Magazin der CVP Schweiz, Dezember 2011

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Magazin fĂźr Meinungsbildung. Ausgabe 8 / Dezember 2011/Januar 2012 / CHF 7.80

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www.die-politik.ch


inhalt

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Danke Potlatch Bürgersinn einschenken FrieDen grosse kisten konkorDanz Forschungsgeschenk

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21 Val sumVitg

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ErkEnntnis vom stammtisch

« …nur öbbis chlyses das Johr…» impressum

Herausgeber Verein DIE POLITIK redaktionsadresse DIE POLITIK, Postfach 5835, 3001 Bern, Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail binder@cvp.ch, www.die-politik.ch redaktion Marianne Binder, Jacques Neirynck, Gerhard Pfister, Yvette Ming, Lilly Toriola, Simone Hähni, Barbara Christen gestaltungskonzept, illustrationen und layout Brenneisen Communications, Basel druck Schwabe AG, Muttenz inserate und abonnements Tel. 031 357 33 33, Fax 031 352 24 30, E-Mail abo@die-politik.ch, Jahresabo CHF 52.–, Gönnerabo CHF 80.– näcHste ausgabe Februar 2012 titelbild: ©iStockphoto.com/zhev


ediTOrial – Marianne Binder, Chefredaktorin

«ich Fürchte Die griechen… …auch wenn sie Geschenke bringen», warnte Laokoon seine trojanischen Mitbürger. Nach zehn Jahren Krieg um Troja zogen die griechischen Belagerer ab und stellten als Abschiedsgabe ein hölzernes Pferd vor die Tore der Stadt. In seinem Rumpf versteckt bewaffnete Kämpfer. Laokoon ahnte den Betrug, doch sein Misstrauen wurde dem Priester zum Verhängnis. Es erschienen Schlangen aus dem Meer und erwürgten ihn samt seinen Söhnen. Die Trojaner werteten die Schreckensszene als Anweisung der Götter, die Feindschaft gegenüber den Griechen zu beenden. Sie zogen das fatale Geschenk in die Stadt, und Troja ging unter. Unterdessen birgt auch die europäische Festung ihr Danaergeschenk. Griechenland steht vor dem Ruin und stürzt die ganze EU in eine Schuldenkrise. Pikant: Noch mehr Furcht als vor den Griechen hat man in der EU nur noch vor Volksabstimmungen. Ausgerechnet in der Wiege der Demokratie. Damit will ich die Verdienste der Europäischen Union nicht schmälern, beispielsweise die grosse Friedensleistung unter ehemals verfeindeten Völkern, doch im Umgang mit Demokratie und Volkswillen könnte sie von der Schweiz einiges lernen. Unsere Prozesse mögen zwar langsam sein, doch sie sind nachhaltig, und der Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern definiert die Arbeit von Regierung und Parlament. Die Analyse der Abstimmungen zeigt: auch mit Recht. Wenn man bedenkt, dass über 80 Prozent aller Volksentscheide im Sinne einer pragmatischen lösungsorientierten Mittepolitik gefällt werden, kann man wohl kaum über die Empfänglichkeit des Souveräns für Populisten jammern. Wir haben eben ein Volksverdikt hinter uns und es wurden Geschenke gemacht, leider nicht uns, sondern vor allem zwei neuen Parteien. Das ist zwar schmerzlich für das – ausschliesslich – nicht prämierte bisherige politische Establishment, doch auch ein Fingerzeig. Man muss parteiintern über die Bücher. Verpackung, Inhalt und Wert zur Diskussion stellen. Die Ausrichtung, die Perspektiven bestimmen. In der CVP ist eine ausführliche Auswertung Ende Januar zu erwarten. Mit unserem Magazin, das wir Geschenken widmen, verbinden wir die Hoffnung, sie mögen auch gehaltvoll sein. Wir wünschen Ihnen von Herzen schöne Weihnachten, bedanken uns einmal mehr dafür, dass wir Sie zu unseren Leserinnen und Lesern zählen dürfen und liefern einen kleinen Tipp zu Weihnachten: Man kann DIE POLITIK auch verschenken (E-Mail an abo@die-politik.ch).

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Christophe Darbellay, Parteipräsident CVP Schweiz

Danke! Weit über 300 000 Bürgerinnen und Bürger haben uns im Herbst ihre Stimme gegeben und uns damit ihr Vertrauen ausgesprochen. Tausende Wahlhelfer waren wochenlang landauf, landab auf der Strasse, an Festen und Anlässen im Einsatz, fast 400 Kandidatinnen und Kandidaten haben unserer Partei ein Gesicht gegeben und unsere Botschaft ins Land getragen. Ihnen allen ein herzliches Dankeschön! Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen ist die schönste Motivation, um in der kommenden Legislatur alles zu geben, damit die Schweiz auch in Zukunft ein Erfolgsmodell bleibt. Es gibt viel zu tun! Ich freue mich, dass wir die anstehenden Herausforderungen mit einer starken Fraktion angehen können. Und ganz besonders freue ich mich darüber, dass ich nicht mehr der Jüngste in der Fraktion bin. Wir haben nicht weniger als drei CVP-ler gewählt, die unter 35 Jahre alt sind. Bei den Wahlen 2011 wurden die politische Mitte, die konsensorientierten Kräfte gestärkt, die Pole gingen als Verlierer aus den Wahlen hervor. Diese Absage an Links und Rechts, dieses Bekenntnis zur einer selbstbewussten Schweiz, welche sich nicht vor grossen Aufgaben scheut und bereit ist Probleme zu lösen, ist unser Auftrag. Die Fraktion wird in der kommenden Legislatur alles daran setzen, unsere Ziele zu erreichen. Wir wollen mittelständische Familien weiter entlasten, wir werden weiterhin für gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen 4

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und damit für sichere Jobs kämpfen, und wir werden alles daran setzen, dass unsere Kinder in einer lebenswerten Umwelt aufwachsen können. Die nächste AHV-Revision steht an, es muss etwas gegen die hohe Prämienlast bei den Krankenkassen unternommen werden und wir wollen eine sichere Energieversorgung ohne Kernkraft. Vor vier Jahren haben wir viele Versprechen abgegeben – praktisch alle konnten wir in der vergangenen Legislatur einlösen. Auch bezüglich der Versprechungen für die neue Legislatur bin ich mir sicher, dass wir Anfang 2015 wieder eine sehr gute Bilanz präsentieren können. Wir haben gezeigt wie es geht! Die politische Mitte ist heute wieder stärker, und das Original in der Mitte heisst nach wie vor: CVp. ■


Gerhard Pfister, Nationalrat, Leiter des Wahlteams 2011 der CVP Schweiz

Wahlen 2011: eine erste analyse Die Wahlen 2011 sind vorbei. Die Bundesratswahlen stehen bevor. In dieser Zwischenzeit erlaube ich mir einen vorläufigen Rückblick auf die Wahlen aus der Sicht der CVP. Vorläufig deshalb, weil der Wahlausschuss sich Zeit nehmen will, um bis Ende Januar 2012 eine gründliche Analyse und Empfehlungen für den kommenden Wahlkampf in einem Schlussbericht zusammen zu fassen. Auffallend ist, dass die CVP bei den prozentualen Anteilen an Wählerschaft auf einem historischen Tief gelandet ist. Die Sitzverluste im Nationalrat sind aber weniger massiv als die der FDP, der SVP und der Grünen, die alle ebenfalls Wähleranteile verloren. Die SP gewann sogar Sitze, obwohl auch sie Verluste bei den Wähleranteilen hinnehmen musste. Grosse Gewinner der Wahlen sind die BDP und die glp. Beide Parteien konnten in den letzten vier Jahren auf Geburtshilfe der CVP zurück greifen: die Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf führte zur Gründung der BDP, die Fraktionsgemeinschaft der CVP mit der glp unterstützte die kleine Partei ohne Fraktionsstärke in finanzieller, personeller und inhaltlicher Sicht. Erste Analysen zeigen, dass die CVP zwar wenig Wählerinnen und Wähler an andere Parteien verlor, aber eben auch praktisch keine Neuwähler gewinnen konnte, und es wiederum nicht schaffte, ähnlich gut zu mobilisieren wie die erfolgreichere Konkurrenz. In der Mitte wird der Kuchen nicht grösser, und die neuen Parteien profilieren sich vor allem dadurch, dass sie auch in der Mitte zu sein behaupten, aber eben – im Gegensatz zur CVP – «neu» sind. Nur so kann man erklären, warum die glp erfolgreich ist ohne Parteiprogramm und die BDP nur mit dem «Programm», dass man Eveline WidmerSchlumpf wieder wählen sollte. Die Wahlkampfleitung der CVP fokussierte sich darauf, dass wir im Ständerat die dominante Gruppe bleiben, und im Nationalrat – teilweise mit Listenverbindungen – in vier Kantonen Sitze zu gewinnen: Jura, Obwalden, St.Gallen und Basel-Stadt. Das ist überall gelungen. Das Risiko eines Sitzverlusts sahen wir in Zürich, Aargau und Wallis. Negative Überraschungen waren der Verlust des Sitzes in Bern und der zweite Sitzverlust im Aargau. Sorgen muss uns die Tatsache bereiten, dass wir in den bevölkerungsreichsten vier Kantonen der Schweiz (Zürich, Bern, Aargau, Waadt) teilweise eingebrochen sind, mehr als einen Drittel bis zur Hälfte der Wählerschaft verloren haben. Das

wirkt sich dann eben besonders stark beim schweizerischen prozentualen Wähleranteil aus. In diesen vier Kantonen sind 93 Nationalrats- und 8 Ständeratssitze zu besetzen. Von diesen 101 Mandaten hält die CVP noch 4. In den sogenannten «Stammlanden» der CVP konnten wir unsere Sitze recht gut halten, in der ganzen Zentralschweiz ging kein Sitz verloren. Die CVP bietet nach den Wahlen – etwas pointiert ausgedrückt – das Bild einer «Sonderbunds»Partei (selbsverständlich mit Appenzell Innerrhoden), mit vereinzelten Mandaten in der Diaspora. Das kann uns nicht gefallen. Ohne schon zu wissen wie, scheint mir klar, dass wir strukturell, personell und inhaltlich die Kantone unterstützen müssen, wo die CVP keine starke Position hat oder schon fast gar nicht mehr existiert. Erste Debriefing-Anlässe haben stattgefunden. Besonders die Lancierung der CVP-Familieninitiativen wurde dabei grösstenteils als sehr gutes Mobilisierungsinstrument beurteilt, das unsere Kandidierenden «auf die Strasse» brachte, in direkten Kontakt mit der Bevölkerung. Das hat gut funktioniert. Allerdings steht uns hier noch ein grosses Stück Arbeit bevor, bis wir zweimal 100 000 Unterschriften beisammen haben! Wollen wir die Wahlen 2015 erfolgreich gestalten, muss man mit deren Vorbereitung bereits im kommenden Jahr beginnen. Nur wenn dafür personelle und finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden, kann die CVP ihre immer noch führende Position in der Mitte halten oder ausbauen. Ein strategischer Ausschuss müsste alle kantonalen Wahlen begleiten, analysieren und wenn nötig unterstützen. Zugleich wäre es dessen Aufgabe, die CVP so vorzubereiten, dass im Jahre 2015 eine kraftvolle Kampagne, eine klare Strategie, ehrgeizige Ziele und geeignete Massnahmen rechtzeitig geplant und umgesetzt werden können. Niederlagen sind vor allem Gelegenheiten, etwas zu lernen und es das nächste Mal besser zu machen. Wer macht mit? ■ Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Heinzpeter Znoj, Institut für Sozialanthropologie, Universität Bern

moDerne geschenke unD archaische gaBen

Das Annehmen und Überreichen von Geschenken ist eine rituelle Form des Austausches, die an vorgeldwirtschaftliche Praktiken des Gabentausches erinnert. Doch wie ähnlich sind sich «Gaben» und «Geschenke» wirklich? Sind unsere Geschenke eine «archaische» oder eine moderne Praxis?

ben eine gesellschaftliche Funktion. Sie bestätigen Allianzen, markieren den Status von Gebern und Empfängern und stiften Frieden in Gesellschaften, in denen kein Staat existiert und wo Kriege deshalb nur innerhalb von Bündnissen dauerhaft verhindert werden können. Neben dem rituellen Austausch von Gaben existiert in solchen Gesellschaften in geringem Umfang auch ökonomisch motivierter Austausch, in dem nicht die soziale Beziehung unter den Tauschpartnern, sondern der Nutzen der getauschten Güter im Vordergrund steht.

Der amerikanische Anthropologe Franz Boas beschrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts wie die Chiefs des Kwakiutl-Volkes in British Columbia sich mit masslosen Gaben an ihre Gäste gegenseitig zu überbieten versuchten. Sie überreichten ihnen mehr Kanus, Wolldecken, Nähmaschinen und Grammophone als sie selbst bei früheren Gelegenheiten von ihnen erhalten hatten. Die Potlatch-Gabenfeste wurden anlässlich von Titelverleihungen ausgerichtet. Die neuen Träger besonders bedeutender Titel zerstörten manchmal einen Teil der bereitgestellten Gaben, um den Gästen zu demonstrieren, dass sie zu unbedeutend und schwach seien, ihre Gaben zu empfangen.

Auch unsere Geschenke haben primär eine soziale Bedeutung. Wir beschenken uns im Allgemeinen innerhalb von Familie und Verwandtschaft und bekräftigen so unsere engsten Beziehungen auf rituelle Weise. Auch ausgewählte Freundinnen und Freunde und Arbeitskolleginnen und -kollegen beschenken wir rituell an Geburts- und Jahrestagen, um emotionale Verbundenheit auszudrücken. Doch die Art der Beziehung, welche Gaben und Geschenke ausdrücken sind unterschiedlich: Gaben repräsentieren politische und diplomatische und in jedem Fall öffentliche Beziehungen, während Geschenke intime und affektive Beziehungen ausdrücken, die meist auf den privaten Bereich beschränkt bleiben.

Bronislaw Malinowski, ein polnisch-britischer Anthropologe entdeckte zur selben Zeit während seiner jahrelangen Feldforschung auf den Trobriand-Inseln in Papua-Neuguinea, dass die dortigen Big Men miteinander einen komplizierten Gabentausch (Kula) unterhielten. Sie bildeten jeweils lebenslange Tauschpartnerschaften mit mehreren andern Big Men, die wiederum weitere Tauschpartner hatten. Sie erhielten von den einen Muschelketten, von den anderen Armreifen. Die erhaltenen Muschelketten erwiderten sie mit Gaben von Armreifen und umgekehrt, so dass Armreifen und Muschelketten unter ihnen immer weiter zirkulierten.

Gesellschaftliche Funktion In beiden Fällen, so analysierte später Marcel Mauss in seinem berühmten Werk über die archaische Gabe, erfüllen die Ga6

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Gaben erwidern Ein bedeutender Unterschied besteht auch darin, dass wir erhaltene Geschenke behalten dürfen und auch müssen, während erhaltene Potlatch- und Kula-Gaben weitergegeben werden können oder auch müssen. Ein trobriandischer Big Man muss jede im Kula erhaltene Halskette an einen seiner Tauschpartner weitergeben – allerdings nicht zu rasch, um den Geber nicht zu beleidigen, und auch nicht zu spät, um den Empfänger nicht zu verärgern. Es braucht hier ein spezifisches Taktgefühl, das uns auch aus der Geschenkpraxis nicht fremd ist: ein spontan erhaltenes Geschenk darf man nicht sofort erwidern, aber man sollte auch nicht zu lange mit einem Gegengeschenk warten. Ganz anders beim Kaufen und Verkaufen: je rascher Käufer und Verkäufer quitt sind, desto besser. Bei Gaben und Geschenken eilt die Erwiderung deshalb nicht, weil es darum


geht, Grosszügigkeit zu demonstrieren. Dazu gehört auch, offene «Schulden» aushalten zu können und deshalb auch keinesfalls Geschenk und Gegengeschenk genau gegeneinander aufzurechnen. Interessant sind schliesslich auch noch die unterschiedlichen Techniken der Übergabe von Gaben und Geschenken. Malinowski beschrieb die Art, wie Halsketten und Armreifen im Kula gegeben wurden wie folgt: «Die Gabe wird prahlerisch und in der Öffentlichkeit übergeben. Der Ausdruck der Eingeborenen, eine Wertsache zu ‹werfen›, beschreibt das Wesen dieser Handlung zutreffend. Denn obwohl der Wertgegenstand vom Gebenden ausgehändigt werden muss, nimmt der Empfänger kaum Notiz von ihm und erhält ihn selten tatsächlich in die Hand. Die Etikette der Transaktion erfordert, dass die Gabe in einer spontanen, schroffen, fast ärgerlichen Weise übergeben und mit entsprechender Gleichgültigkeit und Geringschätzung empfangen werden soll.» Ähnlich beschreibt Boas die Begleitumstände bei der Überreichung von Gaben im Potlatch: Sowohl Geber als auch Empfänger führen auftrumpfende Reden und lassen die Gaben selbst, so aufwändig sie auch sein mögen, als nebensächlich erscheinen. Für eine Kulaoder Potlatch-Gabe würde man sich niemals bedanken.

Geschenk gleich Beziehung Unsere Geschenke werden dagegen meist von Hand zu Hand überreicht und der oder die Beschenkte muss sich sogleich freudig überrascht bedanken. Geschenke werden sorgfältig

verpackt, um einen zweiten Überraschungseffekt beim Auspackenden zu erzielen. Ein Geschenk muss zum Beschenkten passen – und es muss die Beziehung zwischen Schenkendem und Beschenktem angemessen ausdrücken: es soll weder zu billig noch zu teuer sein; es soll eine Eltern-Kind-Beziehung, eine zwischen Liebenden oder eine zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer symbolisch bezeichnen. Geldgeschenke haben deshalb immer etwas Anrüchiges: Geld ist unpersönlich und man bewahrt auch geschenktes Geld nicht ein Leben lang auf. Gewöhnlich gibt man Geld daher mit der Aufforderung an den Beschenkten, sich etwas Schönes dafür zu kaufen, oder in Form von Gutscheinen für Bücher, Kleider oder Kinobesuche. Geschenke richtig zu machen und zu empfangen erfordert somit eine hohe soziale Kompetenz und jenes Taktgefühl, das das Befolgen einer Regel zugleich als äusserste Spontaneität erscheinen lässt. Unsere Geschenke teilen somit mit archaischen Gaben die beziehungsstiftende und bestätigende Eigenschaft, jedoch auf einer weit weniger öffentlichen und politischen Ebene, nämlich im privaten Bereich. Anders als «archaische» Gaben müssen sie zum Empfänger «passen» und von diesem behalten werden und sind somit letztlich Ausdruck unserer individualistischen Gesellschaft. Tatsächlich kommen Geschenke, wie wir sie kennen, in traditionellen Gesellschaften nicht vor. Als nicht-ökonomischer ritueller Austausch symbolisieren sie jene Beziehungen, in welche die Zweckrationalität der Geldwirtschaft nicht vordringen darf. ■ Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Die politische wunschliste der neugewählten CVPler

iSiDoR Baumann Ständerat UR «Als Beschenkter mit der Wahl in den Ständerat bin ich gerne bereit, Geschen­ ke zu versprechen – zum verteilen ist es jedoch zu früh. Gerne bemühe ich mich, die Erwartungen als Urner Ständever­ treter zu erfüllen. Darunter verstehe ich die Themen und Herausforderungen der anstehenden Legislatur in Familien­, Energie­, Verkehrs­, Landwirtschaftspo­ litik usw. nicht zu zerreden und nicht nur über die Verpackung – tönt gut, sieht gut aus – zu diskutieren, sondern mit Inhalt und Nutzen einer wirksamen Um­ setzung zuzuführen. Damit Ende Legis­ latur nicht ein Geschenk, sondern ein Geschenkkorb entstanden ist.»

ChRiSTine BulliaRD-maRBaCh Nationalrätin FR «Das schweizerische Bildungssystem mit Studium und Berufslehre hat sich be­ währt. Ausbildungswege sollen so ausge­ staltet werden, dass Studenten und Ler­ nende in allen Kantonen von einer besseren Sprachkompetenz, einer breite­ ren Berufserfahrung und einem ganz­ heitlichen Wirtschafts­ und Kulturver­ ständnis profitieren können, zum Beispiel durch Sprach­ und Auslandauf­ enthalte während der Lehrzeit. Damit könnten wir dem berechtigten Anliegen unserer Wirtschaft nach gut ausgebilde­ ten Fachkräften mittel­ und langfristig noch besser entsprechen.»

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YanniCk BuTTeT Nationalrat VS «Le cadeau politique qui me plairait: replacer l’intérêt des citoyennes et des citoyens au centre des préoccupations des élus. Le monde politique, suite à la pola­ risation que nous vivons actuellement, se coupe de plus en plus des vraies pro­ blématiques et défis. Gagner des voix et des sièges devient plus important que de régler les problèmes et apporter des idées. Je souhaite que cela change!»

maRTin CanDinaS Nationalrat GR «Ich wünsche mir für die kommende Legislatur eine lösungsorientierte Politik. Das Volk erwartet von uns nicht, dass wir Probleme bewirtschaften, sondern Her­ ausforderungen annehmen und lösen. Als junger Familienvater wünsche ich mir bessere Rahmenbedingungen für die Familien und als Bewohner eines Berg­ kantons mehr Gehör für die Anliegen der Bergregionen. Gute Luft und schöne Berge sind schön, nur kann man davon alleine leider nicht leben.»

Bis Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, wer den zweiten Tessiner-CVP-Sitz holt.

STefan engleR Ständerat GR «Ich habe zwei Wünsche fürs 2012. Persönlich, dass ich mich rasch vertraut mache mit den Regeln und Gewohnhei­ ten des Parlamentsbetriebs. Für die CVP: dass sie den Zaubertrank findet, um wieder eine Gewinnerpartei zu werden.»

Daniel fäSSleR Nationalrat AI «Für mich als regierenden Landammann und Nationalrat des Kantons Appenzell I.Rh. liegt der Wunsch auf der Hand: Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein wichtiger Pfeiler unseres Bundesstaates, vielleicht gar die Basis für den Erfolg des Modells Schweiz. Für die kommende Legislatur soll dieses für den Fortbestand des Föderalismus wichtigste Prinzip wieder stärker Beachtung findet.»


aloiS gmüR Nationalrat SZ «Mein Wunsch: Die Abschaffung der Krankenkassenprämien für Kinder.»

Jean-Paul gSChw inD Nationalrat JU «J’ose espérer que ma modeste contribu­ tion permettra à notre parti de progres­ ser sur l’échiquier politique du centre en faisant prévaloir des solutions qui amé­ liorent le bien­être de la population suisse, en général et jurassienne, en particulier, dans les domaines qui me tiennent à cœur: la famille, l’économie et l’agri­ culture. Je souhaite rester un homme po­ litique de proximité, franc et généreux, abordable et à l’écoute de la base. J'espère gagner la confiance et l’estime de mes collègues parlementaires fédéraux. A tra­ vers le dialogue et la persuasion, j’espère que mon action politique, sous la Cou­ pole fédérale, aura des retombées béné­ fiques pour le Jura historique.»

maRkuS lehmann Nationalrat BS «Ich wünsche mir den Erhalt des sozialen Friedens in den drohenden wirtschaftlich schweren Zeiten, die auf uns zukommen werden. Ich wünsche uns Selbstvertrauen in der Aussenpolitik und Mut, unsere Stärken, unsere politische und wirt­ schaftliche Stabilität gegen innen und gegen aussen zu verteidigen.»

ChRiSTian lohR Nationalrat TG «Fairness für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft bedeutet gerechte Lösungen für die Wirtschaft, aber auch für sozialpolitische Herausforderungen anzustreben. Der authentische Einsatz hierfür stärkt die politische Glaubwür­ digkeit. An der inneren Grundhaltung müssen wir immer wieder arbeiten und sie weiterentwickeln.»

leo mülleR Nationalrat LU «Die konstruktiven politischen Kräfte in diesem Land sollen die Mehrheit bilden und die Bedingungen in unserem Land so gestalten können, dass sich die Bevöl­ kerung wohl fühlt sowie sich wirtschaft­ lich und sozial sicher fühlen kann.»

STefan mülleR-alTeRmaTT Nationalrat SO «Ich wünsche mir, dass in Bundesbern die kompromissbereiten Lösungspolitiker die Oberhand gewinnen. Unser Land, welches über leistungsfähige Sozialwerke, gute Infrastrukturen und wirtschaftliche Stärke verfügt, darf diese Errungen­ schaften nicht durch parteipolitische Blockaden gefährden.»

faBio Regazzi Nationalrat TI «Cette année, j’ai été bien sage, j’ai bien travaillé puisque j’ai été élu au Conseil na­ tional, si bien que j’aimerais bien retrou­ ver sous le sapin un tuyau! Oui, un grand et long tube à ajouter à celui qui existe déjà sous le Gothard. 10 ans après le tragique accident qui a causé le décès de 11 per­ sonnes, une amélioration efficace de la sé­ curité sous le Gothard reste toujours blo­ quée sur le plan politique. Et en plus des énormes préjudices économiques pour le canton du Tessin, la fermeture totale du tunnel annoncée pour 2020 et devant du­ rer 900 jours frapperait massivement toute l’économie suisse.»

maRkuS RiTTeR Nationalrat SG «Ich wünsche mir, dass das Parlament in den kommenden vier Jahren in der Lage ist, für die anstehenden Aufgaben unseres Landes in einem konstruktiven Dialog Lösungen zu erarbeiten. Ideologische Scheuklappen sollen dabei zu Gunsten des Wohles unserer Bevölkerung bewusst zur Seite gelegt werden.»

k aRl VogleR Nationalrat OW «Ich wünsche mir das Besinnen der Politik auf Grundprinzipien, welche die Schweiz stark gemacht haben, nämlich: Gemeinsinn, Leistungsbereitschaft, Ausgleich, Bescheidenheit und Zurück­ haltung. Und eine selbstbewusste politi­ sche Mitte, welche durch ihr Handeln beweist, dass sie die Stärken der Schweiz glaubwürdig vertritt.» Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Die Heilige Familie – ein Motiv der abendländischen Kunst Die Heilige Familie gehört zu den prominentesten Sujets der westlichen Kunstgeschichte. Als repräsentatives Symbol stehen Darstellungen der Heiligen Familie für innige Gemeinschaft und Mutterliebe, können aber auch allegorisch auf die mystische Ehe der kirchlichen Gemeinde mit Christus verweisen. Die Ikonographie appelliert somit an den Familiensinn der Gläubigen. Gemäss Literaturprofessor Albrecht Koschorke, der in seinem Essay «Die heilige Familie und ihre Folgen» die Auswirkung des christlichen Topos auf die abendländische Kultur untersucht, hat die Heilige Familie denn auch nicht unwesentlich zur Herausbildung der modernen Kleinfamilie beigetragen. So weist Letztere zumindest strukturell grosse Ähnlichkeit mit der Heiligen Familie auf (Mutter-Vater-Kind). Häufig wird in der Kunst die Kernfamilie erweitert durch den Einbezug der dritten Generation; der Heiligen Anna, Mutter Marias und des kleinen Johannes des Täufers als Gespielen Jesu’. Bekanntestes Beispiel einer solch traditionellen Darstellung ist das Gemälde Heilige Familie aus dem Hause Canigiani (siehe links) von Raphael (um 1505/06) aus der alten Pinakothek in München.

Vollendete Harmonie Die Bildkomposition ist harmonisch: Die zwei Knaben in der Mitte werden gerahmt vom Dreieck Anna, Joseph und Maria. Die Figuren beherrschen das Bildfeld, auf erzählerisches Beiwerk wurde verzichtet. Im Hintergrund ist eine charakteristisch norditalienische Landschaft abgebildet, wie sie dem Maler aus dem heimatlichen Umbrien vertraut war. Raphael’s Heilige Familie aus dem Hause Canigiani wurde in der Folge zu einer wichtigen Anregung für Renaissance-Malereien desselben Sujets. Namentlich die Begegnung von Christus und Johannes dem Täufer als Knaben ist kein in der Bibel überliefertes, aber in der Florentiner Malerei ein überaus beliebtes Motiv. Der Einbezug Johannes des Täufers in Bildkompositionen der Heiligen Familie mag seinen Ursprung nicht zuletzt in der Tatsache haben, dass dieser Schutzpatron von Florenz war – einem der Zentren der italienischen Renaissance. 10

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Die Ausgewogenheit, Schlichtheit und Ruhe des raphaelschen Gemäldes entspricht seiner Funktion als Andachtsbild, das zur innerlichen Einkehr und Auseinandersetzung mit dem Leben Christi ermuntern sollte. Insbesondere Letzteres war auch das Ziel des britischen Malers John Everett Millais, dessen Gemälde Christus im Haus seiner Eltern (siehe oben) 1850 einen Skandal auslöste. Aus dem sakralen Kontext gelöst, präsentiert Millais die Heilige Familie als Genreszene. Das Gemälde gleicht einer Momentaufnahme aus dem Alltag der Heiligen Familie. Die Bibel sagt uns, dass Joseph ein Handwerker war – und als solches wird er nun dargestellt, umringt von Familie und Gehilfen inmitten seiner Werkstatt. Maria ist keine ideale Schönheit mehr, sondern eine einfach gekleidete, vom Leben gezeichnete Frau. Christus wird dargestellt als kleiner rothaariger Knabe mit dreckigem Gesicht und verfilztem Haar. Und dies soll die Heilige Familie sein? Kritiker und Besucher der Ausstellung waren entsetzt. Der Schriftsteller Charles Dickens fand das Bild abscheulich und den Versuch, die Heilige Familie mit einer einfachen Handwerksfamilie zu vergleichen schlicht empörend.

Gotteslästerung? Doch Millais war keineswegs ein Gotteslästerer. Denn das Bild weist eine tief religiöse Symbolik auf und erzählt uns eine Ge-

schichte: Auf der Werkbank sehen wir einen Nagel, der herausragt. Soeben hat sich Jesus daran verletzt. Die linke Hand hochhaltend, zeigt er seine Wunde. Maria kniet neben ihrem Sohn, sie ist die tröstende Mutter. Joseph seinerseits streicht Jesus über die Schulter und Anna streckt die Hand aus, um den fatalen Nagel mit einer Zange zu entfernen. Der Knabe rechts im Bild eilt mit einer Schüssel Wasser herbei um die Wunde auszuwaschen. Er symbolisiert Johannes den Täufer, und die Wasserschüssel ist eine Anspielung auf die Taufe Christi. Genau wie die vom Nagel durchbohrte Hand des kleinen Jesus auf die Passion Christi verweist.

Revolutionäre Aussage Die raffinierte Symbolik des Bildes gepaart mit der Darstellung von Jesus, Maria und Joseph als ehrbare Arbeiterfamilie soll die Identifikation mit der Heiligen Familie fördern. Im Kontext der Industrialisierung und Proletarisierung der Arbeiter kann das Bild auch als ein Manifest gegen ausserhäusliche Fabrikarbeit gelesen werden. Es hat – in den Worten von Hildegard Erlemann – einen «antikommunistischen Akzent». Millais Gemälde suggeriert letztlich, dass die Heilige Familie von jeder ehrbaren christlichen Familie verkörpert werden könne. Eine revolutionäre Aussage für das 19. Jahrhundert und eine, die bis heute zum Nachdenken anregen mag. ■ –Milena Daphinoff, Kunsthistorikerin Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Doris Leuthard, Bundesrätin

Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

Für mehr Bürgersinn

Das neue Parlament wird in der kommenden Legislatur wichtige Fragen zu klären haben: – die Frankenstärke bekämpfen, – Bildung, Forschung und Innovation (BFI) stärken, den Mangel an Fachkräften angehen, – die Verkehrsfinanzierung sichern, in die Infrastruktur investieren und diese mit der Raumplanung koordinieren, – das Energiesystem umbauen, – die Armee modernisieren (abbauen), – die Gesundheitskosten stabilisieren, – die Sicherheit stärken, Gewalt und Vandalismus bekämpfen, – die Migrationsflüsse international koordinieren und national optimieren, – das Verhältnis zur EU klären, – die Rolle der Schweiz in multilateralen Organisationen stärken. 12

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Das alles werden wir schaffen. Das Finden einer austarierten Lösung gehört zur gewohnten politischen Arbeit. Dabei nimmt die CVP wie üblich eine gewichtige Rolle ein. Schwieriger dagegen ist es, gesellschaftlichen und weltpolitischen Veränderungen zu begegnen. Der deutsch-britische Soziologe, Politiker und Publizist Ralf Dahrendorf schrieb 2009, wenige Wochen vor seinem Tod: «Es begann als Finanzkrise, wuchs sich dann zur Wirtschaftskrise aus und wird mittlerweile von vielen als tiefergreifende soziale, vielleicht auch politische Wendemarke gesehen…» Dahrendorf hatte Recht. Wenn wir sehen, was seither in der Welt passiert ist, so war dies eine klare Voraussicht. Wir haben heute nicht nur die Schuldenkrise in Europa und in den USA zu bekämpfen, sondern wir erlebten auch den arabischen Frühling mit seinen Demokratisierungsprozessen. Gleichzeitig sehen wir ein neues asiatisches Selbstbewusstsein und ein Russland, das sich mit seinen zwei Präsidenten die Macht erhält, sich aber wenig modernisiert oder international engagiert.

good governance – etabliert wurden, die sich in der Wirtschaftskrise aber als wesentliche Ursachen von schlechtem Geschäftsgebaren entpuppt haben. Wir mussten Kenntnis nehmen von Geschäftsmodellen der Finanzwirtschaft, die Risiken verschleierten, die versuchten, sie zu verstreuen und unkenntlich zu machen, bis sie toxisch waren. Wir mussten Kenntnis nehmen von einer verbreiteten Gier von Investoren nach maximaler Eigenkapitalrendite, von einem falschen Selbstverständnis von Verantwortungsträgern in der Wirtschaft, die bisweilen «den Sinn für den kleinen Unterschied zwischen anständig Geld verdienen und Geld anständig verdienen verloren haben» (Peter Ulrich, 2010). Geld anständig zu verdienen, ist wichtig für eine Gesellschaft. Es ist wichtig für ein nachhaltiges, gesundes Wachstum. Damit die Bürgerinnen und Bürger in die Kräfte des Marktes

Man kann diese Vorstellungen radikal umsetzen. Entweder nur nach den Kräften des Marktes, indem man der Deregulierung das Wort redet. Oder man kann sich in eine andere radikale Richtung bewegen, indem man staatlichen Interventionismus und den Sozialstaat bevorzugt. Bisher sind die Schweiz und die meisten anderen europäischen Länder mit einer liberal-sozialen Marktwirtschaft und damit mit einer Betonung von Eigenverantwortung und Solidarität gut gefahren. Wirtschaftsethik ist wichtig. Über sie müssen wir in den nächsten Jahren diskutieren. Dies wird eine Aufgabe nota bene für die CVP sein. Es ist eine Tatsache, dass im Rahmen des Shareholder-ValueDenkens Standards von guter Unternehmensführung – von

Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

Transformation und Leitlinien Diese Veränderungen der globalen Welt, der Einfluss auf die Gesellschaft werden weitergehen und sie werden tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen. Heute, wie in den letzten 20 Jahren, sind wir Zeugen dieser Transformation. Wir müssen uns ihr stellen, und wir müssen schauen, dass wir unser Land, unsere Gesellschaft richtig in dieser Transformation positionieren. Dabei ist jede Ausgestaltung der Marktwirtschaft unausweichlich wirtschaftsethisch und politisch-philosophisch einzubetten und an bestimmte Leitideen eines guten gesellschaftlichen Zusammenlebens zu binden.

vertrauen können. Wirtschaftsethik ist wichtig; Es geht dabei um Handlungsethik in der Wirtschaft, aber auch umfassender um die Ordnungsethik der Wirtschaft, welche die Politik zu machen hat.

Zentrale Aufgabe Wenn wir so weiterfahren wie bisher, muss der herkömmliche Sozialstaat die Marktergebnisse immer mehr korrigieren durch nachträgliche Umverteilung von Kapital und Leistungen. Klüger, nachhaltiger ist, wenn wir es schaffen, den Sinn für «Geld anständig verdienen» wieder als allgemeinen Konsens der Gesellschaft und der Entscheidungsträger der Wirtschaft und wenn möglich auch als internationalen Konsens etablieren können. Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Der Verantwortung gerecht werden

Wenn wir es schaffen, dass der Bürger Vertrauen in unser System hat, wenn er sich mit der res publica identifiziert und sich für die öffentliche Ordnung mitverantwortlich fühlt, dann erfüllen wir unsere Aufgaben; dann können wir auf Eigenverantwortung zählen und auf das Weiterfunktionieren der res publica. Ohne einen solchen Bürgersinn gibt es keine zivilisierte rechtsstaatliche Einbettung der Marktwirtschaft. Ohne diesen Bürgersinn nehmen Gewalt, Willkür, Verdrossenheit, Selbstbedienungsmentalität überhand. Das können und wollen wir nicht zulassen. Deshalb ist dieser Bürgersinn eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre. Sie betrifft ganz besonders den Mittelstand, der sich mit der zunehmenden Last an Abgaben und gleichzeitigem Gefühl von zunehmender Unsicherheit, Zuwanderung allein fühlt. Die CVP, die sich als Volkspartei immer diesen Werten, dem Verständnis, was gerecht und ungerecht ist, was wichtig und unwichtig ist, angenommen hat, sollte meines Erachtens eine Leaderrolle in dieser Diskussion übernehmen. Die Pole – jene, die gegen das Ausland wettern und gegen Institutionen sowie jene, die ständig mehr Sozialstaat wollen – verkennen, dass sie damit immer mehr den Bürger der Mitte, den staatstragenden Mittelstand schwächen und damit diese res publica und ein wirtschaftsfreundliches, aber eben auch sozialliberales Gedankengut schwächen. Die CVP muss einstehen für Chancen für eine selbstbestimmte Lebensführung, Chancen für Existenzsicherung durch Arbeit, für starke Bürgerrechte, eine starke Gemeinschaft mit wachem Geist, für ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Die Schweiz hat eine starke Position; eine Geschichte, die diesem Gedankengut Rechnung trägt. Ich bin überzeugt, dass die CVP-Führung und die vielen CVPMitglieder diesem Gedankengut verpflichtet sind. Wir sind bereit, diesen Bürgersinn weiterzutreiben, dafür zu kämpfen, und diese Werte zum Konsens für die nächsten Jahre zu erheben. Dafür lohnt es sich zu kämpfen, sich zu engagieren. 14

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Über die Grundlagen von Recht, Rechtsstaat und die Aufgaben der Politik hat Papst Benedikt XVI. bei seinem letzten Besuch in Deutschland ebenfalls nachgedacht, mit einer kleinen Geschichte aus der Heiligen Schrift, wo Gott dem jungen König Salomon eine Bitte freistellte. Salomon bat nicht um Erfolg, Reichtum, langes Leben, Vernichtung der Feinde. Er bat vielmehr: «Verleihe deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.» Ich hoffe, dass wir im neuen Parlament Frauen und Männer haben, welche die Fähigkeit besitzen, Gut und Böse zu unterscheiden, um so ihrer Verantwortung gerecht zu werden, nämlich Gerechtigkeit, Stabilität und ein erspriessliches Zusammenleben zu ermöglichen. Bürgersinn ist entscheidend für die Weiterentwicklung der Schweiz, für die Akzeptanz auch von schwierigen Entscheiden. Griechenland zeigt, wohin es führt, wenn die Politik abgehoben ohne Vertrauen regiert. Es lohnt sich, dieses Fundament der Nähe immer wieder zu schaffen, immer wieder darüber nachzudenken, was das Ziel der res publica sein soll und für welche Werte wir einstehen wollen. Wie schaffen wir es, diese Kohäsion des Landes zu pflegen, dass Junge nicht nur eigene Wege gehen, dass Ältere die Sicherheit haben, die sie brauchen, dass unsere Institutionen funktionieren, damit wir genügend Frauen und Männer für die Behörden finden auf Stufe der Kommunen, der Kantone und des Bundes, die Verantwortung in diesem Sinn übernehmen? Ich danke Ihnen allen, wenn sie versuchen, sich diesen Fragen zu stellen, versuchen, mit diesen Werten unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und das Vertrauen in die staatlichen Behörden zu stärken. Es lohnt sich für unser Land. ■ Rede anlässlich des CVP-Parteitags vom 8. Oktober 2011 in Freiburg


Jürg Bleiker, Germanist und Altphilologe

mit geschenken ist es so eine sache…

Foto: ©iStockphoto.com/phottoman

Eine Grossmutter schenkt dem zum Mann herangewachsenen Enkel zu Weihnachten zwei Hemden, eins blau, eins grün. Am nächsten Morgen erscheint der Enkel im blauen Hemd. «Aha», sagt die Grossmutter, «das grüne gefällt dir nicht». Wir alle wissen, mit Geschenken ist es so eine Sache. Ein Glossar.

Anlass Weihnachten, Geburtstage, Jubiläen – für Geschenke obligatorische Anlässe. Der Gedanke an solche Veranstaltungen ist durchzogen. Die Kinder unter dem Christbaum reissen die sorgfältig in glänzendes (und nicht billiges) Kunstpapier eingewickelten Päckli gefühllos auf, mustern den Inhalt und werfen alles auf den Haufen, wenn es nicht genau ihren Wünschen entspricht oder wenn die ältere Schwester etwas Spannenderes auswickeln kann. Die Mutter sammelt die farbigen Bändeli zusammen, wickelt sie auf und legt sie in eine Büchse voll ähnlicher rezyklierbarer Materialien. Es wäre doch schade, sie einfach wegzuwerfen…

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Auswahl Das Problem bei Geschenken ist, dass sie über das Geschenkobjekt hinaus emotionell geladen sind. Der Geber dringt in unsere Seelennähe ein, hinter unsere Fassade, sucht unser Herzkämmerlein. Das kann wonnevoll oder ungemütlich sein. Der Beschenkte muss sich beschenken lassen wollen, von mir, muss mich mögen. Das Geschenk muss persönlich sein. Deshalb haben wir so viel Mühe, passende Geschenke zu finden und erwerben sie in letzter Minute. Und dann fliehen wir in der Not nicht in den international gültigen fälschungsresistenten Gutschein (obwohl das dem Empfänger wahrscheinlich nicht einmal so unangenehm wäre), sondern erwerben eine Gutscheinkarte vom Wullelädeli oder von Uhrmacher Häberli in der Altstadt – die vielleicht eines Tages unbenützt sacht verfällt. Originell sollte das Geschenk eben schon sein. Dank In solchen Geschenken tickt noch eine Zeitbombe: der Dankesbrief. Oder wenigstens der Anruf oder ein SMS. Ein solcher Dank kann klar machen, was der Empfänger vom Geschenk gehalten hat, und wenn jede Reaktion ausbleibt, weiss ich auch, wie viel ich dem Empfänger bedeute. Ein guter Anlass zur Selbstprüfung. Wert Wichtig ist weniger der Geschenkwert als die seelische Haltung beim Geschenkaustausch. Dann kann ein «kleines» Geschenk ganz viel bewirken. So trällert das englische Liedchen: A smile is something you can give it away, give it away, give it 16

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Foto: ©iStockphoto.com/Skip ODonnell

Recycling Unlust gegen Geschenke schlägt sich auch in der Volksweisheit nieder. Einem geschenkten Gaul soll man nicht ins Maul schauen. Dahinter steht der Verdacht, es handle sich um einen alten Klepper, den der Spender selber nicht länger brauchen kann. Ein Professor, frisch pensioniert, bietet seine englische Fachbibliothek zur Selbstbedienung den Kollegen an. «Auch eine Art, sich vor Entsorgungsgebühren zu drücken», lautet der Kommentar. Meine Freude an einem schön eingewickelten Buch trübte ein, als ich sah, dass der Name des früheren Besitzers auf der ersten Seite säuberlich ausgeschnitten worden war. Und bei manchen Geschenken – den obligaten Papierservietten mit zwei Kerzen oder den Duftölen oder der Handseife – meldet sich auch der Verdacht, es handle sich um ein weitergegebenes Geschenk. Wenigstens besteht die erheiternde Gefahr, dass das Objekt auf verschlungenen Wegen zum Erstspender zurückkommt.

away; a smile is something you can give it away – and it comes right back to you! Meine Cousine aus England hat das Liedchen auf einer Schulreise hiesigen Schülern beigebracht, die das mit Wonne laut im Zug sangen, mit dem hübschen Detail, dass sie nicht «smile» sondern «shmile» sangen und am Ende ohne Pause wieder erneut loslegten: «a SHMILE…» Kein Gesicht blieb mürrisch! Das ist ein echtes Geschenk!

Lachen schenken Aber schon meldet sich auch der Störefried. Keep smiling – und sag «cheese» oder «hihihi» – und so sieht es dann auf den Fotos auch aus, wo die hübschesten Kinder ein verzerrtes Gebiss blecken lassen. Auch die unablässig sonnig und vertrauenausströmend lächelnden Köpfe der Wannabes vor den Wahlen an allen Pfählen und Bretterwänden stimmten mich nicht glücklich. Ein echtes Lächeln wirkt anders und kann beispielsweise im Supermarkt aufblühen, wenn man mit seinem Warenwägeli beinahe mit dem einer alten Frau zusammengeprallt wäre und beide auf die gleiche Seite ausweichen wollten – und wie jung die Frau plötzlich aussah, als das Lächeln sich in ihrem Gesicht verbreitete!


Gabe Soviel zu den üblichen Geschenken von Mensch zu Mensch. Nun setzen wir statt «Geschenk» das bedeutungsähnliche Wort «Gabe» ein. Versicherung Ein kleiner Umweg möge erlaubt sein. Vor 2000 Jahren lag in Vindonissa, dem heutigen Windisch, eine römische Legion, mit rund 6000 Mann, eine ungeheure Kampfkraft in der damaligen Zeit. Die Legionäre waren rauh, zäh, körperlich vielleicht nicht ganz gleichwertig wie unsere Miliz – sie mussten rund 50 Kilo Gepäck und Ausrüstung auf ihren Märschen tragen – aber auch sie hatten Angst vor Tod, Krankheit, Unfall und trafen vorbeugende Massnahmen. Der Legionär Marcus Masterna tat dies mit einer Generalpolice: Er errichtete einen Altar. Die Inschrift, in einer etwas provinziell wackligen römischen Kapitalschrift, lautete, dass Marcus Masterna, Soldat der 11. Legion in der Zenturie des Crispus, diesen Altar errichtete habe, «den Abwendenden» gewidmet. Gemeint all den Mächten und Gottheiten, welche Unheil aller Art abwenden können. Da er nicht genau wusste, wer wofür wo zuständig war, diente ihm diese Generaladresse. Sie würde den richtigen Empfänger schon ermitteln.

Beweggrund Entscheidend ist jedoch, dass er das Wort LIBES hinzufügte. Das wäre, in klassischem Latein «libens» (das verschwundene «n» ist wohl ein Anzeichen, dass da genäselt wurde, wie im Französischen!), und heisst «gern, aus freien Stücken», also ohne Zwang oder Berechnung. Einfach so, aus Freude und Dankbarkeit. Der Legionär Masterna ahnte voraus, was Sebastian Brant im «Narrenschiff» formulierte: Dan got sicht ouch des gab nicht an/der nit mit freüden schenken kann. Denn Gott sieht dessen Gabe auch nicht an, der nicht mit Freuden schenken kann. Begabung Hier geht es also nicht mehr um die Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern von Mensch zu Gott und von Gott zu Mensch. Auch wenn unter «Gott» verschiedenes verstanden wird, empfinden wir wohl ziemlich durchgehend, dass es «etwas» gibt, das über unseren Horizont und unsere Möglichkeiten hinausgeht, und zwar sehr. Und hier meldet sich der Begriff «Gabe» für ein Geschenk, das wir von dieser merkwürdigen Stelle erhalten haben, womit wir «begabt» worden sind. Das kann auch in ganz alltäglichen Situationen aufscheinen.

Ein Musiker, den ich bewunderte wegen seines Klavierspiels (er konnte beispielsweise, wenn ein Sänger nicht ganz bei Stimme war, vorschlagen «machen wir es einen Halbton tiefer» und transponierte das ganze Stück einfach so herab – ohne elektronischen Drehknopf, und wer ein bisschen Klavier spielt, weiss, was das bedeutet! – und als das Licht auch noch ausfiel, spielte er unbeirrt weiter), also auf meine bewundernde Bemerkung hin sagte er süffisant: «Ja, es ist nicht jedem gegeben.» Das reizte mich und ich antwortete: «Dann bilde dir auch nichts dafür ein, wenn es lediglich eine Gabe ist, die du bekommen hast!» Und plötzlich wird man inne: Wir sind alle ungeheuer «begabt». Wir leben in einem Meer von Gaben! Wir können sprechen – und was für ein unglaubliches Zusammenspiel von Muskeln braucht das! Wir gehen – und wenn wir überlegen müssten wie, kämen wir keinen Schritt von der Stelle. Wir atmen, wir sehen, wir hören, wir denken: und es scheint uns völlig natürlich, selbstverständlich. So lange, bis etwas plötzlich ausfällt. Dann wird uns jäh bewusst, was für eine Gabe wir verloren haben.

Gelassenheit Aber auch weniger dramatisch: Es ist nicht unvernünftig anzunehmen, jeder Mensch, dem wir begegnen, könne irgendetwas besser als man selbst. In gewissen, vielleicht vielen Bereichen ist der andere mehr «begabt» als das liebe Ich. Das einzusehen ist heilsam. Talente Bleibt die Frage: Woher haben wir diese Gaben? Wer hat sie uns geschenkt? Danken wir eigentlich dafür? Und «verpflichten» sie uns auch? Vielleicht kommt einem da eine Geschichte von vergrabenen Geldtöpfen in den Sinn, wo das Geld auch unter der antiken Wertbezeichnung «Talent» vorkommt? Vielleicht sollte man das wieder einmal nachlesen. Geschenk Gottes Oder vielleicht haben Eltern auch eine Antwort auf diese Fragen gegeben, wenn sie ihren Buben «Theodor», ihr Mädchen «Dorothea» nannten; beides heisst «Geschenk Gottes». Einschenken Aber um auf Irdisches herabzukommen: Niemand wird bestreiten, dass es eine sympathische Erweiterung von «schenken» gibt: Einschenken! Und wer sich und seinen Lieben gelegentlich einen guten Tropfen einzuschenken weiss, macht sich und allen auch ein wohltuendes Geschenk. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten! ■ Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Weihnachten assoziieren wir hierzulande mit dem Schmücken des Weihnachtsbaumes, Geschenken an Heilig Abend und einem Festschmaus im Kreise der Familie. Doch wie wird rund um den Globus Weihnachten gefeiert? In mexiko wird am 24. Dezember mit Feuerwerk vor der Mitternachtsmesse gefeiert. In der Zeit vom 16. bis zum 24. Dezember spielen einige Pilger die Herbergssuche des heiligen Paares nach: Sie ziehen kostümiert durch die Strassen und rezitieren biblische Verse. Besonderer Höhepunkt für Kinder ist das zelebrierte Zerschlagen der Pinata – einem schön dekorierten Tongefäss, das mit allerlei Süssem und Früchten gefüllt ist. Die Kinder müssen an Heilig Abend versuchen mit verbundenen Augen das aufgehängte Gefäss zu zerschlagen, um an die Leckereien heranzukommen. In Grossbritannien werden die Häuser zu Weihnachten geschmückt und Socken am Kamin aufgehängt. Am Morgen des 25. Dezembers kommt Santa Claus und füllt sie mit Geschenken. Traditionelles Weihnachtssymbol ist auch der Mistelzweig: Stellt sich eine Person unter den Zweig, darf sie geküsst werden, ohne sich wehren zu dürfen. In italien wird in der Regel an Heilig Abend Fisch gegessen, die Bescherung folgt am 6. Januar. Nicht der Weihnachtsmann bringt die Geschenke, sondern die hässliche Hexe Befa18

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na. Sie ist auf der Suche nach dem Christuskind und fliegt auf ihrem Besen zu allen Kindern, denen sie durch den Kamin Gaben bringt. Der Stolz der Italiener sind ihre besonders schön geschmückten Weihnachtskrippen, Weihnachtsbäume findet man dagegen selten. In russland und anderen orthodoxen Ländern wird Weihnachten dem Julianischen Kalender entsprechend erst am 7. Januar gefeiert. Bekanntester Weihnachtsbrauch ist der Besuch von Väterchen Frost (Ded Moros) und seiner Enkelin Snegurotschka, dem Schneemädchen. Sie bringen den Kindern Geschenke und reiten der Legende nach auf einem Schlitten, der von drei Pferden gezogen wird. Um diese Tradition zu retten, wurde die Bescherung während des Kommunismus auf den Neujahrstag verlegt. Das Weihnachtsfest selbst war verboten und wurde erst 1992 wiederbelebt. Auch in der schweiz gibt es kleine Unterschiede. So bringt in der Deutschschweiz traditionellerweise das Christkind die Geschenke, in der Westschweiz hingegen der Père Noël. ■ –Milena Daphinoff

Foto: ©iStockphoto.com/John Schulte

anDere länDer, anDere sitten


Elisabeth Bürki-Huggler, Spitalpfarrerin in Thun

rose Von jericho

«Das ist mein liebstes Geschenk», sagt Herr K. und zeigt auf eine verdorrt wirkende, faustgrosse Kugel, die sich hinter den Zeitschriften, Fruchtsäften und Pralinen auf seinem Nachttisch zu verbergen scheint. «Es ist eine Rose von Jericho», fügt er bei und schaut mich an. «Das ist eine Wüstenpflanze. Der Wind rollt sie durch die Steppe. Zusammengekugelt hält sie Kälte, Hitze und Einsamkeit aus. Wenn sie aber auf Wasser stösst, wird aus der Faust eine offene Hand, aus der dürren Kugel eine schöne grüne Rosette. Und genau das habe ich nötig: solche kleinen Wunder mitten in meiner Wüste.» Er legt mir die Rose von Jericho in die Hand, lehnt sich ins Kissen zurück und schliesst die Augen. «Bleiben Sie noch einen Moment hier – auch wenn ich nicht mehr sprechen mag?» Ich nicke. Im Spitalzimmer breitet sich eine gute Stille aus. Es ist Abend. Im Fenster spiegeln sich die Lichter der Stadt. Vom Einkaufsrummel ist nichts zu spüren. Die Gedanken gehen ihre eigenen Wege. Ob ich etwas über den Sinn und Wert von Geschenken bei kranken Menschen schreiben könne, wurde ich angefragt. Ich habe zugesagt und deshalb im Herkunftswörterbuch nachgeschlagen, woher das Wort Geschenk kommt. Es kommt von Schenke. Und in der Schenke wird eingeschenkt. Schenken kommt also ursprünglich von einschenken, zu trinken geben. Das hatte ich nicht gewusst. Mit einem Geschenk überbringen wir Lebenswasser*. Ich halte die Wüstenpflanze, die Rose von Jericho, in der Hand und beginne Zusammenhänge zu ahnen. Liebe Leserin, lieber Leser, Sie möchten sinnvoll schenken. Gerade in der Adventszeit. Und gerade auch am Krankenbett. Aber wie schenkt man Lebenswasser? So dass sich kleine Wunder mitten in der Wüste ereignen können? Was hat Ihnen gut getan, als Sie selbst krank waren – und was könnte Ihrem kranken Mitmenschen gut tun? Was meinen Sie? Ich zähle einige unscheinbare «Geschenke» auf, die es aber in sich haben: Offen und achtsam da sein. Konzentriert, aber nicht aufdringlich. Nichts wollen. Keine Ratschläge geben. Anteil nehmen am Ergehen, am Wesen des andern, ohne neugierig

zu sein. Schweigen können. Zeit haben. Und spüren, wann es gut ist, wieder zu gehen. Bitte vervollständigen Sie diese Liste! Ich bin sicher, Sie finden noch eine ganze Reihe solcher Geschenke, die man nirgends kaufen kann – die aber trotzdem (oder gerade deshalb?) gut ankommen. Ich lege die Rose von Jericho sorgfältig zurück auf den Nachttisch. «Würden Sie sie bitte in eine Schale mit Wasser stellen?» Herr K. hat die Augen wieder geöffnet und lächelt mir verschmitzt zu. «Bei Ihrem nächsten Besuch wird sie dann grün sein.» Während ich das Wasser langsam in die Schale laufen lasse, wird mir bewusst, dass das ganz ohne menschliches Zutun geschehen wird. Wie so manches kleine Wunder. Und das empfinde ich wiederum als sehr entlastend und echt weihnächtlich. ■

*Lebenswasser finden wir auch in der Bibel. Ich möchte Ihnen dazu drei faszinierende Stellen angeben: Jesaja 12,3/ Johannesevangelium 4,14/ Offenbarung 21,6. Gönnen Sie sich die Zeit, diese Bibelstellen nachzuschlagen und zu meditieren. Ich finde, es lohnt sich. Für Sie und die Menschen, die Sie beschenken möchten. Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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Land des ewigen Friedens?

Die Schweizer Neutralität hat sich in den letzten vier Jahrhunderten entwickelt. 1648, nach Ende des dreissigjährigen Krieges, akzeptierten der deutsch-römische Kaiser und die verschiedenen europäischen Mächte mit den Westfälischen Friedensverträgen die Unabhängigkeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Mit dem Pariser Frieden 1814 wurde schliesslich die «immerwährende bewaffnete Neutralität» der Schweiz anerkannt sowie ihre Unabhängigkeit von jedem fremden Einfluss durch die europäischen Grossmächte. Diese internationale Anerkennung beziehungsweise die Verpflichtung der Schweiz auf die Neutralität bildet bis heute die massgebende Grundlage unserer Aussenpolitik. Dank der bewaffneten Neutralität entrann unser Land den drei deutsch-französischen Konflikten von 1870, 1914 und 1939. Und dank ihrer Armee konnte die Schweiz verhindern, dass keine militärischen Manöver auf ihrem Territorium stattfanden.

Der fünfzigjährige Frieden Die Schweiz gilt als das Land des ewigen Friedens, in dessen Schutz sich Personen, aber auch Vermögen begeben. Ein Land, indem man zurückgelehnt im Fernsehsessel den Kriegswahnsinn anderer Völker am Bildschirm mitverfolgt. Haben wir Schweizer also ein für allemal gewonnen? Bei der Menschheit ist nichts jemals definitiv und garantiert. Kriege können sich unerwartet entfachen und Länder ergreifen, die sich ihn nie gewünscht haben. Wenn Europa scheitern würde – was nicht unmöglich ist – könnte sich die Geschichte leicht wiederholen. So unwahrscheinlich es heute scheinen mag; es ist nicht unmöglich, dass sich Franzosen und Deutsche aus unersichtlichen Gründen wieder zu bekriegen beginnen. In Europa ist man seit fünfzig Jahren so sehr an den Frieden gewöhnt, dass man sich nicht mehr bewusst ist, dass er ein privilegierter Moment der Geschichte darstellt.

Auf der Bühne der Geschichte Wenn der Krieg Europa erfassen würde, so wäre die Schweiz aufgrund ihrer Neutralität wohl nicht dafür verantwortlich. Sie hätte nichts dazu beigetragen ihn herbeizuführen. Aber auch nichts, um ihn zu vermeiden. Die Schweiz liegt im Herzen Europas, aber gehört nicht dazu. Sie steht abseits der Bühne der Geschichte – als Zeugin der unendlichen Leiden, die die europäischen Staaten beim Aufbau funktionierender Institutionen erfuhren.

Foto: ©iStockphoto.com/emrah_oztas

Diese funktionierenden Institutionen existieren anderswo bereits seit langem: in der Schweiz! Bei der Friedensfrage geht es somit nicht darum, ob sich die Schweiz Europa anschliessen soll, sondern ob Europa sich der Schweiz, unserem Modell anschliessen will. Überlegen wir nicht, was Europa für uns tun kann, sondern was wir für Europa tun können, das heisst für den Frieden auf diesem Kontinent. ■ –Jacques Neirynck, Nationalrat 20

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OrTsTermin Martin Candinas, Nationalrat

ein Tal zum Träumen Val sumvitg ist ein Seitental in meiner Heimatgemeinde Sumvitg in der bündnerischen Surselva. Das Tal wird vom Rein da Sumvitg durchflossen, der im oberen Teil zu einem rund 500 Meter langen See aufgestaut wird. Die Val Sumvitg hat heute nur noch neun Bewohner. Im Süden führt ein Saumweg über die Crest la Greina zur Terrihütte und zur Hochebene der Greina. Die Biotopenvielfalt der Ebene ist aussergewöhnlich und einzigartig. Aus diesem Grund wurde die Greinaebene 1996 als Schutzzone ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufgenommen. Ein touristischer Anziehungspunkt im Val Sumvitg war das stillgelegte Kurbad Tenigerbad, welches zuletzt 1971 durch einen Neubau mit 150 Betten und drei Bädern erneuert wurde. Nach nur drei Betriebsjahren wurden die Anlagen geschlossen und stehen seither ungenutzt leer. Das Kurbad wurde 1580 erstmals urkundlich erwähnt und erlebte bis zum ersten Weltkrieg einige Blütezeiten. Val Sumvitg zählt

zu den beliebtesten Schauplätzen in der romanischen Literatur. Dieser traumhafte und mythische Flecken Erde bietet mir und meiner jungen Familie optimale Ruhe und Erholung. In diesem Tal kann ich dem Alltag für einen Moment entfliehen, den Tönen der Natur lauschen, die intakte und unberührte Natur geniessen, in Gedanken schwelgen, neue Ideen sammeln und Lösungen für Alltagsfragen suchen. Nach einem ausgedehnten Sonntagsspaziergang ist die Einkehr in die Ustria Val im gleichnamigen Weiler bei der Wirtin Erna ein Muss und ein idealer Abschluss eines erholsamen Tages. Wenn Sie diese Zeilen lesen, beginnen Sie hoffentlich zu träumen. Entfliehen Sie Ihrem Alltag und geniessen Sie Ihre nächste «Auszeit» in einer traumhaften Gegend, in meiner Gemeinde Sumvitg. ■ www.sumvitg.ch

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Stefan Meierhans, Preisüberwacher

Da häsch Dänn’s gschänk «Da häsch dänn’s Gschänk» – mit diesen Worten werden Situationen kommentiert, die ein mitleidiges Lächeln oder gar ein ungutes Gefühl hervorrufen. Die Bemerkung ist ironisch gemeint, denn das Geschenk entpuppt sich als Last, als unwillkommene Zugabe. Wer heute den freien Handel nutzt und zum Beispiel via Internet Waren bestellt, der sieht sich bisweilen mit solchen Geschenken konfrontiert. Wenn die im Internet bestellte Ware aus dem Ausland kommt, fallen in der Regel zusätzliche Abgaben an. Diese können sogar den Warenwert übersteigen. Einem Bürger ist das kürzlich mit einem Zeitungshalter passiert: Der Warenwert lag umgerechnet etwas unter vierzig Franken – die Verzollungskosten bei über fünfzig Franken. Mit einer Preisbeschwerde hat er

sich an mich gewandt. Wie gut ich seinen Ärger verstehen konnte. Man wird bestraft, wenn man auf dem Markt versucht, das beste Angebot zu finden. Immerhin – das sei nur am Rande bemerkt – konnte ich als Preisüberwacher in den letzten Monaten mit der Post und mit dem Logistikunternehmen DHL Verträge aushandeln, die diesen Gebührenwucher eindämmen: Gebührensenkungen um bis zu hundert Prozent konnten wir vereinbaren. Und so dazu beitragen, dass sich in Zukunft weniger Leute über ein «vergiftetes Geschenk» bei Internet-Bestellungen ärgern müssen.

Ist ein Geschenk ein Geschenk? Eine weitere Kategorie sind jene Artikel, die sozusagen als Geschenk kostümiert an die Frau und an den Mann gebracht werden. Meine Erfahrung: Je lauter etwas als Geschenk angepriesen wird, desto mehr gilt es, auf der Hut sein. Beispiele gibt es viele: Beim Kauf einer Heizdecke erhalten Sie als Geschenk Tonfiguren gratis dazu. Oder: Beim Kauf von drei Packungen Zahnpasta erhalten sie die vierte geschenkt. Oder: Diese Zeitung erhalten Sie gratis – sie ist ein Geschenk. Sollen wir das glauben? Sollen Sie sich glücklich schätzen, weil Sie ein Geschenk erhalten? Die Wahrheit ist: Nein, denn Sie erhalten gar kein Geschenk. Man hat Ihnen einen Bären aufgebunden, Sie an der Nase herumgeführt.

Foto: ©iStockphoto.com/Yuliya Pozdniak

Es gibt nichts gratis In der Wirtschaftswelt werden nicht einfach so mir nichts, dir nichts Geschenke verteilt! Entweder haben Sie für das Geschenk bereits bezahlt – und Sie erhalten einfach den Rabatt, der Ihnen zusteht (zum Beispiel, wenn die vierte Packung gratis ist). Oder Sie bezahlen nicht mit Franken und Rappen – sondern beispielsweise mit Ihrer Aufmerksamkeit. Denken Sie an die Gratiszeitungen oder die privaten TV-Stationen aus dem In- und Ausland. Diese sind in der Regel hauptsächlich durch Werbung finanziert. Sie bezahlen, indem Sie sich der entsprechenden Werbung aussetzen, zum willkommenen Objekt für verschiedenste Marketinganstrengungen werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dagegen ist nicht grundsätzlich etwas einzuwenden. Schliesslich entscheiden Sie nach wie vor selbst, ob Sie der Werbung glauben und weiteres Geld in dieses oder jenes Produkt investieren möchten. Wichtig ist jedoch, dass wir diese Mechanismen durchschauen. Denn sie 22

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sind allgegenwärtig. Zum Beispiel auch bei den Cumuluspunkten, Supercards, Pfannen-Trophäen, Meilenkonten – und bei den Nanos und Abziehbildli diverser Detailhändler.

Was wünsche ich mir? Weil es auf Weihnachten zugeht, schliesse ich mit einem Wunsch. Natürlich knüpft er an meine vorherigen Ausführungen an. Ich wünsche mir mehr intellektuelle Redlichkeit – auch in der Werbung. Liebe Verkäufer: Binden Sie ihre Marketingabteilungen massiv zurück. Nutzen Sie nur Kundenbindungsprogramme, die Ihnen wirklich treuere Kundschaft bringen und damit die Durchschnittskosten senken. Übrigens bin ich persönlich der Meinung, dass Qualität und Service die besten Kundenbindungsprogramme sind. Mit dem übriggebliebenen Geld können Sie direkt die (Listen-)Preise senken. Und wir werden von der Mühsal entlastet, ein Übermass an Kundenkärtli, Rabatt-Coupons, Aktionsdaten zu verwalten. Ein WinWin-Szenario! Ich nehme im Übrigen die Politik von meinem Wunsch nicht aus. Was hört man nicht alles für Versprechungen – gerade vor Wahlen. Vielleicht sind die Resultate im vergangenen Herbst ein Zeichen dafür, dass die Menschen in unserem Land die Polarisierung satt haben: Maximalversprechungen von links und von rechts, die sich allesamt als «falsche Geschenke» herausgestellt haben. Kann es sein, dass sich die Leute beim Studium der Wahlunterlagen gedacht haben: Wenn wir Maximalversprecher und Geschenke-Versprecher wählen – «Da häsch dänn’s Gschänk»? ■

Grincheux Pourquoi les politiciens utilisent-ils des mots que personne ne comprend? Lors d’un débat, j’ai entendu parler d’un accord Rubik. Jusque-là je ne connaissais que le cube Rubik! Je me suis donc adressé à un politicien afin qu’il éclaire ma lanterne. Il m’a très gentiment expliqué que c’est un impôt libératoire perçu sur les gains et les rendements en capitaux de clients de banques suisses domiciliés à l’étranger. Me voyant perplexe, il m’a dit qu’il s’agit d’un impôt à la source prélevé sur l’argent des étrangers qui est placé dans les coffres suisses. Enfin, j’ai compris!

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Silvestermenü à la CVP

TESSIN no, ab er auch in der Re gion Luga Da s vor al lem in rbiss uppene ca rno beliebt Kü meiner Heimat Lo s Wesen de s Te s» w iderspiegelt da Rezept «Bül bora au ssen ha rt, ist w ie ein Kü rbis; sin s: Der Ka nton kreativ. Die d un g iti , sehr vielse ab er in nen weich hieden st en Sit ua sich an die versc ien zip in Pr Te ss iner können n re ih , bleib en da bei tionen anpa ssen Unabhä ng igzu gehört un sere Da u. tre it ab er im mer sa m men ha ng m tit ät und – im Zu Wirts re se keit, un sere Iden un g un ig ise – die Verteid der ak tuellen Kr Dr uck de s ita lieni ge genü ber dem s ze at scha fts pl schen M arktes. t Te ssin gazzi, Nationalra Re –Fabio

*Bülbora*

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Foto: ©iStockphoto.com/Sunnybeach

Zu be re itu ng ui llon weich ko h in der Fleisch bo sc lei isf rb Kü s Da . Die Zw ieb el in Pa ssev ite treib en ee chen. Du rch da s n. Da s Kü rbispür r an ziehen las se en ko ut in 2 Es slöffel Butte M 15 n. be ui llon da zuge m it der Fleisch bo n und noch mals die M ilch beifüge nn da n, chen las se der re st lichen in ochen. Da s Brot rk ite we d en ut in 15 M e gut m it Sa lz un rösten. Die Supp n. er in rfe ve Butter goldgelb Ra hm ken und m it dem ch Na . en Pfef fer ab schmec ier rv se n en Brot w ür fel M it den geröstet reichen. benen Kä se da zu rie ge n Beliebe

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BÜNDNERLAND meiMalu ns, ein Kartoffelgericht, kenne ich seit nahres ist n ereite zuzub ner Kindheit. Einfach haft und je nach Geschmack mit einem Stück mus Käse oder, wer es gerne süss mag, mit Apfel in auch t Kuns Die ssen. genie oder Komp ott zu tes lizier Komp ch eintli verm , darin liegt k Politi der ter dahin sich die en, auf die wenigen Grundfrag n. verbergen, zu reduz ieren und erklären zu könne Malu ns hat nicht s zu verbergen: einfach, echt und lieben swert. er, Ständerat Graubünden engl an –Stef

*Maluns* Zutaten für 4 Personen 1 kg Kartoffeln, gekocht, aber mindesten s vom Vortag oder älter 350 g Mehl 1 TL Salz Butter, je nach Trockenheit der Kartoffeln Zube reitu ng n. Kartoffeln schälen und auf der Rösti raffel reibe eine in Alles en. misch Salz und Mehl Mit dem r Bratpfanne geben und mit zieml ich viel Butte lchen Küge kleine bis ern, immer wieder stoch entstehen. Es sollte nicht zu trocken sein, aber Also auch nicht schw immend gebraten werden. r Butte etwas r wiede ern, stoch etwas Butter rein, rein, weiterstochern. usw. Bis nur noch kleine Kügelchen übrig sind. Dazu serviert man Apfel mus oder Komp ott.


DEUTSCHSCHWEIZ Der Thu rgauer Sauerbraten mit Apfe lwei n schmeckt ausgezeichnet und ist obendrei n für mich wun derbar zum Vorb ereit en. So kan n meine Fam ilie diesen einfach aufwärmen, wen n ich in Bern bin. Zudem liebe ich den klas sisc hen und trad itionellen Son ntagsbraten. Am Son ntag kom men jeweils unsere erwachsenen Kinder mit deren Part neri nnen und Freu nden nach Hau se. Wir essen gemütlich und disk utie ren. Nicht nur über polit ische Themen. –Brigitte Häberli-koller, Stän derätin Thurgau

*Thurgauer Sauerbraten mit

Apfelwein*

Zutaten für 4 Personen 1 kg Rind fleisch, z.B. Schu lter 1 Kalb sfüs schen, abgespü lt, nach Belieben 2 Markknochen, abgespü lt, nach Belieben Mar inade: 7 dl Apfelwei n 2 dl Apfeless ig 2–3 Rüebli, geschält 1 Zwiebel, besteckt mit Nelke und Lorb eerblatt 1 Knoblauchzehe, gan z Brat butter zum Anbraten Salz, Pfef fer aus der Müh le 2 EL Meh l Zub ereitung Das Fleisch mit Kalb sfüs schen und Markknochen in ein Glas- oder Porzellangefä ss legen. Für die Mar inade alle Zutaten aufkochen, auskühlen lassen, Fleisch dam it über gies sen, soda ss es ganz bedeckt ist. Gefä ss zudecken und an eine m kühlen Ort 3–4 Tage ziehen lassen. Fleisch herausnehmen und trockentupfen. Mar inade in eine n Topf absieben, aufkochen, Scha um abschöpfen, alles beis eite stell en. Brat butt er in einem Brät er erhitzen, Fleisch wür zen, ringsum anbraten und aus dem Brät er nehmen. Meh l im Brät er mitt elbraun röste n, Mar inade unter Rüh ren dazu gies sen, Kalb sfüs schen, Markknochen und Gemüse beigeben und alles aufkochen. Fleisch dazugeben, wür zen und den Brat en zuge deck t auf kleinem Feuer schmoren (ca. 1½ –2 Stunden) . Fleisch herausnehme n und warm halten. Sauc e absieben und etwa s einkochen. Brat en tran chieren und mit der heis sen Sauc e übergies sen. Mit Spätzli oder Knöpfli serv ieren. tipp : Brat en am Vort ag zubereite n, tranchieren, mit der Sauc e im Brät er zuge deck t kühl stellen. Am näch sten Tag auf kleinem Feuer wieder erhitzen. Ans telle des Apfe lwei ns Süss mos t (wird süss liche r) oder Rotwein verwenden.

WESTSCHWE IZ In An betracht de s internat ionalen Charak ters von Genf und der Na tiona lit ät meiner Frau M arcia – sie ist Bras ilianer in – steuere ich zu m CV P-Si lve stermenü einen br as ilian ischen Or angenk uchen bei. Nicht nu r se iner Exot ik und seines au sgezeic neten Ge schmac hks we gen, sonder n vor al lem we ge der Orange als Zu n tat. Hat doch die vit am in reiche Fr ucht die Fa rb e un serer Pa rtei! –luc Ba rthassat , Nationalrat Genf

*Orangenkuch e

n*

Zutaten für 8 Pe rsonen 4 Eier (E iweis s un d Eigelb getrenn t) 35 0 g Zucker 25 0 g Meh l 1 EL Hefe 1 EL geriebene Orangenschale 5 dl fri sch gepres ster Orangens af t Zu be re itu ng Den Ofen au f 18 0 Grad vorheizen . Ei ne gros se Ku for m mit Butter chenein fet ten und mi t Meh l betäu ben. Eiweiss steif schla Da s gen. Da s Eigelb zu sa mmen mit de Zucker schaum ig m rü hren. In einer weiteren Schü ss Meh l zu sa mmen el da s mit der Hefe und de r geriebenen Oran gensch ale verm ischen. Da s Meh lgemi sch und 2,5 Orangens aft lan dl gs am mit der Eige lbm as se verm ischen, da nach da s steifg esch lagene Eiwe iss vorsichtig un die M as se ziehe ter n. Da s Ga nze in die Kuchen for m und ungefäh r 30 fü llen M inuten backen . M achen Sie denn Te st, ob der Orga ngen kuchen berei ts fer tig ist , indem Sie ein Messer in den Kuchen stech en. Die Messersp mu ss beim herau itze sz iehen saub er se in. An schl ies send kleine Löcher in den Kuchen stech en und die res tli 2,5 dl Orangens aft chen üb er den noch he iss en Kuchen gie ss en.

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Beat Waber, Leiter der NZZ-Bundeshausredaktion

Die grossen themen Der legislatur

Vom Atomausstieg bis zur ZweiverdienerBesteuerung: Auf das neue Parlament warten zahlreiche Grossbaustellen. «Alle gegen alle» scheint das Motto in den bevorstehenden Bundesratswahlen zu lauten. So beginnt die neue Legislatur für das frisch gewählte Parlament mit einem handfesten Kräftemessen. Wie auch immer der Ausgang – nach dem 14. Dezember wird nicht sofort eitel Minne einkehren. Doch für Hurrarufe beziehungsweise Wundenlecken wird nicht lange Zeit bleiben. Und ob «alte» oder «neue» Mitte – in der Sachpolitik wird im Parlament wie im Regierungskollegium alsbald wieder Bereitschaft zur Kooperation gefragt sein.

Vogel Strauss und Schwarzer Peter Manche Grossbaustelle ist schon bekannt. Immer wieder sind aber auch Überraschungen zu gewärtigen – zumal in Bereichen, in denen die Schweiz nicht autonom ist. Wer hat beispielsweise vor vier Jahren vorhergesehen, dass die Steuerflucht aus EU-Ländern und den USA zu einem dominierenden Legislaturgeschäft werden und dass das Schweizer Bankgeheimnis derart rasch aufgeweicht werden könnte? Bewältigt ist dieses Kapitel noch lange nicht. Auch in der neuen Legislatur wird sich die Schweiz internationalem Druck weder mit einer Kopf-in-den-Sand-Haltung noch mit einem Schwarzpeterspiel («die Finanzministerin ist zu nachgiebig») entziehen können. Und früher oder später werden die Änderungen für ausländische Steuerpflichtige auch zu Anpassungen für im Inland steuerpflichtige Bankkunden führen. Zu hoffen ist indes, dass dies demokratisch und rechtsstaatlich sauber geschieht – und nicht mehr mittels Notrecht oder eines nachträglichen, nur scheinbar freien Genehmigungsbeschlusses des Parlaments. Autonomer ist die Schweiz in der Energiepolitik, auch wenn der Anstoss für den schrittweisen Atomausstieg von Aussen kam: von der Natur- und Atomkatastrophe in Fukushima. Mit der sogenannten «neuen» Energiepolitik, die es erst noch zu konkretisieren gilt, soll die Abhängigkeit von Öl-, Gas- und 26

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Uran-Importen vermindert werden. Wie dies gelingen kann und zu welchen Kosten, wird ein heisses Thema der neuen Legislatur. Nicht die ganze Wirtschaft, aber weite Kreise sind skeptisch. Offiziell einig ist man, dass der Umwelt- und Klimaschutz nicht schmutzigen Ersatzenergien geopfert werden darf (Gaskraftwerke oder Import von Kohlestrom). Ob die erforderlichen Förder- und Lenkungsmassnahmen für eine effizientere Energienutzung und für erneuerbare Energien eine Mehrheit finden, steht aber noch keineswegs fest.

Gefährdete Personenfreizügigkeit Zu einem heissen Thema dürfte auch die Europapolitik werden, die in den letzten Jahren etwas aus den Schlagzeilen geraten ist. Dafür sorgen nicht nur die von der EU verlangte automatische Anpassung der bilateralen Verträge und die Spannungen im Steuerrecht (Privilegien für Holdings und weitere Unternehmen, Konflikt um Steuerhinterzieher). Noch konfliktträchtiger könnte im Inland die Personenfreizügigkeit werden, wenn der von vielen Arbeitnehmern gefühlte Konkurrenzdruck weiter durch Studien erhärtet wird, wonach die flankierenden Massnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping nur lückenhaft funktionieren. Eine Rezession, wie sie wegen der Schuldenkrise im Euro-Raum und in weiteren Industrieländern droht, würde die Situation zusätzlich verschärfen. Die bis anhin solide Grundstimmung zugunsten eines freien Austauschs von Arbeitskräften in Europa könnte dann durchaus kippen. Überkompensatorisches Strammstehen Aus der alten Legislatur erben Bundesrat und Parlament eine weitere Grossbaustelle. Die Armee, der es seit Ende des Kalten Krieges an klar definierten Aufgaben, an offensichtlichen Bedrohungsbildern und zeitgemässen Strukturen mangelt, was dem VBS zur Zeit Adolf Ogis den Ruf eines Departements der B-Liga eintrug, ist unter dem lange wenig überzeugend agierenden neuen Verteidigungsminister Ueli Maurer wieder ins Rampenlicht gerückt. Das alte Parlament wollte nicht nur den Umfang der Armee und deren Budget aufstocken, sondern subito auch noch neue Kampfflugzeuge beschaffen. Das neue Par-


Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

lament hat nun zu beurteilen, ob ein überkompensatorisches Strammstehen hinter der lange verschmähten Truppe wirklich adäquat ist. Der Bundesrat will verdienstvollerweise Kostentransparenz herstellen und aufzeigen, welchen anderen Staatsaufgaben der Armeeausbau Sparopfer abverlangen würde. Älter ist eine langfristig wohl noch wesentlich kostenintensivere Pendenz. Sie darf in dieser – bewusst lückenhaften – Aufzählung nicht fehlen: Die Reform der Altersvorsorge kam in der letzten Legislatur nicht vom Fleck. Sie ist seit 2004 hängig,

als die 11. AHV-Revision in der Volksabstimmung mit Zweidrittelmehr verworfen wurde. Ein Neuanlauf scheiterte bereits im Parlament, und bei der beruflichen Vorsorge legte wiederum der Souverän das Veto ein gegen eine Anpassung der Rentenformel an die steigende Lebenserwartung. Sollten Bundesrat und Parlament in der neuen Legislatur für die Altersvorsorge einen wirtschaftlich und sozial tragbaren und zugleich mehrheitsfähigen Weg finden, könnte man ihnen in vier Jahren allein schon dafür die Qualifikation «Anforderungen erfüllt» verleihen. ■

Wichtige Geschäfte in der Legislatur 2011–2015 Thema altersvorsorge iV-sanierung gesundheit energie und umwelt Verkehr

europa- und aussenpolitik

ehepaar- und Familienbesteuerung mehrwertsteuer Wirtschaft Bildung zivile sicherheit militärische sicherheit rechtsschutz und Volksrechte

Streitfragen Frauenrentenalter 65, Flexibilisierung des Rentenalters für alle, AHV-Rentenanpassung an Teuerung und Löhne (Mischindex), Witwenrente, Beseitigung der «Heiratsstrafe» in der AHV, BVG-Umwandlungssatz Neues, stufenloses Rentensystem mit oder ohne Rentenkürzungen, Kinderrenten Referendum zur Förderung von Managed Care (HMO, Netzwerke), Stellung der Hausarztmedizin und der Spezialärzte, Präventionspolitik Neue Energiepolitik mit schrittweisem Ausstieg aus der Atomstromproduktion, ökologische Steuerreform mit Förder- und Lenkungsabgaben, Hürden für Gaskraftwerke Neuer Bahninfrastrukturfonds, Beiträge von Bund, Kantonen und Passagieren für Bau und Unterhalt, Pendlerabzug, Verlagerung der Transitgüter (Grenzwerte, Subventionen, Alpentransitbörse), Verteuerung der Autobahnvignette, Umfang des Nationalstrassennetzes Folgen der Personenfreizügigkeit, Mechanismus für Anpassung bilateraler Verträge ans EU-Recht, neue Verträge (z.B. Stromtransit), Streit über Unternehmenssteuern (Holdings usw.) und Bankgeheimnis (Abgeltungssteuer, Amtshilfe, Informationsaustausch), Agrarfreihandel Beseitigung der «Heiratsstrafe», Verhältnis der Steuerbelastung von Ein- und Zweiverdienerpaaren sowie Alleinstehenden Einheitssatz oder zwei (statt drei) Steuersätze, Ausnahmen (z.B. Gesundheitswesen, Kultur, Mieten), Sondersatz für die Hotellerie, Verhältnis von Gastgewerbe und Take-away Verschärfung des Kartellgesetzes, ev. weitere Massnahmen gegen die Frankenstärke bzw. zur Konjunkturstützung, Revision der Agrarpolitik und neuer Vierjahreskredit Vierjahreskredit für Bildung, Forschung und Innovation, neue Gesetze über Forschungs- und Innovationsförderung sowie über die Weiterbildung, internationale Anerkennung der Berufsbildung, Fachkräftemangel Präventive Überwachung zur Terrorismusbekämpfung, Gewalt an Sportanlässen, Verschärfung des Strafrechts, Berufsverbote Grösse und Budget der Armee, Beschaffung neuer Kampfflugzeuge Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene, Vorprüfung und Ungültigkeitskriterien für Volksinitiativen

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Scheidung aufgrund der Heiratsstrafe Walter Schwager-Bühler, während Ihrer langjährigen Tätigkeit als Heimleiter haben Sie zahlreiche Budgetberatungen für Ehepaare kurz vor oder im Rentenalter durchgeführt. Welche Erfahrung haben Sie dabei gemacht? «Das Geld reicht uns einfach nicht», war und ist eine der häufigsten Aussagen, die ich zu Beginn einer Budgetberatung zu hören bekomme. Tatsächlich ist es so, dass es Ehepaare gibt, die im Alter echte finanzielle Probleme haben. Meistens arbeiteten diese Menschen in handwerklichen Berufen, im Lebensmittelgewerbe oder im Verkauf. Oft trifft es Frauen, die zwar Zeit ihres Lebens gearbeitet haben, aber nur teilzeitig. Wo sehen Sie die Gründe für finanzielle Sorgen von Rentnerehepaaren? Diese Menschen verfügen meistens über keine oder nur über eine sehr schwache zweite Säule, da diese erst 1985 eingeführt wurde. Ausserdem wurde früher die «goldene Fessel» praktiziert: Wenn ein Angestellter seine Stelle wechselte, ging der Betrag, den die Arbeitgeber in die zweite Säule einbezahlt hatte, für den Angestellten verloren. Jeder Stellenwechsel hat also zu einer Verminderung des Altersguthabens geführt. Hinzu kommt, dass gewisse Arbeitgeber die Löhne ihrer Angestellten so tief halten, dass sie nicht BVG-pflichtig werden. Dies trifft dann vor allem Teilzeitangestellte.

leistungen zu beanspruchen. Manchmal verzichteten die Paare darauf, weil das Anfordern von Ergänzungsleistungen den negativen Beigeschmack der «Armengenössigkeit» trägt. Kennen Sie Ehepaare, die sich aufgrund der Heiratsstrafe im Rentenalter scheiden liessen? Ja, in unserem Dorf gibt es zwei Beispiele: Ein ehemaliger Sekundarlehrer und seine Frau sowie ein Ehepaar, das anschliessend nach Bali auswanderte. Der Sekundarlehrer mietete sich eine eigene Wohnung, damit seine Wohnadresse nicht mit derjenigen seiner Frau übereinstimmte. Ihre Freizeit verbrachten sie aber nach wie vor gemeinsam. Das Ehepaar, welches nach Bali auswanderte, sagte sogar öffentlich, weshalb sie sich scheiden lassen. Sie waren der Überzeugung, dass Bali so weit weg sei, dass sie dort niemand mehr kontrollieren würde. Wie waren die Reaktionen im Dorf? Im Dorf wurden diese Trennungen nicht goutiert. Nie habe ich jemanden gehört, der sagte: «Die haben das richtig gemacht, die sind schlau!» Ein Angestellter einer städtischen Ausgleichskasse bestätigte mir, dass auch ihm Trennungen aufgrund von finanziellen Überlegungen bekannt sind. Er vermutet, dass sie in städtischen Gebieten sogar häufiger vorkommen als in ländlichen. Auf dem Land scheint die soziale Kontrolle noch stärker zu wirken. Man tut es, aber man spricht nicht darüber. Es ist tabu. Man schämt sich.

Rentnerehepaare sind zusätzlich benachteiligt, weil sie nur eine plafonierte AHV-Rente von 150 Prozent erhalten. Rentnerpaare, die im Konkubinat oder in einer anderen Lebensform zusammen leben, erhalten 200 Prozent AVH-Rente. Das ist eine erhebliche Benachteiligung der Ehepaare und massiv ungerecht.

–Interview: Simone Hähni und Barbara Christen

Was haben Sie den Ehepaaren geraten? Ich habe nie jemandem direkt gesagt «trennen sie sich» beziehungsweise «lassen sie sich scheiden». Ich habe den Personen die Problematik der Plafonierung erklärt. Ich habe ihnen erläutert, wie viel zusätzliches Geld sie pro Monat erhalten könnten. Oft haben sich die Paare entschieden, Ergänzungs-

Walter schwager-Bühler (71) arbeitete während über 25 Jahren als Leiter von Pflege- und Altersheimen und hat während dieser Zeit und auch in der Zeit nach seiner Pensionierung hunderte von PrivatBudgets erstellt.

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Wird sich die Situation von Rentnerehepaaren zukünftig verbessern? Ändert sich nichts an der gesetzlichen Situation, bleibt die Heiratsstrafe auch in Zukunft bestehen. ■


cVP-zWillingsinitiatiVen – eine erFolgsgeschichte Die CVP Schweiz engagiert sich an vorderster Front für die Familie – nun zum ersten Mal seit vielen Jahren auch mit direktdemokratischen Mitteln. Seit sechs Monaten läuft die Unterschriftensammlung für die CVP-Zwillingsinitiativen. Eine Erfolgsgeschichte! Die Steuerbefreiung der Familienzulagen und die Abschaffung der Heiratsstrafe sind Anliegen, für die sich die CVP seit langer Zeit stark macht. Doch im Parlament kommen diese Anliegen nicht vom Fleck. Damit es nun endlich vorwärts geht, hat die CVP zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Volksinitiativen lanciert. Seither trifft man in der ganzen Schweiz National- und Ständeräte, kantonale Behördenmitglieder, Ortsparteipräsidenten und viele CVP-Mitglieder beim Unterschriftensammeln an. Sei es mit Unterschriftenbögen auf der Strasse, bei einer aufwändigen Standaktion oder sogar im Rahmen eines Wettbewerbs, bei dem das schönste Hochzeitspaar eine Honeymoon gewann; die CVPler sind in vollem Einsatz – und dieser wird belohnt. Die Sammlung verläuft nach Plan, nach Ablauf vom einem Drittel der Sammelfrist sind mehr als die Hälfte der Unterschriften zusammen und die Rückmeldungen der Bevölkerung sind durchwegs positiv. Kein Wunder, denn bei einer Annahme würden alle Eheleute und Familien profitieren. Folglich werden die Initiativen von jungen Singles mit Familienplänen, von Alleinerziehenden wie auch von älteren Rentnerpaaren unterschrieben. Die Unterschriftensammler hören oft Kommentare wie «endlich wird die Heiratsstrafe abgeschafft!», oder «die Familienzulagen sind so wichtig für unser Budget, wir möchten und können diese nicht länger versteuern!». Wer eine Familie gründen will, der soll nicht zuerst nach den Kosten fragen müssen. Junge Paare sollen nicht mehr überlegen müssen, ob sie aus steuerlichen Gründen nicht heiraten sollen. Und Rentnerpaare sollen sich nie mehr fragen müssen, ob sie sich für eine höhere Rente nach 40 Jahren Ehe scheiden lassen sollen – darum geht es uns, und diese Botschaft kommt an. Die Familie ist und bleibt für viele das Wichtigste im Leben – ganz egal, wie «Familie» genau definiert wird. Darum heisst es jetzt Vollgas geben! Helfen auch Sie mit, die notwendigen Unterschriften zusammen zu bringen, und damit unsere Familien zu entlasten. ■ –Tim Frey, Generalsekretär der CVP Schweiz

Unterschreiben Sie noch heute

die initiative «Für ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe», damit die Diskriminierung verheirateter Rentnerpaare endlich ein ende hat.

Die cVP-initiative «Für ehe und Familie – gegen die heiratsstrafe» will die Benachteiligung der ehe gegenüber andern lebensformen konsequent beseitigen und enthält einen klaren auftrag an den gesetzgeber: Verheiratete Paare dürfen gegenüber konkubinatpaaren nicht mehr benachteiligt werden. Von der initiative profitieren alle verheirateten Paare: Diejenigen, welche das traditionelle einverdiener-Familienmodell leben, Doppelverdienerpaare, Paare, bei denen ein Partner einer teilzeitarbeit nachgeht und vorallem auch rentnerpaaare. Diese werden gegenüber ahV-konkubinatspaaren nicht mehr benachteiligt. erfahren sie mehr zur initiative «Für ehe und Familie – gegen die heiratsstrafe» und zur zweiten cVP-initiative «Familien stärken! steuerfreie kinder- und ausbildungszulagen» unter

www.familieninitiativen-cvp.ch Die Politik 8 Dezember 2011/Januar 2012

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A propos KonKordAnz… «Wir sind zur Konkordanz verdammt.» Dieser Satz wird in Zeiten von Bundesratswahlen jeweils häufig zitiert, mit unterschiedlichen Interessen. Die Rede des ehemaligen Ständerats und CVP-Parteipräsidenten (1992–1994) Carlo Schmid zur Konkordanz ist auch heute noch einer der besten Beiträge zu diesem Thema. Deshalb erlaubt sich die Redaktion der «POLITIK», einen Auszug aus seiner Rede abzudrucken.

Foto: ©iStockphoto.com/Jan Stadelmyer

Gerhard Pfister

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«Ich bin der bestimmten Ansicht, dass es in diesem Land nicht nur die Arena als Form der politischen Auseinandersetzung geben darf, in der sich die politischen Kontrahenten wie Gladiatoren begegnen, deren einziges Ziel der Niederschlag oder gar die Erledigung des Gegners ist, den man dann ob seiner Unterlegenheit gerade auch noch verhöhnt. Es braucht auch die Curia, in der man sich gegenseitig nicht nur leben lässt, sondern auch achtet, in der man nicht nur seine eigene Meinung kundgibt, sondern auch die anderen anhört und versucht sie zu verstehen und bereit ist, ihnen zu folgen, wenn sie die besseren Argumente haben, was stets als möglich zu unterstellen ist. Diese Funktion nimmt der Ständerat in besonderer Weise als ‹chambre de réflexion› wahr. Es gebe, so hat Markus Kündig 1984 in diesem Saale erklärt, nichts Vornehmeres, als das gegenseitige Verständnis unter uns Schweizern zu fördern. Und ein Jahr später hat Peter Gerber dem Ständerat jene Funktion bestätigt, die der Altenteil im Leben der bernischen Grossfamilie erfüllte: ‹Das Stöckli ist eine überaus segensreiche Einrichtung, es hat schon oft das Zusammenleben und den Frieden in der Familie gesichert und gestärkt.›


Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die politischen Zeichen in diesem Lande stehen auf auffrischenden Wind; die Verdrossenheit über das bestehende Konkordanzsystem nimmt zu. Man sprach und spricht vom faulen Zauber der Zauberformel, vom Filz der politischen Klasse, vom Sumpf der politischen Mitte, von der Kontur- und Profillosigkeit unserer Politik, vom Kompromiss als Prinzip, von der Angst vor klaren Entscheiden. Periodisch ist dieses System in Frage gestellt worden, periodisch versucht man es zu brechen. Einmal sind es die einen, die es versuchen, ein andermal sind es die anderen, die es probieren. Das alles ist normal, gehört zum Leben eines Landes und ist weder besonders dramatisch noch sonst von besonderer Bedeutung.

In diesem Umfeld kommt dem Ständerat eine besondere Bedeutung zu: Er soll nicht nur, wie erwähnt, ein Ort der politischen Kultur bleiben, er soll auch als Ständekammer parteipolitischen Überlegungen nicht unbesehen folgen, sondern die Auswirkungen aller politischen Entscheide namentlich auch auf den föderalistischen Aufbau unseres Landes bedenken und dabei auch den Minderheiten in diesem Lande sein besonderes Augenmerk leihen.

Immerhin: Wer sich anschickt, das Konkordanzsystem zu brechen, hat einen langen Weg vor sich. Es scheint mir nämlich offenkundig zu sein, dass das Konkordanzsystem in einer direktdemokratischen und pluralistischen Gesellschaft ein zwar in jeder Hinsicht unattraktives, aber ebenso unausweichliches Geschick ist. Wir sind zur Konkordanz verdammt.

In diesem Sinne wünsche ich, es möge uns gelingen, den Bundeszweck auch im nächsten Jahr zu verfolgen, wie er in Art. 2 der noch geltenden Verfassung festgehalten ist: ‹Behauptung der Unabhängigkeit des Vaterlandes gegen aussen, Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern, Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen und Beförderung ihrer gemeinsamen Wohlfahrt.›» ■

Solange man zur direkten Demokratie steht und die Meinungsvielfalt nicht beseitigen will, gilt es, die Konkurrenz in der Konkordanz auszuhalten und nicht, die Konkurrenz anstelle der Konkordanz zu postulieren. Wer Konkurrenz statt Konkordanz will, muss entweder auf die Aufhebung der direkten Demokratie hinarbeiten oder aber eine geistige Gleichschaltung einer Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer herbei zu führen versuchen. Wer all dies nicht will, kommt nicht umhin, die Konkordanz aufrecht erhalten zu müssen.

Ansprache von Carlo Schmid, gehalten am 06.12.1999 im Plenum des Ständerates im Anschluss an seine Wahl zum Ständeratspräsidenten

Foto: ©iStockphoto.com/Floortje

Als Kammer dieses Hauses wird er aber nicht nur jede übertriebene Parteidisziplin als verfassungswidrig zurückweisen, er wird auch die Interessen der Kantone dem Gesamtinteresse des ganzen Landes unterordnen.

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Lag EinstEin faLsch?

Einstein schrieb mit der Formel E = mc2 Geschichte. Die POLITIK widmete ihre Juni-Ausgabe unter dem Titel «E = mc2» den Themen Energie, Masse und Beschleunigung. Nicht ahnend, dass bereits drei Monate später die Formel grundlegend in Frage gestellt würde. Der Berner Physiker David Andreas Baumgartner zu den jüngsten, spektakulären Forschungsergebnissen am CERN.

An dieser Stelle habe ich vor ein paar Monaten von der Schönheit der Physik geschwärmt. Dabei habe ich darüber sinniert, wie wunderbar sich viele Theorien aus verschiedenen Teilgebieten der Physik verschmelzen lassen und so ein abgerundetes Bild unseres Verständnisses der Natur abgeben. Als Beispiel habe ich dazu das sogenannte «Standardmodell der Teilchenphysik» – also die Theorie auf welcher unter anderem die Experimente am CERN in Genf beruhen – angefügt. Bisher hat das Standardmodell nicht nur allen Tests standgehalten, es hat sogar Teilchensorten vorausgesagt, welche erst später im Experiment nachgewiesen wurden. 32

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Mitte September geriet nun aber die Physiker-Gemeinschaft in grossen Aufruhr, als die an einer speziellen Teilchensorte – den sogenannten «Neutrinos» – forschende CERN-Kollaboration OPERA unerwartete Ergebnisse ihrer Arbeit präsentierte. Was war passiert? Das OPERA-Experiment soll die Masse der Neutrinos untersuchen. Dazu werden solche im CERN produziert und auf ein rund 700 Kilometer entferntes Ziel im Gran Sasso-Massiv in Italien gerichtet. Dabei kann unter anderem auch die Zeit, welche die Neutrinos benötigen, um dorthin zu gelangen, sehr präzise gemessen werden.

Unerwartetes Ergebnis Nun haben die Physiker festgestellt, dass die Neutrinos schnell waren, sehr schnell. Genauer gesagt waren die gemessenen neutrinos schneller als licht. Bisher hat man in der Natur nie etwas Derartiges festgestellt! Bezüglich ihrer Geschwindigkeit kannte man nämlich bin anhin nur zwei Arten von Teilchen. Zum einen alle Teilchen, welche eine Masse aufweisen, also alle Materie. Diese Teilchen können sich laut Relativitätstheorie niemals schneller als lichtgeschwindigkeit bewegen. Zum anderen gibt es diejenigen Teilchen, welche keine Masse aufweisen, wie zum Beispiel die Photonen, also die Lichtteilchen. Diese bewegen sich immer exakt mit lichtgeschwindigkeit. Neutrinos welche sich schneller als Licht bewegen, fallen folglich in keine der beiden Kategorien. Was bedeutet das nun? Falsche Resultate? Die OPERA-Projektverantwortlichen sagten an der Pressekonferenz, dass sich die an den Messungen beteiligten Physiker ob den Ergebnissen zuerst selber erstaunt die Augen gerieben hatten. Ihr erster und naheliegender Gedanke war, dass die Resultate falsch sein müssen. Doch bislang blieb die Suche nach einem Fehler erfolglos. Um also Gewissheit zu erlangen, bleibt momentan nichts anderes übrig, als die Resultate eines unabhängigen Experimentes abzuwarten. Relativitätstheorie hinfällig? Bis dahin bleibt viel Zeit, um sich Gedanken darüber zu machen, was denn nun wäre, wenn sich bestätigte, dass Neutrinos tatsächlich schneller als Lichtgeschwindigkeit sind. Erklärungen gibt es viele. Allein im Oktober wurden über 80 Publikationen zum Thema veröffentlicht.


Als erstes stellt sich wohl die Frage, ob – wie in den Medien oft geschrieben – Einsteins Relativitätstheorie hinfällig würde. Dies ist sicher entschieden zu verneinen. Es könnte höchstens sein, dass sich die einsteinsche Relativitätstheorie als «nicht universell» herausstellt und ihre Gültigkeit nur in der bis anhin bekannten Physik hat. Somit müsste eine Verallgemeinerung gefunden werden, die sich aber zwingend wieder in die bisher bekannte Relativitätstheorie überführen lassen müsste. Interessanterweise lässt die Relativitätstheorie, wie wir sie heute kennen, eine weitere Sorte von Teilchen zu, welche sich mit Überlichtgeschwindigkeit fortbewegen. Diese bisher als rein mathematische Spielerei untersuchten hypothetischen Teilchen nennt man «Tachyonen». Aber wie der Nobelpreisträger Sheldon Glashaw kürzlich gezeigt hat, sind die Messresultate der OPERA-Gruppe inkonsistent mit denjenigen, welche man für tachyonische Neutrinos erwarten würde. Somit kann man auch diese Erklärung ausschliessen.

Geschenk für Physiker Weiterhin gibt es eine riesige Vielfalt von Erklärungsversuchen. So gibt es Forscher, welche die Ursache für die Geschwindigkeit der Neutrinos in einem Messfehler der GPSSatelliten sehen, welche die Distanz vom CERN zum Detektor in Italien messen, und nun Anpassungen zu deren Bahnen durchgeführt haben. Andere Physiker wiederum schlagen zusätzliche Raumdimensionen vor, durch welche die Neutrinos «hindurchtunneln» und so gewissermassen eine Abkürzung nehmen können. Was am Ende übrigbleibt, ist die Feststellung, dass die PhysikGemeinde seit der Veröffentlichung der Resultate unglaublich produktiv war. Denn seien wir ehrlich – natürlich freuen sich die Physiker, wenn ein Experiment die vorausgesagten Resultate reproduziert. Aber noch lieber ist ihnen eigentlich, wenn

das Experiment nicht die vorhergesagten Resultate bestätigt. Denn dann können sie sich von Neuem der wunderschönen Aufgabe widmen, unser Verständnis der Welt zu kreieren. In dem Sinne sind die Resultate der OPERA-Forscher ein riesiges Forschungsgeschenk an alle Physiker. Zumindest bis ein anderes Experiment die Neutrinos langsamer als Lichtgeschwindigkeit fliegen lässt und sie wieder zu gewöhnlicher Materie degradiert. ■ –David Andreas Baumgartner, Institut für theoretische Physik, Universität Bern

Wörterbuch der Volksvertreter Schuldenkrise die, Wort zum Jahr, entstanden im Umraum der Schweiz, ausgelöst durch Misswirtschaft verschiedener Länder und Banker. Guter Rat so teuer wie der Schweizer Franken. Auch die Schweiz kann sich jenen bald nicht mehr leisten. Deswegen hier als Gratistipp ein Link auf die Botschaft zur Schuldenbremse aus dem Jahre 2000: www.admin.ch/ ch/d/ff/2000/4653.pdf. Bei (kaum zu erwartendem) Bedarf könnten die Übersetzungskosten auf Griechisch, Italienisch und Portugiesisch von der Schweiz übernommen werden. Selbstverständlich innerhalb der Schuldenbremse.

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VOr 10 Jahren…

Wenn generationen auFeinanDer treFFen In 16 Beiträgen zeigt ein neu erschienenes Buch die Vielfalt der Beziehungen zwischen Grosseltern und Enkeln auf. Die Porträts reichen von der traditionellen Grossmutter über den Punk-Opa bis hin zu den modernen Skype-Grosseltern. Sensibel geschrieben und mit starken Bildern untermalt, gelingt es den Autoren die Begegnungen zwischen Alt und Jung packend festzuhalten. Dabei werden intime Momente auf einfühlsame Weise wiedergegeben und der schmale Grad zur Rührseligkeit gekonnt vermieden. Entstanden ist ein wundervolles Plädoyer für die Familie und den Zusammenhalt der Generationen.

Paula Lanfranconi (Text) und Ursula Markus (Foto): durch dick und dünn. Grosseltern von heute und ihre enkel. ISBN-13: 978-3-905748-10-9 ISBN-10: 3-905748-10-X

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Ende 2001 zogen wir Bilanz eines «annus horribilis». Eine Katastrophe folgt der nächsten. Auf globaler Ebene, aber auch in der Schweiz. Am 13. Januar und am 13. Februar bebte die Erde in El Salvador. Bilanz dieser zwei Erdbeben mit einer Stärke von 7,6 beziehungsweise 6,6 auf der Richterskala: 1142 Tote, 2000 Vermisste und 1,3 Millionen Geschädigte. Am 26. Januar bebte die Erde in Indien. Mehr als 20 000 Personen kamen dabei ums Leben. Am 23. Juni forderte ein Beben mit Stärke 7,9 auf der Richterskala 115 Menschenleben in Peru. 53 Personen wurden vermisst. 1400 Personen werden verwundet und über 70 000 Personen geschädigt. Am 11. September verüben Selbstmordattentäter mit gekaperten Flugzeugen Anschläge auf das Word Trade Center in New York und auf das Pentagon. Die Anschläge fordern fast 3000 Tote. Die Terrororganisation Al-Qaida bekennt sich zu den Anschlägen. Am 21. September explodiert die Chemiefabrik AZF in Toulouse: 31 Tote, 2500 Verletzte und schwere Materialschäden sind die Folge. Am 27. September dringt ein Mann in das Zuger Parlament ein und erschiesst elf Mitglieder des Kantonsrats und drei Regierungsräte bevor er sich selbst richtet. Am 2. Oktober bleiben die Flieger der Swissair am Boden. Der Organisation fehlt es an liquiden Mitteln, um den Treibstoff zu bezahlen. Das Grounding unserer nationalen Fluggesellschaft wird verkündet. Am 7. Oktober beginnt die USA Afghanistan zu bombardieren. Das Datum markiert den Beginn eines jahrelangen Krieges. Am 24. Oktober kostet eine Kollision zweier Lastwagen im Gotthard-Tunnel elf Menschenleben. Am 12. November zerschellt der Flug 587 der American Airline kurz nach seinem Start in New York. 265 Menschen sterben… (ym)


Schockierend Dass in einer Umfrage, welche das Bundesamt für Kultur bei den Schweizer Museen durchführte, 63 Prozent angaben, nie nachgeforscht haben, ob sich in ihren Sammlungen Raubkunst befindet, ist ein Skandal. Dass in der Schweiz keine Handhabe besteht, Museen und Besitzer von Kunsthandlungen zu solchen Recherchen zu verpflichten, ein grosses Versäumnis der Rechtssetzung. Dass die Verantwortlichen des Zürcher Kunsthauses wider besseres Wissen verschwiegen haben, dass Albert von Kellers Bild einem jüdischen Kunstsammler gestohlen wurde und somit Raubkunst darstellt, ist für mich schlicht schockierend. Der Handlungsbedarf ist überfällig. Im Interesse der Schweiz und der Schweizer Kunstszene. Marianne Binder

«Will man einen Menschen kennen lernen, dann sehe man nur, wie er sich benimmt, wenn er Geschenke annimmt oder gibt.» ludwig Börne

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«Sie macht mich rasend – ich werde toll – Sprich, Weib, was ich dir schenken soll.»

Heinrich Heine (1797–1856)

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as Schöne im Dasein eines Milizparlamentariers: man bekommt gelegentlich noch etwas von einer Realität ausserhalb des Bundeshauses mit. Auch zum Thema «Geschenke». So erzählte mir kürzlich eine Musiklehrerin aus meiner Wohngemeinde folgendes Erlebnis: ein achtjähriger Schüler sei in die Musikstunde gekommen und habe ihr aufgeregt mitgeteilt, er habe von seinen Eltern einen Fünfliber für die Chilbi geschenkt erhalten. Anstatt zu musizieren, diskutierten sie nun miteinander alle Möglichkeiten und Wünsche, die man sich mit diesem «Chilbibatzen» erfüllen könnte. Vorfreude pur. Am Ende dieser Lektion kam der nächste Schüler und meinte zu den beiden: das sei gar nichts, seine Eltern hätten ihm soeben zweihundert Franken mitgegeben, nur mit fünf sei an der Chilbi wenig zu machen. Vermutlich ein alltägliches Erlebnis mit wenig Relevanz, ausser für eines der beiden Kinder. Aber Realität. Was kann man davon mitnehmen in die Politik? Vielleicht dies: Bevor man die nächste Reform der Reform der Reform des Schulwesens einläutet, sollte man überlegen, ob man nicht für einmal die Lehrpersonen mit solchen Übungen verschonen könnte. Und ob nicht stattdessen zuerst Erziehungskurse für Eltern günstiger und effektiver wären. –Gerhard Pfister

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