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Der Zahn der Zeit

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Jennersdorf

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Altersbestimmung beim Rotwild mittels Zahnschliff

Nach stundenlangem Ansitzen ist es endlich soweit und ein passender Hirsch konnte erlegt werden, Waidmannsheil! Aber wurde er wirklich richtig angesprochen? Ein Blick in den Äser wirft oft Zweifel auf und führt nicht selten zu Streitereien. Die Altersansprache beim Rotwild nur anhand von äußerlichen Körpermerkmalen ist eine sehr heikle Angelegenheit und führt oft zu Fehlern. Dass mehrere Faktoren wie Körpergröße- und bau, Körperhaltung, Verhalten, Geweih etc. zu beachten sind, ist seit langem kein Geheimnis. Diese unter Zeitdruck, schlechtem Licht oder Wetter und mangelnder Erfahrung richtig zuzuordnen, ist vor allem für diejenigen, die nicht so viel Zeit im Revier verbringen, oft eine unmögliche Aufgabe. Aufgrund bestimmter anatomischer und entwicklungsphysiologischer Eigenschaften sind die Zähne für eine genaue Altersbestimmung am besten geeignet. Bei der Geburt sind beim Rotwildkalb im Unterkiefer alle Schneidezähne sowie der Eckzahn vorhanden. Die Prämolaren im Ober- und Unterkiefer sowie die Grandeln ragen mit der Spitze aus dem Zahnfleisch. Im zweiten Lebensmonat ist das Milchgebiss vollständig entwickelt. Im vierten Lebensmonat wächst der M1 als Dauerzahn. Nach einer mehrmonatigen Pause wächst der M2 als Dauerzahn in der Zeit vom elften bis zwölften Lebensmonat. Zwischen dem 14. und 19. Lebensmonat werden die Schneidezähne und die Eckzähne des Milchgebisses gewechselt. Im 21. Lebensmonat wächst der M3 als Dauerzahn heraus. Zwischen dem 24. und 25. Lebensmonat werden als letzte die Prämolare des Milchgebisses durch die Dauerzähne ersetzt. Altersbestimmungsmethoden, die auf der Untersuchung von den Zahnmerkmalen, vor allem im Unterkiefer, aufbauen, wurden schon im Jahr 1903 von

Hohes Alter, Kieferfehlstellungen sowie Knochenabbau durch Entzündungen erschweren das Bestimmen von dem genauen Alter anhand von der Zahnabnutzung, hier ist mit diesem Verfahren nur eine Schätzung möglich. Die Zahnzementmethode liefert dagegen genaue Ergebnisse. NEHRING publiziert. Damals hat man sich nur auf den Abnutzungsgrad der Zähne konzentriert. Diese Methode wurde vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) im Auftrag des Niederösterreichischem Landesjagdverband und der Kärntner Jägerschaft überarbeitet und ist heute in der Praxis die am häufigsten verwendete. Die Bewertungskriterien wurden dafür anhand exakter Altersbestimmungen neu bewertet. Es wurde ein Computerprogramm entwickelt, das eine korrekte Bestimmung der Altersklasse alleine durch Bewertung der Zahnabnutzung bei bis 95 Prozent der Fälle erreicht. Die exakte Altersbestimmung erfolgt mittels der Zementzonenanalyse nach MITCHELL. Dieses Verfahren ist jedoch viel aufwändiger und wird in der Regel nur bei strittigen Fällen angewendet. Die Methode basiert auf der Analyse von dem Zahnzement, der während des ganzen Lebens zwischen den Zahnwurzeln abgelagert wird. Durch diese Ablagerung wird der Zahn aus dem Zahnfächer gehoben und so die Abnutzung an der Krone kompensiert. Die Ablagerung erfolgt im Winter, wenn das Rotwild die Stoffwechselaktivität stark absenkt, viel langsamer als im Sommer. Im Sommer entstehen weniger dichte Linien, die im dünnen Schnitt heller und breiter erscheinen. Die dichteren Winterlinien erscheinen dagegen dunkel und schmal. Für die Herstellung der für die Altersbestimmung geeigneten Zahnschnitte, auch Zahnschliff genannt, wird i.d.R. der 1. Molar (M1) verwendet, da dieser Backenzahn schon im Alter von 4 Monaten als erster Dauerzahn wächst. © Alle Fotos: Forschungsinstitut für Wildtierkunde/Wien

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Die Zahnzementzonen hier als breite weiße Linien zu sehen. Es kommt oft zu einer seitlichen Verschiebung vom Zahnzement weshalb die maximale Anzahl der Linien nicht immer in der Mitte vom Schnitt zu sehen ist. In dieser Situation gilt: mehr hilft mehr! Mehrere Schnittflächen bringen Klarheit und das exakte Alter kann festgestellt werden. Der M1 ist hier in dem blauen Rahmen zu sehen. Die rote Linie repräsentiert die Schnittebene.

Der M1 wird dabei zuerst mit einer Knochensäge aus dem Unterkiefer herausgeschnitten und im nächsten Schritt auf einem Alublock mittels Thermokleber eingebettet. Die Schnittebene verläuft längs und der erste Schnitt wird an dem äußeren Kauranddentin angesetzt. Die Schnitte werden mittels einer 0,4 mm starken Diamattrennscheibe auf einer Trennschleifmaschine unter Wasserkühlung angefertigt. Die Dünnschnitte sind zwischen 0,1 und 0,5mm stark. Die Auswertung erfolgt in einem vier Augen Prinzip unter einem Binokular. Dabei werden verschieden Lichtfilter verwendet, um die Linien möglichst gut sichtbar zu machen. Die Vorbereitung der Schnitte ist überall mehr oder weniger gleich, bei der Auswertung dagegen gibt es jedoch immer wieder Diskussionen darüber, ob die Anzahl der sichtbaren Linien tatsächlich dem exakten Alter entspricht, oder ob man eine Fehlertoleranz von plus oder minus einem Jahr zugestehen muss. Schon MITCHELL wies darauf hin, dass die Anzahl der Sommerlinien dem tatsächlichen Alter entspricht, wenn die erste Sommerlinie erkennbar ist. Diese

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Sommerlinie ist oft sehr filigran und dadurch flächenmäßig nicht so weit um die Zahnwurzeln verbreitet wie die drauf folgende Linien. Wenn für die Untersuchung nur 1 oder wenige Schnitte gemacht werden ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese oder eine andere Linie verfehlt wird relativ hoch. Zudem kann es passieren, dass eine Linie auf einem der Schnitte gesplittert ist und als zwei gewertet wird. Um solche Fehler möglichst auszuschließen, werden bei uns am FIWI seit langem in jedem Fall immer sechs Schnitte angefertigt. Damit stehen uns je Zahn 12 Seiten für die Auswertung zur Verfügung. Auch wenn es einen höheren Aufwand bedeutet, erlaubt uns diese Vorgehensweise die Altersbestimmung nach der Anzahl der sichtbaren Sommerlinien ohne Fehler zu machen. Um diese wissenschaftlich zu untermauern haben wir bei 29 geschnittenen M1 simuliert, zu welchem Ergebnis man kommt, wenn man nur eine, zwei, oder bis zu 12 Schnittflächen beurteilt. Für die statistische Auswertung haben wir aus jedem von 29 Kiefer 1 Schnittfläche per Zufallsprinzip ausgewertet. Im nächsten Schritt wurden jeweils zwei Schnittflächen gewählt und ausgewertet, dann drei Schnittflächen und so weiter. Diese zufällige Auswahl wurde 1000 Mal wiederholt. Die Ergebnisse zeigten uns, dass mit nur einem Schnitt das tatsächliche Alter stets unterschätzt wurde. Erst mit mindestens 5 Schnitten (unser Standardverfahren sind 6 Schnitte) wird die maximale Anzahl der Sommerlinien festgestellt. Mit diesem, am FIWI routinemäßig praktizierten Verfahren, wird die Unsicherheit bei der Altersbestimmung beseitigt und damit ein wichtiger Beitrag zur Klärung strittiger Fälle geleistet. •

KONTAKT

Aldin Selimovic, MSc Angewandte Ökologie Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie Department für Interdisziplinäre Lebenswissenschaften Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) Savoyenstrasse 1, 1160 Wien

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