Das Magazin für die Zukunftskraft Genossenschaft Jubiläumsausgabe2/2022150JahreÖGV Einzelpreis EUR 10,–Jahresabo EUR 36,–150 JAHRE
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EDITORIAL
senschaften nicht gäbe? Dann müsste man diese Unternehmensform gerade jetzt er finden. Denn in der digitalen Transformation kommen die traditionellen Formen des Wirt schaftens immer öfter an ihre Grenzen. Das betrifft alle Stufen der unternehmerischen Wertschöpfung, von der Produktion bis zum Vertrieb, aber auch vorgelagerte Prozesse wie Innovation. Die genossenschaftliche Antwort darauf lau tet: Kooperation und Sharing, verbunden mit demokratischer Mitbestimmung. Gemein sam lassen sich die Grenzen der digitalen Ökonomie überwinden. Genossenschaften sind solche Gemeinschaftsunternehmen, ihre Gründungsidee ist über 150 Jahre alt, aber sie sind moderner und zukunftsfähiger denn je. Der ÖGV und seine Mitglieder sind dafür der beste Beweis! Peter Haubner Vorstandsvorsitzender und Verbandsanwalt des ÖGV Ein Jubiläum bietet immer eine gute Ge legenheit, Meilensteine, Erfolge, aber ebenso schwierige Phasen zu reflektie ren. Daraus lässt sich auch viel Lehrrei ches für die Zukunft ableiten. Das wollen wir zu unserem 150-Jahr-Jubiläum mit dieser Sonderausgabe der Verbandszeitschrift „cooperativ“ versuchen. Wir nehmen Sie mit auf eine Reise zu den Anfängen des Genossenschaftswesens in Österreich und in die Zeit von Hermann Schulze-Delitzsch. Wir zeichnen die dyna mische Entwicklung nach und spannen da bei einen Bogen, der über drei Jahrhunderte reicht. Einen Schwerpunkt legen wir auf die jüngere Geschichte, die Phase seit unserem 125-Jahr-Jubiläum 1997. Besonders unsere größte Mitgliedergrup pe, jene der Volksbanken, erlebte in dieser Zeit eine wahre Achterbahnfahrt – von einer dynamischen Wachstumsphase über die volle Wucht der Finanzkrise bis hin zu einer erfolgreichen Transformation und Neuauf stellung. Es ist dies eine Entwicklung, die auch die jüngere Geschichte des Österrei chischen Genossenschaftsverbandes maß geblich prägte. Parallel dazu setzte besonders in den letzten Jahren im Bereich der Waren- und Dienst leistungsgenossenschaften ein regelrechter Gründerboom ein. Somit stehen heute beide Mitgliedergruppen gestärkt und fit für die Herausforderungen der Zukunft da. Die vielleicht größte Lehre, die sich wie ein roter Faden durch 150 Jahre Geschichte zieht, lautet daher: Mit Kooperation und Vertrauen lassen sich selbst die größten Herausforderungen meistern und neue Zukunftschancen gestalten. Bauen wir ge meinsam an dieser Zukunft! Clemens Pig Präsident des ÖGV
In einer unübersichtlich gewordenen Welt und auch in einer zunehmend von Desinformation und Polari sierung geprägten Digi talwelt ist Vertrauen zur stärksten und härtesten Währung geworden. Die ses Vertrauen ist der Markenkern des Ös terreichischen Genossenschaftsverbandes und seiner Mitglieder. Das liegt vor allem am Wesen der Genossenschaft: Sie ist nachhal tig im ursprünglichen Sinn des Wortes, sie agiert und entscheidet demokratisch.
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Und ich bin überzeugt: Sie ist auch moderner denn je. Das genossenschaftliche Prinzip begegnet uns heute in unterschiedlichem neuen Gewand – als Sharing Economy, in Form von kollaborativen Plattformen oder als Digital Cooperatives. Allen neuen Er scheinungsformen ist gemeinsam, dass sie in Wahrheit Genossenschaften sind oder wie solche agieren. Man kann mit Fug und Recht von einer Renaissance des genossen schaftlichen Prinzips sprechen. Ich wage ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn es gewinnorientierte Genos
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Und da kann ich nur zustimmen!
Karl Nehammer Bundeskanzler Grußwort Bundeskanzlersdes
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Der Österreichische Genossenschaftsver band blickt heuer auf stolze 150 Jahre zurück.
Darauf lässt sich – wie es im Motto des Jubiläumsjahres so treffend heißt – unser aller Zukunft bauen. Ich wünsche dem ÖGV – sowie natürlich allen, die hier so engagiert tätig sind – von Herzen alles, alles Gute zu diesem runden Jubiläum und weiterhin so viel Zusammen halt und Innovationskraft! Alexander Van der Bellen Bundespräsident
Der ÖGV schaut aber nicht nur zurück, son dern richtet seinen Blick auch nach vorne: Beim Blättern durch das Leitbild bin ich auf die schöne Formulierung gestoßen, im Den ken und Handeln stets auf den Fußabdruck zu achten. Das betrifft Nachhaltigkeit – bei spielsweise im ganz wörtlichen Sinne des CO2-Fußabdrucks –, zugleich aber die Vor bildwirkung. Ich denke, für uns Menschen stellt sich generell die Frage, ob wir in schon bestehende Fußstapfen treten – oder neue Spuren im Sand hinterlassen, die uns dann in eine ganz andere Richtung führen. Als Ge sellschaft sind wir gewissermaßen an einer Weggabelung angelangt, an der wir neue Wege ausprobieren müssen, da uns die alten an die Grenzen der Ressourcen des Planeten geführt haben. Es stimmt mich zuversichtlich, dass der ÖGV den Fokus auf Nachhaltigkeit, Chan cengleichheit und Vielfalt legt. Mit diesen Werten im Gepäck wird es sicherlich noch viele weitere Jahrzehnte des Erfolgs geben.
Grußwort Bundespräsidentendes GRUSSWORTE
Der ÖGV ist der älteste Genossenschafts verband Österreichs. Bereits seit 150 Jahren „gemeinsam erfolgreich“, ist er bis heute eine der wichtigsten Institutionen der öster reichischen Genossenschaftsbewegung. In seiner 150-jährigen Geschichte war er nicht nur ein verlässlicher und starker Part ner seiner Mitglieder, sondern hat als Inter essenvertreter mit starker Stimme auch die Rahmenbedingungen für genossenschaftli ches Wirtschaften gesichert. Bis heute sind die Volksbanken zentraler Teil des ÖGV und damit der österreichischen Wirtschaft. Sie unterstützen unternehmerische Initiativen und tragen damit maßgeblich zum wirt schaftlichen Erfolg unseres Landes bei. Gerade in Zeiten wie diesen stehen wir vor großen Herausforderungen. Die Bundes regierung sieht es als ihre Aufgabe, den Standort Österreich zu fördern und zu stär ken. Nachhaltiges, effizientes Wirtschaften ist daher mehr denn je gefragt. Gerade die Genossenschaften des ÖGV sind hier seit jeher Vorreiter und Vorbilder. Ich möchte dem Österreichischen Genos senschaftsverbund zum 150-jährigen Be stehen gratulieren und wünsche allen Ver antwortlichen und Mitgliedern viel Erfolg für die Zukunft.
In der Zeit seit dem 4. August 1872 kamen neben den österreichischen Volksbanken unzählige weitere Genossenschaften hinzu, darunter beispielsweise die APA, die Ge nossenschaft der Bäcker, die Smart Austria oder die Kooperation der Baumeister. Der ÖGV vereint als Interessenvertretung viele unterschiedliche Branchen unter dem Dach gedanken des Gemeinschaftlichen, des Ko operativen. Unter dem Gedanken, dass wir als Menschen, aber auch als Gesellschaft gemeinsam immer weiter kommen als allein.
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Rainer Borns ist stellvertretender General direktor der Volksbank Wien, der Zentral organisation des Volksbanken-Verbundes.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 5 cooperativIMPRESSUM–Das Magazin für die Zukunftskraft Genossenschaft 2/2022 150. Jahrgang DVR 0048577 MEDIENINHABER (VERLEGER) Österreichischer Genossenschaftsverband // Schulze-Delitzsch, Löwelstraße 14, A-1010 Wien, Tel: +43 (0) 1 313 28-0, Fax: +43 (0) 1 313 28-450, weitere Informationen zum Medieninhaber nach dem MedienG: www.genossenschaftsverband.at HERAUSGEBER Österreichischer Genossenschaftsverband // Schulze-Delitzsch CHEFREDAKTEUR Günther Griessmair LAYOUT Reichl und Partner FOTOS Martina Draper, Florian Ertl, Ditz Fejer, Alexander Felten, Günther Griessmair, Johann Groder, Paulino Jimenez, Felicitas Matern, Sebastian Miesenbeck, Barbara Nidetzky, Hans Oberlaender, Robert Polster, Edith Ruthner, Ludwig Schedl, Wolfgang Schmidt, Michael Siblik, Robert Strasser, iStockphoto DRUCK Berger, Horn KONTAKT redaktion@oegv.volksbank.at Gezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder. Gender-Hinweis: Im Sinne einer besseren Lesbarkeit unserer Artikel verwenden wir die maskuline oder feminine Sprachform. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des jeweils anderen Geschlechts. 06 W ie alles begann Die erste Ausgabe der „Genossenschaft“ 28 Meilensteine Die Geschichte des ÖGV bis 1997 im Zeitraffer 34 Spurensuche Schulze-Delitzsch und seine Beziehung zu Österreich DIE ERSTEN 125 JAHRE 46 Volksbanken & ÖGV 25 Jahre im Überblick 58 1997 – 2007 Die Phase der Expansion 80 2008 – 2015 Die Zeit der Rezession 102 A b 2015 Die erfolgreiche Transformation 116 Fazit Schlussfolgerungen und Erkenntnisse für die Zukunft 120 Warengenossenschaften S tabilität, Aufschwung und Gründerboom VON 1997 BIS HEUTE 130 Erfolgsmodell Die Zukunft der Genossenschaft und die Genossenschaft der Zukunft AUSBLICK
Davor war er unter anderem Vorstand in der ÖVAG und lange auch im ÖGV.
Franz Groß ist Vorstand für die Ware-Revi sion im ÖGV. Davor leitete er im Verband die Barbara Pogacar ist Leiterin der Abteilung Beratung, Betreuung und Koordination für die Waren- und Dienstleistungsgenossen schaften im ÖGV.
INHALT
Johann Brazda ist Professor i. R. am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Wien. Er war Leiter des Fachbereichs für Genossenschaftswesen und geschäftsfüh render Vorstand des FOG.
dieserAutorenDieAusgabe
Theresia Theurl ist Professorin für Volks wirtschaftslehre und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossen schaftswesen an der Westfälischen Wil helms-Universität Münster.
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Nur einen Monat nach der Gründung des „Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden Oesterreichischen Erwerbsund Wirthschaftsgenossenschaften“, aus dem später der ÖGV wurde, erschien am 7. September 1872 die erste Ausgabe der Verbandszeitschrift „Die Genossenschaft“. In diesem Jubiläumsheft können Sie das his torische Dokument im Original nachlesen. Doch die darin beschriebenen Ereignisse bedürfen einer Einordnung.
von JOHANN BRAZDA Wie alles begann:
Die Ausgabeerste „Genossenschaft“der
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Es war eine sehr persönliche Veröffent lichung des ersten Verbandsanwalts Hermann Ziller im Umfang von acht Seiten.
Bis auf die Wiedergabe eines Beitrags von Fritz Schneider, Sekretär der Anwaltschaft der deutschen Erwerbs- und Wirtschafts genossenschaften, zum Thema Produktiv genossenschaften stammt Heft eins der „Genossenschaft“ praktisch vollständig aus seiner Feder. Ziller verfolgte mit der Publikation zwei Ziele: Einerseits sollte sein Bericht über die Gründung des neuen Verbandes „jedermann ermöglichen, sich darüber ein Urtheil zu bilden, von welcher Seite die Störung in der ruhigen Entwick lung des österreichischen Genossen schaftswesens veranlasst und der bekla genswerthe Zwist hervorgerufen wurde“ (siehe Seite 4) – schon daran erkennt man, dass die Anfänge alles andere als friktions frei verliefen. Andererseits basieren die A rtikel auf sehr persönlichen Beziehungen des Verbandsanwalts zur damaligen Ge nossenschaftspraxis, vor allem in Wien.
GENOSSENSCHAFTEN IM JAHR 1872
Ziller beginnt seine kurze Bestandsauf nahme zum Entwicklungsstand des öster reichischen Genossenschaftswesens um 1872 mit einem Vergleich: „In Deutschland, wo Schulze-Delitzsch der Durchführung seiner Idee sein Leben widmet, erfreute sich das Genossenschaftswesen der Lei tung und Durchbildung desselben; er regte überall die Gründung von Genossenschaf ten an, wirkte auf eine einheitliche Orga nisation derselben hin und war bestrebt, für dasselbe eine gesicherte rechtliche Stellung zu erlangen. In Oesterreich da gegen entbehren die Genossenschaften aller dieser Vortheile: Die Kreise, in denen Genossenschaften gegründet wurden, bil deten sich unabhängig voneinander, ohne Einfluß von außen, aber auch ohne Zusam menhalt durch eine Autorität, welche den Vereinen eine einheitliche Gestaltung auf geprägt hätte. Daher die Vielgestaltigkeit der Einrichtungen, daher die zahlreichen Misserfolge, daher die vielen Abwege, auf welche die Genossenschaften zum Thei le gerathen, daher aber auch das starke Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein der Männer, welche fast ohne alle äußere Anregung und Unterstützung aus eige ner Kraft einzelne Genossenschaften ge gründet und herangezogen hatten, daher endlich die ungemeine Eifersucht auf die In Wien fuhr damals noch die Pferde-Tramway, hier vor der Staatsoper Hermann Ziller, der erste Verbandsanwalt und Herausgeber der Verbandszeitung
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Otto Maresch, Sekretär des „Allgemei nen Verbandes“, resümierte 1922 über Ziller: „Wenn ich in stilleren Stunden alte Jahrgänge der ‚Genossenschaft‘ durch blätterte oder in den Bücherregalen der A nwaltschaft die vielen alten Bände mus terte, die aus Zillers Bibliothek stammten, b eschlich mich das Gefühl, es wäre das Andenken des Mannes nicht hinreichend gepflegt worden. Wohl lebte er in der Er innerung der vielen weiter, die ihn gekannt – ab er wie viele sind dahingegangen! Für jene, die ihn nicht mehr kennen konnten, besteht keine Darstellung seines Lebens laufes, seiner Persönlichkeit.“
DAS WIRTSCHAFTLICHE UMFELD
Die Ära des Neoabsolutismus ab 1851 nach der Niederschlagung der Märzrevolution in Österreich war zwar ein erster Schritt in Richtung mehr Liberalismus – man wollte die bürgerlichen Kräfte in eine nichtpoliti sche Richtung lenken. Gleichzeitig kehrte man aber wieder zu einem konservativen und zentralistischen Staat zurück, in dem ein vom Kaiser einberufener Reichsrat keine Bedeutung mehr hatte. Historisch war der österreichische Neoabsolutismus einerseits der Versuch, die Macht wieder allein in die Hand des Kaisers zurückzu bringen, andererseits war er als Gegenmo dell zum aufkommenden Nationalismus im V ielvölkerstaat konzipiert. Dieses originäre System stimmte sowohl mit der Tradition der führenden kaiserlichen Beamten als auch mit den Interessen der großen öster reichischen Kapitalisten überein.
D er Vergleich, den Ziller mit Deutschland anstellte, war recht problematisch, zumal die Entwicklung in beiden Ländern sehr unterschiedlich verlaufen war – aber in einem anderen Sinn als von Ziller beschrie ben. Die Revolution von 1848 griff auch auf Die Kreise, in denen Genossenschaften gegründet wurden, bildeten sich unabhängig voneinander, ohne Einfluß von außen, aber auch ohne Zusammenhalt durch eine Autorität, welche den Vereinen eine einheitliche Gestaltung aufgeprägt hätte.“
Österreich über und war Anlass für weitrei chende Reformen, zeigte aber auch zum er sten Mal die volle Bedeutung der Natio nalitätenfrage. Letztere war die treibende K raft für die interne Desintegration des Staates und eine wesentliche Ursache für seinen späteren Zusammenbruch. In den meisten europäischen Ländern war der Nationalismus die ideologische Grundlage für die Stärkung des Nationalstaates und seiner Position nach außen. Im Vielvölker staat der Donaumonarchie war das nicht der Fall. Von den Reformen wurden vor allem die Kleingewerbetreibenden, deren Lage sich durch die fortschreitende Indus trialisierung ohnehin immer aussichtsloser ge staltete, besonders hart getroffen.
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Ob sich Ziller damals bereits als die kommende Integrationsfigur der Ge nossenschaftsentwicklung und als den wesentlichen Theoretiker des Genossen schaftswesens in Österreich gesehen hat, ist reine Spekulation. Es spricht aber einiges dafür, dass es so war: So hat er im Laufe seiner 20-jährigen Tätigkeit als EinMann-Anwaltschaft „seinem Lieblings kind“ nicht nur sein Leben gewidmet, son dern zur Aufrechterhaltung des Verbandes sogar sein ganzes – nicht unbeträchtliches – Privatvermögen geopfert.
Die damit verbundene Berücksichtigung einer Fülle von widerstreitenden Interes sen und gegensätzlichen Zielen machten aber die Industrialisierung in Österreich zu einem langwierigen und mühsamen Pro zess. Das Eingebundensein breiter Bevöl kerungsschichten in patriarchalische und restfeudale Formen sowie die widerstrei tenden Interessen und gegensätzlichen Ziele im Vielvölkerstaat ließen große Initia tiven der genossenschaftlichen Selbsthilfe nicht aufkommen und wenn, dann nicht zur Besserung der Lage der Mitglieder, Selbständigkeit und Autonomie der Verei ne und das in vielen Fällen durchaus un begründete Misstrauen in einen von aus wärts kommenden Einfluß. Unter diesen Verhältnissen war ein gemeinsames Vor gehen in Betreff der Organisation, ja selbst hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, welche sämmtliche Genossenschaften in gleicher Weise bedrohten, nur äußerst schwer herzustellen.“ (Seite 1)
Diese Dominanz der tschechischen Vor schusskassen rief aber sehr bald eine Gegenaktion der Deutschböhmen im deutschnationalen Sinne hervor. Es galt, „die beschämende Thatsache zu beseiti gen, daß durch czechische Rührigkeit und deutsches Versäumnis es dahin gekom men ist, daß die Ausführung echt deutscher Gedanken durch die Czechen zur Schädi gung der Stellung der Deutschen in Öster reich führt“ (Max Menger). Die nun folgen Landkarte der Donaumonarchie im Jahr 1871
Auch ein erster Verband, der 1865 konsti tuierte „Centralausschuss der böhmischmährischen Vorschusscassen“ und eine 1868 gegründete Bankaktiengesellschaft, die „Zivnostenska banka pro Cechy a Mo ravu“, blieb den Tschechen vorbehalten.
Die nach der Niederlage einsetzende wei tere innenpolitische Liberalisierung sowie die außenpolitische Stabilisierung leiteten – verbunden mit massiven Rüstungsauf trägen sowie den Erfolgsernten 1867 und 1868 – zur dynamischsten Wachstumsphase der gesamten Monarchie über, wel che unter der Bezeichnung „Gründerzeit“ bekannt ist. In dieser Periode setzte eine ers te Gründungswelle von Genossenschaften ein, in deren Vordergrund neue Vorschuss kassen in Böhmen und Mähren standen.
sondern primär, um sie vor weiterem Ab sinken zu bewahren.
Nachdem vorwiegend deutschsprachige (Klein-)Städte durch Zuwanderung vom Land zunehmend slawischen Charakter angenommen hatten, erkannten die Tsche chen schnell, dass sie hier ein neues wirt schaftliches Kampfmittel im erbitterten „Ringen der Nationalitäten“ erhalten hatten und politische Massenagitation im Sinne eines österreichisch-tschechischen „Aus gleichs“ nach dem Vorbild jenes von 1867 mit Ungarn führen konnten.
Von einzelnen Ausnahmen wie dem „Aus hilfskassenverein in Klagenfurt“ abgese hen, begann die Gründung von Vorschuss kassen in Österreich erst 1862 durch die Tschechen. Ihnen folgten die deutschböhmischen Vorschusskassen ab 1864, während in den anderen Ländern wie in Niederösterreich die Bewegung erst nach 1866 und in Slowenien sogar erst Anfang der 1870er-Jahre Fuß fassen konnte. Wie langsam die Entwicklung vor sich ging, zeigt die Anzahl der 1867 existierenden Er werbs- und Wirtschaftsvereine: Man zähl te 358 Vorschuss-, 63 Konsum- und nur 67 sonstige Vereine. So blieben in der Ära des Neoabsolutismus, in der die wirtschaftli che Dynamik für österreichische Verhält nisse beachtlich war, die Gründungen von Genossenschaften vereinzelt.
Die Rückkehr Österreichs zu einem liberalen Verfassungsstaat erfolgte erst nach der traumatischen Niederlage im Deut schen Krieg von 1866 durch die Dezemberverfassung von 1867 und den Österrei chisch-Ungarischen Ausgleich. Dadurch verlor Österreich seine Bedeutung als europäische Großmacht, bemühte sich aber mit bedeutendem Aufwand, diesen Prozess aufzuhalten oder wenigstens zu verbergen. Die eigentliche Ursache für den Deutschen Krieg war die Rivalität von Österreich und Preußen im Deutschen Bund. Er endete mit einem Sieg Preußens über Österreich und hatte die Auflösung des Deutschen Bundes zur Folge. Preußen übernahm damit von Österreich die poli tische Vormachtstellung unter den deut schen Ländern und gründete den Nord deutschen Bund.
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Zwei entsprechende Initiativen aus dem Beamtenstand, die Gründung des „Ers ten allgemeinen Beamtenvereins“ 1863 und eines „Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften Österreichs“ 1867 in Wien, beide durch Engelbert Kessler, der im direkten Kontakt zu Schulze-Delitzsch stand, erwähnte Ziller in seinem kurzen historischen Abriss aller dings mit keinem Wort.
te die Deutschliberale Partei von 1867 bis 1879 die Mehrheit und dominierte damit auch das Bürgerministerium unter Carl von Auersperg.
HERMANN ZILLER UND SEINE ERSTEN ANLÄUFE Hermann Ziller (1825 – 1892) war Mitglied der Deutschliberalen Partei und als Jour nalist ein Vertreter des Freihandels. Seit 1866 war er an führender Stelle im „Verein für volkswirtschaftlichen Fortschritt“ tätig und beschäftigte sich immer intensiver mit Genossenschaftsfragen. 1868 war er maß geblich an der Gründung der „Deutschen Zeitung“ in Wien beteiligt. Der „Verein für volkswirtschaftlichen Fortschritt“ führte ab 1866 die Spitzen von Industrie, Groß handel und Finanzkapital – die sogenann ten Freihändler – in Wien zusammen, die aus wirtschaftlichen Überlegungen her aus zentralistisch und „gut österreichisch“ dachten sowie einen gemäßigten Konstitu tionalismus vertraten. Die Anfänge der Integration der Genos senschaften in der Donaumonarchie ge stalteten sich als schwierig. Im Dezember 1867 fand auf Einladung des „Vereins für de, von einer Gruppe der Deutschliberalen Partei getragene Forcierung der Gründung deutscher Vereine in Böhmen war ein maß geblicher Faktor für die Entstehung zweier rivalisierender Genossenschaftsverbände in Wien im Jahre 1872. Gleichzeitig begann in dieser Periode der Aufstieg des böhmi schen Politikers Carl Pickert.
DIE POLITISCHEN AKTEURE DES JAHRES
DIE BEAMTEN ALS VORREITER Von besonderer Bedeutung für die Ent stehungsepoche der Genossenschaften in Österreich waren – im Unterschied zu Deutschland – neben den Gewerbetrei benden und Arbeitern auch die Beamten. Es war dies eine Bevölkerungsgruppe, die durch die Wirtschaftsentwicklung seit 1848 inmitten des allgemeinen Fortschritts sowohl wirtschaftlich als auch gesell schaftlich Rückschritte erlitten hatte.
Um 1872 erreichte die Konjunktur ihren Höhepunkt mit der Vorbereitung der für das nächste Jahr festgesetzten Welt ausstellung. Man erwartete sich einen solchen Zustrom reicher Fremder, dass schon jetzt die Mieten und die Hotelpreise hinaufgesetzt, verdoppelt und verdreifacht wurden. Hunderte „bessere Leute“ über siedelten aufs Land, um ihre Wohnungen an die erwarteten Ausländer vermieten zu können. Es kam aber alles anders: Die Fülle der Bauvorhaben und der industriellen Projekte hatten die Spargelder der W iener mobilisiert. Man beteiligte sich an Gründungen, deren Solidität ungeprüft blieb, man trug sein Geld in Winkelbanken, die „höchste Fruktifizierung“ verhießen, Grundstücks- und Börsenspekulationen nahmen überhand. Die Rechnung sollte nicht ausbleiben.
1872
Kaiser Franz Joseph I befand sich 1872 in seinem 24. Regentenjahr und traf sich mit Kaiser Wilhelm I und dem russischen Zaren Alexander II in Berlin, um über eine gegenseitige Unterstützung im Angriffsfall zu verhandeln. Doch das daraus resultie rende Drei-Kaiser-Abkommen sollte auf Dauer keinen Bestand haben. K.k. Ministerpräsident der österreichi schen Reichshälfte von ÖsterreichUngarn war Carl von Auersperg. Kaiser Franz Joseph I hatte ihn 1870 als Landes präsidenten nach Salzburg berufen, doch b ereits 1871, nach dem Sturz des Ministe riums Graf F. J. Hohenwart (er war an einer S trukturreform der Habsburgermonarchie gescheitert), ernannte er ihn zum öster reichischen Ministerpräsidenten. In dieser S tellung hielt er sich bis 1879. Es handelte sich um die letzte altliberale Regierung. Im Abgeordnetenhaus des Reichsrates stellDrei-Kaiser-Treffen in Berlin
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volkswirtschaftlichen Fortschritt“ eine Konferenz der niederösterreichischen Ge nossenschaften statt. Beschlossen wur den die Gründung eines niederösterrei chischen Verbandes und die Erarbeitung de s Entwurfs eines allgemeinen österrei chischen Genossenschaftsgesetzes nach dem Muster des deutschen. Ein gewähltes Komitee wurde beauftragt, einen nieder österreichischen Genossenschaftstag einzuberufen, um den neuen Verband zu konstituieren. Da aber nur neun Genos senschaften Interesse zeigten, kam diese Gründung nicht zustande.
Damit wollte man das wirtschaftliche Selbsthilfeprinzip in der Monarchie populär machen und bei der Gründung von Selbsthilfegenossen schaften beratend mitwirken.
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Ziller erkannte aber die Chance, diesem ersten Schritt einer landesweiten engeren Zusammenarbeit der Genossenschaften zukünftig weitere folgen zu lassen – hatten sich doch bereits einige Genossenschaf ten an ihn gewandt und um publizistische Unterstützung gegenüber behördlichen Schikanen gebeten. Er initiierte in der Folge in einer zweiten Versammlung des Komitees im Mai 1869 den Beschluss, „sich mit den bisherigen Schritten nicht zu begnügen, sondern die der gegenwär Das Genossenschaftswesen übt eine wohlthätige Rückwirkung auf die Lage der gesammten Gesell schaft; sie vor den Gefahren der materiellen, geisti gen und sittlichen Not ihrer zahlreichsten Mitglieder zu befreien und ihr thatkräftige Mitarbeiter an dem Fortschritte der Menschheit zuzuführen, das ist seine weitere Aufgabe.“
Der Verein leitete im Mai 1868 eine Denkschrift für die Schaffung eines Gesetzes für auf Selbst hilfe beruhende Genossenschaften unter Beifügung eines Gesetzesentwurfs an den Reichsrat weiter, der jedoch nur im Aus schuss beraten wurde. Im November folgte eine Denkschrift zur rechtlichen Regelung der Besteuerung der Konsumvereine. 1869 überreichte der Verein dem Abgeord netenhaus eine von Ziller verfasste Denk schrift zum Thema „Die Bedeutung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaf ten“, in der er vor allem auf die Aktualität des Genossenschaftswesens aufgrund der damaligen Verhältnisse verwies: „Indem es deren Notständen zu begegnen sucht, übt es eine wohlthätige Rückwirkung auf die Lage der gesammten Gesellschaft; sie vor den Gefahren der materiellen, geistigen und sittlichen Not ihrer zahlreichsten Mitglieder zu befreien und ihr thatkräftige Mitarbeiter an dem Fortschritte der Menschheit zuzu führen, das ist seine weitere Aufgabe.“
Der Zentralverein hatte aber nur kurzen Bestand und wurde Anfang 1870 aufgelöst. Erst eine Regierungsvorlage über die Re form der direkten Steuern im Jahr 1869, die Genossenschaften trotz ihres unter schiedlichen Charakters mit den Aktienge sellschaften gleichstellte, war Anlass für eine, wie Ziller es nannte, erste „gemein same Maßregel“ (Seite 1). Vertreter von 22 Genossenschaften aus Wien und den Vor orten versammelten sich im März 1869 im Gasthaus „Zum Hirsch“ und beauftragten ein siebenköpfiges „Comite der vereinig ten Wiener Erwerbs- und Wirtschafts-Ge nossenschaften“ (Schriftführer Ziller), eine Petition an das Abgeordnetenhaus mit der Forderung zu richten, man „möge die Be freiung der Erwerbs- und Wirthschaftsge nossenschaften von der Erwerbssteuer sowie vor der Stempelgebühr für die Einla gen, Zinsen und Dividenden aussprechen, wenn dieselben ihre Thätigkeit auf den Kreis der Mitglieder beschränken“. Doch der Aktion war nur ein geringer Erfolg beschieden, denn dem Appell an sämtliche Genossenschaften Österreichs, sich die ser Forderung anzuschließen, folgten nur 160 Vereine (94 Spar- und Vorschussver eine, 65 Konsumvereine und ein Rohstoff verein). Es war aber das erste Mal, dass sich Genossenschaften aus der gesamten Donaumonarchie zu einem gemeinsamen Schritt vereinigt hatten. Die Petition wurde von Karl Rechbauer im Abgeordnetenhaus vertreten, kam aber wegen der Beendigung der Session nicht mehr im Steuerreform ausschuss zur Beratung. Die Regierung zog ihre Vorlage für ein neues Erwerbsteu ergesetz wieder zurück.
Anfang 1868 gründete der „Verein für volkswirtschaftlichen Fortschritt“ zur Förderung des Genossenschaftswesens ei nen eigenen „Zentralverein für genossen schaftliche Selbsthilfe“.
GEGENSPIELER CARL PICKERT
Gestärkt durch seinen immer größeren Be kanntheitsgrad wagte Ziller den nächsten Schritt und setzte für Pfingsten 1871 einen Genossenschaftstag für alle Genossen schaften der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Wien an, um den seit Jahren von einzelnen Genossenschaften erhobe nen Forderungen nach Erlassung eines eigenen Gesetzes und nach Sicherung der privatrechtlichen Stellung der Genossen schaften Nachdruck zu verleihen. Doch auch diesmal hielt sich die Resonanz in Grenzen, der geplante Genossenschafts tag kam nicht zustande.
D en nächsten Schritt für die Gründung eines Verbandes plante Ziller für den Som mer 1872, denn „es war als Zeitpunkt für die Einberufung eines Genossenschaftstages Herr Schulze-Delitzsch beabsichtigte nämlich, bei Gelegenheit eines Genos senschaftstages mit den österreichischen Genossenschaften in directen Verkehr zu treten.“
Im Rahmen der Beratung der oben er wähnten Regierungsvorlage hatte sich gezeigt, wie groß die Unkenntnis über das Genossenschaftswesen sowohl seitens der Regierungsorgane als auch seitens einer Vielzahl von Abgeordneten war. Seit dieser Zeit entwickelte sich ein äußerst reger Verkehr zwischen den Genossen schaften Wiens und der Provinzen, der zur Folge hatte, dass die Idee zur Gründung eines Genossenschaftsverbandes kon krete Formen annahm und die Abhaltung eines Genossenschaftstages in Wien auf die Agenda gesetzt wurde.
Carl Pickert (1835 – 1888) schlug bald nach seinem Studiumsabschluss an der Prager Universität und nachdem er zahlreiche deutsche Vereine sowie Spar- und Vor schusskassen in Böhmen mitinitiiert hatte, eine politische Laufbahn bei der Deutsch liberalen Partei ein. Diese politische Kraft, die 1848 erstmals in Erscheinung trat, war eine liberale bzw. nationalliberale Partei des deutschsprachigen Bürgertums in der Donaumonarchie der 1860er- und 1870erJahre. Ihre Politik war geprägt durch die Forderung, die deutschsprachige Bevöl kerung als Teil der deutschen Nation in einem deutschen Staat zusammenzufas sen. Den größten Zuspruch erhielt sie von der städtischen Intelligenz, die ein Überge wicht der slawischen Völker in der Monar chie befürchtete. tigen Besteuerung zu Grunde liegenden Anordnungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, die in ihnen ruhenden Wi dersprüche aufzudecken und die Unver einbarkeit derselben mit den in unserer S teuergesetzgebung anerkannten Grund sätzen darzuthun, ferner eine Darstellung der betreffenden Verhältnisse der Oeffent lichkeit zu übergeben und auch in dieser Richtung seiner Zeit das Abgeordneten haus um Abhilfe anzugehen“.
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1870 veröffentlichte Ziller zwei „Flugschrif ten“, in denen er die Besteuerungsverhält nisse der Genossenschaften und das We sen der genossenschaftlichen Selbsthilfe darlegte. Sie enthielten wesentliche Fak ten über die bis dahin geübte Praxis der S teuerbehörden und wurden sowohl der Regierung als auch den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und des Herrenhau ses überreicht.
die in Aussicht gestellte Anwesenheit von Schulze-Delitzsch in Wien bestimmt. Herr Schulze-Delitzsch beabsichtigte nämlich, bei Gelegenheit eines Genossenschafts tages mit den österreichischen Genossen schaften in directen Verkehr zu treten. Da ihm jedoch einer brieflichen Mittheilung zufolge seine parlamentarischen Arbeiten nicht gestatteten, vor dem 29. Juni 1872 in Wien zu sein, so war man der Ansicht, die Genossenschaften zur Abhaltung eines Genossenschaftstages auf diesen oder, wenn nöthig, auf einen späteren Tag ein zuladen“ (Seite 1). Dem stand jedoch, wie Ziller es ausdrückte, „die Intrige einiger hiesiger Persönlichkeiten entgegen, welche, fast sämmtlich dem Genossenschafts wesen fernstehend, die Leitung an sich rei ßen und die Genossenschaften der politi schen Agitation innerhalb der deutschen Verfassungspartei zu ihren eigenen Guns ten dienstbar machen wollten“ (Seite 2).
Vor Gründung eines
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A m 25. März 1872 rief die „Marienbader Spar- und Vorschußkasse“ zum „Ersten Verbandstag der Deutschen Genossen schaften in Böhmen“ in Eger unter der Lei tung von Pickert auf, bei dem ein Statut für einen „Verband der deutschen Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften in Böh men“ einstimmig angenommen wurde, wodurch die „Idee der Zusammengehörig keit aller Deutschen in Oesterreich einen w ürdigen und erfreulichen Ausdruck ge funden“ habe. Die Gründung der „Genossenschaftsbank Julius Hainisch, Leopold Löwy & Comp.“ in Wien als Kommanditgesellschaft auf Aktien erfolgte nach dem Vorbild von Schulze-Delitzschs Genossenschaftsbank zu Berlin im September 1872. Aber auch die „Begründung einer Anwaltschaft der deutsch-österreichischen Genossenschaften mit dem Zentralsitze in Wien und da mit die ganze, große genossenschaftliche B ewegung mit einem Schlage zu orga nisieren und in ein einziges sicheres und unverrückbares Bette zu leiten“, der sich der böhmische Verband als Unterverband anschließen sollte, war bereits in Planung.
Genossenschaften und schlussendlich Er richtung einer Genossenschaftsbank.
1866 wurde Pickert in den böhmischen Landtag gewählt. Er betrachtete sich als Re präsentanten des Volkes, dem er sich mehr verpflichtet fühlte als seinen eigenen Inter essen, und war ein charismatischer Redner von imposanter äußerer Erscheinung. 1867 gründete er, unterstützt von Gesinnungs genossen, in Prag die „Deutsche Volkszei tung“ und gab damit den Anstoß zum Auf schwung der Provinzpresse in Böhmen. 1870 wurde er vom böhmischen Landtag in den Reichsrat entsandt, wo er zusammen mit Alfred Knoll den linken Flügel der Libe ralen, die „Jungen“, anführte. 1871/72 über nahm er über Vermittlung Hermann Zillers als Chefredakteur die „Deutsche Zeitung“, das Organ der „Jungen“ in Wien. Seine Ak tivitäten im Genossenschaftswesen waren Teil seiner politischen Ambitionen und die sen untergeordnet. 1872 wurde in Böhmen die Frage immer dringlicher, in welchem „Processe das Prinzip der Selbsthilfe zu einem organi schen Baue“ weiterzuentwickeln war, war do ch bereits „in Prag das Gerücht aufge taucht, dass eine Anzahl um die genossen schaftliche Bewegung verdienter Persön lichkeiten eine Genossenschaftsbank zu gründen beabsichtigte“. Man hielt Rück sprache mit Schulze-Delitzsch, welcher antwortete: „Ich kann Ihre Ansicht nur theilen, daß, wenn in Prag eine deutsche Genossenschaftsbank gegründet werden soll, dieselbe nur dann ihre Aufgabe er füllen kann, wenn sie, wie dies bei unserer deutschen Genossenschaftsbank zu Ber lin der Fall war, aus der Initiative der Genos senschaften heraus, so daß die Mehrzahl der Actien in den Händen der Vereine und deren Mitglieder ist, gegründet wird. ...
DAS DUELL PICKERT GEGEN ZILLER
Die genossenschaftlichen Ereignisse in Wien überschlugen sich im Jahr 1872: Mehrere Herren, „die größtentheils der Carl Pickert, der große Gegen spieler von Hermann Ziller im Genossenschaftswesen
UnterverbandesdergieManGestaltungikennchenschaftsbankdaherGenossenschaftsverbandesdeutsch-österreichischenscheintmirdieGründungeinerGenossenverfrüht,weilsichohnesolVerbanddieVereinewahrscheinlichichtwerdenzueinerhinlänglichenstarActienzeichnungentschließen,diehneneinenmaßgebendenEinflußaufdiedesUnternehmenssicherte.“entschiedsich,mitfolgenderStratevorzugehen:einheitlicheOrganisationGenossenschaften,Gründungeinesderdeutsch-böhmischen
Die nun folgenden Ereignisse lassen sich als ein Aufeinandertreffen von zwei völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten inter pretieren, die die damalige politische und wirtschaftliche Situation der Donaumon archie widerspiegeln: auf der einen Seite Ziller, ein Journalist und sich langsam ent wickelnder führender Genossenschaftstheoretiker, und auf der anderen Seite Pickert, ein aufsteigender und charismatischer Poli tiker, der das Genossenschaftswesen als Teil seiner politischen Identität auffasste. Eine angespannte Konstellation, die sich zwingend zu einer Konfrontation entwi ckeln musste. Hier trafen sich zwei Männer, die sich zunächst gegenseitig unterstütz ten, im Rahmen der Verbandsbildung aber zu unerbittlichen Rivalen mutierten.
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ZILLERS GRÜNDUNG AM 4.8.1872 Die vom Genossenschaftstag ausge schlossenen Genossenschaften beauf tragten ihrerseits noch an diesem Tag ein Komitee, welches unter der Leitung Zillers ein Statut für einen „Allgemeinen Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Oesterrei chischen Erwerbs- und Wirthschaftsge nossenschaften“ erarbeiten sollte. Nach de ssen Fertigstellung und Kenntnisnahme durch das k.k. Ministerium des Inneren fand die konstituierende Sitzung des nun zweiten Verbandes am 4. August 1872 in Wien statt. Darüber berichtete Ziller in der „Genossenschaft“ sehr ausführlich.
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Es waren Vertreter von 46 Genossen schaften mit Beitrittserklärungen, aber auch Delegierte von nicht beigetretenen Genossenschaften als Gäste anwesend. Nach der Wahl des Vorsitzenden, seines deutschnationalen Partei angehören“ und denen „die Gründung eines Verbandes durch Genossenschaften allein nicht in ihre Berechnung paßte“, schickten bereits im Mai 1872 schriftliche Einladungen zur Abhaltung eines „Allgemeinen deutschösterreichischen Genossenschaftstages“ für den 23. Juni 1872 in Wien aus, mit dem Hinweis, den Delegierten die Einladung als Legitimation für die Teilnahme mitzu geben. Ziller dazu: „Damit erreichten diese Herren zweierlei: Einmal gaben sie sich den Anschein, als ob sie an der Einberu fung eines allgemeinen Genossenschafts tages gearbeitet hätten und zweitens hiel ten sie Herrn Schulze-Delitzsch von Wien fern. Denn dessen Anwesenheit würde wohl bei dem brutalen, auf dem Genossen schaftswesen bisher unerhörten Auftreten ge gen die Genossenschaften etwas unbe quem gewesen sein“ (Seite 2).
Um sich dem Vorwurf eines primär politi schen Kalküls bei der Verbandsgründung doch noch zu entziehen, wurde am 8. Juni 1872 in Zeitungen ein Aufruf publiziert, der neben anderen sowohl von Pickert als auch von Ziller unterzeichnet war. Darin wurden alle „löblichen Vorstände der deutsch-ös terreichischen Erwerbs- und Wirthschafts genossenschaften“ zur Teilnahme an einem Genossenschaftstag zur Gründung eines „Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutsch-österreichischen Er werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“
aufgerufen, verbunden mit der Hoffnung, dass alle „Genossenschaften an dieser Ver sammlung sich durch einen Delegierten vertreten lassen, bitten aber, denselben mit einer Legitimation zu versehen“. Daraus konnten die bis dahin nicht einge ladenen Vereine schließen, dass auch ihre Vertreter zugelassen werden, wenn sie im Besitz einer Vollmacht sind. Doch dem war nicht so: Um alle nicht eingeladenen Ge nossenschaften fernzuhalten, wurde die Versammlung als private Veranstaltung deklariert, nur Personen mit Einladung wa ren zugelassen. Auch der Antrag des an wesenden Ziller auf Zulassung sämtlicher Vertreter der Genossenschaften wurde ab gelehnt. In der Folge verließen mehr als 30 Vertreter von etwa 200 Genossenschaften den Saal. Die Zurückgebliebenen erklär ten daraufhin die Veranstaltung wieder zu einem Genossenschaftstag und beschlos sen das Statut für einen „Allgemeinen Verband der auf Selbsthilfe beruhenden deutsch-österreichischen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“, die Grün dung einer deutsch-österreichischen Ge nossenschaftsbank in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien und wählten Pickert zum Verbandsanwalt. Konstituiert wurde der neue Verband dann am 26. August 1872.
Damit erreichten diese Herren zweierlei: einmal gaben sie sich den Anschein, als ob sie an der Ein berufung eines allgemeinen Genossenschaftstages gearbeitet hätten und zweitens hielten sie Herrn Schulze-Delitzsch von Wien fern.“
Denn es wurden nicht alle deutsch-öster reichischen Vereine eingeladen, sondern unter dem Vorwand „klerikale, sozialisti sche und tschechische Vereine fernzuhal ten“, eine Auswahl getroffen. Nicht nur der größte Teil der Konsumvereine, auch viele Vorschusskassen und andere Genossen schaften wurden ausgeschlossen. „Man wollte sich eben der Majorität für gewisse Ziele von vorhinein versichern.“
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Es muss als ausgesprochenes Verdienst Zillers angesehen werden, dass er als gro ßer Idealist der Genossenschaftsbewe gung im ersten Jahr auf sein Anwaltsgehalt verzichtete, welches aber auch sonst nie voll bezahlt werden konnte. Auch was die Beiträge der Mitglieder zu den Kosten des Verbandes betrifft, wurde der Antrag von Ziller, dass es jeder Genossenschaft für das erste Jahr selbst überlassen bleiben soll, welche Beiträge sie innerhalb der im Statut festgelegten Grenzen von zwei bis 30 Gul den leistet, einstimmig angenommen.
Die Umsetzung der weiteren Punkte der Tagesordnung sollte aufgrund der prekä ren Situation lange auf sich warten lassen. So konnte eine „Kreditgenossenschaft der Vorschusskassen“ erst in mehreren Schrit ten realisiert werden. 1874 richtete der Verband eine Genossenschaftsabteilung im „Länderbankenverein“ ein. Bis dahin hatte der „Rudolfsheimer Vorschuss- und Sparverein“ als Geldausgleichsstelle ge dient. Aber auch die Abteilung im Länder bankenverein war, aufgrund der geringen B eteiligung der deutschsprachigen Vor schusskassen am Verband, nicht von gro ßer Bedeutung und wurde 1877 liquidiert.
Stellvertreters, des Schriftführers und des Referenten erklärte der Vorsitzende gleich am Beginn der Sitzung seine Bereitschaft, sich mit dem bereits bestehenden Ver band von Pickert fusionieren zu wollen, um den Zwiespalt des deutschen Genos senschaftswesens, der von den Anwesen den, aber auch von den Mitgliedern des Konkurrenzverbandes bereits bedauert würde, so rasch wie möglich aus der Welt zu schaffen. Voraussetzung dafür war eine Konstituierung des Verbandes in dieser Versammlung. Bei der einstimmigen Be schlussfassung des Statuts wurde – in Ab grenzung gegenüber dem Pickertschen Verband – besonders darauf hingewiesen, dass neben der „nothwendigen Persön lichkeit des Anwalts nicht Personen, son dern sich nur Vereine an der Leitung des Verbandes beteiligen dürfen. Weiters be tonte der Referent, daß der Verband aus schließlich wirtschaftlichen Interessen diene und sich nur genossenschaftlichen Fragen widmen wird”. Zur Wahl des Verbandsanwalts wurde Ziller vorgeschlagen. Dieser betonte zu nächst, dass er am 23. Juni noch gegen die Gründung eines zweiten Verbandes gewe sen sei und wiederholte, dass er die Wahl einer anderen Person, des Landtagsab geordneten Franz Springer, Vorstand des „Ersten Vorschussvereines für Krems und Umgebung“, empfohlen habe, „daß er aber gegenwärtig durch die gegen ihn gerich teten persönlichen Angriffe, namentlich durch den in einer hiesigen Wochenschrift erschienenen, von der Gegenpartei aus gegangenen und verbreiteten verleumde rischen Artikel bestimmt werde, eine etwa auf ihn fallende Wahl anzunehmen, damit man nicht sagen könne, er habe das Ver trauen der Genossenschaften verloren“ (Seite 3). Gemeint war ein Artikel Pickerts. In der darauffolgenden schriftlichen Wahl wurde Ziller einstimmig gewählt. Weiters erklärte sich Ziller bereit, zum Ausbau des Verbandes und zur engeren Fühlungnah me mit den angeschlossenen Genossen schaften die Zeitschrift „Die Genossen schaft“ auf eigene Gefahr herauszugeben, die am 7. September 1872 zum ersten Mal erschien. Sie hat zur Stärkung des Genos senschaftsgedankens, zur Beratung der Genossenschaften und als Sprachorgan des „Allgemeinen Verbandes“ bei Geset zesentwürfen, Steuerangelegenheiten und Verbandstagen sehr viel beigetragen. Das Blatt erschien jeden Samstag und wurde so verschickt, dass es bei den meisten Ver bandsvereinen am Sonntag ankam.
… daß er aber gegenwärtig durch die gegen ihn gerichteten persönlichen Angriffe … bestimmt werde, eine etwa auf ihn fallende Wahl anzuneh men, damit man nicht sagen könne, er habe das Vertrauen der Genossenschaften verloren.“
Erst Verbandsanwalt Karl Wrabetz gelang es im Jahr 1897, eine Genossenschaftsab teilung bei der „Wiener Gewerblichen Cre ditinstitut AG“ auf Dauer einzurichten. Die Gründung einer terreichischermeinenbliebEinkaufsgenossenschaftösterreichisch-ungarischenfürKonsumvereinenachderenAbspaltungvom„AllgeVerband“dem„ZentralverbandÖsKonsumvereine“vorbehalten.
zurückgewiesen, er unterlag in der Folge auch bei den Reichsratswahlen im Okto ber 1873, bei denen die Abgeordneten w eitgehend direkt, also ohne Umweg über die Landtage, gewählt wurden. Er zog sich hierauf komplett aus dem öffentlichen Le ben zurück. Am 12. November trat er als Verbandsanwalt des deutsch-österrei chischen Verbandes zurück, schied am 13. November aus dem böhmischen Land tag aus und kehrte nach Prag zurück. Er w urde zwar 1885 wieder zum Abgeordne ten des Österreichischen Reichsrats (Fort schrittsklub) gewählt, kehrte aber in der F olge dem Genossenschaftswesen den Rücken. Die Vereinigung der beiden Ver bände erfolgte am 29. Juni 1874. Um auch die Tür für die anderen in der österreichi schen Monarchie vertretenen Länder, vor allem für Ungarn, offen zu lassen, wählte man den Namen „Allgemeiner Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbsund Wirthschaftsgenossenschaften in Oesterreich“. Ziller wurde einstimmig zum Verbandsanwalt gewählt.
Bereits sechs Tage nach der konstituieren den Sitzung richtete Ziller ein Schreiben an das Komitee des Konkurrenzverbandes und bat um Bekanntgabe von Vorschlägen über die Modalitäten einer Fusion. Dieses und alle weiteren Schreiben blieben jedoch un beantwortet. In der Folge versuchten beide Verbände, mit Schulze-Delitzsch in Verbin dung zu treten und ihn zu ihren Vereinsta gen im Jahre 1873 nach Wien einzuladen. Auch die Abhaltung eines internationalen Genossenschaftstages im Rahmen der Wiener Weltausstellung war im Gespräch. Schulze-Delitzsch versuchte sogar, sich als Vermittler zwischen den zersplitterten Parteien anzubieten – leider vergeblich. Die Konfliktlösung verlagerte sich auf die poli tische Ebene: Auf dem Teplitzer Deutsch liberalen Parteitag im April 1873 wurde Pickerts deutsch-nationales Programm von der Mehrheit der Parteiversammlung Die Rotunde: Herzstück der Weltausstellung 1873 in Wien und zugleich Symbol des Aufschwungs
DER ZUSAMMENSCHLUSS
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Die Vereinigung der rivalisierenden Ver bände war ein schwieriges Unterfangen:
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„Der Rudolfsheimer Vorschußund Sparverein“: Mit diesem Vorschussverein wollte Ziller ein Musterbeispiel für eine sehr erfolgreiche Genossen schaftsgründung im Jahr 1866 dokumentieren. Ab 1869 war bei diesem Verein eine „überraschend“ gute Entwick lung eingetreten. „Wir glauben kaum, dass ein zweiter Vorschußverein sich in solcher rapider Weise entwickelt hat.“ Aus diesem Grund hatte ihn Ziller auch 1872 in den Engeren Ausschuss seines Verbandes wählen lassen. Der Erfolg war aber nicht nachhaltig: Der rasante Wachstumsschub endete Ende 1876 in der Liquidation. „Ein zu Grunde gegangener Consumverein“: Es muss Ziller sehr schwer gefallen sein, vom Ruin seines einConsumvereins“„Gumpendorfer(ConsumverimVI.Bezirk)zuberichten.Er war nicht nur dessen Initiator durch seine Vorträge im Winter 1866 im Auftrag des damals gegründeten „Vereins für volkswirt schaftlichen Fortschritt“, sondern seit sei ner Gründung auch Schriftführer gewesen. Es war ihm aber ein Anliegen, die chaoti sche Steuer- und Gebührenpraxis mehre rer Finanzbehörden zu dokumentieren, um damit auf die drastischen Folgen für die Genossenschaftspraxis hinzuweisen: „Der Consumverein im 6. Bezirk sollte der Regie rung einen Wink geben, den blinden Eifer der Finanzbehörden zu mäßigen.“
Nach den öffentlich ausgetragenen Aus einandersetzungen zweier „Allgemeiner Verbände“ in Wien setzte ab 1873 eine Gründungswelle von nicht-deutschen Ver bänden ein, in denen sich insbesondere größere Gruppen von Vorschusskassen zusammenfassten, um von einer Zentrale aus ihre gemeinsamen Anliegen vor al lem gegenüber der Staatsgewalt wirksam zu vertreten. 1873 wurde von den böhmi schen und mährischen Vorschusskassen auf dem Vorschusskassentag in Bene schau ein Zentralausschuss, der „Zentral verein der Freunde böhmisch-mährischer Vorschußkassen“ mit Sitz in Prag, errich tet. 1874 entstand der „Verband der Er werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Galiziens und des Großherzogtums Kra kau“ mit Sitz in Lemberg. 1890 wurde der „Verband der slowenischen Vorschuss kassen“ in Cilli und 1895 in Triest der Ver band der Genossenschaften für den italie nischen Teil der Provinz gegründet.
WEITERE BEITRÄGE IN DER ERSTEN AUSGABE DER „GENOSSENSCHAFT“ Zurück zur ersten Ausgabe der „Genos senschaft“: Neben dem sehr ausführlichen B ericht Zillers über die Verbandsgründung und ihre Hintergründe aus seiner Sicht rundeten vier weitere Artikel das Heft ab. „Actien-Gesellschaft und Comman dit-Gesellschaft auf Actien“: Mit diesem Beitrag versuchte Ziller, sei nen Kontrahenten Pickert direkt an zugreifen. Hatte dieser doch seine Zentralbank „Genossenschaftsbank Julius Hainisch, Leopold Löwy & Comp.“ am 1. September 1872 in der umstrittenen Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien gegründet und sich dabei auf Schulze-Delitzsch berufen. Ziller betonte, dass Schulze-Delitzsch diese Form nur gewählt hatte, weil sie nach preußischem Gesetz nicht der Genehmigung und Auf sicht der Staatsbehörden unterlag. Er woll te damit eine „lästige Einmischung“ seitens des Staates abwenden. Im Vergleich dazu lag ein derartiger Unterschied zwischen der Kommanditgesellschaft auf Aktien und der Aktiengesellschaft im österreichischen Recht gar nicht vor. Die neue Zentralbank war primär ein Institut unter der Leitung der persönlich haftenden Gesellschafter Julius Hainisch und Leopold Löwy. Die Vor schussvereine selbst, die das Kapital zur Gründung der Bank aufbrachten, traten in die untergeordnete Rolle der Kommanditis ten. Dies wäre bei der Gründung einer reinen Aktiengesellschaft, in deren Verwaltungsrat den Vertretern der Genossenschaften die Stimmenmehrheit statutenmäßig gesichert worden wäre, nicht der Fall gewesen. Der neuen Zentralbank war letztlich keine lange Lebensdauer beschieden, sie schlitterte im dritten Jahr ihrer Existenz 1876 in Liquidation.
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„Ueber den volkswirtschaft lichen Nutzen der ProduktivG enossenschaft“: Der Frage, ob Produktivgenossenschaf ten mit oder ohne staatliche Unterstützung einen wesent lichen Beitrag zur Lösung der sozialen Frage leisten können, geht der Sekretär der Anwaltschaft der deutschen Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften, Fritz Schneider, in diesem Artikel mit einer Viel zahl von Argumenten nach. Er sieht zwar als eine der wesentlichen Aufgaben von Produktivgenossenschaften, „die arbei tenden Klassen vor der Ueberwucherung des Großcapitals zu schützen, dass ihre Mitglieder Gelegenheit erhalten, sich zu kleinen Capitalisten aufzuschwingen, ihre geistigen Fähigkeiten oder Anlagen zu ihrem eigenen und zum allgemeinen Politik: Von 6. bis 11. September findet das Drei-Kaiser-Treffen in Berlin statt. Kaiser Franz Joseph I, Kaiser Wilhelm I und Zar Alexander II bekräftigen dabei ihr gemeinsames Interesse am Erhalt der monarchischen Staatsform.
Forschung: Am 21. August wird das Schiff „Tegetthoff“ der österreichisch-un garischen Polarexpedition „Isbjörn“ vom Eis eingeschlossen. Mit dem Packeis werden die Forscher 1873 in Richtung einer unbekannten Inselgruppe getrie ben, die sie erforschen und nach dem österreichischen Kaiser „Franz-JosefL and“ nennen. Sport: Am 30. November tragen in Glasgow England und Schottland das erste Fußballländerspiel der Geschichte aus. Das Match endet 0:0. 1872 WAS IN DIESEM JAHR SONST NOCH PASSIERTE
Wohl besser zu entwickeln und auszubil den“. Schneider kommt aber zum Schluss, d ass Produktivgenossenschaften we der imstande sein werden „die Mehrzahl der Arbeiter zu Arbeitgebern zu machen und in diesem Stande zu halten, noch auch zu einem vorwiegenden Factor der Güterproduktion sich aufzuschwin gen“. Schulze-Delitzsch selbst hatte sein ge sellschaftspolitisches Konzept, mit Produktivgenossenschaften auch Lohn arbeitern die Chance zu eröffnen, sich s elbstständig zu machen, durch die ver schwindend geringe Zahl erfolgreich wirt schaftender Produktivgenossenschaften b ereits in den 1860er-Jahren aufgegeben. Das Konzept wurde schließlich durch die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung in den 1880er-Jahren überholt.
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In Wien wird der „Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Oesterreichischen Erwerbs- und HermannErsternossenschaften“Wirthschaftsgegegründet.VerbandsanwaltwirdZiller.
7. September 1872
In Heft eins der „Genossenschaft“ wird über die Gründung des Verbandes be richtet, die ersten Genossenschaften gab e s schon davor – im Bild: Mitglieder des „Gewerblichen Aushilfskassenvereins“ in Klagenfurt um 1860 1872 18731872
4. August 1872
fast30eider“vertretenenHandbuchJahr(WirtschaftsgenossenschaftenundGenG)trittinKraft.Imselbenverzeichnetdas„StatistischefürdieimReichsratKönigreicheundLäninderDonaumonarchie169ngetrageneGenossenschaften,Jahrespätersindesbereits10.000.
Die 125erstenJahre DIE ERSTEN 125 JAHRE COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV28
Die erste Ausgabe der Verbandszeit schrift „Die Genossenschaft“ wird veröffentlicht. Sie erscheint ohne Unterbrechung bis 1938. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgt der Neu start als „Die gewerbliche Genossen schaft“, 2009 wird die Zeitschrift in „cooperativ“ umbenannt.
9. April 1873
Das Gesetz über Erwerbs-
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September 1910 Der Allgemeine Verband bezieht sein neues Haus in der Lindengasse 5 in Wien. Den Eingang dieses Gebäudes ziert heute noch eine Büste von Schulze-Delitzsch.Hermann 15. November 1922 Zum 50-Jahr-Jubiläum des Verbandes wird die Öster reichische ischaftskasseZentralgenossenalsSpitzen-nstitutinderRechtsformderGenossenschaftgegründet.Vondendamals351MitgliederndesVerbandeszeichnenrund80Geschäftsanteile. 1880 Der Allgemeine Ver band erwirkt eine S onderstellung Genossenschaftender in der getensoperativenBbung,SteuergesetzgedamitwirddieesonderheitdeskoWirtschaferstmalsauchsetzlichanerkannt. Aufruf zur Zeichnung einer Kriegs anleihe in der Verbandszeitschrift Blick in den Kassenraum einer Kreditge nossenschaft in der Zwischenkriegszeit 19031880 1910 1922 10. Juni 1903 Mit dem entwürfesprechendesetzeinVpflichtendstabilesRevisiongeNummerReichsgesetzblatt133wirddienossenschaftlichealsGrundlagefürWirtschaftenvereingeführt.DererbandhatwiederholtsolchesRevisionsgegefordertundentRegierungseingebracht.Auf dem Gebiet der Monarchie entstehen rund um die Jahrhun dertwende zahlreiche gewerb liche Genossenschaften sowie Spar- und Vorschussvereine im Zeitraffer DIE ERSTEN 125 JAHRECOOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 29
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15. Juni 1930 Der Allgemeine Verband fusioniert am Verbands tag in Kitzbühel mit dem Zentralverband der Gewerblichen Genos senschaften und firmiert seitdem als Österreichi scher verbandGenossenschafts(ÖGV).
9. Juli 1938
Der ÖGV wird auf Verfügung des NS-Regimes aufgelöst und sein Vermögen dem Deutschen Genos senschaftsverband übertragen, der d amit den Donauländischen Genos senschaftsverband mit Sitz in Wien und den Alpenländischen Genossen schaftsverband mit Sitz in Klagenfurt gründet. Bis zum Ende des Dritten Reiches werden Rationalisierung und Verschmelzungen von Kreditge nossenschaften vorangetrieben, ein Außenauftritt unter der Bezeichnung „Volksbank“ setzt sich durch.
14. Februar 1946 Das ermächtigtInnenministeriumdenDonauländischenGenossenschaftsverband,dasVermögendesAlpenländischenVerbandeszuübernehmen.BeimVerbandstagam21.JulierklärendieGenossenschafteninWiendieAuflösungdesÖGVimJahr1938ausformalenGründenfürungültig.
Die Bezeichnung „Volksbank“ wird nach und nach in ganz Österreich eingeführt 1930 1938 1946
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30. Juni 1947 Der ÖGV übernimmt die Agenden des neu gegründeten Fachverbandes der Kreditgenossenschaften nach dem System Schulze-Delitzsch in der Wirtschaftskammer und damit die Volksbanken.Interessenvertretunggesetzlicheder
Oktober 1950 Der ÖGV nimmt am ersten Kongress der Internationalen RomPonationale(bankenvereinigungVolksConféderationInterdesBanquespulaires,CIBP)inteil.
13. Mai 1970 Die Ausstellung „Kredit, Ware, Dienstleistung –die gewerblichen Ge nossenschaften im Dienste der österreichischen Wirtschaft“ am Verbandstag in Linz rückt die Waren-, Dienstleistungs- und Produktivgenossenschaften ins Licht de r Öffentlichkeit. Ansicht der Volksbank in Baden Anfang der 1950er-Jahre Die Neuauflage der Verbandszeitschrift erscheint als „Gewerbliche Genossenschaft“ im April 1956 Bericht über den Verbandstag in Linz im Jahr 1970 1947 1950 1952 1970
4. November 1952 Gemeinsam mit den anderen gschaftsverbändenGenossenründetderÖGVdasForschungsinstitutfürGenossenschaftswesenanderUniversitätWien.DieOrganisationwirdinderFolgemehrfachangepasst.
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im ÖGV DIE ERSTEN 125 JAHRE COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV32
1974 1976 1984 1985 Eröffnungsbilanz der neu gegründeten ÖVAG
24. Juni 1974 Das Spitzeninstitut der Volksbanken wird zur Öster reichischen VolksbankenA ktiengesellschaft (ÖVAG). Im „Gösinger Papier“ wird 1975 die
Bühne frei für die Waren- und Dienst leistungsgenossenschaften
trennen.knossenschaftlicheeingerichtet,eigeteilunggeregelt.zwischenZusammenarbeitÖGVundÖVAGDiePrüfungsabwirdinderFolgealsnesRessortimÖGVumdiegeRevisionlarervonderBeratungzu Mit dem „Sektorkon zept“ beschließt der Ö
20. November 1984
degesellschaftbanken-Beteiligungsrichtungen.dermrungeineGV-VerbandstagNeustrukturiederVolksbankeniteinemRelaunchSolidaritätseinDieVolkswirdinrFolgegegründet. Der ÖGV gründet ge meinsam mit der ÖVAG die ukräfte,bildungdieAkademie,VolksbankwelcheAus-undWeiterderFührungsMitarbeiterndFunktionärederVolksbankensicherstellensoll. Dezember 1985 Unter Beteiligung des ÖGV entsteht an der WU Wien das Forschungsinstitut derBetriebswirtschaftslehrefürGenossenschaften.
6.
Jänner 1976
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23. Mai 1986
1991–1994 Noch vor dem Beitritt Österreichs zur EU schließt der ÖGV Kooperationen mit den italienischen und BschaftsverbandmitVolksbankenfranzösischensowiedemGenossen-ayern.
1988 Der ÖGV tritt der Euro päischen Vereinigung der bankenGenossenschafts(EACB)bei.
Der CtionenBeteiligungenbmenschaftlichebeinhaltenGsätzebankenBetriebsgrößeneikonzept“beschließtÖGV-Verbandstagdas„StrukturmitdemZielnerOptimierungderderVolksunddie„Grundordnungsgemäßereschäftsführung“.SiebetriebswirtZiele,MaßnahzurRisikobegrenzungeiderKreditvergabe,beiundInvestisowieeinjährlichesontrolling.
Schriftenreihe,Schulze-Delitzsch-Band 18 370 Seiten, € 36,–DIE ERSTEN 125 JAHRECOOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 33
Herbst 1995 Der ÖGV wird Mitglied des Internationalen Instituts für (IforschungGenossenschaftsimAlpenraumGA).
1986 1988 19941991– 1995 Titelseite der „Gewerblichen Genossen schaft“ im Jahr 1997 mit großer Vor schau auf die Euro-Einführung
D as Thema Europa wird immer wichtiger – hier ein Bericht in der „Gewerblichen Genossenschaft“ über die Vorteile des Binnenmarkts Buchtipp Johann Brazda, Robert Schediwy, Tode Todev Selbsthilfe oder politisierte Wirtschaft Zur Geschichte verbandesGenossenschafts‑Österreichischendes1872–1997
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Schon der Zusatz „Schulze-Delitzsch“ im Verbandsnamen weist auf die enge Beziehung zwischen dem heutigen ÖGV und dem Gründervater des gewerblichen Genossenschaftswesens hin. Was wir über die persönlichen Berührungspunkte von Hermann Schulze-Delitzsch mit Österreich wissen.
DelitzschSchulzeÖsterreichin von JOHANN BRAZDA
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Diese führten ihn 1842 nach München, 1843 nach Norwegen und Schweden zu „wildro mantischen Gebirgsge genden mit ihren Felsenwän den und Wasserstürzen und den Einbuchtungen in die Westküste der Nordsee“ und 1844 bis nach Sizilien, wo er den Ätna be stieg. Seine umfangreichen Reisetagebücher berichten von unbeschwerten Tagen und bieten Schilderungen zu Kunst und Kultur. Die ersten Rei seziele im Sommer 1841 waren aber Tirol und Salzburg.
Bevor Hermann Schulze-Delitzsch als Abgeordneter des Wahlkreises Delitzsch 1848 mit 40 Jahren die gro ße politische Bühne betrat, führte ihn seine Wanderlust einige Zeit in Euro pa herum. Nach Übernahme des A mtes als Patrimonialrichter im Kreis Delitzsch (Gericht eines Großgrundbesitzers zur Aus übung der ihm zustehenden unteren Gerichtsbarkeit), bei dem er Einblick in die kärg lichen Lebensverhält nisse der ländlichen Unterschichten des Handwerks und der Fabriksarbeiter in der benachbarten Stadt Ei lenburg nehmen konnte, ließen es seine Einkünfte zu, alljährlich weite Rei sen zu unternehmen.
„Gestern gegen Abend kamen wir hier in Salzburg mitten im Gewitter an, das die Nacht austobte und dem schönsten Morgen Platz machte, welcher uns die wahrhaft paradiesische Gegend in ihrer ganzen Herrlichkeit entfaltete. Ihr könnt denken, daß wir nicht versäumten, sie von allen möglichen Standpunkten aus zu be trachten. Ich behaupte kühn, daß es nichts weiter der Art in Deutschland, vielleicht in Europa gibt. Fordert darüber keine begrün dende Auseinandersetzung von mir. Nur das bemerke ich als den eigentümlichen Reiz der Gegend: Salzburg vereinigt in sei ner Lage alle Reize der Alpengegenden in ihrer ganzen Erhabenheit mit der Fülle und Üppigkeit der angebautesten mildesten Fruchtebenen.” Schulze-Delitzsch lernte also Österreich schon im Alter von 33 Jah ren als Tourist kennen.
DER WEG IN DIE POLITIK Ab 1845, kurz vor der Revolution im Vormärz 1848, beteiligte sich SchulzeDelitzsch aktiv an der Entstehung einer Reihe von Zusammenschlüssen wie Turnoder Gesangsvereinen, die einen nationa len, zum Teil volkstümlich-demokratischen Charakter trugen. Er organisierte 1846, nach einer katastrophal schlechten Ernte, Gestern gegen Abend kamen wir hier in Salzburg mitten im Gewitter an, das die Nacht austobte und dem schönsten Morgen Platz machte, welcher uns die wahrhaft paradiesische Gegend in ihrer ganzen Herrlichkeit entfaltete.“
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ERSTER KONTAKT ZU ÖSTERREICH ALS TOURIST Es sei dies eine Fahrt, die „vor einem Menschenalter keineswegs so leicht aus führbar war wie jetzt, wo die Eisenbahnen jeden Reiselustigen bis mitten in die Hoch gebirge hinein im Fluge tragen“. SchulzeD elitzsch berichtete in Briefen an seine El tern von diesen Wanderungen, die „einen tiefen Einblick in das jugendwarme, heite re und doch zielbewußt ernste Empfinden de s Wanderers wie in das gemütliche, ganz dem Geiste jener Zeit entsprechende Verhältnis des Sohnes zu den Eltern ge statten. Wir begegnen da manchem Aus druck des Entzückens, der zum Teil dem er sten Ausflug in die Welt gutgeschrieben werden muß, aber durchweg einer hoch erfreulichen Frische des Urteils, die auch heute noch fesselt“, wie der Autor Aaron Bernstein später schrieb.
BERICHTE IN ÖSTERREICHISCHEN MEDIEN
Die Beantwortung zahlreicher weiterer Anfragen konnte Schulze-Delitzsch nur noch auf dem Wege von Veröffentlichun gen bewerkstelligen – wie der Broschüre „Mitteilungen über gewerbliche und Arbei ter-Assoziationen“ (1850), seinem „Associa tionsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter“ (1853) und der ab 1855 in meh reren Auflagen erschienenen Schrift „Vor schußvereine als Volksbanken. Praktische Anweisungen zu deren Einrichtung und Gründung“.
DIE ERSTEN GRÜNDUNGENGENOSSENSCHAFTS
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Erst ab dem Jahre 1858, als die Prinzipien von Schulze-Delitzsch in Österreich immer bekannter wurden, näherten sich die Sta ein Hilfskomitee zur Beschaffung billigen Getreides. Mit Letzterem gelang es ihm, die Hungersnot 1846/1847 in Delitzsch maßgeblich zu lindern. Dieser Erfolg trug entscheidend dazu bei, dass er von sei nen Delitzscher Mitbürgern im Mai 1848 gewählt wurde, um ihre Interessen in der nach heftigen Kämpfen in Berlin im März 1848 vom König zugestandenen Preußi schen Nationalversammlung zu vertreten. Er schloss sich der Deutschen Fraktion an, die sich für die Unterordnung Preußens unter die deutsche Sache einsetzte.
Im August 1849 entstanden in Delitzsch eine Kranken- und Sterbekasse, wenig später im Oktober eine Tischlergenos senschaft, im Dezember schließlich eine Schuhmachergenossenschaft und im Frühjahr 1850 ein Vorschussverein. Ging
Der erste österreichische Vorschussver ein, dessen Organisation einem SchulzeD elitzsch-Vorschussverein nahekam, war der „Gewerbliche Aushilfskassenverein“ in Klagenfurt. Seine Gründung fällt in die Jah re 1850/51 und stand noch nicht unter dem unmittelbaren Einfluss des deutschen Vor bilds. Ähnliche Aushilfsvereine entstanden in Altlerchenfeld in Wien (1855), Laibach (1856) und Troppau (1858). Es folgte die Gründung weiterer Vereine in Schönlinde (1853) und in Böhmisch-Zwickau (1856).
Auch in Österreich begannen die Tages presse und die Zeitschriften, über seine A ktivitäten zu berichten. So finden sich Artikel über sein Wirken als Politiker in der „Wiener Zeitung“ und im „Wanderer“.
hinsichtlich der Errichtung der Kran ken- und Sterbekasse sowie des Vor schussvereins die Initiative eindeutig von Schulze-Delitzsch aus, so waren die Roh stoffgenossenschaften der Tischler und Schuhmacher auf Initiative der betroffe nen Handwerker selbst errichtet worden, allerdings mit tatkräftiger Unterstützung Schulze-Delitzschs, der die Statuten aus gearbeitet hatte. D er Erfolg dieser Gründungen war der An stoß für eine erste Gründungswelle. Bis 1859, der Gründung des „Vereinstages deutscher Vorschuß- und Kreditvereine“, wurden an die 300 Genossenschaften nach dem Schulze-Delitzsch-System re gistriert, davon 200 Kreditvereine.
Schulze-Delitzschs Arbeitsschwerpunkt in der Nationalversammlung lag im Vorsitz der Kommission für Handel und Gewerbe, der vor allem durch die Forderungen der Handwerker nach freiwilligem Zusammen schluss zu Darlehenskassenvereinen und Vereinen zur billigen Beschaffung von Roh stoffen, zum gemeinsamen Verkauf der Produkte bis zur gemeinsamen Produktion geprägt war. Hier entstand das soziale Engagement Schulze-Delitzschs mit dem Fokus, auch den unteren, vom industriel len Fortschritt benachteiligten Schichten die Möglichkeit zur Selbstorganisation und Teilnahme am wirtschaftlichen Wachstum zu Diegeben.Niederschlagung der Revolution in Wien im Oktober 1848 gab das Signal für Maßnahmen in Berlin. Zunächst wurde die Nationalversammlung im November 1848 aufgelöst und in der Folge auch das Zwei kammersystem in Preußen im Februar 1849. Damit endete für die nächsten neun Jahre die politische Tätigkeit von SchulzeDelitzsch. Nachdem er im September 1851 auch noch schikanös aus dem Richteramt hinausgedrängt worden war, widmete er seine gesamte Arbeitskraft dem bereits im Sommer 1849 begonnenen Auf- und Aus bau von Genossenschaften.
tuten der Vorschussvereine einer gewis sen Gleichmäßigkeit, indem wenigstens ihre hauptsächlichsten Bestimmungen ei nander im Wesen ähnlich wurden.
Der erste Schulze-Delitzsch-Verein auf dem heutigen österreichischen Staatsge biet dürfte der 1863 gegründete „1. Vor schußverein für Krems und Umgebung“ gewesen sein. An Artikeln von SchulzeDelitzsch in der „Gartenlaube“ sind „Die Handwerksnoth, ihr Grund und die Mittel ihrer Hebung“ (1857), „Die socialen Folgen der Arbeitstheilung“ (1866), „Die deutsche Genossenschaftsbewegung“ (1867) und „Die nationale Bedeutung von Genossen schaften“ (1868) erschienen.
Sie war das erste erfolgreiche deutsche Massenblatt und für ihn eine Plattform, um erste Erfahrungen über seine Genossen schaftsgründungen in Deutschland auch an ein breiteres österreichisches Publikum Dieweiterzugeben.ersteArtikelserie im Jahr 1855 zu den Schulze-Delitzsch-Vereinen unter dem Ti tel „Handwerkerbriefe“, mit der eine gro ße Breitenwirkung erzielt werden konnte, s tammte aber nicht von Schulze-Delitzsch selbst, sondern vom später bekannten Nationalökonomen Karl Knies. Immerhin ist belegt, dass Knies mit dieser Serie so gar den kleinen Zinngießermeister Karl Staudinger, den Mitbegründer des „Ge werblichen Aushilfskassenvereins“ in K lagenfurt, erreichen konnte: „Jetzt, wo die Frage der Constituierung unseres Vereins an ihrem Endpunkte angelangt war, brachte die Zeitschrift ‚Gartenlaube‘ in ihren ‚Handwerkerbriefen‘ die überra schende, uns höchst erfreuliche Kunde von dem Vorhandensein solcher Vereine in Nord-Deutschland. Mehrere dieser Ver eine datiren ihr Entstehen nahe zur selben Zeit wie der unseren, die meisten jedoch weit später. Als Hauptgründer derselben wird Herr Schulze in Delitzsch genannt.“ Inhaltlich gab Knies in dieser Artikelserie einen ersten Erfahrungsbericht über die Vorschussvereine in Delitzsch, Eilenburg, Braunschweig und Wolfenbüttel.
ER STE STATISTIK DER GENOSSEN SCHAFTEN 1859 wurde in Weimar der „Vereinstag Deutscher Vorschuß- und Kreditvereine“ einberufen, da aufgrund der ablehnenden Haltung der Regierung eine Zusammen kunft in Preußen oder Sachsen nicht abge halten werden konnte. Auf diesem Treffen w urde der Beschluss gefasst, eine Zent ralstelle zur Koordinierung der Arbeit der K reditvereine einzurichten. Dieses „Zentralkorrespondenzbüro“, aus dem 1862 die „ Anwaltschaft der Deutschen Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften“ und schließlich 1864 der „Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen schaften“ hervorgehen sollte, wurde von Schulze-Delitzsch als erstem „Anwalt“ Titelseite der „Gartenlaube“ aus dem Jahr 1855: Die Illustrierte trug wesentlich zur Verbreitung der Genossenschaftsidee bei
Wesentlich für diese Entwicklung dürf te das publizistische Auftreten SchulzeDelitzschs in der „Gartenlaube“ gewesen sein, einer auch in Wien verbreiteten, deut schen Familien- und Unterhaltungszeit schrift für den bürgerlichen Mittelstand.
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nenthal (Prag) und in Krems vermerkt. Von einer sprunghaften Entwicklung auf 118 Vereine zeugt sein Bericht über das Jahr 1864, wobei aber nur ein deutschsprachi ger Verein – nämlich der „Vorschuß- und Sparverein für Südbahn-Bedienstete“ in Wien – darunterfiel, während die übrigen tschechische Vereine waren (94 in Böh men, neun in Mähren und einer auf der W ieden in Schulze-DelitzschWien). bemerkte dazu, dass dieser bedeutende Zuwachs der Vereine insbesondere dem Umstand zuzuschrei ben sei, „daß die Anwaltschaft erst ganz neuerlich von den czechischen Vorschuß vereinen in Böhmen und Mähren durch diese selbst Kenntnis erhielt. Es hat sich nämlich seit etwa zwei Jahren mitten in diesen so lange zu Deutschland gehöri gen Ländern unter der czechischen, durch Sprache und Sitte von der deutschen scharf unterschiedenen Bevölkerung eine so energische Thätigkeit in Gründung von Vorschußvereinen (Zalozna) gezeigt, daß deren im Augenblick bereits über 100 be stehn, und man gegenwärtig im Begriff ist, einen Congreß derselben zu veranlassen und ein ähnliches Central-Geldinstitut, wie die deutsche Genossenschaftsbank zu Berlin, in Prag zu gründen, worüber man sich bei der Anwaltschaft Informationen einholte. Gewiß giebt diese außerordentli che Rührigkeit der Czechen, gegen welche die Deutschen in Oesterreich auf diesem in socialer Hinsicht so wichtigen Felde ent schieden zurückstehen, Vieles zu denken, b esonders da die österreichische Regie rung der ganzen Bewegung entschieden entgegen kommt und den Vereinen mit der Concession zugleich die juristische Persönlichkeit verleiht, ohne sich im Min desten in ihre Geschäftsführung einzu mischen. Von der völlig freien Gebahrung ebenso wie von der höchst einsichtigen und bankmäßig geordneten Verwaltung dieser czechischen, vollkommen auf unse ren Principien beruhenden Vereinen hatte der Verfasser bei Gelegenheit eines neu erlichen Aufenthalts in Schlesien sich per sönlich zu überzeugen Gelegenheit“. D er Bericht für 1865 wies für Österreich 122 Vorschussvereine aus, davon nur 18 deutsche. Neu hinzugekommen waren die geleitet und durch Abgaben der ange schlossenen Vereine finanziert. SchulzeDelitzsch erhielt damit nach fast zehn Jah ren eine Vergütung für seine Arbeit. Er hat te bis dahin für die Genossenschaftsbewe gung unentgeltlich gearbeitet. Mit dieser neuen Funktion war auch die Er stellung eines statistischen Jahresberichts für die „deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter“ verbunden. In diesen Berichten hat Schulze-Delitzsch, soweit er darüber Kenntnis erlangte, ab 1859 auch die
derrantenvdigenhieltNeustadtdrichtGothabachnahmeKontakteWmentiert,TLaibach,Böhmisch-Zwickau,ditvereine1859Imatiens.nahmeimzumaberGenossenschaftendeutsch-österreichischenmitberücksichtigt–nursolcheinLändern,diefrüherDeutschenBundgehörten,alsodieReichsratvertretenenLändermitAusGaliziens,derBukowinaundDalnseinemerstenBerichtüberdasJahrsindfürÖsterreichbereitsdieKreinAltlerchenfeld,Aussig,Graz,Klagenfurt,Linz,Marburg,Reichenberg,roppau,VlaschimundTschaslaudokuinsgesamtzwölfanderZahl.eitersbetonteerdiegutenpersönlichennachÖsterreichdurchdieTeilderVereineausKlagenfurt,LaiundTroppauanseinemVereinstaginimJahr1859.InseinemzweitenBefür1860ergänzteSchulze-DelitzschieangeführtenVereineumjeneinWienerundReichenberg.FürLetzterenerfest,dasssichdieser„imvollstänAnschlußandasvomHerausgeberertreteneSystemvondemInstitutderGa–dasheißtwohlmeinenderMännerhöherenGesellschaftsschichten–bereitsganzlosgemachthat,undauchdenGeschäftsgewinnnachHöhederStammantheiledenMitgliedernalsDividendegewährt“.1861kamennochdieVereineinBrünn,FreudenthalundPragdazu.Schulze-Delitzschkonntefesthalten,dassmaninÖsterreich„inneuererZeitsehrentschiedendieBegründungvonKreditgenossenschaftenunseresSystemsindieHandgenommenhat“.IndenBerichtenfür1862und1863sindeinZuganginWiendurchdenVorschussvereinfürGewerbetreibende„DerFels“undzweiweitereinKaroliDIE ERSTEN 125 JAHRECOOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 39
In Österreich verlief die Entstehung eines Genossenschaftsgesetzes differenzierter: Anfänglich wurden die Genossenschaften als Vereine konstituiert und unterstanden dem Vereinsgesetz von 1852. 1867 wurde zwar ein neues Vereinsgesetz publiziert, die Genossenschaften verblieben aber als auf Gewinn berechnete Vereine – gleich gültig ob eigen- oder gemeinnützig – unter dem Vereinspatent von 1852. Ab 1866 gab es erste intensive Bemühungen, die Genossenschaften aus dem Vereinspatent herauszulösen, da dieses keine Be stimmungen über innere Strukturen oder Rechtsbeziehungen enthielt. Die Mängel der bisherigen Regelung auf grund spürbarer Zunahme der Genossen schaftsgründungen wurden immer eviden ter, als sich diese immer unterschiedlicher von den gewöhnlichen Vereinen zu entwi ckeln begannen. Die Bestrebungen gingen
SCHULZE-DELITZSCH UND DAS ÖSTERREICHISCHE GENOSSEN SCHAFTSGESETZ In Deutschland tat sich Schulze-Delitzsch rechtspolitisch als Angeordneter des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Deutschen Reichstages durch das Verfassen von genossenschaftsrecht lichen Gesetzesentwürfen (1860, 1862, 1866) hervor. Es gelang ihm, für die Wirt schaftsform Genossenschaft eine eigene Gesellschaftsrechtsform zu entwickeln und diese sowohl im Gesetzgebungsver fahren durchzusetzen als auch in der Ge nossenschaftspraxis zu verbreiten. 1867 w urde ein in allen wesentlichen Punkten den Vorstellungen Schulze-Delitzschs entsprechender Regierungsentwurf vom Herrenhaus angenommen und somit Preu ßisches Genossenschaftsgesetz. Dieses Gesetz trat schließlich 1869 für den Be reich des Norddeutschen Bundes in Kraft und galt seit 1871 für das gesamte Deut sche Reich. Schulze-Delitzsch hatte damit wie er wiederholt selbst bekundete – zur Lösung der großen sozialen Frage seiner Zeit beitragen wollen.
Vereine in Bielitz (Schlesien), Friedland, Lobositz und Rumburg. 1866 erwähnt Schulze-Delitzsch einen neuen deut schen Verein in Graslitz. 1867 konnte er dann endlich auch einen Aufschwung der deutschsprachigen Vereine von 19 auf 66 verkünden, während die Zahl der tschechi schen Vereine stagnierte. Zunächst machte sich Schulze-Delitzsch nach der neuen Verfassung in Österreich von 1867 (Gewährung eines freien Verei nigungs- und Versammlungsrechts) noch Hoffnungen, dass nun viele der österrei chischen Vereine seinem Allgemeinen Verband beitreten würden: „Den Genos senschaften in Deutsch-Oesterreich war nach den bisher dort geltenden Gesetzen der Beitritt zu unserem Verband nicht mög lich; dagegen wird die neue constitutionel le Aera, welche jetzt dort angebrochen ist und auch auf dem Gebiete des Vereins wesens größere Freiheiten der Bewegung ge schaffen hat, auf genossenschaftlichem Felde vielleicht zu einer engeren Verbin dung mit dem übrigen Deutschland füh ren. Die Vorbedingungen dafür sind schon insofern günstig, weil, wie aus vielen An zeichen hervorgeht, die deutsch-österrei chischen Vereine das Bestreben haben, wenigstens durch das Lesen dieser Blät ter (‚Blätter für Genossenschaftswesen‘, Anmerkung des Autors) sich mit der ge sammten deutschen Genossenschaftsbe wegung in lebendigem Zusammenhang zu erhalten.“
Der Krieg zwischen Österreich und Preu ßen 1866 und der Frieden von Prag, der den Deutschen Bund auflöste und Öster reich aus der Gemeinschaft deutscher S taaten ausschloss, machten diese Hoff nungen aber vorzeitig zunichte. Trotzdem nahm Schulze-Delitzsch die deutschösterreichischen Genossenschaften bis zum Jahr 1876 weiterhin in seine Jahres berichte auf. Erst im Jahre 1877, nachdem Hermann Ziller, der erste Verbandsanwalt des Allgemeinen Verbandes in Öster reich, seinen ersten Bericht über die Er werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Österreich und Ungarn herausgebracht hatte, veröffentlichte Schulze-Delitzsch das Verzeichnis der Genossenschaften in Deutsch-Österreich nicht mehr. Er blieb aber weiterhin mit den deutschen Genos senschaften in Österreich in Verbindung und unterstützte sie mit Rat und Tat.
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All dies vollzog sich hinter dem Schleier einer großen Wertschätzung für SchulzeDelitzsch, der sich als Genossenschafts anwalt der ungeteilten Bewunderung aller am österreichischen Genossenschaftsge setz beteiligten Kräfte sicher sein konnte. Es kam jedoch zu keinem Beschluss, da der Landtag diese Angelegenheit in die Kom petenz des Reichsrates nach Wien verwies. Hier wollte man zunächst nichts von einem eigenen Genossenschaftsgesetz wissen.
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Der Abgeordnete Carl Pickert – ein Exponent der deutschnationalen Be wegung in Böhmen, der sich als Haupt vertreter der „reinen Lehre“ von SchulzeDelitzsch in Österreich verstand (siehe auch ab Seite 13) – äußerte sich sehr kritisch zu den Bemühungen, die Genossenschaf ten dem Aktiengesetz zu subsumieren: „In Oesterreich wurde ein unglücklicher Ver such gemacht mit dem Gesetz über die Actien- und Commandit-Gesellschaften, dann über Erwerbs- und Wirthschafts-Ge nossenschaften. Der Gesetzesentwurf ging von einem ganz falschen Standpunkt aus, indem er zwischen den genannten Associationen etwas Gemeinsames vor aussetzte, was nicht bestanden hat. Die Actien-Gesellschaften sind auf das Kapital gegründet, die Wirthschafts-Genossen schaften auf den persönlichen Credit, die Actien-Gesellschaften sind Kapital-Asso ciationen, die Erwerbs- und WirthschaftsGenossenschaften Personal-Associatio nen, und wenn man diesen Unterschied nicht festhält, so kommt man in ein voll ständiges Schwanken hinein. Daher rühren insbesondere von Böhmen aus, wo die Entwicklung des Genossenschaftswesens im Vergleich zu den anderen Ländern der Monarchie weit fortgeschritten war. Die Debatte im Landtag des böhmischen Kö nigreichs im August 1868 war durch einen Schulze-Delitzsch-Auslegungsstreit ge prägt, der zu Auseinandersetzungen zwi schen orthodoxen Schulze-Delitzsch-An hängern und „Andersdenkenden“ führte, wobei letztere Schulze-Delitzsch umzu interpretieren bzw. explizit von ihm abzu weichen versuchten.
Erst in der Reichsratssession 1868/69 wurde von der Regierung ein Gesetzesent wurf über „Aktiengesellschaften und Kom manditgesellschaften auf Aktien, dann Er werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ eingebracht.
Die Auseinandersetzungen fokussierten auf zwei Fragen – auf jene nach der freien Haftungswahl (beschränkt oder unbe schränkt) und auf der Frage, ob Genossen schaften nur Erwerbsgenossenschaften oder auch bzw. sogar primär gemeinnüt zige Unterstützungsvereine sein können.
Hermann Schulze-Delitzsch 1874 bei einer Rede vor dem Deutschen Reichstag
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ENTWICKLUNGEN IN ARBEITERBEWEGUNGDER
Das Genossenschaftswesen hatte sich zunehmend zu einer mittelständischen Bewegung entwickelt. Akteur und damit Gegenspieler Schulze-Delitzschs, der bis dahin als der bedeutendste Sozialrefor mer des Landes galt, war in dieser neuen Bewegung der Präsident des Arbeiterver eins, Ferdinand Lasalle. Seine Idee des Sozialismus war genossenschaftlich und preußisch-nationalstaatlich orientiert, und er griff die sozialpolitische Position von Schulze-Delitzsch in einer Reihe von öffent lichen Vorträgen und Broschüren direkt an. L asalle argumentierte, dass die Kreditver eine und Rohstoffgenossenschaften für die Arbeiterschaft nicht von Nutzen seien, da sowohl Kreditaufnahme als auch Ein kauf von Rohstoffen en gros nur Hand werksbetrieben diene. Ebenso seien die Konsumgenossenschaften abzulehnen, da aufgrund des „ehernen Lohngesetzes“ durch die vermehrte Verbreitung von Kon sumvereinen und eine allgemeine Verbilli gung der Lebensmittel automatisch auch die Löhne sinken müssten. Nicht die Genossenschaften à la SchulzeDelitzsch, sondern die Einführung des all gemeinen, gleichen und geheimen Wahl rechts könne der Arbeiterschaft weiterhel fen. Durch das demokratische Wahlrecht Daher rühren die Calamitäten, denen diese Vereine in Bezug auf eine Besteuerung ausgesetzt sind. Einmal legt man ihnen eine Erwerbsteuer, ein anderes Mal eine Einkommensteuer, und ein drittes Mal, um ja recht sicher zu gehen, beide Steuerarten auf.“
Einmal legt man ihnen eine Erwerbsteuer, ein anderes Mal eine Einkommensteuer, und ein drittes Mal, um ja recht sicher zu gehen, beide Steuerarten auf.“
die Calamitäten, denen diese Vereine in Be zug auf eine Besteuerung ausgesetzt sind.
Die Gesetzesvorlage kam aber nicht zur Verhandlung, weil man sich zuerst Unter lagen der eben erst neu verabschiedeten Gesetze des Auslands beschaffen und diese in die Vorlage mitverarbeiten woll te. Beginnend mit 1871 trat man dieser Materie wieder näher, nahm aber Ab schied von einer Gesamtkodifikation und arbeitete schließlich vollständig getrennte Gesetzesentwürfe aus, die von einer Ge sellschaftsbildung ohne staatliche Kon zession oder Genehmigung, sondern blo ßer Anmeldung ausgingen.
Die größte Abweichung bestand im Haf tungsverhältnis der Mitglieder. Nach dem deutschen Gesetz konnten nämlich Ge nossenschaften nur unter solidarischer Haftung der Mitglieder errichtet werden. Schulze-Delitzsch griff in einem Artikel in der Wiener „Deutschen Zeitung“ in die Debatte über den Entwurf des österreichi schen Genossenschaftsgesetzes ein: Aus gangspunkt für die Beantwortung der Haf tungsfrage sei, so Schulze-Delitzsch, die Unterscheidung zwischen Personal- und Kapitalgenossenschaften. Dem Wesen der Kapitalgenossenschaften respektive Aktiengesellschaften sei das Prinzip der beschränkten Haftung allein angemessen, wogegen das Wesen der Personalgenos senschaften die unbeschränkte persön liche Haftung erfordere. Der österreichi sche Gesetzentwurf habe ausschließlich die Personalgenossenschaften zum Ge genstand. Knapp vor dem Börsenkrach im Mai 1873 wurde am 9. April vom Reichsrat das Genossenschaftsgesetz verabschie det. Es ging von der Wahlfreiheit zwischen b eschränkter und unbeschränkter Haf tung aus. Man berief sich einerseits auf die guten Erfahrungen, die mit der Errichtung der beschränkten Haftung in England und Frankreich gemacht wurden, und anderer seits darauf, dass bisher viele Gründungen wegen der gefürchteten unbeschränkten Haftung nicht zustande gekommen waren.
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Mit der Gründung des „Allgemeinen Deut schen Arbeitervereins“ im Jahre 1863 musste Schulze-Delitzsch zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeiterschaft aus der bürgerlich-demokratischen Bewegung, deren Teil sie bislang gewesen war, aus scherte, um sich zu verselbstständigen.
Das Genossenschaftsgesetz folgte im Wesentlichen dem deutschen Vorbild.
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hilflern“ hier Ende 1867 ihrem Höhepunkt zustrebte, beschloss der „Verein für volks wirtschaftlichen Fortschritt“, zugunsten der Selbsthilfler in die Auseinandersetzung einzugreifen. Mehrere Mitglieder des Ver eins hielten Vorträge im Sinne von SchulzeDelitzsch gegen die in der Arbeiterschaft um sich greifenden Lassalleschen „Irrleh ren“. Doch dem Versuch, einen auf Selbst hilfe basierenden Arbeiterbildungsverein in Wien zu gründen, war kein Erfolg be schieden. Die Entscheidung der Arbeiter war längst für das Programm von Lassalle gefallen, und damit konnten die Selbsthilf ler keinen bestimmenden Einfluss mehr auf die anwachsende Arbeiterbewegung nehmen.
Beide Verbände versuchten in der Folge, mit Schulze-Delitzsch direkt in Kontakt zu treten und ihn zu ihren ersten Verbands tagen im Jahr 1873 nach Wien einzuladen.
DIE GRÜNDUNG ZWEIER GENOSSENSCHAFTSVERBÄNDE IN WIEN Schulze-Delitzsch begrüßte zwar ab 1864 immer wieder die Gründung einer „Orga nisation der österreichischen Erwerbsund Wirthschaftsgenossenschaften“, war aber stets bestrebt, sich nicht direkt in die in Konkurrenz zueinander stehenden Gründungsvorhaben einzumischen oder Partei zu ergreifen. 1872 wurden dann tat sächlich zwei rivalisierende Verbände, der „ Allgemeine Verband der auf Selbsthilfe beruhenden deutsch-österreichischen Er werbs- und Wirthschaftsgenossenschaf ten“ (Verbandsanwalt: Carl Pickert) und der „Allgemeine Verband der auf Selbsthil fe beruhenden österreichischen Erwerbsund Wirthschaftsgenossenschaften“ (heu te ÖGV, Verbandsanwalt: Hermann Ziller) ge gründet, die sich beide auf SchulzeDelitzsch beriefen (siehe auch ab Seite 14).
Der überwiegende Teil der politisch aktiven Arbeiterschaft aus Industrie und Handwerk schloss sich der von Schulze-Delitzsch ini tiierten Gegengründung, dem „Vereinstag Deutscher Arbeitervereine“, an. Die Frage Staatshilfe (Lassalle) oder Selbsthilfe (Schulze-Delitzsch) stellte sich in den ausgehenden 1860er-Jahren auch in Ö sterreich. Als mit der Konstituierung der Arbeiterbewegung die Auseinanderset zung zwischen „Staatshilflern“ und „Selbst Widmung, die Hermann Schulze-Delitzsch dem neu gegründeten Verband in Österreich mit auf den Weg gab: „Auf der Freiheit, verbunden mit der Verantwort lichkeit für deren Gebrauch, beruht die gesunde E xistenz des Einzelnen wie der Gesellschaft“
Auch die Abhaltung eines internationalen Genossenschaftstages im Rahmen der Wiener Weltausstellung war im Gespräch. Schulze-Delitzschs Intention angesichts dieser Zersplitterung der deutschen Ge nossenschaften in Österreich war es, als Mediator zu agieren: „Als daher von Sei ten des General-Secretärs des Ersten Beamtenvereins der Oesterreichischen könne sie endlich ihre Vertreter in die Volksvertretung wählen und diese könnten wiederum dafür Sorge tragen, dass der Staat die Gründung von Produktivgenos senschaften subventioniert mit dem Ziel, alle Arbeiter in Genossenschaften zusam menzuschließen. Lassalle legte Wert dar auf, dass es sich um Produktivgenossen schaften handelte. Das heißt, er siedelte die Genossenschaften direkt in der Pro duktionssphäre an – da, wo der Ursprung des Problems seiner Meinung nach zu finden sei: in der Trennung von Kapital und Arbeit. Die Aufhebung dieser Spaltung, in dem der Arbeiterstand zu seinem eigenen Unternehmer werde, sei die einzige Mög lichkeit zur Besserung der Lage der Arbei Eterschaft.inerseits war das für Schulze-Delitzsch eine schwierige Lage, musste er doch nun nicht nur gegen die Regierung kämpfen, sondern auch gegen einen neuen Arbeiter verein, der weitgehend sozialpolitische Ziele verfolgte. Andererseits war der neue Verein eine Gruppierung mit wenigen Mitgliedern.
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„MEINE HERREN, NOCH EIN WORT“: SCHULZE-DELITZSCH IN WIEN Zu einer „seit Jahren herbeigesehnten Teilnahme des Schöpfers des deutschen Genossenschaftswesens, Anwalt Dr. Her mann Schulze-Delitzsch“ kam es erst am dritten Vereinstag des Allgemeinen Ver bandes im September 1875 in Wien. Sein b ereits in den Einladungen bekanntge machtes Kommen brachte eine äußerst z ahlreiche Teilnahme deutscher Genos senschaften mit sich, auch solcher, die nicht dem Verband angehörten. Der Ver einstag wurde zu einer Manifestation für VerbandsanwaltSchulze-Delitzsch.Hermann Ziller berichtete in seinem Verbandsorgan „Die Genossen schaft“: „Der dritte Vereinstag des Allge meinen Verbandes der Erwerbs- und Wirth schaftsgenossenschaften in Oesterreich, welcher soeben in Wien abgehalten wor den ist, erhielt durch die Theilnahme von Schulze-Delitzsch eine besondere Weihe. Wie oft war im Geheimen der Wunsch ge hegt, wie oft öffentlich ausgesprochen worden, den Begründer und Schöpfer des deutschen Genossenschaftswesens in unserer Mitte begrüßen zu können. Dieser Wunsch ging endlich in Erfüllung. Die An wesenheit von Schulze-Delitzsch versetz te alle Theilnehmer in eine gehobenere S timmung und verlieh ihnen ein gewisses Gefühl des Selbstbewußtseins und des berechtigten Stolzes … konnte sich der Vereinstag den allgemeinen Angelegen heiten der Genossenschaften und den be sonderen Angelegenheiten der einzelnen Genossenschafts-Gattungen zuwenden, und an den inneren Ausbau des österrei chischen Genossenschaftswesens gehen.
D ie individuelle Freiheit ist gewiß ein sehr berechtigtes Moment, nur in dieser per sönlichen Freiheit ist die Ausbildung aller Anlagen möglich; aber diese Freiheit muß ihre Grenzen haben, und die Grenzen sind von der Natur der Dinge gegeben. Der einzelne Mensch für sich kann nicht bestehen, er würde sogar physisch zu Grunde gehen und in noch viel höhe rem Grade der Verdummung anheimfal len. Der Mensch bedarf mehr als jedes andere Wesen der Unterstützung durch Wesen seiner Art. Die menschlichen Be dürfnisse können nur befriedigt werden Keine Freiheit ist denkbar, wenn wir nicht den Einzelnen verantwortlich machen für den Gebrauch, den er von seiner persönlichen Freiheit macht.“
Nachdem Schulze-Delitzsch an den Be ratungen lebhaft Anteil genommen hatte, ergriff er auf Wunsch der Versammlung am Ende dieser Veranstaltung das Wort, um sich „in einer längeren, mit stürmischem Beifalle aufgenommenen Rede über die Ziele und Bestrebungen der Genossen schaften auszusprechen“: „Nun, meine Herren, noch ein Wort … Die Genossenschaft in ihrer weiteren Bezie hung tritt in eine der wichtigsten Fragen ein, von deren Erledigung die ganze Ge staltung unserer wirthschaftlichen und p olitischen Zukunft abhängt. Ich würde die Frage dahin formuliren, daß es darauf ankommt, das richtige Verhältniß festzu stellen und zu ordnen, in welchem der einzelne Mensch mit seinen Beziehungen zur menschlichen Gesellschaft steht. Der einzelne Mensch mit seiner Begabung, wie ihn die Natur hinstellt, verlangt freies Gebahren seines Willens und seiner Kräf te, will sein Geschick eigenartig gestalten.
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Nun schien es an der Zeit, eine Einladung an Schulze-Delitzsch ergehen zu lassen, um demselben Gelegenheit zu geben, sich aus eigener Anschauung ein Urtheil über das bis jetzt Erreichte, über die ferneren Ziele unserer Bestrebungen und den unse ren Verband beseelenden Geist zu bilden.“
Monarchie sowie dem Deutsch-Oesterrei chischen und dem Oesterreichischen Ge nossenschafts-Verbande durch deren Vor steher wiederholte Anregungen deshalb an mich ergingen, habe ich den geehrten Herren bestimmt und wiederholt erklärt: daß, wenn sie das Zusammentreten der ih ren Verbänden angehörigen Vereine durch Deputirte zu gemeinsamen Tagen in Wien bewirken würden, ich meinerseits für eine Betheiligung von hier aus eintreten wolle.“ Seiner Anregung wurde in Wien aber nicht gefolgt. Andererseits blieb auch sein Auf ruf zur „Gründung eines neuen einheitli chen Oesterreichischen Genossenschafts verbandes“ zunächst ohne Reaktion.
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Österreichischen Genossenschaften auch nach dem Tod: Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Allgemeinen Verbandes be schloss der Vereinstag 1897 in dankbarer A nerkennung der großen Verdienste von Schulze-Delitzsch um das deutsche Ge nossenschaftswesen und zum Zeichen der Solidarität mit den Genossenschaften des Deutschen Reiches, dem in Berlin zu errichtenden Denkmal des verehrten Alt meisters einen Lorbeerkranz in Bronze zu stiften. Die Kosten dafür wurden durch freiwillige Beiträge der Verbandsvereine Undaufgebracht.imJahr1907 fasste der Vereinstag die Entscheidung, für den Allgemeinen Ver band ein eigenes Heim zu schaffen und dort eine Büste von Schulze-Delitzsch zur Eh rung seines Andenkens anzubringen. Dank der Unterstützung eines Teils der Verbands vereine konnte das Schulze-Delitzsch-Ver bandsheim in der Lindengasse 5 in Wien im September 1910 seiner Bestimmung über geben werden. Die Büste über dem Ein gangstor ist dort noch heute zu sehen. durch das Ineinandergreifen der mensch lichen Thätigkeit, Theilung der Arbeit, wie sie die Gesellschaft geschaffen hat. Hier aber ist eine Grenze gegeben, und zumal die Gesellschaft, als Staat organisirt, soll sich hüten, die persönliche Freiheit der Mitglieder mehr zu beschränken als ab solut nothwendig ist vermöge des Staats gedankens. Weiter soll der Einzelne sich hüten, diejenigen Existenz-Bedingungen zu verletzen, die die Staatsgesellschaft braucht; denn er braucht wiederum die Ge sellschaft zu seiner Existenz, er bedarf der Hilfe, der Unterstützung. Da haben wir die natürliche Schranke der persönlichen Frei heit, der sich jeder unterwerfen muß. Das Princip aber, welches aus dieser Beschrän kung hervorgeht, ist die Verantwortlichkeit des Einzelnen. Keine Freiheit ist denkbar, wenn wir nicht den Einzelnen verantwort lich machen für den Gebrauch, den er von seiner persönlichen Freiheit macht.“ Nach dem Ende der Rede folgten stürmi sche Bravorufe.
POSTHUME VEREHRUNG Acht Jahre nach dieser Rede, am 29. April 1883, starb Hermann Schulze-Delitzsch in Potsdam. Zwei Ereignisse belegen sei ne große Verehrung seitens der Deutsch3. Mai 1883: Trauerzug für Hermann SchulzeDelitzsch auf der Langen Brücke in Potsdam Lindengasse 5 in Wien: Den Eingang ziert heute noch die Büste von Hermann Schulze-Delitzsch
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV46 1997 – 2022 25 Jahre Überblickim VON 1997 BIS HEUTE
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 47 von RAINER BORNS
Die jüngere Geschichte des ÖGV ist eng verknüpft mit der Entwicklung der Volksbanken. In den letzten 25 Jahren war diese geprägt von drei Phasen –Expansion, Rezession und schließlich erfolgreiche Transformation. Ein Blick zurück in eine turbulente Zeit.
VON 1997 BIS HEUTE
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV48
MITZUKUNFT
BAUEN. 1872 2022 VORWORT
Wenn eine Organisation seit 150 Jahren besteht, dann muss sie angesichts der sich im Zeitablauf ändernden Rahmenbe dingungen vieles richtig gemacht haben. Gerade beim Blick auf die letzten 25 Jahre der ÖGV-Geschichte sieht man, dass sich das wirtschaftliche Umfeld für die Mit glieder deutlich verändert hat: Den Schil ling gibt es nicht mehr, die EU hat sich auf allen Ebenen weiterentwickelt und viele Bereiche der Wirtschaft neu definiert, Fortschritte im technischen Bereich – vor allem die Digitalisierung – haben nicht nur die Kommunikation, sondern ganze Wert schöpfungsketten verändert. Es muss nicht eigens betont werden, dass der ÖGV auch in dieser Zeit die statutarischen Auf gaben für seine Mitglieder stets voll und ganz erfüllt hat. Bemerkenswert ist hinge gen, dass er sie darüber hinaus auch sehr aktiv mit neuen Leistungen, Ideen und Vor schlägen unterstützt hat. Zwar gab es auch im Bereich der Warenund Dienstleistungsgenossenschaften gro ße Umbrüche, auf die Struktur und die Auf gaben des ÖGV hatten diese jedoch nicht so starke Auswirkungen wie die sehr be wegte Entwicklung der Volksbanken. Die ser Beitrag soll daher vor allem auch zeigen, in welcher Form die jüngere Geschichte der Volksbanken den ÖGV beeinflusst hat. Waren die Leistungen für die Volksban ken zunächst zur Unterstützung des Auf schwungs, der Marktoffensive und der Nutzung der Chancen am Kapitalmarkt von Optimismus und Erfolg der Mitglieder getrieben, wandelte sich die Aufgaben stellung mit Beginn der Finanzkrise 2008: Plötzlich galt es, Zuversicht zu verbrei ten und unermüdlich an das Ziel und den Auftrag von Hermann Schulze-Delitzsch zu appellieren: dass die Freiheit, ohne fremden Einfluss weiter als Volksbanken Dienstleistungen für Kunden erbringen zu können, nur Bestand hat, wenn die damit verbundene Verantwortlichkeit für deren Gebrauch übernommen wird. Im Vordergrund stand, eine wirtschaftliche Lösung für die Absicherung der regiona len Volksbanken in einem durch die Folgen der Finanzkrise politisch wie wirtschaftlich verunsicherten Umfeld zu finden bzw. zu verhandeln und Verantwortung zu über nehmen, um drohende Schäden von den Genossenschaftern abzuwenden. Nachdem dies 2015 mit dem Abschluss der Verhandlungen über die Übernahme der zschafter.nämlicheigentlichenMitgliederMtriebderdetenzDiesMfüllungsengenossenschaftenauchdieunterstütztrichtetedenlen,dpflichtung,durchÖVAG-ZentralorganisationsaufgabendieVolksbankWienundderVernoch300MillionenEuroanieRepublikfürdieÖVAGzurückzuzahgelungenwar,begleitetederÖGVStrukturwandelseinerMitgliederunddenFokusneuaus:DerVerbanddieGenossenschaftsbanken,Volksbank-Aktiengesellschaften,aberdieneuentstandenenBeteiligungsinihremMitgliederweundbeiregionalenInitiativenzurErihresFörderauftrags–getreudemotto„MitVertrauenZukunftbauen“!alleserfordertenebenhoherKompederMitarbeiterinnenundMitarbeitersÖGVauchFlexibilität,dasAnnehmenHerausforderungsowieEigenanundMotivationfüreinerfolgreicheseisternderAufgaben–imInteressederdesÖGVunddamitauchderEigentümerdieserMitglieder,derhunderttausendenGenossenEineinteressanteZeitbeimBlickurück!
VON 1997 BIS HEUTE
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DIE EINSTGENOSSENSCHAFTSIDEEUNDHEUTE
Diese im Schnelldurchlauf beschriebe ne Idee ist trotz aller Veränderungen im p olitischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und technologischen Bereich bis heute bestehen geblieben: Es gibt weiterhin in praktisch allen Teilen der Welt Genos senschaftsbanken. Ihre Ausgestaltung und das Zusammenwirken in einem Ver bund haben sich sehr vielfältig entwickelt und immer wieder verändert, weil sie von den Verantwortlichen situationsbezogen an die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst wurden.
Der ÖGV-Vorstand wurde über den Großteil dieser Zeit, insbesondere auch in den für die Volksbanken schwierigen acht Jahren von 2008 bis 2015, durch Verbandsanwalt Hans Hofinger geführt. Nach dem Antritt des wohlverdienten Ruhestands der bei den Prüfungschefs Oskar Wladarsch und Walter Brandner bildeten mit ihm Bernd Spohn und Margareta Steffel für die Prü fung Kredit und Ware sowie Rainer Borns für den Markt und die Solidaritätseinrich tungen den Vorstand des ÖGV. In der Folge wechselte Borns 2012 in den Vorstand der ÖVAG, trat Hofinger 2015 in den Ruhestand, schied Spohn wenig später aus dem Vor stand des ÖGV aus. Christian Pomper war bis 2016 Nachfolger von Hofinger. Nachdem Heribert Donnerbauer, Wolfgang Schmidt und Walter Reiffenstuhl 2016/17 interimis tisch den ÖGV führten, bilden seit 2018 Pe ter Haubner und Robert Makowitz das Vor standsteam, welches 2020 um Franz Groß für die Ware-Revision erweitert wurde. Die Geschichte des ÖGV und seiner Mit glieder und damit der Kreditgenossen schaften nach dem System SchulzeDelitzsch – heute nur noch als Volksban ken bzw. Österreichische Ärzte- und Apo thekerbank firmierend – war in den letzten 25 Jahren geprägt durch markante Ver änderungen. Diese lassen sich in drei Pe rioden einteilen: zehn Jahre faszinierender Aufschwung und Entwicklung auf allen
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Seit der 125-Jahr-Feier 1997 hat sich der Volksbanken-Verbund sowohl strukturell und organisatorisch als auch inhaltlich stark verändert – und mit ihm auch der Aufga ben- und Tätigkeitsbereich des ÖGV. Diese Wandlungsfähigkeit zeichnet die Genossen schaftsidee seit über 170 Jahren aus. So haben auch die Gründerväter von Anfang an die Idee der Kreditgenossenschaft ent wickelt und vorangetrieben. Im Mittelpunkt stand die Versorgung der Regionen – und dabei vor allem der Landwirtschaft sowie der kleinen Handwerks- und Gewerbe betriebe – mit Bankdienstleistungen. Um diesen Plan umzusetzen, wurde die Rechts form der Genossenschaft geschaffen, die von den Prinzipien Selbsthilfe, Selbstver waltung und Selbstverantwortung geleitet war. Darauf aufbauend entstanden in der Folge in vielen Orten und Regionen selbst ständige Kreditgenossenschaften. Deren Kunden mussten wegen des statutarischen Förderauftrags, der Leistungen der Ge nossenschaft auf Mitglieder beschränkte, auch Genossenschafter werden und waren deshalb stimmberechtigt in der Generalver sammlung, wobei jedes Mitglied – unab hängig vom gezeichneten Kapital – nur über eine Stimme verfügte (Kopfstimmrecht). Die Steuerung und Kontrolle wurde von ehrba ren Mitgliedern (Selbstorganschaft) im Vor stand und im Aufsichtsrat wahrgenommen.
VON 1997 BIS HEUTE
DER ÖGV NACH DEM 125-JAHRJUBILÄUM 1997 Seit nunmehr 150 Jahren erbringt der ÖGV beständig seine Leistungen für die Mitglie der und hat damit einen wichtigen Beitrag geleistet, dass diese über all die Jahre er folgreich wirtschaften konnten, dies gilt be sonderes auch für die bewegte Ära ab 1997.
Gerade die Veränderungen aufgrund der Finanzkrise 2008 und der darauffolgenden einschneidenden regulatorischen Neue rungen für alle Kreditinstitute – somit auch für Genossenschaftsbanken – haben das Prinzip der Selbsthilfe gefordert, um zeit lich befristete Staatsunterstützungen wie der abzubauen und um die Unabhängig keit zu bewahren, nämlich Unabhängigkeit von externen, wesensfremden Einflüssen.
Da die Mitglieder nur sehr geringe Beträge als Mitgliedsbeitrag einsetzten, stand die Förderleistung im Vordergrund und nicht die Verzinsung des eingesetzten Kapitals in Form einer Dividende.
DIE LÖSUNGSKOMPETENZ DES ÖGV STÄRKT DIE MITGLIEDER
Ebenen (Details im Kapitel Expansion), etwas mehr als sieben biblisch schwere Jahre (Kapitel Rezession) und seit 2015 der neue Aufschwung und die neue Identitäts findung sowohl bei den Banken als auch im Ö GV durch harte gemeinsame Einschnit te, aber damit auch Fortschritte (Kapitel Transformation). Drei Perioden, die unter schiedlicher nicht sein könnten.
Diese 25 Jahre im Schnelldurchlauf spie geln die genossenschaftliche Identität, ab er auch die Anpassungsfähigkeit, auf Neudeutsch die Governance des Verbun des, wider. Lösungen zu finden, war zu den Zeitpunkten, an denen sie gefunden wer den mussten, nie einfach. Immer wurde hart darum gerungen. So ist auch die Ver bandsgründung 1872 erst nach mehreren A nläufen gelungen, konnten Weltkriege überdauert, regionale Liquiditätsunter schiede durch die Gründung von Zentral instituten ausgeglichen werden. Gerade in schwierigen Zeiten übertrugen sich wirtschaftliche Probleme der Kunden auch auf die Kreditgenossenschaften. Um Schaden von Kunden abzuwenden, grün deten die Genossenschaften sektoreigene Sicherungseinrichtungen wie einen Ge meinschaftsfonds als Sondervermögen des ÖGV, in den alle Mitglieder in guten Zeiten einzahlten, um dann in Schwierig keiten geratenen Mitgliedsgenossen schaften gezielt helfen zu können. Ein an sich nicht selbstverständlicher Zugang für Unternehmen, die im Wettbewerb zu einander waren. Die gemeinsame Marke, der genossenschaftliche Förderauftrag und die genossenschaftlichen Prinzipien standen aber zu jeder Zeit eine Stufe darü ber. Solche Schritte trugen in der Regel zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bei und halfen auch den Mitgliedern und Kunden. So wurde zwar das Verhältnis der Genossenschaftsbanken zueinander neu geregelt und definiert sowie der Einfluss von einzelnen Vertretern der Genossen schaften verändert, aber niemals die ge nossenschaftliche Idee oder Identität be schnitten. Der Entschluss, auch Geschäfte mit Nichtmitgliedern machen zu können, stärkte die wirtschaftliche Basis genauso wie die gemeinsamen Zentralinstitute. Mit dieser Entwicklung einher ging seit je her die Diskussion über Einflussrechte der Verbundeinrichtungen, namentlich des ÖGV und der ÖVAG. Wirtschaftlich starke Banken versuchten, sich mehr Einfluss zu sichern, die wirtschaftlich schwächeren versuchten, ihren regionalen Handlungs spielraum zu erhalten und gegebenenfalls durch Gelder des Gemeinschaftsfonds abzusichern. Alle Mitglieder verband aber dabei das Verständnis, Teil der „VolksbankFamilie“ zu sein. Von großer Relevanz für die wirtschaftliche Entwicklung der Kreditgenossenschaften war die Zusammenarbeit der Verbundein richtungen. Dabei kam dem Verhältnis zwi schen dem ÖGV und der ÖVAG aufgrund der Bedeutung der übernommenen Auf gaben ein besonderes Gewicht zu. Wenn Volksbanken sich in geschäftlichen Berei chen wie der Liquidität, dem Zahlungsver
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Diese Entwicklung hätte wohl bei der 125-Jahr-Feier kaum jemand vorhergesagt. Ganz im Gegenteil: Das Jubiläumsfest war von Optimismus, dem Aufbruch in den Os ten und der Entwicklung der Volksbanken nach den Schwierigkeiten der 80er-Jahre geprägt. Die Volksbanken in Österreich hatten im Großen und Ganzen eine stabile Basis und stabile Erträge, es gab seit der Volksbank Burgenland Mitte bis ins Jahr 2012 keine Austritte.
Verbandsanwalt Peter Haubner bei der Eröffnung des Verbands tags 2018 VON 1997 BIS HEUTE
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VON 1997 BIS HEUTE
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 51 kehr, der Wertpapierabwicklung oder auch der Wertpapierberatung von ihrem Spit zeninstitut ungerecht behandelt fühlten, k am dem ÖGV oftmals die Rolle des Me diators zu. Wenn sich Volksbanken durch die Konzentration der ÖVAG auf den Osten insbesondere in ihren finanziellen Belan gen von ihr vernachlässigt vorkamen, galt e s für den ÖGV immer wieder, auf den Aus gleich zu drängen. In dieser Phase lag der Fokus der Volksban ken als Aktionäre der ÖVAG insbesondere auf der Lenkung der Erträge zu den lokalen Volksbanken. Umso größer und erfolgrei cher die ÖVAG in Zentral- und Osteuropa wurde, desto mehr stand die Verteilung dieser Erträge im Mittelpunkt der Diskus sionen. Die ÖVAG wollte und musste diese aufgrund begrenzter Eigenmittel im Wege der Innenfinanzierung für die Grundlage weiteren Wachstums in den Banken be lassen, während die lokalen Volksbanken als Eigentümer auf entsprechende Divi denden drängten, um ihre eigene, im inten siven Wettbewerb unter Druck geratene Ertragslage zu stärken. Umso willkomme ner wurden Dividendenversprechen und tatsächliche Dividendenausschüttungen bis 2008 in den lokalen Volksbanken auf Dgenommen.erÖGVwar es aber auch, der beim Her einbrechen der Finanzkrise sofort bei der Unterstützung der ÖVAG und beim Finden von Lösungen Gewehr bei Fuß stand. Sei es bei den Beratungen mit der Finanz prokuratur, bei der Ausarbeitung und Um setzung des Konzepts der Übernahme der inländischen Retailbanken durch die Volksbanken, bei den Verhandlungen mit der Republik über eine Beteiligung an der ÖVAG sowie dem Finanzministerium über den § 30a BWG zur Bildung eines Kredit institute-Verbundes, aber auch bei den damit zusammenhängenden Verträgen zur Abschichtung des PS-Kapitals, bei der Unterstützung der Spaltung der ÖVAG und der Neuaufstellung der Volksbanken-Pri märstufe mit der Volksbank Wien als Zentralorganisation – der ÖGV hat immer seine Kernkompetenz der Interessenvertretung für die Volksbanken in die Waagschale ge worfen und so die Mitglieder und Kunden der Volksbanken nachhaltig gesichert.
DIE „VOLKSBANK-FAMILIE“ – EIN STRATEGISCHES HERZENSANLIEGEN DES ÖGV
„Mehrere kleine Kräfte vereint bilden eine große.“ Dieser schlichte Satz über eine ein fache Weisheit wird nicht nur als Anfang der Genossenschaftsbewegung von Hermann Schulze-Delitzsch, sondern in der Regel vor nehmlich auch unter wirtschaftlichen Ge sichtspunkten gelesen: Eine Gemeinschaft von Unternehmern kauft günstiger ein, ver kauft größere Mengen, produziert günstiger und hat viele weitere Vorteile. Der Satz gilt aber auch für die Bedeutung des Zusam menhalts der Mitarbeiter in einem Unter nehmen. Richtig handeln Mitarbeiter, wenn sie alle Regeln und Vorschriften einhalten. Erfolgreich wird ein Unternehmen aber nur, wenn ein Unternehmensklima herrscht, in dem sich Mitarbeiter ergänzen und – weil sie sich persönlich kennen und schätzen – freiwillig mehr leisten als unbedingt er forderlich. Dem ÖGV war es schon immer ein Herzensanliegen, dass diese Mentali tät nicht nur in den einzelnen Volksbanken, sondern auch zwischen den Mitgliedern, also im gesamten Verbund, herrschte. Er setzte dazu eine Vielzahl an Initiativen und förderte den persönlichen Kontakt und Er fahrungsaustausch auf allen Ebenen. Der Verbandstag hatte daher neben dem in haltlichen Rückblick stets auch einen ge mütlichen Gedankenaustausch zum Ziel. Die Geschäftsleiter kamen aber auch zu den Sprechtagen, dem Genossenschafts tag, den VerbundweitznisEtionaledgenchenEtentionsausschussesdesderÖVAG,CanstaltungenGeschäftsleiter-FortbildungsverderAkademie,derReisedeslubsderGeschäftsleiter,zuSitzungenderderSolidaritätseinrichtungensowieVolksbankenHoldingoderimRahmenVolksbank-Marketing-bzw.Organisazusammenundtauschpersönlichewieauchbankfachlicherfahrungenaus.BeialldenunterschiedliAnsichtenzueinzelnenEntscheiduninnerhalbdesVerbundesentstandaufieseArteinehohepersönlicheundemoBindungderGeschäftsleiter.inbesonderespersönlichesNaheverhältwurdenichtnuraufManagementebenewischendenGeschäftsleiterngepflogen.ausgetrageneSportveran
Dieses Gefühl brachte eine hohe Mit arbeiterbindung und somit Stabilität in die Banken, ein Wert, der gerade nach der Fi nanzkrise und in der Zeit der Unsicherheit über die ÖVAG und der damit verbundenen negativen medialen Berichterstattung be sonders wichtig wurde. In den Jahren der Umstrukturierung verschoben sich die Pri oritäten auf allen Ebenen: Nach und nach fielen viele dieser Zusammentreffen weg, wurden eingespart oder gingen die Haupt proponenten in Pension bzw. verließen die Unternehmen. Über die Zeit war daher lei der eine gewisse Lockerung der emotiona len Bindung auf allen Ebenen und damit ein Rückgang dieses strategischen Vorteils zu Umsobeobachten.wertvoller sind heute wieder gemein same Anstrengungen des ÖGV, der Volks bank Wien als Zentralorganisation, der re gionalen Volksbanken sowie der Volksbank Akademie, diesen Geist wiederzubeleben. Teilweise unter Ausnutzung der digitalen Möglichkeiten konnten so etwa auch über die Zeiten der Pandemie hinweg gemeinsame Managementkonferenzen abgehalten wer den. Bereits vor Corona wurden auch die Skimeisterschaften als Volksbank-Winterspiele wieder aufgenommen. Und auch der Aus tausch der Funktionäre – etwa bei Veranstal tungen zu Fit & Proper – wird wieder forciert.
Im Zuge der Umstellung der ÖVAG auf Ab wicklung wurde ein umfangreiches Struktur konzept umgesetzt, mit dem die bis dahin 46 selbstständigen Volksbanken beschlossen hatten, sich in acht Bundesländer-Volks banken und zwei Spezialbanken (Österrei chische Ärzte- und Apothekerbank, Sparda Bank Austria – Letztere ist mittlerweile in die Volksbank Wien verschmolzen) zu organi sieren. Gesellschaftsrechtlich wurde dies in z wei Bundesländern in Form der Verschmel zung der Genossenschaftsbanken (Salzburg, Kärnten) abgewickelt, in den Bundesländern Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark und Tirol wurde die Einbringung der Bankbetriebe in eine (neugegründete) AG gemäß § 92 BWG gewählt. In Vorarlberg bestand zu diesem Zeitpunkt bereits nur Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls: die SkimeisterschaftenVolksbank-2001imAusseerland
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV52 staltungen wie Tennis-, Golf- und Skimeis terschaften, das Ausbildungsprogramm der Volksbank Akademie sowie Erfah rungsaustauschrunden zu Rechts-, Cont rolling-, Bilanzfach-, Innenrevisions- sowie Marketing- und Organisationsfragen ver netzten die Mitarbeiter der Volksbanken, förderten das Zusammengehörigkeitsge fühl und schufen damit die Grundlage für einen vertrauensvollen persönlichen Ge danken- und Erfahrungsaustausch in allen B ank- und Verbundfragen. So entstand zwischen den Volksbanken ein unsichtba res Management-Netzwerk.
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Da eine der wichtigsten Aufgaben des ÖGV die Förderung und Bewahrung der Genos senschaftsidee ist, lohnt es sich, die Frage zu stellen, ob diese durch die große Um strukturierung seit 2015 verloren gegangen ist. Die Satzung des ÖGV kannte bereits vor der Strukturänderung des Verbundes Mitglieder der Gruppe Volksbank sowohl in der Rechtsform der Genossenschaft als auch der Aktiengesellschaft, wenn die se aus einer (oder mehreren) Genossen schaftsbanken entstanden ist. Die Wahl der Rechtsform an sich stellte daher die genos senschaftliche Identität und den Auftrag des ÖGV nicht in Frage, daran hat auch die Neuaufstellung der Volksbanken nichts ge ändert. Die genossenschaftliche Identität der Volksbanken ist durch die Strukturände rung nicht verloren gegangen.
MITGLIEDER DES ÖGV UND GENOSSENSCHAFTLICHE IDENTITÄT
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 53 noch eine Volksbank (die Verschmelzungen in diesem Bundesland erfolgten schon in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahr hunderts). Viel diskutiert wurde bei der Wahl der Rechtsform der Bank-Aktiengesellschaft über die Bewahrung der genossenschaftli chen Identität. Während durch die Beibehal tung der Rechtsform der Genossenschaft aufgrund von Verschmelzungen diese Frage auf den ersten Blick geklärt schien, könnte man bei der Einbringung der Bankbetriebe in eine Aktiengesellschaft diese Identität als gefährdet ansehen.
Bei einer Verschmelzung hätten diese Um stände nicht berücksichtigt werden können, weil die Mitglieder ab der Verschmelzung alle denselben Anteil an den Rücklagen ge halten hätten, egal von welcher Bank diese bis dahin aufgebaut worden waren. Die Mit glieder, die mit ihrer Bank mehr Rücklagen eingebracht hätten, wären also verwässert worden. Ein solcher Effekt ist im Genos senschaftswesen grundsätzlich nicht un gewöhnlich, er könnte zum Beispiel auch eintreten, wenn es zu einer massiven Neu aufnahme von Mitgliedern käme.
Dazu muss man etwas tiefer schürfen: Die Gründe für die Vorgehensweise nach § 92 BWG waren, dass die Genossenschafts banken unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen genommen hatten, also un terschiedlich ertragreich gewesen waren bzw. die Eigenkapitalausstattung zum Teil sehr deutlich voneinander abgewichen war.
Die wahre genossenschaftliche Identi tät besteht eben nun mal darin, dass die Eigentümer die Mitglieder aus der Region sind und dadurch keine fremden Interes sen und auch keine ausschließlich renditeorientierten Interessen die Geschicke der B ank beeinflussen. Dies ist bei der BankAG ebenfalls gewährleistet, bilden ja die Beteiligungsgenossenschaften den ge nossenschaftlichen Interessenkreis um die Bank-AG. Solange die Genossenschaf ten die Aktien halten, bleibt die genossen schaftliche Identität also gewahrt.
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Bei der Variante „Aktiengesellschaft“ wurde dem Umstand unterschiedlicher Rücklagen oder Ertragslagen durch Bewertungsgut achten bei der Ausgabe von neuen Aktien in Form der Kapitalerhöhung durch Sach einlagen entsprechend berücksichtigt. Die zurückbleibende Beteiligungsgenossen schaft erhielt also genau so viele Aktien, wie sie dem Wert ihres eingebrachten Bankbe triebs entsprachen. Für die Mitglieder der einbringenden Genossenschaften hatte sich also durch diesen Vorgang wertmäßig keine Änderung ergeben. Aber der Wert ist eben nicht alles. Aber auch die Frage, ob dadurch die ge nossenschaftliche Identität verloren ge gangen ist, kann eindeutig mit einem Nein beantwortet werden: Rein rechtlich lässt sich diese Identität nicht mehr festmachen, nachdem auch das Genossenschafts gesetz im Laufe der Zeit immer mehr den aktienrechtlichen Vorschriften angeglichen wurde. Das größte Unterscheidungsmerk mal, der satzungsmäßige Förderauftrag, wurde auch in den Satzungen der BankAktiengesellschaften übernommen. Die Beteiligungsgenossenschaften blieben als Eigentümer in den Gremien der Bank-AG vertreten und somit in der Steuerung des Bankbetriebs. Dadurch konnten sie auch genauso auf die Umsetzung des Förder auftrags drängen, wie es den Funktionären einer Genossenschaftsbank möglich ist.
DER ÖGV ALS EXPERTE IM GENOSSEN SCHAFTSRECHT Diese Periode kann auch als ein Praxisse minar in Genossenschaftsrecht verstanden werden. Der ÖGV mit seinen Mitarbeitern war in jeder Phase ein gesuchter Berater und Experte in vielen Spezialfragen, die im Laufe der Zeit durch die Volksbanken zu beantwor ten waren und den ÖGV auf den Prüfstand stellten. Dabei wurden zunächst die handeln den Personen selbst gefordert, für die es galt, im Sinne der Business Judgement Rule den für die Genossenschaft und ihre Mitglieder besten Weg vorzuschlagen. In weiterer Fol ge wurde die Funktionsfähigkeit der Gremien (Governance) auf die Probe gestellt, wenn weitreichende und komplexe Entscheidun gen erforderlich waren und die Funktionäre wie auch die Mitglieder in den Generalver sammlungen von den erforderlichen Be schlüssen überzeugt werden mussten. Vor allem die finanziellen Nachwirkungen der ÖVAG-Abschreibung auf die Banken und die nachfolgenden Verschmelzun
DIE NEUE STRUKTUR ÄNDERT AUCH DEN AUFGABENBEREICH DES ÖGV
Er gab dem ÖGV zudem ein klares Dreijah resziel, das mit der heurigen 150-Jahr-Feier
Jede Strukturänderung des VolksbankenVerbundes hatte durch die enge Verbindung auch unmittelbare Auswirkungen auf den Aufgabenbereich des ÖGV. Der Verband hatte sein Betätigungsfeld in der Phase des Aufschwungs mit der Begleitung der Markt offensive deutlich erweitert und die Mit glieder der Gruppe Kredit auf den Kapital markt und zu den Ratingagenturen geführt.
Ein weiteres Fragenfeld betraf die Ver schmelzung von Genossenschaften: Ihre wirtschaftliche Entwicklung verlief über die Jahrzehnte nicht gleichförmig, weshalb eini ge im Kapital einen hohen Anteil an Rücklagen auswiesen, während andere (mitunter auch durch die Verluste wegen der Ab wertung der ÖVAG-Beteiligung) praktisch nur noch das Geschäftsanteilsnominale als Kapital ausweisen konnten. Bei der Verschmelzung kam es nun, wie oben beschrie ben zu einer gleichförmigen Beteiligung al ler Genossenschafter an den Rücklagen, die nur eine Genossenschaft mitbrachte.
Ein internationales Rating wie jenes für die Volksbanken und die ÖVAG war in dieser Konstellation und mit dem gegebenen Kohä sionsgrad bis dahin keiner genossenschaft lichen Gruppe in Europa gelungen.
Ein Teil der Genossenschafter erlitt da durch eine Verwässerung des Anteils, was so im Genossenschaftsrecht aufgrund des Prinzips des offenen Mitgliederkreises durchaus vorgesehen ist. Es handelt sich dabei also um einen genossenschafts rechtlich vorgesehenen Effekt, weil auch jede Neuaufnahme von Mitgliedern zu einer Verwässerung der bestehenden Ge nossenschafter führt und im Fall des Aus scheidens das Mitglied ohnehin nur das Nominale und keinen Anteil an den Rück lagen ausbezahlt bekommt. Um solche auf den ersten Blick ungerecht erscheinenden Lösungen zu vermeiden, wählten die meis ten Banken bei der Verschmelzung den Weg über die Einbringung ihres Bankbe triebs nach § 92 BWG in eine gemeinsame Aktiengesellschaft.Schließlichhatder Verbund auch die Spal tung von Genossenschaften durchexer ziert, um Verschmelzungen, die im Rahmen der Umstrukturierung durchgeführt wor den waren, wieder in homogene Interes sengruppen aufzulösen.
Seiner Hauptfunktion, nämlich den Zu sammenhalt der Mitglieder durch persön liche Gespräche zu fördern und – wenn er forderlich – einen Interessenausgleich zu schaffen, wurde der ÖGV über die gesamte Zeit hinweg gerecht. Die Periode zwischen 2008 und 2015 war dabei besonders her ausfordernd. Vor allem als 2012 eine ganze Reihe von Aufgaben im Rahmen der Bil dung des Kreditinstitute-Verbundes vom ÖGV an die ÖVAG übergingen, stand eine interne Neuorientierung und Neufokussie rung an. Diese wurde von den Mitgliedern zu diesem Zeitpunkt nicht so richtig wahr genommen, zumal die Staatsschuldenkrise und die Verwerfungen an den Kapitalmärk ten den Volksbanken-Verbund weiterhin fi nanziell forderten und daher die ganze Kon zentration der Bewältigung dieser externen Herausforderungen galt.
Mit der 2015 gefundenen Lösung der Fu sion der Volksbanken auf im wesentlichen Bundesländer-Volksbanken und der Über nahme der Zentralorganisationsfunktionen durch die Volksbank Wien stand nunmehr die Neuausrichtung des ÖGV an. Aufgrund der Verringerung der Anzahl der Mitglieder der Gruppe Kredit galt es, sowohl in der Re vision als auch bei den anderen Dienstleis tungen die zukünftige Aufstellung zu über prüfen. Dies führte auch zu Unsicherheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ÖGV. Verbandsanwalt Peter Haubner gelang es aber, die Lage zu stabilisieren.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV54 gen haben den genossenschaftlichen Ge schäftsanteil getestet. In Einzelfällen, wenn die Rücklagen für die Risikoabsorption ver braucht waren, kam es zu einem Kapital schnitt, eine Rückzahlung des Nominalbe trags war nicht mehr möglich. Dies führte in der Folge auch vor Augen, ob es sich bei den Mitgliedern tatsächlich um Genossenschaf ter, bei denen der Förderauftrag im Mittel punkt stand, oder um Investoren handelte, denen eine entsprechende Rendite und vor allem die vollständige Rückzahlung des ein gesetzten Nominalbetrags wichtig war.
Die internationale Vernetzung, die Übertra gung und somit gemeinsame Erbringung von Aufgaben wie Liquiditätssicherung, Zahlungsverkehr oder Depotbankfunktio nen wurden im Laufe der Geschichte der europäischen Genossenschaftsbanken existenziell für deren Wettbewerbsfähigkeit.
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Der wirtschaftliche Erfolg der Kreditgenos senschaften wurde immer mehr durch das Zentralinstitut auf geschäftlichem Wege beeinflussbar. Die einzelnen Genossen schaftsbanken versuchten, umso herausfor dernder ihre eigene Ertragslage wurde – sei es wegen Kreditausfällen, gegebener Struk
Der ÖGV nahm dabei oft eine Schiedsrich terrolle ein, um individuelle oder partielle Interessen zu verteidigen. Daher wurden die Zentralinstitute frühzeitig mit einem Er gebnisanspruch konfrontiert, dem an sich im genossenschaftlichen Bereich aufgrund des Förderauftrags der Banken eine gerin gere Bedeutung zugemessen wurde.
Auch die Geschichte der letzten 25 Jahre des Volksbanken-Verbundes spiegelt diese Zielkonflikte, die einer Genossenschafts gruppe immanent sind, gerade in den ers ten zwei Phasen wider. In diesen bis 2015 andauernden Perioden hatte der ÖGV in zunehmendem Ausmaß die Mediatorenrol le zwischen Zentralinstitut und Primärstufe wahrzunehmen. Erst seit der Neuaufstel lung 2015 hat sich die Konkurrenzsituation z wischen Zentral- und Primärinstituten ent spannt, weil die Volksbank Wien stärker eine „Primus inter pares“-Rolle einnahm. Dadurch konnte sich auch der ÖGV wieder stärker auf die Vertretung der gesamten Gruppe nach außen konzentrieren. Das 2010 eröffnete ÖVAG-Hauptquartier in der Wiener Kolingasse
Die Lokalbanken erwarteten vom Manage ment der Zentralinstitute Dividenden, da sie ihnen Kapital anvertraut hatten. Anderer seits waren dieselben Banken auch Kunden der Zentralinstitute und erwarteten für die zur Verfügung gestellte oder aufgenomme ne Liquidität günstige Preise. Wenn auch eine wirtschaftlich vernünftige Lösung für die Gesamtheit der Kreditgenossenschaf ten klare Vorteile brachte, bedeutete dies nicht, dass deswegen eine einheitliche Sicht auf diese Leistungserbringung bestand.
turen oder eines geringeren Zinsniveaus in ihrem Marktgebiet –, niedrigere Preise und höhere Ausschüttungen vom Zentralinsti tut zu bekommen. Besondere Regeln, die diesem Interessenkonflikt Augenmerk ge schenkt hätten, bestanden vielfach nicht.
DIE STELLUNG DES ZENTRALINSTITUTS UND JENE DES ÖGV
Ein eigenes Marktgebiet im Inland für die Zentralinstitute entstand über das Konsorti algeschäft: Kredite an große Unternehmen durch die lokalen Genossenschaftsbanken überschritten aufgrund deren geringer Größe schnell die sehr niedrige Obergren ze für Großveranlagungen, weshalb Syndi zierungen mit dem Zentralinstitut gesucht wurden, bei dem auch Spezial-Know-how für diese Geschäfte mit großen Unterneh men vorhanden war. Das Retailgeschäft fiel den Zentralinstituten nur in Ausnah mefällen zu, etwa wenn der Ausfall einer lokalen Bank die Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft der Sicherungsein richtung überstieg und deshalb das Zent ralinstitut diese Bank übernahm. Die Rolle als lokaler Wettbewerber der angrenzen den Lokalbanken machte in diesen Fäl len das Verhältnis noch komplexer. Eine Wachstumsstrategie des Zentralinstituts stand daher in stetigem Konfliktpotenzial zu den regionalen Banken.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 55 unter dem Motto „Mit Vertrauen Zukunft bauen“ erfolgreich erreicht wurde.
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Der ÖGV widmete aber auch der in der Bankbetriebswirtschaftslehre bekannten Gefahr der Illiquidität von Banken immer großes Augenmerk. Eine ausgewogene Loan-to-Deposit-Ratio und damit ein Fo kus auf die stabile Entwicklung der Ein lagen von Kunden parallel zum Kredit wachstum in allen Regionen Österreichs w urde daher in allen Prüfberichten ange Iführt.nden Jahren vor 2008 schien dieses Prinzip angesichts der weltweit schier unbegrenzt zur Verfügung stehenden Liquidität endgültig überwunden. Regu latorische Vorschriften wie Mindestre serve und sektorale Liquiditätsreserven w urden immer stärker in Frage gestellt. In den besten Zeiten konnte sogar die Kommunalkredit (aus Sicht eines globalen Kapitalmarktes nicht mehr als ein kleiner kommunaler Gemeindefinanzierer in Ös terreich) eine Anleihe zu negativen EuriborKonditionen platzieren. Unvorstellbar w ar, dass nur kurze Zeit später gerade die Kommunalkredit aufgrund lichtRefinanzierungsmöglichkeitenmangelnderverstaatwerdenmusste.
FÖRDERUNG DER KOOPERATION UNTER MITGLIEDERN
Aber nicht nur die Innenfinanzierung stand im Fokus: Der ÖGV forcierte und begutachtete die Emission von Partizi pationskapital und sogenannter ergän zender Eigenmittel wie Ergänzungs- und Nachrangkapital. Nach dem Erwerb der Investkredit war aus Sicht des ÖGV eine Kapitalzufuhr von außen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit erforderlich. Er entwi ckelte daher eine neuartige Beteiligungs möglichkeit für Kunden der Volksbanken am Verbund in Form des Erfolgsanteils der Volksbank Quadrat Bank AG. Die Verwer fungen aufgrund der Finanzkrise, insbe sondere die Zins- und Spreadentwicklung s owie die Änderung der regulatorischen Rahmenbedingungen für solche Instru mente, hatten aber Folgen für die Grund lagen dieses Emissionsvehikels. In den let zten Jahren erfolgte daher der Rückkauf der Instrumente von den Kunden, um die Abwicklung der Gesellschaft durchführen zu Derkönnen.nachhaltigen Sicherung der Kapitali sierung der Banken dienten aber auch die Solidaritätseinrichtungen, die der ÖGV un terhielt. Die jährlichen aufwandswirksamen Z ahlungen an den Gemeinschaftsfonds schufen einen Polster, der Banken unter stützen konnte, wenn es zu Ausfällen kam.
Die Gründung von Genossenschaften basiert auf der Idee, dass selbstständige Unternehmen bestimmte Aufgaben an eine gemeinsame Einrichtung, die Ge nossenschaft, übertragen und von dieser erbringen lassen. Die dadurch erzielten Kosten- und – aufgrund der Spezialisie Werbung für Covered-BondEmission der Kommunalkredit
Nicht erst in den letzten 25 Jahren war der ÖGV Verfechter einer ausreichenden Ka pitalisierung als Garant des dauerhaften B estandes der Volksbanken. Der genos senschaftliche Geschäftsanteil ist aber trotz der grundsätzlich positiven Einstel lung Schulze- Delitzschs zu einer Dividen denzahlung aufgrund der breiten Mitglie derbasis und der Kündigungsmöglichkeit nicht für Kapitalerhöhungen größeren Ausmaßes geeignet. Daher wurde schon als Folge der Krise der 80er-Jahre und da mit lange vor den ersten aufsichtsrecht lichen Mindestvorgaben vom ÖGV die Z ielgröße für das Betriebsergebnis in der Höhe von einem Prozent der Bilanzsumme definiert. Damit sollten dann Risikovorsor gen zwischen 0,3 und 0,5 Prozent gebildet und nach Steuern und Dividenden (0,2 Prozent) noch 0,3 bis 0,5 Prozent der Bi lanzsumme für den Kapitalaufbau durch Innenfinanzierung verwendet werden. Bis zur ÖVAG-Krise wurde dieser Wert von der Primärstufe im Schnitt stets erreicht.
A lle diese Initiativen und die Herausfor derungen der letzten 25 Jahre zeigen, wie w ichtig ein derart sorgsamer Umgang des ÖGV mit Kapital der Kreditgenossenschaf ten für die Bewältigung der Finanz- und ÖVAG-Krise war. Da das Aufsichtsrecht in den vergangenen zehn Jahren sowohl die Art als auch die Höhe der erforderlichen Eigenmittel substanziell verschärfte, hat dieser Gedanke im Laufe der Zeit noch weiter an Bedeutung gewonnen.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV56 DER ÖGV ALS TREIBER FÜR KAPITALUND LIQUIDITÄTSAUSSTATTUNG
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 57 rung – Know-how-Vorteile kommen dann allen Mitgliedern zugute (Förderauftrag der Genossenschaft). Dasselbe Prinzip gilt aber auch für die Genossenschaften selbst. Was sie allein nicht (mehr) wett bewerbsfähig erbringen können, lagern sie an die gemeinsam gegründeten Spit zeninstitute bzw. in der Folge an weitere Gemeinschaftsunternehmen oder an den ÖGV Solcheaus.Schritte können als Fortsetzung des genossenschaftlichen Gedankens auf zweiter Ebene verstanden werden. Wenn auch manche Mitglieder mit diesen in der modernen Betriebswirtschaft auch als Outsourcing oder Co-Sourcing bezeichne ten Schritten die Aufgabe der Selbststän digkeit verbanden, führten sie insgesamt zu einer Steigerung der Wettbewerbsfä higkeit. Der Grundstein für die Verbund bildung als Alternative zur Konzernierung war gelegt.
WANDELNDE BEZEICHNUNGEN ALS ZEICHEN DER ZEIT Gruppe Kredit, Volksbanken-Verbund, Pri märstufe, Volksbanken-Sektor, ÖVAG-Kon zern, Volksbank-Gruppe, KreditinstituteVerbund: Die Zunahme an Unternehmen innerhalb des Unennung2geVolksbanksgenossenschaftGewerbebankutemKreditgenossenschaftennachdemderMitglieder,AufbauorganisationLdegespannebankenstärkungMitgliederkreiseskreditgenossenschaftlichendesÖGVunddieVerderZusammenarbeitderVolksgeradeindieser25-jährigenZeitbrachtenesmitsich,dassdiedafürfundenenBezeichnungenjenachPerioeinerWandlungunterlagen.angekonstantwarderBegriffderinternendesÖGV,inderalledieeinBankgeschäftbetrieben,GruppeKreditzugeordnetwurden.ErstalternativeBezeichnungenfürnachdemSysSchulze-DelitzschwieetwaGewerbe-ndHandelsbank(GEHA),Handels-und(HAGE-Bank),HauskreditoderSpardaBankimmereltenerwurdenundimmeröfterdieMarkeverwendetwurde,kamesinfoldesstärkerenMarkenbewusstseinsab006zueinerDiskussionüberdieUmbeinGruppeVolksbank.mauchdenÖGVmitseinenSolidaritäts
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einrichtungen, dem Gemeinschaftsfonds, der Volksbanken Beteiligungs GmbH und der Volksbanken Haftungsgenossen schaft, und die Zusammenarbeit mit den Volksbanken, mit der ÖVAG, deren Toch terunternehmen, den Allfinanzdienstleis tern wie der ABV, der ImmoContract, der VB Victoria Versicherung oder dem Volks banken-Versicherungsdienst zu beschrei ben, wurde Ende der 90er-Jahre der klas sische Begriff des Volksbanken-Verbundes verwendet. Volksbanken-Sektor war hin gegen die Terminologie für die wirtschaft liche Betrachtung der Volksbanken, deren Gemeinschaft gemeinhin als Primärstufe bezeichnet wurde, und des ÖVAG-EinzelDinstituts.erBegriff des Konzerns war dem ÖVAGKonzern vorbehalten, zunächst mit den Tochterunternehmen in Österreich (Linz, Klagenfurt, Wien, WIF Bank), in Mittel- und Osteuropa, der VB Leasing, der Hypo NÖ und ab 2005 auch mit der Investkredit, der Kommunalkredit und Europolis. Ab diesem Zeitpunkt und vor dem Hinter grund der immer wichtigeren Darstellung gegenüber Investoren am Kapitalmarkt und den Ratingagenturen wurde auch ein neuer Begriff für den ÖVAG-Konzern ge meinsam mit den Volksbanken gesucht. Nicht in Frage kam die Einbeziehung der Volksbanken in den Begriff des ÖVAG-Kon zerns, wie dies etwa bei der Erste-GroupKonsolidierung gemacht wurde. Daher wurde die Formulierung der VolksbankGruppe geboren, die ab diesem Zeitpunkt die Darstellung des Volksbanken-Sektors Mitverdrängte.derFinanzkrise trat eine Art Rück besinnung ein: Die Primärstufe wurde gemeinsam mit der ÖVAG und ihrer Spit zeninstitutsfunktion wieder als Volksban ken-Sektor in den Fokus gerückt. Die Beteiligung der Republik an der ÖVAG brachte schließlich die Neuorganisation des Verhältnisses der Volksbanken mit der ÖVAG unter der Bezeichnung Kreditinstitu te-Verbund mit sich, die nach der Spaltung der ÖVAG für die Gemeinschaft der Volks bank Wien als Zentralorganisation mit al len anderen Volksbanken und der Öster reichischen Ärzte- und Apothekerbank bis heute beibehalten wurde.
Wie der Volksbanken-Verbund sowohl national als auch international expandierte und die Bilanzsumme annähernd 100 Milliarden Euro erreichte, welche Rolle der ÖGV dabei spielte und was das für die Aufgaben des Verbandes bedeutete.
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1997 – 2007 Die Phase Expansionder von RAINER BORNS VON 1997 BIS HEUTE
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Der EZB-Leitzins wurde zur Ankurbelung der Wirtschaft als Reaktion auf die Ver werfungen ab 2001 in vier Schritten von 4,75 auf 3,25 Prozent gesenkt (–150 Basis punkte), 2002 nochmals um 50 Basispunk te und bis 2004 weiter auf nur noch zwei Prozent. Die Geldmarktzinsen erreichten 2003 ihre Tiefststände. Erst mit dem ein setzenden Wirtschaftswachstum kam es 2005 erstmals seit dem Jahr 2000 wieder zu einer Erhöhung des Leitzinses um 25 Basispunkte wegen Inflationsgefahr und hohem Ölpreis, nachdem die USA schon 2004 mit hohen Wachstumsraten die Kon junkturlokomotive waren und die Fed die Leitzinsen in fünf Schritten auf 2,25 Pro zent erhöhte. In den USA und in Europa s tiegen daraufhin die Geldmarktzinsen. Die Zinserhöhungen setzten sich weiter fort, die Fed erhöhte 2005 ihren Leitzins weiter auf 4,25 Prozent und 2006 noch mals auf 5,25 Prozent. 2006 reagierte die E ZB ebenfalls deutlich und hob die Zinsen um 1,25 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent an. In dieses Jahr fiel auch, dass Japan seine jahrelange Nullzinspolitik beendete und die Zinsen auf 0,25 Prozent anhob. Die langfristigen Renditen hielten nicht Schritt mit dem Anstieg der Geldmarkt sätze, sodass sich in den USA eine inverse Zinsstrukturkurve ergab und die Euro-Kurve extrem flach wurde. Klassische Strukturbei träge waren den Banken daher 2006 nicht
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV60 DIE WIRTSCHAFTLICHEN RAHMEN BEDINGUNGEN
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Banken, aber auch für die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften waren in der Zeit ab 1997 nicht so optimal, wie sie rückwirkend im Vergleich zur Phase der Finanzkrise aussehen. Sie waren durch aus herausfordernd und von einer Reihe k leinerer Krisen massiv beeinflusst. Die Ausgangslage: Nach dem EU-Beitritt 1995 hatte Österreich 1997 eine reale Wachs tumsrate des BIP von 2,5 Prozent, die vor allem vom Warenexport getragen war. Dies bestätigte, dass Österreich von der Ostöffnung und dem EU-Beitritt profitier ten konnte. Die Inflation betrug nur 1,3 Pro zent, der niedrigste Wert der letzten zehn Jahre. Die Arbeitslosenquote war mit 4,4 Prozent die zweitniedrigste in der EU. Doch das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 und die Terroranschläge vom 11. September 2001 führten nicht nur die US-Wirtschaft in eine Rezession, sondern auch die Weltwirtschaft in eine labile kon junkturelle Situation und zu einer welt weiten Verschlechterung, bis schließlich A nfang 2003 der Irak-Krieg auch noch den Ölpreis in die Höhe trieb. Europa erlitt ebenfalls einen Wirtschaftsabschwung, und Japan konnte sich aus der Spirale der Deflation und Rezession nicht befreien. Das BIP-Wachstum sank in den darauf folgenden Jahren auf etwa ein Prozent ab und stieg erst 2004 und in den folgenden Jahren wieder auf über zwei Prozent. Die enge wirtschaftliche Verflechtung mit den CEE-Wachstumsmärkten, die von diesem Downturn nicht so betroffen waren und in denen das Kreditwachstum zum Teil deut lich über 30 Prozent betrug, spiegelte sich im ATX wider, der im Gegensatz zu vielen anderen Börsen 2001 sogar mit einem Plus von sechs Prozent schloss und in den Fol gejahren echte Kurs-Rallyes erlebte: 2003 +34,3 Prozent, 2004 sogar +57,4, 2005 +50,6 und 2006 noch immer +22 Prozent. Erst das Jahr 2008 beendete den CEE-Hö henflug und holte auch den ATX mit einem Kurssturz von 50 Prozent vom Himmel.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 61 mehr möglich. Rahmenbedingungen, die schließlich 2007 zur von den USA ausge henden Subprime-Krise führten – eine Ge fahr, vor der erstmals schon 2002 gewarnt wurde. Tatsächlich sind in der Folge viele Großbanken wegen der US-Immobilienkri se in erhebliche Turbulenzen geraten.
VOLKSBANKEN-PRIMÄRSTUFE NUTZT MARKTCHANCEN
Die Anzahl der Mitarbeiter spiegelt das Wachstum im Rahmen der Marktoffensi ve wider: Während 1997 4.181 Mitarbeiter ein addiertes Bilanzvolumen von 12,8 Mil liarden Euro und ein Geschäftsvolumen (Kredite und Einlagen) von 18 Milliarden erbrachten, erhöhte sich die Produktivität bis 2007 deutlich. 4.903 Mitarbeiter, also nur 17 Prozent oder 722 zusätzlich Be schäftigte, erzielten bereits eine fast dop pelt so hohe Bilanzsumme von 23,9 Milliar den Euro bzw. ein Geschäftsvolumen von 3 4,2 Milliarden. Das Kreditvolumen stieg im Durchschnitt in dieser Periode jähr lich um fast zehn Prozent und verdoppelte sich fast von 7,8 auf 15,1 Milliarden Euro. Bei den Primäreinlagen war eine ähnliche Dynamik zu beobachten, das Wachstum betrug in Summe 87 Prozent von 10,2 Mil liarden auf 19,1 Milliarden. Während sich die Bilanzsumme des öster reichischen Gesamtmarktes aufgrund der E xpansion in Zentral- und Osteuropa in dieser Zeit ebenfalls verdoppelte (von 436 auf 888 Milliarden Euro), zeigt die nähere Betrachtung einen Wandel des Bilanz bildes der österreichischen Banken: Der A nteil der Forderungen an inländische Kunden an der Bilanzsumme ging in dieser Periode von 44 auf 32 Prozent zurück, je ner der Gesamteinlagen von 36 auf 29 Pro
Der Volksbanken-Verbund nutzte diese Rahmenbedingungen für Wachstum im Inland und den Ausbau der Expansion in Mittel- und Osteuropa. 1997 war er bereits in sechs Staaten vertreten. Doch zunächst soll ein Blick auf die Entwicklung der Pri märbanken geworfen werden: Ausgehend von 63 Volksbanken und acht Hauskreditgenossenschaften reduzierte sich die Zahl bis 2007 durch fünf Fusionen (Herzogenburg-Loosdorf mit NÖ Mitte, Gu tenstein-Pernitz mit NÖ Süd, Traunsee mit Vöcklabruck-Gmunden, Vöcklamarkt mit Mondsee, Innsbruck mit Schwaz) auf 58 in klusive Spezialbanken (Gärtnerbank, Spar das, Bank für Wirtschaft und Freie Berufe sowie Apothekerbank). Fusionen zwischen den Mitgliedern fanden bis zum Zusam menbruch der ÖVAG nur vereinzelt statt. Sie waren entweder getrieben von der wirt schaftlichen Schwäche eines der Beteilig ten oder von strategischen Überlegungen wie einer besseren Marktbearbeitung. Am überraschendsten war für die Ver bundvertreter die Fusion der Handels- und Gewerbebank Innsbruck mit der Volks bank Schwaz zur Volksbank Tirol im Jahr 1999. Die Gespräche wurden mit strate gischem Weitblick und sehr vertraulich geführt, die Fusion detailliert vorbereitet sowie zügig durchgezogen und damit der neuen Volksbank eine bessere Kostenba sis und eine zukunftsweisende Aufstellung ermöglicht. Die Namensgebung sorgte in der Folge monatelang für Diskussionen im Sektor, weil der regionale Universalitäts anspruch des Namens bei den anderen Volksbanken in Tirol, nämlich in Kufstein und in Landeck, auf erheblichen Wider stand stieß. Der ÖGV hatte die Aufgabe, eine Lösung zu finden, und erwirkte einen Kompromiss: Die neue Bank sollte Volks bank Tirol Innsbruck-Schwaz heißen. Dass dann in der Realität der Zusatz InnsbruckSchwaz immer kleiner wurde, grafisch unter den Hauptnamen Volksbank Tirol rutschte oder in Medieneinschaltungen ganz vergessen wurde, heizte die Diskus sion mehrmals an. Die Geschäftsstellen aller Volksbanken blieben in Summe praktisch konstant (Rückgang von 551 auf 546), Neueröff nungen im Rahmen der Marktoffensive s tanden Schließungen in unrentablen Märkten gegenüber. Parallel dazu gewann ab der Jahrtausendwende aufgrund der neuen technologischen Möglichkeiten das Internet-Banking an Bedeutung. Die D ynamik der Entwicklung sieht man an der Anzahl der Internet-Banking-Kunden der Volksbanken, die sich von rund 30.000 (2000) auf 105.000 (2001), 150.000 (2002), 230.000 (2005) bis auf knapp 400.000 (2008) exponentiell entwickelte.
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Die Ertragslage zeigte ebenfalls eine sehr positive Entwicklung: Die Kernerträge (Zins- und Provisionsergebnis) stiegen von 449 Millionen um 47 Prozent auf 660 Millionen Euro an. Da zugleich der Verwal tungsaufwand um nur 43 Prozent auf 441 Millionen stieg und höhere Dividenden der ÖVAG ausgeschüttet wurden, konnte das Betriebsergebnis von 155 Millionen Euro auf 272 Millionen und somit um 75 Prozent gesteigert werden. Es lag damit jedes Jahr über dem strategischen Ziel von einem Prozent Ertragskraft (Betriebsergebnis/ Bilanzsumme). Die Risikokosten betrugen in dieser Phase jährlich zwischen 100 und 120 Millionen Euro, was beim deutlichen Anstieg der Finanzierungen ein Abneh men der Risikokosten (Risikovorsorgen/ K redite) von 135 auf 120 Basispunkte (2002) und dann sukzessive auf 76 Basis punkte bedeutete. Dabei ist die konser vative Bevorsorgung zu berücksichtigen, weil sich etwa 2006 ein Bestand von über sechs Prozent an Einzelwertberichtigun gen zeigte. Die operative Belastung in Prozent der Bilanzsumme betrug in dieser Periode rund 30 Basispunkte – eine Kon sequenz der Reaktion des Sektors auf die K risen zum Jahrtausendwechsel und der beginnenden neuen Risikokultur durch die Implementierung der Ratingsysteme auf grund von Basel II. Das EGT verdreifachte sich daher von 50 auf 156 Millionen Euro. Die addierten Eigenmittel wurden mehr als verdoppelt, sie stiegen von 1.044 Mil lionen Euro (11,7 Prozent) auf 2.427 Millio nen (14,3 Prozent). Das Kernkapital betrug 2007 1.803 Millionen Euro (10,6 Prozent der Bemessungsgrundlage). Neben der jährlichen Innenfinanzierung waren dafür die Einbringung der ÖVAG-Aktien in die neu gegründete Volksbanken Holding und eine Aufwertung in der Höhe von rund 500 Millionen Euro verantwortlich. Die CostIncome-Ratio konnte von knapp 70 auf 6 4,3 verbessert werden.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV62 zent. Bei den Volksbanken blieb die Bilanz struktur hingegen in etwa gleich (Kredite: 6 3 Prozent, Einlagen: 80 Prozent).
Die Forderungen an inländische Kunden stiegen in Österreich insgesamt nur um 95 Milliarden auf 287 Milliarden Euro und da mit mit 50 Prozent nur knapp halb so stark w ie bei der Volksbanken-Primärstufe. Ein ähnliches Bild zeigt die Entwicklung der Einlagen, die am Gesamtmarkt Österreich um 63 Prozent auf 258 Milliarden Euro stie gen und somit hinter dem Wachstum der Volksbanken-Primärstufe zurückblieben.
STARKES WACHSTUM IN MITTEL- UND OSTEUROPA
Die Entwicklung des Volksbanken-Sektors als Ganzes erfolgte noch dynamischer und lässt sich in zwei Perioden einteilen: Da gab es zunächst die Phase zwischen 1997 und 2003, in der sich die ÖVAG unter der Führung von Generaldirektor Klaus Thalhammer kontinuierlich als Spitzen institut und Kommerzbank mit nationalen und internationalen Tochtergesellschaften weiterentwickelte. Thalhammer, der die Idee der europäischen Volksbank-Familie lebte und den Aufbau dieses Netzwerks seit Beginn seiner Tätigkeit im ÖVAG-Vor stand ab 1987 vorantrieb, forcierte den Einstieg der DZ Bank in die ÖVAG und den Betrieb der gemeinsamen Beratungsge sellschaft Volksbank Consulting im Anla gebereich, um das Provisionsergebnis als
Der Marktanteil der Volksbanken stieg in Summe kontinuierlich jeweils um einen Prozentpunkt, bei den Krediten auf 5,2 Pro zent, bei den Einlagen auf 7,4 Prozent.
Die Entwicklung bei den Forderungen an Nichtbanken und Einlagen zeigt, dass die Volksbanken in dieser Zeit in beiden Spar ten Marktanteilszuwächse verzeichneten.
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Strategisch hatten sich die Volksbanken das Ziel gesetzt, Nummer eins bei der Kundenzufriedenheit zu sein. Dies gelang von 1997 bis 2007 auch durchgehend. Der Erfolg spiegelte sich auch in den kontinu ierlich steigenden Kundenzahlen wider: 2007 hatten die Volksbanken 36.000 Neu kunden gewonnen und hielten bereits bei 726.000 Privatkunden und 96.000 Firmen kunden. Auch die Imagewerte stiegen in allen Dimensionen an: 83 Prozent stimm ten zu, dass die Volksbank freundlich ist, 78 Prozent bestätigten die Kompetenz bei Veranlagungen, je 74 Prozent lobten die Selbstbedienungsmöglichkeiten und den Umstand, dass die Mitarbeiter auf Kunden eingehen.
Die Phase zwei dieser Periode zwischen 2003 und 2007 begann mit dem plötzli chen und unerwarteten Tod von General direktor Thalhammer am 22. September 2003, der in der Folge eine zu diesem Zeit punkt nur für wenige abschätzbare Lücke hinterließ. Der Innovator und Begründer der Ostexpansion der ÖVAG und aufgrund seiner Begeisterungsfähigkeit auch Men tor für viele Führungskräfte im Verbund verstarb während einer Gesundenunter suchung. Sein Lebenswerk, die Tochter banken in den CEE-Ländern, die er – wenn auch als AGs – dem genossenschaftlichen Prinzip folgend in der Regel als Green Field Operations startete, galt es nun auszuge stalten und weiterzuentwickeln.
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Das Wachstum in Zentral- und Osteuropa erfolgte seit 1990 durch die Erschließung von einem Land nach dem anderen, oft mals durch Green Field Operations oder den Erwerb von bestehenden Kleinban ken, um die Lizenz zu erhalten. Aus sechs Töchtern in Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Kroatien und Malta mit 29 Filialen und 701 Mitarbeitern sowie einer Bilanzsumme von 790 Millionen Euro im Jahr 1997 wurden 2003 bereits neun Länder (neu: Bosnien, Rumänien und Ser bien) mit 127 Geschäftsstellen, 2.546 Mit arbeitern und einer Bilanzsumme von rund drei Milliarden Euro (durchschnittliches Wachstum: 25 Prozent pro Jahr).
Dass der für die Regelung der Nachfolge formell zuständige Aufsichtsratsvorsitzen de der ÖVAG, Franz Pinkl, Vorstandsvor sitzender der Volksbank NÖ Süd mit einer Bilanzsumme von rund 250 Millionen Euro, sich selbst als neuer Generaldirektor für einen grenzüberschreitenden Konzern an bot, kam für viele überraschend. Die Volks banken erwärmten sich aber für diese Lö sung, als der Generaldirektor der Volks bank Salzburg, Walter Zandanell, den Auf sichtsratsvorsitz übernahm und somit eine weitere Vertrauensperson die Geschicke der ÖVAG zu lenken bereit war.
Das Verhältnis zwischen dem ÖGV und der ÖVAG gestaltete sich ab diesem Zeit punkt distanzierter und beschränkte sich auf die Abarbeitung von Sachfragen. Die Lösung für all diese sich im Alltag zeigen den Probleme bestand in einer unausge sprochenen Aufteilung: Der ÖGV beglei tete die Entwicklung der österreichischen Volksbanken (Primärstufe) und arbeitete beständig an einem Gesamtkonzept für den Verbund (Rating, Verbundabschluss), während der ÖVAG-Vorstand den Kon zern, insbesondere mit der Expansion am CEE-Markt, zu einer relevanten Größe ent wickeln wollte. Dividendenversprechen und tatsächliche Ausschüttungen führten
zweite Stütze neben dem Zinsergebnis zu stärken. Er stärkte auch die Verbindungen zu den italienischen Volksbanken durch eine Außenstelle in Verona und unter mauerte die Beziehungen zu den franzö sischen Volksbanken durch ein Bureau de Liaison in Paris.
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Der Volksbanken-Sektor in Österreich, also die Volksbanken gemeinsam mit dem ÖVAG-Einzelinstitut betrachtet, zeigten ei nen ähnlichen Wachstumspfad wie die Pri märstufe: Der Anstieg der Mitarbeiterzahl um 343 auf 5.096 kam praktisch allein aus der Primärstufe. Die Bilanzsumme wuchs um fast 30 Prozent von 24,9 auf 32,3 Milli arden Euro. Das Betriebsergebnis kletterte um 40 Prozent von 209 auf 290 Millionen Euro, das EGT von 92 auf 169 Millionen Euro, was die geringe Risikoneigung der ÖVAG zum Ausdruck brachte. Angesichts der Tatsache, dass 65 Prozent des Kapitals der ÖVAG von den Volksbanken kamen, ein sehr verantwortungsvoller Umgang mit den eingesetzten Geldern.
Generaldirektor Klaus Thalhammer im Gespräch mit Hans Hofinger
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D em ÖGV oblag es dabei, für diese Sektor entscheidung zu werben und die Kapital erhöhung durchzuziehen.
D er personelle Wechsel an der Spitze der ÖVAG bedeutete aber auch eine grund legende Strategiewende: Die Vorarbeiten von Generaldirektor Thalhammer für die Zusammenführung der Auslandstöchter in einer Tochtergesellschaft (Volksbank International) fruchteten und führten 2004 zu einer Beteiligung von 49 Prozent der französischen Volksbanken-Gruppe Ban que Federale des Banques Populaires (BFBP) und der deutschen DZ Bank sowie der WGZ Bank. Die Entwicklung der Volks bank International erfolgte in den Jahren danach jedoch exponentiell, die Bilanz summe wurde in den vier Jahren bis 2007 um mehr als das 3,5-Fache gesteigert. Die Zahl der Geschäftsstellen verfünffachte sich, die Mitarbeiterzahl wurde auf 5.850 mehr als verdoppelt und ein mehr als fünf mal so hoher Jahresüberschuss vor Steu ern erzielt.
D er ÖGV konnte zwar nicht die Werthal tigkeit der von anderen österreichischen B anken abgegebenen Konsortialanteile einschätzen, reklamierte aber vor allem eine dafür erforderliche Kapitalerhöhung, um für die Regulatoren, aber auch den Ka pitalmarkt und die Ratingagenturen eine entsprechende Kapitalsituation nachwei sen zu können. Die Frage der Risikotrag fähigkeit war – aus heutiger Sicht leider – kein Thema. Die von der ÖVAG vor der Vertragsunterzeichnung als nicht erfor derlich angesehene Kapitalerhöhung wur de wenige Wochen später doch Realität.
Eröffnung der HauptanstaltinBukarest
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV64 zu willkommenen Erträgen in den lokalen AusVolksbanken.diesemDrang heraus entstand dann auch der von Investmentbanken an den ÖVAG-Vorstand herangetragene Expan sionsvorschlag, die Investkredit zu über nehmen. Eine Entscheidung, die nur we nige Jahre später im Zuge der Finanzkrise nicht nur die ÖVAG an ihre Existenzgrenze führte, sondern fast den gesamten Volks banken-Sektor mitgerissen hätte. Der für die Investkredit von den anderen Aktionä ren – allesamt österreichische Konkurren ten – aufgerufene Preis von 821 Millionen Euro wurde von den betrauten Investment banken für gut befunden. Vom Vorstand der ÖVAG wurde daher auf eine Due Dilligence verzichtet, den Volksbanken w urde die Übernahme ohne Kapitalerhöhung schmackhaft gemacht.
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Die Debatte mit den Volksbanken und dem ÖGV im Dezember 2004 war über aus kontroversiell. Diskutiert wurden die A bkehr von der bisherigen Strategie des organischen Wachstums, das Größenver hältnis des zu übernehmenden Konzerns zur ÖVAG, die Kapitalmarktrefinanzierung bis hin zur erforderlichen Eigenmittelaus stattung. Dem Kaufpreis von 817,9 Millio nen Euro für 100 Prozent dieses Kapitals s tand nur ein Reinvermögen von 546 Milli onen gegenüber, was zu einer Aktivierung von Firmenwerten von rund 330 Millionen führte. Diese geringe Kapitalausstattung und Risikotragfähigkeit wurde rasch zum Verbundthema.
Zu diesem überaus dynamischen Wachs tum in neun Ländern kam dann Ende 2004 ein weiterer Beschleuniger: Der ÖVAGVorstand schlug den Volksbanken den Ab schluss eines Vertrages zur Aufstockung der Beteiligung an der Investkredit von 3,5 auf 41,5 Prozent vor, die im Juli 2005 auf 98 Prozent (bei gleichzeitiger Abgabe der Hypo NÖ an das Land Niederösterreich) und nach anschließendem Squeeze-out Ende November auf 100 Prozent stieg, um das Angebot für die Volksbank-Kunden aus dem Kommerz- und Kommunalsektor zu erweitern. Ein Schritt, der damals als „Quantensprung“ für die Volksbank-Grup pe bezeichnet wurde.
Um die Ertragsziele im ÖVAG-Konzern zu erreichen, erhielten die neuen Tochter banken praktisch freie Hand, ihre Gesell schaften zu entwickeln. Konzerninterne Umstrukturierungen und die damit verbun denen Zuschreibungen auf Beteiligungen führten zu Gewinnen und höheren Eigen mitteln in der ÖVAG, die eine erfolgreiche Konzernentwicklung vermuten ließen. In einer Zeit der unbegrenzten Möglichkei ten, wie die Jahre vor der Finanzkrise 2008 wohl genannt werden können, erschien dies auch nicht unplausibel. Die Gefahr der Illiquidität von Banken schien angesichts der schier unbegrenzt zur Verfügung ste henden Liquidität endgültig überwunden.
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• ÖVAG ist Marktführer bei strukturierten Produkten
• Investkredit ist Nummer eins mit Fachkom petenz bei Unternehmensfinanzierungen
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Hatte der ÖVAG-Vorstand im Dezember 2004 diese Frage noch mit dem Hinweis, dass auch nach der Übernahme der In vestkredit noch mehr als vier Prozent Kern kapital vorhanden seien, weggewischt, trat er schon im Jänner 2005 mit dem Bedarf einer Kapitalerhöhung in der Höhe von 300 Millionen Euro an den Sektor heran, weil „erst jetzt“ die Anforderungen der Ra tingagenturen bekannt geworden seien. Aufgrund des schon im Dezember abge gebenen bindenden Angebots gab es kei ne kurzfristige Alternative. Da das Kapital, das mehrheitlich von den Volksbanken zu diesem Zwecke der ÖVAG gegeben wur de, bei einer konsolidierten Betrachtung nicht aufschien und damit nicht zur Risiko tragung für die ÖVAG und bei den Volks banken doppelt zur Verfügung stand, hat der ÖGV ab dieser Zeit für frisches Kapi tal von außen plädiert und die Initiative Volksbank Quadrat Bank gestartet.
Ein Umstand, der die Aufsicht dazu bewog, dem ÖVAG-Vorstand eine Kapitalmaßnah me nahezulegen, die im Mai 2008 – trotz w idrigster Marktumstände – in Form einer Emission von 500 Millionen Euro Partizipa tionskapital umgesetzt wurde. Die neuen Tochterbanken hatten auch aufgrund ihrer guten internationalen Ratingbeurteilungen (Investkredit: A2 bei Moody‘s, Kommunal
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Öko nomisch bedeutete dieser Zukauf mehr als eine Verdoppelung der Bilanzsumme der ÖVAG von 24 Milliarden Euro (2004) auf 55 Milliarden (2005). Zum Vergleich: Der Volksbanken-Sektor hatte 2005 nur eine Bilanzsumme von 37 Milliarden und erwirt schaftete ein EGT von 189 Millionen. Die Volksbank-Gruppe, also der VolksbankenSektor mit dem Investkredit-Konzern und der Volksbank International konsolidiert betrachtet, erzielte nur ein EGT von 300 Millionen Euro. In den nächsten zwei Jahren kam es zu einer mehrfachen Umgestaltung des ÖVAG-Konzerns, etwa durch Einbringung von Geschäftsfeldern aus der ÖVAG in die Investkredit (Kommerzgeschäft, ImmoConsult) sowie die Vertöchterung der Kommunalkredit und der Europolis-Grup pe, wodurch nicht nur das ausgewiesene EGT der Volksbank-Gruppe auf 452 Mil lionen Euro gesteigert wurde, sondern auch ein entsprechend höherer Ausweis an Eigenmitteln und Kernkapital erfolgte.
2005 konnten mehrere Spitzenpositionen bekannt gegeben werden:
• Kommunalkredit ist Nummer eins bei Kommunalfinanzierungen
Die Eigenmittel von 2.797 Millionen Euro zum Jahresende 2003 stiegen 2004 durch die Emission von Hybridkapital und die Beteiligung von DZ Bank, WGZ und BPCE bereits auf 3.316 Millionen, 2005 auf 4.719 Millionen, 2006 auf 6.269 Millionen und er reichten 2007 mit 6.529 Millionen den Hö hepunkt. Die Eigenmittelquote sank durch das Wachstum trotzdem von 13,3 auf unter zwölf Prozent.
• Volksbanken-Primärstufe ist Nummer eins bei der Kundenzufriedenheit
• Volksbank-Gruppe ist Nummer eins als Immobilieninvestor in den CEE-Ländern (via Tochter Europolis) 2006 überholte die ÖVAG schließlich die BAWAG PSK und wurde zur Nummer vier in Österreich. Die Volksbank International erreichte ihre Maximalausdehnung mit dem Zukauf der Elektron Bank in der Ukrai ne und war somit in zehn Ländern präsent.
Den echten Engpass stellte jedoch das auf grund von Basel II immer mehr in den Fo kus der Aufsichtsbehörden und auch des Kapitalmarktes (Ratingagenturen) gerückte Kernkapital dar: Wenn auch durch all diese Maßnahmen, die Hereinnahme der deut schen und französischen Volksbanken, eine hybride Tier-1-Anleihe von 250 Millio nen Euro und Ausgliederungen das Kern kapital von 2.045 Millionen Euro bis 2007 auf 4.450 Millionen angehoben werden konnte, so sank die Kernkapitalquote von zehn Prozent im Jahr 2002 bis 2007 sukzes sive auf 8,1 Prozent ab. Kein Wunder, wenn allein von 2005 bis 2007 die Kredite von 42 auf 53 Milliarden Euro und somit um mehr als 25 Prozent gesteigert wurden oder die Europolis allein zwischen 2004 und 2006 die vermietbare Fläche (Büro- und Gewer beflächen bei Logistik- und Einkaufszent ren) von 406.000 auf 526.000 Quadratme ter ausweitete (+30 Prozent).
Der(Proportionalität).mitdieserEntwicklung des Aufsichts rechts verbundene und tatsächlich einher gehende Druck auf neue (Risikomanage ment-)Prozesse wurde daher zunächst bei den Mitgliedern auch als Fehlentwicklung interpretiert. Die Sorge war, dass durch standardisierte Ratings vor allem die per sönliche Kenntnis und damit die individu elle Einschätzung der Bonität der Kunden verloren gehe, wodurch das Kreditrisiko eher zunehme. Die vom ÖGV vorgeschla genen Verbundlösungen – wie insbeson dere die Ratingmethoden – wurden oft mals als überbordende Einflussnahme des Verbandes empfunden. Das Angebot an Lösungen – sei es im Be reich des Risikomanagements, der Orga nisation oder der Vertriebsarbeit – wurde daher in der Regel von den Mitgliedern kritisch hinterfragt, schlussendlich aber oftmals auch dankend angenommen. Die sektorweite Revision spielte dabei häufig die Rolle eines Verstärkers und verhalf ins besondere den Risikomanagementmetho den und -instrumenten – wenn auch nach eingehender Diskussion – recht rasch zum ImDurchbruch.Jahr1997 und danach erbrachte der ÖGV sowohl für die Kredit- als auch die Waren- und Dienstleistungsgenossen schaften eine Reihe von Leistungen, die 1997 erstmals auch im Internet abrufbar waren. Im Folgenden sollen einige Aktivi täten und Erfolge aus dieser Zeit kurz dar gestellt werden.
Die Entwicklung des ÖGV in diesen Jah ren war organisatorisch und inhaltlich von großen Herausforderungen geprägt. In haltlich erfüllte der Verband für seine Mit glieder nicht nur seine satzungsmäßigen Aufgaben, sondern reagierte auch flexibel auf neue Entwicklungen und Anforderun gen. Im Jahr 1997 führte Walter Brandner gemeinsam mit Verbandsanwalt Hans Hofinger den ÖGV, Präsident des Ver bandsrates war Gerhard Ortner, General direktor der Volksbank Salzburg. Der ÖGV z ählte rund 180 Mitglieder: 72 Volksbanken und die ÖVAG bildeten mit 4.753 Mitarbei tern und 577 Geschäftsstellen den Bereich K redit, 95 Waren- und Dienstleistungsge nossenschaften, zehn Verwaltungs- und sonstige Genossenschaften sowie zwei Produktivgenossenschaften den Bereich Ware. Die Anzahl der Mitarbeiter erhöhte sich bis 2008 sukzessive auf 116. Nach dem EU-Beitritt Österreichs und der Neukodifizierung des Bankrechts im BWG unter Übernahme der EU-weiten Richtli nien sowie dem generellen Trend der Aus weitung der Verbraucherrechte und -stan dards nahmen die Aufgaben des ÖGV in diesem Bereich stetig zu. Dazu kam, dass die europäische Interessenvertretung überhand nahm: Während der Abschnitt Interessenvertretung im Jahresbericht 1997 16 Seiten für die nationalen Themen und zwölf Seiten für den internationalen Teil einnahm, blieb der Umfang der Be richterstattung über die nationale Interes senvertretung im Jahr 2007 mit 17 Seiten praktisch konstant, während sich der Be richt über internationale Aufgaben mit 23 Seiten verdoppelte. Daher stand auch die für die Volksbanken rasante Entwicklung und Veränderung der regulatorischen Rahmenbedingungen im mer wieder auf der Tagesordnung der Ver bandsratssitzungen. Der ÖGV nahm schon in dieser Phase die „Sandwich-Funktion“ ein, nämlich national und international gegen die zunehmende Flut von neuen aufsichtlichen Bestimmungen ankämpfen zu müssen, gepaart mit der undankbaren Rolle, kassandraartig der Überbinger von schlechten Nachrichten zu sein. Eine Auf gabe, die schon in der griechischen My thologie keine beliebte war. Da die Änderungen seit jeher nur von Großbanken für Großbanken geschrieben wurden, hatten die Regelsetzer weder die spezielle Ausgangslage für regionale Genossenschaftsbanken im Fokus, noch nahmen sie auf die geringen zur Verfü gung stehenden Ressourcen Rücksicht
VON 1997 BIS HEUTE
DER ÖGV AB DEM JAHR 1997
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV66 kredit: sogar Aa3) eben ihre Freiheit im ÖVAG-Konzern gut ausgenützt.
JURISTENTAGE
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Der EU-Beitritt brachte auch mit sich, dass die nationalen Gesetze auf Überein stimmung mit dem EU-Recht überprüfbar w urden. Da einzelnen Mitgliedern der ge nossenschaftlichen Verbünde die Liquidi tätsreservehaltung bei ihrem Spitzeninstitut ein Dorn im Auge war, hinterfragten sie die Rechtmäßigkeit bei der EU-Kom mission. Zumal die langfristige Liquidi tätssicherung für alle Mitglieder in einem S ektor von existenzieller Bedeutung ist, kämpfte der ÖGV in mehreren Stellung nahmen gegenüber der Kommission für die Konformität der Liquiditätsreserve. Dennoch brachte die Behörde im Herbst 2004, kurz bevor eine neue Kommission vom EU-Parlament gewählt wurde, eine Klage vor dem EuGH gegen Österreich (Vertragsverletzungsverfahren) ein. Der ÖGV und das Finanzministerium setzten sich weiter für die Beibehaltung ein und konnten schlussendlich 2006 erreichen, dass die Klage gegen die Republik zurück gezogen wurde.
PROPORTIONALITÄT Zentraler Aspekt der Interessenvertretung war es, sich darum zu bemühen, die inter nationalen Bestimmungen auch für dezen trale Genossenschaftsbanken lebbar zu machen (Stichwort: Proportionalität). Der
Die Anfang der 2000er-Jahre gegründete Finanzmarktaufsicht (FMA) bediente sich neuer Instrumente, der sogenannten FMAMindeststandards. Aufgabe des ÖGV war es, dafür einzutreten, dass bei diesen auf die Anliegen und die Besonderheiten der Volksbanken so weit wie möglich Rück sicht genommen wird. Daher engagierte er sich intensiv bei den Mindeststandards für Fremdwährungskredite 2003, genauso wie bei jenen für das Kreditgeschäft 2004, bei denen etwa die Trennung auf Ge schäftsleiterebene durch ÖGV-Interven tion zunächst entfallen, eine zentrale Sek toreinrichtung Funktionen übernehmen und eine Ausnahme für Kreditinstitute mit einer Bilanzsumme von unter 30 Millionen Euro erreicht werden konnte.
Highlights aus dieser Zeit VON 1997 BIS HEUTE
Um die Aktivitäten des ÖGV in Summe noch transparenter zu machen, wurde 1997 der 1. Volksbanken-Juristentag für die im Verbund tätigen Juristen abgehal ten. Der Europäisierung des Rechts trug der ÖGV Rechnung, indem er 2001 den 1. Europäischen Juristentag zur Diskussion der EU-Rechtsentwicklung und den Über legungen des Basler Ausschusses (2. Kon sultationspapier, Basel II) veranstaltete.
LIQUIDITÄTSRESERVE
FMA-MINDESTSTANDARDS
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GENOSSENSCHAFTSTAGE
2002 das Thema genossenschaftliche Mitgliedschaft betrachtet sowie 2008, als der Genossenschaftstag im Zeichen des 200. Geburtstags von Hermann SchulzeDelitzsch stand, die aktuelle Finanzkrise zum Schwerpunkt des Genossenschafts tags.
Ende 2002 richtete die EU-Kommission ein Schreiben an die Republik Österreich, in dem sie ihre Auffassung wiederholte, dass § 23 Abs 10 BWG – darin geht es um die Anrechnung von Haftsummenzuschlägen der Genossenschafter als Eigenmittel –nicht dem EU-Recht entspräche. Der ÖGV trat in umfangreichen Stellungnahmen für die Beibehaltung der Regelung ein. Am 28. Juni 2006 konnte die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Republik Österreich erreicht werden, für die Berechnung der Eigenmittel standen dadurch weiterhin über 200 Millionen Euro als ergänzende Mittel zur Verfügung.
Am 17. Dezember 2003 verabschiedete das IASB den überarbeiteten IAS 32, der den Eigen- bzw. Fremdkapitalcharakter von Finanzinstrumenten regelt. Geschäfts anteilen bei Genossenschaften wurde da rin aufgrund der Kündigungsmöglichkeit der Eigenkapitalcharakter abgesprochen, man hat sie als kurzfristige Verbindlich keiten qualifiziert. Der ÖGV beteiligte sich – auch im Wege der EACB – an den Gesprächen mit dem IFRIC (International Financial Reporting Interpretations Com mittee). Denn entscheidend war ja, ob das Kapital im Ernstfall als Verlustabdeckungs potenzial zur Verfügung steht, was bei Ge nossenschaftsanteilen uneingeschränkt der Fall ist. Eine Übernahme dieses Stan dards in EU-Recht konnte zwar nicht ver hindert werden, aber es wurde erreicht, dass Genossenschaftsanteile doch als Eigenkapital angerechnet werden, wenn eine gesetzliche oder satzungsgemäße Rückzahlungssperre vorliegt (Sockelbe trag). Dass dieser Sockelbetrag infolge
Der ÖGV initiierte Genossenschaftstage, um das Wissen über diese Rechtsform, vor allem aber auch aktuelle Entwicklun gen und strategische Aspekte näher zu b eleuchten. Der erste Genossenschafts tag widmete sich dem neuen schaftsgesetz.kussionsphase1schaftsrevisionsrechtsänderungsgesetzGenossen997unddemBeginnderintensivenDisübereinneuesGenossenInderFolgewurdeetwa
ANKERKENNUNG DES INSTITUTIO NELLEN SICHERUNGSSYSTEMS (IPS) Bei der Umsetzung von Basel II und CRD in das BWG 2005/2006 ging es auch um die Anerkennung von verbundweiten Systemen zur Erfüllung der ICAAP-An forderungen. Ein wesentlicher Erfolg für die Volksbanken und den Sektor konnte im Dezember 2008 – gerade zur rechten Zeit – erreicht werden: die Anerkennung des IPS der Volksbanken. Der ÖGV er hielt die Bestätigung durch die FMA, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Null-Prozent-Gewichtung bei der Eigen mittelberechnung für die dem IPS des Volksbanken-Sektors angeschlossenen Kreditinstitute gegeben waren, womit eine Eigenmittelersparnis von rund 100 Millio nen Euro verbunden war.
HAFTSUMMENZUSCHLAG
ÖSTERREICHISCHES BANKRECHT Um Interpretationsfragen zum BWG, das einen Kernbereich der ÖGV-Interessenver tretung darstellte, einerseits sektorintern transparent zu machen und andererseits auch nach außen für Dritte nachlesbar zu machen, erschien 1999 und 2006 in zweiter Auflage das aufsichtsrechtliche Standardwerk „Das Österreichische Bank recht“ von Rainer Borns.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV68 ÖGV war auch hier erfolgreich, so konnten etwa eine geringere Eigenkapitalunter legung für Kredite bis einer Million Euro, die Proportionalität bei der Beurteilung im Rahmen des Überwachungsprozesses nach Säule 2 oder die Verschiebung des Inkrafttretens von Basel II erreicht werden.
GENOSSENSCHAFTSANTEILE ALS BANKRECHTLICHE EIGENMITTEL
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Der ÖGV war in dieser expansiven Phase auch stark sozial engagiert. Ein Höhepunkt war das Engagement nach der Hochwas serkatastrophe 2002. Die Volksbanken als wesentlicher Finanzpartner des Mittelstan des wollten ein deutliches Signal in den be troffenen Gebieten setzen und spendeten 100.000 Euro. Über ein verbundweites Spendenkonto konnten im September an die Caritas 1,15 Millionen Euro übergeben werden. Dieses Engagement wurde auch von Kardinal Schönborn gewürdigt: „Die Spende ist beeindruckend und ein Signal dafür, dass die Volksbanken die Menschen in unserem Land nicht im Stich lassen wol len. Ich möchte mich für den Einsatz, die Bereitschaft zur Hilfe und zum Teilen mit den Notleidenden ganz herzlich bedan ken.“ In ähnlichem Ausmaß hat sich der ÖGV 2004 bei der Tsunami-Katastrophe engagiert. Im Kulturbereich war die Unter stützung der Renovierung der Peregrini kapelle in der Servitenkirche im 9. Wiener Gemeindebezirk ein Vorzeigeprojekt, zu Spendenübergabe an die Caritas für die Opfer der Hochwasserkatastrophe 2002
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PARTNERSCHAFT MIT DEM ÖSVSKISPRUNGTEAM
SPONSORING DES „TEAM VOLKSBANK“ Nach einer langen Tradition der Volksban ken beim Sportsponsoring (Vereinssport, lok ale Sportereignisse) wurde ab 2005 zur Emotionalisierung der Marke erstmals ein überregionales Team unterstützt, nämlich das österreichische Profiradteam „Team Volksbank“. Nicht nur die Österreich-Rad rundfahrt, sondern auch bis zu 30 lokale Radevents gaben der Volksbank-Gruppe die Möglichkeit, den Radsport in den ver schiedensten Facetten regional zu insze nieren. Die negative Berichterstattung im Zusammenhang mit Dopingvorfällen belastete diese Kooperation zunehmend, weshalb nach Alternativen gesucht wurde.
der Auswirkungen der Finanzkrise plötz lich auch praktische Bedeutung erlangen könnte, mit all den Schwierigkeiten, dass Kunden ihr veranlagtes Geld eben doch wieder zurückhaben wollten, war zu die sem Zeitpunkt nicht vorstellbar.
Schon 1997 und in den darauffolgenden Jahren in zunehmendem Ausmaß brachte der ÖGV durch eine Informationsbroschü re sowie Präsentationen die Umstellung auf den Euro bei Generalversammlungen und Kundenveranstaltungen den Mitglie dern und Kunden näher.
In diesem Rahmen wurden das breite Leis tungsspektrum des ÖGV und die damit ver bundenen Erfolge der Mitglieder betont.
SPENDEN UND KULTURFÖRDERUNG
VORBEREITUNG AUF DIE EUROEINFÜHRUNG
Im Herbst 2007 wurde eine neue Sportko operation besiegelt, die bis heute erfolg reich andauert: Der Volksbanken-Verbund w urde Sponsor des ÖSV-Skisprungteams und erwarb Testimonialrechte für Sprin ger und Trainer. Den neuen Sponsoring weg mit dem besten Skisprungteam der Welt gaben die Volksbanken und der ÖGV im September 2008 bekannt. Die Kompa tibilität zum Slogan „Volksbank. Mit V wie Flügel“ und zum Markenkernwert Freiheit lägen auf der Hand, betonte Rainer Borns bei der Präsentation der Kooperation. Die „Superadler“ hatten bereits im ersten Jahr der Kooperation eine grandiose Saison.
125-JAHR-FEIER 1997 Bei der Feier anlässlich des 125-Jahr-Ju biläums des ÖGV, die am 2. Juni 1997 im Wiener Konzerthaus unter dem Titel „Die Faszination einer Idee“ stattfand, nahmen 800 Festgäste teil, darunter hochrangige Vertreter aus dem Verbund, aus Politik und Wirtschaft sowie nationalen und interna tionalen Genossenschaftsvereinigungen.
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PARTNERSCHAFT MIT FRANZ KLAMMER Viele Jahre hindurch war der Olympiasie ger und fünffache Sieger des Abfahrtswelt cups, Franz Klammer, nicht nur werbliches Aushängeschild des Volksbanken-Sektors, sondern auch begehrter Repräsentant bei Kundenveranstaltungen und Generalver sammlungen, aber auch bei sektorinter nen Mitarbeiterevents.
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PRÄSIDENTSCHAFT IN DER CIBP
Die Aufgaben im Bereich des Bildungs wesens begleitete der ÖGV sehr eng durch die Volksbank Akademie, die sich durch stetige inhaltliche Erweiterung und fachliche Verbreiterung ihres Bildungsan gebotes zum Ausbildungszentrum aller Volksbank-Mitarbeiter entwickelte. 2002 konnten bereits 7.500 Kursteilnehmer an 25.000 Seminartagen geschult werden. Erstmals wurde in diesem Jahr auch eine Funktionärsausbildung ins Programm aufgenommen, an der vom Start weg 150 ehrenamtliche Funktionäre teilnahmen. Als Clemens Steindl 2006 nach mehr als 15 Jahren an der Spitze der Volksbank Akademie in den Ruhestand trat, wurde ihm für seine vielfältigen Initiativen und die engagierte Entwicklung der Akademie die Schulze-Delitzsch-Medaille in Gold verliehen. Vieles von dem, was Steindl an Neuem und Richtungsweisendem ein geführt hat, wirkt bis heute nach. Ein be sonders Anliegen war ihm eine moderne Geschäftsleiterausbildung mit Manage ment-Schwerpunkt in einer Sommer akademie bzw. einem Bergforum sowie in einem verpflichtenden Management Curriculum und einer schriftlichen und mündlichen Geschäftsleiterprüfung. Das Curriculum wurde in der Folge in Koopera tion mit der Donau-Universität sogar zum Master of Science für Human, Corporate & IT Competence weiterentwickelt.
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Mit dem 24. CIBP-Kongress in Wien im September 2000 wurde Hans Hofingers langjähriges Engagement und Wirken als Promotor der genossenschaftlichen Idee auf internationaler Ebene gewürdigt: Der ÖGV-Verbandsanwalt übernahm für drei Jahre die Präsidentschaft der Internationa len Volksbankenvereinigung (CIBP).
Sommerakademie 2006 in Slowenien der schon seit Jahren eine emotionale Be ziehung im Sinne einer „Wallfahrtskirche für den Volksbanken-Sektor“ bestand.
UMSETZUNG DES CIBP-LINKPROGRAMMS 2005 initiierte Rainer Borns eine CIBP-Ar beitsgruppe zur internationalen Aus- und Weiterbildung von Führungskräften und übernahm den Vorsitz. Ziel war es, den Führungskräften der Mitglieder innerhalb der CIBP die Möglichkeit zu geben, ein Netzwerk von Kontakten zu generieren. 2007 konnte das erste Pilotseminar mit dem Namen CIBP-LINK (Leadership Inter national Networking Key Competences) mit 15 Teilnehmern aus elf Organisationen und sechs Ländern in Montabaur mit dem ersten Modul gestartet werden. Das zwei te Modul wurde in in Paris abgehalten, das dritte unter der Federführung der Volks bank Akademie (verantwortlich: Clemens S teindl) in Wien.
VOLKSBANK AKADEMIE SETZT BILDUNGSSTANDARDS
Hans Hofinger übernimmt dievonCIBP-PräsidentschaftGiovanniDeCensi
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Die personelle Neuaufstellung des ÖGV im Jahr 2001 2001 war ein Jahr der Neuorientierung und der Veränderungen im ÖGV. Äußeres Zeichen dafür war das neu erworbene und restaurierte Gründerzeitgebäude in der Löwelstraße 14. Das neue ÖGV-Haus wurde am 15. Mai 2001 in Anwesenheit von 500 Festgästen durch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel feierlich eröffnet. Aber auch in tern gab es eine Reihe von Veränderungen:
PRÄSIDENT GERHARD ORTNER schied nach 43 Jahren im VolksbankenVerbund, davon 26 Jahre als Vorsitzender des Vor standes der Volksbank Salzburg, 15 Jahre als Prä sident des ÖGV und zehn Jahre als rvorsitzenderAufsichtsratsderÖVAG,uhestandsbedingtausundwurdemitdemAmt des Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit be dacht. Die Volksbank-Familie lud anlässlich des Ausscheidens am 19. Juni 2002 zu ei nem Galaabend in die Wiener Hofburg, um sein Lebenswerk zu würdigen.
Der neue ÖGV-Vorstand 2001: Bernd Spohn, Hans Hofinger, Margareta Steffel und Rainer Borns (v. l. n. r.)
VIZEPRÄSIDENT ROBERT MÄDL trat nach 25 Jahren Volksbanken-Karriere, da von 19 als Mitglied des Verbandsrates und fast 16 Jahre als Vorstandsvorsitzender der ÖVAG, ebenfalls in den wohlverdienten Ru hestand. Ihm folgten Klaus Thalhammer, Vorstandsvorsitzender der ÖVAG, und Franz Pinkl, Geschäftsleiter der Volksbank NÖ Süd, ab 2002 als Aufsichtsratsvorsit zender der ÖVAG. Auch im Vorstand des ÖGV gab es eine Neuaufstellung: WALTER BRAND NER schied nach mehr als 25 Jahren per 1. August 2001 als Vorsitzender des Vorstandes aus, ihm folgte Hans Hofinger in dieser Funktion nach, während Bernd Spohn die Leitung des Bereichs Prüfung Kredit übernahm. Neu bestellt wurde für den Vorstands bereich Revision der Waren-, Dienstleis tungs- und Produktivgenossenschaften MARGARETA STEFFEL , das zur Unter stützung der Marktoffensive neu geschaffe ne Vorstandsressort Markt führte RAINER BORNS
WERNER EIDHERR , der seit 1979 die Volksbank Kufstein von einer Filiale der ÖVAG zu einer erfolgreichen, selbststän digen und zu einer der ertragsstärksten Volksbanken entwickelt hatte, wurde am Verbandstag 2001 zum Nachfolger als Prä sident des ÖGV gewählt.
Im Tabellen Dokument
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Zur gemeinsamen Interessenvertretung, der Sicherung der Qualität und Unabhän gigkeit der Abschlussprüfung einschließ lich der Gebarungsprüfung, der Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der Qualitätssicherung wurde 2004 gemeinsam mit Raiffeisen- und Wohn bauverband die Vereinigung österreichi scher Revisionsverbände (VÖR) gegründet.
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START FÜR VOLKSBANKEN-MARKT OFFENSIVE Nachdem Mitte der 80er-Jahre gemeinsam die organisatorischen Weichen für die He rausforderungen des Marktes gestellt und die gesetzten Ziele, insbesondere eine Mindestertragskraft von einem Prozent der Bilanzsumme mit einer ausgewogenen Ertragskraftstruktur sowie einer ausrei chenden Eigenmittelausstattung, erreicht worden waren, galt es nun, sich neuen He rausforderungen des Marktes zu stellen.
Die Unterstützungsleistungen für die Marktoffensive durch den ÖGV hatten zwei Implikationen: zum einen den stra tegischen Vorteil, dass sie von einem unabhängigen Dritten kamen und nicht von einer anderen Bank oder von einem Dienstleister, der am Absatz der Produkte interessiert war, zum anderen diente diese Unterstützung auch dazu, einen Anstoß zu geben, der bei anderen Gesellschafts formen vom Eigentümer käme, nämlich die unabhängigen Geschäftsleiter in den Volksbanken durch Vergleich und persön liche Beratung zu animieren, stärkeren Fo kus auf ihre Marktbearbeitung zu legen.
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• zu 60 Prozent auf Kennzahlen aus Bilanz und Risikomanagement
RATING DER VOLKSBANKEN ALS NEUE KERNAUFGABE DES ÖGV
VERBÄNDEÖSTERREICHISCHERVEREINIGUNGREVISIONS-
Den Grundstein dafür legten die Volksban ken mit dem Aufbau des Gemeinschafts fonds, dessen Schutz über das Erfordernis der gesetzlichen Einlagensicherung weit hinausging. Die Sicherheit der Volksban ken und ihrer Kunden war und ist auch dem ÖGV ein wesentliches Anliegen. Neben dem Bemühen um höchste Qualität im Be reich der Revision und Früherkennung lag ein großes Augenmerk auf dem Aufbau und der Weiterentwicklung eines effizienten Ri sikomanagements. Ein gemeinsames Con trolling lieferte außerdem aussagekräftige Benchmarks, an denen sich die Volksban ken messen und orientieren konnten. Am Markt setzten sich die Volksbanken im Rahmen der Volksbanken-Marktoffensive das Ziel, im regionalen Bereich unter Be achtung ihrer Ertragskraft im Zeitraum von zehn Jahren auf eine Million Kunden zu kom men und damit rund 350.000 Neukunden zu gewinnen. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, setzten sie auf die Intensivierung der Kundenzufriedenheit. Das Wachstum selbst sollte durch den Ausbau des Multi channel-Vertriebs, die Abdeckung regio naler weißer Flecken, die Gewinnung von Nebenkunden als Hauptkunden und neue Märkte im Ausland ermöglicht werden.
Um die Liquidität der Volksbanken durch gemeinsame Emissionen zu stärken, inten sivierte der ÖGV-Vorstand seine Gesprä che mit internationalen Ratingagenturen, um ein internationales Verbundrating zu bekommen, in dem die tatsächliche Grö ßenordnung des Sektors am Kapitalmarkt ihre Berücksichtigung fand. Im Hinblick auf eine stärkere Zukunftsbetrachtung der einzelnen Volksbanken wurde in der ÖGVSatzung diese Aufgabe verankert und ein Bankenrating etabliert. In diesem Zusam menhang gab es einen intensiven Erfah rungsaustausch mit dem Bundesverband deutscher Volksbanken und Raiffeisenban ken (BVR), der ebenfalls eine Beurteilung seiner Mitglieder im Rahmen ihrer Siche rungseinrichtung einführte. Inhaltlich bau te das Rating auf folgenden Elementen auf:
• zu 30 Prozent auf Marktdaten und Markt zielen auf Basis der vom ÖGV entwickel ten Marktentwicklungskennzahl • zu 10 Prozent auf den Ergebnissen aus den jährlichen persönlichen Ratinggesprächen Ab 2004 erhielten alle Volksbanken ein ÖGV-Rating. Die Gespräche mit den Ra tingagenturen zeigten, dass neben der individuellen Bonitätsbeurteilung durch
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OPTIMIERUNG
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DIE DEVISE: JEDEM MARKT SEINE VOLKSBANK Aufgrund des starken Wettbewerbsdrucks gab es das Ziel, dass jeder Markt von einer Volksbank bearbeitet werden soll, also so genannte weiße Flecken vermieden werden. Dies bezog sich sowohl auf die regionale als auch auf die funktionale Abdeckung. Zur Umsetzung und Unterstützung der Markt offensive wurde eine eigene Stabsstelle im ÖGV eingerichtet. Daten über die Einzugs gebiete der Volksbanken, die Gebietsabde ckung sowie Marktkennzahlen erweiterten das bestehende betriebswirtschaftliche Controlling. Neben dem Wachstum der Pri märmittel und der Direktkredite, die auf die Entwicklung des Volumens abzielten, wur den auch die Kunden- und die Kontenanzahl mitgeplant. Diese Daten waren pro Filiale bzw. Vertriebsweg automatisiert verfügbar. Um generell die Cross-Selling-Quote zu verbessern, wurden nach und nach auch alle Dienstleistungsgeschäfte miteinbe zogen. Durch die Berücksichtigung von soziodemografischen Daten war es mög lich, nicht nur den Kundenbestand regio nal darzustellen, sondern diesen auch mit B evölkerungsdaten zu vergleichen und so mit die Marktdurchdringung im Privat- wie auch Kommerzkundengeschäft auf regio naler und lokaler Ebene zu ermitteln.
A ll diese Informationen flossen in Form von zwölf Kennzahlen ab 2003 in die Markt entwicklungskennzahl ein, die jährlich ein Benchmark für die Volksbanken-Ent wicklung darstellte. Die vom ÖGV durch geführte Analyse von Kundenstrukturen und kundenspezifischen Produktdurch dringungen ermöglichte die Festlegung von strategischen Schwerpunkten, sowohl bei den bestehenden Kunden als auch bei der Neukundenakquisition.
Mit der Einführung dieser Kennzahl waren folgende Vorteile für die Volksbanken und den Verbund verbunden: externer Benchmark-Vergleich als Grundlage für die Beurteilung der einzel nen Volksbank Ermittlung der ProduktdurchdringungzielgruppenspezifischenimSektor Möglichkeit der potenzialorientierten in dividuellen Standort-Marktplanung Vernetzung der Marktplanung mit be triebswirtschaftlichen und risikobezoge nen Bereichen qu alitative Erweiterung der Verbundplanung analytische Grundlage für den Rating prozess im Bereich Markt und schließlich auch: Auszeichnung der besten Volksbanken durch den ÖGV DER VERTRIEBS ein wesentliches
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S TEUERUNG Die Optimierung der Vertriebssteue rung war
das Volksbank-Rating auch die Bonität des Sektors auf konsolidierter Basis durch eine Sektorbilanz, die Belegung der Wirksam keit des Frühwarnsystems und der Solida ritätseinrichtungen sowie die Darstellung de s Kohäsionsgrades erforderlich waren. 2004 wurde erstmals ein konsolidierter Jahresabschluss für den Sektor nach IFRSGrundsätzen erstellt. Ende 2006 gelang es, dass die internationa le Ratingagentur Fitch die finanzielle Stärke des österreichischen Volksbanken-Verbun des und jeder einzelnen Volksbank mit A bewertete. Zu den Stärken der Volksban ken und des Verbundes zählte Fitch unter anderem der Wert der Marke Volksbank, das einheitliche und gute Risikomanage ment, die Solidaritätseinrichtungen so wie stabile Ergebnisse über einen langen Zeitraum. Das Ratingergebnis unterstrich, dass der genossenschaftliche Volksban ken-Verbund ein intelligentes und absolut zeitgemäßes Geschäftsmodell darstellte.
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Anliegen der Die Ratingergebnisse der Volksbanken 20032004200520062007 Stufe 2 13110 Stufe 2+ 52422 Stufe 1- 1310121115 Stufe 1 3740374140 Stufe 1+ 23431 VON 1997 BIS HEUTE
VON 1997 BIS HEUTE
BEKANNTHEIT DER MARKE VOLKSBANK
Damit einher ging eine Reihe von Maßnah men, um den Außenauftritt, insbesondere b ei Veranstaltungen, durch gemeinsamen Eventsupport zu professionalisieren.
Mit der Übernahme des Investkredit-Kon zerns wurde die Verwendung der Marke Volksbank im Sektor und vor allem bei den neu erworbenen Unternehmen zum Diskussionspunkt. Der ÖGV hat hier un ermüdlich auf den unbezahlbaren Wert der Marke, die mit „Volksbank. Vertrauen verbindet“ einen der stärksten Bankenslogans Österreichs hatte, hingewiesen und auf die Verwendung dieser Marke auch im Auftritt der Invest- und Kommunalkredit gedrängt. 2005 rückte laut Fessel/GfK die Volksbank bei Werbeerinnerung und spon taner Markenbekanntheit erstmalig unter die Top drei. Der ÖGV richtete daher Ende 2005 eine eigene Stabsstelle Qualitätsund Markenmanagement zur Stärkung der Marke und des Markenbewusstseins ein.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV74 Marktoffensive. Hierbei wurden folgende Schwerpunkte gesetzt: • Überarbeitung bzw. Neudefinition der Kundensegmentierung nach einheitli chen Selektionsmerkmalen • Durchführung von auf die Vertriebsmit arbeiter bezogenen Kapazitätsanalysen (Produkt-Mitarbeiter-Quote, Terminquote, Abschlussquote) • Funktionszuteilung im Rahmen der Ver triebsorganisation • A ktualisierung der Kundenzuordnung der Vertriebsmitarbeiter • Einführung eines Kundenberatersystems (KBS) • signalgesteuerter Vertriebsplan
Das bunte „House of brands“ wurde in ei ner groß angelegten Medienkampagne un ter Volksbank-Gruppe subsumiert und be kannt gemacht. Die Hauptbotschaft: Wenn drei führende Banken zusammengehen, entsteht etwas völlig Neues. Unter dem Kampagnenmotto „Österreichs stärkste Bankverbindung“ wurden die aufgrund von Marktdaten und Marktforschungser gebnissen erwiesenen Nummer-eins-Po sitionen der drei Marken in einem gesamt haft selbstbewussten Führungsanspruch dargestellt: Kommunalkredit Nummer eins bei der Kommunalfinanzierung, Investkre dit Nummer eins bei der Fachkompetenz, Volksbank Nummer eins bei der Kunden 2zufriedenheit.006wurde auch die Wort-Bild-Marke „Volksbank“ unter die Lupe genommen und nach nahezu 80 Jahren unveränderten Designs einer Modernisierung unterzo gen. Ergebnis war ein neues leichtes, be ÖGV-Marktvorstand Rainer Borns bei der Verleihung Vertriebs-Awardsdes
• Neufestlegung von Produktverantwort lichen Für die Beratung zu den Vertriebssteue rungsinstrumenten und die Betreuung der Volksbanken bei der Marktoffensive wurde eine eigene Einheit im ÖGV etabliert, die vor Ort mit den Geschäftsleitern der Volksbanken die Chancen, Mittel und Wege diskutierte und sie bei den gesetz ten Zielen begleitete. 2006 wurde ein Ver triebs-Award ins Leben gerufen, mit dem der ÖGV die Prämierung des Vertriebs erfolges gemessen an der Marktentwick lungskennzahl vornahm.
Die bis heute bestehende und sehr erfolg reich entwickelte Vertriebskooperation mit der TeamBank unter dem Namen „easy Credit“ (heute: „der faire Credit“) startete 2006 nach Abschluss eines Rahmenver trages mit dem ÖGV und mit der Volks bank Ost in Form eines Pilotprojekts zum Verkauf von Konsum-Ratenkrediten. Ein Novum am österreichischen Markt, das die Volksbanken in ihrer Marktoffensive unterstützte.
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DIE GRÜNDUNG DER VOLKSBANK WIEN
Ende der 90er-Jahre intensivierten sich die Gespräche, dass ein einziger Mehrheits eigentümer etwa für den Auftritt der ÖVAG am Kapitalmarkt und für die Gespräche mit den internationalen Ratingagenturen vor teilhafter wäre. Daher wurde der Gedanke geboren, eine Holdinggesellschaft zu grün den. Die Gespräche dazu verliefen zunächst recht konträr. Die Aktien aus der Hand zu geben, um im Gegenzug Holding-Anteile zu erhalten, ging mit der Befürchtung ein her, Einfluss zu verlieren. Daher wurde die Satzung der Holding dem Syndikatsvertrag
Werbelinie Mitte der 2000erJahre: „Österreichs stärkste Bankverbindung“
VON 1997 BIS HEUTE
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 75 flügeltes, modernes und klares Logo. Zur Stärkung des Markenauftritts der Volks banken wurde 2002 ein Corporate-Archi tektur-Konzept entwickelt, 30 Geschäfts stellen wurden auf Basis dieses Konzeptes renoviert, umgebaut oder neu gebaut.
Die Syndizierung der Aktien, welche die Volksbanken und einzelne Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften an der ÖVAG hielten, erfolgte zunächst durch Syndikatsverträge und später durch den IG-Vertrag, welcher auch die Ausübung der Stimmrechte in der ÖVAG-Hauptver sammlung regelte. Die Volksbanken waren zu diesem Zweck in regionale Untersyndi kate gegliedert, in denen die Vorbespre chung der wesentlichen verbindlichen Entscheidungen erfolgte.
Im Juli 2001 wurde die Volksbank Wien AG gegründet. Sie ging aus der Zusammen führung des Filialbetriebs der ÖVAG und der Volksbank in Wien und Klosterneuburg GenmbH hervor. Das neue Institut wurde damit zur größten Volksbank mit rund 300 Mitarbeitern und 35 Filialen. An diesem Beispiel wurden die Checks & Balances zwischen der ÖVAG und dem ÖGV sichtbar: Der Vorstand der Volksbank Wien und Klosterneuburg bot der ÖVAG zur Adjustierung des Marktes Wien die Fusion mit der ÖVAG an, wenn im Gegenzug dafür ein Vorstandsmandat in der ÖVAG an ihn gehen würde. Der ÖGV wiederum drängte im Sinne der genossenschaftlichen Viel falt auf den Erhalt einer selbstständigen B ank als Tochter der ÖVAG. Deshalb wur de dann der bis dahin bestehende Filial bereich der ÖVAG in eine neu gegründete AG ausgebracht. Gleichzeitig brachte die Volksbank Wien und Klosterneuburg ihren Bankbetrieb ebenfalls in diese AG aus. Die Volksbank Wien als mehrheitlich geführte Tochter der ÖVAG war entstanden. Es verblieb die Frage, wer für die Prüfung dieser AG zuständig sein soll: Die ÖVAG sah sie als Konzerntochter und daher den Wirtschaftsprüfer der ÖVAG als zuständig an, während der ÖGV aufgrund der weiter hin als Minderheitsaktionär der Volksbank Wien existierenden Verwaltungsgenossen schaft den gesetzlichen Revisionsauftrag des ÖGV als gegeben ansah. Die ÖVAG gab in dieser Frage aus sektorpolitischer Räson nach, weil ihr ohnehin die Entwicklung der CEE-Töchter wichtiger und ertragreicher schien als die Konkurrenz mit den Volks banken am österreichischen Markt. Dieser Gedanke spielte eine nicht zu unterschät zende Rolle, zumal die ÖVAG schon aus anderen Sanierungsfällen, die nicht über den Gemeinschaftsfonds abgewickelt wurden, zwei weitere LandeshauptstadtVolksbanken in Linz und Klagenfurt führte. Die Diskussion über Übernahmegelüste der ÖVAG in Hinblick auf andere Volks banken in Österreich galt es aus Sicht des ÖVAG-Vorstandes zu vermeiden.
DIE ENTSTEHUNG DER VOLKSBANKEN HOLDING
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Während diese Diskussionen hauptsäch lich unter den Volksbanken mit dem ÖGV geführt wurden, war die Rechtsform eine, in die sich der Vorstand der ÖVAG stark ein brachte. Sie wurde zum Teil wie eine Glau bensfrage geführt, weil die ÖVAG mit dem Argument der Kapitalmarktfähigkeit eine AG favorisierte, während der ÖGV-Vorstand
Die neue Wort-Bild-Marke wird ab 2006 breit ausgerollt – im Bild: Volksbank-Filiale in Tauplitz
– vor allem wegen der flexiblen Gestaltungs möglichkeit der Satzung (Stichwort Kurien system) – eine Genossenschaft favorisierte. Die Entscheidung fiel dann auch zugunsten der Genossenschaft, und der ÖGV wurde zuständiger Revisionsverband. Dadurch er hielt er die Möglichkeit, auch die ÖVAG (die an sich aufgrund der UGB-Bestimmungen von einem Abschlussprüfer zu prüfen war) gemäß GenRevG einer Gebarungsprüfung zu unterziehen, weil diese durch die Hol dinggenossenschaft eine mehrheitlich von einer Genossenschaft dominierte Tochter gesellschaft wurde.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV76 nachgebildet und die Generalversammlung in sogenannte Kurien (angelehnt an die Uni versitätsverfassung) gegliedert. Hauptkonfliktpunkt wurde dann die Frage, ob bestimmte Beschlüsse der Einstimmig keit unterworfen werden sollen, insbeson dere jene über die Aufnahme von Darle hen durch die Holding. Befürchtet wurde nämlich, dass die bisher jedes Mal sehr langwierige Diskussion über eine Kapital erhöhung bei der ÖVAG durch eine (teil weise) kreditfinanzierte Kapitalerhöhung erleichtert werden könnte. Obwohl mit der Einstimmigkeit immer untrennbar das „Diktat des Einzelnen“ verbunden ist, wur de schlussendlich dieser Punkt der Ein stimmigkeit unterworfen, um das Projekt realisieren zu können.
2001 erfolgte dann zunächst die Gründung einer GmbH, die Einbringung der Aktien und in der Folge am 6. Dezember 2002 die Umgründung in eine Genossenschaft, die bis heute bestehende Volksbanken Holding eGen. Die Vertreter jeweils einer Kurie bil deten zunächst den Vorstand, Aufsichtsrat wurde keiner eingerichtet, alle Volksbanken und einzelne Waren- und Dienstleistungs genossenschaften bildeten die in acht Ku rien untergliederte Generalversammlung.
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• D er ÖGV erbrachte bestimmte Dienst leistungen und repräsentierte in den Be reichen Marketing und Organisation den Verbund nach außen.
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Die Wertpapierverwaltung und -abwick lung wurden durch die VB KAG erbracht.
• Das Immobilienleasing wurde durch die Immoconsult-Gruppe angeboten, die Immobilienvermittlung durch die ImmoContract.
• Dienstleistungen für den Backoffice-Be reich (Zahlungsverkehr, Handelsabwick lung, Logistik, Verlagsprodukte) erfolg ten durch die BOG.
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• Für die Aus- und Weiterbildung war die Volksbank Akademie verantwortlich.
D er ÖGV forderte weiterhin die Schaffung von Verbundnormen, die für alle dezentralen Sektoren anwendbar sind, um auch dem Volksbanken-Sektor eine entspre chende Verbunddarstellung zu ermögli chen, wenn er sie nutzen will. Angesichts der zunehmenden Regulierung, der Schaf fung einer europäischen Aufsichtsbehör de, der steigenden Bedeutung von interna tionalen Ratings für alle am Kapitalmarkt vertretenen Akteure und damit auch für die Genossenschaftsbanken sowie des zu nehmen Kostendrucks konnte eine gesetz liche und regulatorische Möglichkeit zur vertieften Zusammenarbeit und Arbeitstei lung nur von Vorteil sein. Da dieses Thema im Sektor jedoch kon troversiell diskutiert wurde, richtete man im Jahr 2003 einen Werteausschuss ein, der einige Modelle prüfte – etwa jenes der Primärbankenkonsolidierung, der einheit lichen Aufsicht oder einer Kreditinstituts gruppe wie im Sparkassen-Sektor. Da die Vertreter bei all diesen Modellen eine Ein schränkung der Souveränität sahen, wurde am Sprechtag 2003 beschlossen, sie nicht weiter zu verfolgen. Um die Anforderun gen für ein Verbundrating doch erfüllbar zu machen, wurde vom ÖGV das Modell einer gemeinsamen Haftungsgesellschaft vor gestellt, dieses sollte weiter ausgearbeitet werden. Dass die ÖVAG in dieser Zeit eben falls gegen jedes Verbundmodell war, war strategisch wenig verwunderlich, zumal so einem Konflikt mit den Volksbanken aus dem Weg gegangen wurde und harmoni siert auftretende Volksbanken als Eigentü mer nicht in ihrem Sinne waren. Während ein solches sektorinternes Er gebnis der Interessenabwägung verständ lich war, zeigten sich parallel dazu an der internationalen Diskussion, die in dieser Zeit losbrach, die wahren Kräfte, die sich gegen die Genossenschaftsbanken for mierten und auf die Antworten zu geben waren. Immer lauter wurden Stimmen, die offen Kritik an dezentralen Bankstrukturen innerhalb Europas vorbrachten: So wurde behauptet, dass Genossenschaftsbanken ein Hindernis für die Rentabilität des Ban
• Die Anlageberatung und Vertriebsunter stützung erfolgte durch die VB Consul ting AG.
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• Die ABV erbrachte alle Leistungen rund ums Bausparen.
Der ÖGV hatte die Primärgenossenschaf ten erfolgreich mit seinen Verbundein richtungen vernetzt, ohne die Selbststän digkeit der Volksbanken zu gefährden.
• In der VB-Investmentbank erfolgte die Bündelung der Investmentaktivitäten.
• Für die verbundweite EDV war das ARZ Dieseverantwortlich.Aufstellung war jedoch den Entwick lungsströmungen national wie auch inter national ausgesetzt. Daher hatte der ÖGV sehr aufmerksam die Entwicklungen der Verbundbildung auf europäischer Ebene verfolgt und in der EACB insbesondere mit der holländischen Rabobank die Vor- und Nachteile für den Genossenschaftssektor diskutiert. 2002 sprach sich der ÖGV an gesichts der gesetzlichen Regelung für die Sparkassen (§ 30 Abs 2a BWG) für die Schaffung der gesetzlichen Möglichkeit der Primärbankenkonsolidierung (statt der Sparkassen-Konzernierung) aus. Eine Um setzung ins BWG erfolgte jedoch nicht.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 77 EINSATZ FÜR EINEN DEZENTRALEN VERBUND
D er Volksbanken-Verbund hatte auf Basis seiner vertikal integrierten, dezentralen Struktur eine abgestimmte Geschäfts-, Markt-, Dienstleistungs-, Produkt- und Ver triebspolitik festgelegt. Es gab eine klare Aufgabenverteilung:
Das Spitzeninstitut und die Kommerz bank mit Auslandsnetzwerk war die ÖVAG.
Sie leisten Pionierarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung einer Corporate Social Responsibility.
Wie wichtig die Aktivitäten des ÖGV und der EACB waren, zeigte sich unter anderem, als 2007 der Internationale Währungsfonds ein Working Paper pub lizierte, das die Einschätzung des ÖGV unterstrich. Die Autoren kamen zur Er kenntnis, dass ein höherer Anteil an Ge nossenschaftsbanken die Stabilität der B ankensysteme sogar hebe. Dies resul tiere aus der geringeren Volatilität der Er gebnisse, was die Nachteile der relativ ge ringeren Profitabilität und Kapitalisierung übersteige. Dabei spiele eine wesentliche Rolle, dass Genossenschaftsbanken in Krisenzeiten die Gewinne thesaurieren können. Die These, dass ein höherer Marktanteil von Genossenschaftsban ken Kommerzbanken schwächen würde, konnten die Autoren in ihrer empirischen Studie nicht nachvollziehen.
Angesichts der generell zunehmenden Bedeutung von Eigenmitteln im Bankge schäft und des sektorinternen Bedarfs auf grund des Erwerbs des Investkredit-Kon zerns ergriff der ÖGV 2006 die Initiative, um eine verbundweite alternative Kapital
• Genossenschaftsbanken unterstützen das Wachstum in regionalen Wirtschafts kreisläufen, sie stärken lokale Netzwerke und sind eng mit lokalen Gemeinschaf ten verbunden.
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• G enossenschaftsbanken ermutigen ihre Mitglieder, die gleichzeitig Kunden sind, aktiv Einfluss auf die langfristi ge Ausrichtung des Unternehmens zu n ehmen. Dadurch erhalten Genossen schaftsbanken auch unmittelbar wert volle Informationen über die Präferen zen und den Bedarf ihrer Kunden.
• Aufgrund der Solidität leisten Genossen schaftsbanken einen Beitrag zur Stabili tät und Wettbewerbsfähigkeit des euro päischen Finanzsystems und schaffen zugleich ein hohes Maß an Vertrauen. Die Bedeutung der integrierten Zusam menarbeit im Verbund betonte Präsident Werner Eidherr anlässlich des Genossen schaftstages 2005, der sich dem Thema „Globale Finanzen versus regionale Iden tität“ widmete. Er hob „die Einheit im Ver bund“ als Erfolgsfaktor hervor. Die Volks banken könnten sich in Zukunft nur im Verbund bewähren, daher sollten auch genossenschaftliche Funktionäre – insbe sondere die Aufsichtsräte – als Bindeglied z wischen Bank und Kunde näher an den Verbund herangeführt werden.
In einer Arbeitsgruppe im Rahmen der EACB arbeitete der ÖGV an einem Posi tionspapier mit, in dem die Bedeutung der Genossenschaftsbanken herausgestri chen wurde. Hier einige der Argumente, die heute noch Gültigkeit haben:
• Ihre langfristige Orientierung ermöglicht die Förderung von Werten, die weit über den rein finanziellen Erfolg hinaus gehen.
• Aufgrund der Kundennähe sowie der regionalen Verankerung können die Ge nossenschaftsbanken den Bedarf und die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden umfassen der und unter Einsatz geringerer Ressour cen als ihre Wettbewerber beurteilen.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV78 kensektors darstellten, da ihre Geschäfts politik nicht auf Gewinn ausgerichtet sei und dies die Wettbewerber zwinge, ihre Gewinnspannen ebenfalls zu reduzieren oder sich vollständig vom Markt zurück zuziehen. Dies sei also insgesamt für die Rentabilität des Bankenmarktes abträg lich. Die Gewinnspannen und Eigenkapi talrenditen seien in Ländern, in denen die Genossenschaftsbanken den Markt domi nieren, demzufolge zu niedrig. Der ÖGV trat diesen Aussagen schon 2004 ent schieden entgegen und betonte die Vortei le des genossenschaftlichen Wirkens im B ankbereich. Er erreichte die Einrichtung einer eigenen Arbeitsgruppe in der EACB. Ende 2004 feuerte dann auch die EUKommission diese Diskussion durch die Vorlage einer Analyse der aus ihrer Sicht maßgeblichen Hemmnisse für grenz überschreitende Fusionen in Europa an. Hauptproblem sei das Fehlen von grenz überschreitenden Synergieeffekten auf der Kostenseite, die wiederum auf die mangelnde Integration des Binnenmarktes und die unterschiedlichen nationalen Vor schriften zurückzuführen seien.
BREITE BETEILIGUNG AM VOLKSBANK-ERFOLGSANTEILEVERBUND:
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 79 aufbringung zu organisieren. Strategisch gesehen wurde durch dieses Instrument neben der Innenfinanzierung, dem Verkauf von Geschäftsanteilen und der individu ellen Emissionstätigkeit eine zusätzliche Form der Kapitalaufbringung geschaffen, bei der den Kunden eine Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg des gesamten Ver bundes angeboten werden konnte.
NEUES RISIKOMANAGEMENT AB 2002 Das Jahr 2002 brachte durch den ÖGV eine neue Risikomanagementanwendung für die Volksbanken. Dazu wurde ein Da tenbankprogramm zur Verarbeitung neu spezifizierter Risikomanagementdaten programmiert und ein Analyseprogramm entwickelt, mit dem sämtliche Risikoma nagementdaten der Vorjahre analysiert und ausgewertet werden konnten.
Die Volksbank Quadrat Bank AG (VB2) wur de gegründet, sie stand über die Volksban ken Holding zu 100 Prozent im Eigentum der Volksbanken. Der von der VB2 emit tierte Erfolgsanteil wies Kernkapital-/Tier1-Qualität auf. Als Vertriebsschiene für den Volksbank-Erfolgsanteil agierten die Volks banken, die das Partizipationskapital ihren Kunden, vorzugsweise den Mitgliedern, anboten. Die VB2 beteiligte sich dann in der Höhe des durch die lokale Volksbank be triebenen Emissionsvolumens an der jewei ligen lokalen Volksbank ebenfalls in Form von Partizipationskapital. Ungelöst blieb das Problem des Sekundärmarktes: Schon damals wurde auf das unerwünschte Sze nario des Angebotsüberhangs hingewie sen, bei dem die Gefahr bestand, dass das Vertrauen der Kunden in das emittierende Unternehmen beschädigt werden könnte.
Aufgrund der Ergebnisse des Konsultati onsprozesses zum Baseler Akkord, die mit dem Kreditrisiko und Zinsänderungsrisiko zwei zentrale Risikofaktoren der Volksban ken betrafen, wurde 2003 die Entschei dung getroffen, die Umsetzung des einfa chen Standardansatzes als wirtschaftlich vernünftigste Lösung vorzubereiten. Ob wohl die ÖVAG einen internen Ratingan satz (IRB) verfolgte, begleitete der ÖGV das gemeinsame Basel-II-Projekt, damit aus Synergie- und damit Kostenüberlegungen so lange wie möglich ein gemeinsamer Weg bestritten werden konnte.
Werner 2001ÖGV-PräsidentEidherr:vonbis2012 VON 1997 BIS HEUTE
Im Kreditrisikomanagement stand hierbei die Entwicklung von Ratinginstrumenten im Vordergrund. Bereits 2004 waren den Kundenbetreuern, den Entscheidungsträ gern und den Unternehmensführern der Volksbanken sieben Ratinginstrumente (Unternehmen, Privatkunden, EinnahmenAusgaben-Rechner, Existenzgründer, Im mobilienprojekte, Gemeinden und sonstige Kunden) eine wertvolle Orientierungshilfe und ab 2007 für die Volksbanken eine Grund lage für den regulatorischen Standardansatz sowie für die ÖVAG eine für den IRB-Ansatz. 2006 wurde mit „RiWa“ (RiskWarehouse) ein Programm zur automatisierten Berech nung der Eigenmittel für Basel-II-Säule 1 (Kreditrisiko) entwickelt. Im Bereich des Zinsänderungsrisikos wurde großes Augen merk auf die zukünftige Steuerung im AktivPassiv-Management gelegt und die Soft ware-Entscheidung für SAP/SEM für 2004 aufbereitet. Sinkende Marktzinssätze und steigender Konkurrenzdruck schwächten die Ertragsquellen der Banken im Aktiv- wie Passivgeschäft durch Margenerosion. Des halb war es wichtig, neben entsprechenden zielgerichteten Vertriebsaktivitäten neue er tragreiche Geschäftsfelder zu erschließen, et wa auch Ergebnisse durch zielgerichtete und bewusste Fristentransformation zu er wirtschaften. Zur Steuerung des opera tionellen Risikos wurde 2003 erstmals eine Schadensfalldatenbank eingerichtet.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV80 2008 – 2015 Die Zeit der Rezession VON 1997 BIS HEUTE
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Mit voller Härte traf ab 2008 die Finanzkrise, die gravierende Auswirkungen auf Weltwirtschaft, Staaten, den Euro und Banken hatte, auch den VolksbankenVerbund. Begleitet wurde sie von sich verschärfenden regulatorischen Rahmenbedingungen. Vorstände, Geschäftsleiter und ehrenamtliche Funktionäre konnten nicht glauben, wie sich die Schwierigkeiten der ÖVAG auf jede einzelne Volksbank und schließlich auch auf den ÖGV übertrugen. von RAINER BORNS
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Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab 2008 waren von einer weltweiten Rezes sion gekennzeichnet, welche aber nicht die USA, die durch die Subprime-Krise Auslöser der Finanzkrise waren, am stärksten traf. Der Euroraum und vor allem Deutschland waren mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 5,6 Prozent doppelt so stark, die mittelund osteuropäischen Staaten zum Teil noch stärker, am stärksten die Ukraine mit minus 15 Prozent betroffen. Hier hatte die ÖVAG noch 2006 eine Bank erworben und auch über andere Tochtergesellschaften wie Investkredit oder Europolis Engagements in den Büchern. Die wirtschaftlichen Hinter gründe für diese Entwicklung, die für das schwierige und im Endeffekt unmögliche Unterfangen, die ÖVAG wieder auf Kurs zu bringen, hauptausschlaggebend waren, sind vielfältig und lassen sich wie folgt zu Imsammenfassen:Jahr2007führte das Auslaufen der an fänglichen Tilgungsfreiheit von zahlreichen Wohnbaukrediten zu zunehmenden Zah lungsausfällen bei solchen Krediten in den USA (Subprime). Dies belastete zunächst die US-Banken, bald jedoch auch global tätige Geldinstitute und in weiterer Folge das welt weite Bankensystem. Eine wichtige Rolle spielten dabei Kreditverbriefungen, die auf grund ihres vermeintlich geringen Risikos von Banken und anderen institutionellen Investoren weltweit gekauft worden waren. Als im Frühjahr 2007 die Ratingagenturen ihre Risikoeinschätzung für viele verbriefte Wertpapiere massiv korrigierten, stieg die Unsicherheit stark an. In den Sommermo naten 2007 führten existenzielle Probleme Auf die Subprime-Krise 2007 folgten die Vertrauenskrise 2008, die Wirtschaftsund B ankenkrise 2008/09 und schließlich ab 2010 die Staatsschuldenkrise.“
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Volksbanken bildeten mit der ÖVAG einen Kreditinstitute-Verbund nach § 30a BWG, um so gemeinsam die Zukunft des Sektors sicherzustellen. Der ÖGV musste dabei eine Reihe von Aufgaben, die er bislang für die Volksbanken erbracht hatte, auf die ÖVAG in ihrer Funktion als Zentralorganisa tion des neuen Verbundes übertragen. Er hatte damit frühzeitig, wenn auch zunächst vielfach unbeachtet, eine Restrukturierung seiner Aufgaben zu organisieren.
DIE FINANZKRISE TRIFFT VOLKSBANKEN-VERBUNDDENHART
Die Entwicklung des Volksbanken-Verbun des in dieser Periode hatte auch für den ÖGV unmittelbare Auswirkungen. Da sich insbesondere im Jahr 2012 infolge der Bil dung des Kreditinstitute-Verbundes die Aufgaben des Verbandes änderten, kann man diese Zeitspanne in zwei Phasen unterteilen: Von 2008 bis 2012 versprühte der ÖGV nach den Verhandlungen über die Abgabe der Kommunalkredit, die Aufnah me des staatlichen Partizipationskapitals sowie nach der Neubesetzung der ÖVAGGremien durchwegs Optimismus, was die Bewältigung der Finanzkrise betrifft. Er setzte sich für eine selbstbestimmte wirt schaftliche Lösung für den Sektor ein. Nachdem sich diese Hoffnung auf eine eigenständige Lösung aufgrund der ein setzenden Staatenkrise und deren negati ven wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Bilanz der ÖVAG letztendlich zerschlagen hatte, setzte die zweite Phase zwischen 2012 und 2015 ein: Das Setup des Volks banken-Sektors änderte sich grundlegend. Die Republik Österreich beteiligte sich mit knapp 50 Prozent an der ÖVAG, und die
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Der ÖGV-Vorstand bei der Jahrespressekonferenz 2011
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 83 bei mehreren Hedgefonds und geldmarkt nahen Investmentfonds sowie erste krisen hafte Entwicklungen bei einzelnen europäi schen Banken zu einer Vertrauenskrise auf den Finanzmärkten. Diese wurde von der Unsicherheit über die Verteilung und Kon zentration von Kreditrisiken und über noch nicht realisierte Verluste bzw. stille Lasten bei einzelnen Banken genährt. Weltweit reagierten die Notenbanken mit konventionellen geldpolitischen Maßnah men – sie senkten die Zinsen, in den USA und Großbritannien schon 2007, im Euro raum ab Ende 2008. Im Europa stellte das Austrocknen des Interbankenmarktes das Eurosystem vor eine zusätzliche Heraus forderung. Um die Banken mit ausreichend Liquidität zu versorgen, ging die EZB – welt weit als erste Zentralbank – ab 2007 dazu über, zu einem fixen Zinssatz Liquidität in unbegrenztem Ausmaß zu vergeben. Dies stellte eine große Systemänderung zum bisherigen Mengentender-Verfahren dar, bei dem die Zentralbankgeldmenge direkt gesteuert wurde. Auf EU-Ebene akkordier te Bankenpakete flankierten die Bemühun gen der Geldpolitik zur Gewährleistung der Finanzmarktstabilität. Das österreichische Bankenrettungspaket war mit einem Ge samtrahmen von 100 Milliarden Euro do tiert. OeNB und FMA setzten eine Initiative zur Eindämmung von Fremdwährungskre diten, die im Herbst 2008 de facto zu einem Verbot solcher neuen Kredite für Haushalte mit währungsinkongruentem Einkommen in Österreich führte.
8–9/2007 2/20085–6/20087–8/2008 9–12/2008 USA American Home NetAmeriquestGroupManageSentinelMortgagementBank ABN Financial First BearBankIntegrityStearns IndyMac Bank First IntegrityCompanyBankColumbianBankFirstBankNationalofNevadaHeritageandTrustBank Fannie WachoviaGoldmanMorganMutualWashingtonMerrilAmeribankAIGBrothersLehmanFreddieMaeMacLynchStanleySachs EUROPA Northern Rock Roskilde BankBradford and RoyalEstateHypoDexiaFortisBingleyRealBank of KommunalkreditScotland BANKENPLEITEN UND -RETTUNGEN IN EUROPA UND DEN USA WÄHREND DER FINANZKRISE VON 1997 BIS HEUTE
Als dann am 15. September 2008 die USamerikanische Investment Bank Lehman Brothers Insolvenz anmeldete, spitzte sich die Lage zu. Die Risikoprämien stiegen deutlich an, Kreditlinien wurden gestrichen oder gekürzt, und es setzte eine Flucht in liquide Wertpapiere erstklassiger Bonität wie beispielsweise in US-amerikanische
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EURO- UND SCHULDENKRISE IN EUROPA Um der Rezession entgegenzuwirken, wur den in allen Ländern des Euroraums Kon junkturpakete geschnürt. Zusammen mit geringeren Steuereinnahmen trieben die steigenden Ausgaben aufgrund zuneh mender Arbeitslosigkeit und Ausgaben für Bankenrettungen die Staatsschulden deutlich in die Höhe. In Spanien und Ir land verdreifachte bzw. vervierfachte sich die Staatsschuldenquote in nur wenigen Jahren. In der Folge begannen die Finanz märkte, auf einen Staatsbankrott sowie den Austritt einzelner Länder aus dem Euroraum zu spekulieren. Die Renditen für Staatsanleihen stiegen in diesen Ländern stark an. Die Kurse der in A-Depots befind lichen Anleihen verfielen. Auch Österreichs Staatsverschuldung stieg an, verursacht unter anderem durch Bankenrettungsmaß nahmen und Konjunkturpakete infolge des Wirtschaftseinbruchs. Die Schuldenquote wuchs von rund 65 Prozent des BIP vor der Krise auf bis zu 85 Prozent an. In den Jahren 2010 bis 2013 erhielten Grie chenland, Irland, Portugal und Zypern vom IWF und der EU Kredite mit der Auflage strikter Spar- und Reformmaßnahmen. 2012 bekam Spanien eine finanzielle Unterstüt zung zur Sanierung des angeschlagenen Bankensektors. Auf europäischer Ebene wurden zunächst Rettungsschirme ein gerichtet, die dann im Juli 2013 im dauer haften Europäischen Stabilitätsmechanis mus (ESM), einem Auffangmechanismus für Staaten in finanziellen Schwierigkeiten, aufgehen sollten. Allerdings konnte dieses Maßnahmenpaket allein den Anstieg der Anleiherenditen nicht stoppen: In Grie chenland wurden Anfang 2012 Höchst werte von bis zu 37 Prozent erreicht, in Portugal 16 Prozent, in Italien und Spanien 7,5 DieProzent.Trendumkehr gelang im Sommer 2012: In einer Rede im Juli kündigte EZB-Prä sident Mario Draghi an, dass die EZB alles Nötige tun werde, um die Währungsunion zu erhalten („Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro“). Er signalisierte damit, dass das Eurosystem notfalls in großem Ausmaß Staatsanleihen von Ländern unter finan ziellem Druck ankaufen würde. Im Oktober folgte der formelle Beschluss des kulationenDiesesMonetary-Transactions-ProgrammsOutright-(OMT).stelltesichdamitentschiedenSpeüberdasAusscheideneinzelner
Die ursprünglich vom Finanzsektor aus gehende Krise weitete sich 2009 zu einer weltweiten Wirtschaftskrise aus. Diese führte 2009 zur größten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren. Traditionelle wirtschaftspolitische Maßnah men verhinderten einen längeren und tie feren BIP-Rückgang. Im Euroraum ging die Wirtschaftsleistung 2009 um 4,5 Prozent zurück. Österreich war von der Rezession weniger stark betroffen als andere Länder, das BIP ging 2009 jedoch ebenfalls um 3,2 Prozent zurück. Obwohl nicht direkt betroffen, konnten sich die österreichischen Banken nicht dauer haft der Vertrauenskrise entziehen. Vor al lem ihr starkes Engagement in Zentral-, Ostund Südosteuropa stand unter besonderer – teilweise undifferenzierter – Beobachtung internationaler Investoren. Der Druck zur Stärkung der Risikotragfähigkeit, sprich des Eigenkapitals, erhöhte sich. Wenn auch 2010 eine allgemeine Erholung weltweit und im Euroraum einsetzte, verlief die Entwicklung in Zentral- und Osteuro pa deutlich schlechter: Viele der dortigen Staaten blieben entlang der Nulllinie oder fielen erneut in eine Rezession. Aber auch im Euroraum sieht man, dass sich 2011 das Wirtschaftswachstum mit Fortdauer des Jahres eintrübte und 2012 wieder in einen Wirtschaftsrückgang mündete. In Deutsch land und Österreich reduzierte sich das Wachstum auf 0,7 Prozent.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV84 oder deutsche Staatsanleihen ein. Dadurch kamen viele Banken und Finanzinstitute massiv unter Druck. Am 10. Oktober 2008 setzte die Wiener Börse den Handel we gen Marktverwerfungen aus, um den ATX zu schützen. Wenn auch Marktteilnehmer empört reagierten und drohten, das Listing abzuziehen, trug dieser Schritt zur Beruhi gung bei. Die FMA hatte kurzfristig in der Früh die Änderung der Handelsbedingun gen genehmigt, mit der diese Aussetzung möglich wurde.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 85 Länder aus dem Euroraum entgegen. Das OMT hatte eine so hohe Glaubwürdigkeit, dass die Anleiherenditen nachhaltig zu sin ken begannen, ohne dass es tatsächlich ak tiviert werden musste. International führten die ersten Lehren aus der Finanzkrise zu einem Mix aus ver schärfter Regulierung und verstärkter Auf sicht. Die Stärkung der Widerstands- und Risikotragfähigkeit der Banken – vor allem durch eine höhere und bessere Eigenmit telausstattung sowie strengere Liquiditäts vorschriften – war Kernelement von Basel III. Das 2011 neu errichtete Europäische Finanzaufsichtssystem umfasste vier neue Institutionen: den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) sowie weitere Aufsichtsbehörden für Banken (EBA), Ver sicherungen (EIOPA) und Wertpapiere (ESMA). Auf europäischer Ebene wurden maßgebliche Schritte gesetzt, um die ge genseitige Abhängigkeit von öffentlichen Finanzen und Banken zu entflechten. Mitte 2012 beschlossen die Staats- und Regie rungschefs des Euroraums die Errichtung einer Bankenunion, die einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), ein einheitli ches Sanierungs- und Abwicklungsregime (SRM) sowie ein harmonisiertes Einlagen sicherungssystem (EDIS) umfassen sollte.
DIE ÖVAG IN DER KRISE
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Periode wurden deshalb etwas aus führlicher dargestellt, weil sie zeigen, dass die rasch aufeinanderfolgenden Wellen der Krise alle Versuche des neuen Manage ments, die ÖVAG zu retten, erschwerten.
Das Jahr 2008 begann für die ÖVAG noch wirtschaftlich erfolgreich: Ende Mai konn te eine Partizipationskapitalanleihe in der Höhe von 500 Millionen Euro am Kapital markt platziert werden, Mitte des Jahres wurde noch mit einem Jahresergebnis von über 200 Millionen gerechnet. Da inklusive der Kapitalemission zu diesem Zeitpunkt aufgrund des dynamischen Anstiegs der Be Spatenstich für die neue ÖVAG-Zentrale in der Wiener Kolingasse am 29. Mai 2008
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• Verhandlungen mit Investmentbanken zur Redimensionierung des ÖVAG-Kon zerns und damit zur Reduktion der Be messungsgrundlage aufgrund steigender Eigenmittelanforderungen mangels ex terner Kapitalaufbringungsmöglichkeiten des Verbundes
Gerald Wenzel übernimmt 2009 die Funktion ÖVAG-Generaldirektorsdes
• Verhandlungen mit den Vertretern der Republik Österreich, meist des Bundes ministeriums für Finanzen
VON 1997 BIS HEUTE
• die Beantwortung konzerninterner Frage stellungen • das Verarbeiten der negativen externen wirtschaftlichen und politischen Entwick lungen • die enge Kooperation mit den damals noch nationalen Aufsichtsbehörden
schon mit einer Reduktion der Kernkapital quote auf nur noch knapp über sieben Pro zent für den ÖVAG-Konzern gerechnet wur de, war die zukünftige Kapitalisierung der ÖVAG und damit des Verbundes schon vor Einsetzen der Krise ein offener Punkt. Als dann die mangelnde Interbank-Liquidi tät aufgrund der generellen Vertrauenskri se auf den Finanzmärkten zur Gefahr der Zahlungsunfähigkeit der Kommunalkredit führte, kam die Krise auch wirtschaftlich unmittelbar im Verbund an. Da die Kommu nalkredit nicht in das Liquiditätsmanage ment der ÖVAG einbezogen war, erfolgte die Entwicklung für die Gremien der ÖVAG Ende Oktober sehr überraschend. Die Verstaatlichung und Abgabe der B eteiligung an der Kommunalkredit am ersten November-Wochenende sowie die Verwerfungen am Kapitalmarkt – unter an derem Spread-Ausweitungen, Volatilitäten der Finanz- und Devisenmärkte, Abschrei ben von Lehman und isländischen Ban ken sowie Firmenwertkorrekturen – ver ursachten in der ÖVAG einen Verlust zum Jahresende von rund einer Milliarde Euro, der durch eine Aufwertung der RZB-Be teiligung (400 Millionen) noch etwas auf gebessert werden konnte. Die Töchter in Zentral- und Osteuropa leisteten zu diesem Zeitpunkt noch einen positiven Beitrag. Die Planung der ÖVAG für die Folgejahre ging von einer Beruhigung des wirtschaft lichen Umfeldes aus und zeigte wieder einen Jahresüberschuss nach Steuern von über 200 Millionen Euro. Das Vertrauen in Generaldirektor Franz Pinkl begann aber zu schwinden, als eine Verstaatlichung der ÖVAG (und damit wohl auch des Sek tors) befürchtet wurde. Wohl zurecht hatten die Vertreter der Aufsicht in den Gesprä chen festgehalten, dass „zu viele an zu vielen Strängen ziehen“. Um innerhalb des ÖVAG-Konzerns für eine geordnete Krisen bewältigung zu sorgen und das Vertrauen der Primärstufe in die ÖVAG wiederher zustellen, übernahm Gerald Wenzel Ende April 2009 als Generaldirektor gemeinsam mit dem Ende 2008 an Bord gekommenen Michael Mendel sowie Hans Hofinger als neuem Aufsichtsratsvorsitzenden in der wohl schwersten Zeit des Verbundes die Verantwortung nicht nur für die ÖVAG, sondern aufgrund der vielfältigen Verflech tungen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Volksbanken und der ÖVAG auch für die Entwicklung des gesamten DerSektors.Kampf um den Erhalt der Selbststän digkeit des Volksbanken-Sektors erforderte die Bearbeitung offener Themenfelder wie zum Beispiel:
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV86 messungsgrundlage (Risk weighted assets, RWAs) von 38,5 auf 46 Milliarden Euro aber
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Die Aufnahme von einer Milliarde Euro Par tizipationskapital neben der Emission von in Summe drei Milliarden Euro an staatlich garantierten verbrieften Verbindlichkeiten im Rahmen des Finanzmarktstabilitätsge setzes 2008 war in dieser Situation schluss endlich unumgänglich. Da der ÖGV wegen der Kuponzahlungen von Anfang an auf die extreme Belastung der Innenfinanzie rung der ÖVAG hinwies, erfolgten intensive Überlegungen und die Suche nach Alter nativen nun in enger Kooperation zwischen der ÖVAG und dem ÖGV, der Rainer Borns in all diese Gesprächen und Verhandlungen 2009entsandte.ging es im Wesentlichen um zwei Stränge: Einerseits wurde das vom ÖGV im November 2008 entwickelte Projekt „Region“ umgesetzt, in dem die Volksban ken zur Entlastung der RWA und damit zur Kapitalstärkung der ÖVAG die inländischen Retailbanken – also die Volksbanken Wien, die Volksbank Linz-Mühlviertel, die Ärzte bank und die Immobank – abkauften. Die Strukturierung der Erwerbsvorgänge ge lang in kürzester Zeit, und so konnte noch rechtzeitig vor dem Jahreswechsel 2009/10 das Closing der Transaktionen stattfinden.
Anfang Dezember 2010 präsentierte der ÖVAG-Vorstand die „Strategie 2015“ mit einem nachhaltigen Zukunftskonzept, des sen Hauptelement der Fokussierung auf ein risiko- und margenoptimiertes Kernge schäft war.
Durch diese Schritte kam es auch stra tegisch zur Klarstellung der zukünftigen Aufgabenverteilung im Verbund, dass die Volksbanken für das nationale Retailge schäft verantwortlich sein sollten. Weiters war vorgesehen, das Mitgliederwesen bei den Banken auszubauen, um neues Kapi tal aufzubringen. Dies wurde insbesondere beim Erwerb der Ärztebank durch die neu gegründete Schulze-Delitzsch Ärztege nossenschaft umgesetzt, die in der Folge auch neue Mitglieder aus dem Berufsstand gewinnen konnte. In der Krise stellte dieser Vorgang auch einen Beitrag (eines Teils) der Aktionäre der ÖVAG dar – was im poli tischen Diskurs in dieser Zeit immer wieder gefordert worden war.
Mendel konnte in Umsetzung dieser Stra tegie zum Jahresende 2010 das Closing des Verkaufs der Europolis und damit eines Großteils des CEE-Immobilienportfolios der ÖVAG verkünden. Ein erster Meilenstein in der Redimensionierung der ÖVAG. Weitere strategische Schritte wurden im Aufsichts rat der ÖVAG beschlossen. Die Fusion der Investkredit mit der ÖVAG zur Hebung von Synergien, der Verkauf der VB Leasing International und die Prüfung der Abga be der RZB-Beteiligung wurden gestartet.
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Mit dem Jahresabschluss 2009 erfolgten wesentliche Korrekturen bei den angesetz ten Firmenwerten sowie die Rückgängig machung von erfolgten Aufwertungen von Projektgesellschaften der Vorjahre und der Beteiligung an der RZB aufgrund der wirt schaftlichen Entwicklungen insbesondere in Zentral- und Osteuropa. Die Erhöhung von Risikovorsorgen für den ehemaligen Investkredit-Konzern führte zu Verlusten von in Summe 1,5 Milliarden Euro für die Jahre 2008 und 2009. Damit waren diese fast dreimal so hoch wie die Ergebnisanteile der Jahre 2005 bis 2007 für den VolksbankAG-Konzern (rund 590 Millionen Euro). Parallel arbeitete das Management an der Neuaufstellung der ÖVAG. Dabei wurden auch gemeinsam mit dem ÖGV neue Part nerschaften evaluiert, um den Bestand des Spitzeninstituts und die Leistungsfähigkeit der Volksbanken abzusichern. Gespräche mit der BAWAG und deren Eigentümern wurden jedoch im Frühjahr 2010 aufgrund unterschiedlicher organisatorischer und strategischer Vorstellungen beider Häuser eingestellt. Aufgrund der erfolgreichen Um setzung des Projekts „Region“ und eines positiven Ausblicks für 2010 verbreitete Generaldirektor Wenzel im ersten Quartal 2010 zusätzlichen Optimismus, indem er ankündigte, dass „auf Konzernebene der Turnaround geschafft ist“. Die Strategiefindung führte zur Neuaus richtung der ÖVAG als Mittelstandsbank für Österreich und angrenzende Staaten.
In dieser Zeit intensivierten sich die Ge spräche über eine Kapitalmaßnahme bei der ÖVAG unter den Volksbanken und mit den anderen Eigentümern. Da Letztere an der Bewältigung der Folgen der Finanzkrise auf ihre eigenen Konzerne arbeiteten, stan den sie einer Erhöhung ihrer Investments skeptisch gegenüber. Die Volksbanken
Das Unterlassen von Kuponzahlungen auf aufgenommene Eigenmittel brachte Span nungen am Kapitalmarkt und löste Druck auf das ÖVAG-Rating aus. Umso bemer kenswerter ist es, dass es Mendel trotz des widrigen Umfeldes noch gelang, den Verkauf der Volksbank International an die russische Sberbank am 8. September 2011 zu finalisieren und am 15. Februar 2012 zum Closing zu bringen. Zum Jahresende musste aber der Beteili gungsbuchwert an der beim Verkauf der VBI zurückgebliebenen Volksbank Roma nia auf null gesetzt werden (–300 Millionen Euro). Angesichts des widrigen wirtschaft lichen Umfelds im zweiten Halbjahr 2011, insbesondere der Folgen der Staatsschul denkrise, kam es zu einer Reihe von weite ren Sondereffekten bei der Bilanzierung der ÖVAG wie: sinkende Zinsmarge in CEE Bewertung und Entkonsolidierung der Volksbank Romania Firmenwertabschreibung bzw. Abwer tung der Marke der Investkredit Marktreaktionen auf die Staatsschulden krise durch höhere Volatilitäten bei Deri vaten im Handelsergebnis Ausweitung der Credit Spreads, die zu einer Wertberichtigung der GriechenlandAnleihen führte Einführung der Bankensteuer Verkauf von Immobilienprojekten unter dem Buchwert, Abwertung von Invest ment-Property-Vermögenswerten Abwertung von Partizipationskapital an der Kommunalkredit Scheitern der geplanten Veräußerung der Tochtergesellschaften und der RZB-Betei
Ein trübung der wirtschaftlichen Rahmen bedingungen im Jahr 2011 konnten diese Schritte nicht mehr realisiert werden. Da sich gerade in den CEE-Staaten das wirt schaftliche Umfeld nicht stabilisierte, wa ren die Märkte und die Investoren in solche Assets sehr zurückhaltend, was die ange stoßenen Verkaufsprozesse immer wieder verzögerte und eine Reihe von negativen Folgen auslöste: Die verringerte Ertrags lage bei diesen Assets durch niedrigere Zinserträge und steigende Risikovorsor gen erforderte Korrekturen der Buchwerte in der ÖVAG. Dadurch sanken die Ergeb nisse bzw. waren Verluste auszuweisen.
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Werbung der Volksbank International im Jahr 2008
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV88 hingegen beschlossen im April 2011 eine Kapitalerhöhung über 300 Millionen Euro zur Rückführung der ersten Tranche staat lichen AufgrundPartizipationskapitals.derneuerlichenmassiven
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Dieligungdringend notwendige und vor allem rechtzeitige finanzielle Stärkung der ÖVAG blieb aus. Daher hatten auch die Volks banken als Eigentümer, nachdem sie erst malig 2009 ihre Buchwerte an der ÖVAG korrigiert hatten, zum Jahresende 2011 ein
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Für eine Unterstützung der Republik, sei es durch Zustimmung zu einem Kapital schnitt oder auch durch aktive kapitalunter stützende Maßnahmen, war weiters eine beihilferechtliche Genehmigung der EU er forderlich. Die Volksbanken als bisherige Ei gentümer waren von einer Leistung der Re publik unmittelbarer Profiteur in Form des Erhalts ihres Spitzeninstituts und dessen Leistungen, weshalb für die beihilferechtli che Rechtfertigung eine Eigenleistung der Volksbanken bzw. deren Eigentümer erfor derlich war und gesucht wurde. In tage- und nächtelangen Verhandlungen des ÖGV als Vertreter der Volksbanken unter Beiziehung von Professor Waldemar Jud und Martin Wagner (KPMG) mit Vertretern des Finanz ministeriums konnte eine Verschmelzung der Volksbanken mit der ÖVAG verhindert, aber auch die Sorge, dass die Volksbanken die ÖVAG einfach der Republik übergeben, ausgeräumt werden. Die Lösung bestand in der Schaffung einer neuen gesetzlichen Grundlage, durch die die ÖVAG mit den Volksbanken einen Kreditinstitute-Verbund nach § 30a BWG bildete. So rückten die ÖVAG und die Volksbanken in der Krise en ger zusammen und konnten den volkswirt schaftlichen Nutzen der Finanzierung aller Regionen Österreichs weiter erfüllen.
Am 27. Februar 2012 wurden dann, um Zweifel an der Fortführungsfähigkeit der ÖVAG aufgrund des Verlustes auszuräu men, von den Eigentümern und der Repu blik Österreich Stabilisierungsmaßnahmen beschlossen, die einen Kapitalschnitt von 70 Prozent, eine Rekapitalisierung der ÖVAG durch die Volksbanken und den Bund über 484 Millionen Euro sowie die Fusion der Investkredit mit der ÖVAG vorsahen.
Das fusionierte Institut übte in der Folge die Funktion einer Zentralorganisation in einem Verbund gemäß § 30a BWG (Primär banken-Konsolidierung, „Rabobank-Mo dell“) aus. Die Kapitalmaßnahmen wurden in der Hauptversammlung am 26. April 2012 beschlossen, wodurch das Eigenkapital für das Einzelinstitut bereits rückwirkend zum 31. Dezember 2011 erhöht wurde. Dadurch konnte die Tier-1-Quote der ÖVAG bezogen auf das Kreditrisiko zum Jahresende 2011 bei zehn Prozent (8,8 Prozent bezogen auf das Gesamtrisiko) stabilisiert werden.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 89 weiteres Mal Verluste aus der Beteiligung zu Aufgrundverkraften.der absehbaren negativen Aus wirkungen auf die Kapitalsituation der ÖVAG durch diese Effekte wurden bereits im Herbst 2011 Gespräche über die Folgen der mangelnden Abschichtung des Parti zipationskapitals begonnen. Da in diesem wirtschaftlichen Umfeld die Republik als einziger Stabilisator auftreten konnte, war zu beachten, dass ohne Lösung die ÖVAGAbwicklung und aufgrund der vielfältigen Leistungsbeziehungen zwischen ihr und den Volksbanken (insbesondere der ver anlagten Liquidität, die in diesem Fall be droht gewesen wäre) die Lebensfähigkeit des gesamten Sektors gefährdet gewesen wäre und auch das Einfordern der Haft summen von den Genossenschaftern im Raum stand.
DIE VOLKSBANKEN WACHSEN ERFOLGREICH IN IHREN REGIONEN
Die Schwierigkeiten, die sich nachhaltig in den CEE-Staaten als Korrektur des über mäßigen Wachstums der letzten zehn Jah re darstellten, gab es am österreichischen Markt in dieser Form nicht: Die Anzahl der Volksbanken verringerte sich durch eine Fusion auf 62, der Förderauftrag gegenüber den rund 800.000 Kunden wurde erbracht, das Finanzierungsgeschäft von knapp 17 auf 20 Milliarden Euro ausgeweitet und die entgegengenommenen Einlagen auf 22 Milliarden gesteigert. Die Ertragskraft (Betriebsergebnis/Bilanzsumme) lag auch in dieser Phase bei rund einem Prozent und betrug selbst 2012 noch 0,89 Prozent. Auch das Vertrauen der Kunden in die Primärstu fe war weiterhin ungebrochen, die Kunden zufriedenheit zeigte weiterhin die besten Werte in Österreich. Dem ÖGV vertrauten die Volksbanken die Verhandlungen gemeinsam mit der ÖVAG an. Manche Volksbank zweifelte zwar an der Überlebensfähigkeit des Verbundes, die Mehrheit aber gab sich kämpferisch und überzeugt, dass diese Krise gemein sam überwunden werden kann und in jedem Fall die Gefahr von Auswirkungen auf Kunden und Eigentümer, sprich Genos senschafter, abgewendet werden muss.
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Der Spielraum wurde jedoch angesichts der im Zuge der Bankenkrise erfolgten substanziellen Änderungen der aufsichts rechtlichen Spielregeln in der CRR/CRD, in der die regulatorisch erforderlichen Mindestkapitalquoten angehoben und die Anforderungen an die Qualität der als Ei Riesenerfolg für die Volksbank Südburgenland: „Victor 2008“ als Bank des Jahres
Die Zinssteigerungen in dieser Phase (der EZB-Leitzins erhöhte sich von Mitte 2009 bis August 2011 von 1,0 auf 1,5 Prozent, der Drei-Monats-Euribor stieg gar um einen Prozentpunkt) waren für die Ergebnisse der Volksbanken wichtige Ergebnistreiber und unterstützten die durch das Geschäfts wachstum erzielten Erträge. Die Betriebs ergebnisse stiegen in dieser Phase auf bis zu 275 Millionen Euro an. Leider mussten diese Erträge neben den Kreditrisken und den Bewertungen der Anleihen im A-Depot auch für die Buchwertkorrektur der ÖVAGBeteiligung verwendet werden. Die Bewer tung der Aktien in den Jahresabschlüssen 2009 und 2011 reduzierte bei einzelnen Volksbanken die Kapitalsituation substan ziell. Daher wurden für sie Mittel aus dem Gemeinschaftsfonds zur Verfügung ge stellt, die nach der Bewertung 2011 im Jahr 2012 von einer Bewertungsgarantie in Bes serungsgeld übergeführt wurden. Zudem wurde eine Diskussion über die Reform der Solidaritätseinrichtungen angestoßen. Die Volksbanken hatten damals den Vorteil der historisch konservativen Bildung von Einzelwertberichtigungen, die 2009 über fünf Prozent des Kreditvolumens betrugen, davon rund 300 Millionen Euro in den Ra tingklassen drei und vier. Die geschmälerte Innenfinanzierung führte aber trotz des er freulichen Marktwachstums in Summe zu reduzierten Kapitalquoten der Primärstufe. Aufgrund der besagten Reserven (§ 57/1 BWG, Auflösung von EWB sowie Leistun gen des Gemeinschaftsfonds) konnte die Eigenmittelquote zunächst über 13 Prozent und die Kernkapitalquote über zehn Pro zent gehalten werden.
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EINSATZ FÜR ANERKENNUNG VON HYBRIDEN KAPITALINSTRUMENTEN
UND VERHANDLUNGSFÜHRER
DER VERBUND SICHERUNGSSYSTEMALS INSTITUTIONELLES
Dem ÖGV gelang es, die Gespräche mit der Finanzmarktaufsicht über die Voraus setzungen für die aufsichtsrechtliche An erkennung des Volksbanken-Verbundes als institutionelles Sicherungssystem erfolgreich abzuschließen, sodass ab 1. Jänner 2009 die Veranlagungen innerhalb des Verbundes mit null Prozent gewichtet werden konnten. Diese Bemühungen des ÖGV brachten dem Verbund zur rechten Zeit eine Ersparnis von über 100 Millionen Euro an Eigenmitteln. Die Eigenmittelquote konnte somit in dieser Pha se trotz Abwertung der ÖVAG-Beteiligung und einem Kreditwachstum von fünf Prozent bei 14,1 Prozent und die Kernkapitalquote bei 10,2 Prozent stabil gehalten werden.
Schon seit Ausbruch der Finanzkrise kon kretisierte sich auf internationaler sowie europäischer Ebene die Diskussion, sowohl die Quantität als auch die Qualität der für Banken erforderlichen Mindesteigenmittel anzuheben. Die Kürzung der Möglichkeiten von alternativen Kapitalinstrumenten betraf auch genossenschaftliche Bankengrup pen, die diese neben dem genossenschaft lichen Geschäftsanteil als Kapitalmarktins trument nutzten. Der ÖGV vertrat sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene die Interessen seiner Mitglieder, so auch bei der Frage nach der Anerkennung von hybriden Kapitalinstrumenten, da bislang bei der Eigenmittelbasis der ÖVAG solche Instrumente angerechnet wurden. Weil sich aber zeitgleich die europäische Auf sichtsbehörde CEBS einen Überblick über die bislang in Europa emittierten und in den
DER ÖGV ALS INTERESSENVERTRETER
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Neben den allgemeinen Aufgaben, die der ÖGV in dieser Phase weiterhin sehr erfolg reich erbrachte, gab es auch in dieser Zeit wichtige strategische Erfolge, die der Ver band für seine Mitglieder der Gruppe Volks bank erreichen konnte.
RECHTSFORM DER GENOSSENSCHAFT
Die schon vor der Finanzkrise aufkeimen de Diskussion über die Stellung der Ge nossenschaftsbanken im weltweiten und europäischen Bankenwettbewerb setzte sich auch während dieser Phase fort. Be merkenswert ist jedoch, dass 2008 das EU-Parlament ausdrücklich die Bedeutung der Genossenschaftsbanken für die Sta bilität des Bankensystems würdigte. Der ÖGV drängte auch weiterhin im Rahmen der Interessenvertretung auf die euro parechtliche Anerkennung von genos senschaftlichen Verbundsystemen, was schließlich durch die Aufnahme des Art 10 CRR gelang. Diese europarechtliche Basis sollte 2012 die alternative Grundlage bie ten, um ein völliges Verschwinden der de zentralen Struktur des Volksbanken-Ver bundes zu verhindern.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 91 genmittel und Kernkapital anrechenbaren Kapitalbestandteile erhöht wurden, massiv eingeengt. Das brachte den VolksbankenVerbund und somit auch die Primärstufe zunehmend unter Druck. Die enge wirtschaftliche Verflechtung machte es für die Volksbanken unumgäng lich, dem mit der Republik ausverhandelten Maßnahmenpaket zuzustimmen, um das Spitzeninstitut und damit den Verbund zu stabilisieren. Die Volksbanken, die ande ren Alteigentümer und die Partizipanten stimmten in der Hauptversammlung einem 70-prozentigen Kapitalschnitt zu, damit in der Folge die Volksbanken und die Repub lik Österreich gemeinsam frisches Kapital in der Höhe von rund 500 Millionen Euro an der ÖVAG zeichneten. Die Volksbanken waren weiters bereit, die Beziehungen zur ÖVAG durch die Bildung eines Kreditinsti tute-Verbundes nach dem neu geschaffe nen § 30a BWG zu organisieren. Dadurch gingen sie einen engen Haftungsverbund mit der ÖVAG ein und akzeptierten ein Wei sungsrecht, was die Bonität und Rating einstufung der ÖVAG und des Verbundes stabilisierte. Eine rationale Entscheidung in der Krise, aber wie sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigte, eine emotional nur schwer bewältigbare Veränderung.
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Kapitalquoten der Banken angerechneten Instrumente verschaffte und insbesondere bei den ins Wanken geratenen Banken fest stellte, dass diese Instrumente entgegen dem ersten Anschein nicht verlusttragfä hig waren, wurden Argumente gegen eine generelle Stigmatisierung nicht mehr auf genommen.
ÖGV ALS VERBUND-VERTRETER BEI VERHANDLUNGEN MIT DER REPUBLIK
Treffen der Volksbanken-GemeinschaftinternationalenbeiderCIBPInterski2009inSchladming
Im Oktober 2008 vertrat der ÖGV den Ver bund bei den Verhandlungen über die Gründung einer Clearingbank, um nach dem Lehman-Crash und dem Austrocknen des Geldmarktes die kurzfristigen Geschäf te zwischen den österreichischen Banken wieder anzukurbeln und den Liquiditäts ausgleich am heimischen Geldmarkt zu verbessern, damit das Vertrauen in den In terbankenmarkt wieder gestärkt wird. Über die Clearingbank wurden in der Folge mit tels einer Clearing- und Auktionsplattform Zuteilungen von über 22,5 Milliarden Euro durchgeführt. Mit Bundeshaftungen verse hene Emissionen hätten abgewickelt wer den können, wurden aber nicht in Anspruch genommen. Der Bund hatte Haftungen bis zu vier Milliarden Euro zugesagt und dafür ein Haftungsentgelt kassiert. Im Febru ar 2011 legte diese Bank ihre Konzession zurück und beendete die Tätigkeit. Wenig später unterstützte der ÖGV die ÖVAG bei den Verhandlungen zur Verstaatlichung der Kommunalkredit. Aufgrund der absehbaren negativen Auswirkungen auf die ÖVAG und damit auch auf die Primärstufe mahnte der ÖGV-Vorstand bereits im Oktober 2008 er gebnislos die Ausarbeitung einer Strategie
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• Die Volksbanken kaufen der ÖVAG die inländischen Retailbanken ab.
ÖGV ÜBERNIMMT AUFSICHTSRATSVORSITZ ZUR STABILISIERUNG DER GRUPPE
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ÖGV-KONZEPTE ZUR STÄRKUNG DER EIGENMITTELQUOTE DER ÖVAG Parallel dazu forcierte der ÖGV in vielen verbundinternen Gesprächen Überlegun gen, wie eine ausreichende Kapitalisierung der ÖVAG sichergestellt werden konnte, da aufgrund der vielfältigen Leistungsbe ziehungen zwischen der ÖVAG und den Volksbanken eine Aufgabe der ÖVAG durch den Eigentümer, die Volksbanken, nicht in frage kam. Die Volksbanken betonten da her auch, dass sie zu ihrem Spitzeninstitut stünden und bereit seien, Verantwortung zu übernehmen, um Schaden von Kunden und Mitgliedern abzuwenden. Aus diesen Gesprächen kristallisierte sich bereits Ende 2008 das oben beschriebene Projekt „Re gion“ heraus. Eine Umsetzung erfolgte erst unter neuer Führung der ÖVAG.
DAS „FLACHAUER MODELL” DES ÖGV UND DER VOLKSBANKEN Nach der Abgabe der Kommunalkredit und den massiven Verlusten im Ergebnis der ÖVAG zum Jahresende 2008 setzte sich der ÖGV für die finanzielle Stabilisierung und somit den Erhalt der ÖVAG ein. Da die Staatshilfe neben dem Vorteil der Kapital stabilisierung auch eine massive finanzielle Belastung durch die Dividendenregelung bedeutete und unklar war, wie die im Ver trag vorgesehene Abschichtung erfolgen könnte, suchte der ÖGV nach einer für den Verbund verträglichen Lösung. Ergebnis der Diskussionen mit den Volksbanken war Anfang 2009 ein aus drei Teilen bestehen des Programm, das „Flachauer Modell“, mit folgenden Eckpunkten:
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 93 ein, wie die ÖVAG auf die neu eingetrete nen Rahmenbedingungen zu reagieren be absichtigt. Schließlich entsandte der ÖGV Rainer Borns zu den Besprechungen über die Ausgestaltung der Bedingungen des Partizipationskapitals, das die Republik an den Großbanken zeichnete. Dadurch konn te er bei den Formulierungen für den Ver bund mitwirken und auch den Volksbanken unmittelbar über die Details des Verhand lungsergebnisses berichten.
Pinkl stand diesem Mo dell aufgrund der Verpflichtungen und der vertraglichen Einflussrechte des Gemein schaftsfonds ablehnend gegenüber. Der ökonomische Vorteil wäre gewesen, dass nicht Kapitalkosten von 9,3 Prozent, son dern nur von vier Prozent gegenüber dem Gemeinschaftsfonds und zwei Prozent Di vidende für die Aktionäre vorgesehen wa ren. Die Volksbanken zeigten sich selbst im Jahr 2008 finanzkräftig und wirtschaftlich stabil, sie wuchsen im Kreditgeschäft um elf Prozent und hatten trotz Abwertungen im A-Depot ein EGT von 93 Millionen Euro. Daher ging man damals davon aus, dass das Modell auch finanziell zu verkraften ge wesen wäre.
• D er Gemeinschaftsfonds stellt der ÖVAG in zwei Tranchen insgesamt 300 Millionen Euro zur Verfügung.
• Im Ergebnis hätte sich dadurch die er forderliche Staatshilfe auf 500 Millionen Euro Generaldirektorreduziert.
Die auch für die Volksbanken überraschen de und nicht erklärbare Notverstaatlichung der Kommunalkredit und die intransparen ten Gespräche führten zum Vertrauensver lust in ÖVAG-Generaldirektor Pinkl. Nach dem die Volksbanken schon unmittelbar nach der Verstaatlichung seine Abberu fung verlangt hatten, versuchte der ÖGV noch, zu vermitteln und einen gemeinsa men Weg zu ermöglichen. Es ging dabei nicht nur um die Verantwortung für die Aus wirkungen der weltweiten Finanzkrise auf den Volksbanken-Verbund, sondern auch um die Art und Weise, wie Pinkl die ÖVAG gegenüber den Volksbanken in den Jahren davor positioniert hatte. Plötzlich konnten die externen Berater die Auswirkungen auf den ÖVAG-Konzern nicht mehr abschät zen und somit auch der Generaldirektor den Volksbanken die vielen offenen Fragen nicht beantworten. Auf Vertrauen, das in guten Zeiten verabsäumt wurde aufzubau en, konnte er sich nun in Krisenzeiten nicht stützen. Diese Kluft zwischen den Volks
ORGANISATION DER ÜBERNAHME DER NATIONALEN TOCHTERBANKEN DURCH DIE PRIMÄRSTUFE Im Laufe des Jahres 2009 fokussierten sich alle Volksbanken und die ÖVAG unter dem neuen Generaldirektor Wenzel darauf, das Projekt „Region“ umzusetzen. Der ÖGV un terstützte die Volksbanken dabei, • der ÖVAG die Aktien an der Volksbank Wien abzukaufen, • eine neue Genossenschaft zu gründen, die den ÖVAG-Mehrheitsanteil an der Ä rztebank übernahm und in weiterer Folge durch die Aufnahme von neuen Mitgliedern aus dem Berufsstand auch frisches externes Kapital in den Verbund bringen sollte, • die Volksbank Wels in die Lage zu verset zen, die Volksbank Linz-Mühlviertel von der ÖVAG zu übernehmen und schließlich • auch die ABV zu stützen und mit der Über nahme der Immobank-Anteile einen neu en Konzern für Immobilienfinanzierung im Rahmen der Primärstufe zu gründen. Strategisch gesehen kam es dadurch zu Rainer Borns, Verhandlungsführer des ÖGV bei den Gesprächen mit der Republik
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV94 banken und der ÖVAG galt es für den ÖGV zu moderieren und konstruktiv – zumindest für wichtige operative Entscheidungen – zu überwinden.
Da Walter Zandanell den ÖVAG-Aufsichts ratsvorsitz nach dem Rücktritt von Pinkl ebenfalls zur Verfügung stellte, überrede ten die Volksbanken Hans Hofinger, diese schwierige Aufgabe neben der Führung des ÖGV wahrzunehmen.
MARKETINGSTRATEGIE: POSITIVE EMOTIONALISIERUNG IN DER KRISE
BILANZIERUNGSGARANTIEN DURCH GEMEINSCHAFTSFONDS
Gerald Wenzel erklärte sich schlussendlich bereit, aus der von ihm er folgreich mitaufgebauten Volksbank Baden in die ÖVAG zu wechseln und damit Verant wortung in dieser schwierigsten Phase des Volksbanken-Verbundes zu übernehmen.
Die in den guten Jahren oftmals kritisierte jährliche Beitragsleistung zum Gemein schaftsfonds, dem Sondervermögen des ÖGV, um Mitglieder in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu unterstützen, machte sich in dieser Phase bezahlt: 2009 konnte einzelnen Volksbanken für die notwendig gewordene Bewertung der Beteiligung an der ÖVAG eine Garantie des Gemein schaftsfonds bereitgestellt werden, die zunächst nur teilweise in Anspruch ge nommen wurde. Durch Beschluss des Verwaltungsausschusses des Gemein schaftsfonds wurde dem Gruppentag Volksbank am 13. Oktober 2011 in einen Rahmenbeschluss vorgeschlagen, jene Kreditinstitute der Primärstufe zu unter stützen, deren Kernkapital aufgrund der Abwertung des Beteiligungsbuchwertes an der ÖVAG unter sieben Prozent fällt. Damit sollte die Kernkapitalquote wieder auf diesen Schwellenwert angehoben werden. In der Folge stützte der ÖGV die Volksbanken für die Bewertung der ÖVAGBeteiligung durch Besserungsgeld im Aus maß von 89 Millionen Euro und erwarb von der ÖVAG das Partizipationskapital der VB 2 um 25 Millionen Euro.
Nachdem es Ende 2007 gelungen war, als optimale Verknüpfung mit der neuen Volksbank-Werbung unter dem Motto „V wie Flügel“ eine Sportsponsoring-Koope ration des ÖGV mit dem ÖSV und dem Skisprungteam abzuschließen, hob diese Kampagne im wahrsten Sinne des Wor tes ab. Die dann auch medial als „Superadler“ bezeichneten Skispringer, allen vo ran Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern, sprangen von einem Erfolg zum nächsten. Die Skisprungbewerbe und vor allem das Skifliegen am Kulm begeis terten nicht nur Kundinnen und Kunden der Volksbanken, sondern auch die Mit arbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Scha ren zu den Veranstaltungen strömten. Die positive Energie, die sich hier auf die Mit arbeiter übertrug, war ein willkommener Ausgleich zu den schwierigen Rahmen bedingungen im Bankbereich. Der Slogan „V wie Flügel“, der durch die von einigen Journalisten aufgeworfene Frage nach den Rechtschreibkenntnissen der heutigen Ju gend noch weitere Bekanntheit bekam, führte 2009 dazu, dass die Bekanntheit der Marke Volksbank von 36 auf 68 Prozent ge steigert wurde.
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Der ÖGV versuchte in den Jahren 2010 und 2011 intensiv, die Volksbanken und die anderen Eigentümer der ÖVAG (DZ Bank, ERGO, RZB) ins Boot zu holen, um eine Kapitalerhöhung zu stemmen, damit die 2012 fällige erste Tranche der Rückzahlung des staatlichen PS-Kapitals getätigt wer den konnte. Die Volksbanken beschlossen daraufhin im April 2010 diesen Schritt in der ÖVAG-Hauptversammlung, während die anderen Eigentümer einer Zeichnung nicht nähertreten wollten. Die Eintrübung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, das Ende des Wirtschaftsaufschwungs in CEE und deutlich höhere Risikokosten in dieser Region, höhere Refinanzierungskosten zur Liquiditätssicherung, Währungsschwan kungen, scheiternde Immobilieninvest ments sowie nationale Liquiditätstransfer beschränkungen änderten die Profitabilität vieler Geschäftsfelder der ÖVAG grund legend. Die parallel einsetzenden regula torischen Verschärfungen, insbesondere strengere Anforderungen an die Kapital quoten, spitzten die Situation für die ÖVAG und die Volksbanken in der Folge wieder zu.
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• Controlling •
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Die Gründung des Kreditinstitute-Verbun des nach § 30a BWG durch die Mitglieder Kredit des ÖGV veränderte grundlegend die verbundinterne Verteilung von Aufga ben und Dienstleistungen: Die ÖVAG wurde aufgrund des abgeschlossenen Verbund vertrages vom Spitzeninstitut zur Zentral organisation und übernahm dadurch die Verantwortung für alle Volksbanken, dass jederzeit die regulatorischen Bestimmun gen eingehalten werden. Die einzelnen Volksbanken wurden auf der gesetzlichen Grundlage des § 30a BWG/Art 10 CRR durch die aufsichtsrechtliche Genehmi gung des Verbundvertrages von der Einhal tung von aufsichtsrechtlichen Bestimmun gen befreit. Im Gegenzug unterwarfen sie sich den generellen und individuellen Wei sungen, mit denen die ÖVAG in die Lage versetzt wurde, die Verantwortung für die Einhaltung der Gesetze auf Verbundebene zu übernehmen. Daher wurde eine Reihe von Aufgaben, die bislang für die Volks banken vom ÖGV erledigt wurden, im Wege einer Teilbetriebsabspaltung auf die ÖVAG übertragen: Bilanzierung konsolidierter Verbundabschluss Risikomanagement Marktunterstützung Troubleshooting Organisation und Marketing MitSchulungderNeuaufstellung der ÖVAG war auch eine Neubesetzung des Vorstandes ver bunden. Neuer Generaldirektor und für
einer Klarstellung der Aufgabenverteilung bei der Marktbearbeitung zwischen den Volksbanken und der ÖVAG: Regionales Retailgeschäft in Österreich war Aufgabe der Volksbanken. Wirtschaftlich gesehen stärkte dieser Schritt die Kapitalquoten der ÖVAG und stellte ein in dieser Zeit wichti ges Signal dar, dass die Eigentümer auch Verantwortung übernehmen und ihre Toch tergesellschaft in der Krise stärken.
DER 1. TRANCHE DES PS-KAPITALS
ÖGV DRÄNGT AUF ABSCHICHTUNG
PERSONELLE UND ORGANISATORI SCHE VERÄNDERUNGEN DURCH DEN KI-VERBUND
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VERHANDLUNG ÜBER STAATS EINSTIEG BEI DER ÖVAG ZUR ABWEHR VON NACHTEILIGEN AUSWIRKUNGEN AUF VOLKSBANK-KUNDEN Im Herbst 2011 kristallisierte sich heraus, dass aufgrund der steigenden regulatori schen Anforderungen und der Verzögerun gen beim Risikoabbau der ÖVAG die recht zeitige Rückführung des PS-Kapitals nicht möglich war. Verhandlungen mit der Re publik waren unausweichlich. Daher führ te Mendel gemeinsam mit Borns Gesprä che mit dem Finanzministerium über eine w irtschaftliche Lösung für den Verbund, während Wenzel und Hofinger versuchten, die ÖVAG auf Kurs zu halten. Angesichts der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der ÖVAG und den Volksbanken, die für deren Geschäftsbetrieb wesentlich waren, und um eine Beteiligung der Repub lik Österreich an der ÖVAG zu ermöglichen, wurde ein Lösungspaket vereinbart.
VON 1997 BIS HEUTE
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ÄNDERUNG DER ÖGV-SATZUNG
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Der SSM nahm mit 4. November 2014 seine Arbeit als Aufseher für bedeutende Banken auf. Bevor die EZB die volle Verantwortung für die Bankenaufsicht trug, mussten sich die betroffenen Banken einer umfassenden Bewertung (Comprehensive Assessment) unterziehen. Damit wurden die Geldinsti tute des Euroraums von der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden gemeinsam nach einheitlichen Regeln beaufsichtigt.
Im Rahmen dessen wurden sieben öster reichische Banken direkt durch die EZB be Nachaufsichtigt.zweijähriger Rezession verzeichne te der Euroraum 2014 wieder ein positives Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz dazu blieb die Inflationsrate viel zu niedrig, um mit dem geldpolitischen Ziel von „unter, aber nahe zwei Prozent in der mittleren Frist“ vereinbar zu sein. Bereits gedämpft durch die schwache Konjunktur der Vorjah re bremste die Halbierung der Ölpreise die Teuerung weiter. Die Inflationsrate fiel Ende 2014/Anfang 2015 in den negativen Be reich, 2015 lag sie im Jahresschnitt bei null Prozent. Zudem sanken die Inflationserwar tungen. Damit stiegen die für die Wirtschaft relevanten AngesichtsRealzinsen.deranhaltenden Deflationsrisi ken sowie im Sinne der Foreward Guidance beschloss das Eurosystem im Jänner 2015 ein breit angelegtes Ankaufprogramm von Vermögenswerten (Asset Purchase Pro gramme, APP). Im Rahmen des APP wurden überwiegend europäische Staatsanleihen angekauft. Das Volumen wurde zunächst
den Markt zuständig wurde Stephan Koren, Stellvertreter und für Risiko und Kredit abwicklung verantwortlich blieb Michael Mendel, Martin Fuchsbauer behielt eben falls seine Zuständigkeit für den Bereich Treasury. Neu hinzu kam Rainer Borns, der ersucht wurde, vom ÖGV in die ÖVAG zu wechseln und dort für die Verbundbil dung und Organisation verantwortlich zu zeichnen. Damit gingen im Wesentlichen die Funktionen und Aufgaben, die im Rah men der Marktoffensive im ÖGV entwickelt wurden, auf die ÖVAG über und wurden in die jeweiligen Fachbereiche integriert. Der ÖGV blieb für seine Mitglieder Kredit wei terhin verantwortlich für die klassischen Aufgaben und vor allem auch für die So lidaritätseinrichtungen wie den Gemein schaftsfonds.
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2012–2015: DER KREDITINSTITUTEVERBUND
Obwohl die Staatsschuldenkrise gelöst schien, blieb das Wirtschaftswachstum im Euroraum, anders als in den USA oder Großbritannien, auch in der Zeit ab 2012 schwach. Gedämpft durch die weiterhin restriktive Fiskalpolitik sowie die (notwen dige) Entschuldung von Banken, Unterneh men und Haushalten fiel der Euroraum in eine neuerliche Rezession, begleitet von sinkenden Inflationsraten und sehr hoher Arbeitslosigkeit in vielen Ländern. Der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungs geschäft wurde schrittweise weiter gesenkt und erreichte 2014 nahezu null Prozent (0,05), womit die konventionelle Geldpoli tik ihre Möglichkeiten weitgehend ausge schöpft hatte. Mit dem Begriff der Foreward Guidance betonte die EZB ab 2013, dass die Zinsen für eine längere Zeit auf diesem nied rigen Niveau verbleiben sollten. Eine Diskus sion über unkonventionelle Maßnahmen zur weiteren geldpolitischen Lockerung über die Nullzinsgrenze hinaus setzte ein. 2014 wurde der Zinssatz für die Einlagefazilität erstmals in den negativen Bereich gesenkt, die EZB folgte damit vergleichbaren Ent scheidungen der Notenbanken in Däne mark, Schweden und der Schweiz.
Aufgrund der Änderungen der Verbund struktur und der Aufgabenverteilung im Verbund änderte der ÖGV seine Satzung, wonach ordentliche Mitglieder und damit auch der Revision unterworfen nur noch Kreditinstitute sein konnten, die dem Kre ditinstitute-Verbund angehörten. Eine Än derung, die die Gremien des ÖGV noch lan ge beschäftigen sollte, weil die Bestätigung durch das Wirtschaftsministerium nicht er folgte. Da das Wiener Spar- und Kreditinsti tut entschied, nicht Mitglied des Verbundes zu werden, musste es nicht nur aus dem Verbund, sondern auch aus dem ÖGV aus scheiden und die Rechtsform wechseln. Es firmiert seither unter WSK Bank AG.
Neuaufstellung der ÖVAG 2012: Stephan Koren übernimmt als Generaldirektor
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 97 auf monatlich 60 Milliarden Euro fixiert, ab April 2016 dann auf 80 Milliarden erhöht. DIE ÖVAG ALS ZENTRAL O RGANISATION DES VERBUNDES
Die ÖVAG verfolgte in dieser Phase zwei Stoßrichtungen: einerseits die Wandlung zur Mittelstandsbank, insbesondere durch das Abstoßen der nicht mehr erforderlichen Assets, um sich auf die neuen Schwer punkte konzentrieren zu können, und an dererseits die Neuaufstellung der inneren Organisation des Verbundes aufgrund der Verantwortung als Zentralorganisation.
Der ÖVAG-Vorstand hatte nun die Aufgabe, diesen Spagat zu schaffen und gleichzei tig neue, für den gesamten Verbund nicht vorteilhafte regulatorische Vorschriften zu implementieren. Ein solcher kritischer Be reich war zum Beispiel, dass die bisherigen Risikomanagement-Lösungen des ÖGV für die Primärstufe nicht mehr aufrechtzuhalten waren. Aber auch die Frage der Reichweite der Innenrevision führte zu intensiven Dis kussionen und Widerstand: Während man che diese Funktion am besten durch die externe Revision des ÖGV abgedeckt sahen, betrachtete die ÖVAG ihre Verantwortung als „third line of defense“: Der ÖGV hätte demnach einen Interessenkonflikt gehabt, weil er ja als externer Revisor auch das Ver halten der Innenrevision zu beurteilen hatte. Immer wieder hatten in dieser Phase die externe Revision des ÖGV und die interne Revision der ÖVAG als Verbundrevision un terschiedliche Ansichten. So stieß sich die Prüfung an der Verrechnung der Kosten der Zentralorganisation, wobei nicht die Höhe an sich kritisiert wurde, sondern die Ver teilung der Aufgaben zwischen ÖVAG und ÖGV bzw. der Kosten unter den Volksban ken. Innerhalb der Volksbanken bestand darüber auch keine Einigkeit, da die Bei tragsordnung, obwohl vom Delegiertenrat beschlossen, nicht von allen Volksbanken unterzeichnet worden war.
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Dem ÖVAG-Vorstand oblag es nun, trotz der wirtschaftlichen Schwäche des eige nen Konzerns Prozesse mit den und für die Volksbanken zu etablieren, die ihn in die Lage versetzten, die Aufgaben und die Ver antwortung aufgrund von § 30a BWG wahr zunehmen. Dies stieß nicht immer auf Ge genliebe bei den Volksbanken. In der Folge wurde vielfach versucht, die vertraglichen Vereinbarungen so zu interpretieren, dass sie möglichst nicht als Eingriff in die Souve ränität der Banken empfunden wurden.
Die nachvollziehbaren Interessen der Volksbanken und ihrer Funktionäre be standen darin, dass trotz dieser neuen Auf stellung angesichts des wirtschaftlichen Erfolges in ihrer Region möglichst alles so bleiben sollte wie bisher und dass Ein griffe in die Abläufe nur dann erfolgen soll ten, wenn dadurch die Prozesse für jede Volksbank individuell besser und schneller wurden. Dies stand jedoch oft in unmittel barem Konflikt mit der Verantwortung des ÖVAG-Vorstandes und vor allem der Sicht weise der Bankenaufsicht, die schlichtweg immer die ÖVAG-Spitze als verantwortlich sah. Für die FMA gab es nur noch den Ver bund, den vertraglich vereinbarten Mitwir kungsrechten des Delegiertenrates stand sie sehr skeptisch gegenüber. Sie drängte darauf, dass Einzelinteressen der Volksban ken für den ÖVAG-Vorstand nicht relevant sein durften sowie die Führung und damit die Prozesse wie bei einem einzelnen Un ternehmen gestaltet sein mussten.
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele dieser Diskussionen der wirtschaft lichen Lage, in der sich der Verbund insge samt befand, nicht Rechnung trugen. Bei der angestrebten einvernehmlichen Lösung von Sachfragen war vielfach nicht die Beantwor tung der Frage selbst die Herausforderung, sondern eher die persönliche Abneigung gegenüber der mit der Republik gefundenen Lösung. Immer wieder wurden dadurch not wendige Veränderungen verzögert. Dazu kam, dass die organisatorische Aufstellung im Verbundvertrag, etwa durch die Schaf fung eines Delegiertenrates, eine einver nehmliche Verbundführung erschwerte, zu mal diesem Rat Kompetenzen zugeordnet wurden, die aus der Sicht der Aufsicht der umfassenden Verantwortung des ÖVAGVorstandes diametral entgegenstanden. So adressierte etwa eine 2013 durchgeführ te OeNB-Prüfung eine Reihe von Feststellun gen an den ÖVAG-Vorstand, die genau diese gegenteilige Sicht enthielten: „Bei nicht kre ditinstitutsverbundkonformem, unvollstän digem und inkonsistentem Regelungs- und Steuerungsumfang wurde die Herstellung eines adäquaten Zustandes (durch den ÖVAG-Vorstand, Anm.) unzureichend einge fordert.“ In der Stellungnahme zum Prüfbe richt hob der ÖVAG-Vorstand, um die Wogen zu glätten, drei Faktoren hervor:
• Er betonte die konsequente Abarbeitung durch Transparenz innerhalb des Verbun des über den aktuellen Status.
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• Er warb gegenüber der Aufsicht für das Machbare und ersuchte um Verständnis bei einzelnen Themen, die der Geschwin digkeit, mit der der Verbund das Projekt auf setzte und unter Beiziehung von externen Beratern installierte, geschuldet waren.
• Er wies aber auch auf die im Prüfbericht zu wenig gewürdigten Abbauschritte hin.
DER ABBAU DER ASSETS
Der Abbau wurde einerseits durch Verkäufe bewerkstelligt (Volksbank Romania, VB Lea sing International, Volksbank Malta, RZBBeteiligung) und andererseits durch den Run-down oder Verkauf von Krediten und Wertpapieren im Bankbuch. Neugeschäft wurde nur noch gemeinsam mit den Volks banken (Konsortialgeschäft) gemacht. So wurde das „Noncore Corporates“-Portfolio, das Ende 2011 noch 3,7 Milliarden Euro betrug, auf 0,5 Milliarden zum Jahresen de 2013 abgebaut. Ähnlich war die Ent wicklung beim „Noncore Real Estate“Portfolio, das von 4,2 Milliarden (2011) auf 2,2 Milliarden (Ende 2013) reduziert wer den konnte, sowie beim „Noncore Banking Book“, das von 3,7 Milliarden (2011) auf 1,9 Milliarden (Ende 2013) verringert wurde. Über alle drei Bereiche wurden die RWAs allein 2013 um drei Milliarden Euro reduziert. Mit der SREP-Quote von 13,6 Prozent multi pliziert, konnte so ein positiver Effekt von 373 Millionen Euro erzielt werden. Die Bilanz summe ging allein von Anfang 2012 bis Ende 2013 von 11,6 auf 4,6 Milliarden Euro zurück.
Die FMA stellte mit Wirkung vom 31. Jänner 2014 fest, dass der Volksbanken-Verbund im Hinblick auf seine Finanzlage und sein Risikoprofil auf konsolidierter Ebene der ÖVAG als Zentralorganisation als absolu tes Minimum eine SREP-Quote von 13,6 Prozent halten müsse. Damit lag die Quote nicht nur deutlich über dem gesetzlichen Minimum (8,0 Prozent), sondern praktisch auch bei der Ende 2012 ausgewiesenen Eigenmittelquote von 13,9 Prozent und er möglichte damit der Primärstufe de facto keinen Spielraum für weiteres Wachstum auf der Aktivseite. Als Hauptrisikofaktoren wurden folgende Punkte gesehen: • das Kreditrisiko, weil die NPL-Quote we
• Er unterstrich die Einigkeit mit dem ÖGV, da ein gemeinsames Projekt mit dem Ver band aufgesetzt wurde, um ein möglichst hohes Commitment zu erzielen.
In Übereinstimmung mit der Entscheidung der EU-Kommission im September 2012 hatte die ÖVAG ihre Assets in zwei Gruppen eingeteilt, in „Core Business“-Aktivitäten, die mit der Eigenschaft als Zentralorganisa tion der Volksbanken zusammenhingen, und in „Noncore Business“-Portfolios. Nachdem die ÖVAG schon vor dieser Entscheidung die Volksbank International und substanziel le Teile des Real-Estate-Portfolios verkauft hatte, wurde auch zwischen 2012 und 2015 der Abbau erfolgreich fortgesetzt, um das Gesamtrisiko, die Volatilität der Ergebnisse, die Abhängigkeit in der Refinanzierung so wie das Kapitalerfordernis für die ÖVAG und damit den Verbund zu reduzieren.
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Die Strategie des Verbundes bestand in dieser Phase darin, Neugeschäft nur noch mit den regionalen KMU und Privatkunden zu machen. Die ÖVAG sollte die Funktion ei ner Zentralorganisation ausfüllen, also zen trale Funktionen wie kapitalsunddielaggen).Volksbankendenenvonsicherstellen.LiquiditätsmanagementRisikomanagement,oderHandelsbuchNeueKreditesolltennurnochdenVolksbankenvergebenwerden,beiauchdieÖVAGgemeinsammitdenauftrat(KonsortialfinanzierunDiesemstrategischenGeschäftsplanweiterhinzugrunde,dasspraktischnurInnenfinanzierungbeidenVolksbankenderÖVAGfürdieSteigerungdesKern(CommonEquityTier1,CET1)zur
Verfügung stand. Eine etwaige unmittelbar erforderliche Erhöhung des CET 1 war also – wie bei allen genossenschaftlichen Grup pen – nicht möglich. Daher waren die wei teren regulatorischen Veränderungen und die Ankündigung eines EZB-Stresstests für den Verbund bedrohlich.
NEUER ABWICKLUNGSMECHANISMUS UND EZB-STRESSTEST Im Dezember 2013 wurde schließlich eine Reform der Aufsichtsbehörden auf den Weg gebracht. Nach monatelangen Verhandlun gen einigten sich die Finanzminister der EU auf Spielregeln für die geordnete Schließung angeschlagener Banken. Der Abwicklungs mechanismus wurde neben der bereits fixierten Aufsicht (EZB) und der Einlagensi cherung zur dritten Säule der Bankenunion. Es galt, für die Zukunft den weiteren Einsatz von Staatsgeld für die Bankenabwicklung zu verhindern. Immerhin hatten die EU-Staaten seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 ein einhalb Billionen Euro für die Stützung von Geldhäusern eingesetzt. Nachdem die ÖVAG auch zum Jahresende 2013 einen Verlust von über 200 Millionen Euro ausweisen musste, begannen mediale Spekulationen über den Bedarf an weiterer Staatshilfe. Im Ausblick der Medien auf das Jahr 2014 wurde schon von einem heißen Herbst für Österreichs Banken gesprochen, wenn der Stresstest der EZB veröffentlicht werde, an dem auch die ÖVAG und der Volksbanken-Verbund teilnehmen muss ten. Angesichts des neuen Verständnisses in der EU, dass Banken nicht mehr mit öf fentlichen Mitteln unterstützt werden sol len, erhöhte sich die Unsicherheit, wie der Volksbanken-Verbund auf einen etwaigen Shortfall beim Stresstest reagieren kann. Am 26. Oktober 2014 verlautbarte die EZB schließlich die Ergebnisse des Stresstests: Die ÖVAG hatte ihn nicht bestanden, sie kam im Krisenszenario nur auf 2,1 Prozent Kern kapitalquote, die Mindestanforderung lag bei 5,5 Prozent. Dem Institut fehlten demnach 865 Millionen Euro. Diese Entscheidung be rücksichtigte weder die interne Trennung der ÖVAG in eine Abbaueinheit und eine zu kunftsorientierte Zentralorganisation, noch den erfolgreichen und raschen Abbau der
• die Deckungslücke im Fremdwährungs kreditportfolio (567 Millionen Euro)
• Gesetzesänderungen in Rumänien, die wegen der Verpflichtung, von Kunden ge zahlte Gebühren rückzuerstatten, recht liche Risiken von weiteren 100 Millionen Euro bedeuteten • die Marktrisikoauswertungen, die aber als moderat eingestuft wurden (das Zinsänderungsrisiko betrug 247 Millionen)
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 99 gen Ausfällen im Nicht-Kernportfolio auf 8,6 Prozent gestiegen war (VB Romania: 28,7 Prozent, internationale Immobilien kredite: 27,7 Prozent, Firmenkunden: 18,8 Prozent). Die problembehafteten Kredite in der Höhe von 7,1 Milliarden Euro waren mit etwa zwei Milliarden bevorsorgt. Die offene Risikoposition belief sich auf 1,4 Milliarden, wovon 1,1 Milliarden aus der ÖVAG-Gruppe stammten. Unter Berück sichtigung interner Sicherheiten betrug die Lücke 251 Millionen Euro.
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Die FMA hielt in ihrem Bescheid auch fest, dass die vom ÖGV für die Volksbanken ent wickelte Methode zur Risikoquantifizierung für einen Bankenverband der Art, Größe und Komplexität des Volksbanken-Verbundes in adäquat war, weil sie nicht auf Wahrschein lichkeiten Bezug nahm. Die adäquate und gesetzlich gebotene Ad-hoc-Information war in dieser Phase immer wieder eine He rausforderung: Das Gebot, den Kapitalmarkt über die Entwicklungen wie neue Kapitalvor schreibungen, Verluste oder Verlusterwar tungen zu informieren und gleichzeitig auf die Stabilität des Verbundes hinzuweisen, war ein nicht immer leichter Spagat.
Die regionalen Volksbanken sind gemeinsam mit den Skispringern weiter auf Erfolgskurs
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DER ÖGV ALS MOTIVATOR UND BETROFFENER Diese Phase war für den ÖGV in zweierlei Hinsicht herausfordernd: Einerseits musste er die Volksbanken bei den Veränderungen aufgrund des Kreditinstitute-Verbundes und des neuen Verhältnisses zur ÖVAG be gleiten und sie ermutigen, weiterhin an eine positive Zukunft zu glauben, andererseits suchte er die Kommunikation mit den vie len Funktionären in allen Regionen Öster reichs, um sie von der gedeihlichen Zukunft des Volksbanken-Sektors sowie der einzel nen regionalen Volksbanken in diesem neu en Kreditinstitute-Verbund zu überzeugen. Der Verband war auch grundsätzlich ein Promotor des neuen Verbundmodells, er war es ja auch, der dieses in den Verhand lungen 2012 aktiv eingebracht hatte, um un absehbare Folgen der ÖVAG-Probleme für die Primärstufe abzuwenden. Doch sah das ÖGV-Modell als zentralen Bestandteil die Mitbestimmung der Volksbanken bei der Ausgestaltung des Weisungsregimes über den Delegiertenrat vor, um eine gewisse Form von Checks & Balances zwischen der ÖVAG und den Volksbanken sicherzu Beistellen.der Debatte über diese unterschiedli chen Sichtweisen kam hinzu, dass sie ge nau in die Zeit fiel, in der die Etablierung der europäischen Aufsichtsbehörde und der Übergang der Verantwortung der nationa len Aufsicht auf diese europäische Behör de vor sich ging. Daher war eine Diskussion nicht nur mit österreichischen Vertretern, sondern eben auch mit zukünftig Verant wortlichen in der EZB erforderlich, die je doch einen völlig anderen Zugang hatten:
DIE VOLKSBANKEN STELLEN SICH DEN VERÄNDERUNGEN In den regionalen Volksbanken saß 2012 der Schock tief. Die Vorstände wurden über die Entwicklungen des ÖVAG-Konzerns regel mäßig auf dem Laufenden gehalten und be richteten auch ihren Aufsichtsräten. Wenn man die eingeleiteten Schritte trotz allem als ungerechtfertigten Eingriff in erfolgreiche Regionalbanken sah, wurde dabei unter schätzt, dass die Alternative nicht die „freie“ Volksbank gewesen wäre. Vielmehr hätten ohne Bereitschaft der Republik zur Betei ligung an der ÖVAG nicht nur deren Unter gang, sondern auch massive Konsequenzen für jede einzelne Volksbank gedroht. Der Totalverlust der Beteiligung, bloß eine Insol venzquote für die ungesicherten Forderun gen gegenüber der ÖVAG und der Verlust der Spitzeninstitutsfunktionen (Zugang zur Zentralbankrefinanzierung, Abwicklungs funktionen und vieles mehr) hätten die Pri märstufe mitgerissen und eine Breitenwir kung für die Genossenschafter befürchten lassen. In dieser bewegten Phase wurde erst transparent, wie unterschiedlich die einzelnen Volksbanken ihre bankinternen Abläufe ausgestaltet hatten. Jede Regelung, die die ÖVAG in der Folge erließ, wurde von einem Teil der Volksbanken als inadäquater Eingriff in ihre Aufbau- und Ablauforganisa tion gesehen und führte zu umfangreichen
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV100 Aktiva in den vorangegangenen Jahren. Schon drei Wochen zuvor hatte der ÖVAGVorstand in Erwartung dieses Resultats und mangels einer Möglichkeit des Verbundes, diese Kapitalanforderungen zu erfüllen, die Abwicklung der ÖVAG und eine erforderliche Lösung für den Sektor angekündigt.
DieDiskussionen.Volksbanken verteidigten und behaup teten sich neben diesen verbundinternen Diskussionen erfolgreich am Markt. Sie erfüllten ihren Förderauftrag und konnten dadurch auch in dieser Phase der größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 30erJahren jedes Jahr Kredite vergeben und de ren Bestand konstant bei 20 Milliarden Euro sowie trotz der kritischen medialen Bericht erstattung ihre Einlagen stabil bei knapp über 20 Milliarden halten. Die Eigenmittel- sowie die Kernkapitalquo te entwickelten sich nach dem Einschnitt durch die Bewertung der ÖVAG-Beteiligung leicht positiv. Ausgehend von 13,5 Prozent Eigenmitteln respektive 10,2 Prozent Kern kapital im Jahr 2012 standen die Volksban ken im Jahr 2015 bei 14,6 Prozent Eigenmit teln und 11,9 Prozent Kernkapital. Sie legten mit dieser erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung den Grundstein für die 2015 aufgrund des EZB-Stresstests erforderliche Lösung.
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Der Verband unterstützte auch in dieser Phase das von der ÖVAG mit der Aufsichts behörde und der Republik ausgearbeitete Konzept der Spaltung in eine Abwicklungs einheit und die Übertragung der Zentral organisationsfunktionen auf die Volksbank Wien, einen zweiten Kapitalschnitt in der ÖVAG, die Zeichnung einer Kapitalerhö hung bei der Volksbank Wien sowie die Er möglichung von Effizienzsteigerungen des Verbundes durch Fusion zu neun Banken.
Sie sahen zunächst einmal vorrangig ihre eigenen Herausforderungen bei der Auf stellung einer neuen europaweiten Behör de mit dem Ziel, in ihrem Wirkungsbereich einheitlich vorzugehen.
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Er wendete damit eine Volksbank Öster reich erfolgreich ab. 2015 endet eine Ära: Verabschiedung von Hans Hofinger an der WU Wien
Die Kommunikationsstrategie der Volks banken in Österreich zielte darauf ab, be wusst zwischen den gesunden regionalen Banken, die in all diesen schwierigen Jah ren weiterhin jährlich ihre Kreditvergabe steigerten und damit einen wertvollen volkswirtschaftlichen Beitrag leisteten, und der ÖVAG, die beim Rückbau des Konzerns eben mehr Zeit brauchte, zu trennen. Doch dies fiel in Frankfurt auf keinen fruchtbaren Boden und war schlichtweg nicht erklär bar, weil die Grundstimmung vorherrschte, Europa sei ohnedies „overbanked“. Wenn eine Bank keinen verantwortlichen Eigen tümer hatte, der sie in der Krise rekapita lisieren konnte, war das Ausscheiden aus dem Markt das von der EZB bevorzugte DerSzenario.ÖGV war unterdessen sowohl organi satorisch als auch wirtschaftlich von der ÖVAG-Krise betroffen. Ab 2012 hatte er zunächst die personellen und organisatori schen Veränderungen durch die Verbund bildung – wie oben beschrieben – intern zu verarbeiten. Die Kommunikation galt ab die sem Teilbetriebsübergang wieder den klas sischen Aufgaben des ÖGV, wobei für die Mitglieder der Gruppe Volksbank die Unter stützung und Begleitung im neuen Rechts gefüge im Vordergrund stand. Da der ÖGV auch ÖVAG-Aktien im Bestand hatte, muss te er zugleich auch wirtschaftliche Folgen der Krise tragen. Die Abwertung der Aktien belastete den Jahresabschluss 2011 und führte sogar zum Ausweis eines negativen Vermögens, der aber durch beträchtliche stille Reserven (Objekt Löwelstraße) ge deckt war.
Im Zuge der Spaltung der ÖVAG und der Übernahme des Zentralorganisationsteils durch die Volksbank Wien und der Neufas sung des Verbundvertrages im Jahr 2015 verweigerten die Volksbank Osttirol-West kärnten (heute DolomitenBank) und in der Folge auch die Volksbank Marchfeld (heute Marchfelder Bank) den Beitritt und schie den gegen Zahlung von Entbindungsbeiträ gen von acht bzw. sieben Millionen Euro an die Volksbank Wien aus dem Verbund und auch aus dem ÖGV aus.
Die EZB-Vertreter hatten für diese Art von Kreditinstitute-Ver bund keine konkrete Vorstellung vor Augen, weshalb sie sich an der bekannten Struktur eines Konzerns orientierten, bei der eben der Vorstand der Konzernobergesellschaft weisungsfrei verantwortlich ist. Abgesehen von diesem strukturellen The ma galt es aber auch in Hinblick auf das zu erwartende negative Stresstestergebnis, die EZB von den Vorzügen und der Bedeu tung der lokalen Volksbanken neben all den Problemen der ÖVAG zu überzeugen. Eine nicht gerade einfache Aufgabe, zumal die Stimmung der Aufsicht gegenüber Banken, die nur durch Staatshilfe erhalten werden konnten, verständlicherweise nicht gerade positiv war.
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Die abTransformationerfolgreiche2015 In der Phase ab 2015 haben sowohl der ÖGV als auch der VolksbankenVerbund einen erfolgreichen Wandel vollzogen. Dabei waren nicht nur die massiven ökonomischen Veränderungen, sondern auch die sich im Fluss befindlichen externen Rahmenbedingungen – insbesondere bei Regulatorik und Technik – von Bedeutung. Veränderungen, die sich im ÖGV zudem auf die beiden Mitgliedergruppen sehr unterschiedlich auswirkten. von RAINER BORNS
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 103 Die Vorstände der Volksbanken und des ÖGV bei einer2020VerbundklausurinVorarlberg VON 1997 BIS HEUTE
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Nachdem klar war, dass der VolksbankenVerbund gemeinsam mit der ÖVAG die auf sichtlichen Kapitalanforderungen nicht erfül len konnte, galt es für die Volksbanken, eine Lösung zu finden. Dieses Unterfangen war durchaus komplex, da aufsichts- und beihil ferechtliche Anforderungen erfüllt werden Mariazell-Wallfahrt als Dank für die Bewilligung des neuen Ver bundes: Mitglieder des Clubs der Geschäftsleiter mit HeribertÖGV-PräsidentDonnerbauer
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WIRTSCHAFTLICHE RAHMENBEDIN GUNGEN ALLES ANDERE ALS STABIL Dabei waren die gesamtwirtschaftlichen Vo raussetzungen weiterhin nicht einfach: 2015 wuchs das österreichische BIP bloß um 0,9 Prozent. Die Inflationsrate zwischen 0,5 und 1,1 Prozent gehörte zwar zu den höchsten im Euroraum, wo sie nur knapp in den positiven Bereich (0,2 Prozent) drehte, das langfristige Ziel der EZB von zwei Prozent blieb aber un erreicht. Das ist auch einer der Gründe, wa rum die Währungshüter zum Ende des Jah res den Einlagesatz auf minus 0,3 Prozent senkten. Durch das Anleihekaufprogramm fielen die Renditen der als sicher geltenden Staatsanleihen zunächst auf historische Tiefststände, erholten sich aber zum Jahres ende hin. Die EZB senkte in der Folge ihren Leitzins am 16. März 2016 auf null ab und be ließ ihn seitdem dort. Diese Maßnahmen zeigten 2016 und 2017 Wirkung, ein leichter Wirtschafts aufschwung setzte ein. Mit einem durch schnittlichen BIP-Wachstum von zwei Pro zent in den Jahren 2015 bis 2017 überwand der Euroraum die Doppelrezession. Doch ab 2018 war das Wirtschaftswachstum wie der rückläufig und brach schließlich 2020 aufgrund der Coronakrise massiv ein. 2021 kam es dann zu den erwarteten ReboundEffekten, die aber angesichts der neu auf getretenen Corona-Varianten und der Probleme bei den Lieferketten schwächer ausfielen als allgemein erwartet. Ende 2021 stiegen die Inflationsraten in den USA und im Euroraum schlagartig und mas siv an, sie erreichten zum Jahresende in den USA über sechs Prozent, im Euroraum über fünf Prozent und auch in Österreich mehr als vier Prozent. Obwohl die EZB zum Jahreswechsel von einer bloß vorüberge henden Inflation sprach, mehrten sich die Stimmen, die einen längerfristig höheren Preisauftrieb sahen. Im Jänner fiel die Infla tion dann mit fünf Prozent höher als erwar tet aus. Auch unter den nationalen EZB-Ver tretern wurde nun über die Notwendigkeit eines Kurswechsels nachgedacht. Immer hin war der Drei-Monats-Euribor seit Feb ruar 2016 negativ. Der Markt nimmt derzeit die Zinswende vorweg und erwartet einen positiven Euribor noch vor dem Jahres wechsel 2022/23.
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Im Rückblick auf diese Zeit zeigen sich all die Herausforderungen, die für Transfor mationsprozesse in Unternehmen typisch sind: Unterschiedliche Einschätzungen der Zukunft, Erwartungshaltungen und Stake holder-Interessen zeichnen solche Verän derungen aus. Rationale Argumente treffen dabei immer auch auf persönliche Einschät zungen und Betroffenheit. Dazu kommt, dass bei Banken im Unterschied zu vielen ande ren Unternehmen alles flüchtig ist: Geld, Mit arbeiter, Vertrauen und auch Kunden. Schon jetzt kann festgehalten werden, dass den Volksbanken und dem ÖGV diese Ver änderung gelungen ist, ohne dass die damit verbundenen Gefahren schlagend wurden. Und so können heute alle Verantwortlichen stolz auf das zurückblicken, was gemein sam erreicht wurde. Äußere Zeichen dieser erfolgreichen Transformation waren die for male Beendigung des EU-Beihilfeverfahrens am 30. Juni 2020 und das starke Ergebnis des Volksbanken-Verbundes im Jahr 2021.
DER NEUE VOLKSBANKEN-VERBUND
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Da der Abbau der ÖVAG-Aktiva zwar weit fortgeschritten, aber eben noch nicht be endet war, verlangte die Aufsicht, dass keinerlei wirtschaftliche Beziehung mehr zwischen ihr und dem neuen Verbund be stehen durfte, damit aus dieser Richtung keine unerwartete Belastung drohte. Die an sich bestehende rechtliche Nachhaftung bei einer Spaltung wurde auf ein Minimum be grenzt, indem de facto kein Kapital von der ÖVAG abgespalten wurde. Daher war auf der anderen Seite bei der Volksbank Wien eine Kapitalerhöhung durch die regionalen Volksbanken zu stemmen, um den Zentralorganisationsteil übernehmen zu können.
Um allen Stakeholdern glaubhaft zu ver mitteln, dass die damit verbundenen Kos ten von allen Volksbanken gemeinsam getragen werden können, wurde verein bart, dass sich diese zu acht Bundeslän der-Volksbanken und zwei Spezialbanken zusammenschließen. Die Sicherheit, dass die zukünftigen Herausforderungen auch weiterhin gemeinsam in Form eines Kredit institute-Verbundes bewerkstelligt werden können, war der EZB, die als Aufsichtsbe hörde auch für den neuen Verbund zustän dig blieb, ein wichtiges Anliegen.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 105 mussten. Gleichzeitig war sicherzustellen, dass die regionalen Volksbanken langfristig wirtschaftlich erfolgreich sein konnten, um den Fortbestand dauerhaft zu sichern.
Schließlich legte die EU-Kommission aus beihilferechtlicher Sicht fest, dass der neue Verbund noch eine Zahlung von 300 Millio nen Euro in vier Tranchen bis 2023 an die Republik Österreich zu leisten hat. Zur Si cherstellung der Rückzahlung wurden 25 Prozent der Aktien an der Volksbank Wien an die Republik verpfändet und im Auf sichtsrat die Besetzung der Hälfte der Kapi talvertreter vereinbart. Eine Beteiligung der Republik am neuen Verbund war jedoch nicht mehr vorgesehen. Mit all diesen Ver einbarungen war der Grundstein für eine unabhängige Zukunft, aber auch für die wohl größte Umstrukturierung in der Ge schichte der Volksbanken gelegt. Ein rückblickend einzigartiger Vorgang, in dem das Ziel des Erhalts eines unabhängi gen Verbundes durch die Inkaufnahme von strukturellen wie auch persönlichen Ein schnitten über kurzfristige Einzelinteressen gestellt werden konnte. Zunächst war alles andere als sicher, dass diese Umstrukturie rung gelingen würde. Von vielen externen Beobachtern wurde vielmehr die Überle bensfähigkeit ohne die „große“ ÖVAG be zweifelt. Trotz mancher Kritik an der Go vernance manifestierte sich einmal mehr in der Geschichte das genossenschaftliche Prinzip der Selbsthilfe, unmittelbar verbun den mit der Selbstverantwortung, die dann eine Selbstverwaltung ermöglichte. BESCHLÜSSE UND BEWILLIGUNGEN AUF DEM WEG ZUM ZIEL
In der Hauptversammlung der Volksbank Wien am 29. Mai 2015 wurde die Übernah me der Zentralorganisationsfunktion von der ÖVAG beschlossen. Weiters wurden eine Kapitalerhöhung sowie der Spaltungs- und Übernahmevertrag genehmigt und wie ver einbart 25 Prozent der Aktien der Volksbank Wien an den Bund übertragen. Somit konnte die ehemalige Zentralorganisation der ÖVAG im Rahmen einer Spaltung am 4. Juli 2015 –unternehmensrechtlich rückwirkend mit 1. Jänner – auf die Volksbank Wien übertragen und die Rest-ÖVAG als Abbaugesellschaft unter dem Namen immigon portfolioabbau ag gemäß § 162 BaSAG fortgeführt werden.
Die Übernahme des Zentralorganisations Gerald Fleischmann, Generaldirektor der neuen Volksbank Wien, 2016 mit Stefan Kraft und Heinz Kuttin
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Um den Bedenken der EZB Rechnung zu tragen und eine fortgesetzte Bewilligung des Kreditinstitute-Verbundes zu erhalten, waren neben Änderungen des Verbundver trags 2014 und des Zusammenarbeitsver trags auch die Einrichtung eines Leistungs fonds bei der Zentralorganisation (durch Abschluss des Treuhandvertrags für einen solchen Fonds) erforderlich. Die diesbezüg lichen Änderungen wurden in der Hauptver sammlung vom 17. März 2016 beschlossen. Am 29. Juni 2016 wurde der Volksbank Wien von der EZB mitgeteilt, dass der EZB-Rat den Verbund zwischen ihr als Zentralorga nisation und den zugeordneten Kreditinsti tuten als Kreditinstitute-Verbund im Sinne des Artikel 10 CRR und § 30a BWG bewilligt hat. Im Beschluss wurde festgehalten, dass im Zuge der Überarbeitung der Governan ce-Struktur, die im geänderten Verbundver trag festgelegt ist, die rechtlichen Anforde rungen für die Erteilung einer unbefristeten Bewilligung des Volksbanken-Verbundes erfüllt sind. Die Bewilligung wurde zeitlich unbefristet erteilt, der Beschluss wurde mit 1. Juli 2016 wirksam.
Zur Reduktion des Auslandsrisikos und zur Stärkung der Kapitalsituation erfolgten im Februar 2018 auch die Abgabe der Volks bank Schweiz, einer Tochter der Volksbank Vorarlberg, sowie im März 2019 die Veräuße rung der Volksbank Liechtenstein. Ab dem Jahr 2020 wurde an einem Kon zept gearbeitet, damit der Verbund die
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teils stellte einen enormen Kraftakt dar: Die vollständige Abspaltung aller zentralen Funktionen, die für die Aufrechterhaltung des Bankbetriebs der Volksbanken erfor derlich waren, bedeutete für die Volksbank Wien, dass sie etwa sechs Milliarden Euro an Aktiva, praktisch genauso hohe Ver bindlichkeiten und rund 400 Mitarbeiter übernahm. Die Volksbanken zeichneten dafür eine Kapitalerhöhung von 110 Millio nen Euro. Als aufsichtsrechtliche Auflage waren alle im Verbund gehaltenen Anleihen der immi gon im Juni 2015 mittels einer Finanzgaran tie abzusichern. Die Kosten daraus sowie die Ergebnisse einer etwaigen Veräußerung wurden im Verbund anteilig verteilt. Mit der Umwandlung der Rest-ÖVAG in eine Ab baugesellschaft einhergehend wurde der bisherige Verbund aufgelöst und ein neuer Kreditinstitute-Verbund nach § 30a BWG mit der Volksbank Wien als Zentralorganisation gebildet. Die Bewilligung der FMA erfolgte mit Bescheid vom 2. Juli 2015, wurde aber bis 30. Juni 2016 befristet, da aufsichtsrechtlich erforderliche Änderungen am Verbundver trag noch zu beschließen waren.
DIE ERREICHUNG DER ZIELSTRUKTUR Diese neuerlichen Beschlussfassungen er öffneten ein weiteres Mal zwei Banken die Möglichkeit, den Verbund zu verlassen: Die Generalversammlungen der Volksbanken Osttirol-Westkärnten und Marchfeld billigten diesen neuen Vertrag nicht. Sie entkoppelten sich von den bankgeschäftlichen Leistungen des Verbundes und firmierten fortan unter DolomitenBank bzw. Marchfelder Bank. Im Rahmen des verbundweiten Umstrukturie rungsprozesses fusionierten die anderen Volksbanken in insgesamt 44 Fusionen, hier von 33 ab 2015, zu acht regionalen Anbietern von Bankdienstleistungen und zwei Spezial banken („8+2“-Struktur). Neun Fusionen er folgten bereits im Jahr 2015. Mit 1. Dezember 2016 erfolgte der Verkauf der start:Bausparkasse und der Immobank an die BAWAG, wodurch nicht nur eine Stärkung der Kapitalquote, sondern auch eine frühzeitige Teilabschichtung der ers ten Tranche des Bundesgenussrechts ge lang. Im Jahr 2017 brachte außerplanmäßig die Sparda Bank Austria ihren Bankbetrieb in die Volksbank Wien ein. Mit Juli 2017 übernahm die Volksbank Oberösterreich den Bankbetrieb der Volksbank Almtal im Wege eines Asset Deals, da deren Gene ralversammlung keine Aktien an der neuen gemeinsamen Bank zeichnen wollte. Seit 2017 sind aufgrund von Satzungsände rungen die Beteiligungsgenossenschaften nicht mehr innerhalb des Verbund-Konso lidierungskreises. Das war nicht nur auf sichtsrechtlich erforderlich, da sonst auch diese Genossenschaften Aufsichtssubjekt gewesen wären, sondern auch strukturell geboten, zumal es sich ja um die Eigentümer der Volksbanken handelte. Im ersten Halb jahr 2018 erfolgte schließlich die letzte Fu sion durch die Einbringung der Waldviertler Volksbank Horn in die Volksbank Wien. Da mit war Mitte 2018 die Zielstruktur erreicht.
Nach der Überarbeitung der Verträge im Rahmen der Verbundbildung hielten die Diskussionen über die Reichweite des Ver bundes, also der Kompetenzen der Zentral organisation, zunächst auch in der neuen Konstellation an. Die Verständigung auf das Programm „Adler“ und damit auf die ge meinsame Sichtweise einer zukunftsfähigen Verbundstruktur ermöglichte auch die finale Klärung dieser Fragen durch eine „gemein same rechtsverbindliche Erklärung“ im Jahr 2019. Es erfolgte insbesondere eine Klar stellung, was vom Weisungsrecht erfasst ist. Rechtliche Unklarheiten und Zuständig keitsfragen wurden aus dem Weg geräumt, Interessenkonflikte in der Banksteuerung beseitigt und die Besetzung des Aufsichts rats in der Zentralorganisation geregelt. Seit diesem Zeitpunkt sind im Aufsichtsgremium der Volksbank Wien keine Geschäftsleiter von Primärbanken mehr vertreten.
Anforderungen für Banken aus dem Sa nierungs- und Abwicklungsregime erfüllt.
Die Geschäftsentwicklung war in den ers ten Jahren noch durchwachsen: Die Kredite blieben bis 2017 konstant knapp unter 20 Milliarden Euro. Zu stark war anfangs der Fokus des Managements der Banken auf die Strukturänderungen und das Erfüllen der regulatorischen Anforderungen ge richtet. Erst ab 2018 setzte wieder langsam Wachstum ein, 2021 erreichten die Kredite knapp 22 Milliarden Euro. Sowohl das Minus des Verbundes 2015 von 106 Millionen Euro vor Steuern, das im Wesentlichen auf das negative Ergeb nis des aufgegebenen Geschäftsbereichs immigon (180 Millionen) zurückzuführen war, als auch das Ergebnis 2016 in der Höhe von minus 84 Millionen Euro, das Ab schlagszahlungen an die Republik für das Ausscheiden der start:gruppe aus dem Ver bund von insgesamt 39 Millionen Euro, eine Erhöhung der Risikovorsorgen durch An passungen von Berechnungsparametern (35 Millionen) sowie eine Sonderzahlung der Stabilitätsabgabe (28 Millionen) ent hielt, waren mit einer Reihe von Sonderef fekten behaftet. Diese Ergebnisentwicklung 2015 und 2016 war für die Verbundbeteiligten durchaus eine Herausforderung, weil sie noch nicht den erhofften Umschwung brachte. Dazu kam die nur zögerliche Berücksichtigung der neuen Struktur durch die Ratingagen turen, welche jedoch schlussendlich der Volksbank Wien und dem Verbund erfolg reich den Weg zurück auf den Kapitalmarkt Alsermöglichten.MitteMai 2015 die Ratingagentur Fitch den Volksbanken-Verbund von A auf BB–herabstufte, hatte das zu diesem Zeitpunkt mangels nennenswerter Kapitalmarkt emissionen keine Auswirkungen auf die Liquiditätssituation. Sehr rasch nach der EZB-Genehmigung der Spaltung und dem Ausscheiden der ÖVAG aus dem Verbund hob Fitch bereits Ende August das Rating von BB– auf BB+ mit positivem Ausblick an. Es dauerte bis Februar 2017, bis die ersten Upgrades in den Investmentgrade-Bereich erfolgten: Moody‘s stufte die Volksbank Wien in ihrem Initial-Rating im Februar auf Baa2, Volksbank-Präsenz beim Skifliegen: Wie im Sport folgt auf jedes Tief ein Hoch
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Wesentlicher Gedanke dabei war, dass die dezentrale Struktur in wirtschaftlich erfolg reichen Zeiten beibehalten werden kann. Es wurde aber die Möglichkeit der Herein nahme eines externen Investors als Sanie rungsoption bzw. Abwicklungsmaßnahme vertraglich konzipiert, indem sich der Ver bund beim Erreichen von bestimmten Ka pital- bzw. Liquiditätsschwellen in einen Konzern umwandeln würde.
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GESCHÄFTSENTWICKLUNG UND KAPITALMARKTFÄHIGKEIT
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• Aufgrund der EZB-Maßnahmen und der damit einhergehenden Senkungen des Drei-Monats-Euribor sank der Zinssatz Jahr für Jahr.
• Erträge aus den A-Depots gab es im neu en Verbund praktisch nicht mehr, da die Wertpapiere frühzeitig verkauft worden waren, um mit den aufgrund der Zinssen kung möglich gewordenen Kursgewinnen die Kapitalquoten zu stärken.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV108 und im März hob Fitch das Verbundrating auf BBB– an. Nachdem Moody‘s das Rating der Volksbank Wien im Oktober nochmals auf Baa1 verbessert hatte, hob auch Fitch die Einstufung des Verbundes auf BBB an. Dadurch wurde es möglich, dass die Volks bank Wien und damit auch der Verbund wieder auf den Kapitalmarkt zurückkehren konnten. Im Herbst 2017 erfolgte die erste Emission einer Tier-2-Anleihe über 400 Milli onen Euro. Der Verbund blieb seitdem durch regelmäßige Transaktionen am Kapitalmarkt präsent: Im Februar 2019 wurde ein sieben jähriger Covered Bond über 500 Millionen und im April 2019 – erstmals in der Geschich te der Volksbank Wien – eine AT1-Emission über 220 Millionen begeben. Nachdem Ende März 2021 eine Senior-Non-Preferred-An leihe über 500 Millionen Euro erfolgreich platziert wurde, steht für 2022 eine mögliche Ersatzbeschaffung für die Tier-2-Anleihe von 2017 in Form eines Green Bond an.
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Die Änderung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben, die eine AT1-Emission der Volksbank Wien für den Verbund erforder te, erhöhte den Zinsaufwand und redu zierte damit die Innenfinanzierung.
DAS EFFIZIENZPROGRAMM „ADLER“ Aufgrund all dieser nachhaltig negativen Einflüsse auf die Ertragskraft beschlossen die Verbundmitglieder einen mehrjährigen
Die Kapitalanforderungen an Banken und an den Verbund stiegen im Zeitverlauf: So erhöhte sich die Eigenmittelbemessungs grundlage des Verbundes mit einem Schlag allein aufgrund der Änderung der Gewichtung von sogenannten spekulati ven Immobilienfinanzierungen um rund 800 Millionen Euro.
• Weil das abreifende Geschäft nur durch deutlich geringere Margen ersetzt werden konnte, kam der Zinsertrag unter Druck.
In Summe gab also eine Fülle an Entwick lungen, die für alle Banken geringere Er träge und zusätzliche Kosten bedeuteten. Aufgrund der Historie wirkten sie für den Volksbanken-Verbund aber zusätzlich belas tend. Es wurde daher begonnen, Optionen innerhalb und außerhalb des Verbundes zu evaluieren, um die Ergebnislage nachhaltig zu verbessern. So wurde Anfang 2018 die Möglichkeit einer Kapitalbeteiligung der Ös terreichischen Post evaluiert, da aufgrund des Auslaufens der Kooperation der Post mit der BAWAG Synergien in beiden Vertriebs netzen gesehen wurden. Nachdem insbe sondere über den Schritt der Öffnung der Eigentümerstruktur keine einvernehmliche Entscheidung erzielbar war, waren sich die Akteure einig, dass zur nachhaltigen Absi cherung des Verbundes eine weitere Straf fung der Kostenstruktur und eine Erhöhung der Produktivität erforderlich waren.
Das neu errichtete Bankenabwicklungsre gime in der EU, das für die Abwicklungs fähigkeit die Emission von Bail-in-fähigen Wertpapieren erforderte, belastete eben falls das Zinsergebnis.
• In der Mittelfristplanung musste die Rück zahlung des Bundesgenussrechts sicher gestellt werden, wodurch zur Sicherung einer entsprechenden harten Kernkapital quote Einschränkungen beim Verbrauch von risikogewichteten Aktiva und damit im Kerngeschäft notwendig wurden.
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Die neuen Einlagensicherungs- und Ab wicklungssysteme machten die Dotierung von Fonds erforderlich, was die regulatori schen Kosten weiter in die Höhe trieb.
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Die Änderung der Rechtslage für die Ver rechnung von negativen Zinsen an Privat kunden seit 2017 belastete das Zinsergeb nis zusätzlich.
VERSCHÄRFUNG DER RAHMENBEDIN GUNGEN FÜR BANKEN Ein Grund für die anfangs schwierige Er tragssituation war auch, dass sich die ex ternen Rahmenbedingungen für Banken parallel zur Bewältigung der verbundinter nen Aufgaben verschlechterten und somit zusätzlich zu all den anderen Herausforde rungen zu bewältigen waren:
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EIN NACHHALTIGES UND RISIKOARMES GESCHÄFTSMODELL
Nachdem das Programm „Adler“ inhaltlich vollumfänglich und zeitlich sogar schneller als geplant umgesetzt worden war, erfolg te im ersten Halbjahr 2021 nochmals eine Überprüfung des Geschäftsmodells. Diese ergab, dass auf der Ertragsseite – insbeson dere aufgrund der erfolgreichen Produkt partnerschaften – vor allem im Provisions ergebnis noch Chancen gesehen werden und im Kostenbereich bei der IT noch nach Starkes Zeichen der Einigkeit: Bei der Volksbank-Management konferenz 2019 wird gemeinsam der Grundstein für die „Hausbank der Zukunft“ gelegt
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Aktionsplan: Im vierten Quartal 2018 wur de das Programm „Adler“ zur nachhaltigen Senkung der Kosten durch eine Neudefini tion der Zusammenarbeit im Verbund ver einbart. Es beinhaltete drei Zielsetzungen: eine Zentralisierung von Teilen des Bankbe triebs, die Straffung und Vereinfachung der Prozesse und die Schaffung einer einheitli chen Datenarchitektur. Die Zentralisierung umfasste die Bereiche Backoffice, Finanzen, Controlling, Recht, Compliance, interne Revision, Risikocontrolling, Treasury, Betreibung und Sa nierung sowie Organisation und IT. Die Straffung der Prozesse beinhaltete die Optimierung des Kreditprozesses, dessen Standardisierung und Beschleunigung, die Steigerung der Effizienz der IT sowie ein Kunden- und ein Marktservicecenter, in denen administrative Tätigkeiten der Markteinheiten zentral gebündelt wurden, um Synergien zu erzielen. Diese Aufgabe übernahm die VB Services GmbH, in der – nach der Spaltung der infrastrukturellen Dienstleistungen und der Liegenschafts bewirtschaftung in die neu gegründete VB Infrastruktur und Immobilien GmbH –MSC Passiv, MSC Aktiv sowie die Kredit sachbearbeitung ausgelagert wurden. Bei der Schaffung einer einheitlichen Daten architektur stand die Standardisierung von Core-Banking-Lösungen im Mittelpunkt Parallel(„Einheitsmandant“).dazuwurde die Zentrale in der Kolingasse mit einem Buchgewinn von über 30 Millionen Euro verkauft. Die Volks bank Wien übersiedelte in der Folge in die Dietrichgasse im dritten Wiener Gemeinde bezirk und setzte dort ein modernes Büro konzept um. Die Clean-Desk-Policy und die Investition in Laptops für alle Mitarbeiter machten sich nur wenige Monate später be zahlt, als wegen des behördlich verfügten Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt werden mussten. Ein unterbrechungsfreier Betrieb der Volksbank Wien – und in ähnli cher Art und Weise der anderen Volksban ken – war so jederzeit gewährleistet. Infolge der Maßnahmen des „Adler“-Pro gramms wurde der Verwaltungsaufwand trotz inflationärer Kostenauftriebe von 568 Millionen Euro (2018) auf 511 Millionen zum Jahresende 2020 und damit absolut um mehr als zehn Prozent gesenkt. All diese Maßnahmen hatten zum Ziel, die verein barten Tranchen des Bundesgenussrechts zeitgerecht zurückzuzahlen und damit den Eigentümern die verpfändeten Aktien an der Volksbank Wien wieder zurückzu geben. Es konnten sowohl die Zahlung der ersten Tranche über 15 Millionen Euro (2017), der zweiten Tranche, die in Summe eine Rückzahlung von 75 Millionen bis zum Jahresende 2019 vorsah (diese erfolgte be reits Ende 2018 und damit ein Jahr früher als geplant), sowie im November 2021 der dritten Tranche vereinbarungsgemäß erfol gen. Die Rückzahlung der letzten Tranche von 100 Millionen Euro ist bereits in den Plänen der Volksbanken enthalten und soll spätestens zum Jahresende 2023 erfolgen.
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Der ÖGV hat diese Veränderungen der Volksbanken seit 2015 immer begleitet. Für die erfolgreiche Neuorientierung und zu kunftsweisende Aufstellung des Verbandes sowie ein Durchstarten mit neuer Kraft wa ren jedoch zunächst die Bewältigung der of fenen Fragen, die sich aus der Neuaufstel lung des Volksbanken-Verbundes ergaben, sowie die Neuordnung des Verhältnisses der beiden Mitgliedergruppen zueinander erforderlich. Denn die Periode ab 2015 be deutete auch für den ÖGV einen gewissen Neuanfang. Die enormen Umwälzungen im Bereich der Volksbanken übertrugen sich auf den ÖGV in mehrfacher Hinsicht.
Der Großteil der Bankvorstände erwartete
Effizienzsteigerungen gesucht werden soll. Einen wesentlichen Faktor für die Zukunfts fähigkeit der Volksbanken stellte das risiko arme Geschäftsmodell dar: keine Beteiligungsrisken kein Konsumkreditgeschäft in der Bilanz praktisch kein Auslandsgeschäft (weniger als fünf Prozent) geringes Peripherie-Exposure praktisch keine Währungsrisken kleinteiliges Kreditportfolio (keine Klum penrisken) NPL-Quote von 1,8 Prozent (2021) hohe Besicherungsquote des Portfolios
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DER ÖGV AUF DEM WEG DER NEUAUSRICHTUNG
Dazu gesellte sich die verbundinterne Dis kussion, wie die Fusionen der Banken am besten erfolgen sollten. Die Ausbringung des Geschäftsbetriebs in eine neu gegrün dete Bank-AG wurde zum Teil als Abkehr vom Genossenschaftsgedanken tituliert. Teilweise bestand auch die Befürchtung, dass die genossenschaftliche Revision der Bank-AGs in Frage gestellt werden könnte.
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BANK-AG ODER GENOSSENSCHAFTS BANK?
FRAGE DER ÖGV-MITGLIEDSCHAFT Seit 2012 bestand das Anliegen der Volks banken, dass nur noch ÖGV-Mitglied in der Gruppe Volksbank sein konnte, wer auch Mitglied des Kreditinstitute-Verbundes war. Der Verbandstag 2012 hatte auch eine ent sprechende Satzungsänderung beschlos sen. Das Wirtschaftsministerium äußerte jedoch Bedenken dagegen, weil dann Mit glieder, die der Pflichtrevision unterliegen, ohne zuständigen Revisionsverband da stünden. Es verwehrte daher die erforder liche Zustimmung. Die Folge waren Ge richtsverfahren zur Klärung dieser Frage.
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Auf dieser Grundlage wurde das Ziel für den Volksbanken-Verbund mit einer Mindest ertragskraft von rund 130 Millionen Euro nach Steuern definiert, um das Geschäftsund Kundenwachstum durch die Innen finanzierung abzudecken, Änderungen des Aufsichtsrechts, insbesondere neue Kapitalanforderungen abdecken zu kön nen, die durchschnittlichen Risikokosten zu erwirtschaften sowie eine ansprechende Dividende an die Beteiligungsgenossen schaften bzw. die Genossenschafter aus schütten zu können. Die Genossenschaf ten als Eigentümer der Banken nehmen in diesem Konzept eine wichtige strategi sche Rolle für die Verwirklichung des sat zungsmäßigen Förderauftrags und bei der Unterstützung des regionalen Auftritts der Volksbanken ein. Die Funktionärinnen und Funktionäre werden weiterhin wesentliche regionale Multiplikatoren der Volksbanken sein und daher eng in die Entwicklung der Banken und Marketingmaßnahmen einbe zogen. Durch zusätzliche Aktivitäten för dern sie ihre Mitglieder. Der Erfolg gibt den Volksbanken recht: Der neue Verbund erzielte im Jahr 2021 ein Re kordergebnis. Mit knapp 220 Millionen Euro nach Steuern konnte nicht nur die fällige Tranche des Bundesgenussrechts von 125 Millionen Euro bezahlt werden, sondern zusätzlich auch die harte Kernkapitalquote weiter von 14,2 auf 14,4 Prozent gesteigert werden. Auch das Kreditwachstum setzte nach dem schwierigen Coronajahr 2020 im Jahr 2021 wieder ein, das Volumen wurde von 21,3 auf 21,6 Milliarden Euro gesteigert. Noch erfreulicher verlief das Provisionsge schäft, in dem mit 253 Millionen Euro ein Rekordergebnis erzielt wurde. Hauptver antwortlich war das Wertpapiergeschäft, das Depotvolumen konnte um 1,3 Milliarden Euro auf 8,5 Milliarden gesteigert werden.
VON 1997 BIS HEUTE
Da insbesondere die wirtschaftlich starken und großen Banken praktisch keine Wahl hatten, wollten sie nicht die Existenz des Volksbanken-Sektors als Ganzes aufs Spiel setzen, forderten aber eben auch, dass nicht einige wenige diese Wahlfreiheit für sich in Anspruch nehmen. Die Volksbanken-Vertre ter im Verbandsrat teilten daher die Sicht der „Trittbrettfahrer“ nicht und forderten vom ÖGV-Vorstand eine klare Positionierung.
VON 1997 BIS HEUTE
DISKUSSION ÜBER STRATEGIE UND LEISTUNGSSPEKTRUM DES ÖGV Grundsätzliche Diskussionen über das zu künftige Aufgabenfeld des ÖGV im neuen Verbundgefüge, insbesondere um Doppel gleisigkeiten und damit unnötige Kosten zu vermeiden, standen das gesamte Jahr 2015 über auf der Tagesordnung. Sie belasteten auch die Zusammenarbeit mit den Mitglie dern der Gruppe Ware, weil diese erstens nicht vom Zusammenbruch der ÖVAG be troffen waren und zweitens einen stabilen ÖGV und damit Planbarkeit für die Zukunft wollten. Die in diesem Zusammenhang hin terfragte „Quersubventionierung“ der Re vision durch allgemeine Verbandsbeiträge und die Forderung nach einer vollständi gen, leistungsgerechten Abrechnung der Prüfung erschwerten ab diesem Zeitpunkt auch die Diskussionen zwischen den bei den Gruppen im ÖGV. ÖGV-Präsident Gerhard Hamel (re., Volksbanken) und Vizepräsident Anton Kovsca (li., Ware) beim Handshake kurz vor Weihnachten 2016 –im Jahr darauf folgte dann die große Satzungsreform
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RECHTSBERATUNG FÜR DIE „ABTRÜNNIGEN“?
jedoch keine Nachteile für das Genossen schaftsmodell, sondern hielt diese Vor gehensweise für betriebswirtschaftlich rational und geboten, um unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen der einzel nen Banken bei der Einbringung entspre chend berücksichtigen zu können.
Zur Frage der Rechtsberatung für die „ab trünnigen“ Volksbanken gab es ab 2015 einen Dissens zwischen ÖGV-Vorstand und Verbandsrat Volksbank: Die Volksbanken drängten darauf, dass die Leistungen im Rahmen der Anwaltschaft wie insbesonde re die Rechtsberatung den Mitgliedern, die den nunmehr neu abzuschließenden Ver bundvertrag nicht unterzeichnen wollten, verwehrt wurden. ÖGV-Verbandsanwalt Christian Pomper vertrat in dieser Frage eine konträre Auffassung, sein Agieren in dieser Zeit und auch entsprechende öffentliche Äu ßerungen waren daher heftig umstritten.
ZUKUNFTSFÄHIGKEIT DES ÖGV UND DES NEUEN VERBUNDES Um einen ökonomisch zukunftsfähigen Volksbanken-Verbund darstellen zu können, waren eine erfolgreiche Trennung von der ÖVAG und nach deren Verlust eine gewisse Basisgröße des Verbundes erforderlich. Zu mal die Volksbanken mehr als 75 Prozent der Verbandsbeiträge leisteten, war die Erfül lung dieser beiden Voraussetzungen auch für die Zukunft des ÖGV von entscheiden der Bedeutung. Als sich abzeichnete, dass einzelne Volksbanken damit spekulierten, die neuen Verbundverträge nicht zu unter zeichnen, verhärteten sich die Positionen. Es war 2015 klar, dass eine erfolgreiche Trennung von der ÖVAG mangels Zustim mung der Behörden nicht erfolgen konnte, wenn nicht alle Volksbanken dem Fusions programm zustimmen. Und aufgrund der Unmöglichkeit, das im Bescheid der EZB zusätzlich erforderliche Kapital in der Höhe von 864 Millionen Euro aufzubringen, waren ohne die Erfüllung der Zielaufstellung weder ein selbstständiger Volksbanken-Verbund noch ein zukunftsfähiger ÖGV realistisch.
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Das Jahr 2017 brachte schließlich den Durchbruch im Konflikt und die Weichen stellung für eine erfolgreiche Zukunft: Beim Verbandstag konnte einvernehmlich eine neue ÖGV-Satzung beschlossen werden. Die wesentlichen Eckpunkte waren: eine Aktualisierung der Aufgaben des ÖGV die paritätische Besetzung des Verbands rats aus beiden Mitgliedergruppen die Wahl des Präsidenten bzw. seines Stellvertreters aus der Mitte der Ver bandsratsmitglieder die Neuregelung der Stimmrechte bei den Gruppen- und Verbandstagen die Einrichtung eines Nominierungskomi tees, das Vorschläge an den Verbandsrat zur Bestellung der Vorstandsmitglieder machen sollte die Verankerung des Grundsatzes, dass die Prüfungsgebühren kostendeckend veranschlagt werden sollten eine Neuordnung des Früherkennungs systems PERSONELLE UND NEUAUFSTELLUNGFINANZIELLE
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Die Turbulenzen hatten in dieser Zeit auch eine hohe Fluktuation im Vorstand des ÖGV zur Folge: Als Nachfolger des abge lösten Christian Pomper wechselte ÖGVPräsident Heribert Donnerbauer 2016 interimistisch in den Vorstand, wo er ge meinsam mit Walter Reiffenstuhl, der in der Revision auf Bernd Spohn gefolgt war, die Verantwortung für den Verband übernahm. Margareta Steffel hatte ihre Vorstands funktion in der Revision Ware bereits 2015 zurückgelegt. 2017 war dann Verbands sekretär Wolfgang Schmidt interimistisch Vorstand des ÖGV, ehe es schließlich zu einer tragfähigen Lösung für die Zukunft kam: Mit Jahresbeginn 2018 wurde Peter Haubner zum neuen Vorstandsvorsitzen den und Verbandsanwalt bestellt. Schon im Jahr davor war Robert Makowitz als neuer Revisionsvorstand gekommen. Beide bil den bis heute – zusammen mit Franz Groß als Revisionsvorstand für den Bereich Ware – erfolgreich die Spitze des ÖGV. In diese Zeit fiel dann auch die erste Entspannung: DolomitenBank und Marchfelder Bank schieden Mitte 2018 einvernehmlich aus dem ÖGV aus. Das Effizienzprogramm des Verbandes war indes erfolgreich: Innerhalb von fünf Jahren wurden 40 Prozent der Kos ten eingespart.
Im selben Jahr fand auch ein Genossen schaftstag als Zukunftsworkshop mit Pro fessorin Theresia Theurl statt.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV112 NEUE SATZUNG ALS STARTSCHUSS FÜR DIE ZUKUNFT DES ÖGV
VON 1997 BIS HEUTE
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Das neue Vorstandsteam des ÖGV leitete den Aufschwung ein: Franz Groß, Peter Haubner und Robert Makowitz (v. l. n. r.)
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Die Neuaufstellung des Vorstandes führte den ÖGV rasch zu alten Stärken zurück: In vielen der angestammten Aufgabenberei che wurden nach und nach Initiativen ge setzt, die den Mitgliedern den Wert ihres Verbandes vor Augen führten. Sichtbares Zeichen für diesen Neustart war am 29. Mai 2018 ein erstmals seit langem wieder öffent lich abgehaltener Verbandstag. Unter dem Motto „Mutig in die digitale Zukunft“ wurde ein Thema, das für beide Mitgliedergruppen des ÖGV immer stärker von existenzieller Bedeutung ist, gemeinsam mit Bundesmi nisterin Margarete Schramböck und IMASExperte Paul Eiselsberg diskutiert. 2019 referierte WIFO-Chef Christoph Badelt im Verbandsrat zum konjunkturellen Umfeld und zur Wettbewerbsfähigkeit Österreichs.
AB 2018: DURCHSTARTEN MIT NEUER KRAFT
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 113
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VON 1997 BIS HEUTE
war auch der Weg frei, sich auf die zukünftigen Schwerpunkte neben dem Kernauftrag der Revision zu kon zentrieren:
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• Internationale Interessenvertretung: Der ÖGV betreute in diesem Bereich neben vielen anderen Agenden zwei besonders wichtige Themen, die für die Volksbanken maßgeblich sind, nämlich MiFID und die Abwicklungsstrategien (MREL).
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• Beratung und Betreuung: Die Handlungs fähigkeit in seinen Beratungsleistungen stellte der ÖGV spätestens mit Beginn der Coronakrise unter Beweis. Neben regel mäßiger Mitgliederinformation rund um Themen wie Förderungen oder Schutz maßnahmen erfolgte auch eine Beratung der Mitglieder zur Abhaltung von Gremial sitzungen in digitalen Formaten.
• Rechtsberatung: Der ÖGV wirkte mit sei ner juristischen Expertise in vielen Berei chen mit, unter anderem auch maßgeblich bei der Begutachtung und Gestaltung der Auslagerungs- und Überlassungsverträge im Zuge des Programms „Adler“. Formularwesen, Rechtsdatenbanken und „Regulatory Pool“ (gemeinsam mit der Zen tralorganisation) Individualberatung neuer und bestehen der Mitglieder aus dem Bereich Ware und Dienstleistungen, insbesondere Ausbau des Gründerservices Schulungen und Seminare Beratung im Rahmen der Steuergesetzgebung und Bilanzerstellung
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• Internationale Kooperationen: Insbesonde re die Zusammenarbeit mit dem DGRV und dem BVR wurde intensiviert.
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Ein Meilenstein war die Abstimmung der jah relang diskutierten und offen gebliebenen Schnittstelle mit dem Zentralorganisations bereich der Volksbank Wien: Getragen vom Optimismus für eine erfolgreiche Zukunft des Verbandes gelang dem ÖGV-Vorstand die Klarstellung, wie eine sinnvolle Zusam menarbeit zwischen Volksbanken und ÖGV erfolgen soll. Die Regelungen umfassen: die Konkretisierung der Kernleistungsbe reiche des ÖGV die Schnittstellenklärung die Festlegung der Zusammenarbeit mit der Zentralorganisation beim Formular wesen und den Rechtsdatenbanken den Abschluss von Leistungsvereinba rungen für die Rechtsberatung und den „Regulatory Pool“ das gemeinsame Verständnis mit der Zent ralorganisation, wie der ÖGV in die Projekt arbeit bei regulatorischen Vorgaben einbe zogen wird die Klärung der Zuständigkeit der Interes senvertretung die Mitwirkung des ÖGV mit seinem Knowhow bei Schulungen und Seminaren die Erarbeitung von Serviceleistungen für die Beteiligungsgenossenschaften der Volksbanken mit der Entwicklung des Kon zepts für einen „Volksbank Eigentümer club“ auf Basis einer breit angelegten Mit MitgliederbefragungdiesenKlarstellungen
• Nationale Interessenvertretung inkl. Fach verbandsfunktion: Neben den regelmä ßigen Fachverbandsaufgaben wie den Kollektivvertragsverhandlungen nahm der ÖGV auch wieder verstärkt seine Brücken funktion zu öffentlichen Stellen ein. So hielt er die Interessen der Genossenschaft hoch, als es um die Reform des Genossen schaftsrevisionsgesetzes ging, das eine Modernisierung der Revisorenausbildung brachte und somit das Berufsrecht fit für die Zukunft machte. Auch am Bekenntnis zur Genossenschaft im aktuellen Arbeits programm der Bundesregierung hatte der ÖGV maßgeblichen Anteil.
Wissenschaft und Lehre: Gemeinsam mit den anderen großen Revisionsver bänden entwickelte der ÖGV Konzepte, um die Genossenschaft an Universitäten Der stark besuchte Verbandstag 2018 markiert den Auftakt für das „Comeback“ des ÖGV
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• Modernisierung und Teilvermietung des Standorts Löwelstraße: Um Raum und Kosten zu optimieren, wurde 2019 die Ver mietung des ersten und zweiten Stocks im ÖGV-Haus in die Wege geleitet und eine Neustrukturierung des dritten und vierten Stocks für den ÖGV selbst vorge nommen. Weiters erfolgten eine Renovie rung der Hausfassade, die Umsetzung ei ner modernen Raumplanung mit flexiblen Arbeitsplätzen, die umfassende Moderni sierung der Veranstaltungsräume und die Installation einer Fotovoltaikanlage.
• Stärkung des Marketings und der Öf fentlichkeitsarbeit: Der Umbau zum mo Verbandstag 2021 im Zeichen der Nachhaltigkeit mit EU- und VerfassungsministerinEdtstadlerKaroline
VON 1997 BIS HEUTE
DIE INITIATIVE „#AUFWERTEN2022“ Mit Blick auf das 150-Jahr-Jubiläum hat der ÖGV schon im Jahr 2018 ein Strategiekon zept erarbeitet, das unter dem Titel „#auf werten2022“ präsentiert wurde. Es umfass te ein ganzes Bündel an Maßnahmen und Aktivitäten, um den ÖGV, seine Mitglieder und das Geschäftsmodell Genossenschaft zu stärken.
• Mitgliedergewinnung: Besonderes Au genmerk legte der ÖGV auf den strate gischen Wachstumsbereich der Warenund Dienstleistungsgenossenschaften, die Neuaufnahme von Mitgliedern wur de in der Folge forciert. Im Vordergrund stand die Unterstützung bei Gründungs aktivitäten, wozu schon früh ein intensiver Austausch mit dem DGRV zum Thema Energiegenossenschaften gestartet wur de. Diese Aktivitäten zeigten bereits ab 2019 zählbare Erfolge, die Zahl der Neu gründungen stieg erstmals nach vielen Jahren wieder deutlich an. ÖGV-Präsident Franz Reischl würdigte dieses Engage ment, indem er von einer „Renaissance der Genossenschaften“ sprach.
• Schaffung einer neuen Struktur für die Revision: Der Kernbereich Revision fokus sierte sich auf die Neuaufstellung der Or ganisation, etwa durch die Schaffung von regionalen Teams, auf technische Neue rungen wie die moderne Prüfersoftware „Audicon“, die Möglichkeit für Off-SitePrüfung und Dokumentenaustausch über die Cloud, eine Neuaufstellung der Früh erkennung und des Risikomanagements, die Reduktion der Prüfungsstunden durch die Optimierung von Prüfungshandlun gen, die Einrichtung einer Regionalgrup pe West mit Standort Salzburg sowie die Vertiefung der Risikoorientierung durch eine Adaptierung des Prüfplans. 2019 fand ein Peer Review des ÖGV statt, der ausgesprochen positiv verlief: Es wurde eine positive Bescheinigung für das ma ximal mögliche Ausmaß von sechs Jahren erteilt.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV114 und Schulen besser zu positionieren. So wurden der „Tag der Genossenschaften“ an der WU Wien eingeführt und das Un terrichtspaket „Genossenschaft macht Schule“ vorgestellt.
• Solidaritätseinrichtungen: 2018 wurde be schlossen, dass AT1-Instrumente, die basiswandeltstimmrechtsloseanVolksbanken-BeteiligungsgesellschaftdiedenVolksbankengezeichnethatte,inCET1-Instrumentegewerden,womitdieKernkapital-derVolksbankengestärktwurde.
• Modernisierung der IT und des Rech nungswesens: Im Bereich Technik wurde eine umfassende Modernisierung der IT-Strukturen in die Wege geleitet. Das Rechnungswesen wurde durch eine weit gehende Automatisierung der Prozesse und eine Bündelung der Tätigkeiten in der neu gegründeten ÖGV-Tochter WI.RE. op timiert.
Folgende Themenbereiche standen dabei im Mittelpunkt:
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Den nächsten Ausbauschritt setzt der ÖGV im Rahmen des Projekts „#mehrwert2025“, das unter anderem eine deutliche Erweite rung des Leistungsangebots für die Ge nossenschaften im Volksbanken-Verbund vorsieht. Die Umsetzung läuft bereits auf Hochtouren. Dreh- und Angelpunkt ist da bei die neu eingerichtete ÖGV-Servicestel le für Volksbank-Genossenschaften. Über die zentrale GENOS-Datenbank bietet der ÖGV ein Tool zur effizienten Führung der Mitgliederverzeichnisse, alle relevanten Geschäftsfälle sind dort digital abgebildet. Angeboten werden auch die Gremialbe treuung für die Beteiligungsgenossen schaften sowie die laufende Buchhaltung bis hin zur Erstellung des Jahresabschlus ses. Mit dem „Volksbank Eigentümerclub“ steht ein umfangreiches Marketingpaket für den Außenauftritt der Genossenschaf ten zur Verfügung.
Die Vorteile für die Volksbank-Genossen schaften liegen in der Effizienzsteigerung, der Betreuung aus einer Hand, der Nut zung der ÖGV-Kommunikationsplattform mit starker Vernetzung, der laufenden Füh rung und Beobachtung der Mitgliederent wicklung sowie der digitalen Unterstützung für eine Mitgliederoffensive. Im Rahmen einer breit angelegten Initiative wird der zeit gemeinsam mit den Funktionärinnen und Funktionären aus ganzheitlicher Sicht die zukünftige Ausrichtung des genossen schaftlichen Netzwerks im VolksbankenVerbund geplant.
MIT VERTRAUEN ZUKUNFT BAUEN
AUSBAU DES LEISTUNGSANGEBOTS FÜR DIE SCHAFTENVOLKSBANK-GENOSSEN
Im Jubiläumsjahr 2022 steht für den ÖGV und seine Mitglieder im Mittelpunkt, sich auf den genossenschaftlichen Grundwert Vertrauen zu besinnen. Gerade der Ab riss der jüngeren Geschichte zeigt, wie wichtig es für die Mitglieder des ÖGV war und ist, Vertrauen zu haben. Gemeinsam wurde dieses durch die Nachwirkungen der Finanzkrise erschütterte Vertrauen wieder erarbeitet. Dem ÖGV-Vorstand ist es gelungen, dass alle Mitglieder auf dem Fundament des Vertrauens wieder Zu kunft bauen. Sichtbar wird die erfolgreiche Entwicklung des ÖGV nicht zuletzt daran, dass er – wie schon in früheren Zeiten – vo rausschauend Entwicklungen und Bedürf nisse der Mitglieder erkennt und die ent sprechenden Dienstleistungen in hoher Qualität anbietet.
VON 1997 BIS HEUTE
Erstes Highlight im Jubiläumsjahr 2022: „Zukunftstag Genossenschaft“ im Wiener Museumsquartier
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 115 dernsten Verband im Genossenschafts wesen sollte sich auch im Außenauftritt niederschlagen. Dazu wurde das ÖGVLogo adaptiert und um den Leitspruch „Gemeinsam erfolgreich“ ergänzt, die Gründerkampagne „Zukunftskraft Genos senschaft“ ins Leben gerufen sowie der Internet- und Social-Media-Auftritt aus gebaut. 2020 erfolgte ein umfassender Relaunch des Verbandsmagazins „coope rativ“. In der Kommunikation setzte der ÖGV auf jährliche Themenschwerpunkte – „Regional ist genial“ (2020), „Reichhal tig nachhaltig“ (2021) und „Mit Vertrauen Zukunft bauen“ (2022). Mit dem „Talk 14“ hat der ÖGV zudem ein neues Veranstal tungsformat entwickelt, das Referate zu aktuellen Themen, Diskussion und Net working vorsieht. Die erste Veranstaltung aus dieser Reihe fand im März 2022 statt.
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Der Rückblick auf die vergangenen 25 Jah re zeigt eine sehr bewegte Entwicklung des ÖGV, die geprägt ist von einem Wechselbad der Gefühle. Die ersten zehn Jahre zwischen 1997 bis 2007 verliefen dynamisch und waren gekennzeichnet vom Wachstum der Volks banken. Inhaltlich erfüllte der ÖGV dabei nicht nur seine satzungsmäßigen Aufgaben, sondern reagierte auch flexibel auf neue An forderungen. Er füllte die Funktion des stra tegischen Visionärs und Vordenkers der Ge nossenschaftsidee aus.
Die Bemühungen des ÖGV zur Verbundbildung durch das Aufstellen einer Verbund bilanz nach IFRS-Grundsätzen seit 2004, die Etablierung eines verbundinternen ÖGV-Ra tings sowie die Weiterentwicklung der Si cherungseinrichtungen überzeugten 2006 die internationale Ratingagentur Fitch, dem Volksbanken-Verbund ein Rating von A zu Eingeben.weiteres
1997 – 2022: Fazit
Highlight dieser Periode war die Etablierung einer eigenen Bank durch den ÖGV, der Volksbank Quadrat Bank. Dabei handelte es sich um ein Emissionsvehikel, über das Kunden der Volksbanken Partizi pationskapital zeichnen konnten. Die Ent wicklung im regulatorischen Bereich war Anfang der 2000er-Jahre von der Entste hung neuer Methoden des Risikomanage ments geprägt. Der ÖGV nahm sich dieses Themas aktiv und vorausschauend an und überzeugte die Volksbanken von deren Sinnhaftigkeit. Ratinginstrumente und ein Risikomanagementsystem hielten stufen weise Einzug in den Verbund. In diese Phase fiel auch die Öffnung der Volksbanken in Richtung Zentral- und Ost europa, die durch den ÖGV ebenso aktiv begleitet wurde. Die CIBP-Präsidentschaft von 2000 bis 2003 unterstrich die interna tionale Ausrichtung des ÖGV und schuf ein Netzwerk der Zusammenarbeit innerhalb der Genossenschaftsorganisationen. Der Einstieg der DZ Bank, der WGZ Bank und der BPCE bei der Volksbank International waren Ergebnis dieser Entwicklung.
VON 1997 BIS HEUTE
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Die Europäisierung und damit Standardisie rung des Bankrechts nach dem EU-Beitritt warf viele Fragen aufgrund der Besonder heiten von Banken in der Rechtsform der Genossenschaft auf. Der ÖGV setzte sich für den Erhalt der genossenschaftlichen Spezifika auf nationaler wie auch auf euro päischer Ebene ein, ohne die der Betrieb einer Bank als Genossenschaft nicht mehr möglich wäre. Eine adäquate Berücksichti gung der Proportionalität forderte der ÖGV schon seit Beginn der EU-weiten Harmoni sierung des Aufsichtsrechts. Er bildete da mit die Speerspitze für eine Diskussion, die bis heute bei den regulatorischen Rahmen bedingungen für Genossenschaftsbanken auf der Tagesordnung steht. Die aktive und vorausschauende Bearbeitung des strategischen Themas der Verbundbil dung brachte den Volksbanken 2006 ein Ver bundrating, 2008 durch die Anerkennung des institutionellen Sicherungssystems unter Ein beziehung der ÖGV-Sicherungseinrichtun gen zusätzliche Eigenmittel und 2012 durch die gesetzliche Regelung des KreditinstituteVerbundes den Fortbestand der selbstständi gen Volksbanken in Österreich. Der ÖGV ent wickelte sich in dieser Phase aber auch im Bereich der Marktunterstützung weiter: Es wurden nicht nur kompetente Beratungs leistungen und innovative Controllinginstrumente wie die Marktentwicklungs kennzahl eingeführt, bereits 2006 wurde auch die Kooperation mit der TeamBank auf den Weg gebracht – eine anfangs unter schätzte Entwicklung im Konsumkredit geschäft, die mittlerweile als fixer, ertrag reicher und strategischer Bestandteil des neuen Verbundes gesehen wird.
Die nach dem Tod Klaus Thalhammers ge änderte Expansionsstrategie führte nicht nur zu einem rasanten Wachstum der Volksbank International, sondern auch im Inland zur Übernahme des Investkredit-Konzerns. Die Kapitalausstattung konnte trotz Aufwertun gen von Beteiligungen durch Umstrukturie rungen des Konzerns mit den aufsichtsrecht lichen Anforderungen nicht Schritt halten, weshalb schon vor Ausbruch der Finanzkrise latenter Kapitalbedarf gegeben war. Es wäre daher wohl auch ohne die dramatischen Aus wirkungen der Finanzkrise auf den ÖVAGKonzern und damit den gesamten Volksban ken-Verbund eng geworden. Die später vom europäischen Gesetzgeber neu definierten Anforderungen an Qualität und Quantität von Eigenmitteln hätten die Volksbanken wohl nicht stemmen können. Nach der Notverstaatlichung der Kommu nalkredit war die Bewältigung der Auswir kungen der Subprime-Krise, der Finanzkrise, der Euro- und Staatenkrise sowie der an schließenden Wirtschaftskrise mit enormen Wertkorrekturen der Aktiva im ÖVAG-Kon zern verbunden. Der ÖGV zeichnete sich in dieser Phase als Vertreter der Primärstufe in den vielfältigen Gesprächen und Ver handlungen zum Erhalt des selbstständigen Volksbanken-Verbundes aus. Mit der Bildung eines Kreditinstitute-Verbundes nach § 30a BWG konnte schließlich die dezentrale Auf stellung der Volksbanken gesichert werden. Der ÖGV brachte im Wege einer Teilbe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ÖGV auf „Expedition in die Zukunft“ in Kals am Großglockner
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV118 triebsabspaltung eine Reihe von Aufgaben, die er bis zu diesem Zeitpunkt für alle Volks banken erfüllt hatte, in die ÖVAG ein und war daher lange vor den Volksbanken mit einer Reorganisation gefordert. Die Diskussion über die Bereitschaft der Pri märstufe, sich von 48 Volksbanken auf neun Bundesländer-Volksbanken zu verschmel zen, zeigte einmal mehr die Sandwich-Funk tion des ÖGV: Maßgebliche externe Stim men in der Republik und der Aufsicht gingen von einer erforderlichen Verschmelzung zu einer Volksbank Österreich aus. Die Über zeugungsarbeit, einen Verbund aus neun Banken zu erhalten, nahm viele Tage und Nächte in Anspruch, der Erfolg war alles an dere als selbstverständlich. Wie ernst es um die Zukunft aller Volksbanken stand, war we der öffentlich noch offensichtlich. Aus Sicht mancher Volksbanken war die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der weitreichenden Verän derungen daher zunächst völlig unverständ lich. Dass mit all diesen Veränderungen zum Teil schmerzhafte Einschnitte, sei es in Frei heitsrechte, aber auch in organisatorische wie auch personelle Strukturen verbunden waren, war sachlich und fachlich nicht zu verhindern. Trotzdem sei an dieser Stelle be tont, wie schwierig diese Entscheidungen zu treffen waren, zumal es gerade in einer so lange intensiv und positiv zusammenarbei tenden Gemeinschaft unglaublich schwer fiel, Freunden die Konzepte der erforder lichen Restrukturierung zu übermitteln. Sie waren schließlich nicht schuld an den Ver änderungen, sondern Betroffene. Umso mehr sei allen Kolleginnen und Kolle gen einmal mehr gedankt für ihren unglaub lichen Einsatz, ihre schlaflosen Nächte, Mo tivationsreden und Durchhalteparolen vor den Mitarbeitern und Funktionären sowie den unermüdlichen Kundenkontakt in die sen schweren Jahren. Aber auch den Ver tretern im Verbandsrat und der Belegschaft des ÖGV sei gedankt für ihr leidenschaftli ches Engagement in guten, erfolgreichen, aber auch in schwierigen, krisenbehafteten Jahren, immer überzeugt von der Kraft der genossenschaftlichen Idee des Hermann Schulze-Delitzsch.
Rainer
Borns VON 1997 BIS HEUTE
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Der ÖGV als Förderer der „VolksbankFamilie“ schafft einen unschätzbarer Wert für den Erfolg der Volksbanken. Die verbundweite Vernetzung auf persön licher Ebene erzeugt Commitment und Begeisterung für die Volksbank – bei Mitarbeitern, Mitgliedern und Kunden.
Das regionale Geschäftsmodell ist –wie die Zahlen der Primärstufe in den letzten 25 Jahren zeigen – über all die unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinweg stabil.
8 Organisches Wachstum muss statt finden und ist auch mit dem genos senschaftlichen Geschäftsmodell vereinbar. Bei Zukäufen müssen die Eigenkapitalsituation und die zukünfti ge Risikotragfähigkeit des Verbundes berücksichtigt werden.
Die sich dynamisch verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingun gen der jüngeren Geschichte haben den ÖGV und seine Mitglieder vor große Herausforderungen gestellt. Am erfolgreichsten agierte der Ver band immer dann, wenn er am Puls seiner Mitglieder war und den Blick auf die Stärken und Schwächen der Genossenschaften nicht verlor. Aus den Ereignissen der letzten 25 Jahre lassen sich zehn Thesen und Er kenntnisse ableiten, die für den weiteren Erfolg des ÖGV, der Genossen schaften und insbesondere auch der Volksbanken wesentlich sind.
Der ÖGV hält stets die Genossen schaftsidee hoch und fördert seine Mit glieder unabhängig von den wirtschaft lichen Rahmenbedingungen.
Vertrauensvolle Kooperation und Arbeitsteilung sind ein Erfolgsmodell auch für die Zukunft. Neugründungen bezeugen die Lebendigkeit der Genos senschaftsidee.
10 Konservative Planung und Vorsorge sowie die Vorwegnahme von regula torischen Entwicklungen sind Erfolgs faktoren.
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3 Der ÖGV vertritt die Interessen all sei ner Mitglieder nach außen. Eindeutige Zuständigkeiten innerhalb eines Ver bundes erleichtern die Zusammenarbeit und ergeben klare Verantwortlichkeiten.
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fürErkenntnissedieZukunft
7 Das Eigenkapital ist aufgrund des Eigentümerkreises und der aufsichts rechtlichen Definition der Instrumente der Engpassfaktor innerhalb einer ge nossenschaftlichen Gruppe.
Die genossenschaftliche Identität der Volksbanken wurde und wird bei all den strukturellen internen Veränderungen dank des genossenschaftlichen Eigen tümerkreises gewahrt.
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Eine unabhängige genossenschaftli che Revision bietet Sicherheit für Mit glieder und Funktionäre.
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9 Ein gesundes Verhältnis von Krediten zu Einlagen ist langfristig ein Garant der Unabhängigkeit. Die Abhängigkeit vom Kapitalmarkt – etwa bei der Liquidität – könnte in kritischen Marktkonstellatio nen die Eigentümerschaft und damit das genossenschaftliche Modell bedrohen.
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Zunächst dannEntwicklung,stabileAufschwung
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Zwar war die jüngere Geschichte des ÖGV immer besonders eng mit jener der Volksbanken verknüpft, allerdings gab es auch im Bereich der Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften be merkenswerte Entwicklungen. Einige davon möchten wir hier hervorheben. von FRANZ GROSS Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften:
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KOMPETENTE BERATUNG ALS GRUNDSTEIN FÜR DEN ERFOLG In dieser Zeit begleitete Hinteregger mit ihrer fachlichen und menschlichen Kom petenz auch mehrere Mitgliedsgenossen schaften bei weitreichenden wirtschaft lichen Veränderungen. Beispielhaft sei hierfür die Umstrukturierung der ADEGGruppe genannt. Sie handelte zudem Ver träge für den gemeinsamen Bezug von Gas und Strom aus und sicherte damit al len teilnehmenden ÖGV-Mitgliedern einen günstigeren Energiepreis. Ab dem Jahr 2015 nahmen schließlich auch die Neu gründungen von Genossenschaften Fahrt 2017auf. verabschiedete sich Hinteregger mit einer Erfolgsbilanz in den wohlverdienten Ruhestand, ihr folgte Barbara Pogacar als Leiterin der Ware-Beratung und im Gründerservice nach. Mit dem Start einer neuen Kampagne im Jahr 2019 setzte ein regelrechter Gründerboom ein, der bis heute anhält, sodass die Vielfalt der Mit gliedsgenossenschaften in Bezug auf das Tätigkeitsfeld immer größer wird. Im Präsidium des ÖGV wurde diese Ära bei den Waren- und Dienstleistungsgenossen schaften lange von Herbert Pachucki ge prägt. Er amtierte von 1981 bis zu seinem Tod im Jahr 2006 als Vizepräsident. Ihm folg te Wolfgang Maurer nach. Der Vorstands vorsitzende der Bäcker- und Konditoren genossenschaft BÄKO war bis 2016 im Amt und dabei stets ein Garant für Stabilität.
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EIN NEUES HAUS FÜR GENOSSENSCHAFTENDIE
Pachucki-NachfolgerWolfgangMaureramRednerpultbeimVerbandstag2016
ÖGV-Vizepräsident Herbert Pachucki (Mitte) 2001 mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und dem ehe maligen MaderthanermerpräsidentenWirtschaftskamLeopold
In den 1990er-Jahren war die wirtschaftli che Lage der Waren- und Dienstleistungs genossenschaften im ÖGV geprägt von der florierenden Wirtschaft. Ihre Zahl dagegen blieb lange nahezu konstant: Einigen we nigen Neugründungen standen ebenso v iele Genossenschaften gegenüber, die ihre Tätigkeit einstellten, etwa weil sich die Marktbedingungen verändert hatten. Die Anfragen von interessierten Neugründern waren überschaubar, nur selten mündeten sie tatsächlich in einer Gründung. So konzentrierte sich die Verbandstätig keit in dieser Zeit auf den gesetzlichen Auf trag der Revision sowie auf die laufende B eratung und Betreuung der bestehenden Genossenschaften. Diese Aufgabe lag von 1992 bis 2017 – und damit über eine ganze Ära von 25 Jahren – in den kompetenten Händen von Renate Hinteregger. Sie un terstützte auch die Verbandsräte und die V izepräsidenten aus der Gruppe Ware mit Rat und Tat bei ihren Verbandsagenden.
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Ein Meilenstein für den ÖGV und seine beiden Mitgliedergruppen war der Umzug ins neue Haus der Genossenschaften. Der Verband – zuvor lange Mieter, zunächst
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AUSGLEICH MIT DEN VOLKSBANKEN
b eim ehemaligen Zentralinstitut der Volks banken, dann im Haus der Victoria Ver sicherung in der Schottengasse – kaufte die Immobilie Löwelstraße 14 beim Wie ner Burgtheater. Bei der Planung des Um baus wurde der beauftragte Architekt von verschiedenen Arbeitsgruppen aus dem Kreis der ÖGV-Mitarbeiterinnen und -Mit arbeiter unterstützt.
des neuen Miteinanders war die Kür zum ÖGV-Präsidenten im Jahr 2018: Erstmals wurde mit Franz Reischl, Geschäftsführer der BÄKO, ein Vertreter aus dem Bereich der Warengenossenschaften an die Spit ze gewählt. Heute bekleidet Clemens Pig, geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur, dieses Amt. Das kooperative Wirtschaften in Ge nossenschaften hat sich zuletzt einmal mehr während der Coronakrise bewährt, wie eine Studie der Universität Wien be legt. Der ÖGV selbst erwies sich auch in der Zeit der Lockdowns als flexibler und serviceorientierter Partner. Dem Motto „Gemeinsam erfolgreich“ entsprechend können der Verband und seine Mitglieder auch den nächsten 150 Jahren mit Opti mismus entgegensehen.
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Von der Finanzkrise ab 2008 blieben die Waren- und Dienstleistungsgenossen schaften im Gegensatz zu den Volksban ken weitgehend verschont. Allerdings waren sie indirekt von den Folgen des Volksbanken-Umbaus betroffen, zumal es im Gefolge zu einer Diskussion zwischen den beiden Mitgliedergruppen über Auf gaben und Kosten des Revisionsverban des kam. Letztlich setzte sich aber das Gemeinsame durch, sodass auch der ÖGV wieder in ruhigeres Fahrwasser kam. Ein nach außen deutlich sichtbares Zeichen
Franz Reischl sorgte als erster Präsident der Gruppe Ware für viel Schwung im ÖGV
Das Haus des ÖGV in der Wiener Löwelstraße
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Nach rund zweijähriger Bauzeit erfolgte ab der zweiten Jänner-Woche des Jahres 2001 der Bezug des neuen Gebäudes. Auf grund des nun größeren Platzangebots war es in der Folge möglich, Leistungen und Kapazitäten verschiedener ÖGV-Ab teilungen auszubauen – etwa in den Berei chen Interessenvertretung, Recht, Bilanz und Steuer sowie IT.
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Den Anfang machte 2015 die Smart Coop Austria , die ein völlig neues Geschäfts modell in Österreich etablierte: Unter dem Motto „Sie machen die Kunst, wir den Pa pierkram“ startete die Genossenschaft mit B ackoffice-Dienstleistungen für Künstler, Kreative und Neue Selbstständige. Dazu zählen etwa Buchhaltung, Rechnungsle gung oder Beratung bei Förderungen und Verträgen. Als besonders gefragt erwies sich das Angebot, bei Smart angestellt zu werden. Mit Werkvertrag tätige Kultur schaffende erhalten damit die Sicherheit einer Anstellung – in der Coronakrise konnten sie so etwa vom Kurzarbeitsmo dell profitieren.
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Das Team der Smart Coop Austria startete 2015 im Kunst- und Kulturbereich durch
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von BARBARA
Die Bewohner des ersten WoGen-Projekts 2019 in Volkersdorf bei Graz Aufbruch in eine Gründerzeitneue
Während die Zahl der Waren-
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Die Interalpen IT Solutions ist ein Zu sammenschluss von IT-Freelancern, die sich nicht damit abfinden wollten, irgend wann nur noch die Option einer Festan stellung vorzufinden. Der Gruppe ist es Im Jahr darauf startete eine weitere innovati ve Genossenschaft, diesmal im Bereich des Wohnbaus: Die WoGen hat sich als Bauträ gerin für Wohnprojekte der Förderung ge meinschaftlichen Wohnens verschrieben, dabei leistet sie Pionierarbeit. Die Genos senschaft kümmert sich um die Finanzie rung und übernimmt die Rolle der Bauherrin und der Projektleitung. Die fertigen Immobi lien stehen dann im Gemeinschaftseigen tum aller Genossenschaftsmitglieder. Dabei legt die WoGen besonderen Wert auf parti zipative Planung und Umsetzung. Ihr Ange bot richtet sich an Menschen, die selbstbe stimmt und preiswert in einer nachhaltigen Gemeinschaft leben wollen. Mithalten im Konzert der Großen war das Ziel bei der Gründung der Cargo Hub, eines Zusammenschlusses von kleinen und mit telgroßen Luftfrachtspediteuren am Flughafen Wien. Durch Kooperation beim Frachthandling ist es den Mitgliedern gelun gen, die eigene Wettbewerbsfähigkeit in der hart umkämpften Branche zu verbessern –etwa mit dem Betrieb eines gemeinsamen Lagers am Airport. Als funktionierendes Vorbild diente die schon zuvor gegründete Cargo Screening, mit der die Spediteure den Aufwand bei der Umsetzung der neuen EU-Sicherheitsbestimmungen auf mehrere Schultern verteilen konnten. 2016 und damit schon fünf Jahre vor dem Inkrafttreten des Erneuerbaren-AusbauGesetzes ist die Biowärme Güttenbach als eine der ersten Energiegenossenschaften zum ÖGV gestoßen. Die Bürger der burgen ländischen Marktgemeinde haben sich zu sammengeschlossen, um Wohnhäuser und Geschäftslokale im Ort mit Nahwärme zu versorgen. Dafür wurden bisher rund fünf Millionen Euro investiert, die Länge des Lei tungsnetzes beläuft sich auf zwölf Kilome ter. 2017 wurde zudem eine leistungsstarke Fotovoltaikanlage in Betrieb genommen, so dass auch mehr als ein Drittel des in der Ge meinde benötigten Stroms selbst erzeugt werden kann. Mit einer eigenen Genossenschaft für den Raum Salzburg ist 2016 auch die bereits bestens etablierte Trigon an den Start gegangen. Die Vereinigung von Unter nehmensberatern legt ihren Fokus auf Organisations- und Personalentwicklung,
Coaching, Konfliktmanagement, Me diation sowie Mitarbeiter- und Kunden befragungen. Die Stärken liegen in der Steuerung und Begleitung komplexer Ent wicklungsprozesse. Trigon kann dabei über 25 Jahre Erfahrung im Profit-, Non-Profit- und Government-Bereich vorweisen. Für eine gemeinsame Online-Vermarktung ihrer Produkte haben sich 2017 autorisier te Händler von Miele-Haushaltsgeräten in der WWV – Weiße Ware online Vermark tungsgenossenschaft zusammenge schlossen. Durch diese Kooperation wur de etwa der gemeinsame Betrieb eines Online-Shops möglich.
Mit neun Neugründungen – so vielen wie schon lange nicht mehr – ist 2019 die Grün derkampagne „Zukunftskraft Genossen schaft“ mit neuen Testimonials und Grün dungsangeboten sowie einem komplett überarbeiteten Außenauftritt erfolgreich Denangelaufen.Anfang machte MONA 21, ein Projekt für innovatives Wohnen. Die geplante Anla ge soll neben Wohnraum auch viel Platz für Erholung, Coworking und Kultur bieten. Ein besonderer Fokus wird auf gemeinsames Wohnen von Jung und Alt gelegt. Mit der Vision, Wohnen und Arbeiten un ter einem Dach zu vereinen, ist auch die HausWirtschaft an den Start gegangen. Bis Herbst 2023 sollen im Wiener Nord bahnviertel auf rund 7.000 Quadratmetern die entsprechenden Flächen für diesen kreativen Nutzungsmix entstehen, der vor allem die Zielgruppe der Kleinunternehmer ansprechen soll. Alle im Haus vertretenen Unternehmerinnen und Unternehmer sind Mitglieder der Genossenschaft und entwi ckeln partizipativ die Nutzung des Gebäu des. Gemeinsam soll auch ein Mehrwert für das Grätzel geschaffen werden, indem ein breites kulturelles Angebot entsteht.
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2019: START DER SCHAFT“„ZUKUNFTSKRAFTINITIATIVEGENOSSEN
VON 1997 BIS HEUTE
BioHeizanlage Gassen Zelking plant die Errichtung und den Betrieb einer Bio masseanlage in Zelking/Matzleinsdorf (NÖ), um die Mitglieder – umliegende Be triebe und Haushalte – mit Wärmeenergie zu versorgen. Das Gebiet war bisher nicht durch ein Nahwärmenetz erschlossen. Das Front-Office Suben ist ein Zusam menschluss von am Grenzübergang Suben tätigen Zollspediteuren. Die deutsch-öster reichische Grenzstelle ist Drehscheibe für den Warenaustausch zwischen Drittlän dern und der EU. Um für künftige Heraus forderungen gewappnet zu sein, wurde die Genossenschaft mit der Aufgabe gegrün det, wesentliche Arbeitsschritte gemein sam abzuwickeln. Darunter fallen etwa der Kundenkontakt mit den Kraftfahrern, die Kommunikation mit den Zollbehörden, die Schlusskontrolle der Unterlagen so wie die Sicherstellung kundenorientierter Ö ffnungszeiten im Schichtbetrieb. Auch der Einsatz moderner IT-Systeme mit An bindung der beteiligten Unternehmen trägt zur Optimierung der Abläufe bei. Seit dem Start der Genossenschaft ist es gelungen, die Standzeiten der Lkw am Zollplatz maß geblich zu reduzieren.
undFront-Office
Als operative Clearingstelle für die bei den Vereine Forum Medizin und Forum O nkologie, die gemeinsam mit namhaften Ärzten interdisziplinäre wissenschaftliche Tagungen, Lounge-Abende und Social Events in ganz Österreich organisieren, wurde die AMROW als Genossenschaft Diegegründet.
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COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV126 wichtig, ihren Kunden auf Augenhöhe zu begegnen, Einfluss auf die Vertragsgestal tung zu nehmen und auch im Rahmen von Fixpreisprojekten ihr Unternehmertum le ben zu können. V iele Gemeinden planen großartige Pro jekte, nicht selten aber fehlt das Geld für die Umsetzung: Diese Erkenntnis stand am Beginn der Gründung der ProNahGeno Dabei handelt es sich um eine der ersten gemeindeübergreifenden Bürgerinnenund Bürgergenossenschaften, die gemein schaftlich jene Projekte umsetzen möchte, welche aus Sicht der Betroffenen sinnvoll zur Verbesserung oder zum Erhalt der Le bensqualität in der Region beitragen. Die Mission reicht dabei von der Sicherung der Nahversorgung über die Schaffung von Begegnungsräumen, den Erhalt der Gastronomie und die Schaffung von leist barem Wohnraum für junge Menschen bis hin zu „Wohnen Plus“-Angeboten für die ältere Generation.
A ls Initiative von erfahrenen Touristikern, Dienstleistern und Experten wurde die Genossenschaft ATRACT gegründet. Ziel ist es, dem Fachkräftemangel in der Hotellerie und Gastronomie nachhaltig, zielgerichtet und zukunftsorientiert ent gegenzuwirken. Arbeitskräfte aus anderen EU-Ländern werden gezielt nach Öster reich geholt und in maßgeschneiderten Trainingscamps für den konkreten Bedarf in Hotellerie und Gastronomie fit gemacht. Zu diesem Zweck kommen speziell für ATRACT entwickelte Sprach-, Fach-
Für den Ankauf von Liegenschaften, de ren Entwicklung und Bebauung sowie den Verkauf wurde die Immo Projektent wicklung ge gründet. Mitglieder der Ge nossenschaft sind vor allem Baumeister und sonstige ausführende und planende Unternehmen einerseits und Makler an dererseits. Die Idee dahinter: Viele Makler haben schwer vermittelbare Liegenschaf ten im Programm, die unter Beiziehung et wa eines beratenden Baumeisters oder in bereits bebautem Zustand leichter zu vermitteln wären. Diese Marktlücke will die Genossenschaft schließen.
Suben: Das Vorstandsteam der Genossenschaft bei der Gründung
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2021 MIT GRÜNDERBOOM Im Bereich der Neugründungen ist das Jahr 2021 eines der erfolgreichsten in der 150-jährigen Geschichte des ÖGV gewe sen. Einen erheblichen Anteil daran hat auch das Inkrafttreten des ErneuerbarenAusbau-Gesetzes, das den Weg für Ener giegenossenschaften geebnet hat.
tikmüll wertvolle Produkte herzustellen. Diese können vor Ort genutzt oder expor tiert werden und nachhaltigen Wohlstand bringen. Innerhalb des Konzepts nutzen die Franchisenehmer dezentrale automa tisierte Recyclinganlagen für unsortierte Plastikabfälle und wandeln die Reststoffe in nachhaltig produzierte chemische Pro dukte und Treibstoffe um. Die Mitglieder bieten der Genossenschaft das wirtschaft liche Fundament, um die Recyclinganla gen zu finanzieren. Das Fitness-Franchise M.A.N.D.U. hat mit seiner Trainingsmethode, die auf ElektroMuskel-Stimulation (EMS) basiert, die Sze ne revolutioniert. Mit der neuen Genos senschaft haben Franchisenehmer nun die Möglichkeit, selbst zu Miteigentümern des Erfolgsprojekts zu werden. Die Koope ration bietet Unterstützung, gemeinsamen Einkauf und einen gemeinsamen Außen auftritt. Aus- und Weiterbildung werden übrigens von Ex-Fußballprofi Christian Mayrleb Erklärtesgeleitet.Zielder Neugründung GI3 ist die „Demokratisierung von Anlagemöglichkei ten“, indem die breite Bevölkerung Zugang zu Märkten und Immobilieninvestitionen erhält, die im Normalfall nur für Großinves toren zur Verfügung stehen. Hierbei soll insbesondere darauf geachtet werden, dass die Konditionen und Bedingungen für Großinvestoren auch den Kleinanlegern zur Verfügung stehen. Dazu konzipiert und entwickelt die Genossenschaft diverse Veranlagungsprodukte.
DIE NEUGRÜNDUNGEN IM „CORONA-JAHR“ 2020 Im Zukunftsfeld Fotovoltaik ist die Neu gründung INOSUN aktiv. Die Genossen schaft unterstützt mit attraktiven Mo dellen die Eigentümer von Dachflächen, diese wirtschaftlich sinnvoll zu nutzen und gleichzeitig einen Beitrag für die Umwelt zu leisten. Experten begleiten die Kunden bei Planung, Projektierung, Finanzierung, Netzzugang, Fördermanagement, Errich tung und Inbetriebnahme. A ls Einkaufsgenossenschaft im Bereich der Tourismuswirtschaft, aber auch weit darüber hinaus sieht sich die „Zunft –Bund“. So umfasst das Sortiment etwa die Bereiche Essen und Getränke, Bio- und regionale Produkte, Bekleidung, Fuhrpark wesen, E-Mobilität, Bauen, Dienstleistun gen für Marketing, Jobbörse, Immobilien, Energie und Wasser, Vorsorge und Prä vention sowie Telekomunikation. „Wir geben Plastikmüll einen Wert, überall auf der Welt“, lautet die Vision der Neu gründung Ac oZystem . Mit ihrem Ökosys tem gibt die Genossenschaft Unterneh mern die Möglichkeit, diesen Wert lokal zu heben und als Franchisenehmer aus Plas Neue Fachkräfte für den Tourismus: Verleihung AusbildungszertifikatederanAbsolventendesATRACT-Trainingscamps
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D en Anfang machte OmniVita: Die Ge nossenschaft mit Sitz in Wien plant unter anderem, Elektrolastenfahrräder zu ver mieten und zu verkaufen sowie im Bereich der Erzeugung von erneuerbarer Energie tätig werden. Integrationsschulungen sowie tägliche Praxis durch Coaches zum Einsatz. Dabei legt ATRACT Wert auf tragfähige Dienst verhältnisse und ein faires Miteinander von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
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Im gewerblichen Bereich ist die HT Meisterservice zuhause: Die neue Dienstleistungs genossenschaft unterstützt Installateure durch die Vermittlung von Facharbeitern insbesondere für die Montage – etwa von Badezimmereinrichtungen – und einem Service für die Haustechnik. Die Genossen schaft hat bereits mehr als 30 Mitglieder, die großteils schon zuvor über eine gemein same Einkaufsgesellschaft miteinander verbunden waren.
Die zukunft.farm bezeichnet sich selbst als bäuerliche Innovationsgenossenschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Landwirtschaft attraktiver zu gestalten. Eines der ersten Pro jekte ist die Gestaltung eines Onlineshops für Landwirte zum Erwerb von Restposten und Aktionsartikeln aus dem Agrarbereich. Die Genossenschaft bietet aber auch Schu lungen unter anderem zu den Themen Wet ter bzw. Wetterbericht oder Entwicklung von Zukunftsstrategien für Landwirte.
Der Entwicklung und Durchführung von kli mafreundlichen Energieprojekten vor allem im Bezirk Murau hat sich die GreenPower verschrieben. Als eines der ersten Projekte sollen alle Dächer von Gebäuden der öffent lichen Hand mit Fotovoltaikanlagen ausge stattet werden.
Hinter der Neugründung Freischurf ste hen vier Studenten der Montanuniversität Leoben, die aus Obst Gin und Fruchtsäfte erzeugen und diese dann auch gemein sam vermarkten möchten.
Die Peterbauer4You wiederum ist eine Familiengenossenschaft, die den gemein samen Erwerb der Familie bündelt, auch Fotovoltaikprojekte sind geplant.
Um weltministerin Leonore Gewessler war bei der Präsentation vor Ort, der ORF und an dere Medien berichteten ausführlich über diese Pilotgenossenschaft. Eine Gründung nach diesem Muster ist auch die Erneuerbare Energiegemeinschaft Groß Enzersdorf Sie hat sich ebenfalls zum Ziel gesetzt hat, eine weit gehende Stromautarkie ihrer Mitglieder durch Ökostrom zu erreichen.
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Die Good Life will hingegen mit der Ver marktung und dem Handel von österrei chischem Tee und von hochqualitativem Haarschmuck durchstarten.
Den 17 Nachhaltigkeitszielen der Ver einten Nationen hat sich die Inclusum verschrieben. Das erste Projekt ist die Dokumentation eines Versuchs für regene ratives Farming in Paraguay. Auftraggeber de s von der Schweizer Myclimate-Stiftung und dem nationalen Rinderzüchterver band von Paraguay getragenen Projekts sind zwei US-Unternehmen.
Den Verkauf und Bezug von erneuerbarem Strom auch über die lokale Netzebene hin aus ermöglicht die GESACO Green Ener gy Sales Cooperative für ihre Mitglieder.
Ein Pionier unter der den Energiegemein schaften ist die WGE Grätzl-Energiegemeinschaft im 23. Wiener Gemeinde bezirk. Mitbegründer der Genossenschaft is t die PowerSolution, ein auf Energiebera tung spezialisiertes Unternehmen, deren Geschäftsführer Roland Kuras auch die Vorstandsfunktion innehat. Gründungs mitglieder sind überwiegend Unterneh men aus der Nachbarschaft, die beab sichtigen, den von Mitgliedern erzeugten Überschussstrom zu beziehen.
Für besonders viel mediale Aufmerksam keit sorgte die Erneuerbare Energiegemeinschaft Thermenstrom , die auf In itiative der Gemeinde Tattendorf mit brei ter Unterstützung im Gemeinderat und in der Bevölkerung gegründet wurde. Die Ge nossenschaft möchte eine führende Rolle b ei der Energiewende in der Thermenregi on übernehmen und auch den Gemeinden in der Nachbarschaft sowie deren Bewoh nern und den dort ansässigen Unterneh men ihre Dienstleistungen anbieten.
Gemeinsam die Energiewende stemmen: die GreenPower in Murau
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• NET Neue genossenschaftEnergiegewinnungs(Salzburg)
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• B genossenschaftundes-Energiegewinnungs(Salzburg)
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 129 Pacht und den Betrieb eines Restaurants in Vorarlberg und in weiterer Folge auch den Erwerb und die Verwaltung von Lie genschaften. S tadlmann Immobilien soll im ehemaligen Eigentum der Mitglieder stehendes Liegenschaftsvermögen hal ten und verwalten. Die Genossenschaft B aum Arche plant den Erwerb und die Bewirtschaftung von forstwirtschaftlichen Flächen und möchte ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, CO2-Zertifikate zu er werben.
GRÜNDERWELLE SETZT SICH AUCH 2022 FORT Die Chancen stehen gut, dass im Jubilä umsjahr 2022 der Spitzenwert des Vor jahres noch übertroffen wird: Bis zum Re daktionsschluss dieser Ausgabe wurden b ereits elf Neugründungen verzeichnet, weitere aussichtsreiche Projekte stehen in den Startlöchern. Fünf Neugründungen kommen aus dem Bereich der erneuerba ren Energien:
In der Activitas haben sich selbstständige Unternehmensberater mit dem Fokus auf Kundenberatung im Zusammenhang mit Innovation und Digitalisierung zusammen Dgeschlossen.ie R.T. Liegenschaftsverwaltung be zweckt den Erhalt und die Verwaltung des ehemaligen Liegenschaftsvermögens eines ihrer Gründungsmitglieder sowie die Beteili gung der Mieter an diesen Immobilien. Aus der Immobilienbrache kommt auch eine andere innovative Neugründung: Mitglieder der BWRE Real Estate kön nen Personen und Unternehmen werden, die über einen Account auf der Plattform „Brickwise“ verfügen und Anteile in Form tokenisierter Wertpapiere an den dort ver fügbaren Immobilien halten.
• Energiegemeinschaft Neudorf im Weinviertel (NÖ) EKOenergie (Wien) L aSt Energie (Steiermark) Aber auch immer mehr andere Branchen entdecken die Genossenschaft als attrak tive Rechtsform: 8ung ist ein Zusammen schluss von ADHS-Coaches, die betroffe nen Menschen durch gezielte Begleitung das Leben erleichtern möchten. Human Bridge for Business Transformation ist eine gemeinnützige Genossenschaft zur Umsetzung von sozialen Projekten. Unter anderem soll ein Raum geschaffen wer den, in dem sich benachteiligte Kinder und Jugendliche im eigenen Tempo best möglich entwickeln können. Harmony un d Genuss beabsichtigt hingegen die Gründung der ersten ÖGV-Schülergenossenschaft an der BHAK II in Salzburg
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S CHÜLERGENOSSENSCHAFTEN ALS ZUKUNFTSMODELL 2022 wurde auch die erste Schülergenos senschaft, die NXT hak:zwei GENERA TION unter der Schirmherrschaft des ÖGV gegründet. Dabei handelt es sich um ein von der BHAK II Salzburg initiiertes, klas senübergreifendes Projekt. Die Schülerin nen und Schüler sollen so die Rechtsform der Genossenschaft kennenlernen und selbst wirtschaftlich aktiv am Markt auftre ten – begleitet von einem Trägerverein und einer Patengenossenschaft. Vordergrün diges Ziel des Projekts ist die Vermeidung von Müll. Das soll unter anderem durch nachhaltig produzierte, personalisierte Tassen erreicht werden, die statt Plastik bechern bei den Kaffeeautomaten in der Schule verwendet werden können. Als weiteres Geschäftsfeld haben die Schü ler den Bereich Eventorganisation – vom Schulfest bis zu Karrieretagen – identifi ziert. Für den genossenschaftlichen Nach wuchs und neue Ideen ist also gesorgt!
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Die Zukunft Genossenschaftder& derGenossenschaftdieZukunft von THERESIA THEURL AUSBLICK
Jubiläen eignen sich vorzüglich dazu, sowohl zurück als auch nach vorne zu blicken. Idealerweise sollte man beide Dimensionen miteinander verbinden, um daraus Erkenntnisse für Zukunftsfähigkeit und Änderungsbedarf zu gewinnen. Daher wollen wir zum Abschluss dieser Jubiläumsausgabe nach der Zukunft der Genossenschaft, aber auch nach der Genossenschaft der Zukunft fragen.
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AUSBLICK
Dies ist bei Genossenschaften und genossenschaft lichen Verbünden nicht anders. Feiern sie Jubiläen, sollte nicht versäumt werden, daran zu erinnern, wes halb sie entstanden sind und unter welchen Voraus setzungen sie ihre Stärken am besten ausspielen können. Die Idee, Genossenschaften zu gründen, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts nichts anderes als eine organisatorische Innovation, den großen tech nischen Innovationen vergleichbar. Es gelang, auf die wirtschaftlichen Umwälzungen durch die Indust rialisierung mit ihren geradezu dramatischen gesell schaftlichen, sozialen und politischen Folgen neue Antworten zu finden.
Viertens ist das Innenleben einer Organisation – sei es Unternehmen, sei es Verbund – immer wieder zu optimieren, also das Zusammenwirken vieler Men schen, Abteilungen, Unternehmen. Fasst man den Kern dieser Erfolgsbedingungen zusammen, hängt die Zukunft von Organisationen davon ab, ob es gelingt, eine nach innen und außen erkennbare Identität zu schaffen und sie durch be hutsame, kontinuierliche Anpassungen zu bewah ren. Identität und Resilienz entscheiden also über die Zukunftsfähigkeit von Organisationen.
Nicht immer wird berücksichtigt, dass die heutigen Entscheidungen Auswirkungen auf die morgige Si tuation haben werden. Zu Jubiläen kommt es dann, wenn bei den Entscheidungen der Vergangenheit auch an die Zukunft gedacht wurde. Die wissen schaftliche Organisationsforschung hat interessante Erkenntnisse über die Zukunftsfähigkeit von Unter nehmen und anderen Organisationen gewonnen. Die identifizierten Erfolgsfaktoren sind sehr robust und gelten unter anderem unabhängig von Größe, Branche und Rechtsform. Erstens geht es darum, sein Alleinstellungsmerkmal zu kennen und etwas weitergeben zu wollen. Zwei tens gilt es, neue Entwicklungen früh wahrzunehmen und ihre Bedeutung für das eigene Tun richtig einzu schätzen. Drittens muss es selbstverständlich sein, mit Risiken verantwortungsbewusst umzugehen.
DIE GENOSSENSCHAFT – EINE ORGANISATORISCHE INNOVATION
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Eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Genossenschaft setzt voraus zu verste hen, was sie ausmacht, also welche ihre Governance-Merkmale sind und damit ihre Identität prägen. Das organisatorische An gebot einer Genossenschaft für Menschen und für Unternehmen besteht darin, eigen ständig und verankert zu bleiben, aber zu sammen große Projekte stemmen zu kön nen. Durch Zusammenarbeit können also Größen-, Kompetenz-, Risiko-, Vielfalts- und Innovationsvorteile genutzt werden, die an dernfalls nicht möglich wären. Ökonomen sprechen von einer Kooperationsrente. Die genossenschaftliche Zusammenarbeit er folgt durch das Zusammenwirken von zwei oder mehreren Ebenen. Auf der dezentra len Ebene der Mitglieder wird in ihren Ak tivitäten Eigenständigkeit, Verankerung und Subsidiarität gesichert. Doch die Kooperationsrente kann nicht ohne die gemeinsame oder zentrale Ebe ne gehoben werden. Auf dieser wird das organisiert und geschaffen, was die einzel nen Mitglieder nicht stemmen können. Es geht um Gemeinschafts- oder Kollektiv leistungen. Hier gilt es, Gesamtprozesse zu optimieren und Synergien zu realisieren. Es geht darum, Regulierungsanforderungen zu genügen, die Interessenvertretung zu bündeln, Projekte für Neues anzugehen und durch die Zusammenarbeit in Notfällen So lidarität sicherzustellen.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV132 Genossenschaften in der Landwirtschaft, für Finanzdienstleistungen, von Handwer kern und Gewerbetreibenden, im Handel oder zwecks Wohnraumschaffung konnten der Armut und Verelendung entgegenwir ken, regionale Wirtschafts- und Lebensräu me erhalten und Existenzgrundlagen schaf fen. Es zeigte sich, dass die von der eigenen Not getriebene Selbsthilfe kein Widerspruch zu gesellschaftlicher Solidarität war. Nicht überraschend diffundierte die orga nisatorische Innovation Genossenschaft weltweit und in viele Wirtschafts- und Ge sellschaftsbereiche. Bis heute hat die Ge nossenschaft ihre unverkennbare Identität bewahrt. Doch natürlich hat auch sie – auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und recht liche Rahmenbedingungen reagierend Entwicklungen durchlaufen. Im Vorder grund standen eine zunehmende Institu tionalisierung und die Schaffung einer oder mehrerer gemeinsamer
OPTIMIERTE ARBEITSTEILUNG ALS ERFOLGSREZEPT
GEMEINSAME WERTEBASIS FÖRDERT ZUKUNFTSORIENTIERUNG
Der Erfolg von Ge nossenschaften und genossenschaftlichen Verbünden entsteht durch ihre arbeitsteilige Wertschöpfung, die Kosten, Erträge, Risiken und Innovationen positiv beeinflusst. Diese Arbeitsteilung ist immer wieder auf den Prüf stand zu stellen und neu auszutarieren. Dies zu können und zu wollen, entscheidet über die Zukunft der einzelnen Genossenschaft.
Die Zukunft der Genossenschaft hängt zu sätzlich davon ab, wie gut es gelingt, an einem Strang zu ziehen. Es obliegt den Mitgliedern als Eigentümern ihrer Genos senschaft, die strategischen Weichenstel lungen festzulegen. Sie werden bei diesen berücksichtigen, dass das gemeinsam Er wirtschaftete letztlich bei ihnen landen soll, als Eigentümer- oder Mitgliederwert. Dieser kann heute in Anspruch genommen wer den, etwa durch die Leistungen oder durch die Verzinsung eingesetzten Kapitals sowie durch die Inanspruchnahme der Mitwir kungsrechte. Morgen kann er über die heute entschiedenen Investitionen in Leistungen und Lösungen, Strukturen und Prozesse in Anspruch genommen werden. Es geht also um einen Optionsnutzen, der entsteht, weil
AUSBLICK
turbulentenundKurz:undvsamschaftensondernZeitdwicklungsprozesssenschaftlicheSpartenIschaftlicheGenossenschaftsverbände,Genossenschaftsgesetze,Leistungsebenen:Zentralinstitute,diegenossenRevisionentstanden.mErgebniskennenwirheuteinvielenarbeitsteiligorganisiertegenosVerbünde.IndiesemEnthabenwirbeobachtet,assGenossenschaftennichtnurineinerdesradikalenWandelsentstandensind,dassdieSpezifikavonGenossenimmerdannbesondersaufmerkwahrgenommenwurden,wennsichielesgleichzeitigveränderte,DisruptionUnsicherheitindenVordergrundtraten.GenossenschaftenhabenMenschenUnternehmengeholfen,UnsicherheitinZeitenzureduzieren.
AUSBLICK
Zuerst gilt es, die in der Regel gewachsene Arbeitsteilung zwischen den beiden Ebenen zu prüfen, immer mit der Zielsetzung einer effizienten Organisation. Dabei bedeutet Subsidiarität auch, dass es vor den aktuel len Rahmenbedingungen für die Mitglieder angebracht ist, manche Bereiche im eige nen Interesse der gemeinsamen Ebene von genossenschaftlichen Zentralunternehmen und Verbänden zu überlassen. Dies gilt für die Gesamtstrategie, die Marke, die Platt formen der Zusammenarbeit und andere digitale Elemente, die Organisation der Risi kobewältigung sowie die Aufteilung des Ei gentümerwertes auf heute und morgen, also die Investitionsentscheidungen. Selbstver ständlich sind die definierten Entscheidungsund Verfügungsrechte zu berücksichtigen. Zweitens geht es darum, das vertikale und das horizontale Dilemma abzubauen, unter dem manche Genossenschaft leidet und dadurch die Zukunft belastet. Das vertika le Dilemma ist in der Zusammenarbeit der beiden Ebenen zu identifizieren und heißt Misstrauen. Der Wunsch nach effizienten Gemeinschaftslösungen ist mit der Furcht vor zentraler Macht verbunden. „Mit Vertrau en Zukunft bauen“ kann diesbezüglich eine Kurzform für die Lösung sein. Das horizonta le Dilemma findet innerhalb einer Ebene statt und nennt sich Egoismus. Der ausgeprägte Wunsch nach individuellen Lösungen birgt die Gefahr von Verzettelung und Ineffizienz. Mit „Vertrauen verbindet“ könnte nun an Ent scheidungen herangegangen werden. Drittens geht nichts ohne wirtschaftlichen Erfolg. Genossenschaften stehen im Wett bewerb mit anderen Unternehmen. Die Vor teile des genossenschaftlichen Geschäfts modells müssen sich in den üblichen wirtschaftlichen Erfolgsindikatoren zeigen. Vor allem die Regulierung in vielen genos senschaftlich organisierten Branchen diffe renziert nicht nach der Rechtsform. Es gibt keinen Bonus für die Guten. Viertens sind Nähe und Regionalität – Merk male von Genossenschaften – zu digitali sieren. Digitale Genossenschaften können Nähe umsetzen, ohne ihre Identität zu ver lieren, und zukunftsorientiert müssen sie das auch. Für die damit verbundenen stra tegischen Entscheidungen können Genos senschaften Zuversicht nicht zuletzt aus der eigenen Vergangenheit gewinnen, die von ihnen immer wieder Resilienz gefordert hat.
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV 133 die Genossenschaft auch morgen noch in der Lage ist, Leistungen für die Eigentümer zu erbringen, weil also heute an die Zukunft der Genossenschaft gedacht wird.
Zwei Dimensionen gilt es zu analysieren, wenn nach der genossenschaftlichen Zu kunft gefragt wird. Erstens geht es um die bereits aktiven Genossenschaften. Woran sollten sie sich orientieren, um auch in Zu kunft erfolgreich zu sein? Zweitens aber ist zu prüfen, ob die aktuellen Rahmenbedin gungen Anreize beinhalten, neue Genos senschaften in wichtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereichen zu gründen. So könnte man die Zukunft der Genossenschaft von der Genossenschaft der Zukunft unter scheiden. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil wir in einer Zeit der radikalen Verände rungen leben – in Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Entscheidungen haben bestehende Genossenschaften heu te für eine erfolgreiche Zukunft zu treffen?
Je ähnlicher sich die Mitglieder darin sind, wie sie sich die Zukunft vorstellen und was sie sich von dieser erwarten, umso einfa cher wird es ihnen fallen, zukunftsorientiert zu entscheiden, auch wenn damit Verände rungen gegenüber dem Status quo verbun den sind. Nicht vernachlässigt werden darf jedoch, dass gerade dann die Gefahr be steht, dass einzelne Mitglieder nicht an den Entscheidungen mitwirken, weil sie sich auf die anderen verlassen. Im genossenschaft lichen Zusammenwirken kommen gleich zeitig die genossenschaftlichen Werte zum Tragen: die Bereitschaft zu Verantwortung und Kontrolle, die realwirtschaftliche und die regionale Verankerung sowie die nach haltige Orientierung. Teilen die Mitglieder diese Werte ohne Einschränkung, werden zukunftsorientierte Entscheidungen zu sätzlich unterstützt.
STRATEGISCHE ENTSCHEIDUNGEN FÜR DEN ERFOLG
Bestehende Genossenschaften werden sich verändern. Legen die aktuellen Rahmenbe
NEUE FELDER FÜR GRÜNDUNGEN
EIN ZEITFENSTER FÜR GENOSSEN SCHAFTEN
COOPERATIV 2/2022 – 150 JAHRE ÖGV134 dingungen die Gründung neuer Genossen schaften nahe? Das aktuelle Gründungs geschehen deutet darauf hin, ebenso eine konsequente Analyse der gesellschaftli chen, technologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie diverse Befra gungen. Sechs genossenschaftliche Grün dungskontexte lassen sich identifizieren.
• Fünftens ist der gemeinsame Aufbau von Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Existenz in vielen Bereichen bereits sehr populär geworden. Ziel ist es, Kunden umfassende und differenzierte Angebote machen zu können. Handwerker, Künstler, Freischaffende, Berater, Journalisten sind als Genossenschaftsgründer aktiv. Viele Dienstleister für digitale Services und Infra strukturen haben sich für die Zusammen arbeit in Genossenschaften entschieden.
• Ein viertes genossenschaftliches Zu kunftsfeld ist die Organisation persönli cher Dienstleistungen durch die gemein same Selbsthilfe bei präferenzgerechten Wohnformen, Gesundheits-, Pflege- und Familiendienstleistungen.
• Ein zweiter Bereich ist die Schaffung und Erhaltung von Infrastrukturen und der Aufbau von neuen Märkten. Beispiele sind genossenschaftliche Mobilitätskonzepte sowie die Gründung von Energiegenos senschaften.
• Erstens erfolgt die gemeinsame Organisa tion unternehmerischer Dienstleistungen, etwa als Daten-Clouds für mittelständische Unternehmen, denen ein kontrollierbarer und sicherer Zugang wichtig ist. Dies ent spricht der genossenschaftlichen Organi sation von digitalen Wertschöpfungsteilen.
• Schließlich wird die genossenschaftliche Organisation von Plattformen intensiv dis kutiert und in vielen Fällen vorbereitet. Ziel der Gründer als Nutzer ist es, die Vorteile der Zusammenarbeit für sich beanspru chen zu können. Nicht zuletzt geht es darum, mit Regional- und Branchenplatt formen den großen, international tätigen Plattformen Marktanteile abzuringen.
• Drittens ist die Nahversorgung im länd lichen Bereich unter anderem mit Nah rungsmitteln, Gesundheits- und Freizeit angeboten sowie den zugrundeliegenden Infrastrukturen in manchen Regionen eine große Herausforderung. Ihr wird zu nehmend mit genossenschaftlichen Lö sungen begegnet.
Aus aktuellen Umfragen wissen wir, dass ge rade jüngere Menschen wieder zunehmend genossenschaftsaffin sind. Dies kann nicht überraschen: Sie denken und kommunizie ren in Communities, schätzen es, in funk tionierenden Ökosystemen zu arbeiten. Sie bauen auf Schwarmintelligenz und ziehen das Sharing (gemeinsame Nutzung) dem Eigentum vor. Sie suchen einen guten Zweck (Purpose) für ihr Tun. Sie fordern Verantwor tungseigentum und legen großen Wert auf demokratische Strukturen. Sie wollen Trans parenz, und viele von ihnen engagieren sich für die Bewältigung der großen Herausforde rungen in Gesellschaft und Wirtschaft. Wir leben also in einem Zeitfenster für ge nossenschaftliche Lösungen der aktuellen Umbrüche unserer Zeit. Sie dürften nicht hinter den Herausforderungen des 19. Jahr hunderts zurückbleiben. Insofern ist die Frage nach der Zukunft der Genossenschaft dahingehend zu beantworten, dass sie sehr gute Chancen hat. Doch diese müssen ge nutzt werden, denn eine Zwangsbeglückung wird nicht stattfinden. Die Genossenschaft der Zukunft, ob schon lange aktiv oder neu gegründet, wird den aktuellen Anforderun gen gerecht werden und wettbewerbsfähig gegenüber anderen Unternehmens- und Ko operationsformen sein müssen. Dies bedarf konsequenter Entscheidungen, ihre Identi tät zu bewahren und die aktuellen Anfor derungen ernst zu nehmen. Nicht nur jede einzelne Genossenschaft muss sich dieser Aufgabe stellen, sondern auch die genos senschaftliche Wirtschaft insgesamt. Dies zu unterstützen und Wege dafür auf zuzeigen, wird auch in Zukunft im Kern der Aufgaben des ÖGV stehen. 150 Jahre ist es ihm selbst gelungen, eine klare Identität zu schaffen, sich dabei – manchmal unterstützt durch die normative Kraft des Faktischen –behutsam weiterzuentwickeln und so einen unverzichtbaren Beitrag zum Erfolg der ge nossenschaftlichen Wirtschaft zu leisten. „Mit Vertrauen Zukunft bauen“ – das möge ihm weiterhin uneingeschränkt gelingen.
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