ist desto weniger Zeit bleibt, Eindrücke wahrzunehmen. Mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h mit dem Auto können keine Details mehr wahrgenommen werden (vgl. Gehl 2015: 62). Die höheren möglichen Geschwindigkeiten durch das Automobil hatten einen großen Einfluss auf die Stadt und ihre Planung. Der Maßstab hat sich deutlich verändert, wie die historische Entwicklung der Stadt zeigt (s. Kapitel 1). So wurden früher im Mittelalter die Städte auf Schrittgeschwindigkeit mit schmalen Gassen, überschaubaren Plätzen und einer Mischung aus Details für die menschliche Sinneswahrnehmung ausgelegt. Dies machte die Attraktivität des Städtelebens aus. Mit der autogerechten Stadt wurde dagegen in größeren Dimensionen und wenig Details geplant. Sie ist im Gegensatz zur menschengerechten Stadt für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen unattraktiv (vgl. Gehl 2015: 63). Bei großen Distanzen und hohen Geschwindigkeiten werden zwar vielfältige, jedoch schwache Eindrücke gesammelt. Je geringer die Distanz und Geschwindigkeit desto intensiver und bedeutsamer werden die Sinneseindrücke wahrgenommen (vgl. Gehl 2015: 64).
3.2
Aktivitäten in der Stadt und im öffentlichen Raum
Die Aktivitäten in der Stadt können vielfältig sein und aus unterschiedlichen Gründen auftreten. Gehl teilt die menschlichen Aktivitäten in der Stadt in drei Kategorien: Notwendige Aktivitäten, freiwillige Aktivitäten und soziale Aktivitäten (vgl. Gehl 2012: 5). Notwendige Aktivitäten sind unumgängliche Beschäftigungen. Hierzu zählen alltägliche Aktivitäten wie z.B. in die Schule oder zur Arbeit gehen, einkaufen, auf den Bus oder eine Person warten. Die physische Umgebung hat darauf jedoch wenig Einfluss. Notwendige Aktivitäten finden also unabhängig der Rahmenbedingungen statt, da sie zwangsläufig erledigt werden müssen. Im Gegensatz dazu finden freiwillige Aktivitäten nur bei guten Bedingungen und einer hohen Qualität der physischen Umgebung statt, da sie meist im Freien stattfinden. Dazu zählen: Spaziergänge, ein Sonnenbad nehmen oder frische Luft schnappen. Hierbei spielt demnach die Gestaltung und Attraktivität der öffentlichen Räume eine wichtige Rolle.
14
Mensch, Stadtraum und Planung
Soziale Aktivitäten sind von der Anwesenheit anderer im öffentlichen Raum abhängig wie z.B. das gemeinsame Spielen von Kindern, Gespräche oder der eher passive Kontakt durch das Sehen und Hören (vgl. Gehl 2012: 5-6). Aufgrund der hohen Anzahl fremder Menschen sind Kontakte in der Stadt häufig passiver Natur und soziale Aktivitäten oberflächlicher (vgl. Gehl 2012: 9). In einer Umgebung, wo sich viele Menschen kennen oder häufig sehen, können hingegen soziale Aktivitäten sehr umfassend sein (vgl. Gehl 2012: 8). Soziale Aktivitäten im öffentlichen Raum der Stadt entwickeln sich fast immer aus notwendigen oder freiwilligen Aktivitäte u d e de deshal au h als „ esultiere de Akti itäte “ ezei h et (vgl. Gehl 2012: 8). Ausgangspunkt für umfangreichere Formen sozialer Interaktion zwischen den Menschen sind die bloße Anwesenheit und die Begegnung (vgl. Gehl 2012: 9). Durch eine Steigerung der Qualität des öffentlichen Raums werden freiwillige Aktivitäten gefördert und damit auch die Möglichkeit für mehr soziale Aktivitäten geboten (vgl. Gehl 2012: 8). Schlussfolgernd besteht sowohl ein Zusammenhang zwischen den Aktivitäten an sich, als auch ein Zusammenhang der Aktivitäten und der physischen Umgebung (s. Abb. 4)
Abb. 4: Verhältnis Qualität der Umgebung und Aktivitäten in der Stadt Quelle: Eigene Abbildung nach Gehl 2012: 6
Während notwendige Bedingungen unabhängig der jeweiligen Rahmenbedingungen gleichmäßig stattfinden, steigt die Anzahl freiwilliger Aktivitäten bei günstigen Voraussetzungen deutlich an. Wenn sich mehr Menschen an einem Ort befinden, steigt auch die Möglichkeit zu sozialen Aktivitäten in Form von Begrüßungen, Gesprächen, Spielen oder einfachem Beisammensein. Für die Kommunikation sind die zuvor beschriebenen Sinneswahrnehmungen ein entscheidender Faktor. Durch die Entfernung oder Geschwindigkeit und der damit verbundenen Zeit wird der soziale Kontakt erschwert oder erleichtert (vgl. Gehl 2015: 48-64). Die drei 15
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Kategorien stehen immer in Verbindung zueinander. Das Le e i de Stadt „ […] umfasst das gesamte Spektrum an Aktivitäten, die zusammen die öffentlichen Räume in Städten und Woh ge iete
3.3
edeutsa
u d le e s e t
a he .“ Gehl
:
Stadtplanung und das menschliche Maß
Die Sinneswahrnehmung und die Aktivitäten des Menschen werden also von der physischen Umgebung und ihrer Qualität beeinflusst. Dieser Zusammenhang ist bedeutsam für die Stadtplanung. Auch wenn die physischen Gegebenheiten keine direkten Auswirkungen auf die Art und Intensität von sozialen Kontakten haben, können jedoch durch die Planung qualitativer Stadträume, Möglichkeiten für Aktivtäten und Begegnungen geschaffen werden. Diese ermöglichen den Ausgangspunkt für weitere Interaktionen (Lynch 1968: 14; vgl. Gehl 2012: 9). Art und Intensität der Aktivitäten in den Stadträumen werden von der Raumplanung also stark beeinflusst (vgl. Gehl 2012: 27). Die Stadtplanung hat dementsprechend eine verantwortungsvolle Aufgabe zu leisten, indem sie die physische Umgebung gestaltet und somit das alltägliche Leben der Menschen berührt und bestimmt, wie Städte funktionieren (vgl. Gehl 2015: 21). Dabei muss sie auf eine der Wahrnehmung entsprechende Dimensionierung der öffentlichen Räume achten. Ausgangspunkt für die Steigerung der Lebenswertigkeit in den Städten ist eine Planung nach menschlichem Maß. Gehl definiert dies in seinem Buch wie folgt: „Ei e städte auliche Planung nach menschlichem Maß schafft daher attraktive öffentliche Stadträume für Menschen, die zu Fuß gehen, und berücksichtigt deren vom Körper diktierte Bedürf isse u d Mögli hkeite .“ (Gehl 2015: 48) Der öffentliche Raum mit seinen Straßen und Plätzen spiegelt das lineare Bewegungsmuster und den vom Auge erfassbaren Raum wider. Er bildet als Bewegungsraum und Erlebnisraum sinnlich erfahrbare Grundelemente der Stadt (vgl. Gehl 2015: 49). Kleine Räume und kurze Distanzen sind attraktiv und vermitteln ein angenehmes Stadterlebnis. Große Freiflächen wirken dagegen unpersönlich und wenig einladend (vgl. Gehl 2015: 70). Das menschliche Maß impliziert eine angemessene Dimensionierung der Stadträume, bei der die Geschwindigkeit und Entfernung besonders zu berücksichtigen sind. Eine Struktur für niedrige Geschwindigkeiten ist kleinteilig und erlaubt viele Details. In einer Struktur für höhere Geschwindigkeiten sind nur große Räume und Werbeanzeigen für Autofahrer*innen sichtbar (vgl. Gehl 2015: 62). Die Regelung der Geschwindigkeit lässt sich vor allem durch eine angemessene Planung des Verkehrs verwirklichen. Durch eine Verringerung des MIVs und Geschwindigkeitsbegrenzungen 16
Mensch, Stadtraum und Planung
sowie durch die Förderung des Fuß- und Radverkehrs werden diese gering gehalten. Angemessene Distanzen sind vor allem durch eine gute, attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums und der Anordnung und Geschossigkeit der Gebäude möglich. Stadtplanung ist eine Frage der Einladung, indem menschliche Aktivitäten und dadurch die Lebensqualität durch planerische Maßnahmen nach menschlichem Maß gefördert werden können (vgl. Gehl 2015: 21). In den folgenden Kapiteln werden auf dieser Grundlage die Kriterien für eine lebenswerte Stadt nach menschlichem Maß und die Bedeutung des öffentlichen Raums sowie Gestaltungsmöglichkeiten genauer erläutert.
17
THEORIE
KAPITEL 4 DIE LEBENSWERTE STADT
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
4
Die Lebenswerte Stadt
_____________________________________________________________________________ „Europa rau ht starke u d le e s erte Städte u d Regionen“ (Leipzig Charta 2007: 5) _____________________________________________________________________________ Jährlich veröffentlicht die Intelligence Unit des britischen Magazins The Economist ein Ranking der weltweit lebenswertesten Städte. Melbourne, Vancouver und Toronto, aber auch europäische Städte wie Wien und Hamburg befinden sich unter den 10 lebenswertesten Städten. Kriterien hierfür sind die Bereiche: Kultur & Umwelt, Bildung, Infrastruktur, Stabilität und Gesundheitsversorgung (vgl. Polis Magazin 2017). Ein Merkmal jedoch haben all diese Städte gemeinsam: Sie bieten den dort lebenden Menschen attraktive öffentliche Räume mit hoher Lebensqualität, in denen sich das alltägliche Leben abspielt. Lebenswerte Städte sind für ihre Bewohner*innen, also den Menschen, geschaffen.
4.1
Der Begriff lebenswerte Stadt
Das Adjektiv lebenswert ist sicherlich jedem Menschen ein Begriff und findet in verschiedenen Kontexten Verwendung. Dem Duden nach edeutet es „ e t, dass je a d da i le t“ (Duden 2017). Städte und der öffentliche Raum können es demnach wert sein, in ihnen zu leben. Was genau aber bedeutet lebenswert nun im Zusammenhang mit der Stadt und wonach bemisst sich, ob eine Stadt lebenswert ist? Bereits die Tatsache, dass jedes Jahr mehrere Rankings zur lebenswertesten Stadt in ihrer Rangfolge und der Auswahl der Städte variieren deutet darauf hin, dass unterschiedliche Aspekte berücksichtigt oder gleiche Aspekte anders bewertet werden. Oder, dass verschiedene Leute ein unterschiedliches Verständnis davon haben, was lebenswert im Zusammenhang mit Stadt überhaupt bedeutet. Grundsätzlich verweist der Begriff auf Werte und Bewertung von Lebensqualität u d „ […] umfasst sowohl physische als auch psychische, soziale und ökologische Belange“ (Urbanet 2016). Damit wird klar, dass es sich um einen subjektiven Begriff handelt, der menschliche Gefühle ausdrückt und Auskunft über das Wohlbefinden eines Menschen gibt. Er bezieht sich auf das Individuum und ist daher schwer messbar. Objektive Kriterien und Indikatorensets scheinen demnach logisch, können aber nicht gänzlich die Lebenswertigkeit bemessen, da es sich bei dieser Kategorie auch immer um ein subjektives Befinden handelt (vgl. Urbanet: 2016). Die Lebensqualität kann jedoch nicht nur an bestimmten Indikatoren, sondern auch kontextuell näher bestimmt werden. Im Fokus sollten deshalb nicht Idealmodelle, sondern sozialräumli-
20
Die Lebenswerte Stadt
che Aneignungsprozesse stehen. Dies bezieht sich auf die ortsspezifischen Bedingungen, Beziehungen und Interaktionen der Menschen mit ihrer Umwelt (vgl. Urbanet 2016).
4.2
Die lebenswerte Stadt – ein neues Leitbild
„Zahlreiche Städte überall auf der Welt haben sich inzwischen ernsthaft darum bemüht, den Traum der besseren, lebenswerteren Stadt für ihre Einwohner zu realisieren […] - im 21. Jahrhundert ein Ziel von entscheidender Bedeutung.“ (Gehl 2015: 10-11) Diese Bedeutung wird auch von der Bundesregierung erkannt und deshalb in dem Positionspapier zur New Urban Agenda als Leitbild ausgeschrieben. Darin heißt es „le e s e te Städte fü Me s he s haffe “, denn sie „… erhöhen die Lebens- u d U
elt ualität fü alle.“ Bundesregierung 2016).
An der Formulierung fällt auf, dass der Mensch eine entscheidende Rolle spielt. Im Gegensatz zum Nachhaltigkeitsbegriff, der in den vergangenen Jahren das übergeordnete Leitbild war und schon im Gesetz verankert ist, ist eine an Lebensqualität orientierte Stadtbetrachtung stärker am Menschen orientiert. Es gibt also einen Paradigmenwechsel von der nachhaltigen zur lebenswerten Stadt, die nach menschlichem Maß den Bedürfnissen und Ansprüchen seiner Bewohner*innen gerecht werden soll. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Nachhaltigkeit als obsolet erklärt wird, ist sie doch weiterhin fester Bestandteil der Konzepte für lebenswerte Städte. Die lebenswerte Stadt bildet somit einen umfassenderen Begriff (vgl. Urbanet 2016). Darüber hinaus wird der Begriff heutzutage auch von vielen Städten als Hauptziel und in vielen Stadtentwicklungskonzepten als Leitbild verwendet. So lautet beispielsweise das Leitbild der Stadt Schwerin Schwerin 2020 – offen – innovativ - lebenswert (vgl. Website Landeshauptstadt Schwerin 2017) oder das Hauptziel des Stadtentwicklungskonzepts der Stadt Gera, welches Lebenswerte Stadt sichern lautet (vgl. Stadt Gera 2014). Nun stellt sich die Frage, was sich inhaltlich hinter der lebenswerten Stadt verbirgt. In den Konzepten sind Leitlinien in den Bereichen Kultur, Natur, Gesundheit und Erholung aufgestellt worden und es tauchen die Schlagworte nachhaltig, sicher, kulturell und umweltfreundlich auf. (vgl. Landeshauptstadt Schwerin 2017; Stadt Gera 2014) Inhalte des Leitbilds der lebenswerten Stadt aus dem Positionspapier der Bundesregierung sind die Schaffung gesunder Lebensbedingungen durch eine funktionale Durchmischung und baukulturelle Qualität, der Zugang zu sicheren öffentlichen Räumen und eine nachhaltige Stadtentwicklung (vgl. Bundesregierung 2016).
21
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Abb. 5: Assoziationen zu der lebenswerten Stadt Quelle: Eigene Abbildung
4.3
Eigenschaften der lebenswerten Stadt
Eine allgemeingültige Definition der lebenswerten Stadt gibt es bislang nicht. Insgesamt bestehen aber, trotz der schwierigen Messbarkeit aufgrund des subjektiven Empfindens, Einigkeit oder Überschneidungen von Vorstellungen einer lebenswerten Stadt. Der dänische Architekt Jan Gehl beschreibt sie in seinem Buch Städte für Menschen als menschengerecht (Gehl 2015: 10) oder nach menschlichen Maß geplant. Ihre maßgeblichen Eigenschaften sind nach Gehl Lebendigkeit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Gesundheit der Stadt. (vgl. Gehl 2015: 11) Diese Eigenschaften oder Merkmale sind alle miteinander verknüpft und keineswegs isoliert zu betrachten. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden diese Merkmale erläutert und als inhaltliche Konkretisierung der lebenswerten Stadt betrachtet.
Abb. 6: Eigenschaften der lebenswerten Stadt Quelle: Eigene Abbildung
22
Die Lebenswerte Stadt
Lebendigkeit Nach Gehl sollte die Idee der attraktiven, lebendigen Stadt den Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Stadtplanung bilden (vgl. Gehl 2015: 80). Wichtig ist die urbane Qualität durch verdichtete Quartiere mit vielfältigen Nutzungen, attraktiven öffentlichen Räumen und einer guten Verkehrsstruktur für den Fuß- und Radverkehr. Alle Alters- und Nutzergruppen müssen dabei berücksichtigt werden und der öffentliche Raum deshalb für alle Bewohner*innen zugänglich sein (vgl. Gehl 2015: 80). Es kommt jedoch nicht allein auf die Anzahl der Menschen und Aktivitäten im öffentlichen Raum, sondern vor allem auf die Dauer ihres Aufenthalts und ihrer Aktivitäten an. Wenn wenige Menschen sich lange an einem Ort aufhalten, wirkt dieser lebendiger (vgl. Gehl 2015: 80). Die Regulierung der Geschwindigkeiten durch Tempolimits und die Förderung des Fuß- und Radverkehrs bieten Möglichkeit, die Lebendigkeit in den öffentlichen Räumen der Stadt zu fördern (vgl. Gehl 2015: 90). Langsame Geschwindigkeiten bedeuten belebtere Städte, schnelle Geschwindigkeiten dagegen leblose Städte. Qualitätsverbesserungen im öffentlichen Raum laden zum längeren Aufenthalt ein. Insgesamt muss also dafür gesorgt werden, dass die Bewohner*innen sich gerne in der Stadt aufhalten (vgl. Gehl 2015: 19). Menschen halten sich dort auf und gehen dorthin, wo bereits andere Menschen sind. Das Stadtleben ist ein selbst e stä ke de P ozess, de et as passie t…“ Gehl
„et as passiert, weil etwas passiert, weil
: 8 . Kompakte Städte mit vielfältigen Nutzungen und attraktiven
öffentlichen Räumen bieten die Teilnahme an mehr Aktivitäten und können Kontakte ermöglichen (vgl. Gehl 2015: 26-28). Sicherheit Sicherheit ist ein entscheidender Aspekt, damit Menschen eine Stadt annehmen und sich in ihr wohlfühlen. Besonders wichtig sind dabei die Verkehrssicherheit und der Schutz vor Kriminalität. Diese können durch Maßnahmen der Stadtplanung gesteigert werden (vgl. Gehl 2015: 110). Die Sicherheit in Bezug auf den Straßenverkehr ist durch den MIV zunehmend ein Problem geworden. Der steigende Raumanspruch und die steigende Anzahl der Autofahrer*innen haben schlechtere Bedingungen zu Lasten der Fuß- und Radfahrer*innen zu Folge. Die Situation für Radfahrer*innen ist häufig noch schlechter als für Fußgänger*innen, denn sie wurden bei der Planung nicht mehr berücksichtigt und sind nun stark gefährdet. Auch hier gilt es wieder alle Alters- und Gesellschaftsgruppen zu berücksichtigen. Es muss besonders auf die Bedürfnisse von Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderungen eingegangen werden, da sie in ihrer Beweglichkeit und Wachsamkeit eingeschränkt sein können. Maßstab bei der Verkehrsplanung sollten demnach immer die schwächsten Verkehrsteilnehmer sein (vgl. Gehl 23
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
2015: 113). Sofern keine Priorität der Fußgänger*innen besteht, sollte eine klare Trennung der Geh- und Radwege vom Straßenraum für den MIV erfolgen (vgl. Gehl 2015: 270). Der zweite Sicherheitsaspekt ist der Schutz vor Kriminalität in der Stadt. Die Steigerung der Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume zielt auch auf eine Kriminalprävention hin. Indem sich mehr Menschen im öffentlichen Raum aufhalten, steigt die soziale Kontrolle. (vgl. Kuhn 2012: 10). Hier besteht eine gegenseitige Wirkung. Belebtere Straßen führen zu mehr Sicherheit. Umgekehrt führt mehr Sicherheit zu belebteren Straßen. (vgl. Gehl 2015: 118) Neben dem öffentlichen Raum sind außerdem belebte Gebäude, d.h. Gebäude mit vielen Nutzungen und Angeboten, wichtig. Ein Quartier wird belebt, indem rund um die Uhr Menschen, Licht und Aktivitäten präsent sind und vermittelt somit ein Gefühl der Sicherheit (vgl. Gehl 2015: 119). Ein belebter Straßenraum und Nutzungen im Erdgeschoss „si d also die p äge de Ele e te einer lebenswerten Stadt – au h i Bezug auf Si he heit.“ Gehl
15: 120)
Nachhaltigkeit Aktuelle Umweltprobleme und der Klimawandel „si d A spo te nachhaltig lebenswert zu gestalte .“ Gehl
:
fü Be ühu ge , u se e Städ-
. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit im
Zusammenhang mit Stadt ist keine neue Erkenntnis und bereits im Baugesetzbuch (BauGB) und im Raumordnungsgesetz (ROG) verankert. So soll nach den Grundsätzen der Bauleitplau g „ei e a hhaltige Städte auli he E t i klu g, die die soziale , i ts haftli he u d umweltschützenden Anforderungen […] in Einklang „ei e
e s he
ü dige U
elt“ §
i gt“ (§ 1 (5) BauGB) gewährleistet und
BauGB gesi he t
e de . Ansätze sind häufig mo-
derne Technologien zur Verringerung des Energiekonsums oder kostenintensive Infrastrukturmaßnahmen (vgl. Gehl 2015: 124). Oft wird dabei dem wirtschaftlichen Aspekt Vorrang eingeräumt und beispielsweise eine neue Verkehrsinfrastruktur für mehr Autos geschaffen. Der Fußgänger- und Radverkehr spielte dabei lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Eine Förderung des Fuß- und Radverkehrs trägt sowohl zur sozialen, als auch zur ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit bei. Es wird weniger Fläche benötigt und es gehen keine schädlichen Emissionen von ihm aus. Auch der ÖPNV und Konzepte wie Carsharing sind in einem integrierten Verkehrskonzept zum stadtverträglichen Verkehr miteinzubeziehen (vgl. Huber et al. 2016: 7). Gemeinsam mit dem Fuß- und Radverkehr bilden sie den Umweltverbund. „ Sie sichern und verbessern soziale Teilhabe, tragen entscheidend zur ökonomischen Leistungsfähigkeit von Standorten bei und verbessern die ökologische Verträglichkeit der Mobilität“ Huber et al. 2016: 7).
24
Die Lebenswerte Stadt
Gesundheit Eine Stadtplanung nach menschlichem Maß steht in enger Verbindung mit der Gesundheitspolitik (vgl. Gehl 2015: 131). Besonders der Verkehr ist dabei von Bedeutung. Durch attraktive Routen für den Fuß- und Radverkehr werden die Menschen zur Bewegung eingeladen und sind bereit Wege zu gehen oder mit dem Rad zu fahren. Die Wege müssen unbeschwert zurückgelegt werden können und somit barrierefrei sein, um allen Menschen gerecht zu werden (vgl. Gehl 2015: 136). Durch die Reduzierung des MIVs werden die Emissionen verringert. Geringere Lärmbelastung und Abgasausstoßung tragen zur besseren psychischen und physischen Gesundheit und zum Wohlbefinden der Bewohner*innen bei. Zur Förderung einer aktiven Stadtbevölkerung muss die Stadt im öffentlichen Raum Flächen und Möglichkeiten für sportliche Aktivitäten für ihre Bewohner*innen bereitstellen. Hier stellt der öffentliche Raum eine Ersatzfunktion zum Arbeitsplatz dar, denn heutzutage wird mehr sitzenden und weniger handwerklichen Tätigkeiten nachgegangen (vgl. Gehl 2015: 131). Zum Ausgleich müssen auch Flächen zur Naherholung zur Verfügung stehen. Eine lebenswerte Stadt mit Funktions-und Nutzungsmischung, Dichte und attraktiven Räumen, in der viele Menschen fußläufig oder mit dem Rad unterwegs sind, wirkt lebendig, da sich mehr Leute länger im öffentlichen Raum aufhalten. Die Anwesenheit Anderer ermöglicht soziale Kontrolle und trägt somit zur Sicherheit bei. Gleichzeitig wird die Gesundheit durch Bewegung gefördert und zur Nachhaltigkeit beigetragen (vgl. Gehl 2015: 18). Die Merkmale einer lebenswerten Stadt betreffen alle Bereiche (Verkehr, Versorgung, Arbeit, Erholung etc.) und stehen immer miteinander in Wechselwirkung. Dies macht eine integrierte Stadtentwicklungspolitik notwendig. Wichtig ist, bei allen Bereichen der Planung, ein menschliches Maß anzusetzen und eine Priorisierung auf den Menschen statt auf das Auto zu vollziehen (vgl. Gehl 2015: 136). Neben den Nutzungen und Funktionen in der Stadt sind besonders die Abwicklung des Verkehrs und die Bedeutung des öffentlichen Raums zur Verwirklichung der Ziele zu einer lebenswerten Stadt hervorzuheben. Aus diesem Grund widmet sich das folgende Kapitel einer genaueren Betrachtung des öffentlichen Raums.
25
THEORIE
KAPITEL 5 DER ÖFFENTLICHE RAUM
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
5
Der öffentliche Raum
_____________________________________________________________________________ „Ü erspitzt kö ru
te
a sage , Städte si d so gut ie ihre öffentlichen Räume – welche wiede-
dur h die Qualität der die Räu e ilde de Struktur esti
t erde .“ (Curdes 1997:
109) _____________________________________________________________________________ Als wesentliches Merkmal der europäischen Stadt ist der öffentliche Raum von großer Bedeutung für die Funktion und Gestalt der Städte. E ist das „Ge üst u d Gliede u gsele e t des Stadtraums“ (Reicher 2009: 15) und trägt maßgeblich zur Urbanität und Lebensqualität bei (vgl. Reicher 2009: 9; Selle 2008: 1). Wenn die Städte nur so gut sind wie ihre öffentlichen Räume, dann sind Städte auch nur lebenswert, wenn ihre öffentlichen Räum es sind. Die Qualität der die Räume bildenden Struktur durch die Gestaltung der physischen Umgebung ist ein zentrales Element, um nachhaltige, lebendige, sichere und gesunde Städte zu schaffen und damit das Ziel einer lebenswerten Stadt zu verwirklichen.
5.1
Anforderungen an den öffentlichen Raum
Das allgemeine Begriffsverständnis des öffentlichen Raums variiert jedoch. Einige verbinden damit bestimmte Raumabschnitte der Stadt wie z.B. Straßen, Plätze und Parks oder ihre Grünräume mit Wäldern und Flussauen. Andere definieren ihn nach den Eigentumsverhältnissen oder der Zugänglichkeit (vgl. Berding 2010: 25 -27). Kennzeichnend für den öffentlichen Raum ist vor allem die öffentliche Nutzbarkeit,
eshal au h o „öffe tli h utz a e Räu e “
(Selle 2008: 2) gesprochen wird und im umfassendsten Sinn alle öffentlich und für jedermann zugänglichen und nutzbaren Flächen der Stadt einschließt (vgl. Berding 2010: 30). Der öffentliche Raum steht allerdings vor Herausforderungen. Eine freie Zugänglichkeit ist nicht immer gewährleistet, da Parks nur gegen Eintritt oder Shoppingmalls und Parkplätze nur zu bestimmten Zeiten nutzbar sind und mittellose Menschen ausschließen. Im Straßenraum werden Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, besonders Kinder und ältere Menschen, durch fehlende Radwege und Bürgersteige oder Sicherheitsrisiken durch den Autoverkehr ausgeschlossen (vgl. Berding 2010: 27). Zudem steht der öffentliche Raum durch gesellschaftliche Veränderungen mit einer Pluralisierung der Lebensstile, den Medien und mehr Zeit für Aktivitäten vielfältigen und sich wandelnden Anforderungen gegenüber (vgl. Reicher 2009: 9; Kuhn 2012: 7). Sie sollen einen reibungs28
Der öffentliche Raum
losen Verkehr ermöglichen, Möglichkeiten für Erholung und Freizeit bieten, schön gestaltet sein und dabei allen Alters- und Nutzergruppen gerecht werden (vgl. Bundesstiftung Baukultur 2015: 78). Trotz dieses Wandels in der Gesellschaft zeigt sich eine Beständigkeit der Bedeutung des öffentlichen Raums. Er hat dadurch sogar noch an Bedeutung gewonnen und es ist eine Wiedergewinnung von Räumen zu erkennen, die der Stadtgesellschaft dienen (vgl. Kuhn 2012: 14). Es werden sowohl bestehende Räume aufgewertet, als auch neue Räume wie z.B. Straßen, Kreuzungen, Parkplätze als Erlebnisräume entdeckt (vgl. Reicher 2009: 19). Sie bieten als Ausgleich zu privaten Rückzugsorten Möglichkeiten zur Begegnung, Integration und Bewegung der Stadtbewohner.
5.2
Funktionen des öffentlichen Raums
Der öffentliche Raum kann als multifunktionaler Stadtbaustein betrachtet werden. Reicher schreibt dem öffentlichen Raum fünf verschiedene Funktionen zu: Eine kulturelle, eine soziale, eine ökologische, eine politische und eine ökonomische Funktion (vgl. Reicher 2009: 15). In kultureller Hinsicht ist der öffentliche Raum durch die Erlebbarkeit, ästhetischer Qualität und Nutzbarkeit prägendes Element für die Stadtkultur (vgl. Selle 2008: 4). In ihm finden neben dem alltäglichen Stadtleben Veranstaltungen und Events statt. Darüber hinaus ist er Ort der Repräsentation für die Menschen und Ausstellungsort von Kunst und Gestaltung des Raums (vgl. Selle 2008: 4). Der öffentliche Raum trägt somit entscheidend zur Identität der Stadt selbst und zur Identifikation der Bewohner*innen mit der Stadt bei und bestimmt dadurch auch das Außenbild, also das Image der Stadt (vgl. Flecken 2011; Reicher 2009: 15). Die soziale Komponente des öffentlichen Raums übernimmt er als Ort für Begegnung, Kommunikation, Freizeitaktivitäten und Aneignungsprozesse (vgl. Reicher 2009: 15). Besonders für Kinder bietet er Möglichkeiten zum Spielen außerhalb der privaten Wohnungen. Als Raum für notwendige, freiwillige und soziale Aktivitäten dient er einer Integration in die Stadtgesellschaft, birgt aber auch Ausgrenzungen und Unsicherheiten (vgl. Kuhn 2012: 19). Aus ökologischer Sicht wird der öffentliche Raum besonders für das Stadtklima und eine nachhaltige Stadtentwicklung geschätzt. Zusätzlich dient er als Freiraum zur Naherholung für die Bewohner*innen (vgl. Reicher 2009: 15). Die ökonomische Funktion des öffentlichen Raums bestand vor der Industrialisierung mit dem klassischen Marktplatz und Straßen zum Warenumschlag, bis sich Handel und Handwerk in 29
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
private Häuser und Hallen verlagerten. Heute zählt der öffentliche Raum vor allem für Unternehmen als harter sowie weicher Standortfaktor. Der Transportraum, die Infrastruktur und besonders das Image sind bei der Standortwahl entscheidend. Dadurch können Lagewerte und Immobilienpreise gesteigert und Impulse für Investitionen gegeben werden. Eine Aufwertung des öffentlichen Raums zur Steigerung der Attraktivität wird deshalb häufig im Zuge der Konkurrenz im Wettbewerb der Städte unternommen (vgl. Reicher 2009: 16; Selle 2008: 6). Der öffentliche Raum gilt auch als Raum für politische Zwecke. Dort finden politische Reden, Demonstrationen oder hoheitliche Aufgaben der Stadtverwaltung statt. Eine gute Regierung spiegelt sich auch in der Qualität des öffentlichen Raums wider (vgl. Reicher 2009: 16).
Abb. 7: Multifunktionalität des öffentlichen Raums Quelle: Eigene Abbildung
5.3
Elemente des öffentlichen Raums
Wie bereits zu Beginn des Kapitels beschrieben, umfasst der Begriff des öffentlichen Raums alle öffentlich zugänglichen Räume der Stadt jenseits der privaten Wohnungen ihrer Bewohner*innen. Besonders hervorzuheben sind Straßen, Plätze und Parks, denn sie prägen das Stadtbild besonders und sind wichtig für die Integration und Differenzierung der Gesellschaft (vgl. Curdes 1997: 109).
30
Der öffentliche Raum
5.3.1
Straßen
Der Straßenraum bildet einen großen Teil des öffentlichen Raums. Er verbindet den Stadtraum und seine verschiedenen Funktionen miteinander (vgl. Huber 2016: 3). Nach Jacobs sind Straße u d ih e Bü ge steige „die
i htigste öffe tlichen Orte einer Stadt“ (Jacobs 1993: 27).
Dem Straßenraum wird nicht nur eine Verkehrsfunktion zugeordnet, sondern auch eine Aufenthalts- und Begegnungsfunktion (vgl. Würdemann 1998: 361). Dort finden sowohl notwendige Aktivitäten, als auch freiwillige und soziale Aktivitäten statt (vgl. Gehl 2015: 110-115). Der Bürgersteig zum Beispiel bietet dem Menschen die Funktion zum Vorbeieilen oder zur Begegnung und zum Aufenthalt (vgl. Kuhn 2012: 19). Die Gestaltung des Straßenraums ist maßgeblich für die Stadtgestalt. Qualifizierte Straßenräume sind ein entscheidender Faktor für urbane Lebensqualität. Beispiele aus anderen Städten zeigen deutlich, wie eine Umwidmung des Straßenraums auf Fußgänger*innen und Radfahrer*innen statt Autos zu lebendigeren öffentlichen Räumen führt. Der Straßenraum bietet als Handlungsfeld für eine lebenswerte Stadt durch die Reduzierung und Umwidmung großes Potenzial zur Erhöhung der städtebaulichegestalterischen Qualität und damit der Lebensqualität in der Stadt (vgl. Würdemann 1998: 316).
Abb. 8: Schmale Gasse mit Details als Ort der Begegnung und des Aufenthalts in San Sebastián Quelle: Eigenes Foto
31
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
5.3.2
Plätze
Im Gegensatz zum Straßenraum, der zu Bewegung auffordert, sind Plätze Orte zum Verweilen. Sie sind besondere Räume der Aneignung, Aufenthalt und Kommunikation (vgl. Curdes 1997: 109). Sie sollten nach menschlichem Maß geplant werden und dem Vermögen der Sinneswahrnehmung entsprechen. Dies macht eine angemessene Dimensionierung erforderlich, die auch durch gezielte Gestaltelemente erreicht werden kann (vgl. Gehl 2015: 55). Durch eine attraktive Gestaltung und die Fassung der baulichen Struktur bieten sie eine besondere Atmosphäre und können bestimmte Gefühle im Menschen hervorrufen (vgl. Kuhn 2012: 9). Plätze sind im materiellen, funktionalen und symbolischen Sinne wichtig für die Identität der Stadt (vgl. Kuhn 2012: 8).
Abb. 9: Tanzende, beobachtende, sich unterhaltende Menschen am Plaza del doctor collado in Valencia Quelle: Eigenes Foto
5.3.3
Parks
Die Stadt benötigt eine gute Mischung aus lebendigen und ruhigen Orten (vgl. Gehl 2015: 184). In dicht bewohnten Städten besitzt die Mehrheit der Bewohner *innen keine Gärten und sind deshalb auf öffentliche Grün- und Freiflächen angewiesen. Parks bieten Raum für Bewegung und Erholung. Das Nutzungsangebot in den Parks kann variieren. Es besteht die Möglichkeit nach frischer Luft zu schnappen, Spaziergänge zu machen, Sport zu treiben oder sich mit anderen Menschen zu treffen. Auch hier ist eine attraktive Gestaltung notwendig, um die Bewohner*innen zur tatsächlichen Nutzung einzuladen und somit zu einer gesunden Stadt beizutragen (vgl. Gehl 2015: 185). 32
Der öffentliche Raum
Abb. 10: Der Park als Ort zur Erholung, Bewegung und Begegnung in Recoleta in Buenos Aires Quelle: Eigenes Foto
5.4
Gestaltung des öffentlichen Raums
Die Gestaltung des öffentlichen Raums hat einen wesentlichen Einfluss auf die Wahrnehmung und das Empfinden der Menschen. Durch eine angemessene Dimensionierung und Gestaltung kann der Raum als attraktiv empfunden werden und bekommt seine eigene Qualität (vgl. Curdes 1997: 116). Die Qualität umfasst dabei das gesamte Erscheinungsbild einer Stadt (vgl. Gehl 2015: 204). Bei der Gestaltung ist daher nicht nur der öffentliche Raum selbst, sondern auch seine gebaute Umgebung wichtig. Der öffentlicher Raum mit seinen Ausstattungselementen und Infrastrukturen sowie die fassenden Gebäude bilden also ein Ganzes, dessen Einzelelemente aufeinander abgestimmt werden müssen (vgl. Bundesstiftung Baukultur 2015: 76). Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist somit ein interdisziplinärer und ressortübergreifender Prozess verschiedener Akteure wie z.B. Landschaftsarchitekt*innen, Städtebauer*innen, Politiker*innen und Bewohner*innen (vgl. Bundesstiftung Baukultur 2015: 93). Dadurch sollen Synergien zwischen der baulich-räumlichen Organisation der Stadt und dem Handeln und Verhalten von Personen im öffentlichen Raum gefördert werden (vgl. Flecken 2011: 38). Nicht nur die Bedeutung des öffentlichen Raums an sich, sondern auch die Bedeutung seiner Gestaltung weist eine Beständigkeit auf. Wesentliche Prinzipien und Qualitätskriterien für gute öffentliche Räume haben eine dauerhafte Gültigkeit (vgl. Gehl 2012: 3). Auch die Stadt Aachen hat 2013 für ihre öffentlichen Räume in der Innenstadt ein Gestaltungshandbuch veröffentlicht, um ein 33
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
attraktives Stadtbild und eine Umgebung für die Menschen zu schaffen, die sie als schön empfinden (vgl. Aachen 2013: Grußwort). Im Folgenden werden grundsätzliche Gestaltprinzipien erläutert und erklärt, wie sie zu einer lebendigen, nachhaltigen, sicheren, gesunden und damit schließlich zu einer lebenswerten Stadt beitragen. Der Mensch nimmt besonders wahr, was ihm auf Augenhöhe begegnet. Daher sind die Erdgeschosszonen der Gebäude als städtische Übergangszonen von privatem zu öffentlichem Raum maßgeblich (vgl. Gehl 2015: 93). Bei der Gestaltung liegt das Augenmerk also besonders auf den Erdgeschossfassaden, da sie den Kontakt zur Straße herstellen. Eine schöne Fassadengestaltung kann den öffentlichen Raum attraktiv machen und eine besondere Atmosphäre schaffen (vgl. Gehl 2015: 119). Gegliederte Fassaden sowie Schaufenster von Läden und Cafés sorgen für belebte Erdgeschosszonen (vgl. Gehl 2015:163). In den Wohngegenden lassen sich sanfte Übergänge von den Wohnhäusern hin zum öffentlichen Raum in Form von kleinen Vorgärten, Pflanzbeeten oder Balkonterrassen schaffen. Diese stellen eine wichtige Kontaktzone dar (vgl. Gehl 2015: 105 - 106). Eine der menschlichen Wahrnehmung entsprechende Dimensionierung lässt sich durch niedrigere Bauten und die Einfassung beispielsweise durch Bäume und Poller auf Plätzen verwirklichen. Eine überschaubare Größe durch gefasste Plätze erlaubt eine gute Aussicht bei geschützter Umgebung. Neben der Aussicht auf Plätzen müssen auch Sichtachsen und Ausblicke auf besondere Gebäude oder Plätze für eine gute Stadtqualität bedacht werden (vgl. Gehl 2015: 172). Für die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse und Ansprüche an den öffentlichen Raum muss ein breites Nutzungsangebot bereitgestellt werden. Dafür sollten z.B. Spiel- und Sportgeräte, Orte zum Entspannen und Hundewiesen eingeplant werden .Mit Rücksicht auf die menschlichen Dimensionen sollen Plätze und Wege gleichermaßen funktional wie auch ästhetisch ansprechend gestaltet sein. Funktion und Design müssen daher zusammenwirken (vgl. Gehl 2015: 204-205). Um die Menschen zum Verweilen einzuladen bedarf es an Plätzen und Parks, aber auch im Straßenraum einer guten Ausstattung. Dazu zählt eine gefällige Möblierung. Besonders Sitzgelegenheiten sind für einen längeren Aufenthalt entscheidend. Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Sitzgelegenheiten (vgl. Gehl: 165). Unter die primären Sitzgelegenheiten fallen Stühle und Bänke. Sekundäre Sitzgelegenheiten bilden z.B. Stufen, Mauern oder Denkmäler (vgl. Gehl 2015: 161). Bei der Anordnung ist möglichst auf eine gute Aussicht, auf Ruhe und auf Schutz vor Witterung zu achten. 34
Der öffentliche Raum
Der öffentliche Raum soll für alle Menschen zugänglich sein. Deshalb ist bei der Gestaltung die Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Damit Wege auch von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung bequem und mühelos zurückgelegt werden können, müssen sie über Rampen, abgesenkte Bordsteine und eine gute Pflasterung verfügen(vgl. Gehl 2015: 156). Bei Sitzgelegenheiten spielen auch das Oberflächenmaterial und die Form für den Komfort eine Rolle (vgl. Gehl 2015: 166). Zusätzlich belebende Elemente bilden eine ansprechende Begrünung und die Integration von Wasser. Sie können gezielt zu einer Aufwertung des öffentlichen Raums beitragen (vgl. Kuhn 2012: 10). Eine attraktive Beleuchtung schafft nicht nur Atmosphäre, sondern vermittelt auch ein Sicherheitsgefühl. Zusätzlich zur Straßenbeleuchtung beleben auch beleuchtete Fenster angrenzender Gebäude den öffentlichen Raum(vgl. Gehl 2015: 209). Sichere Straßenübergänge und Querungen sind zudem für alle Personengruppen von Bedeutung. Durch eine sorgfältige Gestaltung des öffentlichen Raums unter Berücksichtigung der Gestaltungskriterien können also sichere, lebendige, nachhaltige und gesunde Städte entstehen. Als Wohnraum der Stadt sollen sie allen Bewohner*innen gleichermaßen zur Verfügung stehen und ihren Anforderungen gerecht werden. Die gestalterische Qualität beeinflusst dabei ihre Lebensqualität.
35
ANALYSE
KAPITEL 6 ANALYSE IN AACHEN
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
6
Analyse in Aachen
_____________________________________________________________________________ „Nur i u sere
athe atis he Jahrhu dert si d Stadter eiteru ge u d Städtea lage
ei ahe ei e rei te h is he A gelege heit ge orde […].“ (Sitte 1965: 2) _____________________________________________________________________________ Bereits in der Einleitung wurden die Problemstellung und der Handlungsbedarf in der Stadt Aachen erwähnt. Im folgenden Kapitel wird das Stadtquartier in Aachen Nord unter Berücksichtigung der theoretischen Grundlagen analysiert. Die Analyse erfolgt auf drei verschiedenen Maßstabsebenen: der Stadtebene, der Stadtteilebene und der Quartiersebene. Zunächst wird die gesamte Stadt Aachen in den Blick genommen. Danach wird der Stadtteil Aachen Nord und schließlich im Detail die kleinste Ebene, das Quartier entlang der Jülicher Straße, genauer betrachtet.
Abb. 11: Räumliche Einordnung des Plangebiets Quelle: Eigene Darstellung
38
Analyse in Aachen
6.1
Analyse auf Stadtebene
Die Stadt Aachen ist mit ca. 240.000 Einwohner*innen eine Großstadt im Dreiländereck und grenzt unmittelbar an Belgien und die Niederlande (s. Abb.11) (vgl. Schlaun Forum 2016: 3). Die Innenstadt zeichnet sich durch einen typischen mittelalterlich umwallten Stadtgrundriss, der heute als Ringstraße fungiert, aus. Im Kernbereich verbinden gewundene schmale Straßen die Plätze miteinander und führen zusammen auf den zentralen Marktplatz und den Aachener Dom im Zentrum. Die Aachner Innenstadt bietet mit schönen Häuserfassaden, detailreichen Gassen und überschaubaren Stadtplätzen attraktive öffentliche Räume, die zum Aufenthalt der Bewohner*innen einladen. Menschen spazieren durch die Stadt, begegnen sich an den Plätzen oder den zahlreichen Cafés oder flanieren an den Schaufenstern entlang. Am südlichen Ring befindet sich der Aachener Hauptbahnhof und am westlichen Innenstadtbereich der Campus der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. Vom Innenstadtring ausgehend hat sich die Stadt entlang von Sternstraßen in das Umland vergrößert (s. Abb. 11) (vgl. Aachen 2013: 5). Eine Straßenbahn befindet sich in Aachen nicht, sodass der Bus den öffentlichen Personennahverkehr bildet. Trotz schwerer Zerstörungen im 2. Weltkrieg enthält die Stadt ein großes kulturelles Erbe und historische Gebäude. Darüber hinaus verfügt Aachen über ein vielfältiges kulturelles Angebot. Dazu zählen eine große Anzahl an Bildungseinrichtungen, Theatern, Museen sowie jährliche Kultur- und Sportveranstaltungen (vgl. Schlaun Forum 2016: 3). Durch die RWTH und die Fachhochschule zählt die Stadt ca. 50.000 Student*innen, was einem Anteil von über 20% der Gesamtbevölkerung entspricht, und gilt deshalb als junge Stadt mit einem hohen Bildungsniveau und als Hochtechnologiestandort (vgl. Schlaun Forum 2016: 3). Durch den Rückzug der Industrie gab es zwar einen Verlust an Arbeitsplätzen. Dennoch wird Statistiken nach in den nächsten Jahren von einem Bevölkerungswachstum ausgegangen, weshalb der Bedarf an neuem, attraktiven Wohnraum in innenstadtnaher Lage bestehen wird (vgl. Schlaun Forum 2016: 3). Dem stehen derzeit vor allem aktuelle Strukturen mit großen, teils leerstehenden Industriearealen sowie breiten, viel befahren Straßen für den MIV im nördlichen Teil der Stadt im Wege.
6.2
Analyse auf Stadtteilebene
Der Stadtteil Aachen Nord grenzt südlich an die Aachener Innenstadt, an das Ostviertel sowie im Norden an den Stadtbezirk Aachen-Haaren. Er ist angebunden an die Autobahnen A4, A44 und A544 (s. Abb 11) (vgl. Schlaun Forum 2016: 6). Dies ist zum einen Standortfaktor, zum anderen führt es zu einem hohem Verkehrsaufkommen und einem von Autos dominierten Straßenraum sowie einer hohen Lärmbelastung. Insgesamt ist der Stadtteil von einer starken in39
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
dustriellen Entwicklung geprägt und weist eine durchmischte Struktur von Wohn- und Gewerbegebieten auf (vgl. Schlaun Forum 2016: 6). Die Haupterschließung verläuft über die Jülicher Straße und führt direkt auf den Stadtring zu. Attraktive öffentliche Räume wie z.B. Plätze und Parks existieren bislang nicht. Es fehlt an identitätsstiftenden Orten, an denen sich die Menschen aufhalten und Aktivitäten im Freien nachgehen können. Durch den Strukturwandel und die Aufgabe von Industriebetrieben sind viele ungenutzte Flächen entstanden, die eine mangelnde Erschließung und mindere Aufenthaltsqualität aufweisen. Gleichzeitig befinden sich in Aachen Nord jedoch wichtige kulturelle Einrichtungen wie z.B. das Ludwigforum oder das Das Da-Theater und es siedeln sich innovative, wohnverträgliche Unternehmen im Gewerbegebiet Alter Schlachthof an. Seit 2010 befindet sich der Stadtteil Aachen-Nord im Städtebauförderungsprogramm Soziale Stadt, um neue Aufenthaltsorte mit attraktiver Gestaltung zu schaffen und die Lebensqualität im Stadtteil zu erhöhen (vgl. Aachen 2017: 41). Darunter fällt beispielsweise die Schaffung der Rehmplätze für neue attraktive öffentliche Räume zum Aufenthalt der Bewohner*innen und zur Steigerung der Lebensqualität (vgl. Aachen 2017: 41). Im nördlicheren Teil der Jülicher Straße allerdings, indem sich das Untersuchungsquartier befindet, sind jedoch bisher nur wenige Maßnahmen getroffen worden.
6.3
Analyse auf Quartiersebene
Das im Rahmen dieser Arbeit betrachtete Quartier befindet sich im Stadtteil Aachen Nord am südlichen Teil der Jülicher Straße. Die Haupterschließung erfolgt über diese und den Europaplatz. Seine Grenzen bilden die Talbotstraße im nördlichen Teil sowie die Joseph-von-GörresStraße im südlichen Teil (s.Abb. 12).
Abb. 12: Quartiersabgrenzung Quelle: Eigene Abbildung, Foto von Google Earth
40
Analyse in Aachen
6.3.1
Nutzungsanalyse
Innerhalb des Quartiers besteht wie im Stadtteil Aachen Nord eine sehr durchmischte Nutzungsstruktur. An der nördlichen Straßenseite der Jülicher Straße hin zum Gewerbegebiet befinden sich überwiegend Gewerbe- und Industriebetriebe. Auf der gegenüberliegenden südlichen Straßenseite dagegen befinden sich neben der Wohnnutzung mehrere kleinere Gewerbebetriebe, darunter ein Gebrauchtwagenhändler und eine Autovermietung. Diese Art von Gewerbe beansprucht große Stellflächen in den Hinterhöfen und macht den Hof als Ort der Begegnung zunichte. Daneben befinden sich im Quartier zwei Kindertagesstätten sowie eine Förderschule, ein Begegnungszentrum und ein Lebenshilfe-Haus. Entlang des Flusses Wurm liegt inmitten des Quartiers die Kleingartensiedlung Wiesental und das historische Gut Kalkofen. Am Europaplatz befinden sich ein Hotel und Hochschuleinrichtungen. Die öffentlichen Räume beschränken sich auf Spiel- und Sportplätze sowie den Straßenraum. Städtische Quartiersplätze zur Begegnung oder Parks zur Naherholung sind nicht vorzufinden. Auch gibt es keine Gastronomie und Cafés oder Bars, die die Möglichkeit als Treffpunkt für die Bewohner*innen im Quartier eröffnen. Durch die Gemengelage und die fehlenden Aufenthaltsräume schränkt das Quartier die Bewohner*innen in ihren Aktivitäten und ihren sozialen Kontakten ein (s. Abb. 13).
41
Wohnen
Hotel/Gut
Gewerbe
Kleingärten
Industrie
Spiel- und Sport
Soziale Einrichtung
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Bildungseinrichtung
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Quelle: Eigene Abbildung
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Abb. 13: Nutzungsanalyse
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Analyse in Aachen
6.3.2
Verkehrsanalyse
Neben der Nutzungsstruktur im Untersuchungsgebiet stellt auch die aktuelle verkehrliche Situation ein Problem dar. Durch die Haupterschließung über die Jülicher Straße sowie den Verkehrsknotenpunkt Europaplatz besteht ein sehr hohes Verkehrsaufkommen (vgl. Aachen Nord 2015: 7). Die Aufteilung der Jülicher Straße mit jeweils zwei Fahrspuren in beide Richtungen unterstreicht die hauptsächlich transitorische Funktion und drängt Fußgänger*innen und Radfahrer*innen an den Rand (s. Abb. 14).
Abb. 14: Aktueller Straßenquerschnitt der Jülicher Straße Quelle: Eigene Abbildung
Insgesamt wird der Straßenraum von fahrenden und parkenden Autos dominiert und lässt wenig Platz für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Baulich getrennte Fuß- und Radwege gibt es nicht, sodass die Teilnehmer sich den Bürgersteig teilen und sich bei hohen Aufkommen gegenseitig ausweichen müssen (s. Abb. 15). Durch parkende Autos und technische Elemente auf den Bürgersteigen werden sie weiter eingeschränkt (s. Abb. 16 und Abb. 17). Barrieren auf den Mittelinseln der Straße und fehlende Fußgängerüberwege verhindern das Queren der Straße und sorgen für einen stockenden Fuß-und Radverkehrsfluss (s. Abb. 18).
Abb. 15: Wenig Platz für Fußgänger und Radfahrer Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 16: Technische Elemente auf dem Gehweg Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
43
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Abb. 17: Parkende Autos auf den Gehwegen Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 18: Barrieren auf den Mittelinseln Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Spezielle Fuß- und Radwege finden sich nur wenige und nur abschnittsweise, entlang der Wurm oder zwischen Gewerbegebäuden (s. Abb. 19). Ein zusammenhängendes Radwegenetz von Tür zu Tür gibt es nicht und Fahrradparkplätze oder Abstellmöglichkeiten sind ebenfalls unzureichend. Der bereits begonnene Radweg entlang der Wurm bietet jedoch Potenzial für den Ausbau (vgl. Schlaun Forum 2016: 9). Zudem befindet sich innerhalb der Kleingartensiedlung ein privates Wegenetz, dass nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist und somit müssen Umwege in Kauf genommen werden (s. Abb. 19).Die ÖPNV-Anbindung mit dem Bus ist als positiv zu bewerten. Die umliegenden Bushaltestellen an der Jülicher Straße und der Joseph-vonGörres-Straße sind nicht mehr als fünf Gehminuten von dem Quartier entfernt und die Aachener Innenstadt sowie der Hauptbahnhof innerhalb von 10-15 Minuten zu erreichen. Lediglich zu Stoßzeiten sind diese durch die hohe Zahl der Nutzer*innen teilweise überlastet. Die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h in der Joseph-von-Görres Straße ist sehr hoch und vermittelt Fußgängern und Radfahrern ein Gefühl von Unsicherheit. Bereiche mit Schrittgeschwindigkeit innerhalb der Wohnstraßen bestehen nicht.
44
Nur Fußverkehr
Geschwindigkeit
10 km/h
Fuß - und Radverkehr
20 km/h
Fuß-, Rad- und Autoverkehr
30 km/h
Privatwege
50 km/h
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Bushaltestelle
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Quelle: Eigene Abbildung
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Abb. 19: Verkehrsanalyse
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Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
6.3.3
Städtebaulich-gestalterische Analyse
Aus städtebaulich-gestalterischer Sicht weist das Quartier deutliche Mängel auf. Durch die wechselhafte Struktur von Wohnen und Gewerbe sind an der Jülicher Straße fehlende Raumkanten und schlechte Übergänge zu identifizieren (s. Abb. 20 und 21).
Abb. 20: Fehlende Raumkante Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 21: Schlechter Durchgang zum Spielplatz Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Der Gebäudezustand ist durchmischt. Die denkmalgeschützten Gebäude an der Joseph-vonGörres-Straße wurden bereits saniert und haben ansprechende Fassaden (s. Abb. 22). An der Jülicher Straße jedoch sind neben schönen Altbaufassaden auch monotone und weniger ansprechende Fassaden zu sehen (s. Abb. 23).
Abb. 22: Sanierte, prägende Raumkante Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 23: Schlechter Zustand der Fassaden Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Ebenso verhält es sich mit den Innenhöfen. Diese sind zum einen gepflegt und zum anderen heruntergekommen und bieten keine Möglichkeit zum Aufenthalt für die Bewohner*innen. Der Straßenraum weist im gesamten Quartier eine mangelhafte Gestaltung und eine schlechte Aufenthaltsqualität auf. Die Straßenoberflächen sind in einem schlechten Zustand und es fehlt in wesentlichen Teilen an Begrünung. Besonders entlang der Jülicher Straße wirkt der Raum durch fehlende Bäume und die vielen Fahrspuren und Parkplätze für Pkws überdimensioniert. Die Spiel und Sportplätze sind vielfältig ausgestattet und befinden sich in einem guten Zustand (s. Abb. 24). Die Wege dorthin sind jedoch uneinsichtig und nicht einladend gestaltet (s. Abb. 46
Analyse in Aachen
25). Außerhalb der ausgewiesenen Spielflächen ist das Spielen nur eingeschränkt möglich (s. Abb. 26). Ebenso wenig einladend wirkt der bisherige Stadteingang am Europaplatz, der nur eine überdimensionierte Verkehrsfläche darstellt (s. Abb. 27).
Abb. 24: Gut ausgestattete Spielplätze Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 25: Uneinsichtige Wege Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 26: Eingeschränkte Spielmöglichkeiten Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Abb. 27: Mangelhafter Stadteingang Quelle: Eigenes Foto und Abbildung
Durch die Kleingartenanlage wird der Blick auf das schöne historische Gebäude des Gut Kalkofens versperrt und es damit vom Rest des Quartiers isoliert. Zudem wird der Übergang in den Freiraum zur Wurm dadurch verhindert (s. Abb. 28). Das Quartier entspricht in seiner derzeitigen Situation nicht dem Idealbild der lebenswerten Stadt. Fehlende öffentliche Räume und hohe Geschwindigkeiten des MIVs lassen das Quartier leblos erscheinen. Sie machen aus dem Quartier lediglich einen Durchfahrtsort, an dem sich Fußgänger*innen und Radfahrer*innen selten gerne lange aufhalten. Der Mangel an Begegnungsmöglichkeiten, hohe Emissionen und fehlende Begrünung machen das Gebiet insgesamt unattraktiv, widersprechen somit der Nachhaltigkeit und sind für die Gesundheit nicht zuträglich. Durch das hohe Verkehrsaufkommen, eine undurchsichtige Wegeführung sowie durch unbelebte Räume ergeben sich Sicherheitsmängel. Es besteht in allen Bereichen Handlungsbedarf.
47
Mangelhafte Straßenraumgestaltung
Fehlende Sichtbeziehungen
Prägende Raumkante
Mangelhafter Stadteingang
Prägendes Gebäude
Fehlende Gestaltung des Bachufers
Mangelhafter Übergang zum Freiraum
Monotone Fassaden
Isolierende Fläche
Heruntergekommene Höfe
Gut gestaltete Spiel-und Sportfläche
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Fehlende Raumkante
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Quelle: Eigene Abbildung
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Abb. 28: Städtebaulich-gestalterische Analyse
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KONZEPT
KAPITEL 7 KONZEPT FÜR AACHEN
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
7
Konzept für Aachen
_____________________________________________________________________________ „Es gilt, Aa he als u der are, le e s erte Stadt i
Herze Europas i alle Berei he Zu-
kunftsfähig zu halten, die Stärken hervorzuheben und als Heimat für die hier lebenden Menschen weiter zu entwickeln.“ (Bürgermeister von Aachen, Stadt Aachen 2017: 3). _____________________________________________________________________________ Die Analyse zeigte den Handlungsbedarf für ein lebenswertes Quartier auf. Darauf aufbauend werden in diesem Kapitel das Leitbild und die Handlungsschwerpunkte erläutert sowie das Gesamtkonzept für die Umgestaltung des Quartiers mit Perspektiven vorgestellt.
7.1
Leitbild
Im Zentrum des Entwurfs steht das Schaffen eines neuen urbanen Wohnquartiers mit attraktiven öffentlichen Räumen in Wohnungsnähe. Diese werden ergänzt durch den begrünten Straßenraum, der ebenfalls eine Aufenthaltsfunktion darstellt und durch eine durchgängige Begrünung gleichzeitig eine Verbindung zwischen den Grünräumen im Quartier herstellt. Fokus des Grünraums liegt vor allem in der Verwirklichung eines Parks entlang der Wurm. Insgesamt ist durch das Quartier eine Vernetzung des Gewerbegebiets mit seinen angrenzenden Wohngebieten und dem Freiraum angestrebt. Sowohl in den Wohngebieten und im Freiraum, als auch in dem Gewerbegebiet sollen Plätze und Parks zur Erholung und Begegnung entstehen.
7.2
Themenkonzepte
Die in der Analyse betrachteten Themenfelder Nutzung, Verkehr und Gestaltung werden in der Konzeption erneut aufgegriffen und erläutert, um schließlich aus den Teilbereichen das Gesamtkonzept zu entwickeln. Auch wenn dem öffentlichen Raum und seiner Gestaltung eine zentrale Bedeutung für das Konzept zukommt, sind die umgebenden Nutzungen sowie die verkehrliche Gestaltung untrennbar miteinander verbunden.
50
Konzept für Aachen
7.2.1
Nutzungskonzept
Das Konzept sieht eine Neuordnung der Nutzungsstruktur, insbesondere beidseits der Jülicher Straße vor. Hier werden die alten, teils leerstehenden Gewerbe- und Industriegebäude durch Blöcke mit einer Mischnutzung ersetzt, in denen eine Kombination aus beispielsweise Wohnungen, Büros und Einzelhandel oder Gastronomie möglich ist. Autobezogenes Gewerbe in den Hinterhöfen soll ebenfalls ausgesiedelt werden. Dadurch soll der bisherigen Gemengelage entgegengewirkt und ein harmonischer Übergang von Gewerbe und Wohnen erreicht werden (s. Abb. 29). Direkt an die Jülicher Straße angrenzend ist eine gewerbliche Erdgeschossnutzung vorgesehen, um diese Zonen durch Schaufenster der Läden, Restaurants oder Cafés zu beleben. Inmitten des Quartiers entstehen neue Blöcke mit einer Wohnnutzung. Die Bebauungsdichte nimmt von der Jülicher Straße bis hin zur Wurm stetig ab, so befindet sich an der Jülicher Straße eine geschlossene Blockstruktur sowie in der Mitte und an der Wurm eine gelockerte und offene Bebauung, mit Durchgängen zum Freiraum. Die sozialen Einrichtungen bekommen durch die neue Nutzungsstruktur ein attraktiveres und verträglicheres Umfeld. Für die Garbe-Lahmeyer Halle ist eine Umnutzung zur Kultur-und Veranstaltungshalle geplant. Das für die Industriekultur prägende Gebäude wird damit in einen neuen Kontext gesetzt und soll nun den Bewohner*innen als Ort für Freizeit und für soziale Aktivitäten dienen. Als Ergänzung zu den übrigen Nutzungen stehen den Bewohner*innen nun Plätze und Parks in den Wohngebieten sowie am Gewerbegebiet zu Verfügung. Die zuvor privaten Kleingärten weichen einem Park, der allen Bewohner*innen des Quartiers, aber auch der umliegenden Gebiete Raum für Aktivitäten im Freien bietet. Das neue Quartier zeichnet sich also durch eine kompakte Struktur mit einer höheren Dichte und Nutzungsmischung aus. Trotz der vielfältigen Funktionen wird jedoch durch sanfte Übergänge ein verträgliches Miteinander garantiert, sodass mehr Leben entsteht.
51
Wohnen
Soziale Einrichtung
Park
Gewerbe
Bildungseinrichtung
Spiel- und Sport
Industrie
Kultureinrichtung
Mischnutzung
Hotel/Gut
Gewerbliche Erdgeschossnutzung
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Sondernutzung
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Nutzungsbeispiel
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Mischnutzung Wohnen Wohnen
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Einzelhandel
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Quelle: Eigene Abbildung
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Abb. 29: Nutzungskonzept
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Maßstab 1:5000
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Arztpraxis Café
Außenbereich
Konzept für Aachen
7.2.2
Verkehrskonzept
Das Verkehrskonzept muss je nach Bauvorhaben gründlich überlegt sein und somit kontextuell entschieden werden, welche Straßentypen und Verkehrsformen eine gute Lösung darstellen (vgl. Gehl 2015: 115). In diesem Fall sind in dem Entwurf möglichst wenig Autoverkehr und eine Priorisierung auf den Fuß- und Radverkehr innerhalb des Quartiers und zwischen den Häusern vorgesehen. Innerhalb des Quartiers gibt es eine klare Straßenhierarchie. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Jülicher Straße als Haupterschließungsstraße des Quartiers und örtlicher Verbindungsstraße zu den umliegenden Gebieten. Derzeit ist die Jülicher Straße wegen der hohen Verkehrsbelastung für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen unattraktiv, so ist ihnen wenig Platz eingeräumt und sie müssen sich den Bürgersteig teilen (s. Kapitel 6.3.2). Die Umgestaltung der Jülicher Straße sieht beidseits breitere Bürgersteige sowie separate Radfahrspuren, die durch parkende Autos geschützt werden, vor (s. Abb. 30).
Abbildung 30: Geplanter Straßenquerschnitt der Jülicher Straße Quelle: Eigene Abbildung
Ausgehend von der Jülicher Straße wird das Quartier zu beiden Seiten mit einer Ringstraße erschlossen, die für Autos, Fußgänger und Radfahrer zugänglich ist, jedoch mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h. Stellplätze werden in Tiefgaragen ausgewiesen. Neben Stellplätzen für Autos werden in regelmäßigen Abständen auch Stellplätze für Fahrräder bereitgestellt (s. Abb. 32). Zwischen den Wohnblöcken ist ein zusammenhängendes Netz an Straßen für Fußgänger und Radfahrer geplant und es herrscht ein Verbot für den Autoverkehr. Innerhalb der Wohnblöcke sind die Häuser durch ein Fußwegenetz im Innenhof miteinander verbunden (s. Abb. 32).
53
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Das gesamte Quartier bekommt ein neues Radwegenetz, das zudem an den überregionalen Radweg entlang der Wurm angebunden ist. Innerhalb des Quartiers befinden sich zusätzlich zur gesicherten Verkehrsnetzinfrastruktur in regelmäßigen Abständen, meist an Plätzen, Stadtrad-Stationen, um Fahrräder immer zu Verfügung zu stellen (s. Abb. 32). Durch die Ergänzung des bereits guten Busliniennetzes wird das Quartier an die Innenstadt sowie an die umliegenden Quartiere angeschlossen. Diese Haltestellen sind nicht mehr als 500 Meter oder fünf Gehminuten entfernt gelegen, sodass keine großen Wege notwendig sind und eine gute Erreichbarkeit für alle Menschen gewährleistet wird. Durch das Angebot an Stadträdern und dem ÖPNV bestehen insgesamt gute Umsteigemöglichkeiten der Bewohner*innen zwischen den verschiedenen Verkehrsformen zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus. Das vielfältige Angebot durch die bereitgestellte Infrastruktur und attraktive Wegeverbindungen soll die Menschen zum Gehen, Radfahren oder Busfahren einladen, damit sie auf ihren Strecken innerhalb des Quartiers und in die umliegenden Gebiete nach Möglichkeit auf das Auto verzichten. Dennoch setzt dies nicht nur ein Umdenken in der Planung zur Schaffung einer besseren Verkehrsinfrastruktur mit der Priorisierung auf den Umweltverbund, sondern auch ein Umdenken des Mobilitätsverhaltens der Bewohner*innen voraus. Durch das Verkehrskonzept für das Aachener Stadtquartier werden erste Impulse für einen Wandel gesetzt.
Abb. 31: Angestrebte Änderung des Mobilitätsverhaltens in Aachen Quelle: Eigene Abbildung
54
Nur Fußverkehr
Geschwindigkeit
10 km/h
Fuß - und Radverkehr
20 km/h
Fuß-, Rad- und Autoverkehr
30 km/h
Stadtrad-Station
50 km/h
Getrennte Spur
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Bushaltestelle
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Parkraumkonzept
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Quelle: Eigene Abbildung
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Abb. 32: Verkehrskonzept
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Maßstab 1:5000
Parken am Straßenrand
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Tiefgrarage Fahrradstellplätze am Straßenrand Fahrradgarage im Innenhof
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
7.2.3
Gestaltungskonzept
Die geplante Nutzungsstruktur und Abwicklung des Verkehrs unterstützen die gestalterischen Vorhaben. Umgekehrt muss die Gestaltung, wie bereits in der Theorie beschrieben, die Funktionen unterstützen und ein Zusammenspiel entstehen. Eine Aufwertung des Straßenraums erfolgt vor allem an der Jülicher Straße, um diese als Aufenthaltsraum zurückzugewinnen. Neue Raumkanten und belebte Erdgeschosszonen durch ansprechende Fassaden und eine Nutzungsmischung führen zu einer attraktiven Straße mit neuer Aufenthaltsqualität. Zusätzlich wird der Straßenraum großzügig begrünt und damit eine Verbindung zwischen den Grünräumen hergestellt (s. Abb. 33). Durch eine individuelle Gestaltung der Plätze und Parks werden neue identitätsstiftende Orte geschaffen. Sichtachsen zwischen den neuen öffentlichen Räumen und Gebäuden ermöglichen den Blick auf raumprägende Elemente und heben die neuen urbanen Qualitäten hervor. So sind von der Jülicher Straße aus Sichtbeziehungen zu den Plätzen und Parks möglich. Diese wiederum bieten eine Aussicht auf das Gut Kalkofen (s. Abb. 33). Auch der rücksichtvolle Umgang mit dem Bestand ist Teil des Gestaltungskonzepts. So sollen historische Gebäude erhalten und der Neubau in den Bestand integriert werden (s. Abb. 33). Eine gute Möblierung soll die Menschen zum längeren Aufenthalt einladen. Die Renaturierung des Bachufers soll zukünftig den Bewohner*innen den Zugang zum Wasser gewähren. Die neuen öffentlichen Räume sollen sowohl tagsüber im Hellen, als auch in den dunklen Abendund Nachtstunden erlebbar sein. Besonders die Straßen, Plätze und Parks sollen deshalb durch ein Beleuchtungskonzept belebt werden. Dadurch werden die Aufenthaltsqualität und Orientierung gesteigert und es wird eine angenehme Atmosphäre erzeugt, die die Menschen zum Verweilen und zur Nutzung einladen. Bezüglich der Sicherheit werden Angsträume durch die Beleuchtung vermieden. Eine gezielte Beleuchtung hebt raumprägende Gebäude, wie z.B. das Gut Kalkofen oder das neue Hotel am Europaplatz hervor und setzt sie neu in Szene (s. Abb. 33).
56
Bestandsintegration
Straßenbegrünung
Raumkanten
Fassadenvariation
Innenhofbegrünung
Identitätsstiftender Platz
Belebte Erdgeschosszonen
Inszenierung durch Beleuchtung
Aufwertung des Straßenraums
Möblierung
Raumbeleuchtung
Einladender Stadteingang
Renaturierung des Bachs
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Sichtbeziehungen
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Jo se ph -v on -G ör re s-S
Gestaltungsbeispiel
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Fassadenvariation Belebte Erdgeschosszonen Integration in den Bestand
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Straßenbegrünung
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Vorher
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Quelle: Eigene Abbildung
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Abb. 33: Gestaltungskonzept
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Maßstab 1:5000
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Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
7.3
Gesamtkonzept
Die zuvor beschriebenen Konzepte von Nutzung, Verkehr und Gestaltung tragen zusammen zu einem lebenswerten Stadtkonzept bei, da sie sich gegenseitig beeinflussen und die Aspekte einer lebendigen, nachhaltigen, sicheren und gesunden Stadt auf unterschiedliche Art und Weise mitbestimmen.
7.3.1
Perspektiven
Ein wichtiger Bestandteil des Konzepts liegt in der Requalifizierung der Aufenthaltsqualität der Jülicher Straße zu einem neuen belebten Straßenraum, der zukünftig mehr als nur eine transitorische Funktion erfüllen soll. Neue Raumkanten und belebte Erdgeschosszonen laden zum Spazieren ein. Bäume verleihen der Straße einen Alleecharakter. Jeweils eine Pkw-Fahrspur weicht breiteren Bürgersteigen und einem separaten Radweg (s. Abb. 34).
Abb. 34: Perspektive der Jülicher Straße Quelle: Eigene Darstellung
58
Konzept für Aachen
Die Wohnungen am Park bieten die Aussicht auf den attraktiven Freiraum und das Gut Kalkofen. Der Park wird von mehreren Wegen gekreuzt, zwischen denen sich neue Flächen mit unterschiedlicher Begrünung und Nutzungen ergeben für Erholung, Spiel und Sport. Stufen am Fuß-und Radweg der Wurm ermöglichen einen Zugang zum Bachufer sowie das Verweilen am Wasser (s. Abb. 35).
Abb. 35: Perspektive des neuen Parks an der Wurm Quelle: Eigene Abbildung
59
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Der neue Quartiersplatz an der Jülicher Straße/ Ecke Krantzstraße mit einem Café mit Außenbestuhlung und einer kleinen Spielfläche bietet einen Lebensraum für alle Nutzergruppen und für unterschiedliche Aktivitäten. Kinder können spielen, während die Eltern draußen im Café sitzen und das Geschehen überblicken. Eine überschaubare Größe, primäre und sekundäre Sitzgelegenheiten in Form von Außenbestuhlung, Bänken oder Pollern, Spielgeräte und eine attraktive Beleuchtung schaffen eine freundliche Atmosphäre. Eine persönliche Aneignung ist jedem gewährleistet (s. Abb. 36).
Abb. 36: Perspektive des neuen Platzes an der Jülicher Str./ Ecke Krantzstraße Quelle: Eigene Abbildung
60
Konzept für Aachen
7.3.2
Gestaltungsplan
Als Zusammenführung der Konzepte und Perspektiven werden im Gestaltungsplan zusätzlich Aussagen zum gestalterischen und funktionalen Zusammenhang des Quartiers getroffen und weitere Details dargestellt. Besonders die Erschließung, Bebauung und Freiraumstruktur werden hervorgehoben (s. Abb. 37). Die Fuß- und Radstraßen zwischen den Häusern bieten ausreichend Raum für den zu erwartenden Verkehr und sind gleichzeitig überschaubar und begrünt. Sanfte Übergänge zwischen den privaten Gebäuden und den öffentlichen Straßen werden durch Bäume, Vorgärten und Bepflanzungen erzeugt (s. Abb. 37). Im Konzept wird auch auf ein menschliches Maß der Bebauung geachtet. Die Geschossigkeit innerhalb des Quartiers nimmt mit der Dichte der Bebauung ab. So beträgt sie entlang der Jülicher Straße vier bis fünf Geschosse, um die urbane Qualität der Raumkanten zu unterstützen. Die gelockerte Bebauung inmitten des Gebiets und am Park ist zwei bis vier geschossig (s. Abb. 37). Diese Gebäudehöhe entspricht somit dem Fassungsvermögen der menschlichen Wahrnehmung und ermöglicht das Beobachten und das Teilnehmen am Geschehen im öffentlichen Raum (s. Kapitel 3). Das neue Hotel mit einem geöffneten Vorplatz zum Europaplatz und die neue Begrünung fassen den zuvor überdimensionierten Kreisverkehr und machen aus ihm einen einladenden Stadteingang. Zum einen gewährt er den Blick auf die beleuchtete Fontäne am Europaplatz und zum anderen die Aussicht auf das Gut Kalkofen. Der ehemals weitläufige Freiraum wird nun durch neue Baumreihen begrenzt und mit Wegen zugänglich gemacht (s. Abb. 37).
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Gastronomie
Altenheim
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Garbe-LahmeyerVeranstaltungshalle
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Spielplatz
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Supermarkt III
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Gut Kalkofen
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enstraße
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IV
IV
Burggraf
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Café
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Lebenshilfe-Haus
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Konzept für Aachen
Zusammenfassend lässt sich das neue Quartier in Aachen Nord als lebenswert beschreiben. Die neuen öffentlichen Plätze und Parks und eine Rückgewinnung der Straßen als Kommunikations- und Aufenthaltsorte dienen allen Nutzergruppen und Generationen, auch über die Quartierebene hinaus. Durch die neuen attraktiven Räume und seine zentrale Lage bietet es auch für die umliegenden Viertel zahlreiche Vorteile. Dadurch werden zukünftig lebendige Räume entstehen. Dies wird durch niedrigere Geschwindigkeiten und mehr Fuß- und Radverkehr gefördert, was zudem Einfluss auf die Sicherheit hat. Durch die belebteren Räume steigt die soziale Kontrolle und eine Beleuchtung führt auch in den dunklen Stunden zu einem sicheren Quartier. Durch das alltägliche Zurücklegen der Wege zu Fuß oder mit dem Rad und die zahlreichen Spiel- und Sportmöglichkeiten im öffentlichen Raum werden die Bewohner*innen außerdem zur Bewegung angeregt. Dies führt zu einer gesünderen Stadt. Die Reduzierung der Emissionen und die Schaffung neuer Grün- und Sozialräume führen zu einer Aufwertung des Quartiers. Damit wird der Aspekt der Nachhaltigkeit in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht berücksichtigt (s. Abb. 38).
Abb. 38: Maßnahmen zur Zielerreichung des lebenswerten Stadtquartiers Quelle: Eigene Abbildung
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Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
Das Quartier erfüllt somit die genannten Eigenschaften einer lebenswerten Stadt, die lebendig, nachhaltig, sicher und gesund ist. Durch eine am Menschen orientierte Herangehensweise und die Kombination aus einer verträglichen Nutzungsmischung und Verkehrsabwicklung sowie der Gestaltung des öffentlichen Raums im Sinne einer ganzheitlichen Planung wird ein attraktiver Lebensraum für die Menschen in Aachen geschaffen.
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KAPITEL 8 FAZIT
Lebenswerte Städte durch die Gestaltung des öffentlichen Raums
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Fazit
_____________________________________________________________________________ „Es geht heute um die Sicherung der Qualitäten und die Zukunftsfähigkeit unserer Städte und Ge ei de .“ (Kuhn 2012: 9) _____________________________________________________________________________ Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage, wie durch die Gestaltung des öffentlichen Raums ein lebenswertes Stadtquartier geschaffen werden kann, mit dem Ziel ein Konzept für das Quartier an der Jülicher Straße im Stadtteil Aachen Nord zu entwickeln. Hierzu wurde zunächst der Mensch als Bewohner*in der Stadt mit seiner Wahrnehmung und Aktivitäten betrachtet und seine daraus folgenden Bedürfnisse abgeleitet. Darauf aufbauend wurde im Anschluss das Idealbild der lebenswerten Stadt untersucht und seine Bedeutung und Eigenschaften geklärt. Aus der Betrachtung inhaltlicher Überlegungen und Konzepte, wurden die von Gehl genannten Grundsätze einer lebendigen, nachhaltigen, sicheren und lebendigen Stadt als wesentliche Eigenschaften einer lebenswerten Stadt identifiziert. Es stellt sich dabei heraus, dass dem öffentlichen Raum eine Kernfunktion für das Erreichen des Ziels einer lebenswerten Stadt zukommt, da er als physische Umgebung in Wechselwirkung mit den Menschen steht und wesentlichen Einfluss auf deren Möglichkeiten in der Stadt nimmt. Deshalb gilt es bei seiner Gestaltung besonderen Wert auf eine hohe Qualität zu legen, um den menschlichen Bedürfnissen entsprechende Räume zu schaffen, in denen sie sich gerne aufhalten. Trotz vielfältiger Möglichkeiten der Gestaltung gibt es einige grundsätzliche Kriterien, die dabei zu berücksichtigen sind. Anhand der theoretischen Erkenntnisse wurde unter diesen Aspekten das Quartier im Stadtteil Aachen Nord analysiert und festgestellt, dass es in allen Bereichen Defizite für ein lebenswertes Stadtquartier aufweist und ein großer Handlungsbedarf besteht. Auf Basis der Theorie und der Analyse wurde ein Konzept erstellt, in dem durch eine neue Nutzungsstruktur, die Priorisierung auf den Fuß- und Radverkehr und besonders durch die attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums neue Orte mit einer hohen Aufenthaltsqualität geschaffen werden. Durch die neuen Rahmenbedingungen im Quartier werden die Bewohner*innen eingeladen, sich mehr im Freien aufzuhalten und ihre Umgebung für Aktivitäten zu nutzen. Schon in den vergangenen Jahren wurde der Trend zu einer Aufwertung der Lebensqualität festgestellt. Nicht nur die theoretischen Überlegungen, sondern auch praktische Beispiele veranschaulichen, wie eine gezielte Stadtplanung zu lebenswerteren Städten beitragen kann. Die 68
Fazit
Entwicklungen in vielen Städten überall auf der Welt mit Maßnahmen zur Requalifizierung der öffentlichen Räume sowie das immer häufigere Auftauchen des Begriffs in den Stadtentwicklungskonzepten zeigen deutlich, dass die lebenswerte Stadt bereits ein wichtiges Thema darstellt. Es scheint eine allgemeine Übereinstimmung zu geben, dies als zukünftiges Ziel der Stadtentwicklung zu verfolgen. Dennoch ist eine einheitliche Definition aufgrund der Subjektivität des Begriffs schwierig. Es gilt also einen Konsens mithilfe der Bewohner*innen zu finden, um konkrete Maßnahmen für eine lebenswerte Stadt zu entwickeln und die Entstehung eines neuen Modewortes zu verhindern. Die von Gehl genannten Eigenschaften überschneiden sich mit aktuellen Stadtentwicklungskonzepten und bilden eine Orientierung für mögliche Ansätze. Das Erreichen des Ziels ist jedoch nicht nur eine Frage der Strategie, sondern auch abhängig von den aktuellen Gegebenheiten. Alte, belastende Strukturen stellen eine Herausforderung für viele Städte dar und ihre Umgestaltung ist aufgrund verschiedener Interessengruppen und Kosten eine schwierige Aufgabe. Fest steht jedoch, dass eine Planung nach menschlichem Maß, basierend auf der Wahrnehmungsfähigkeit und den Bedürfnissen der Menschen einen guten Lösungsansatz bietet, diese Herausforderung in Zukunft zu bewältigen. Der Entwurf für den Stadtteil Aachen Nord zeigt auf kleiner Maßstabsebene Ansätze, eine nachhaltige, lebendige, sichere und gesunde Stadt in ein Konzept umzusetzen. Er veranschaulicht wie durch eine angemessene Gestaltung in Kombination mit Nutzungen und einer verträglicheren Abwicklung des Verkehrs ein lebenswerteres Stadtquartier entwickelt werden kann. Das Konzept bietet Anknüpfungspunkte für eine Weiterentwicklung im Aachener Stadtgebiet. Funktionale, bauliche und gestalterische Veränderungen müssen auch in Zukunft konsequent umgesetzt werden. Die attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums ist dabei als andauernder Prozess zu verstehen.
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Quellenverzeichnis
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