Frankreich Magazin 04-2022

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Auf Schloss-Safari in PilgertourBurgund durch die Pyrenäen 41 9 7956 706905 04 6,90€D: 12,50CHFCH: 8,20€LUX:8,70€FR:7,70€A: Massif des Maures Das unverdorbene Hinterland von Saint-Tropez Radeln auf der Via Rhôna Von Lyon in den sonnigen Süden Den Norden neu entdecken Mittelalterliche Städtchen und stattliche Schlösser HimmlischeHerbsttage NR. 4 - 2022

TakxFabian©Bussy-RabutinvonSchlossDas

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine ganz ausgezeichnete rentrée!

Vorwort

Es geht wieder los!

Im Herbst sehne ich mich besonders nach Frankreich. Anfang September beginnt la rentrée: der Übergang vom langen Sommerschlaf zum normalen Leben, und der wird in Frankreich leidenschaftlich gefeiert. Die Zeitschriften veröffentlichen Sonderausgaben über Hunderte neue Bücher, die im September erscheinen, und im Carrefour drängen sich die Kinder wie wild um die neuen Schulhefte. Am ersten Montag im September sehen wir in den Abendnachrichten braun gebrannte Minister, die uns zuwinken und mit energischen Schritten ihre Ministerien betreten. „Vive la rentrée!“, tönt es auch aus dem Radio. Die neue Kultursaison steht vor der Tür und das Land bebt vor Vorfreude. Wenn nicht, dann helfen die Kaufhäuser mit Tipps per App und E-Mail, wie man mit den Nouveautés de la rentrée, also neuen Kleidern, Schuhen und Taschen, sanft in den Büroalltag hinübergleitet. Kurzum: Der Anfang des Septembers ähnelt mehr dem Neuanfang eines Jahres, als Neujahr dies selbst je könnte. Danach wäre da noch der herrliche Oktober, wenn die Natur langsam zur Ruhe kommt. Fahren Sie doch mal in die Region Hauts-deFrance, die sich im Herbst so schön einfärbt. Hier entdeckte der Reisejournalist Ralf Johnen spannende Schlösser, mittelalterlichen Charme, beeindruckende Museen ohne Warteschlangen (nicht einmal in der Dependance des Louvre) und pittoreske Badeorte. Darüber hinaus gehen wir im vielleicht schönsten Teil der Pyrenäen wandern: dem Aspe-Tal. Wir werfen einen Blick ins Hinterland von Saint-Tropez, wo sich in den endlosen Wäldern des Massif de Maures ein wunderschönes Kloster (zu besichtigen) und authentische Dörfer mit ebensolchen Bewohnern verbergen. Wir radeln entlang der Rhône und entdecken Schlösser in Burgund, von klobig bis protzig und von mittelalterlich bis hin zu solchen, die sich noch im Bau befinden (Hilfe ist willkommen). Zu guter Letzt haben wir noch einen guten Vorsatz zu Ehren von la rentrée: Hören Sie mal wieder öfter französisches Radio. Weil sie schön sind, die alten Chansons von Aznavour, Brel, Dalida, Piaf und Gainsbourg, aber auch, weil die jüngere Generation genauso viel zu bieten hat. Einige in Frankreich zurzeit besonders beliebte Künstler stellen wir in diesem Heft vor.

Cathelijne van Vliet, redaktion@frankreichmagazin.orgChefredakteurin

62 Pilgertour zu Ruhe und Glück

50 Jahre Liebes-Turbulenzen von Yves Saint Laurent und Pierre Bergé

Zu Besuch bei einigen der schönsten Schlösser und Burgen.

6 Bienvenue

Wandern in den Pyrénées Béarnaises von Lourdes nach Oloron-Sainte-Marie

40 Auf Château-Safari in Burgund

34 Une belle histoire

Kultur & Design

62 76 24 12 40 4 FRANKREICH MAGAZIN

Ein Streifzug entlang der Glanzlichter von Frankreichs hohem Norden

12Reise

Frankreich Magazin - 2022 - 12 Jahrgang - Nummer 4 52 40 34

Das wilde Bergland der Côte d’Azur 24 Gemütlich rollen an der Rhône

Neue Tipps und Adressen für Ihre Frankreich-Reise Besondere Unterkünfte, spannende Ausflüge & tolle Ideen

Massif des Maures

Inhalt

76 Hautes de France

Entdeckungstour von Lyon in Richtung Süden auf der Radroute ViaRhôna

98 Impressum 93 6251 24 12

52

72

Kolumnistin Christine Cazon kann auf dem Flohmarkt nicht widerstehen

Das neue Kochbuch „Le Midi“ mit der Küche aus dem ganzen Süden Frankreichs (nicht nur aus der Provence) Bon appétit

23

Einrichtungsideen mit französischem „Chique“ Auslese

94

FRANKREICH MAGAZIN 5 51 Boutique

93

Bekleidung und Accessoires für den Herbst Kultur

86

Ausstellungen in Frankreich und Deutschland Neue Stimmen

Essen & Trinken

Rezepte

Mit Büchern auf dem Sofa nach Frankreich reisen

Die beliebtesten jungen Musiker Frankreichs Maison

61

Küchenfreuden auf Französisch außerdem... „Nur Nützliches, Liebster!“

Und

Der exotische Garten liegt auf einer Höhe

Der große Stadtpark Tête d’Or ist bei den 520.000 Einwohnern (und Touristen) Lyons sehr beliebt. Der 117 Hektar große Park wurde von den Schweizer Gartenarchitekten Denis und Eugène Bühle um einen See herum ange legt und eröffnete 1857. Die Brüder entwarfen den Park im englischen Gartenstil, der im Gegensatz zu den damals üblichen strengen, symmetrischen französischen Gärten sehr natürlich aussieht. Im Laufe der Jahre wurde der Park um zahlreiche Elemente erweitert: ein großes, 21 Meter hohes Gewächshaus, ein botanischer Garten mit Gewächshäusern, in denen 20.000 Pflanzenarten wachsen, schattige Alleen und etwa 9.000 Baumarten. Auch die vier Rosengärten mit 16.000 Rosen sind einen Besuch wert. Der Park ist auch für Kinder interessant: Es gibt eine kleine Eisen bahn, ein Karussell und einen Zoo.

Jardin Exotique d’Eze, 20, rue de Château, jardinexotique-eze.frÈze.

Die neuenLilleeinrichtungfranzösischerenommierteBildungsSciencesPobietetjetztdenMasterstudien

Tipps für Unterkünfte, die Reise und Ausflüge

von 430 Metern und bietet einen herrlichen Blick auf das Mittelmeer und die schöne Stadt Èze. Der Garten wurde im vergange nen Jahrhundert auf einer mittelalterlichen Festung angelegt und in zwei Bereiche unterteilt. Auf der Südseite stehen haupt sächlich Wüstenpflanzen wie Kakteen, Agaven und Sukku lenten, auf dem feuchteren und schattigeren Nordhang gedeiht mediterrane Flora. Am Nordhang wurden vor kurzem ein Teich und ein Wasserfall angelegt, die bei der Erkundung dieses preis gekrönten Gartens herrliche erfrischend wirken.

VON AMÉLIE DUFOUR UND EUGENIE GOLDSCHMEDING, MALOU LAMMERTSE, & ANJA WINTER

Gartenpracht in Lyon

gang Boire, Manger, Vivre an - also Trinken, Essen, Leben. Die erste Gruppe Studenten hat bereits mit dem Programm begonnen und wird in Themen wie „Gastrodiplomatie“ unterrichtet: Welchen Einfluss haben Lebensmittel auf internationale Beziehungen? Dies ist wohl der ideale Studiengang für frankophile Genießer. bmv.sciencespo-lille.eu

Mittelmeer- und Wüstenpflanzen

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Studium fürGenießer

Bienvenue

Parc de la Tête d’Or, Place du Général Leclerc, Lyon, Eintritt lyon-france.comfrei.(parcs et jardins)

In Èze in Südfrankreich liegt ein Garten für echte Kakteenliebhaber, aber auch viele andere Pflanzen sind hier zu bewundern.

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Am Fuße des Berges Montagnette, im Dorf Boulbon, nahe Avignon, liegt das Hotel La Bastide de Boulbon, untergebracht in einem gemütlichen Landhaus aus dem 19. Jh. In dem großen Garten können Sie sich entspannen oder ein Bad im Schwimmbadbeheiztennehmen.

Bouches-du-Rhône

La Bastide de Biot, ab €134/Nacht. labastidedebiot.fr

La Bastide de Boulbon, ab €181/ Nacht, labastidedeboulbon.com

Ideal gelegen als Ausgangspunkt für die Erkundung der Provence oder für Wanderungen im Tal.

Les Roches Brunes, ab hotel-lesrochesbrunes.com€150/Nacht.

Alle Zimmer im Les Roches Brunes haben Blick auf das Mittelmeer und verfügen über einen Balkon oder eine Terrasse. Das Hotel liegt auf einem Felsen in einer Bucht gegenüber dem Dorf Collioure. Das Morgenrot tüncht das Dorf zartrosa. Vom üppigen Garten mit romantischen Sitzecken aus können Sie über einen privaten Pfad zum Strand gehen. In einer Auto-Stunde erreichen Sie die Pyrenäen und in zwei Stunden Barcelona.

Retrostil der 1980er Jahre

Pyrénées-Orientales

Vom Hotel aus kommen Sie zu Fuß ins Zentrum von Biot mit seinen bunten Häusern und charmanten Lädchen.

Côte d’Azur

Das Boutique-Hotel La Bastide de Biot ist im Stil der 1980er Jahre gehalten. Alle 18 Zimmer haben einen eigenen Balkon oder eine private Terrasse. Nach einem Work-out im Fitnessraum können Sie sich am Pool bei einem Drink entspannen. Kinder können Tischtennis oder Tischfußball spielen, und es gibt eine Jeu-de-Boules-Bahn.

Diskreter Luxus

Landhaus

Exzentrischer Boulanger

Das fünfzehnte Arrondissement in Paris lässt man sonst eher links liegen, denn es hat wenig Ambiente, ist grau, ordentlich und brav. Ein Glück, dass an der Ecke der Rue Fondary eine lustige Bäckerei liegt: die Bäckerei von Spitzenkoch und Fernsehstar Merouan Bounekraf. Diese Bäckerei stellt Kekse in Tortengröße her (die so genannten Cook‘XXL), so dass man sie gemeinschaftlich aufteilen kann und eine Spur von Krümeln hinter sich herzieht wie Hänsel&Gretel. Die Bäcker sind äußerst kreativ und entwickeln ständig neue Kuchen und Brote. Probieren Sie einmal das Blackguette, ein dunkles Baguette mit Zutaten wie geräuchertem Malz und Öl. 35, rue Violet, Paris, täglich geöffnet. @panade_paris@merouan_topchef

Mit dem Wohnmobil durch die Bretagne und die Normandie fahren? Das ist auch für gehobene Ansprüche eine höchst attraktive Idee. Die besten Tipps für einen Roadtrip durch die beiden Regionen verrät Ralf Johnen, Redakteur des Frankreich Magazin, in seinem soeben bei Marco Polo tenundspektakulärstenentdecktderkommtgestelltensorgfältigBuch.erschienenenWerdensechszusammen-Tourenfolgt,indenGenussleckerstenAustern,dieKlippendieauthentischs-mittelalterlichen

Château d’Olmet ist ein gemütliches B&B mit fünf Zimmern in der Nähe der alten Stadt Lodève. Das Schloss wurde vor kurzem renoviert und modernisiert, doch sein historischer Charakter blieb erhalten. Schöne, gemütliche Zimmer und ein beheiztes Schwimmbad! In Lodève gibt es einen authentischen Markt, eine schöne Kathedrale und ein schönes Museum. Château d’Olmet, ab €111/Nacht. chateau-olmet.com

Roadtrips im Westen

Bienvenue

Hérault

Städtchen. Natürlich kommen auch die Strände nicht zu kurz. Dabei funktionieren die Routen im Wohnmobil ebenso gut wie im Pkw. Ralf Johnen, „Camper Guide Bretagne & Normandie“, Marco Polo, 19,95 €

Reizvolle Perle

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Rue du Général Leclerc 12, 14113 Villerville, Frankreich Tel.: + 33 (0)2 31 87 20 22 biendormir@bellevue-hotel.fr www.bellevue-hotel.fr BOUTIQUE FM2022_2_Vignes dl Chapelle ADV.indd 80 28-04-2022 12:03

Das Hotel***-Restaurant Le Bellevue liegt in Villerville, Normandie, zwischen Honfleur und Trouville-Deauville. Das reizende Hotel hat 22 Zimmer und vier Suites mit Meerblick. Genießen Sie im Restaurant die traditionelle, hochklassige Küche mit Fisch, Meeresfrüchten und Hummer.

Nach ihrer Blütezeit in den 1980er und 1990er Jahren sind die skulpturalen Modedesigns von Thierry Mugler wieder im Trend. Sie werden von Beyoncé und Lady Gaga getragen und verwandeln Frauen in insektenartige Figuren oder motorisierte und gefiederte Göttinnen. Mugler, ursprünglich Innenarchitekt, war Anfang 2022 unerwartet verstorben. Er war bis zuletzt als Kostümbildner, Parfümeur und Fotograf tätig. Seine inspirierenden Meisterwerke sind im Musée des Arts Décoratifs unter dem Titel Couturissime versammelt, mit Entwürfen von 1977 bis 2014 und einen schönen begleitenden Katalog. Couturrissime, bis 24. April. mad.fr

Reise nach Paris geplant, aber irgend wie auch Bedarf an südfranzösischen Vibes? Das Atelier des Lumières, das Pariser Zentrum für digitale Kunst, entführt Sie in die Provence von Paul Cézanne (1839-1906). Mittels spektakulärer digitaler Projektionen und Musik von u.a. Django Reinhardt und Chopin tauchen Sie komplett ein in die Natur rund um Aix-en-Provence, der Heimatstadt des Malers. Die Wälder, Parks und Gärten und natürlich der Berg Sainte-Victoire, den er unzählige Male gemalt hat. Sie spüren seine innere Zerrissenheit, sein Verhältnis zu Licht und Farbe und erleben so seine besten Werke von Les grandes baigneuses bis Les joueurs de cartes einmal ganz anders. Lohnens wert, auch für Kinder. Cézanne, Lumières de Provence, bis 2. Januar 2023 im Atelier des Lumières, 38, rue Saint-Maur, Paris. Mo. - Do. von 10 bis 18 Uhr, Fr. und Sa. bis 22 Uhr, So. bis 19 Uhr. atelier-lumieres.com

CollectionMemorialMcCormickAmy©SpillerCulturespaces_Eric©

Meisterwerke

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Bienvenue

Provence in Paris

TEXT & FOTOS HANS AVONTUUR 12 FRANKREICH MAGAZIN

Das wilde Bergland der Côte d’Azur

Jäh stürzen sich zwischen La Londe und Saint-Tropez die Berge ins Mittelmeer. Für die meisten Sonnenanbeter bleibt es bei diesem flüchtigen Eindruck vom Massif des Maures. Wer aber ein wenig weiter ins Landesinnere fährt, entdeckt eine Region, die sich ihre Ursprünglichkeit erhalten hat.

Massif Mauresdes

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Am Ende des Nachmittags wandere ich zu einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Maures, wie das kompakte Berggebiet kurz genannt wird. Auf einem Hügel befinden sich die Dolmen von Gaoutabry, angeblich ein Ort, an dem die Bewohner 3000 bis 2000 v. Chr. Götter verehrten und ihre Toten bestatteten. In der Provence gibt es etwa 160 solcher Orte. Die archäologischen Funde wie Keramik und Schmuck werden in Saint-Raphaël ausgestellt. Es ist noch warm, als ich den Aufstieg beginne. Schritt für

LaUnten:vonAufschlagseite:MAURESdieFelsenMaures;Collobrières.AlexeinFermedePeigros.

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den. Der alte Kern wurde nach und nach erweitert. Auf der Terrasse treffe ich Pierre und Alexe, das junge Paar, das den Hof und das Restaurant betreibt. Alles ist robust und unprätentiös. Ganz im Sinne von Pierres Mutter. Jahrzehntelang war sie die treibende Kraft und das Gesicht von Peigros, aber jetzt, da ihre Gesundheit nachlässt, haben Pierre und Alexe die Leitung übernommen. Es ist, in aller Einfachheit und Ehrlichkeit, ein paradiesischer Ort. Stühle zum Sitzen, Tische zum Essen. Punkt. Pierre serviert auf bloßen Füßen. „Oh, daran habe ich nicht gedacht. Bei dieser Temperatur fühlt es sich einfach angenehm an“, entschuldigt er sich lachend. Die exklusiven Hotels der Côte d'Azur mögen 20 Kilometer Luftlinie entfernt sein, aber dies ist eine andere Welt. Das Herz der Maures-Berge schlägt mit seinem eigenen Rhythmus. Ich finde ein schattiges Plätzchen bei einer Handvoll Wanderer. Wenn ich innehalte, spüre ich die kühlende Brise, die durch das Tal zieht. Die herzhafte Tarte mit Auberginen und Ziegenkäse ist mehr als lecker. „Alles stammt von unserem Hof und wenn wir es nicht selbst herstellen, kommt es von Kollegen aus der Gegend“, sagt Pierre, der auch Wein keltert. „Regionale Produkte und kurze Ketten sind heute trendy, aber für mich war es schon immer natürlich. Meine Tiere kommen hier zur Welt, ich sorge dafür, dass sie gut aufwachsen, und schlachte und verarbeite sie selbst. So kurz sollten Lieferketten sein.

Die exklusiven Hotels der Côte d’Azur mögen 20 Kilometer Luftlinie entfernt sein, aber dies ist eine andere Welt.

DES

A

Sonnenanbeter

MASSIF

uf dem Gipfel des Col de Babaou führt FahrenWegverfolgt,Wald.SchotterstraßeeineindenVonStaubwolkenführtmichdersanftaufundab.Sieeinfachweiter, sagten mir die Einheimischen, dann kommen Sie ganz von selbst dorthin. Das stimmt. Mal fahre ich durch dichte Eichenwälder, dann gibt das Dickicht einen Blick frei auf die sanften Hügel und schließlich erspähe ich mein Ziel: Die Ferme de Peigros. Der Bauernhof ist eine Ansammlung von Gebäu-

Schritt eröffnen sich mir mehr Panoramablicke. Im Licht des späten Nachmittags erreiche ich den Gipfel mit dem Bauwerk. Große Steine bilden eine Art Haus ohne Dach, 6,5 Meter lang und 1,5 Meter breit. Die Lage auf der Hügelkuppe ist kein Zufall. Ebenso wenig wie die Lage in Bezug auf die Himmelsrichtungen, denn hier wurde die Sonne verehrt. Es ist ein wunderschöner Ort mit Blick auf den Gebirgswald und das Mittelmeer, die nun malerisch im schwachen Abendlicht baden. Es ist Zeit, abzusteigen, damit ich nicht im Dunkeln zurücklaufen muss. Mit einer Länge von etwa 60 und einer Breite von 30 Kilometern sind die Maures von bescheidener Größe. Aber meine Fahrt zum Hotel in Collobrières dauert doch etwas länger als erwartet. Es gibt kaum einen geraden Straßenabschnitt. Schließlich lande ich in Collobrières, einem charmanten Dorf, das einst das Zentrum der Korkproduktion für die Weinindustrie war. Heute

WALDBRAND

Links: La Chartreuse de la Verne vermittelt einen Unten:Klosterleben.EindruckbleibendenvomKorkeichenwald.

Im Sommer 2021 wurde das Maures-Gebiet von einem schweren Waldbrand heimge sucht. Ungefähr zwischen Le Luc und Grimaud richtete er erhebliche Schäden in den Wäldern und Weinbergen an. Die Dörfer wurden verschont und die meisten der beschrie benen Orte sind ebenfalls intakt. Zudem zeigt sich die Natur derart resilient, dass es jeute vielerorts wieder grünt und blüht.

› Massif des Maures FRANKREICH MAGAZIN 15

Fabien erwartet mich im wilden Garten seines Hauses nahe Collobrières. Er arbeitet nicht nur mit Kastanien, sondern auch als Naturführer. Sobald er anfängt, über seine Region zu erzählen, ist er kaum zu bremsen. Sein wettergegerbtes Gesicht und seine strahlenden Augen verraten, dass er viel Zeit im Freien verbringt. „Wir haben uns zu sehr von der Natur entfernt“, sagt er, während er auf seinem Stuhl unter einer großen Eiche sitzt. „Alles muss schnell gehen, morgen ist weit weg. Aber so funktioniert es nicht in der Natur. Alles braucht seine Zeit. Zum Beispiel Korkeichen. Was für ein großartiges Produkt das ist, rein natürlich, und wenn man die Rinde erntet, wächst der Baum einfach weiter. Außerdem gibt es keinen Abfall. Fabien erklärt, dass immer weniger Menschen wissen, wie man mit Korkeichen arbeitet. Das gilt in geringerem Maße auch für Kastanien, die ein

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ist es ein verschlafener Ort, der für die Kastanienernte bekannt ist, die jedes Jahr im Oktober stattfindet. Dank der wiederentdeckten Wälder mit alten Bäumen. Morgen werde ich den Kastanienbauern Fabien Tambolini besuchen.

Comeback erlebt haben. Alte Bestände wurden wieder aufgepäppelt und Collobrières ist heute selbst für seine Kastanien bekannt. „Aus ihnen kann man eine köstliche Creme herstellen, zum Beispiel als Brotbelag oder zu Zutat zu anderen Gerichten. Jeder hat sein eigenes Rezept.“ Als ich später im Dorf spaziere, entdecke ich mehrere Geschäfte, die Produkte aus Kastanien verkaufen. Von Nudeln über Eis bis hin zu Bier. Collobrières sagt mir immer mehr zu. Die Atmosphäre ist entspannt und persönlich. Auf der Terrasse des Café Théatre kennen sie bereits meine morgendlichen Wünsche: „Ah, bonjour, une noisette, comme d’habitude?“ (Ein Espresso mit Milch, wie immer?)

Heute fahre ich eine große Tour durch die Maures, einschließlich der Küstenlinie, wo das Mittelmeer am Fuße der Berge rauscht. Einer der Höhepunkte ist die Domaine du Rayol. 1908 kauften Alfred und Thérèse Courmes 40 Hektar Wildnis, um daraus ein zauberhaftes Anwesen mit einer Villa, einem Bauernhof und einer Fülle von Blumen, Büschen und Bäumen aus der ganzen Welt zu machen. Später übernahm der berühmte Luftfahrtpionier

Collobrières, einst Zentrum der WeinkorkenIndustrie.

Comeback der Kastanien

Weltreise

Üppiges Grün

An der Terrasse mit Blick aufs Meer beginnt ein derdurchSpaziergangdieGärten,einerReiseum die Welt gleicht.

Die Besichtigung beginnt bei der Villa Hôtel de la Mer (1912-1919), die kein protziges Gebäude ist und mit ihren verwitterten Fassaden Leben ausstrahlt.

› Massif des Maures FRANKREICH MAGAZIN 17

Henry Potez den Garten und bereicherte ihn mit Hunderten von neuen Arten. Bis das Gelände 1974 zum Verkauf stand und Bauträger drohten, es in einen riesigen Ferienkomplex zu verwandeln. „Es war eine einmalige Gelegenheit,“ sagt André Delmonte, Präsident des Weinguts. „Aber die Gemeinde hat sich dagegen gewehrt, so dass die Genehmigungen nicht erteilt wurden. Schließlich kaufte die Naturschutzorganisation Conservatoire du Littoral. So hat der Ort seine Schönheit bewahrt. Es ist jetzt himmlisch hier, viel schöner als wieder ein Ferienkomplex von der Stange.“ Spazieren gehen, sitzen, lauschen oder lesen, wie es einst Thérèse gerne an einem Bach zwischen riesigen Farnen und Palmen tat.

Naturführer Fabien Tambolini; Farne in Domaine du Rayol.

Es folgt ein mediterranes Mittagessen mit einem Hauch von Maures-Wildnis inmitten der Weinberge bei L'Assiette Figuière. Küchenchef Sébastien: „Wir leben hier im Paradies. Nehmen Sie Gemüse und Obst. Einfach ausreichend gießen und Sie erhalten die leckersten Produkte. Deshalb versuche ich, meine Gerichte so einfach wie möglich zu gestalten, damit man die Aromen des Landes genießen kann. Es geht darum, gut zu kombinieren und gezielt

Die Terrasse mit Blick auf das Meer ist der Ausgangs- und Endpunkt eines Spaziergangs durch die Gärten, der wie eine Reise um die Welt ist. Die verschiedenen Landschaften sind Pendants in Ländern wie Chile, Neuseeland, Südafrika, Kalifornien und Australien nachempfunden. Ihr gemeinsamer Nenner: mediterranes Klima. Meine Lieblingsstelle ist „normal“ südfranzösisch: Terrassen mit Wildblumen und Pflanzen, die sich frei entfalten. Hier wimmelt es von Bienen und Hummeln und Schmetterlinge flattern in der Brise.

Les Mayons ist vielleicht die undTourismus,StädtchenÜberraschung.schönsteDashatkaumistkleinungeschliffen.

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Oben: Das alte Tor von La Chartreuse de la Verne.

aber zurückhaltend zu würzen.“ Das beherrscht der Küchenchef eindeutig. Zufrieden setze ich meine Reise durch die Maures fort. Auf kurvenreichen Straßen, auf und ab von Tal zu Tal, wo am Grund oft ein Bach plätschert. Die Dörfer sind allesamt reizvoll. Ramatuelle, ursprünglich ein Bergdorf, hat dank der Nähe zu Saint-Tropez die kosmopolitische Atmosphäre der Küste. Aber Le Plan-de-la-Tour, La Garde-Freinet und Collobrières sind rustikaler. Die kleine Stadt Les Mayons ist vielleicht die schönste Überraschung. Kaum vom Tourismus berührt, klein und ungeschliffen. Ich fahre bis zu einem kleinen Platz mit einer alten Wasserpumpe. Hier trippelt eine alte Dame, dort räkeln sich Straßenköter im Schatten. Auf dem Rückweg ins

Rechts: Ramatuelle, ein Bergdorf bei Saint-Tropez.

und renoviert wurden. Mit der Ankunft der Schwestern von Bethlehem kehrte auch das klösterliche Leben zurück.

Zum letzten Mal fahre ich zu meinem Ausgangspunkt in Collobrières zurück: dem Hotel-Restaurant Des Maures, seit fünf Generationen im Besitz der Familie Borelo. Ich genieße ein ausgiebiges Abendessen auf die Terrasse über einem fast ausgetrockneten Fluss. Auf der Karte stehen vorwiegend deftige Gerichte mit Wild, Kastanien und Pilzen. Danach mache ich einen Spaziergang durch das Dorf, über die alte Brücke, durch die Gassen rund um die ehemalige Burg und hinauf zur Kirchenruine auf dem Gipfel. Morgen muss ich weg. Aber das werde ich erst nach einer Tasse Kaffee und einer Zeitung auf der Terrasse des Café Théâtre machen! Une noisette, comme d’habitude

Das Dorf Les Mayons.

Fünfte Generation

Herz der Region mache ich einen letzten Halt: das Kloster Notre-Dame de Clémence de La Verne, auch Chartreuse de la Verne genannt.

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Der Weg dorthin führt durch eine üppige grüne Wildnis aus Stein- und Korkeichen. Der Klosterkomplex liegt gut versteckt zwischen den Hügeln, genau so, wie es bei seiner Erbauung im 12. Jahrhundert beabsichtigt war, um Abgeschiedenheit, Stille und Sicherheit zu gewährleisten. Obwohl ein großer Teil des Komplexes für Besucher geschlossen bleibt, vermitteln die öffentlichen Bereiche einen guten Eindruck vom alten Klosterleben. Monumentale Räume, die einst als Lager, Bäckerei, Ölmühle oder Speisekammer dienten. Eine Kapelle und eine Zelle aus der Zeit der Kartäuser sind ebenfalls zugänglich. Die letzten Mönche flohen während der Französischen Revolution 1790 mit einem Fischerboot nach Nizza. Die Gebäude verfielen. Bis sie 1921 unter Denkmalschutz gestellt

Massif des Maures

Tipps & Adressen

Hôtel Notre Dame Kleines Hotel am Rande des Dorfzentrums von Collobrières mit Restaurant und Schwimm bad. Angenehme Terrasse am Flussufer. hotel-collobrieres.com

SCHLAFEN DesHôtel-RestaurantMaures

INFORMATIONEN mpmtourisme.comcollobrieres-tourisme.com

Das Massif des Maures liegt etwa 1100 km von Frankfurt (Main) entfernt. Flughäfen in der Nähe sind Marseille, Nizza und Toulon.

ESSEN & TRINKEN

ANREISE

Chartreuse de la Verne Wunderschön gelegener Klos terkomplex aus dem 12. Jh, der im 20. Jh renoviert wurde. Es herrscht dort eine erhabene Ruhe. Im Lädchen sind Produk te aus verschiedenen Klöstern erhältlich, darunter Kerzen, Sirup und Olivenöl. bethleem.org

Domaine du Rayol

In der Provence gibt es 160 Dolmen und Menhire, steinerne Monumente aus der Jungstein zeit und der Eisenzeit. Im Mau res-Gebirge sind einige davon zu Fuß erreichbar, z.B. Menhirs de Lambert und die Dolmen de Gaoutabry.

Ferme de Peigros Ein Bauernhof mit einem einfa chen Restaurant, verborgen in den Hügeln zwischen Collobriè res und der Küste. Pierre und Alexe servieren mit erfrischen der Bodenständigkeit regionale Produkte. Schmackhaft, gut, bezahlbar und in ungezwunge ner Atmosphäre. Nur zur Mittagszeit geöffnet. orange.frfermedepeigros.pagesperso-

AKTIV

Le Petit Collo

Maurin des Maures

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Collobrières

Gelegen am Cours Mirabeau im Zentrum von Collobrières. Es ist eine Mischung aus Café, Tapas bar, Bistro und Podium. Einfach und reizvoll, regelmäßig Live musik.

Dolmen & MenhirE

Confiserie Azuréenne lohnt sich, hier gibt es ein kleines Museum über die Mar rons glacés, die dort hergestellt werden, also Kastanien/Maroni in einer zarten Hülle aus Schokolade oder Cognac. confiserieazureenne.com

Le Mas du Lingousto Gastronomische Adresse in Cuers, am Rande des MauresGebirges. Produkte der Saison, aus der Region und aus dem eigenen biologischen Garten werden hier auf hohem Niveau verarbeitet. lingousto.fr

L’Assiette Restaurant in den Weingärten der Domaine Figuière nahe La Londe-les-Maures (Foto rechts oben). Der Name bezieht sich

Reizvolles Familienhotel in Collobrières mit 15 renovierten DasZimmern.Hotel ist schon seit fünf Generationen in der Familie Borelo. Ein gutes Restaurant und eine nette Bar gehören auch dazu. hoteldesmaures.fr

auf die Teller der Großmutter, auf denen die modernen Gerichte serviert werden. Die Küche ist mediterran mit einem Hauch „Berge“. figuiere-provence.com

Unternehmen Sie einen Spa ziergang durch das Dorf im Herzen des Maures. Beim Tourismusbüro liegen Stadtpläne mit den derJeanque,Pons,dieSehenswürdigkeitenwichtigstenbereit,z.B.RuinenderÉgliseSaint-derPlacedelaRépublidiePontVieuxunddieRueJaurès.AucheinBesuch

Die mediterranen Gärten von Rayol (Foto links oben) bilden eine Oase der Ruhe an der Côte d’Azur, und zwar genau dort, wo die Maures-Berge bis ins Meer reichen. Der Landschaftspark ist in Rayol-Canadel-sur-Mer ist täglich geöffnet von 9:3018:30 Uhr (im Sommer bis 19:30). domainedurayol.org

Gäste kommen wegen des Fischs oder der berühmten Bouillabaisse von Chefkoch Dede. Gelegen in einem histori schen Gebäude, das in den 1920er-Jahren als Bar und Tabakladen für die Arbeiter der Bahn diente. maurin-des-maures.com

Wenn Sie abends vor Ihrem Wohnmobil, Zelt oder Wohnwagen unter dem Sternenhimmel das Rauschen des Meeres hören, sind Sie wie verzaubert. Dies ist der Campingplatz am Meer, von dem Sie geträumt haben. Für jeden ist etwas dabei, da man auch mieten kann. Die Bungalows, die etwas höher auf einem bewaldeten Hügel liegen, bieten von der Terrasse einen Meerblick. Auf diesem großen Campingplatz finden Sie alles, was Sie brauchen, von Restaurants und Bars bis hin zu einem Supermarkt.

Camp du Domaine versichert seinen Gästen, dass alle notwendigen Vorkehrungen getroffen wurden, um die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern.

Sehenswürdigkeiten

2581 La Favière

Für kleine Kinder gibt es schöne Spielplätze, Wasserfontänen und einen kostenlosen Miniclub. Sie finden sogar spezielle Babybäder! Die Kinder können Bogenschießen, Windsurfen und Wasserski fahren, für Jugendliche gibt es die Möglichkeit, Tennis oder Beachvolleyball zu spielen. Herausforderung: vielleicht sogar einen Tauch- oder Segelkurs machen. Abends sorgt das Animationsteam für Spaß. Camp du Domaine ist ein großartiges Urlaubsziel und weit genug vom Trubel von St. Tropez entfernt.

Côte d’Azur

CAMP DU DOMAINE

F-83230 Bormes-les-Mimosas

Tel. (0033) 4 94 71 03 12 GPS 43.1179, 6.35183

9 April bis zum 31 Oktober 2022 geöffnet. Der Campingplatz liegt in einem 45 Hektar großen Park direkt am Strand mit vielen Plätzen für Camping und Bungalow.

Auf dem Campingplatz

Urlaub an der Côte d’Azur, direkt am Strand? Im Schatten eines weitläufigen Pinienwaldes an der Küste finden Sie den FünfSterne-Campingplatz Camp du Domaine, ein idealer Ort für die ganze Familie.

www.campdudomaine.com

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Wer gerne die Umgebung erkunden möchte, kann Monaco und Saint-Tropez besuchen. Bormes-Les-Mimosas, ein typisches provenzalisches Dorf mit verwinkelten Gassen, liegt nur wenige Gehminuten vom Campingplatz entfernt. Das alte Fischerdorf Le Lavandou ist über einen Pfad entlang der Küste zu erreichen. Es gibt einen Markt am Donnerstagmorgen. Der Campingplatz organisiert auch Ausflüge mit dem Minibus und einer Führung. Einfach praktisch.

Christine Cazon

Monsieurs Flohmarktschätze

Am nächsten Tag ist es so weit. Wir haben so viel Zeug zusammengesucht, dass Monsieur zweit Mal fahren muss, während ich den Tapeziertisch aufbaue, der sich unter der Last biegt. Monsieurs originelle Flaschensammlung in Form von Fischen, Stiefeln und Fußbällen bis hin zum Eiffelturm findet, es wundert mich nicht, begeisterte Käufer. Monsieur sieht seine Sammlung mit Stolz und Tristesse peu à peu verschwinden. Dann verschwindet auch er. Vermutlich auf der Suche nach neuen Objekten, um den Verlust der alten zu ertragen. Dabei hatte ich ihm eingeschärft, dieses Mal wirklich nichts zu kaufen! Pfft, machte Monsieur. Auf einem Flohmarkt nichts kaufen, wie soll das gehen? Der Flohmarkt lebt vom gegenseitigen Bewundern und Erwerben. Wenn man auf nichts kaufen darf, dann geht man besser gar nicht hin. Jetzt verbringen wir den ganzen Tag dort, also bitte… Seufzend wandele ich mein kategorisches „nichts kaufen“ in ein „nur Nützliches erstehen“ um. Ich feilsche in der Zwischenzeit um Preise für die Flaschen und einen original verpackten Fischtopf. Ich will nichts, aber auch gar nichts mehr mit nach Hause nehmen, habe ich mir

Christine Cazon, alias Christiane Dreher, ist Krimiautorin und Wahlfranzösin. Zusammen mit ihrer Romanfigur Kommissar Duval erlebt sie Cannes sowohl vor als auch hinter den Kulissen der südfranzösischen Glitzerwelt.

Frankreich ist das Land der Flohmärkte. Ständig gibt es une brocante oder un vide-grenier, je nachdem, ob der Markt von Profis oder von und für Privatpersonen organisiert wird. Monsieur und ich, wir lieben Flohmärkte, aber wir haben keinen Platz mehr für weitere Flohmarktschätze, weshalb ich schon ewig bei einem vide-grenier, wörtlich einer „Dachboden-Leerung“, mitmachen wollte, um mal nichts zu kaufen, sondern nur zu verkaufen. Monsieur hingegen ist Sternzeichen Jäger, Aszendent Sammler und kaum daran interessiert, seine mühevoll zusammengetragenen Schätze wieder dem Trödel-Kreislauf zuzuführen. Dieses Mal aber habe ich am Vortag des Flohmarkts in der Altstadt ausreichend Energie. Nicht nur, um Monsieur davon zu überzeugen, dass wir teilnehmen, sondern auch dafür, die Wohnung von Sammelobjekten zu befreien. „Ich will, dass hier zukünftig nichts mehr rumsteht!“, rufe ich und räume Vasen, Dosen und Bücher von der Kommode. Zerbrechliches wickele ich in Zeitungspapier und wuchte Kisten und Kartons in den Hausflur, damit wir am nächsten Morgen das Auto beladen können. Monsieur hatte sich heldenhaft entschieden, sich von seiner umfassenden Flaschensammlung zu trennen und stellte mehrere Kisten dazu. Großartig! Ich hörte nicht auf, ihn dafür zu loben.

vorgenommen. Was wir nicht verkaufen, kommt in den Container! Dann deponiert Monsieur am Stand eine Plastiktüte. Ich verdrehe die Augen. „Wir hatten doch ausgemacht …“, setze ich an. „Es ist nützlich!“, rechtfertigt er sich und verschwindet. Ich schaue alarmiert in die Tüte und atme auf. Monsieur hat Werkzeug und Metallteile erstanden. Solange es die Werkstatt betrifft, mische ich mich nicht ein. Monsieur ist begeisterter Heimwerker- Ohne ihn würde manche Tür klemmen und manche Maschine nicht laufen. „Hier, für dich!“ sagt er beim nächsten Besuch und drückt mir eine Tüte in die Hand. „Oh!“, ich bin gerührt. Er hat mir bei seinen Streifzügen ein Geschenk gekauft! Ich wickele aufgeregt ein großes Keramik-Objekt aus vergilbtem Zeitungspapier. Ich drehe und wende es befremdet. Es ist ein klobiges Etwas in Blau. „Ein Klopapierhalter?“ frage ich fassungslos. „Ja“, strahlt Monsieur. „Tu aimes?“, fragt er allen Ernstes. Ob er mir gefalle. „Na ja …“, ich bin sprachlos vor Enttäuschung. „Schön blau“ sage ich lahm. „Ja“, Monsieur ist begeistert. „Er passt genau ins Bad! Es ist das Blau der Kacheln!“ „Hm hm“, mache ich, und schiebe ein geheucheltes „super“ hinterher. „Es ist nützlich!“ ereifert sich Monsieur. „Das wolltest du doch!“ Ja, sicher. Das wollte ich. „Wir haben doch schon einen Klopapierhalter“, wende ich ein. Monsieur aber winkt ab. „Nicht so einen schönen!“ Seufzend lege ich den Halter neben mich. Ich fürchte, er wird ein zukünftig zu verkaufendes Objekt. Denn nein, ich lasse ihn nicht herunterfallen, wo denken Sie hin! Ich packe ihn abends vorsichtig wieder ein, wie auch das Teeservice, dass wir aus einer Haushaltsauflösung von einer verstorbenen Cousine übernommen haben, und das ich mir nun doch nicht vom Herzen reißen konnte. „Hattest du nicht gesagt, du nähmest nichts mit nach Hause?“ frotzelt Monsieur. „Ach herrjeh“, brummele ich, „dann machen wir eben noch einen Flohmarkt!“„Und was ist das?“ Monsieur hält eine schwere Messingflasche hoch. „Total nützlich!“ verteidige ich die antike französische Bettflasche, in die ich mich am Nachbarstand schockverliebt hatte. „Ich habe immer kalte Füße im Winter.“ „Die ist doch nie im Leben dicht!“ Er deutet auf eine Lötstelle. „Egal, sie ist schön!“ murmele ich kleinlaut. „Na dann“, grinst Monsieur. Immerhin schaffen wir es zurück mit nur einer Wagenladung, und die Bettflasche bekommt einen Ehrenplatz auf der Kommode. Ich fürchte, es ist der Beginn einer Sammlung.

Monsieur hatte sich heldenhaft Flaschensammlungdurchgerungen,dazusichvonseinerumfassendenzutrennen.

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Die Radroute ViaRhôna ist so gut wie fertig. Jessica de Korte erkundet dieses Paradebeispiel für Radfernwege von Lyon in Richtung Süden, fast nur auf flachen Radwegenwohl aber mit herrlichen Ausblicken auf die Hügel. TEXT & FOTOS JESSICA DE KORTE Rhône Gemütlich rollen an der

Genève Lyon

Avignon Arles

Unten: Marionettenspieler in Lyon. Rechts: Lyon, der unsererAusgangspunktTour.

Plage Loire-sur-RhôneValenceRochemaureNapoléonTournon-sur-RhôneVienneCondrieu

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ViaRhôna war 2018 als Radwanderweg des Jahres nominiert

RHÔNE

ie Rhône ist fast wie eine Liebhaberin. Manchmal süß, manchmal ein bisschen launisch. Mal radelt man kilometerweit an ihr entlang, dann plötzlich verschwindet sie und man hört nichts mehr von ihr. Dann sehne ich mich erst recht nach dem plätschernden, geheimnisvollen Wasser. Zu zweit fahren wir den ViaRhôna, jenen Radfernweg, der den Genfer See mit dem Mittelmeer verbindet. Die Landschaft verändert sich allmählich. Wir beginnen südlich des geschäftigen Lyon, dann kommen die steilen WeinbergTerrassen von Condrieu. Die Ardèche schmeichelt mit Kontrasten, mit ihren charmanten Dörfern und den felsigen Landschaften. Weiter südlich tauchen die stattlichen Schlösser auf. Und zum Abschluss geht es in die Camargue, dem ausgedehnten Sumpfgebiet mit Flamingos und Wildpferden. Der 815 Kilometer lange Weg ist ein Vorzeigeprojekt unter den französischen Fernradwanderwegen. Etwa 40 Prozent der Strecke führen über Radwege mit überraschend wenig Gefälle, obwohl wir inmitten der Berge fahren: Jura, Alpen und Zentralmassiv. Wegen der betörenden landschaftlichen Schönheit, aber auch wegen der guten Beschilderung und der guten Infrastruktur wurde

Unsere Fahrt beginnt in Lyon sehr angenehm mit einem breiten Boulevard und jahrhundertealten Hängebrücken, die autofrei sind. Nach dem Marionettenmuseum Guignol folgen allerdings 15 Kilometer auf einer stark befahrenen Straße. „Nehmen Sie den Zug“, empfiehlt die Reiseliteratur. Die meisten Radfahrer scheinen dem Rat zu folgen, denn plötzlich sind wir die einzigen Pedalritter. Dennoch hat es seinen Reiz, durch die Vororte von Lyon zu fahren. In einem arabisch geprägten Supermarkt finde ich Cola, Schokoriegel und Bananen – Kraftfutter für die Reise. Draußen spielen derweil Kinder Fußball. „Dieser Abschnitt zwischen Lyon und Vienne ist für uns die größte Herausforderung“, hatte die Fahrradbeauftragte Daudibon vorab gesagt. „Er führt durch städtisches Gebiet mit breiten Straßen und auf der anderen Seite der Rhône durch chemische Industrie. Die Region Auvergne-Rhône-Alpes ist hier federführend, aber laufende Genehmigungsverfahren und Umweltstudien verzögern den Ausbau des Radfernweges.“ Kurz nach Loire-sur-Rhône kehrt der Radweg als solcher zurück und folgt einem alten Treidelpfad, auf dem früher Pferde die Kähne zogen. Offensichtlich sind wir nicht die einzigen, die dem Lockruf der Rhône folgen. Junge Paare rollen schwer bepackt vorbei, ihre nagelneuen Taschen glänzen in der Sonne. Kinder versuchen, mit ihren Eltern Schritt

Herausforderung

D

der ViaRhôna 2018 für die Fahrradroute des Jahres nominiert. Der Preis ist eine Initiative einer niederländischen Rad- und Wandermesse, die Länder dazu anregen soll, schöne Mehrtagesrouten zu schaffen. Leider war der ViaRhôna, an dem seit 2004 gearbeitet wird, damals noch nicht ganz fertig. Da die noch unfertigen Abschnitte weniger attraktiv waren, ging der Hauptpreis nach Schweden. „Seither hat sich viel getan“, sagt Agathe Daudibon, zuständig für Radwege bei Vélo & Territoires, einem Zusammenschluss französischer Regionen, Departements und Städte zur Förderung des Radverkehrs. „Besonders auf der Strecke südlich von Avignon.“ An mehreren Orten wurden neue Radwege angelegt, und der Ort Virignin –zwischen Genf und Lyon – erhielt sogar eine Metallbrücke. Dennoch bleiben einige Lücken.

ViaRhôna FRANKREICH MAGAZIN 27

zu halten und treten emsig in die Pedale. Die Kleinsten dösen im Fahrradanhänger. Ich denke an die Worte von Ed Lancaster, Direktor von EuroVelo, dem Radwegenetz des Europäischen Radfahrerverbandes (ECF). „Es ist schön, wenn eine Route für jeden geeignet ist“, hatte er im Vorfeld der Reise erklärt. „Die einen wollen alles asphaltiert und erfreuen sich an etwas Trubel auf dem Radweg, andere bleiben gerne abseits der ausgetretenen Pfade. Nur Wenige fahren die gesamte Route“. Vor sechs Jahren wurde der ViaRhôna Teil des EuroVelo-Netzes. Zusammen mit der Schweizer Route du Rhône bildet er nun die Route EuroVelo 17.

Wieder an der Rhône, überträgt sich die Ruhe des Wassers auf die Reisenden. Es schimmert in immer wieder neuen Farben, mal hellblau, dann türkis oder dunkelgrün. Der Fluss schlängelt sich anmutig, so

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Stadt, Land, Fluss

dass der Radweg nie lange geradeaus verläuft. Hier kommt ein charmantes Städtchen mit verputzten Fassaden, einem reizvollen Kirchturm oder einer Burg in Sicht, da überwältigt die schöne Landschaft. In Condrieu stapeln sich die Weinterrassen an den Hängen, als würden die Rebstöcke ein Fußballspiel im Stadion verfolgen. Doch im Tal tummeln sich nur Radfahrer. Wer die Route verlässt, muss sofort bergauf, mit Steigungen vor denen selbst geübte Radrennprofis Respekt haben.

In Chavanay machen wir einen kleinen Abstecher in den regionalen Naturpark Pilat zum Terrassencampingplatz Bel'Époque du Pilat. Die Aussicht ist herrlich, aber ich brauche 1000 Anfeuerungsrufe von mir selbst und eine ganze Flasche Wasser, um den Gipfel zu erreichen. Kopfschüttelnd frage ich mich, warum wir nicht einfach auf dem ViaRhôna geblieben sind. Dort braucht man nicht sonderlich fit zu sein um vorwärts zu kommen, denn an alles ist gedacht: Picknicktische, Flickzeug und – für die, die zwischendurch einen Spaziergang machen wollen –Schließfächer für das Fahrrad. Alle paar Kilometer vermitteln Informationstafeln Wissenswertes zur Gegend. Bereits Ende der 1990er Jahre entstand in den Regionen die Idee, einen Radweg entlang der Rhône zu schaffen, um den Tourismus anzukurbeln.

Auf dem ViaRhôna braucht man nicht sonderlich fit zu sein um vorwärts zu kommen, denn an alles ist gedacht

Radfahrer willkommen Lachen erschallt über den eleganten Platz von Tournon-sur-Rhône. Männer spielen Petanque unter ausladenden Platanen, beobachtet von Frauen auf Holzbänken im Schatten. „Bonjour!“ ruft ein vorbeifahrender Radfahrer. Auch wir sind herrlich ausgeschlafen, denn am Morgen erwachten wir bei Vogelgezwitscher auf dem Campingplatz Iserand in Vion, wo für etwa 40 Euro hölzerne

Auf der Hängebrücke von Rochemaure zieht mir ein leichtes Kribbeln durch den Bauch. Schon bei

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Höhenflug auf der Brücke

Radlerhütten zu mieten sind. Unten eine kleine Küche, oben der Schlafbereich. Die Betreiberin zeigte sich dort stolz auf die vielen eigenhändig gepflanzten Bäume, sie möchte mit ihrem blumenreichen Garten Ruhe bieten und vor allem Naturfreunde anlocken. Entlang der Strecke finden sich zahlreiche Adressen mit dem Prädikat Accueil Vélo: Radfahrer willkommen. Hier empfangen Campingplatz, Pension oder Hotel die Radwanderer mit offenen Armen. Unterkünfte mit einem solchen Prädikat sind selten mehr als fünf Kilometer von der Route entfernt und verfügen über einen sicheren Abstellplatz fürs Rad, Reparaturmaterial, Waschmaschine und manchmal auch die Möglichkeit, Gepäck zu transportieren.

Aber das erfordert natürlich, dass alle an einem Strang ziehen. Die Route führt durch 14 Departements, von denen die meisten jeweils für den Bau der Fahrradinfrastruktur in ihrem Bereich zuständig sind. „Oft müssen wir uns mit der CNR (Compagnie Nationale du Rhône) abstimmen, die die Flächen entlang der Rhône verwaltet“, hatte die Fahrradbeauftragte Daudibon erläutert. Die CNR unterhält die Dämme, Schleusen und Wasserkraftwerke. „Wir haben nur selten mit Landbesitzern zu tun. Manchmal nutzen wir Wege, die bereits vorhanden sind. Wenn es Industrie gibt, wird die Strecke oft daran vorbeigeführt, auch aus Sicherheitsgründen. Überall werden Gelder angezapft, auch europäische Subventionen. Insgesamt wurden bisher rund 60 Millionen Euro investiert.

Unten: Terrasse in Avignon. Links: die Pontberühmted’Avignon.. ›

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Rechts: Flamingos in der Camargue. Unten links: Arles; rechts: Innenhof in Lyon.

beiden Ufern des Flusses aus wie Zuläufe. Es sind aber (brandneue) Routen, die oft über alte Bahnstrecken oder Treidelpfade führen. Wie die Dolce Via, die Radroute des Jahres 2020, die bei Tournon-sur-Rhône beginnt. Südlich von Arles führt die Route durch das Sumpfgebiet der CaWirmargue.verlassen den ViaRhôna für einen Moment, um einen unbefestigten Weg an der Salzwasserlagune Étang de Vaccarès zu nehmen. Ausgerechnet dort bricht die Pedale meines Freundes. Er muss mehrere Kilometer zu Fuß zurücklegen. Auf der ViaRhôna wäre uns bestimmt schon jemand zu Hilfe gekommen. Denn eines fiel uns auf: Alle grüßen sich gegenseitig. In einer weiten Landschaft ziehen wir an Hunderten von Flamingos vorbei. Rosa Punkte unter einem strahlend blauen Himmel. Zuckerbäckerfarben. Ein Flamingo-Paar scheint zu tanzen und küsst sich mit seinen Schnäbeln. Auch im Delta der Rhône blüht die Liebe. Adieu geliebter Fluss, adieu, ich werde dich vermissen.

Auffällig ist der Radweg bei Avignon, wo er so neu ist, dass er in der Sonne glänzt.

leichtem Wind schwankt das Metallbauwerk. Und wir haben seit zwei Tagen den Mistral im Rücken, jenen kräftigen Nordwind, der oft im südfranzösischen Rhônetal weht! Doch der Blick auf die Rhône lässt mich das mulmige Gefühl sogleich vergessen. Die Brücke mit ihren romantischen Steintoren wurde 1842 erbaut und passt perfekt zu den Burgruinen in der Ferne. 2013 wurde sie als Teil des ViaRhôna für Radfahrer und Wanderer geöffnet. Auffallend ist auch der Radweg nördlich von Avignon, der so neu ist, dass er in der Sonne glänzt. Es ist noch nicht einmal auf der offiziellen Radwanderkarte eingezeichnet. Die Rhone versteckt sich manchmal kilometerweit hinter Büschen und Bäumen, aber hier finde ich einen wunderbaren Picknickplatz direkt am Wasser. Rhodanus, so nannten die Römer den Fluss. Sie dehnten ihr Reich mit Siedlungen nach Norden aus. Später transportierten sie Stoffe, Salz, Wein und Waffen. Je weiter wir nach Süden kommen, desto mehr historischen Wohlstand sehen wir, besonders in Avignon. Der französische König Philipp IV. wollte zu Beginn des 14. Jahrhunderts mehr Einfluss in Europa gewinnen und überzeugte den (französischen) Papst, seinen Sitz nach Avignon zu verlegen. Seither steht hinter den riesigen Stadtmauern ein ebenso imposanter Papstpalast. Die meisten Räume sind kahl, aber mit einer gut programmierten virtuellen Tour auf einem Tablet kann man sehen, wie schick es einmal aussah.

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Fahrradland Nummer 1

„Willkommen!“ ruft Jean-Philippe Coste, als er das Tor zu seinem B&B L'Îlot Bambou öffnet. Er hat seinen Garten in eine Oase verwandelt, mit Bambus, Blumen und sogar einem kleinen Swimmingpool. „Stell das Fahrrad einfach in den Schuppen!“

Alte Brücke in Lyon.

Frankreich hat hehre Ambitionen. Ende 2021 verkündete der Premier, das Land wolle bis 2030 das fahrradfreundlichste Urlaubsziel der Welt sein. Im Jahr 2020 gab es 17.000 Kilometer Radweg, bis 2030 sollen es 1,5 Mal so viele sein. „Es müssen sehr viele Parteien zusammenarbeiten, aber Frankreich zeigt, dass es möglich ist“, sagte EuroVelo-Direktor Lancaster. „Das spornt andere Länder an“. Die Pandemie motiviert zusätzlich. „Radfahren ist eine gesunde und sichere Art ist, die eigene Region zu erkunden. Und vom Fahrradtourismus profitieren die Gemeinschaften vor Ort. Von den 19 EuroVelo-Strecken verlaufen zehn teilweise durch Frankreich. „Sie sind das Rückgrat des Radfernwegenetzes“, so Lancester. „Sie führen zu allerlei anderen Routen in den Regionen“. Auf der Karte des ViaRhôna sehen die roten Linien auf

iserandcampingardeche.com

Viersterne-Hotel am Fluss Saône, mit olympi schem Schwimmbad und Sauna. Das Hotel vermietet Pedelecs, um die umliegenden Hügel zu erkunden. Tipp: Eine Radtour zum Wandgemälde Mur des Canuts oder zum römischen Theater und der Notre-Dame de Fourvière (geht auch per Seilbahn).

Weitere Infos

lyonmetropole.com

B&B L’Îlot Bambou

Auf(Avignon)derInsel Île de la Barthelasse, wo diese Unter kunft mit dem wundervollen Garten liegt, scheint der Trubel der Stadt weit weg. Doch es reicht, über die Brücke zu gehen und schon steht man mitten in Avignon. Gäste bekommen einen Code für das Tor, so dass sie jederzeit ein- und ausgehen können mit dem Rad. Wohl soll te man nichts dagegen haben, sich den Frühstückstisch mit anderen Gästen zu teilen. lilotbambou.com

Der ViaRhôna ist 815 Kilometer lang und beginnt am Südufer des Genfer Sees. Nördlich von Arles spaltet sich der Radweg und führt entweder zum Strand Plage Napoléon oder zum Hafen von Sète. Unter viarhona.com finden sich Informationen, wie familienfreundlich die jeweilige Etappe ist. Auch die Website eurovelo.com ist hilfreich. Verschiedene Fahrradführer sind im Buchhandel erhältlich.

Tipps & Adressen

Camping Iserand (Vion) Ein kleiner, garantiert.aufRadlerhüttenerrichtet.hierBesitzerinDieCampingplatzbaumbestandenermitSchwimmbad.charmante,etwaszerstreuteChristineBoissierhateinwahresParadiesDieZeltwieseunddieliegenweithintendemGelände,wasRuhe

Übernachten

Hôtel Lyon Métropole Angenehmes(Lyon)

Anreise

Mehrere Bahnhöfe liegen am ViaRhôna. Lyon ist erreichbar mit dem Thalys und dem TGV; mit Umsteigen in Paris, wo man vom Gare du Nord zum Gare de Lyon muss. Bisher darf das Rad nur demontiert oder gefaltet in einer Hülle mitreisen in diesen Zügen. Die maximal zuge lassenen Abmessungen sind dann 135 x 85 x 30 cm. Oft erlaubt der Schaffner, das Paket dann im Restaurant zu parken, wo mehr Platz ist. Thalys arbeitet an neuen Zügen mit Platz für Fahrräder. thalys.com

ViaRhôna

ardeche-guide.comauvergnerhonealpes-tourisme.comonlylyon.com • loiretourisme.com • provence-alpes-cotedazur.comladrometourisme.com 32 FRANKREICH MAGAZIN

HÉLÈNE LIKÖRMEISTER SÉBASTIEN KRÄUTERMEISTER YVES DESTILLIERMEISTER LUCIE MAZERATIONSMEISTER PASTIS, VON HAND GEMACHT 4 MEISTER, 1 GEHEIMNIS Besuchen Sie unsere vier Meister auf: pastishenribardouin.com

50 JAHRE LIEBESTURBULENZEN

TEXT CHANTAL VAN WEES FOTOS ANP, IMAGESELECT 34 FRANKREICH MAGAZIN

Yves Saint Laurent& Pierre Bergé

Wie aus der stürmischen Liebe zwischen Modedesigner Yves Saint Laurent und dem Geschäftsmann Pierre Bergé ein Modehaus der Liebe entstand.

Une belle histoire

Was wäre Frankreich ohne die Liebe? Das Frankreich Magazin portraitiert die berühmtesten Liebespaare der Geschichte. In dieser Ausgabe: Yves Saint Laurent und Pierre Bergé

A usgerechnet auf einer Beerdigung trifft Yves Saint Laurent die Liebe seines Lebens, demBergé.GeschäftsmanndenPierreNurvierTagevorunerwartetenTod

Im Alter von drei Jahren schimmert sein Talent für Eleganz zum ersten Mal durch, als er eine Tante bittet, ein anderes Kleid anzuziehen, bevor sie das Haus verlässt. Sie nimmt seinen Rat an, er hat Recht. Während seine Altersgenossen mit Zinnsoldaten spielen, ist Yves als Modedesigner eines selbst erfundenen Modehauses am Pariser Place Vendôme ganz in seine Welt der Papierpuppen vertieft. Als er behauptet, einst weltberühmt zu werden, erntet er Hohn. Doch als Yves mit 17

Vor dem London Rive Gauche Store in der New Bond Street, eröffnet am 10. September 1969.

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des Modekönigs Christian Dior hatte dieser der Mutter von Yves mitgeteilt, dass er sein weltberühmtes Modehaus seinem Schüler Yves übergeben wird. Yves ist damals erst 21 Jahre alt. Er wuchs auf in einer französischen Mittelklassefamilie in Oran, einem Dorf in Algerien an der Küste des Mittelmeers. In seiner Kindheit ist er von Frauen umgeben: Großmutter, Mutter, Schwestern und Tanten. Es waren die glücklichsten Jahre seines Lebens, wie er später sagte.

Auf Diors Beerdigung sprechen sie sich nicht, aber im Nachhinein betrachten Yves und Pierre es als eine Fügung des Schicksals, dass sie sich an diesem für die Modewelt so besonderen Tag zum ersten Mal nahe waren. Ein echtes Treffen folgt wenig später auf Saint Laurents erster Modenschau für Dior nach seinem Tod. Bergé kommt zu spät, ein Fauxpas.

Jahren einen prestigeträchtigen Modedesign-Wettbewerb in Paris gewinnt - Karl Lagerfeld wird Zweiter – breitet sich sein Ruhm schnell aus. Ein wichtiger Modejournalist, den er um Karrieretipps bittet, bringt Yves' Skizzen direkt zu Christian Dior, der sofort das Talent erkennt und den schüchternen, ernst dreinblickenden Jungen als Assistenten einstellt. In den folgenden Jahren werden mehr und mehr Entwürfe von Saint Laurent von Dior für dessen Haute-Couture-Kollektion ausgewählt. Dann stirbt Dior - und der talentierte Junge aus Algerien steht plötzlich an der Spitze des wichtigsten französischen Modehauses.

Der kleine Yves ist als Designer eines Fantasie-Modehauses in Paris ganz vertieft in seine Papierpuppen

und stellt Mannequins ein, obwohl sie keinen roten Heller haben. Aber in den Jahren, in denen er für Dior entwarf, hat Yves viele Bewunderer gewonnen, und alle arbeiten so gut wie umsonst. Die erste Schau ist ein Riesenerfolg. Es ist der Beginn eines Imperiums, das Yves sein „Haus der Liebe“ nennt. In den Anfangs verteilen Yves und Pierre ganz bewusst die Rollen, die sie in den nächsten 40 Jahren spielen werden. Yves ist der Künstler, Pierre der Geschäftsmann, der den Weg ebnet und das Unternehmen am Laufen hält. „Saint Laurent konnte mit dem alltäglichen Kram nicht umgehen“, sagt Pierre Niney. Der Schauspieler stellt Yves Saint Laurent dar in dem Film über sein Leben (2014). „Er war wirklich nicht dazu in der Lage, es war fast wie eine Störung. Er brauchte also Bergé, den Geschäftsmann, der mit Geld umgehen konnte. Und Bergé wollte gebraucht werden.“ Jalil Lespert, Regisseur des Films, bestätigt: „Bergé war ein Kontrollfreak, aber auch sehr großzügig. Er hatte das Gefühl, dass er demjenigen, den er liebte, helfen

Damals betrachtet der Geschäftsmann Mode als „eine unnötige Sache, als Unterhaltung für die Reichen“. Er ist allerdings ein Freund von Kunst, Musik, Kultur, Literatur und Architektur. Mit 18 Jahren verläßt Pierre Bergé La Rochelle, wo er wie Saint Laurent in einer Mittelstandsfamilie aufwuchs, um sich in Paris als Schriftsteller einen Namen zu machen. Doch er entpuppt sich als ein viel besserer Geschäftsmann, und als er mit dem Maler Bernard Buffet eine Beziehung beginnt, wird er acht Jahre lang sehr erfolgreich dessen Manager.

Pierres Meinung über Mode ändert sich während dieser ersten Yves-Show für Dior. „Ich sah eine Veränderung. Es war frisch, neu, jung“, sagt Bergé später in einem Interview. Die Kollektion ist ein voller Erfolg. Yves hat das Modehaus vor dem Untergang bewahrt. Das Lob aus der Modewelt macht Pierre klar, dass Yves etwas Besonderes zu Stande bringt. Ein paar Tage später erhält Pierre einen Anruf von einem gemeinsamen Bekannten, der ihm mitteilt, dass Yves eine Wohnung suche und ihn fragt, ob er vorübergehend bei Bergé und Buffet in der Provence wohnen könne. Er darf. Von diesem Zeitpunkt an ist die Liebe zwischen Pierre und Yves nicht mehr aufzuhalten.

Rechts: Pierre Bergé wird Yves Saint Laurent nie wirklich verlassen.

„Haus der Liebe“

Yves ist der Künstler, Pierre der Geschäftsmann, der das Unternehmen am Laufen hält

1958 verlässt Pierre Bernard Buffet und tauscht die Provence gegen ein Leben mit Yves in Paris ein. Als die sechste Saison für Dior weniger erfolgreich verläuft, ergreift das Modehaus die Gelegenheit, sich von Yves zu trennen. Er muss zum Wehrdienst und das Modehaus Dior bemüht sich nicht, dies zu verhindern. Drei Wochen nach seiner Einberufung erleidet Yves, der schon immer ein sehr sensibler Typ war, einen Nervenzusammenbruch. Pierre besucht seinen Geliebten in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses und muss ihm mitteilen, dass er offiziell von Dior entlassen worden ist. „Dann haben wir keine andere Wahl, du und ich“, sagt Yves angespannt. „Lass uns unser eigenes Modehaus gründen.“ „Natürlich“, lautet Pierres einfache Antwort. Er verkauft ihre Pariser Wohnung sowie ihr gesamtes Hab und Gut und sie ziehen in eine Zweizimmerwohnung in der Rue de la Boétie. Dies wird ihr Hauptquartier, wo sie ihr Modehaus mit vier Mitarbeitern gründen. Yves wählt Stoffe aus

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Liebe zur Frau

Nach seiner 30. Saison, die ein Überblick über sein Gesamtwerk ist, fasst der Modeschöpfer seine

In den folgenden drei Jahrzehnten entwickelt sich das Modehaus Yves Saint Laurent zu einem multinationalen Unternehmen mit einem beeindruckenden Jahresumsatz. Yves hat ein unübertroffenes Gespür für den Zeitgeist und kann dies in seinen Kollektionen zum Ausdruck bringen, die stets perfekt entworfen und gefertigt sind und jene französische Eleganz ausstrahlen, die Yves zum unbestrittenen Modekönig machen. Er ist der erste Designer, der Frauen in Männerkleider steckt und auf diese Weise ungewollt mancher eleganter Dame den Zutritt zu Restaurants versagt. Er ist der erste, der schwarze Modelle einsetzt, und mit le dinner jacket - einem Smoking, der den Linien des weiblichen Körpers folgt - bietet er Frauen Zugang zu etwas, das bisher ausschließlich Männern vorbehalten war.

Yves mit Topmodel Claudia Schiffer.

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Motivation sehr schön zusammen. In einer sehr kurzen, fast geflüsterten Rede, flankiert von Pierre auf der einen sowie Freundin und Muse Catherine Deneuve auf der anderen Seite, murmelt er: „Ich kann nicht so gut sprechen wie Pierre, aber ich kann Ihnen sagen, was ich fühle und Ihnen danken. Es ist ein Leben voller Liebe. Hergestellt in einem mit Liebe gebauten Haus. Und ich glaube, dass ich in meinen Kollektionen die wertvollste Liebe zum Ausdruck bringen konnte: die Liebe zu den Frauen.“ Sein Werk mag Ausdruck seiner Liebe zu Frauen sein, aber die romantische Liebe, die findet er bei Pierre. Obwohl ihre Beziehung alles andere als ausgeglichen ist. Der zerbrechliche Designer stützt sich schwer auf seinen Geliebten. Ein Freund beschreibt ihre Beziehung wie folgt: „Mal stehen sie sich sehr nahe, in der folgenden Woche reden sie nicht miteinander. Pierre knallt die Türen zu, Yves hängt dramatisch auf dem Sofa und schaut gequält drein.“ Yves ist zerbrechlich, reizbar und hat

musste. Er würde alles für ihn tun.“ Geschäftlich ist dies eine erfolgreiche Rollenverteilung. Während sich der emotional zerbrechliche Yves auf den kreativen Prozess konzentriert, organisiert Pierre alles drumherum. Yves braucht sich nicht um geschäftliche Entscheidungen zu kümmern, sein Talent und sein handwerkliches Geschick können sich so optimal entfalten.

Sein Werk mag Ausdruck seiner Liebe zu Frauen sein, aber die romantische Liebe, die findet Yves bei Pierre

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Rechts oben: der junge Designer 1974; unten: Pierre versucht seinen exzentrischen Geliebten so weit wie möglich zu schützen.

Nervenzusammenbrüche. „Er war manisch-depressiv“, wird Bergé nach dem Tod von Saint Laurent sagen. Seine Depressionen treiben ihn zu Alkohol und anderen Drogen, die seinen Zustand alles andere als verbessern. Es gibt Zeiten, in denen er viel ausgeht, aber er wird auch regelmäßig in die Psychiatrie eingewiesen. Je größer ihr Imperium wird, desto mehr Druck erfährt Yves und desto labiler wird er. Pierre versucht, seinen Geliebten so gut wie möglich zu schützen und Yves' Image als exzentrischem, begabtem Kreativen aufrechtzuerhalten. Aber Yves ist ihm eine ständige Sorge. Pierre braucht es zwar, aber er merkt zunehmend, dass ihn das alles eine Menge Energie kostet.

Ausgebrannt

Eines Tages ist es genug. Nach einer durchzechten Nacht stolpert Yves in ihre Wohnung in der Rue de Babylone. Dann verschwindet er wieder nach einem Anruf von demjenigen, mit der er unterwegs gewesen war. Pierre hat plötzlich die Nase voll. Er

packt seine Koffer und geht in ein Hotel. Schließlich zieht er in seine eigene Wohnung in der Rue Bonaparte. Yves reagiert verzweifelt auf die Trennung. Er hat Angst vor einem Leben ohne Pierres ständige Anwesenheit. Auch in praktischer Hinsicht ist Yves ohne ihn ziemlich hilflos. Er kann keine Schecks ausstellen, er weiß nicht, wie man in Hotels eincheckt, er kann nicht einmal einen Tisch in einem Restaurant reservieren. Aber Pierre Bergé wäre nicht er selbst, wenn er nicht weiterhin eine wichtige Rolle im Leben von Yves spielte. Nachdem er sich so viele Jahre um Yves gekümmert hat, kann er nicht einfach einen Schalter umlegen. Er verlässt Yves nie wirklich. Sie teilen weiterhin ihre Ferienhäuser in Marrakesch und Deauville und auch nachdem sich Yves 2002 aus der Modewelt verabschiedet, bleibt Pierre in seiner Nähe. Yves zieht sich mehr und mehr nach Marrakesch zurück. 2008 stirbt er mit 71 Jahren, ausgebrannt von Alkohol, Drogen, harter Arbeit, Depressionen und manischen Phasen. Kurz vor seinem Tod unterzeichnet das Paar einen Lebenspartnerschaftsvertrag, der die beiden Männer zu den gesetzlichen Erben des jeweils anderen macht. 2004 gründet Bergé die Fondation Pierre Bergé - Yves Saint Laurent mit dem Ziel, das Werk von Yves Saint Laurent zu erhalten, Ausstellungen zu organisieren und kulturelle und pädagogische Aktivitäten zu unterstützen. Bis zu seinem Tod 2017 wird Pierre das Erbe des Hauses der Liebe verwalten, das aus der Liebe zwischen ihm und seinem brillanten, gequälten Lebenspartner Yves entstanden ist.

Pierre kann den Schalter nicht einfach so umlegen. Er verlässt Yves nie wirklich

TEXT FABIAN TAKX FOTOS FABIAN TAKX & SHUTTERSTOCK

Auf SafariChâteau-

Oh nein! In Burgund haben jedes Schloss und jeder Adelssitz ihren eigenen Charakter. Ein wahrer Burgenliebhaber könnte sich hier jahrelang ergötzen, denn es sind etwa 200 Anlagen zu besichtigen. Wir beginnen mit einer Handvoll.

BURGUNDAlleSchlössersind

gleich?

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Aufschlagseite: Das Château de Saint-Fargeau. Oben: Ehrenamtler im Steinbruch von Guédelon; unten: mittelalterlicher Kran für Baumaterial am Château de Guédelon. Rechts: das Château de Saint-Fargeau.

klein, alt oder neu: Jedes Schloss ist anders geprägt, je nach Nutzung, Bewohnern oder Zeitgeist. Es gibt sogar neue alte Schlösser, zeigt sich in der Yonne, dem nordwestlichsten Teil des Departements Burgund-Franche Comté. Hier entsteht seit 1997 das Château de Guédelon, eine Burg nach dem Vorbild des 13. Jh. Bezahlte Arbeiter und Ehrenamtler in mittelalterlichen Gewändern schleppen Balken aus der Zimmerei und frisch behauene Steine aus dem Steinbruch auf die ungewöhnliche Baustelle. An einer der hohen Mauern laufen zwei Männer wie Hamster in einer Art Riesenrad und hieven so das Baumaterial eine Etage höher. Die Burg wird mit mittelalterlichen Methoden gebaut, ohne moderne Hilfsmittel wie Zement oder Nägel, geschweige denn Maschinen. Besucher können hier Handwerkern verschiedener Fachrichtungen bei der Arbeit zusehen, wie sie Körbe flechten, schmieden und Scheren schleifen; auch der mittelalterliche Küchengarten und eine Wassermühle im Wald sind

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zu besichtigen. Unser Führer Hein arbeitet hier seit 2005, erst im Steinbruch und dann vor allem „in der Kommunikation“. Warum wird gerade an dieser Stelle ein Schloss gebaut? „Hier gibt es alles, was man benötigt“, erklärt Hein, „Wald, Wasser, Stein, alles.“

Im Mittelalter wurde eine komplette Burg in fünf bis zehn Jahren fertig gestellt, weil Dutzende von Arbeitern in Vollzeit schufteten. Heute kann es bis zu acht Jahre dauern, auch, weil viele ehrenamtlich auf der Baustelle tätig sind. Eintrittsgelder decken größtenteils die Kosten, da das Schloss in einem normalen Jahr 300.000 zahlende Besucher anzieht, während der Corona-Pandemie waren es nur halb so viele. Als ich frage, ob die Stammgäste hier auch wohnen, antwortet Hein, erstaunt über so viel Naivität: „Nein, was denkst du denn, dass wir eine mittelalterliche Sekte sind oder so? Wir fahren abends einfach mit dem Auto nach Hause.“

Schlösser in Burgund

Welt sollte man heutzutage eine komplette mittelalterliche Burg bauen? „Auf diese Weise erlangen wir praktische Kenntnisse über mittelalterliche Baumethoden“, so Hein: „Es ist sozusagen experimentelle Archäologie“ - und ganz offensichtlich ein großer, lehrreicher Spaß für Jung und Alt.

650.000 Dachsteine Schöpfer von Guédelon ist Michel Guyot, ein 71-jähriger „Schlössersammler“ (amateur des châteaux forts), der zusammen mit seinem Bruder Jacques 1977 sein erstes Schloss, das Château de Saint-Fargeau aus dem 17. Jh., erstand. Das majestätische rosafarbene Bauwerk ist im gleichnamigen Dorf zu besichtigen. Es wurde mit seinen 350 Zimmern mehrfach umgebaut und erweitert, seit es im 10. Jh. wahrscheinlich als Jagdschloss diente. In dem schönen fünfeckigen Innenhof zeigt sich die Harmonie des klassischen RenaissanceModells in den symmetrischen Fassaden mit ihrem kunstvollen Grundriss und den sechs schlanken Campanile-Türmen. „Mit Ihrer Spende von fünf Euro können wir einen Dachziegel kaufen“, steht auf einem Schild. Das ist notwendig, denn das Dach ist zwei Hektar groß, hat 50 Schornsteine und 650.000 Dachsteine aus Schiefer. „Ein Schloss wie dieses kostet viel Geld, denn es will ständig ›

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Experimentelle Archäologie

Das Schloss wurde von Jacques Moulin, „Architecte et Chef des monuments historiques“ aus Frankreich, entworfen. Er ließ sich inspirieren von vier verschiedenen mittelalterlichen Schlössern aus der Zeit Philipps II. von Frankreich (1165-1223), der den Spitznamen „Baukönig“ trug. Warum in aller

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instand gehalten werden“, erklärt Fremdenführerin Françoise, eine fröhliche Dame mit flatternder grauer Mähne und schwarzem Umhang. Sie erzählt uns, dass Michel Guyot selbst hier wohnt und das Schloss mit passenden Möbeln der Epoche ausgestattet Françoisehat.führt uns durch die prächtigen Räume, in denen die Gemälde berühmter Vorgängerinnen und Vorgänger an den Wänden hängen, darunter zahlreiche Porträts von Anne-Marie-Louise d'Orléans, ihres Zeichen Herzogin von Montpensier. Diese Cousine Ludwigs XIV. wurde hierher verbannt, nachdem sie Sympathien für La Fronde, den Aufstand gegen das französische Königshaus Mitte des 17. Jh., gezeigt hatte. „Sie war nicht besonders hübsch, aber sie war reich“, sagt Françoise mit Gespür für Understatement, als wir vor einem weiteren Porträt stehen. Außerdem war diese Frau, die La grande mademoiselle genannt wurde, nur etwa 1,50 Meter groß. Sie war eine Mäzenin der Kultur; Jean-Baptiste Lully, der spätere Liebling und Hofmusiker von Ludwig XIV, soll als junger Mann hier in der Küche „Au clair de la lune“ komponiert haben. Wunderschön sind auch das Dachgeschoss mit seiner Holzbalkendecke und der 120 Hektar große englische Landschaftspark, der das Schloss umgibt. Im Sommer werden Führungen bei

Oben: das Schloss von Bussy-Rabutin; unten: das Château de Saint-Fargeau.

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Westminster-Zimmer. Betreiber sind Louis-Marie und Béátrice Mauvais (sie werden oft wegen ihres Nachnamens verhöhnt, aber das ignorieren sie geflissentlich). Louis-Marie, früher Manager, hat sich zu einem feinen Chef de Cuisine entwickelt, der gerne mit Obst und Gemüse der Saison aus dem eigenen Garten kocht.

Zimmer im „Château d’hôtes“ der Abtei.

Schlösser in Burgund

Kerzenschein und weitere Aktivitäten angeboten. Ein echter Publikumsmagnet ist eines der größten historischen Spektakel Europas, das jeden Sommer rund um die Burg aufgeführt wird: eine anderthalbstündige Nachtshow mit 700 kostümierten Schauspielern und 50 Reitern, die Höhepunkte aus 1000 Jahren Geschichte nachspielen.

„Sie war nicht besonders hübsch, aber sie war reich“, sagt Françoise mit gewissem Understatement

Im nahe gelegenen Vermenton liegt das Château d'Ancy-le-Franc. Ein wunderschöner Palast im italienischen Renaissancestil, üppig dekoriert mit fantasievollen mythologischen Fresken, Porträts und Wandteppichen. Der Besucher schlendert entlang frivoler Vertäfelung, Himmelbetten, Holzschnitzereien, Blattgold und Trompe-l'oeil-Decken. Die Einrichtung aus dem 16. Jh. ist das Werk desselben manieristischen Architekten aus Italien, der auch das Schloss von Fontainebleau ausstattete: Francesco Primaticcio. Es ist zweifellos ein Landhaus, in dem es ums Protzen ging. Ludwig XIV. soll eine Nacht in einem der Zimmer mit feiner Blattgolddecke und schönem Parkett verbracht

Château d’hôtes

Das Mittagessen nehmen wir in der Abbaye de Reigny in der Nähe des Dorfes Vermenton ein. Die Abtei wurde 1128 gegründet und ist heute ein privates Baudenkmal. In der mittelalterlichen Blütezeit lebten hier 100 Zisterziensermönche. Dass es ihnen gut ging, lässt sich an der Größe des Refektoriums aus dem 14. Jh. ablesen, dem Speisesaal mit einem hohen Gewölbe, der eher die Größe einer gotischen Kirche hat. Während der Französischen Revolution wurden einige der Abteigebäude dem Erdboden gleichgemacht, aber es sind noch genügend Originalbauten erhalten für eine Führung, die in einem weitläufigen Renaissance-Garten endet. Einst wohnten hier Berühmtheiten wie Coco Chanel, während die Herzöge von Westminster in den umliegenden Wäldern ihre Jagdlust auslebten. Deshalb gibt es im Château d'hôtes jetzt ein Coco-Chanel-Zimmer und ein

scheint es keine Strafe zu sein, in diesem schönen Schloss mit seinem grünen Park im Exil zu leben.

In der Zwischenzeit haben wir Appetit auf ein weiteres Schloss bekommen, und genau das wird uns auch serviert. Der Name des Dorfes Châteauneuf verrät bereits, dass es einen Vorgänger hatte. Der heutige Bau stammt aus dem 15. Jh.: eine klassische Festung, robust, grau und furchterregend mit seinen kahlen, hohen Mauern und starren Türmen. Es ist eine der letzten so gut erhaltenen Bauwerke aus dieser Zeit und der Stolz des Dorfes, das nicht zuletzt deshalb in die Liste der schönsten Dörfer Frankreichs aufgenommen wurde. Bemerkenswert ist das große Gästehaus, in dem der Fürst und Höfling Philippe Pot seinen Herrscher Ludwig XI. zu empfangen hoffte.

Der Verbannte rächte sich mit blutrünstigen Sprüchen unter den Porträts seiner Gegner

haben. Um vollends stilecht zu sein, dürfen sich Besucher sogar als Adlige der Renaissance verkleiden; das historische Kostüm gibt es am Eingang, auch in Kindergrößen. Drumherum liegt ein wunderschöner, 50 Hektar großer Park mit einem geometrischen Garten, wie in Versailles, und einem Gelände im verschlungenen englischen Stil mit hier und da modernen Statuen.

Verbannt und rachsüchtig Dass Burgund ideal war, um lästige Höflinge zu verbannen, zeigt sich auch im Château de BussyRabutin. In diesem Schloss wurde Roger de Rabutin, der Comte de Bussy, für 17 Jahre unter Hausarrest gestellt, nachdem er bereits ein Jahr unfreiwillig in der Bastille verbracht hatte. Er wurde - auch von Ludwig XIV. - zum Ketzer erklärt, nachdem er eine bösartige Pastiche über das höfische Liebesleben veröffentlicht hatte, in der allzu viele Höflinge lächerlich gemacht wurden. Vor ohnmächtiger Wut stöhnend, blieb dem Verbannten nichts anderes, als sich an den Wänden seines Interieurs zu rächen, wo nun 300 Porträts seiner Gegner - darunter eine Ex-Geliebte - und blutrünstige Sprüche des Grafen hängen. Später widmete er sich seinen adeligen Interessen: der Kriegsführung, der Literatur, der Liebe und der Galanterie. Uns

Links: die Auberge du Maronnier derrechts:Châteauneuf-en-Auxois;indasRefektoriumAbbayedeReigny.

Im historischen Garten lässt es sich wunderbar zwischen Statuen und Brunnen, Blumenbeeten und natürlich durch ein Labyrinth spazieren.

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Der jedoch ist nie aufgetaucht. Heute existiert ein kleines Museum und darüber hinaus sind eine Kapelle mit wertvollen mittelalterlichen Wandteppichen und die luxuriösen Wohnräume der Familie Pot zu besichtigen. Kulturell vollends erfüllt fahren wir nun nach Dijon, die Herzogstadt, wo uns noch mehr schöne Architektur erwartet. Und natürlich Senf.

Burg Guédelon in Treigny wird mit Technikenmittelalterlichengebaut.Esgibt dort ein Café, ein Restaurant und gelegentlich Aufführungen.mittelalterliche guedelon.fr

Château de St. Fargeau, Das riesige Renaissanceschloss ist vollkommen im Geist der Zeit möbliert und damit eine perfekte Kulisse für ein berühmtes historisches Spektakel im Sommer. chateau-de-st-fargeau.com

HÖHEPUNKTEANDERE

L’Auberge du Marronnier in Châteauneuf en Auxois ist ein rustikales Landrestaurant und Café mit angenehmer Terrasse. Man serviert Spezialitäten aus Burgund. Place du Marché, Tel.Châteauneuf-en-Auxois,21320+33(0)380492191

Le Relais du Château ist ein einfaches Hotel Restaurant im Herzen des schönen Dorfes Saint Fargeau. relais-du-chateau.fr

Die Festung von Châteauneuf chateauneuf-cotedor.fr oder chateauneuf.

MuséoParc Alésia Der Museumspark ist den Galliern gewidmet. Hier soll 52 v. Chr. Cäsar den Gallischen Haupt mann Vercingetorix (allen Aste rix Lesern bekannt) geschlagen haben. Allein schon das runde hölzerne Museumsgebäude mit den Bäumen auf dem Dach von Architekt Bernard Tschumi ist einen Besuch wert.

In dem charmanten mittel alterlichen Städtchen Flavignysur-Ozerain Côte d’Or) seines Zeichens eines der Plus Beaux Villages de France (Prädikat für die schönsten Dörfer Frank reichs) wurde 2000 der Feel goodfilm Chocolat gedreht, mit Juliette Binoche und Johnny Depp.Liebhaber von Gärten und Parks sollten sich einmal umschauen auf der Internetsei te von Association des Parcs et Jardins de Bourgogne. parcsetjardins-bourgogne.com

INFORMATION

,

Château de Bussy-Rabutin in Bussy le Grand. chateau-bussy-rabutin.fr

La Cuisine de la Fontaignotte in Semur en Auxois bie tet eine ausgezeichnete, kreative Küche mit frischen Produkten der Saison und eine schöne Terrasse. lacuisinedelafontaignotte.com

Hôtel de la Côte d’Or Dreisterne Hotel am Rande des mittelalterlichen Zentrums von Semur en Auxois. auxois.fr

ESSEN

Das stellermuseumWohnhaus/Schrift-vonColette

Dijon ist eine reizvolle Stadt mit vielen Baudenkmälern aus der Zeit der Herzöge von Burgund. Hinzu kommen Wein lokale und Spezialitäten wie Senf (z.B. im Laden von Emond Fallot) oder Gewürzkuchen pain d’épices. Daher ist die Stadt ein gutes Reiseziel für Genießer. La moutarderie Edmond Fallot. 16, Rue de la Chouette. Painfallot.comd’épices verkosten und erstehen bei Mulot & Petitjean, mit zwei Filialen im Zentrum, eine davon in der Hauptstraße. 16, Rue de la mulotpetitjean.comLiberté.

• bourgogne-tourisme.com

• cotedor-tourisme.comtourisme-yonne.com

bourgognefranchecomte.eu SCHLAFEN

Abbaye de Reigny in Vermenton, mit fünf luxuriösen Zimmern und zwei Gästehäusern (gîtes), das Essen des Table d’hôtes ist ausgezeichnet. abbayedereigny.com In Vermenton betreiben sie noch eine weitere Unterkunft, Le Logis Saint François. logis-saint-francois.fr.

DIE SCHLÖSSER

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Maison Philippe le Bon, Viersterne Hotel im Zentrum von Dijon, mit Restaurant und Bar Bistro. maisonphilippelebon.com

Schloss Ancy-le-Franc, ein Beispiel Einschlag.Renaissanceitalienischermitfranzösischem chateau-ancy.com

Hôtel Les Grand Chênes, reizvolles Dreisterne Hotel in Saint Fargeau, in und um ein hübsches Landhaus herum, mit 17 Zimmern und Gästehäusern, schönem großen Garten und Schwimmbad. hotellesgrandschenes.com

Zehn Minuten von Fargeau entfernt in Saint Sauveur en Puisaye. maisondecolette.fr

Alise-Sainte-Reine. alesia.com

Tipps & Adressen

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VON MALOU LAMMERTSE

Aïgo Pbouïdorovenzalische Knoblauchsuppe Rezept Seite 62

Journalistin und Bloggerin Hilke Maunder hat mit „Le Midi“ ein Buch über die Küche Südfrankreichs vorgelegt. Ganz bewusst stellt sie die schmackhaften Gerichte aller Provinzen vor, die südlich des 45. Breitengrades liegen, bis tief in den Westen. Darunter Klassiker aus der Provence, aber auch Entdeckungen aus der Bergküche der Cevennen. Köchen in zahlreichen Restaurants und Herstellern von Spezialitäten durfte sie über die Schulter blicken. Und sie hat mit Menschen gesprochen, die nicht professionell in der Gastronomie arbeiten, sondern die sich mit der Pflege jahrhundertealter Traditionen beschäftigen. Heraus kam ein Werk, dass viel mehr als nur ein Kochbuch ist.

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KöstlicherSüden

Hilke Maunder ist Reisebuchautorin und Betreiberin des Blogs meinfrankreich.com Die gebürtige Hamburgerin lebt teils am Fuße der Pyrenäen und teils in der Stadt an der Elbe. „Le Midi“ ist ihr erstes Kochbuch. 2023 publiziert sie mit dem Fotografen Thomas Müller ein Werk über Burgund. Interview: Ralf Johnen

Hilke Maunder

Wie ist die Idee zu Ihrem Kochbuch entstanden? Ich habe viel über Frankreich geschrieben, vor allem Reise� hrer. Wie auch auf meinem Blog nimmt die Kulinarik einen hohen Stellenwert ein. So ist der Verlag auf mich aufmerksam geworden, der mir das Projekt vorschlug. Mein Lieblingsfotograf Thomas Müller, mit dem ich seit 1995 zusammenarbeite, war schnell mit an Bord. Also konnten wir loslegen.

Sind Ihre Zutaten in Deutschland erhältlich? Da habe ich ein bisschen vorgesorgt. Rezepte mit Innereien habe ich von vornherein weggelassen, weil das in Deutschland kaum noch erhältlich ist. Bei anderen gebe ich Alternativen an: Crème fraîche anstelle von Crème épaisse.

Sie haben also den Köchen in die Töpfe geschaut? Nicht nur. Natürlich waren wir in Restaurants, aber auch bei Produzenten. Und wir haben Einheimische aufgesucht, die nicht professionell in der Gastronomie arbeiten. Eine Frau aus meinem Dorf etwa stellt Liköre aus den Kräutern der Garrigue (Buschland) her. Sie hat dies als Kind gelernt, weil ihre Eltern sie in den

Was hebt Ihr Buch denn von anderen ab? Wir haben vor allem Menschen aufgesucht, die ich lange kenne und von denen ich weiß, dass sie mit viel Herzblut dabei sind. Mir war wichtig, dass Gastronomen und Hersteller mitten im Leben stehen, dass sie regional und nachhaltig produzieren und dass sie alle auf einen kurzen Weg von der Erzeugung bis zum Genuss setzen. Keine Weltküche und kein Convenience Food oder irgendetwas Trendiges, sondern ein Gegenentwurf. Zurück zu den Wurzeln!

Wie ist die Wahl der Region zustande gekommen? Es war der Wunsch des Verlags. Für die Provence gab es das schon. Aber wir stellen den gesamten Midi vor – vom Atlantik bis Menton. Damit sprengen wir den Midi-Begriff, der �r Franzosen nur Okzitanien umfasst. Geografen indes fassen als „Le Midi“ die Regionen Nouvelle-Aquitaine, Occitanie und ProvecesAlpes-Côtes d’Azur zusammen, die südlich des 45. Breitengrades liegen. Als Tochter eines Geografen wählte ich diese Definition.

Ferien immer zu ihren Großeltern geschickt hatten. Das hat Tradition in Frankreich – so kommt der Nachwuchs in Berührung mit Traditionen und Rezepten, die sie in die Gegenwart überliefern und �r kommende Generationen erhalten. Das war mir sehr wichtig – auch weil sich viele Menschen heute mit Convenience Food begnügen und alles schnell gehen soll.

Wo halten Sie die Küche für besonders spannend? In den Cevennen zum Beispiel. Dort gibt es eine weitgehend unbekannte Bergküche, die sich deutlich abhebt von den Seealpen oder von den Pyrenäen, an deren Fuß ich wohne.

Welches ist denn Ihr persönliches Lieblingsrezept? Ach, das ist schwierig. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wäre das wohl ein Cassoulet, ein Bohneneintopf aus dem Südwesten. Er ist kinderleicht zuzubereiten – am besten gleich mehrere Portionen. Denn mit jedem Au�ochen wird er besser. Er lässt sich gut im Weckglas au�ewahren – oder einfrieren.

Ganz ehrlich: Schmecken die Gerichte so gut wie in Frankreich, wenn man sie zuhause nachkocht? Man hat schon öfter von Enttäuschungen gehört, wenn man den Urlaubswein zu Hause entkorkt. Das mag bei einzelnen Produkten zutreffen. Aber bei den Rezepten bin ich mir sicher, dass man dem Original nahekommt. Vor allem, wenn man ein bisschen beim Ambiente nachhilft. Chansons, stimmungsvolles Licht und französische Deko – dann kann wenig schiefgehen.

Mir war mittenProduzentendasswichtig,dieimLebenstehenunddasssienachhaltigarbeiten. 54 FRANKREICH MAGAZIN

Gegrilltergrillés

Supions Tintenfisch

Rezept

Seite 62 FRANKREICH MAGAZIN 55

• 1 Handvoll Granatapfelkerne

• 2–3 EL kalt gepresstes Olivenöl

• frisch gemahlener schwarzer Pfeffer

• 1 große Aubergine (oder 2 kleine

Kaviard’Aubergined'Aubergine

Für 4 Personen

• 20 g geröstete Walnusskerne

Le Midi, Hilke Maunder mit Fotos von Thomas Müller Verlag Christian € 32,99

• frische Minzeblätter

••Auberginen)Meersalz1Knoblauchzehe, gepresst

FÜRZUTATENDEN AUBERGINEN-KAVIAR

ZUM GARNIEREN

FRANKREICH MAGAZIN 57 Rezepte

• Saft von 1 Zitrone

Die ganzen Auberginen an die Glut eines Holzfeuers legen und rösten, bis die gebräunte Schale zu platzen beginnt. Dann vom Feuer nehmen, in eine Schüssel geben und abdecken, bis die undGranatapfelkernen,ServierschüsselAuberginen-KaviarunddemKnoblauch,schneidenAuberginenfruchtflabtropfenüberschüssigenInundgegrilltederGarfleinem(AlternativZimmertemperaturAuberginenhaben.dieAubergineninBräterrösten.)DiegesamteüssigkeitderAubergineninSchüsselabgießen.DieAuberginenhautablösendasFruchtfleischleichtsalzen.einfeinesSiebgebenunddenSaft30Minutenlassen.DasabgetropfteeischinStückeundmitdemdemZitronensaftundOlivenölvermischen.MitSalzPfefferabschmecken.DenineinegebenundmitWalnüssenMinzegarnieren.

Caviar

• 12 Knoblauchzehen

• 1/2 Bund glatte Petersilie, gehackt

• 100 ml trockener Weißwein

Gegrillter Tintenfisch

• 1 Baguette

ZUTATEN

ZUTATEN

• Gruyère oder Parmesankäse, grob gerieben (optional)1,5lWasser

AUSSERDEM

zum Kochen bringen. Den Knoblauch abziehen und zerdrücken. Zusammen mit dem Salbei, dem Lorbeer, dem Thymian und dem Olivenöl hinzugeben. Erneut au�ochen und mindestens 15 Minuten durchziehen lassen. Anschließend die Bouillon durch ein feines Sieb abseihen, wieder zurück in den Topf geben und von der Kochstelle nehmen.

Dazu passt ein frischer Salat.

• Olivenöl

Das Baguette in dünne Scheiben schneiden und rösten. Die Brotscheiben in vorgewärmte Suppenschalen legen, nach Belieben mit geriebenem Käse bestreuen und mit der Bouillon auf�llen. Sofort genießen.

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• Salz

• 2 Eigelb

Die kleinen Kalmare waschen und in Stücke schneiden. Den Knoblauch abziehen und hacken. Etwas Olivenöl in einer Pfanne erhitzen. Den Knoblauch und die Kalmare darin kurz anbraten, dann die gehackte Petersilie zu�gen. Mit Salz und Pfeffer würzen, die Kalmare herausnehmen und beiseitestellen.

• Zitronenstücke zum Servieren

Den Wein in die Pfanne gießen und 3–4 Minuten köcheln lassen. Dann die Kalmare wieder dazugeben und 3 Minuten weitergaren. Mit Piment d’Espelette bestreuen und sofort heiß mit einem Zitronen viertel servieren.

• 1 Prise Piment d’Espelette

Supions grillés

Für 4 Personen

• 1 Zweig Thymian

• 2 EL Olivenöl

• frisch gemahlener Pfeffer

• 2 Knoblauchzehen

Für 4 Personen

Aïgo

Die Eigelbe verquirlen und mit 4 EL abgekühlter Bouillon aufschlagen. Dann unter Rühren in die übrige Bouillon einarbeiten. (Achtung: Ist die Bouillon zu heiß, kann das Eiweiß ausflocken!) Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

• 800 g küchenfertige junge Kalmare

• Salz und frisch gemahlener Pfeffer

• 6 Salbeiblätter

• 1 Lorbeerblatt

ProvenzalischebouïdoKnoblauchsuppe

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Der französische Sternekoch Daniel Galmiche zeigt in diesem wunderschön illustrierten Kochbuch woher er kommt und wo alles begann: zu Hause bei Maman in seiner geliebten Franche-Comté. In den sieben Kapiteln orientiert er sich an den Landschaften seines Heimatlandes und dem Zyklus der Jahreszeiten. Die Anleitung für den Einsatz der schmackhaften Schätze von Feldern, Wäldern und Küsten sind gut und verständlich geschrieben, so dass der Leser selbst kein Sternekoch zu sein braucht. Unter anderem geht es um Anleitungen zum Trocknen, Räuchern und Sous-vide-Garen Daniel RezepteFranzösischeGalmicheLandküchevondenFeldern, Wäldern und Küsten Verlag Ars Vivendi, € 32

Ausflug aufs Land

Gute Nachrichten für Liebhaber von gesalzenen Butterkaramell-Coulis: Es gibt auch gesalzene Butterkaramellcreme. Diese streichzarte Spezialität mit frischer Salzbutter und Fleur de Sel aus Guérande wird in der Regel als Füllung für die Crêpes au Salidou verwendet, passt aber auch perfekt zu Brot, Pfannkuchen und Waffeln. Probieren Sie mal das Produkt im Wasserbad zu erwärmen, um es für Gebäck zu verwenden. Die Herstellung erfolgt durch lokale Unternehmen, von denen die meisten aus der Mitte der 1950er Jahre stammen, als Salidou von Konditoren aus Quiberon (Bretagne) erfunden wurde. Erhältlich im (online-)Feinkosthandel.

Salz auf unserer Zunge

Bon appétit

Tipps, Neuigkeiten und Wissenswertes aus der französischen Küchenwelt

Unterwegs sein ohne auf gutes Essen zu verzichten. Da bietet sich diese Vesperbox mit verschiedenen Fächern an. Die Leckerein bleiben getrennt und werden so nicht durcheinandergerüttelt oder matschig. So wird aus der Brotzeit ein schickes Mittagessen. Die französische Marke Monbento hat sich dazu von den japanischen Bentoboxen inspirieren lassen. Monbento, € 105, monbento.com

VON MARJOLEIN ZUIDERENT & ANNEKE WARDENBACH

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Henkelmann 2.0

Die Hektik unserer Zivilisation hinter sich lassen, um sich in den Pyrénées Béarnaises an Einsamkeit zu laben: Wir sind von Lourdes nach Oloron-Sainte-Marie gewandert und folgten dabei dem letzten Abschnitt der Via Tolosana quer durch das grüne Tal der Aspe.

TEXT HUIB AFMAN FOTOS PAUL SMIT

AufundzuPilgertourRuheGlück

Sanatorium

Schon bald hinter Saint-Pé-de-Bigorre werde ich allerdings jäh aus meiner romantisierten Vorstellung vom Pilgerleben gerissen. Auf einem leicht ansteigenden Weg vertrete ich mich und falle vornüber. Riss in der Hose, Knie kaputt. Zum Glück gibt es im Dorf eine Apotheke, wo mir die Eigentümerin ein Pflaster verpasst. Auf dem verlassenen Dorfplatz, der von Boulangerie und Mairie umgeben ist, esse ich einen Apfel. Alle Fensterläden sind geschlossen. Die Sonne steht hoch am Himmel. Ich setze meinen Weg nach Lestelle-Bétharram fort, wo ich auf der Suche nach Abkühlung die Kapelle Notre-Dame betrete. Das Pflaster aus Bigorre hat sich schon wieder gelöst. Vor dem Altar lege ich den

as Läuten der Glocken in der Sakristei von Lourdes schwächt sich langsam ab, als würde jeder meiner Schritte, mit denen ich tiefer in den Wald eindringe, mit der Ruhe belohnt, nach der ich mich so sehne. Ich bin am Anfang meiner Wanderung, die sieben Wochen später in spanischen Santiago de Compostela enden soll. Wenn mein Körper die Pilgertour ohne Blessuren übersteht, laufe ich vielleicht sogar bis Fisterra in Galizien weiter. Zumindest sage ich das jetzt, optimistisch und leicht euphorisiert, ohne dass die neun Kilo Gepäck auf meinen Schultern eine Last wären. Zu meiner Rechten rauscht die Ousse in die Tiefe, oben im Gehölz hämmert ein Specht. Natürlich hätte ich dieses kleine Abenteuer auch in Saint-Jean-Pied-de-Port in Angriff nehmen können, um mit Dutzenden anderer Pilgern die spanische Grenze zu überqueren. Ausgangspunkt wäre der berühmte Camino Francés gewesen. Doch das schien mir keine allzu frohlockende Aussicht, wenn man sich nach Ruhe sehnt. Gut also, dass

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BÉARNAISESPYRÉNÉES

man von Südwest-Frankreich aus auch über offizielle Wanderstrecken nach Spanien gelangen kann; der jahrhundertealte Pilgerweg ins 1632 Meter hoch gelegene Somport ist nur ein Beispiel. Menschenmassen wie in Saint-Jean-Pied-de-Port dürfte man hier kaum erblicken. Wohl aber findet man Zeit für sich selbst in einem vergessenen Stück Natur. Das klingt gut.

Aufschlagseite, links: Lescun, das schönste Dorf im Aspe-Tal; rechts: in der Kirche beim Kloster von d’AnsabèreLinks:Sarrance.dieCabaneoberhalb von Lescun, die sich Hirten und Wanderer teilen. Oben links: eine der 14 Kapellen von Bétharram; Holzschnitzereiendaneben: in der Dorfkirche.

Flachreliefs des Bildhauers Alexandre Renoir zieren die zwischen 1840 und 1845 vollendeten Heiligtümer. Nassgeschwitzt erreiche ich den höchsten Punkt und denke mir, dass ich auf die Tropfsteinhöhlen von Bétharram besser verzichte. Am Abend komme ich auf einem Bauernhof außerhalb von Asson unter. Mein Körper mag leer sein, doch schon jetzt fühle ich mich, als würde ich einen Neustart erleben. Durch mein Schlafzimmerfenster sehe ich die Pyrenäen. Es riecht nach Silage und ganz in der Nähe läuten Kuhglocken.

FRANKREICH MAGAZIN 65 Pyrenäen

Rucksack ab, wobei ich mich erneut über meine beschädigte Hose ärgere. Oder spiegeln solche Malheurchen das Leben als Pilger wider? Es geht ja nicht um die Verpackung, sondern um den Inhalt. Plötzlich höre ich eine Stimme. „Vous-allez bien?“ Im Gegenlicht erkenne ich die Silhouette eines Mannes, der sich als Priester Abibe aus Benin vorstellt. „Santiago ist noch weit“, sagt er mit Blick auf die Jakobsmuschel, die ich am Rucksack befestigt habe - das Symbol für den Jakobsweg. Beim Anblick meines Knies erschrickt er und winkt mich heran. Durch den Garten gehen wir zum Sanatorium, wo eine Pflegerin meine Wunde desinfiziert und verbindet. Auch hat Priester Abibe eine neue Hose für mich. Ich müsse nur kurz in der Küche warten. Es duftet nach Knoblauch und gebratener Forelle. Auf dem Tisch stehen Weinflaschen. Klosterschüler rücken an. Ob ich mitessen möchte? Der Jakobsweg kümmert sich um mich. Bétharram ist ein kleines Juwel auf der Pilgerroute nach Arudy und Oloron-Sainte-Marie. Neben der Kapelle Notre-Dame führt ein Kreuzweg hinauf; von Getsemani bis zur Wiederauferstehung wacht an jeder der 14 Stationen eine Kapelle. Prächtige

Nach zwei Tagen hat sich mein Körper an meine neue Routine gewöhnt und erreiche ich OloronSainte-Marie. Die hügelige Umgebung sauge ich förmlich auf; ebenso die hellblauen Hortensien, die Palmen, Nadelbäume und die gemähten Felder. In großer Höhe ziehen Bartgeier ihre Runden, während das Kreischen der Zikaden in mir ein spontanes Gefühl der Freiheit aktiviert. Arudy liegt hinter mir. Die Nacht habe ich in einem Schlafsaal verbracht, der zum Haus von Pastor Pierre gehört, eine etwas mürrische Erscheinung ›

Ein Gefühl der Freiheit

romanische Kathedrale der Heiligen Maria, die als Teil der Pilgerroute nach Santiago ins Unesco-Welterbe aufgenommen wurde. Auch die surreal anmutende Mediathek, die nach einem Entwurf von Pascale Guédot auf einem ehemaligen Fabriksgelände entstanden ist, lohnt einen Blick. Der Kontrast zu den Häuschen im Quartier SainteCroix könnte kaum größer sein. Hier macht die Bellevue-Promenade ihrem Namen alle Ehre. Für mein Gefühl kann ich die Pyrenäen hier beinahe anfassen, wobei die Aussicht, dass ich morgen in den Klettermodus umschalten muss, meine Neugier auf die lokale Küche weckt. In einem Bistro bestelle ich einen Teller Garbure, eine dicke Suppe mit Kartoffeln, Fleisch und weißen Bohnen. Dazu ein Glas Jurançon und schon glüht mein Körper nach dem Wandertag wie nach einer Einheit Après-Ski.

Die Garbure war eine gute Wahl, denn am nächsten Tag wird schnell deutlich, dass ich die Portion zusätzliche Energie gut gebrauchen kann. Hinter Lurbe-Saint-Christau führt der Weg nur noch in eine Richtung: bergauf. Der Stock, den ich beim Start der Etappe finde, stellt sich unterwegs als sehr hilfreich für mein Gleichgewicht heraus. Über Kilometer hinweg wandere ich eingekeilt zwischen Hängen und Abgründen. Hinter Escot verengt sich das Tal zu

Spiegelt sich in diesem Malheur die Essenz des Pilgerlebens? Es geht ja nicht um die Verpackung, sondern um den Inhalt.

Türklopfer in Accous; Wanderer beim Cirque de Lescun. Rechts: Kühe am Weg nach Cabane d'Ansabère. Nächste Seiten, links: der Sentier de la Mature, der spannendste Wanderweg im Aspe-Tal; rechts: Käsebauer Jean-Louis Miramon von der Ferme Miramon.

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mit borstigen, grauen Augenbrauen. Ich hatte erwartet, dass er am Morgen vor dem Frühstück gebetet hätte, stattdessen hat er sich eine Tasse Tee genehmigt und ein Stück geröstetes Baguette hinein getunkt, als wäre es eine Madelaine. Immer wieder muss ich an den Moment denken, als sich in seinen Augen ein Anflug von Melancholie bemerkbar machte und er zu einem vergilbten Plattencover geblickt hat, das an der Wand hing. „Once I had a sweetheart. Joan Baez est ma chérie.“ Im Bruchteil einer Sekunde realisieren wir uns, was Glück ist. Oloron-Sainte-Marie liegt im Departement Pyrénées-Atlantiques und ist das Einfallstor in die Täler von Ossau und Aspe – wo die 58 Kilometer lange Strecke zur spanischen Grenze ihren Lauf nimmt. Im charmanten Zentrum fließen die Gave d’Ossau und die Gave d’Aspe gemeinsam in die Gave d’Oloron. Architektonisches Highlight ist die

Ein Gürtel aus Aventurin

FRANKREICH MAGAZIN 67 Pyrenäen

Totenzettel

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Autor Huib Afman hat die Pilgerreise über 1125 km von Lourdes nach Fisterra inzwischen vollendet. Bald zieht er wieder los. Wer mag, folgt ihm auf seinem eng lischsprachigen Instagram-Account huib.loopt

› einem Gürtel aus Aventurin-Stein. In der allgegenwärtigen intensiven Ruhe gerate in einen Zustand aus Entschlossenheit und Frieden. Als würde ich auf der Höhe leichtfüßig seiltanzen. Wie gut sich das Baldanfühlt.setztNieselregen ein und meine Knie fühlen sich schwer an. Ebenso unerwartet wie erfreut erreiche ich Sarrance. Im strömenden Regen klopfe ich beim Kloster an, zeige meinen Ausweis und bezahle für eine Übernachtung. Den Schlafsaal habe ich für mich allein. Beim Abendessen lerne ich die Klosterbewohner kennen. Sieben Sterbliche, die nicht in die katholische Lehre eingeweiht sind, doch die alle motiviert sind, hier zu sein. „Es geht um Sein und Haben“, versichert mir eine Dame. Es ist lange her, dass ich diese Verben auf Französisch gehört habe: Être et avoir. Heute nehme ich sie mit ins Bett. Wie in Arudy wähne ich mich der Essenz des Pilgerlebens sehr nahe. Sie ist unsichtbar und vielsagend. Was bedeutet Glück? Darum geht es.

Am Vormittag hängen dicke Nebelschwaden zwischen den Gipfeln, feuchte Meeresluft hat das Laub mit Tau bedeckt. Ich komme durch mehrere Dörfer, die ein wenig auf Tourismus eingestellt sind. Miel de montagne (Honig), Käse. In den charmanten Straßen von Bedous schießt eine Katze über den Weg. Schwalben fliegen tief über die Dächer. Plötzlich öffnet sich eine Tür und eine Frau mit grauem Haar fragt, ob ich eine Tasse Kaffee möchte. Ich sei doch Pilger. Zögerlich betrete ich Yvettes Wohnzimmer. An den Mauern wellt sich die Tapete, überall hängen Totenzettel, Fotos des Papstes und Rosenkränze. Das spärliche Licht kommt vom Fernseher, der eine Liturgie zeigt. Yvette selbst sieht das nicht. Sie redet ohne Unterlass. Über die Katze und die Vögel im Garten. Mehr verstehe ich nicht. Sie schenkt Kaffee ein, macht eine CD an und singt zu der Engelsmusik, die den Raum erfüllt. Sollte es Engel geben, habe ich heute einen gefunden. Zum Abschied winkt Yvette. „Bon voyage, pèlerin.“ Gute Reise, Pilger. Der Weg verliert nun seine Konturen, wird zu Kleeweiden mit Butterblumen und Vergissmeinnicht. Die höchsten Gipfel liegen im ewigen Eis. Es wird kühl. Am Nachmittag erreiche ich Somport. Das habe ich schon mal geschafft. Schon dieses kleine Stück Frankreich hat mir etwas Kostbares gegeben. Ein bisschen Glück auf Erden.

Die Jakobsmuschel, das demchenErkennungszeiderPilgeraufJakobsweg.

Pyrenäen

L’Encantado (Bedous) Kleines Boutique-Café mit winziger Karte und Terrasse im schnuckeligen Zentrum von Bedous. Drinnen gibt es Spezialitäten der Region, darunter Garbure Béarnaise, Daube Béarnaise und Piperade Béarnaise, in Konserven oder Weck-Gläsern.

Transhumance & Cie (Bedous)

64, Le RegionaleBourg Produkte

Le Petit chaperon Vert (Arudy) Bio-Markt mit großer Auswahl an Tee, regionalen Weinen und Naturseife.

Seit zehn Jahren kümmert sich ein Verein um den ältesten Tierpark des Aspe-Tals. Dabei stehen Schutz und Pflege der lokalen Flora und Fauna im Vordergrund. Eine einzigartige Gelegenheit, um Braunbären, Gemse und Murmel tiere in ihrem natürlichen Habitat zu Maibeobachten.bisOktober tgl. ab 10 Uhr. Eintritt

Dieses Hotel-Restaurant befindet sich im ehemaligen Bahnhof von Bedous und verfügt über sechs Doppelzimmer, zwei Suiten und ein Studio. Hotelgäste dürfen auch die Sauna benutzen. Das Restaurant ist im Wartsaal unter gebracht und bietet eine abwechs lungsreiche Karte mit Produkten aus der DoppelzimmerRegion. kosten in diesem anständigen Dreisternehaus ab €54 pro Nacht.

Bei(Oloron-Sainte-Marie)transhumance-pyrenees.frBalangué.Essen&TrinkenLesAmisdenEinheimischenbeliebt und eine hervorragende Adresse für Genießer. Auf der Karte stehen regionale Gerichte der Saison. 24, place de la Résistance monasteredesarrance.frAusstellungende-l'Assomption.ParochiekircheNotre-Dame-de-la-Pierretela.routenhistorischenanDieses(Sarrance)betharram.comdieseGuidewurden.Bétharram,BesuchüberKombinieren(Bétharram)AttraktionenGrottenvanBétharramSieeineWanderungdenKreuzwegmitdemderGrottenvondie1819entdecktFührungenmitAudio-perBootoderBahndurchmagischeUnterwelt.KlostervonSarranceKlosterausdem17.Jh.liegtderViaTolosana,einerderfranzösischenPilgernachSantiagodeComposBesuchenSiedieKapelleunddievonNotre-Dame-WechselndeimKreuzgangParcOurs(Borce)

2, rue des Quatre Cantons

Atout France und die Destination tourisme-hautes-pyrenees.com.Environnement:Hautes-Pyrénéestourisme-occitanie.com.Occitanie:Tourisme

Berge Platz. Freundlicher Service und eine gute Karte mit ehrlichen Produkten der Region.

Charcuterie (Aufschnitt) und Käse zum Aperitif. Die Preise variieren zwischen €13 für ein Tagesgericht und €28 für ein Menü.

Le sonnigenNehmenFertig(Etsaut/Borce)RandonneurmitderWanderung?SiedannaufderTerrassemitBlick

Mitparc-ours.fr€11.Dankan

Tipps & Adressen

8, Avenue Robert

3, place de l’Hôtel de Ville

70 FRANKREICH MAGAZIN

SchlafenCaféHôtel Restaurant

auf die

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VON RALF JOHNEN

Monet - Rebell und Genie Gaskessel Wuppertal, bis 31. Dezember 2022, visiodrom.de

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Erstmals seit 15 Jahren steht Marc Chagall (1887-1985) im Mittelpunkt einer großen Ausstellung eines deutschen Museums. Dabei beleuchtet die Frankfurter Kunsthalle Schirn eine wenig beachtete Facette seines Oeuvres. So beobachtet der jüdische Chagall schon in den 1930er Jahren mit großer Sorge den in Europa um sich greifenden Antisemitismus. Die fröhliche

Monet in Wuppertal

Chagall - Welt in Aufruhr, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 04. 11. bis 19. 02 2023, schirn.de

Chagalls dunkle Seite

Kulturtipps

Ausstellungsmacher kosten die technologischen Möglichkeiten der Gegenwart mit viel Elan aus. An spektakulären Orten geht es dabei weniger um den Genuss von Originalen, als um die Visualisierung des Werkes stilprägender Maler. In diesem Sinne zeigt der Wuppertaler Gaskessel bis Ende des Jahres groß formatige Videoprojektionen der Bilder Claude Monets. Besucher erleben seine Seerosen als 360-Grad-Panorama auf einer 40 Meter hohen Leinwand, wobei sie regelrecht in die Bilder eintauchen. Dabei verschweigt die Ausstellung nicht, dass schon der Maler so gedacht hat - seine Bilder in der Pariser Orangerie hängen nämlich ähnlich angeordnet.

Farbpalette des poetischen Expressionisten schlägt zunehmend ins Düstere um. 1941 sieht der in Belarus geborene Künstler keinen anderen Ausweg, als die Emigration in die USA. Über 100 hochkarätige Leihgaben aus aller Welt zeigen, wie es dazu gekommen ist.

Düsseldorf ist Schauplatz eines der Höhepunkte des diesjährigen Kunstherbstes. So zeigt die örtliche Kunsthalle die letzte Ausstellung über das Werk von Christo und Jeanne-Claude, die der Künstler vor seinem Tod im Mai 2020 noch autorisiert hatte. Ausgangspunkt der Schau ist die Sammlung von Ingrid und Thomas Jochheim. Das in Recklinghausen lebende Ehepaar gehört zu den wichtigsten aktiven Kunstsammlern in Deutschland. In den vergangenen 40 Jahren haben sie nicht weniger als 600 zeitgenössische Werke zusammengetragen. Zu vielen ihrer Urheber unterhalten die Jochheims ein freundschaftliches Verhältnis. Das war auch bei den Christos nicht anders, aus deren Oeuvre die Jochheims eine der weltweit umfangreichsten Bestände besitzen. Hierzu zählen zahlreiche Objekte sowie großformatige Zeichnungen, grafische Arbeiten und Fotografien. Die Düsseldorfer

Christos finale Schau

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Ausstellung zeigt zudem sämtliche von Christo und JeanneClaude realisierten Projekte seit Wrapped Coast von 1968/69. Seinerzeit war es noch nicht lange her, dass sich das Paar in der flamboyanten Kunsthauptstadt Paris dem „Nouveau Réalisme“ verschrieben hatte. Mit der Verhüllung der PontNeuf (1984) sowie des Arc de Triomphe war die französische Kapitale zugleich Schauplatz zweier legendärer Verhüllungsaktionen. Die Ausstellung jedoch beschränkt sich nicht allein auf den Blick zurück. So sind auch die Studien und Entwürfe für das noch nicht verwirklichte MastabaProjekt für Abu Dhabi Gegenstand der Ausstellung, das im Falle seiner Realisierung die Dimensionen der Pyramide von Gizeh überbieten und zu einem letzten Fanal für die Kreativität von Christo and Jeanne-Claude werden würde. Christo und Jeanne-Claude - Paris. New York. Grenzenlos. Kunstpalast Düsseldorf, bis 22. Januar 2023 kunstpalast.de

Kulturtipps

Der Besuch von Notre Dame wird aufgrund der Brandkatastrophe von 2019 auf Jahre nicht möglich sein. Doch nun gibt es in Dresden eine unterhaltsame Alternative - die obendrein Einblicke bietet, die man in der Kathedrale selbst nie genießen könnte. Ob man nun als in Kunstgeschichte gut Unterlegter oder als 9-jähriges Kind dorthin geht - die Art und Weise, wie Notre Dame in dieser Ausstellung präsentiert wird, zieht jeden in den Bann. Per Tablet können sich Besucher mit Hilfe von Augmented Reality an verschiedenen Ecken in der Kathedrale umsehen und sich dort vom 12. Jh. bis in die Gegenwart scrollen. Klickt man auf

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Alle Fans des französischen Kinos sollten sich die letzte Novemberwoche ankreuzen. Bereits zum 22. Mal organisiert das Institut français d’Allemagne in Berlin sowie in anderen deutschen Städten eine Übersicht über aktuelle Highlights des französischen und frankophonen Kinos. Vom Krimi über das Gesellschaftsdrama bis hin zur Komödie kommen rund 20 Filme aller Genres auf die Leinwand. Bei den meisten handelt es sich um Vorpremieren die erst später regulär laufen. Französische Filmwoche Berlin, 24. bis 30. November, franzoesische-filmwoche.de

Yves Klein, L’infini Bleu, bis 2. Januar 2023, Les Carrières des Lumières, Route de Maillaine, Les Baux-de-Provence, carrieres-lumieres.com

Er hat seine eigene Farbe kreiert, die er „International Klein Blue (IKB)“ taufte, ein tiefes Utramarinblau. So wurde der französische Maler Yves Klein (1928-1962) vor allem als Monochromist bekannt, oder auch als Urheber einfarbiger Gemälde. Dabei handelt es sich natürlich um sein eigenen Blau, das Klein als „ultimati ves Blau“ beschrieben hat. Noch bis zum 2. Januar kommenden Jahres können Besucher im Steinbruch von Les Baux-de-Provence eine Ausstellung begutach ten, die Kleins Farbenkanon minutiös ausleuchtet. Eine Augenweide.

Ein Fest fürs Kino

Virtuelle Notre Dame

Unendlich blau

Details, erscheinen gut geschriebene Texte oder kurze Videos, die den Besucher mitnehmen zu den Baumeistern aus dem Mittelalter, den Feuerwehrleuten von 2019 oder den Bleiglas-Spezialisten hoch oben auf dem Gerüst. Für Kinder gibt es eine Schatzsuche, so dass Eltern genügend Luft bekommen, um die Ausstellung in vollen Zügen zu genießen. Sie ist ein Gesamtkunstwerk - genau wie die Kathedrale selbst. (AW) Notre-Dame de Paris –Weltreise einer Kathedrale, Palais Großer Garten Dresden, bis 8. Januar grosser-garten-dresden.de2023,

TEXT RALF JOHNEN FOTOS RALF JOHNEN & SHUTTERSTOCK

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Dann ist ein Roadtrip durch den Norden Frankreichs eine wunderbare Alternative. Die Region Hauts-de-France erstreckt sich zwischen der belgischen Grenze, Paris und der Hauts-de-FranceNordsee.

Keine Lust auf Flughäfen, Staus oder volle Museen?

Streifzug FrankreichsdurchNorden

Rue Croix in Saint Quentin

Ein prächtiger Speisesaal mit bleigefassten Fenstern, stromlinienförmigen Treppengeländern und einem Mosaik. So präsentiert sich der Seitenflügel des Bahnhofs von Saint­ Quentin heute wieder. Ein paar Schritte weiter überspannt eine Brücke die Somme und einen benachbarten Kanal. An ihren Köpfen ragen monumentale Säulen mit dynamischen Mustern in den Himmel, während auf Augenhöhe stilisierte Figuren das Auge erfreuen. Auch in der Stadt fallen palastartige Bauten mit eleganten Fassaden auf, darunter mit dem „Carillon„ und dem „Casino„ zwei ehemalige Kinos. Mit anderen Worten: Saint­ Quentin ist eine Hochburg des Art­ déco, jener Kunstrichtung, die sich in weiten Teilen Frankreichs durchsetzte, als in Paris die wilden 1920er ihren Lauf nahmen. All dies ist uns früher entgangen, als Nordfrankreich für uns nur Durchfahrtsland auf dem Weg in die Hauptstadt oder weiter in den Süden war. Es ist eine Region, die lange Zeit zum kulturellen Herzland Europas gehörte und die während des Ersten Weltkriegs heftig umkämpft war. Saint­ Quentin ist seinerzeit zu weiten Teilen zerstört worden, doch aus der Not hat die 53.000­Einwohnerstadt eine Tugend gemacht, die neuerdings in frischem Glanz erstrahlt. Neben den offensichtlichen Juwelen verbergen sich einige Schmuckstücke auch hinter den Fassaden. So beherbergt das spätgotische Rathaus von 1509 einen Tagungssaal, der im Stile des Art­ déco eingerichtet ist. Und unter dem Dach des Kaufhauses von Monoprix lockt ein prunkvoller Saal, der schon lange nicht mehr der Präsentation von Waren dient. Er wurde zu einem Auditorium umfunktioniert, in dem Marcel Cerdan geboxt hat. Heute befindet sich hier eine Ausstellungsfläche, die über das angrenzende Schmetterlingsmuseum zugänglich ist.

Ganz anders präsentiert sich eine knappe Autostunde weiter im Südosten Laon. Die Stadt thront weithin sichtbar auf einem Tafelberg, als müsse ihr der Rest der Welt zu Füßen liegen. Genau so war es in früheren Zeiten auch: Schon um das Jahr 500 hat der Bischof von Reims in Laon eine Diözese gegründet und damit eine der fortan bedeutendsten Städte Frankreichs ins Leben gerufen. Im 9. und 10. Jh. war Laon gar Hauptstadt der Grande Nation. Sichtbarster Ausdruck des Machtanspruchs ist die Kathedrale mit ihren fünf Türmen und einer Kalksteinfassade, die im Abendlicht beständig die Farbe zu wechseln scheint, ehe das Innere der Türme bei Dunkelheit in blauem Licht erstrahlt. Zu ihren Füßen breitet sich die Oberstadt aus, die mit einer Fläche von knapp 100 Hektar deutlich größer ist, als man aus der Ferne vermuten würde. Sie besteht aus einem verwirrenden Geflecht enger Gassen, wobei das intakte mittelalterliche Stadtbild für regen Zuspruch von Touristen sorgt. Die Kathedrale allerdings ist am Freitagmittag verwaist, was die angenehm melancholische Grundstimmung Laons noch weiter verstärkt.

Die Kathedrale von Laon

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SAINT-QUENTIN Hochburg des Art-déco

LAON Prächtige Bischofsstadt

FRANCDE-HAUTS-E 78 FRANKREICH MAGAZIN

Nach so viel Geschichte ist es an der Zeit für eine andere französische Spezialität. Wir verzichten aufs Frühstück, um uns am Samstagmittag den Vorzügen der Küche hinzugeben. Das „Les Ferlempins“ liegt etwas unscheinbar am Südufer der Oise, wo das junge Team uns mit einem Virgin Cocktail begrüßt. Es folgt zunächst köstlich rustikales Brot mit zweierlei Amuses und danach eine stimmige Komposition aus jungen Erbsen, Faisselle (einem Frischkäse) und hausgemachtem Beef Jerky. Nicht weniger überzeugend ist das gegrillte Schweinefilet aus der Picardie sowie das Eis mit Gurke und Thymian. Zugegeben: Schon während des Essens unterhalten wir uns wieder über Geschichte. War es nicht hier im lebendigen Compiègne, wo Frankreich und Deutschland in beiden Weltkriegen einen Waffenstillstand unterzeichnet haben? Ja, so war es. Schauplatz war in beiden Fällen ein Eisenbahnwagon – und nicht etwa das Schloss von Compiègne, das nach Versailles und Fontainebleau das drittgrößte auf französischem Grund und Boden ist. Wie wir kurz darauf sehen, verströmt das am Rande der City gelegene Schloss bis heute eine royale Aura. Auch wegen des Schlossparks und der großzügigen Ausfallstraße. Anders als die südlich von Paris gelegenen Paläste aber hält sich der Andrang hier in Grenzen, was auch daran liegen mag, dass nur ein Teil der Säle mit historischem Mobiliar ausstaffiert ist. Ein anderer Flügel ist dem Musée national de la Voiture vorbehalten, in dem historische Kutschen und Tramwagen ausgestellt sind. Ein schöner Ort, um in der Vergangenheit zu schwelgen.

Château de Pierrefonds

Dessert bei Les Ferlempins in Compiègne

Imposante und verspielte Burg

CHÂTEAU DE PIERREFONDS

Ebenfalls schon von weitem sichtbar ist das Schloss von Pierrefonds. Ein beeindruckender Bau mit acht Rundtürmen, Zinnen und einem mächtigen Tor, dessen Gemäuer in überraschend gutem Zustand sind. Erst auf den zweiten Blick ist dies nicht weiter verwunderlich, denn ähnlich wie Schloss Neuschwanstein in Bayern oder Kasteel de Haar in den Niederlanden ist der Prunkbau weniger alt, als er vorgibt. Zwar stand hier, gut 90 Kilometer nordöstlich von Paris, schon im 12. Jh. eine Burganlage. Diese jedoch war nur eine Ruine, als Napoleon III. 1850 zu Besuch kam. 1861 erteilte dieser den Auftrag zum Bau einer kaiserlichen Residenz – und als diese vollendet war, kam 1867 König Ludwig II. zu Besuch, um sich Inspiration für sein hoch über Füssen liegendes Domizil zu verschaffen. Entworfen wurde das Bauwerk von Eugène Viollet­le­Duc, der auch für den Ausbau der Nôtre­Dame in Paris verantwortlich zeichnet. Wer im Innenhof des Anwesens steht, sieht dass sich der Architekt aus dem Vokabular diverser historischer Baustile bedient. Dabei erfreuen die Gemäuer von Pierrefonds durch detailfreudige Ornamente wie eine Regenrinne, die in ein Reptil übergeht, aus dessen Mund das Wasser sprudelt. In den Innenräumen befindet sich eine interessante SkulpturenSammlung mit unter anderem der kleinen Schwester der Freiheitsstatue aus dem Atelier von Bildhauer Frédéric­Auguste Bartholdi. Besonders effektvoll sind die „Gisants“ aufgebahrt: Die liegenden Statuen haben ihren Platz in den Kellergewölben gefunden. Kunstvoll illuminiert lassen sie so manchen Besucher erschaudern.

COMPIÈGNE Gastronomie & Friedensgeschichte

DOMAINE DE CHAALIS

Wir fahren noch ein Stückchen weiter in Richtung Paris. Uns lockt das ehemalige Kloster Chaalis, von dessen Kirche nur eine Ruine übrig geblieben ist, die sich malerisch in einer Waldlichtung aufbaut. Nachdem wir die aus dem frühen 12. Jh. stammenden Gemäuer gewürdigt haben, ziehen wir uns in eine weitere Attraktion der weitläufigen Domaine zurück: das Rosarium. Es handelt sich um eine zeitgenössische Interpretation des Rosengartens, die den Vorläufer aus dem 19. Jh. ersetzt hat. Die Blumenstöcke sind entlang von Sichtachsen gepflanzt und von ehrwürdigen Mauern umgeben. In Bögen ranken sie sich über einen Weg, um hier und da eine Art Dach bilden. Ein schöner Anblick, den wir im fortgeschrittenen Frühjahr nahezu allein genießen. Das gilt auch für das Musée JacquemartAndré de Chaalis, das sich in einem ehemaligen Konvent befindet, der später zu einem zweigeschossigen Schloss umgebaut wurde. Zur Sammlung gehört ein Werk aus dem Atelier von Albrecht Dürer, aber auch der Espace Jean-Jacques Rousseau, der sich mit Leben und Werk des naturalistischen Philosophen beschäftigt. Die Sammlung gilt als zweitgrößte ihrer Art.

Kloster, Rosen & Kunst

Das moderne Rosarium Domaine de Chaalis

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ARRAS Spuren aus Flandern

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Place des Héros in Arras

Den Abend verbringen wir in Chantilly, einer Stadt, die fast an Paris grenzt. Auch sie beherbergt ein Schloss, doch das steht nicht im Mittelpunkt unseres Besuchs. Viel mehr schlendern wir über die Rue de Connétable, die von zweistöckigen, typisch französischen Häusern flankiert wird. Am Ende der langen Geraden stoßen wir auf ein weiteres Phänomen, für das Chantilly berühmt ist: Das 35.000­EinwohnerStädtchen gilt als Frankreichs wichtigstes Zentrum für Pferdesport. Das zeigt sich ganz in der Nähe des Schlosses im örtlichen Pferdemuseum. Der Bau wurde 1719 im Auftrag von Louis IV. Henri de

Bourbon errichtet, um seinen Vierbeinern eine würdevolle Bleibe zu bieten. Das Ergebnis sind 186 Meter lange Stallungen, die selbst wie ein Schloss erscheinen. Der Bau öffnet sich hin zur Pferderennbahn und bildet gemeinsam mit ihr vor allem im Abendlicht ein erhabenes Gesamtensemble. Dahinter stoßen wir auf eine Straße, deren Pflastersteine an die Strecke des Radrennens Paris­Roubaix erinnern. Anstelle von Fahrrädern aber sind hier einige Oldtimer unterwegs, deren Insassen auf der Suche nach Romantik sind: Nur durch einen Wassergraben getrennt, kommen sie an Schloss Chantilly vorbei.

Pferderennbahn in Chantilly

Zeit für einen Szenenwechsel. Schließlich besteht der Norden Frankreichs nicht nur aus den Residenzen im Dunstkreis der Hauptstadt. Binnen anderthalb Stunden sind wir in Arras – und das kommt einem ziemlichen Tapetenwechsel gleich. Das Städtchen gehörte über Jahrhunderte hinweg erst zur Grafschaft Flandern und danach zu den Spanischen Niederlanden. Beide Epochen haben das Stadtbild nachhaltig geprägt, denn Arras besitzt mit der Grand Place einen prächtigen Platz, der von Patrizierpalästen mit repräsentativen Giebeln eingerahmt ist. Noch beeindruckender ist die Place des Héros, an deren Nordwestflanke sich der örtliche Belfried aufbaut. Der gotische Bau ist 75 Meter hoch, die wir überwiegend per Aufzug zurücklegen, um auf die Stadt und ihr Umland zu schauen. Von oben beobachten wir, wie sich immer mehr Menschen für einen gepflegten Kaffee auf dem Platz einfinden. Wieder unten lassen wir uns von dem Markt verzaubern, der an diesem Sonntagmorgen stattfindet. Die Geschäfte sind geöffnet. Ihre Sonderangebote preisen sie im Freien an.

CHANTILLY Walhalla für Pferdefreunde

LENS

Fußballverrückte Bergbaustadt und großes Kunstzentrum

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Im nahen Lens suchen wir einen flachen Bau von enormen Ausmaßen auf. Er ist in einen Landschaftsgarten eingebettet und besitzt eine streng geometrische Fassade aus Glas und Aluminium. Ein echter Zen­ Ort, der die örtliche Dependance des Louvre beherbergt. Seit 2012 zeigt das wohl wichtigste Museum der Welt in der Bergarbeiterstadt einen Teil seiner Sammlung. Herzstück ist die Galerie du Temps, die mithilfe einer Zeitleiste (Timeline) einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Hochkulturen vergangener Jahrtausende bietet. Griechenland, Ägypten und Mesopotamien werden so erstaunlich lebendig. Ganz nebenbei wird deutlich, wie diese Kulturen den Grundstein für spätere Entwicklungen legen – zum Beispiel für das Italien Boticellis und Tintorettos.

Dies alles steht in schrillem Kontrast zu einer Umgebung, die mit Hochkultur bislang wenig am Hut hatte. Viel mehr gruppieren sich in der Landschaft spitze Halden um Lens, stille Zeugen seiner Vergangenheit als Bergbauzentrum. Als der Kohleabbau nicht mehr rentabel war, kam dem örtlichen Fußballverein die volle Aufmerksamkeit zu. Der Racing Club de Lens ist eine feste Größe in Frankreich – und ein guter Teil der örtlichen Bevölkerung trägt in der Freizeit das rotgelbe Trikot des Teams. Zu Beginn der Nuller Jahre aber setzte sich die Erkenntnis durch, dass für die Zukunft der Sport allein nicht reichen würde. Also hat sich die Stadt darum beworben, als kulturelles Aushängeschild zu firmieren. Bilbao hatte diese Art von Strukturwandel mit Erfolg vorgemacht.

Für Feinschmecker

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DECHÂTEAUBEAULIEU

Höchste Zeit für noch ein Schloss. Doch keine Sorge: Das Chateau de Beaulieu steht nicht im Zeichen der glorreichen Vergangenheit Frankreichs und seiner Herrscher. Vielmehr handelt es sich um einen Landsitz, den Christophe Dufossé zu einer der vornehmsten Unterkünfte der Region gemacht hat. Das Anwesen gehört zum erlesenen Kreis der Relais & Châteaux und besitzt ein mit einem MichelinStern dekoriertes Restaurant. Der ehrgeizige Gastronom stammt aus Calais und möchte die Region nachdrücklich in seine Arbeit mit einbinden. Von den köstlichen Erdbeeren bis zu den Tomaten baut er Obst und Gemüse auf dem Areal des Schlösschens selbst an. Das Personal stammt aus der Umgebung – und die Bewohner der hauseigenen Farm hat er in Heimen für misshandelte Tiere aufgelesen. Auch beim Interieur macht er vieles richtig: So hat Dufossé den ehrwürdigen Bau leichtfüßig mit modernem Mobiliar ausstaffiert. Eine echte Genießeradresse, dessen Hauptattraktion der Weinkeller ist. Dieser umfasst einige Tausend Positionen mit einer Preisspanne von etwas über 20 bis zu 20.000 Euro pro Flasche.

Dufossé mit seinen selbst angebauten Tomaten und Zucchiniblüten (unten)

Fehlt noch das Meer, wo wir uns zum Abschluss des Trips ein wenig Wind um die Nase blasen lassen. Hierzu machen wir uns zum Strand von Dunkerque auf. In Malo­les­Bains zeigt sich die geschäftige Hafenstadt von ihrer besten Seite: Auf dem breiten Boulevard weht eine steife Brise und die bunt angestrichenen Strandhäuschen, sogenannte Kioske, verbreiten träge Urlaubsstimmung. Wissend, dass unser Trip fast vorbei ist, schauen wir uns etwas wehmütig in den Straßen rund um die Rue Belle Rade um, die unweit des Meeres das Flair eines Seebades verbreiten. Hier stoßen wir auf schöne Beispiele für eine architektonische Ausdrucksform, die als Pittoresker Stil in die Baugeschichte eingegangen ist. Farbenfrohe Villen, die hier ein Erker und dort einen ornamentierten Balkon aufweisen. Hübsch verzierte Fensterbögen und Dachgiebel gehören sowieso dazu. Doch auch Art­déco und Belle Époque sind in Malo­les­Bains mehr als nur eine Erinnerung. In der Avenue Gustave Lemaire zum Beispiel wartet eine Villa auf Bewunderer, deren Baumeister sich ganz offensichtlich aus dem Vokabular Antoni Gaudís bedient hat. So schließt sich der Kreis zum Auftakt der großen Tour durch Frankreichs Norden in Saint­Quentin.

DUNKERQUE (DÜNKIRCHEN)

Gegen Ende des Trips ist uns nach Natur zumute. Also suchen wir mit Saint­Omer ein Städtchen auf, das an drei Seiten von einem Sumpfgebiet eingerahmt wird und das gerne mit dem niederländischen Ort Giethoorn oder dem Spreewald verglichen wird. Schon im 12. Jh. haben die Bewohner der Region mit der Kanalisierung des mehr als 12000 Hektar großen Marais audomarois begonnen, um später mithilfe von Windmühlen fruchtbare Polder anzulegen. Vor allem im 19. Jh. wurden hier mit Erfolg Blumenkohl, Chicorée und 50 weitere Gemüsesorten angebaut, was für beträchtlichen Wohlstand sorgte. Nach heutigen Maßstäben aber ist der Anbau zwischen den Kanälen zu mühselig, nur noch wenige Bauern halten die Tradition aufrecht. An Bord eines Ausflugsschiffes lernen wir, was es damit auf sich hat. Später mieten wir uns ein Kanu, um uns das Ganze noch einmal in bedächtigem Tempo anzusehen. Während wir auf dem Wasser schaukeln, lassen wir uns Baguette mit Käse und Madelaines schmecken.

Pittoresk am Meer

Sumpf von Audomarois

Jugendstilvilla in Dunkerque

Der französische Spreewald

FRANKREICH MAGAZIN 83 Hauts­de­France

SAINT-OMER

Restaurant Villa d’Îsle Freundliches Lokal mit junger Küche und Terrasse am Rande der City. 111-113, rue d’Isle. villadisle.com

Logis de Parvis Freundliche Unterkunft direkt an der Kathedrale, einige Zimmer blicken zudem auf einen reizenden Platz.

Chateau de Compiègne chateaudecompiegne.fr

t’Aim Hotel Compiègne Prima Stadthotel direkt an der Oise.

ARRAS arraspaysdartois.com Belfried 4, place des Héros

Restaurant Les Ferlempins 13, cours Guynemer. lesferlempins.fr

LAON

DOMAINE DE CHAALIS

Château en Musée de Cheval Rue du chateaudechantilly.frConnétable.

Infos zu Führungen durch die Kathedrale und Turmbesteigungen unter tourisme-paysdelaon.com & aisne-tourisme-pro.com

3, place du Parvis. logisduparvis.com

84 FRANKREICH MAGAZIN Hauts de France

70, rue Pont Neuf. taimhotel.com

Restaurant Le Parvis Regionale Spezialitäten wie Boudin Blanc, eine Art Weiß wurst mit karamellisierten

LENS tourisme-lenslievin.fr Museum Louvre Lens 99, rue Paul Bert. louvrelens.fr Brasserie Saint-Théodore Moderne Brasserie mit preisgekröntem Bier aus eigenem Haus und Biergarten. 238, rue Paul Bert. saint-theodore.fr

Hotel Le Chantilly Charmante Unterkunft mitten in der Stadt mit tollem Frühstück. 9, Petite Place Omer hotel-lechantilly.comVallon.

CHÂTEAU BEAULIEUDE

SAINT-QUENTIN

PIERREFONDS chateau-pierrefonds.fr

CHANTILLY

SAINT-OMER tourisme-saintomer.com Boottour & Restaurant La Baguernette, 3, rue du Marais, Clairmarais. labaguernette.fr Ebenfalls sehenswert: die Kathedrale

Restaurant Le Vertugadin Rustikales Lokal mit amüsantem Patron und guter Küche. 44, rue du Connétable. Facebook: @LeVertugadin L’Instant Miels et saveurs Leckereien aus der Region und ganz Frankreich. 101, rue du Connétable

ALLGEMEIN hautsdefrancetourism.com

Äpfeln und Kartoffelstampf. 3, place du Parvis. leparvislaon.fr Restaurant Estaminet Saint-Jean Lokale Spezialitäten in ungezwungenem Rahmen, auch vegetarische Gerichte. 23, rue estaminetsaintjean.comSaint-Jean.

Art-Deco-Route Stadtplan und Broschüre erhältlich in der Direction du Patrimoine, Hôtel de Ville saint-quentin.fr

DUNKERQUE dunkerque-tourisme.fr

COMPIÈGNE

Souterrains de Laon Kinderfreundliche Führung durch die geschichtsträchtige Unterwelt der Stadt.

1098 Rue de Lillers, Busnes, lechateaudebeaulieu.fr

Tipps & Adressen

Abbaye Chaalis domainedechaalis.fr

TEXT EUGENIE GOLDSCHMEDING BILD IMAGESELECT

STROMAE 86 FRANKREICH MAGAZIN

Wunderbar, diese alten Chansons von Aznavour, Brel, Dalida und Piaf, aber die jüngere Generation hat genauso viel zu bieten. Viele von ihnen haben international den Durchbruch geschafft. Ein kurzer Überblick über die beliebtesten jungen Künstler, die man derzeit in Frankreich hören kann.

Die Stimmen der Generationneuen

Er ist hyperkreativ, sensibel, sehr originell und auch witzig. Ja, wenn ich unter allen zeitgenössischen französischsprachigen Musikern eine Person auswählen sollte, die einen im Innersten berühren kann, dann wäre es Stromae aus Brüssel, privat Paul Van Haver genannt. Dieser Sprachkünstler verschmilzt Tristesse, Alltägliches und Absurdes zu reiner Poesie. Der Name Stromae ist Verlan (eine Spielsprache, bei der die Reihenfolge der Silben vertauscht wird) und steht für Maestro.

› FRANKREICH MAGAZIN 87

STROMAE:

Spanisch sowie allem, was dazwischen liegt. Sie sei keine Rapperin, stellt die Sängerin in Interviews oft klar, obwohl Aulnay-sous-Bois, wo sie aufgewachsen ist (PostleitzahlenGebiet 93, oder le Neuf-Trois), eine wahre Brutstätte für Rap ist. Ruhig und selbstsicher entscheidet sie selbst, ob gerade ihre Karriere im Vordergrund steht oder ob es die richtige Zeit ist, ein Kind zu bekommen. Von Managern der Plattenfirmen lässt sie sich kaum beeinflussen: Inzwischen schläft auch Tochter Nummer zwei unter feinen Dior-Laken. Von der Titelseite der Vogue sah sie bereits sehr selbstbewusst in die Welt und Aya war die frankophone Apple-

Der absolute Star des neuen französischen Chansons ist Aya Nakamura. Sie präsentiert sich selbstbewusst und mit der Würde einer Königin. Kaum eine andere französische Künstlerin wird zurzeit so viel beachtet und gehört wie sie. Auf Instagram wiegt sich Weltstar Rihanna offen zu Nakamuras Megahit Djadja, denn sie ist auch in Ländern ein Star, in denen kein Französisch gesprochen wird. Geboren in Mali als Aya Danioko, übernahm sie ihren Künstlernamen von einer japanischen Fernsehserie. Sie wuchs in Frankreich auf, behielt aber ihre malische Staatsangehörigkeit. Ihre Mutter ist eine Griot, eine traditionelle Geschichtenerzählerin, die ihre Geschichten, Gedichte und Lieder singend vortragen. Selbst wenn Sie gut Französisch können, müssen Sie sich ein wenig anstrengen, um Ayas spielerische Mischung aus Französisch und modernem Slang zu verstehen. Diese Straßensprache ist eine verwirrende Mischung aus internationalem Internet-Englisch, Camfranglais (kamerunisches Französisch),

Tristesse und Absurdes

AYA NAKAMURA

In fast jedem Lied dieses Sohnes eines ruandischen Vaters und einer belgischen Mutter spürt man eine Fröhlichkeit, die das Leben so umarmt, wie es ist, doch ohne die Melancholie zu verblümen, die das Leben so mit sich bringt. Das macht seine Musik immer irgendwie tröstlich. Stromae begann als Rapper, doch der Durchbruch gelang ihm mit dem mitreißenden Dance-Hit Alors on danse, der, angeführt von einem swingenden elektronischen Saxofon, zugleich traurig und urkomisch klingt. Später verschwand er längere Zeit von der Bildfläche. Im Januar 2022, fragte ihn der Moderator in den Hauptnachrichten von TF1 (Europas meistgesehene Fernsehnachrichten) nach seiner jahrelangen Abwesenheit vom Schaugeschäft und nach seinem Gemütszustand. Stromae blickte direkt in die Kamera und begann L'enfer (die Hölle) zu singen, ein Lied über Depressionen. Man kann es Kitsch nennen, wie es die linke Qualitätszeitung Libération tat, aber man kann es auch unglaublich mutig finden, eine gediegene Nachrichtensendung auf diese Weise in ein Musical zu verwandeln. Stromae ist sowohl musikalisch wie textlich bahnbrechend. Er mischt problemlos Cembalos mit brasilianischen Baile-FunkRhythmen und schafft so neue Genres. Sentimentalität liegt ihm weniger. Sein Sinn für Humor und Absurdität zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk. Unter seinem Label Mosaert macht er Mode, Filme und Videoclips und produziert auch Werke anderer (siehe das wunderschöne Coward der israelisch-französischen Sängerin Yael Naim). Kein Wunder, dass er „trotz“ seiner Französischsprachigkeit weltweit gut ankommt. So war er in New York zu Gast in der Tonight Show von Jimmy Fallon. Jüngstes Album: Multitudes

AYA NAKAMURA: Grenzenlos majestätisch

TröstlichesimmerMusikStromaeshatetwas

Aurélien Cotentin ist ein wirklich eigenwilliger Rapper, der unter dem Künstlernamen Orelsan auftritt. In seinen Anfangsjahren schien Erfolg weit entfernt. Niemand glaubte an ihn, mit Ausnahme seines jüngeren Bruders Clément, der immer der Meinung war, dass „Orel“ ein großes Potenzial habe. Er hat seinen großen Bruder seit dessen Jugendzeit gefilmt. Orelsan hing mit drei treuen Freunden in seiner kleinen Wohnungdie wie ein Teenagerzimmer aussah - in der unglamourösen Stadt Caen herum und arbeitete wie besessen an Texten und Beats. Heute ist Orelsan einer der meistgehörten und originellsten Rapper Frankreichs. Sein neuestes Album Civilisation ist zu Recht ein großer Erfolg, ebenso wie seine Vorgänger Le

Im zusammenderreichsÄrgerdenfasstStaccatoOrelsanaktuellenFrank-undWelt

Fernsehjournalist arbeitet, aus alten Videofragmenten und neuen Interviews zusammengestellt hat, bietet einen Einblick in die letzten 20 Jahre des Lebens von Orelsan. Die Moral von seiner Geschichte? Nur wenn man damit umgehen kann, dass man immer wieder Fehler

88 FRANKREICH MAGAZIN

Künstlerin des Jahres 2021. Wovon handeln ihre Lieder hauptsächlich? Von Liebe natürlich! Jüngstes Album: Aya

chant des sirènes und La fête est finie. Mit seiner nüchternen Stimme fasst er den aktuellen Ärger Frankreichs und der Welt zusammen in Stücken wie L'odeur de l'essence. Es ist eine harsche Kritik an den Zuständen in der Welt, in der weder die Armen noch die Reichen verschont werden („Personne n'aime les riches, jusq'à c'qu'ils l'deviennent“, rappt er: Niemand liebt die Reichen, bis sie selbst reich werden). Er kritisiert Prominente und die einfachen Leute, die sich im Internet austoben („Plus personne écoute tout l' monde s'exprime“: Niemand hört mehr zu, aber jeder lässt sich aus). Den Zuhörer zieht diese messerscharfe Gesellschaftskritik innerhalb von vier Minuten in einen frenetischen Strudel. Außerdem prägte er einen der besten Einzeiler, die ich in letzter Zeit in einem Liebeslied gehört habe: „L'amour n'est pas parfait quand il est vrai“ (Liebe ist nicht perfekt, wenn sie echt ist) aus dem Lied Ensemble. Die wunderbare Dokumentarserie, die sein Bruder Clément, der heute als

ORELSAN: GesellschaftskritikMusikalische

ORELSAN

ANGÈLE › FRANKREICH MAGAZIN 89

Das neue Album Nonante Cinq des belgischen Phänomens Angèle stürmt die Streaming-Charts. Es sind neue Lieder über moderne Phänomene wie die Scheinwelt der sozialen Medien, die Angst, in der Zukunft nicht erfolgreich zu sein und die Liebe zum anderen und gleichen Geschlecht. Manchmal singt sie so schnell, dass es fast wie Rap klingt (sie hat auch mit dem Rapper Damso zusammengearbeitet), aber meistens sind ihre Chansons recht melodisch. Mit ihrem schönen Brigitte-Bardot-Aussehen, ihrer Liebenswürdigkeit und ihrem Sinn für Humor ist sie eine beliebte und moderne Botschafterin von Chanel. Gemeinsam mit der belgischen Filmemacherin Charlotte Abramow bewies sie, dass die #metooBotschaft (wie in ihrem Clip Balance ton quoi)

ANGÈLE & CLARA LUCIANI: Nouvelle vague féminine

bras/I disappear in your arms. Sie schreibt und performt auch mit dem internationalen Superstar Charli XCX, mit dem sie Singles aufnimmt, wie z. B. Gone (mehr als zehn Millionen Aufrufe auf YouTube) und den aktuellen Song New Shapes Jüngstes album: La Vita Nuova

• Doku-Serie: Montre jamais ça à personne (Prime Video, France) Jüngstes Album: Civilisation

CHRIS AND THE QUEENS: Empfindsam und stark Unter dem Pseudonym Christine and the Queens überquerte Héloïse Letissier aus Nantes den Ärmelkanal und begann, in Londoner Travestieclubs selbst geschriebene Lieder aufzuführen. Seit einigen Jahren nennt sie sich kurz „Chris“, was zu ihrem androgynen Aussehen passt. Als großer Fan von Michael Jackson wurde sie nicht nur von seiner Musik, sondern auch von dessen Tanz inspiriert. Auf ihren Alben verbindet sie subtile Verletzlichkeit mit starken Emotionen und mischt Genres, z.B. Chanson mit R&B und Elektropop. Madonna brachte auf der Bühne offen ihre Bewunderung für die Sängerin zum Ausdruck (und wies sie gleichzeitig in die Schranken, indem sie sie „Christina“ nannte, Madonna eben). In den Fußstapfen von Charles Aznavour übersetzt Chris mühelos Songs aus dem Französischen ins Englische. So wie auf ihrer Lockdown-EP La Vita Nuova mit dem bewegenden Je disparais dans tes

auch mit viel Humor überbracht werden kann. Kollegin Clara Luciani sieht aus wie eine klassische Pariserin in den 1970er Jahren: langes Haar mit glatten Fransen, schlanke Beine in Schlaghosen, darüber ein Seidenblüschen. Es ist kein Zufall, dass das angesagte Pariser Model Caroline de Maigret (die ihr sehr ähnlich sieht) in Lucianis Clip Ma Soeur mitspielt. Luciani wurde in der Schule gemobbt, weil sie mit elf Jahren bereits 1,76 m groß war, was in dem südfranzösischen Dorf, in dem sie aufwuchs, außergewöhnlich war. In ihrer Stimme liegt manchmal ein Hauch der samtenen Melancholie der viel zu früh verstorbenen belgischen Sängerin Maurane. Nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich tritt sie in die Fußstapfen ihres Idols Françoise

macht, kann man ein echter Star werden.

CHRIS AND THE QUEENS

unterstützt werden, führen die StreamingListen an. Take Naps mit seinem Hit La kiffance. Oder Jul, Ninho, Booba und Gims. Mit ihren unzähligen Kollaborationen und Featurings gelang es ihnen, ein sich schnell verzweigendes Netzwerk von Musik- und Songproduktionen zu schaffen. Auch der sympathische Grand Corps Malade,

Rapper und Fernseh-Talentshows wie Nouvelle Star und The Voice bestimmen die französische Liederlandschaft. Von der alten Garde ist die Sängerin Amel Bent noch aktiv: Sie verbindet sich modern im Duo mit dem verschmitzten Rapper Hatik mit dem Song 1,2,3. Julien Doré ist als Sänger und Schauspieler tätig. Auch Camélia Jordana und die beeindruckende Yseult mischen noch aktiv mit. Der bekannte Pate des Rap, Joey Starr, ist jetzt auch Schauspieler. In den 1990er Jahren wurde er vor allem mit seiner Gruppe Nique Ta Mère bekannt und ebnete zusammen mit dem poetischen MC Solaar den Weg für den französischen Rap, der wichtigsten und populärsten Strömung in der heutigen französischen Musik. Französische zeitgenössische Rapper, die manchmal von einem Vocoder (Sprachmodifikator)

hervorgegangen aus der ehemaligen SpokenWord- und Slam-Szene, ist immer noch aktiv und hatte zusammen mit der Komikerin Camille Lellouche mit dem gefühlvollen Mais je t'aime einen großen Erfolg. Sehen Sie sich auf YouTube die witzige Persiflage zu diesem Lied an: Mais j'te tèj (eine Umschreibung für je te jète: Ich werfe dich raus).

UND SONST: Rapper und Nouvelles Stars

CLARA LUCIANI SOLAAR

MusikfranzösischenderStrömungpopulärstewichtigsteRapFranzösischeristdieundinheutigen

Angèle: Nonante Cinq

Clara Luciani: Coeur

90 FRANKREICH MAGAZIN

Hardy (die ihre Karriere aktiv unterstützt). Doch nach den strengen Pariser Lockdowns konzentriert sie sich nun auf beschwingte Songs, die an die 1980er-Jahre-Disco erinnern, ähnlich wie die Melodien, die Michel Berger für Véronique Sanson und France Gall schrieb. Außerdem lässt sie sich auch gerne von der fröhlichen Musik inspirieren, die Michel Legrand für die verfilmten Musicals von Jacques Demy schrieb.

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Mit Blumenmotiven den Spätsommer feiern

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Alles ist gut gegangen François Ozon (2021) DVD, 114 Min

Henrik BudrichFrankreichUterwedde,-eineLänderkundeVerlag€16,90

Wer meint, ein Titel wie „So Long, Annemarie“ deute auf einen frankophilen Autor, der sich mit dem Werk von Leonard Cohen auskennt, liegt richtig: Andreas Unterweger ist Schriftsteller, Songwriter und Alumnus der Uni Nantes. Als solcher nimmt sich der Österreicher der französischen Kunst an, eine an und für sich schwermütige Geschichte beschwingt zu erzählen: Protagonist Dani sieht während seines Auslandsjahres seine Beziehung in die Brüche gehen. Dabei beobachtet er aus der Ferne, wie in New York die Twin Towers kollabieren. Statt sich den Trümmern seines Lebens hinzugeben, umarmt er eine Gegenwart voller Irrungen und Wirrungen. Stoff für einen unterhaltsamen Roman, der ein Kniefall vor Nantes und der Literatur ist.

Auslese

Ein gesetzlicher Mindestlohn existiert in Frankreich bereits seit 1950. Auch setzt unser Nachbarland konsequent auf Atomstrom. Die etablieren Parteien sind innerhalb einer Generation in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt. Und die Banlieu (also die Vorstädte) sind entsetzlich trostlos. All diese Phänomene haben Henrik Uterwedde dazu bewogen, einen Erklärungsversuch über die Grande Nation zu Papier zu bringen, der nun in aktualisierter Form vorliegt. Das Buch des Wissenschaftlers zeigt ein Land, das trotz vieler Gemeinsamkeiten in so vielen Punkten so anders als Deutschland ist.

94 FRANKREICH MAGAZIN

VON RALF JOHNEN

Andreas Unterweger, So long, Annemarie Droschl € 24

Familiendrama mit Starbesetzung

Emmanuelle (Sophie Marceau) wird ins Krankenhaus gerufen, weil ihr Vater einen Schlaganfall hatte. Fortan ist die Schriftstellerin, die ein erfülltes Privat- und Arbeitsleben führt, auf ungewohnte Weise gefordert: Sie soll den alten Mann, zu dem sie ein ambivalentes Verhältnis hatte, auf dem letzten Lebensabschnitt begleiten. Von diesem Ausgangspunkt startet Emmanuèle Bernheims Bestseller „Alles ist gut gegangen“, den Frankreichs großer Gegenwartsregisseur François Ozon nun verfilmt hat. Daraus entwickelt sich ein vielschichtiges Familiendrama voller Eifersucht, Spott und Missgunst, das einer ordentlichen Prise Humor nicht entbehrt. In Nebenrollen treten Hanna Schygulla und Charlotte Rampling auf.

Auf dem Sofa nach Frankreich reisen

Geheimnisvolle Grande Nation

Französisch beschwingt

Amerikaner in der Stadt des Lichts

Seit Generationen übt Paris eine eigentümliche Faszination auf amerikanische Künstler aus. Von Gertrude Stein über Ezra Pound bis hin zu Hemingway waren es in den Roaring Twenties vor allem Autoren, die der Stadt ihren Stempel aufgedrückt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg indes war es bildenden Künstlern wie Louise Bourgeois, Ellsworth Kelly oder Nancy Spero vorbehalten, das Exil in der Stadt des Lichts neu zu definieren. Dieser neue Band zeichnet ihre Geschichte mithilfe vieler charakteristischer Bilder nach. Americans in Paris – Hirmer Verlag, € 49,90

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In einem Dorf im französischen Jura wird im Jahr 2008 kurz vor den Weihnachtstagen eine Postangestellt brutal mit 28 Messerstichen ermordet. Niemand will das Gewaltverbrechen, das sich real zugetragen hat, beobachtet haben. Bald gerät ein Schauspieler ins Visier der Ermittler, der erst kurz in dem Dorf wohnt. Er scheint der perfekte Sündenbock - doch für seine Schuld finden sich keine Beweise. Sechs Jahre lang hat die Autorin jeden Aspekt der ausgeleuchtet,Geschichte um nun das Porträt eines Dorfes vorzulegen, das sich wie ein Roman liest Er ist keiner von uns Florence Aubenas

DTV € 15,95

96 FRANKREICH MAGAZIN

Ein Dorf sucht seinen Mörder

Charme und Chanel

32

DVD, 96 Minuten

Der Goldene Löwe bei den 78. Internationalen Filmfestspielen von Venedig ist 2021 an einen Film aus Frankreich gegangen. Gegenstand von „Das Ereignis“ ist die mitreißende Geschichte der jungen Anne, die sich im Frankreich der frühen 60er Jahre auf ein freies Leben freut. Doch als sie ihr Studium aufnimmt, wird sie ungewollt schwanger. Da der vorzeitige Abbruch strafbar ist, muss Anne den Kampf für ihr Recht auf Selbstbestimmung im Alleingang aufnehmen. Die preisgekrönte Literaturverfilmung von Annie Ernaux liegt nun als DVD vor.

Das Regie:EreignisAudrey Diwan

Philosoph festim Sattel

Gaspard Kœnig ist Philosoph und als solcher ein leidenschaftlicher Adept von Michel de Montaigne. Als er sich vor nicht allzu langer Zeit im Rahmen einer Studie über den Straßenverkehr der Zukunft nach der Rolle des Pferdes erkundigt, lautet die lapidare Antwort, dass dieses darin nicht vorkomme. Statt sich seiner Enttäuschung hinzugeben, packt den Autor jedoch der Ehrgeiz, das Gegenteil zu beweisen. Also rüstet er seine spanische Sture für eine lange Reise durch Europa, die das Gespann aus Denker und Lastentier auf die Spuren von Montaigne führt, der seine Eindrücke von einem ähnlichen Parcours 1580/81 in einem immer noch gelesenen Reisetagebuch festgehalten hat. Ein schrulliges Vergnügen, das aus der Zeit gefallen scheint. Mit Montaigne auf Reisen Gaspard Kœnig Galiani €

Ein zeitloser Kampf

Mit viel Charme und ein paar Tropfen Chanel No. 5 sichert sich der junge Claude die Gunst von Dominique. Bald zieht das Paar aus der bretonischen Provinz nach Paris, wo es Tochter Épicène bekommt. Plötzlich nun scheint Claude wie ausgewechselt - mit der Folge, dass das junge Mädchen ohne die Liebe ihres Vaters auskommen muss. Diese pikante Ausgangssituation nutzt Erfolgsautorin Amélie Nothomb (*1967) für einen temporeichen (und zugleich sehr kurzen) Roman, welcher der Pariser Gesellschaft der 1970er Jahre bis zur wenig ambivalenten Auflösung gekonnt auf den Zahn fühlt. Amélie DiogenesAmbivalenzNothomb€20

Auslese

Eine Romanze im Krieg

Frankreich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs: Lisa ist als Ausländerin im Süden des Landes interniert. Kurz bevor die Deutschen den Landstrich einnehmen, gelingt ihr die Flucht. Bei dem Versuch gemeinsam mit ihrem Mann an ein Ausreise-Visum zu gelangen, lernt sie den Amerikaner Louis kennen. Sie verliebt sich Hals über Kopf. Bald darauf erhält sie den Auftrag, in den Pyrenäen eine Fluchtroute für deutsche Exilanten zu finden. Plötzlich muss sie sich entscheiden, ob sie sich Liebe und Geborgenheit oder der guten Sache hingibt. Ein Plot, der gewisse Ähnlichkeiten zum Evergreen „Casablanca“ birgt und den die Literatur wissenschaftlerin Tania Schlee, die hier unter frankophonem Pseudonym arbeitet, vor allem zur Schaffung einer starken Frauenfigur nutzt. Die RuettenCarolineWagemutigeBernard&Loening,

€ 18 FRANKREICH MAGAZIN 97

Nicht viele Frauen sind im 18. Jh. als erfolgreiche Unternehmerinnen in Erscheinung getreten. Nicole Clicquot-Ponsardin (1877-1866) allerdings hat sich dieser Herausforderung gestellt, nachdem ihr Gemahl bereits sechs Jahre nach der Hochzeit verstorben war. Dabei übernahm die Tochter des Bürgermeisters von Rennes die Verantwortung über ein ChampagnerHaus, das sie dank richtiger Entscheidungen an die Spitze geführt hat. Ihr bewegtes Leben zeichnet Marie-Luise Wolff (*1958) in Form eines faktenbasierten Romans nach, in dem ihr eigener unternehmerischer Hintergrund gelegentlich durchklingt. Die

Die Witwe von Cliquot

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FOTO Wardenbach, Ralf Sander Buningh Afman, Hans Avontuur, Serena Caruso, Christine Cazon, Amélie Dufour, Mirjam Enzerink, Eugenie Goldschmeding, Jessica De Korte, Malou Lammertse, Mick Palarczyk, Paul Smit, Fabian Takx, Chantal van Wees, Anja Winter.

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