Agro und Versicherung

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Im Wandel: Agro und Versicherung


Im Wandel: Agro und Versicherung


Inhalt

Vorwort Agrarversicherung im Wandel Einleitung Neue Technologien erzeugen Ängste Bedeutung und Entwicklung der Bio- und Gentechnologie Die wichtigsten Begriffe

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Auswirkungen der Gentechnologie auf die Landwirtschaft Grundaspekte Qualitätsverbesserung im Pflanzenbau Krankheits- und Schädlingsresistenzbildung Herbizid-Toleranzbildung Leistungssteigerung in der Milchproduktion Leistungssteigerung in der Fischproduktion

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Auswirkungen auf die Versicherungspraxis Das versicherungstechnische Risiko Erwägungen zum Underwriting Schlussbemerkungen

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Literaturnachweis

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Vorwort

Agrarversicherung im Wandel Forschung und Technik sind Bereiche, in denen Entwicklungen immer rasanter und mit immer grösseren und vernetzteren Konsequenzen stattfinden. Diese Fortschritte und Errungenschaften der Technik macht sich die Landwirtschaft meist mit dem Ziel zunutze, ihre Produktivität zu steigern. Das stellt die Versicherungswirtschaft vor neue Aufgaben.

Der Agrarversicherer sollte sich deshalb die Frage stellen, welche Produkte es braucht, um die Versicherungsbedürfnisse der Zukunft abdecken zu können. Damit er diese Frage beantworten kann, braucht er Sensoren, welche die Entwicklung der Gentechnologie im Zusammenhang mit der Agrarproduktion frühzeitig erfassen.

Entwicklungen mit grosser Tragweite im Agrarsektor sind jene in der Gentechnologie: Ihr Eingriff in die Erbanlagen von Pflanzen und Tieren sprengt Grenzen und erschliesst der Landwirtschaft neue Horizonte. Als Konsequenz der technischen Entwicklung stellt sich deshalb aber auch die Frage, welche Veränderungen die Gentechnologie der Agrarversicherung1 beschert, und ob sie vor einem bedeutenden Wandel steht.

Solch ein Sensor möchte die vorliegende Broschüre sein: Sie soll Anregungen geben für neue Entwicklungen und Anpassungen von Versicherungsprodukten im Agrarbereich. Neue Faktoren bestimmen das Risiko, weshalb man auch von einem «Änderungsrisiko2» spricht. Es stellt sich die Frage, ob dieses mehr durch die neuen gentechnischen Anwendungen in der Landwirtschaft bestimmt wird, oder lediglich aus der generellen Verlagerung von der Grundnahrungsmittelproduktion zu Spezialkulturen hervorgeht. Die Publikation stellt im Überblick einige Nahrungsmittel vor, die durch den Einsatz von Gentechnologie verbessert wurden, und beleuchtet unter dem Blickwinkel der Sachversicherung Zusammenhänge zwischen der Gentechnologie und daraus resultierenden Risiken für die Agrarversicherung.

Auch wenn die breite Anwendung von transgenen Organismen in der Landwirtschaft noch immer am Anfang steht, lassen die jährlich zunehmenden Freisetzungsversuche mit genetisch veränderten Nutzpflanzen vermuten, dass die Gentechnologie im Agrarsektor Fuss fassen wird.

Die Agrarversicherung umfasst traditionell die Hagelversicherung der Ernte, damit verbundene erweiterte Deckungen wie Frost, Sturm und übermässigen Regenfall, die Tierversicherung sowie vermehrt auch Betriebsunterbrechungsdeckungen. 1

Änderungsrisiko ist das Risiko, dass sich risikobestimmende Faktoren aufgrund wirtschaftlicher, rechtlicher oder technischer Einflüsse ändern und diese Veränderung Einfluss auf Schadenhöhe und Schadenhäufigkeit hat.

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Einleitung

Neue Technologien erzeugen Ängste Verschiedene gentechnische Anwendungen in der Landwirtschaft zeigen, wie sich die Ansprüche an die Agrarversicherung verändern können. Immer mehr ist das Änderungsrisiko zu beachten, denn durch technische Einflüsse können Faktoren verändert werden, welche die tatsächliche Schadenerwartung eines Risikos bestimmen. Die Befürchtung, dass die Gentechnik auch Eingriffe ins menschliche Erbgut möglich macht, hat zu einer stark von Emotionen geprägten Diskussion geführt. Um so schwieriger ist es, eine objektive, wertfreie Abwägung der Vor- und Nachteile einzelner Bereiche der Gentechnologie vorzunehmen. Ebenfalls bedarf es auch der Aufklärung über die Konsequenzen (positive und negative), welche sich aus einer verbreiteten Nutzung der Gentechnologie für Mensch und Umwelt ergeben können. Erst dann wird eine Abschätzung des Einflusses auf die gesellschaftliche Entwicklung und letztlich auf die Akzeptanz der neuen Technologie möglich. Im Rahmen einer grossangelegten Umfrage in den zwölf EUStaaten im Jahre 1993 wurde die Akzeptanz von Biotechnologie und Gentechnologie in Europa untersucht. Das Resultat zeigt,

Abbildung 1 (Referenz: Eric Marlier, European Commission and INRA) 1) In einen Prozess integriert, zum Beispiel Hefe beim Backen. 2) Aktiv im Einsatz, zum Beispiel zum biologischen Abbau nach Ölunfällen oder bei Umweltverschmutzungen.

Im geschlossenen System laufen biotechnische Vorgänge hinter physikalischen Schranken wie der Gebäudehülle und dem Bioreaktor (Fermenter) ab. Sie sind damit von Mensch und Umwelt abgeschirmt.

73.5%

B-Mikroorganismen

72.5% 1)

A-Mikroorganismen

56.0% 2)

Anwendung für Menschen

46.5%

Pflanzenproduktion

41.0%

Lebensmittelproduktion

20.0%

Tierprodukte

Im offenen System besteht keine physikalische Abgrenzung zwischen dem gentechnisch veränderten Organismus und der Umwelt. Es ist daher grundsätzlich denkbar, dass solche Organismen auf ihre natürliche Umgebung einen unerwünschten oder schädlichen Einfluss haben könnten. 2

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Ein Versuch, den Nutzen und die Risiken der Bio- und Gentechnologie zu beurteilen, ist die Unterscheidung in geschlossene1 und offene2 Systeme: Bei geschlossenen Anwendungen werden bio- oder gentechnologische Prozesse derart abgesichert, dass die lebenden Organismen weder entweichen noch ungewollt überleben können. Bei offenen Anwendungen werden die Zellen, Bakterien, Pflanzen und Tiere gezielt freigesetzt und lebend in die Umwelt entlassen. In der Landwirtschaft werden transgene Pflanzen und Tiere im offenen System angewendet.

Medikamente, Impfstoffe

Ablehnung in %

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dass die Akzeptanz um so geringer ist, je höher entwickelt der Organismus ist, in welchen eingegriffen wird. Befürwortet wurde die Anwendung von Gentechnologie bei der Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen. Zusehends schwächer wird die Akzeptanz für eine Anwendung in der Pflanzen- und Lebensmittelproduktion bis hin zur Ablehnung in der Tierproduktion. Es wurde auch beobachtet, dass die befragten Personen gegenüber der Gentechnologie um so skeptischer sind, je höher der Industrialisierungsgrad eines Landes ist. Abbildung 1 zeigt die Resultate der Umfrage.

3.0%

Akzeptanz in %


Bedeutung und Entwicklung der Bio- und Gentechnologie Die Grundlagen der Gentechnologie wurden mit der Entdeckung der chemischen Struktur der Erbsubstanz gelegt, der Desoxyribonukleinsäure (DNS), die in allen tierischen und pflanzlichen Zellen und in sämtlichen Mikroorganismen vorkommt. 1953 konnten die Helix-Struktur der DNS aufgeklärt und damit Grundmechanismen erforscht werden, welche die Weitergabe und Archivierung genetischer Informationen ermöglichen: Die Entdeckung, dass alle Lebewesen den gleichen, in der DNS enthaltenen genetischen Code, also die gleiche «Sprache» für Erbinformationen, benützen, öffnete den Weg zur gentechnischen Anwendung dieser molekularbiologischen Erkenntnisse.

tige Therapiemethoden zur Krebsbekämpfung beruhen bereits grösstenteils auf Gentechnologie. Neuerdings können auch gentechnologisch veränderte Mikroorganismen zur Beseitigung von Abfällen und Ölteppichen nach Tankerkatastrophen eingesetzt werden. Die Biotechnologie spielt auch im Bereich der Umwelt-Techniken wie zum Beispiel in der Abwasserreinigung eine Rolle. Auch im Bergbau werden zum Auswaschen der Mineralien, beim sogenannten «Erzleaching», biotechnische Vorgänge angewendet. Im alten Ägypten kamen biotechnische Methoden zur Herstellung von Bier und Sauerteigbrot zur Anwendung, obwohl man sich zu

Der heutige Einsatz von gentechnischen Anwendungen ist vielfältig und erweitert sich ständig. Die wichtigsten Entwicklungen finden in der Pharma-Industrie statt. Heute könnte man sich die Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten ohne Gentechnologie kaum mehr vorstellen. So wird Insulin, welches Diabetikern das Überleben ermöglicht, schon seit 1982 gentechnologisch hergestellt.

Zeiten der Pharaonen die biochemischen Abläufe der Gärung vermutlich noch nicht erklären konnte. Grundlegende Kenntnisse über biologische Vorgänge fehlten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Weitere gentechnische Anwendungen in der Landwirtschaft verfolgen das Ziel, herkömmliche Zucht- und Auswahlverfahren abzukürzen, indem bestimmte Gene, welche die Information für erwünschte Eigenschaften tragen, gezielt übertragen werden. Neben diesem zeitlichen Vorteil ermöglichen gentechnische Anwendungen im Gegensatz zur herkömmlichen Züchtung, die Erbmerkmale von verschiedenen Arten und Rassen zu kombinieren: Gene verschiedenster Pflan-

zen, Tiere, Bakterien und sogar Viren können mit dieser neuen Technologie untereinander ausgetauscht werden. Gerade diese scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten sind es aber, die das erwachende Umwelt- und Sicherheitsbewusstsein der Gesellschaft alarmieren. Dies führte dazu, dass die Frage nach den Auswirkungen neuer Technologien wie zum Beispiel der Gentechnologie auf Mensch und Umwelt ins Zentrum des öffentlichen Interesses trat. Eine Übersicht der gentechnischen Anwendungen zeigt Abbildung 2. In der Darstellung wird zwischen dem Sektor Agro und anderen Sektoren unterschieden.

Abbildung 2 Gentechnische Anwendungen

Gentechnische Anwendungen

Andere Sektoren

Der Anteil gentechnologisch hergestellter Produkte lag 1995 in der Pharma-Industrie bei 6%; Schätzungen sprechen von etwa 16% im Jahr 2000. Auch Diagnosemethoden zur Feststellung von Infektions- und Erbkrankheiten, AIDS-Tests sowie verschiedene künf-

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Sektor Agro

Forschung Molekularbiologie

Fermenter Rekombinierte Proteine

Medizin

Herstellung transgener Tiere

Struktur Funktion

naturidentische Proteine Fusionsproteine

WachstumsGentests steigerung Genkartierung Futterverwertung Gentherapie Fleischqualität Gerichtsmedizin Organspender therapeutische Proteine

Herstellung transgener Pflanzen Krankheitsresistenz Herbizidresistenz Trockenresistenz Kältetoleranz Lagerfähigkeit


Einleitung

Die wichtigsten Begriffe Änderungsrisiko: Komponente des versicherungstechnischen Risikos, welches aus Änderungen in den schadenbestimmenden Gesetzmässigkeiten besteht und damit systematischen Abweichungen der tatsächlich erwarteten Schadenbelastung entspricht. Agro: Sammelbegriff für Aktivitäten im Landwirtschaftssektor, welche mit der Produktion, Verarbeitung und Herstellung von Nahrungsmitteln zu tun haben. Agro umfasst im weiteren Sinne Pflanzenbau, Tierzucht, Aquakultur und Waldwirtschaft. Agrarproduktion: Landwirtschaftliche Produktion oder Urproduktion, die alle Aktivitäten des primären Wirtschaftssektors zur Herstellung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs umfasst. Im weiteren Sinne gehören auch mikrobiologische Prozesse und die verarbeitende Industrie zur Herstellung von Nahrungsmitteln dazu. Agrarversicherung: Bereich der Sachversicherung, welcher sich mit Ernte- und Tierversicherung befasst. Traditionell ist die Agrarversicherung aus der Hagelversicherung im vergangenen Jahrhundert entstanden, als die Bauern sich zu Schicksalsgemeinschaften zusammenschlossen, um ihre Ernten und damit ihre Existenz vereint gegen die Unbill des Hagels zu schützen. Sukzessive hat sich der Umfang und Deckungsbereich der Agrarversicherung

erweitert. Heute gehören neben der erweiterten Hageldeckung auf weitere Naturgefahren auch Betriebsunterbruch und Haftpflicht in diesen Bereich.

Produkt zu entwickeln, das dann nicht den erwarteten Erfolg hat. Das Entwicklungsrisiko gehört zum Bereich des Unternehmerrisikos.

Biotechnologie*): Integrierte, industrielle Anwendung von Erkenntnissen aus der Biochemie, der Mikrobiologie und Lebensmittelchemie mit Hilfe verfahrenstechnischer Mittel mit dem Ziel, das biologische Potential von Mikroorganismen, Zellund Gewebekulturen technisch nutzbar zu machen. Die Anwendungsmöglichkeiten der modernen Biotechnologie sind stark erweitert worden, seitdem in ihr auch gentechnische Methoden Verwendung finden.

Gentechnologie*): Umschreibung für die wissenschaftliche Grundlage für die industrielle Anwendung von Erkenntnissen aus der Molekularbiologie; sie bildet die methodisch-theoretische Voraussetzung für die Charakterisierung, Isolierung und Übertragung von genetischem Material von Lebewesen.

Desoxyribonukleinsäure (DNS): Chemische Verbindung, aus der die Erbsubstanz aufgebaut ist. Träger der Erbinformation in der Zelle. Doppel-Helix-Struktur der DNS: Spiralförmige Anordnung der beiden umeinander gewundenen DNSStränge. Vergleichbar mit einer verdrehten Leiter. Entwicklungsrisiko: Risiko im Zusammenhang mit der erstmaligen konkreten Anwendung und praktischen Umsetzung neuer Kenntnisse (Forschungsergebnisse). Beispiel: Ein Saatguthersteller geht das Risiko ein, ein bestimmtes

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Gentechnik*): Bezeichnung für die einzelnen Instrumente der Gentechnologie, also die Methoden, Verfahren, Materialien und Werkzeuge, die zum Zweck der technischen Nutzbarmachung gentechnologischer Erkenntnisse verwendet werden. Herbizidtoleranz: Eigenschaft einer transgenen Nutzpflanze, die auf die gewollt übertragene Resistenz eines Herbizids zurückzuführen ist. Man sagt, die Pflanze ist dem Herbizid gegenüber «tolerant». Rekombination: Verbindung von DNS-Sequenzen aus verschiedenen Quellen = Neukombination. Resistenz: Widerstandskraft gegen zum Beispiel Toxine und Viren. Durch den Einbau gewisser Gene kann eine Resistenz von Pflanzen und Tieren gegenüber Krankheiten und anderem erreicht werden.

Transgene Organismen: Lebewesen (Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere), in deren Erbgut ein Gen aus einem anderen Organismus eingeschleust wurde («transgene» Eigenschaft = «übertragene genetische» Eigenschaft). Wachstumsrate: Verhältnis von Gewichts- oder Grössenzunahme zur Zeit. Je schneller beispielsweise ein Lebewesen an Gewicht zunimmt, desto höher ist die Wachstumsrate. Die Wachstumsrate sagt nichts über die Qualität des Resultates aus. Zufallsrisiko: Aus der Sicht des Versicherers bedeutet das Zufallsrisiko, dass Abweichungen zwischen dem erwarteten und dem effektiven Gesamtschaden eintreten können, und zwar aufgrund zufälliger Schwankungen der Schadenhäufigkeit und/oder der Schadenhöhe.

*Anmerkung: Im angelsächsischen Sprachraum werden die Begriffe «Biotechnology» und «Genetic Engineering» meist synonym verwendet, was zum Beispiel bei statistischen Informationen oder Branchenangaben zu berücksichtigen ist.


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Auswirkungen der Gentechnologie auf die Landwirtschaft

Grundaspekte Im Pflanzenbau sind die Aussichten auf eine Anwendung von gentechnisch verändertem Saatgut vielversprechend, während man sich in der Tierproduktion noch im Anfangsstadium der Forschung befindet. In der Pflanzenproduktion konzentriert sich die Forschung vor allem auf die Entwicklung von Krankheitsresistenzen, Herbizidtoleranzen sowie Ertrags- und Qualitätsverbesserungen. Entwicklungen im Bereich der Nutztierforschung sind auf ein besseres Wachstum, die qualitative und quantitative Zusammensetzung von Milch und Fleisch, die Verbesserung der Futtermittelverwertung, die Steigerung der Fruchtbarkeit sowie auf Resistenz und Immunität ausgerichtet.

Die meisten transgenen Pflanzen oder Verfahren, die seit Mitte 1994 in den USA nationale Produktionsbewilligungen erhielten, befinden sich noch im Versuchs- oder im Zulassungsstadium. Dazu gehören insektenresistenter Mais sowie frostresistente Tomaten und Erdbeeren, aber auch Anwendungen zur Qualitätsverbesserung, zur Produktionserhöhung sowie zur Krankheitsresistenz oder Herbizidtoleranz von Kartoffeln, Reis, Raps, Tabak, Kürbis, Soja, Sonnenblumen, Melonen, Gurken und Baumwolle. Weltweit wurden zwischen 1986 und 1993 mit genetisch modifizierten Pflanzen aus über zwanzig verschiedenen Pflanzenarten 1025 Freisetzungsversuche durchgeführt. Jede Neuentwicklung muss vor der kommerziellen Einführung sowohl im Labor- als auch im Feldversuch erprobt werden – ein aufwendiger und langwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang.

Die Agrarproduktion, auch landwirtschaftliche Produktion oder Urproduktion genannt, befasst sich im wesentlichen mit der Erzeugung von Nahrungsmitteln. Diese können sowohl pflanzlicher als auch tierischer Herkunft sein. Zur landwirtschaftlichen Produktion sind drei Faktoren nötig: Boden, Arbeit und Kapital. Mit zunehmendem Technologisierungsgrad verlagert sich der Schwerpunkt dieser drei Faktoren in Richtung Kapi-

Das grösste Risiko in der Agrarproduktion bleibt nach wie vor die Abhängigkeit vom Wetter und von der Umwelt. Auch der Anbau unter Glas mindert dieses Risiko nur beschränkt, denn Sturm und Hagel können Treibhäuser ganzer Regionen innert kürzester Zeit zerstören. Andere Risiken in der landwirtschaftlichen Produktion wie Krankheiten, Schädlinge und Seuchen sind ebenfalls nur schwer zu kontrollieren. Hier setzt

tal. Der Boden wird durch Hors-Sol-Anlagen ersetzt und die Arbeit von Maschinen übernommen. Damit braucht es mehr Kapital in Form von Investitionen. Doch je mehr Kapital eine Unternehmung investiert, desto grösser wird der Bedarf an Versicherungsschutz.

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die Gentechnologie ein. Deshalb ist die Frage nach der Art der Beeinflussung dieser Risiken mit gentechnischen Mitteln auch die Frage nach den Folgen für die Versicherungsindustrie: Zu welchen versicherungsrelevanten Veränderungen führt der Versuch, Risiken der genannten Art mit Hilfe der Gentechnologie besser zu kontrollieren oder aber weiter auszureizen?


Qualitätsverbesserung im Pflanzenbau Ein gutes Beispiel kommerzieller Anwendung einer transgenen Pflanze ist die Flavr-Savr-Tomate. Diese Tomate zeichnet sich durch eine über den Erntezeitpunkt hinaus längere Haltbarkeit und damit bessere Lager- und Transportqualität aus. Sie kann im vollreifen Zustand geerntet werden und hebt sich damit geschmacklich von den herkömmlichen, grün geernteten Konsumtomaten deutlich ab. Für den Underwriter gilt es nun abzuschätzen, wie sich die günstige Wirkung verlängerter Haltbarkeit gegenüber einer möglicherweise längeren Exposition im Felde auswirkt. Die Deckungsperiode muss über die normalerweise kritische Reifezeit von 45 Tagen hinaus bis zum Erntezeitpunkt erstreckt

Flavr-Savr-Tomaten Diese Tomaten sind länger haltbar, weil das Gen, welches die Bauanleitung für ein am Fäulnisprozess beteiligtes Enzym liefert, mit gentechnischen Mitteln gehemmt wurde. Durch diese Veränderung verlängert sich

die Reifezeit der Tomate, was mit geschmacklichen Vorteilen verbunden ist. Die dadurch um zwei bis drei Wochen über den Erntezeitpunkt hinaus verlängerte Haltbarkeit bringt aber auch Verbesserungen für den Transport und die Lagerung

Fazit für den Versicherer?

Die verlängerte Haftungsperiode erhöht das Risiko, der erhöhte Versicherungswert führt zu Wertkonzentrationen, und die bessere Haltbarkeit vermindert das Risiko.

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werden. Umgekehrt wirkt sich die Verzögerung des Erntezeitpunktes bei Übernässung der Felder weniger kritisch aus, da die Tomaten haltbarer geworden sind. Der erhöhte Versicherungswert spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle, da sowohl Setzlinge als auch das Endprodukt, die Flavr-Savr-Tomate, teurer sind als konventionelle Sorten. Bereits im herkömmlichen Produktionssystem ohne gentechnische Anwendungen ist es sehr schwierig, die Eintrittswahrscheinlichkeit und damit die Prämiensätze für eine solche Spezialdeckung festzulegen. Bei der Anwendung von transgenen Pflanzen wird diese Berechnung durch diesen Umstand noch komplizierter.

der Früchte mit sich. In den USA wird die Flavr-SavrTomate seit der Bewilligung durch die Food and Drug Administration (FDA) im Jahr 1994 bereits kommerziell angebaut, und man verspricht sich mit dem neuen Produkt grosse Erfolge. Bei

der Flavr-Savr-Tomate handelt es sich um die erste zugelassene kommerzielle Anwendung eines Gentechnologie-Produktes im Pflanzenbau.



Auswirkungen der Gentechnologie auf die Landwirtschaft

Krankheits- und Schädlingsresistenzbildung Ein wichtiges Anwendungsgebiet der Gentechnologie in der Pflanzenzucht ist der Einbau von Resistenzgenen, die vor Krankheits- und Insektenbefall schützen sollen. So wird beispielsweise dem Mais mit einem fremden Gen eine Resistenz gegen den «Maiszünsler» eingebaut. Dieses Gen, das die Bauanleitung für ein Toxin gegen den Schädling trägt, wird von einem anderen Organismus auf den Mais übertragen. Die Resistenz schränkt das Risiko eines Insektenbefalls (Raupen) stark ein und erlaubt es, die Anwendung chemischer Schädlingsbekämpfungsmittel zu reduzieren. In der konventionellen Ernteversicherung sind sowohl Ernteverluste, welche durch Krankheiten und Schädlinge verursacht wurden, als auch Schäden, die grundsätzlich durch entsprechende Pflege und Kulturmassnahmen hätten vermieden werden können, von der Versicherungsdeckung ausgenommen. Es stellt sich nun die Frage, ob das nicht versicherbare Schädlings- und Krankheitsrisiko durch die gentechnische Entwicklung der Pflanze stark abgeschwächt oder gar eliminiert wird, und eine entsprechende Versicherungsdeckung gegeben werden kann.

Bacillus thuringiensis gegen den Maiszünsler Die wohl bekannteste gentechnische Anwendung in der Landwirtschaft ist die Übertragung eines ToxinGens, das vom «bacillus thuringiensis» (BT) stammt, auf Kulturpflanzen. Das BT produziert natürlicherweise ein Toxin, das vor allem gegen den weit verbreiteten Maiszünsler wirkt und in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt wird. Dem

BT wurde nun der massgebliche Gen-Baustein entnommen und in das Erbgut von Maiszellen eingebracht: man spricht nun von transgenem Mais. Vollständige Resistenz der Pflanze gegen den Maiszünsler kann aber dazu führen, dass der Schädling seinerseits gegen das Toxin resistent wird. Um das zu vermeiden, lässt man einen Teil der Pflanzen unbehandelt, so dass immer noch etwa 5% vom Maiszünsler

Dies würde auch dem Wunsch der Versicherungsnehmer entsprechen, transgene Kulturpflanzen gegen Ernteverluste zu versichern. Aus marktwirtschaftlichen Überlegungen werden daher vermehrt sogenannte Mehrgefahrendeckungen angeboten, die einen Ernteverlust durch Krankheit und Schädlinge einschliessen. Ist der Anteil gentechnologisch veränderter Pflanzen in einem Versicherungsportefeuille gross, kann dies im Falle eines Resistenzdurchbruchs zu grossen Schäden führen. Das Schadenpotential ist entsprechend hoch. 1996 ist erstmals ein Fall ungenügender Resistenzwirkung aufgetreten: Gentechnisch schädlingsresistent gemachte Baumwolle wurde grossflächig durch Raupen (cotton bollworm und cotton budworm) befallen. Dies führte zu enormen Ernteausfallschäden. Es ist zu erwarten, dass Agrarversicherungen, welche für die Schäden der Bauern aufgekommen sind, Regressansprüche gegen den Saatgutproduzenten geltend machen werden.

befallen werden können. Dieses Vorgehen soll dem Schädling das Überleben ermöglichen und verhindern, dass er gegen das Toxin resistent wird. Ob der Aufbau einer Schädlingsresistenz jedoch vermieden werden kann, ist fraglich, da die Schädlinge dem Toxin ständig ausgesetzt sind und nicht wie in der klassischen, biologischen Schädlingsbekämpfung nur beim gezielten Einsatz mit dem

Toxin in Berührung kommen. 1990 gelang es auf diese Art zum ersten Mal, kommerzielle Mais-Saatgutlinien gentechnisch zu verändern. Seit 1993 sind mehrere Anträge auf nationale Markteintragungen gestellt worden, und die kommerzielle Einführung resistenter Maissorten ist in den USA bereits 1995 erfolgt.

Fazit für den Versicherer?

Nutzpflanzen, welche durch gentechnologische Eingriffe krankheits- und schädlingsresistent werden, können im Vergleich zu herkömmlichen Sorten mit minimalem Risiko gegen diese Gefahren versichert werden. Im Falle eines Resistenzdurchbruchs besteht die Möglichkeit, Regress auf den Saatguthersteller zu nehmen, was besonders bei Mehrgefahrendeckungen von Bedeutung sein kann.

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Für die herkömmliche Ernteversicherung (Hageldeckung) ist es nicht relevant, ob transgene Nutzpflanzen, welche krankheitsund schädlingsresistent gemacht wurden, in der Landwirtschaft zur Anwendung kommen, da Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten ohnehin nicht gedeckt werden.


Auswirkungen der Gentechnologie auf die Landwirtschaft

Herbizid-Toleranzbildung Mit der Entwicklung herbizidtoleranter Nutzpflanzen versprach man sich schon in den achtziger Jahren eine Verbesserung der Welternährungssituation. Deshalb investierte man viel in die Entwicklung gentechnologischer Anwendungen für die Landwirtschaft. Herbizidresistente Pflanzen sind erfolgsversprechend, weil bestimmte, besonders wirksame Unkrautvertilger nicht nur vor der Aussaat, sondern auch nach dem Aufgehen der Saat eingesetzt werden können, ohne dass die transgene Nutzpflanze dadurch geschädigt wird. Somit könnte in Zukunft auf energie- und arbeitsaufwendige Massnahmen zur Pflege der Kulturen wie die mechanische und manuelle Unkrautbekämpfung weitgehend verzichtet werden. Analog zur Krankheits- und Schädlingsresistenzbildung wird bei der herkömmlichen Ernteversicherung (Hageldeckung) keine Deckung gegen Ernteverluste durch Unkrautbefall gewährt. Gentechnisch herbizidtolerant gemachte Nutzpflanzen unterscheiden sich in diesem Fall versicherungstechnisch nicht von den traditionellen Sorten. Für den Einsatz moderner herbizidtoleranter Produktionssysteme wie zum Beispiel transgener Soja in Kombination mit einem spezifischen Unkrautvernich-

Neue Nutzpflanzen für alte Pflanzenschutzmittel Der grösste Aufwand hinsichtlich gentechnischer Anwendungen im Pflanzenbau wird zur Zeit im Bereich der Herbizidtoleranz von Nutzpflanzen betrieben. Der Ansatz besteht in der Entwicklung von transgenem Saatgut, das Pflanzen hervorbringt, die gegenüber

kommerziellen UniversalUnkrautvertilgern verträglich oder tolerant sind. Dabei trachtet der Hersteller danach, sein Saatgut gegen sein eigenes Herbizid resistent zu machen, um der Landwirtschaft ein abgestimmtes System aus einer Hand anbieten zu können. Es ist anzunehmen, dass Nutzpflanzen mit Herbizid-

ter verlangt der Anwender angepasste Versicherungsdeckungen, die dem Risiko von Toleranzdurchbrüchen sowie dem erhöhten Aufwand für Saatgut und Produktionsmittel gerecht werden. Der Versicherer muss aus marktwirtschaftlichen Gründen der Nachfrage Folge leisten und Mehrgefahrendeckungen anbieten, was durch zusätzliche Prämien möglich ist. Die Gefahr für einen Toleranzdurchbruch kann mangels Erfahrungen nicht abgeschätzt werden. Damit sind Zusatzprämien nicht berechenbar: Es müssen Näherungswerte angenommen werden. Wichtig ist auch hier, dass die fachgerechte Behandlung der Kulturen durch eine entsprechende Klausel in den Versicherungsbedingungen gewährleistet wird. Der Versicherer muss die Möglichkeit ins Auge fassen, Regress auf den Saatguthersteller zu nehmen. Er muss auch wissen, dass die Tragweite bei einem Toleranzdurchbruch um so grösser ist, je mehr transgene Nutzpflanzen in einem Portefeuille versichert sind. In diesem Fall kann das Schadenpotential nämlich sehr hoch sein.

toleranz die erste umfangreiche Kommerzialisierung von transgenen Agrarprodukten sein werden. Schon 1993 wurden in den OECDMitgliedstaaten von über hundert Freisetzungsversuchen mit transgenen Nutzpflanzen 36% mit herbizidtoleranten Sorten durchgeführt. In Nordamerika sind bis Ende 1996 bereits

16 transgene herbizidtolerante Nutzpflanzen zugelassen, worunter Soja, Baumwolle, Tabak, Flachs und neuerdings auch Raps und Radicchio die wichtigsten sind. Soja ist mit einer Produktion von 136 Mio. Tonnen im Jahr 1990 weltweit eine der wichtigsten Nutzpflanzen.

Fazit für den Versicherer?

Nutzpflanzen, welche gentechnologisch herbizidtolerant gemacht wurden, können gegen die Zusatzgefahr «Ernteverluste durch Unkrautbefall» versichert werden. Mit der Einschränkung, dass eine richtige Behandlung der Kulturen vorausgesetzt wird.

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Im Falle eines Toleranzdurchbruchs besteht die Möglichkeit, Regress auf den Saatguthersteller zu nehmen. In der herkömmlichen Ernteversicherung sind herbizidtolerante Nutzpflanzen nicht relevant, da Unkrautbefall ohnehin nicht gedeckt wird.


Leistungssteigerung in der Milchproduktion In den USA ist die Verwendung von «Bovine Somatotropin» (BST), einem Hormon zur Steigerung der Milchleistung von Kühen, zugelassen. Dazu wird den Kühen dieses gentechnisch hergestellte Hormonpräparat während der ersten zwei Drittel ihrer Laktationsperiode (Milcherzeugung) verabreicht, womit ein intensiver Zyklus von Trächtigkeit und Laktation und damit eine generelle Erhöhung der Milchleistung erreicht wird. Eine Folge davon sind grössere Anforderungen an die Fütterung und die veterinärmedizinische Betreuung. Sowohl das natürliche als auch das gentechnisch hergestellte Hormon BST sind in der Kuhmilch enthalten. Auswirkungen des Hormons auf den Menschen sind weitgehend noch unbekannt, was zu heftigen öffentlichen Diskussionen führte. Der Agrarversicherer interessiert sich in erster Linie für die möglichen Auswirkungen dieses Hormons auf die Tiere selbst. Denn in der Tierversicherung werden unter der All Risk Mortality-Deckung bei Zuchttieren neben Krankheit und Tod auch Fruchtbarkeitsstörungen gedeckt. Erfahrungen mit Hochleistungstieren haben gezeigt, dass diese nicht nur einen gesteigerten Stoffwechsel aufweisen – verbunden mit Stress- und Krank-

Transgene Hormone in der Milchproduktion Am 5. November 1993 hat die US Food and Drug Administration (FDA) das gentechnisch hergestellte BST (Bovine Somatotropin)

zur Steigerung der Milchproduktion in den USA zugelassen. Dabei handelt es sich um ein in seiner reinen Form naturidentisches Hormon, das mit Hilfe von transgenen Mikroorga-

heitssymptomen wie Euterentzündungen, Gelenkschmerzen, Verdauungsstörungen und einer Verkürzung der Lebensdauer –, sondern auch weniger fruchtbar sind. Die Vermutung liegt nahe, dass BST-behandelte Tiere vermehrt solchem Stress ausgesetzt sind. Im jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch nicht möglich, dieses Zusatzrisiko im Vergleich zur bereits ohne Einsatz von gentechnisch hergestellten Wirkstoffen stark intensivierten Tierproduktion abzuschätzen. Eine verkürzte Lebenserwartung der Tiere kann für die Versicherung sowohl ein Vor- als auch ein Nachteil sein. Einerseits bedingt sie weniger Unterhaltsprobleme, anderseits werden die Aufzuchtkosten durch den häufigeren Ersatz (Remonte) der Tiere höher. Die Fragen, ob hormonbehandelte Tiere von einer Versicherungsdeckung auszuschliessen sind, Deckungseinschränkungen gültig gemacht werden sollten oder das Zusatzrisiko bedingt durch die BST-Behandlung überhaupt zu vernachlässigen ist, muss jeder Tierversicherer aufgrund seiner versicherten Viehbestände entscheiden. Sicher ist, dass je höher der Anteil an Hochleistungstieren in einem Bestand ist, desto geringer das Zusatzrisiko durch eine BST-Behandlung sein dürfte. Eine abschliessende Antwort auf diese Frage kann jedoch erst mit einer grösseren Schadenerfahrung gegeben werden.

nismen in einem geschlossenen System (Fermenter) hergestellt wird. Der Bauer injiziert den Milchkühen das Präparat im Rhythmus von zwei Wochen während der ersten 200 Tage ihrer

335tägigen Laktationsperiode. Damit erzielt er eine um rund 25% erhöhte Milchleistung.

Fazit für den Versicherer?

Die grössere Krankheitsanfälligkeit sowie die herabgesetzte Fruchtbarkeit bei Tieren, die mit dem Hormon BST behandelt werden, erhöhen das Risiko. Die verkürzte Lebenserwartung reduziert jedoch die Haftungsperiode, die nach oben (Maximal-

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alter versicherter Tiere) stärker als bei unbehandelten Tieren eingeschränkt werden muss. Im Schadenfall besteht kaum die Möglichkeit, Regress auf den Produzenten von gentechnisch hergestelltem BST zu nehmen.


Auswirkungen der Gentechnologie auf die Landwirtschaft

Leistungssteigerung in der Fischproduktion Fische sind eine wichtige Grundlage für die menschliche Ernährung. Mit dem weltweit anhaltenden Bevölkerungswachstum wird auch die Bedeutung dieser Eiweissquelle weiter zunehmen. Ernährungsphysiologisch sind Fischproteine den Säugetier- und Geflügelproteinen gleichwertig und Fischöle meist wertvoller als andere tierische Öle. Zudem kommt der Fischproduktion steigende Bedeutung zu, weil Fische das Futter effizienter in Protein umwandeln als Säugetiere. In der Fischzucht zielen die gentechnischen Eingriffe auf verstärktes Wachstum, Krankheitsresistenz, Widerstand gegen Kälte und Verbesserung der Fleischqualität hin. Zusätzlich zu den traditionellen Züchtungsmethoden werden die gewünschten Merkmale durch gezielte gentechnische Eingriffe selektiv gesucht. Der kanadische Lachs beispielsweise wird durch das «Antifrost-Gen» der arktischen Flunder für kältere Gewässer resistent, wodurch man ihn in den nährstoffreicheren nördlichen Gewässern züchten kann. In den USA wurden transgene Lachse entwickelt, welche elfmal schneller wachsen als herkömmliche.

Transgene Superfische Gentechnische Eingriffe ermöglichen es, Zuchtziele, die man traditionell nur mittels zeitraubender, langsam voranschreitender Zuchtversuche erlangen kann, schneller und effizienter zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist der «Farpfen», eine Kombination aus Forelle und Karpfen. Diese Kombination war mittels natürlicher Paarung bislang nicht möglich. Mit Hilfe der Gentechnologie kann man aber auch dem Lachs ein Gen der Flunder einbauen, das

ihn gegen Kälte besser resistent macht. Das Interesse an solchen Kombinationen liegt vor allem darin, ein besseres Wachstum und damit eine höhere Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Weltweit herrschen unterschiedliche Auffassungen über die Anwendungen von Gentechnologie in der Fischzucht: In Norwegen, wo in der Lachszucht vermutlich die grössten Entwicklungen stattgefunden haben, will man auf gentechnische Eingriffe verzichten und

Der Versicherer muss nun die Vor- und Nachteile solcher gentechnischer Entwicklungen in der Fischzucht abschätzen: Kälteresistenz erlaubt die Verlagerung von Fischfarmen in nördlichere und damit meist auch sauberere Gewässer. Eine grössere geographische Ausbreitung der Produktion ermöglicht eine bessere Verteilung des Risikos. Umgekehrt ist zu beachten, dass gentechnisch veränderte Organismen mit dem gleichzeitig erzielten Wachstumsstress meist krankheitsanfälliger werden. Rascheres Wachstum und damit kürzere Produktionszeiten führen zu momentan höheren Wertkonzentrationen. Im Schadenfall sind somit auch höhere Summen zu entrichten, was wiederum einen Einfluss auf die Liquidität des Versicherers hat. Fischzuchten sind für den Versicherer also ein Änderungsrisiko, dessen Folgen – Risikopotentiale und Schadenszenarien – nur schwer abschätzbar sind.

ausschliesslich durch traditionelle Zuchtauswahl Eigenschaften wie Wachstumsrate, Futterverwertung, Überlebensfähigkeit und Frühreife verbessern. Gentechnische Anwendungen sollen auf Hilfsstoffe wie Vakzine und Vitamine beschränkt bleiben, das heisst auf Produkte, die mit gentechnischen Methoden in geschlossenen Systemen produziert werden. In Grossbritannien dagegen versucht man seit rund zehn Jahren, das Wachstum von Regenbogenforellen

gentechnisch zu erhöhen. In Dänemark sieht man in der Gentechnologie ein wirksames Instrument zur Verbesserung der aquatischen Nahrungsmittelproduktion bezüglich Futterverwertung, Wachstumssteigerung und Krankheitsresistenz. In Kanada, Japan und den USA, welche in der Fischzucht eine wichtige Rolle spielen, steht man der Entwicklung transgener Fischarten positiv gegenüber und geht davon aus, dass diese grundsätzlich kein erhöhtes Risiko darstellen.

Fazit für den Versicherer?

Gentechnisch erzielte Kälteresistenz ermöglicht eine grössere geographische Ausbreitung von Fischzuchten. Damit ist eine bessere Risikoverteilung gewährleistet. Kälteresistenz ermöglicht zudem eine Verlagerung der Produktion in sauberere nördliche Gewässer. Durch gentechnologische Eingriffe werden die Fische jedoch krankheitsanfälliger, womit das Risiko wieder zunimmt.

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Fischzuchten mit transgenen Fischen haben einen rascheren Umtrieb, was zu momentan höheren Wertkonzentrationen und damit im Schadenfall zu bedeutenderen Schadenzahlungen führt.


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Auswirkungen auf die Versicherungspraxis

Das versicherungstechnische Risiko Die landwirtschaftliche Produktion hat einen unverwechselbaren Risikocharakter: Während bei der industriellen Produktion die Hauptrisikofaktoren die Verfügbarkeit der Ressourcen und die Absatzmöglichkeiten sind, kommen in der Landwirtschaft die Elemente «Wetter» und «Ökologie» dazu. Konsumgüter für den täglichen Gebrauch wie Schuhe, Seife oder Autos werden – im Gegensatz zu Agrarprodukten – in geschützten, von der Umwelt kaum beeinflussten Fabrikhallen hergestellt. Ein Getreidefeld hingegen kann vom Aufgehen der Saat bis zur Ernte jederzeit durch Naturgefahren wie zum Beispiel Hagel, durch Krankheit oder durch Schädlinge zerstört werden. Ungewiss sind auch die Risiken in der Tierproduktion: Krankheiten und Seuchen haben naturbedingt eine kaum berechenbare Eintrittswahrscheinlichkeit, obwohl sie als einzelne Gefahr bekannt und in ihrer Tragweite abschätzbar sind. Dementsprechend ergeben sich in der Agrarversicherung grosse Schadenschwankungen. Das versicherungstechnische Zufallsrisiko, das heisst die Gefahr einer Abweichung des tatsächlichen vom kalkulierten Schadenverlauf, ist daher sehr gross.

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Schaut man in Europas Agrarproduktion etwa zwanzig bis dreissig Jahre zurück, stellt man fest, dass damals mehrheitlich Grundnahrungsmittel wie Getreide, Hülsenfrüchte und Kartoffeln produziert wurden. Seit Anfang der achtziger Jahre geht der Trend immer mehr in Richtung Spezialkulturen wie Gemüse-, Obst- und Weinbau sowie Ölfrüchte. Die stärkere Empfindlichkeit dieser Kulturen gegen Hagel, Frost und Sturm bedingt eine Anpassung der Risikoprämiensätze nach oben. Zudem sind auch die versicherten Werte pro Flächeneinheit grösser geworden. Parallel zur immer schneller werdenden Entwicklung in der Landwirtschaft nimmt auch das Änderungsrisiko ständig zu, das neben dem Zufallsrisiko im wesentlichen Masse zum versicherungstechnischen Risiko beiträgt.



Auswirkungen auf die Versicherungspraxis

Erwägungen zum Underwriting Für das Underwriting von Agrarrisiken, die mit der Gentechnologie in Verbindung stehen, gelten grundsätzlich die gleichen Ansätze wie allgemein für herkömmliche Risiken. Von Bedeutung sind der Standort des Risikos, die angewendete Technologie, das Management sowie die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens. All diese Faktoren müssen beim Underwriting berücksichtigt werden. Anschliessend sind Einschlüsse, Ausschlüsse, Versicherungswerte, Selbstbehalte sowie Vorgehen im Entschädigungsfall und Tarife festzulegen. Dem Standort ist in Verbindung mit Gentechnologie vermehrt Beachtung zu schenken, da transgenen Tieren und Pflanzen unter Umständen gewisse Kälte- oder Wärmeresistenzen eingebaut wurden. Kulturen werden damit beispielsweise an nicht artgerechten Standorten angebaut, was ein zusätzlicher Risikofaktor sein kann. Bei der angewendeten Technologie geht man davon aus, dass sie dem neuesten Stand in der Agrarproduktion entspricht und zu bestmöglichen Resultaten führt. Durch die Gentechnologie sind herkömmliche Produktionsmethoden sehr starken Änderungen unterworfen: Einerseits brauchen Resistenzzüchtungen weniger Schädlingsmittel, anderseits können sich Rückschläge wie beispielsweise Resistenzdurchbrüche verheerend auswirken. Dadurch kann das Schadenpotential wesentlich höher werden.

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Die Anwendung von Produkten der Gentechnologie stellt hohe Ansprüche an das Management des Versicherungsnehmers, das sich laufend mit den neuesten Entwicklungen auseinandersetzen muss. In der herkömmlichen Produktion setzt man bei der Risikoeinschätzung voraus, dass Pflanzungen und Züchtungen die nötige Pflege erhalten und gegen ein «Missmanagement» auch nicht versichert werden. Bei der Anwendung von Produkten der Gentechnologie hingegen sind einerseits die Auswirkungen noch sehr wenig bekannt, anderseits möchte sich der Versicherungsnehmer gerade gegen diese Unbekannte schützen. Der Underwriter muss abschätzen, wieweit und zu welchen Bedingungen er ein solches Entwicklungsrisiko versichern will. Hinsichtlich Wirtschaftlichkeit ist bei der Anwendung von Produkten der Gentechnologie zu beachten, dass einerseits schnelleres Wachstum und kürzere Produktionszyklen im Spiel sind, anderseits aber auch kürzere Exponierungszeiten eine Rolle spielen können. Die Risikobeurteilung ist damit für den Underwriter keine leichte Aufgabe.


Schlussbemerkungen Kein Zweifel, die Versicherer werden die wachsenden Risiken in der modernen landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion auch in Zukunft mittragen. Die Frage ist nur: wie und zu welchem Preis? Bei der traditionellen Agrarsachversicherung – der Ernteversicherung gegen Hagel oder kurz: «Hagelversicherung» – ist durch gentechnische Anwendungen keine wesentliche Veränderung des Risikos zu erwarten. Wird die Deckung jedoch über Naturgefahren wie zum Beispiel Hagel oder Sturm hinaus auf sogenannte Mehrgefahrendeckungen erweitert, sind schadenmindernde und schadenerschwerende Faktoren sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen werden zwar gegen Verderben besser geschützt. Sollte aber ein Schaden als Folge eines systematischen Resistenzdurchbruchs eintreten, kann er den Agrarversicherer je nach Durchdringung seines Portefeuilles kumulartig treffen, weil es sich dabei eigentlich um ein Entwicklungsrisiko des Herstellers von rekombinantem Saatgut handelt. In der Tierversicherung wird die Risikolage durch gentechnische Anwendungen noch komplexer: Positiven Auswirkungen auf das Wachstum oder die Qualität sowie damit verbundenen wirtschaftlichen Mehrerträgen stehen die Nachteile einer höheren Krankheitsanfälligkeit oder gar gestörten Vitalität gegenüber.

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Die Unsicherheiten, die eine neue Technologie von der Tragweite der Gentechnologie mit sich bringt, könnten grosse Schwankungen im Aufwand für Schadenregulierungen und Anspruchsabwehr mit sich bringen. Entsprechend muss der Preis für die gewährte Deckung eine ausreichende Vorsorge erlauben. Will die Versicherungswirtschaft die durch den Einsatz der Gentechnologie in der Landwirtschaft entstehenden neuen Risiken risikogerecht decken und tarifieren, und will die Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie ihre Risiken risikogerecht finanzieren, ist das Gespräch zwischen den Beteiligten unabdingbar. Denn nur durch eine gründliche Abschätzung des Höchstschadenpotentials und durch die Einschätzung der Sicherheit gentechnischer Methoden kann das versicherungstechnische Risiko richtig beurteilt werden. Und nur dies gewährleistet, dass die Versicherungsindustrie auch in Zukunft als verantwortungsvoller Partner im Agrarbereich auftreten kann.


Literaturnachweis

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