Ausgabe 3| 2007 www.raumbrand.de ISSN 1613-3501 â‚Ź5
Interview | Mirko Reisser
Der Sprayer an der Wand … raumbrand im Gespräch mit Mirko Reisser alias DAIM
Farbe ist sein Leben – und das seit frühester Jugend. Seine Karriere beginnt im Schutz der Dunkelheit. Legal ist es seinerzeit nicht gewesen, womit Mirko Reisser in Hamburg den Grundstein für einen außerordentlich erfolgreichen Berufsweg legt. Den Rucksack umgehängt, die Kapuze auf dem Kopf, startet er in den jungen Anfangszeiten, als Graffiti fast noch ein Fremdwort in Deutschland war, die Wände seiner Heimatstadt zu erobern. Heute gehört Daim zu den bekanntesten seiner Zunft, hat die Illegalität längst hinter sich gelassen, ist ein gefragter Künstler, der mit seinen dreidimensionalen Arbeiten weltweit vertreten ist. Und das nicht nur auf Wänden, sondern auch in Firmenzentralen, Galerien, Museen und als Skulpturen.
» raumbrand: Herr Reisser, warum haben Graffiti-Sprüher eigentlich ein Pseudonym? Mirko Reisser: Ganz einfach – man kommt aus der Illegalität, da sprüht man nicht unbedingt seinen richtigen Namen an die Wand. Aber auch als legaler Graffiti-Künstler hat man ein Pseudonym, weil man sich mit seinem Namen auseinandersetzt, man findet ihn ja in den meisten Graffitis wieder. Man gibt ihm einen eigenen Charakter und Style, der einen vor allem optisch in
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der Wahl der Buchstaben anspricht. raumbrand: Also die Umkehr vom Prinzip Kunst, wo üblicherweise das Werk ganz klein in einer Ecke signiert wird? Bei Graffitis ist die Signatur das Kunstwerk… Reisser: Ganz genau, man stellt die Signatur, sich selbst, voll in den Mittelpunkt. Das ist der Grund, warum Graffiti überhaupt entstanden ist. Es ist ein Großstadt-Phänomen, aus der Urbanität erwachsen, und ein klares Zeichen, aus der Masse, der Anonymität herauszutreten, ein Zeichen zu setzen:
Mich gibt es! Und das tut man wohl am effektivsten, indem man seinen Namen schreibt. Eine kleine Signatur, das Taggen, war der Ursprung – das Prinzip geht zurück bis zur Höhlenmalerei. Es ist offensichtlich ein Grundbedürfnis des Menschen, seine Markierung zu hinterlassen... raumbrand: Eine kurze Geschichte des Graffiti …? Reisser: Ende der 60er Jahre ging es los, in New York und Philadelphia. Prompt kam der erste Artikel in der New York Times – und
Fotos: ©Cecile Arp; ©Nina Shell; ©Blohm&Voss; ©Andreas Bock; ©Mark McPherson; ©MRpro
” Nina Shell
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Der Sprayer an der Wand … raumbrand im Gespräch mit Mirko Reisser alias DAIM
Farbe ist sein Leben – und das seit frühester Jugend. Seine Karriere beginnt im Schutz der Dunkelheit. Legal ist es seinerzeit nicht gewesen, womit Mirko Reisser in Hamburg den Grundstein für einen außerordentlich erfolgreichen Berufsweg legt. Den Rucksack umgehängt, die Kapuze auf dem Kopf, startet er in den jungen Anfangszeiten, als Graffiti fast noch ein Fremdwort in Deutschland war, die Wände seiner Heimatstadt zu erobern. Heute gehört Daim zu den bekanntesten seiner Zunft, hat die Illegalität längst hinter sich gelassen, ist ein gefragter Künstler, der mit seinen dreidimensionalen Arbeiten weltweit vertreten ist. Und das nicht nur auf Wänden, sondern auch in Firmenzentralen, Galerien, Museen und als Skulpturen.
» raumbrand: Herr Reisser, warum haben Graffiti-Sprüher eigentlich ein Pseudonym? Mirko Reisser: Ganz einfach – man kommt aus der Illegalität, da sprüht man nicht unbedingt seinen richtigen Namen an die Wand. Aber auch als legaler Graffiti-Künstler hat man ein Pseudonym, weil man sich mit seinem Namen auseinandersetzt, man findet ihn ja in den meisten Graffitis wieder. Man gibt ihm einen eigenen Charakter und Style, der einen vor allem optisch in
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der Wahl der Buchstaben anspricht. raumbrand: Also die Umkehr vom Prinzip Kunst, wo üblicherweise das Werk ganz klein in einer Ecke signiert wird? Bei Graffitis ist die Signatur das Kunstwerk… Reisser: Ganz genau, man stellt die Signatur, sich selbst, voll in den Mittelpunkt. Das ist der Grund, warum Graffiti überhaupt entstanden ist. Es ist ein Großstadt-Phänomen, aus der Urbanität erwachsen, und ein klares Zeichen, aus der Masse, der Anonymität herauszutreten, ein Zeichen zu setzen:
Mich gibt es! Und das tut man wohl am effektivsten, indem man seinen Namen schreibt. Eine kleine Signatur, das Taggen, war der Ursprung – das Prinzip geht zurück bis zur Höhlenmalerei. Es ist offensichtlich ein Grundbedürfnis des Menschen, seine Markierung zu hinterlassen... raumbrand: Eine kurze Geschichte des Graffiti …? Reisser: Ende der 60er Jahre ging es los, in New York und Philadelphia. Prompt kam der erste Artikel in der New York Times – und
Fotos: ©Cecile Arp; ©Nina Shell; ©Blohm&Voss; ©Andreas Bock; ©Mark McPherson; ©MRpro
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Mirko Reisser | Interview
brachte die Evolution in Gang. Um aufzufallen hatten schwarze Marker-Tags schnell ausgedient, davon gab es schlicht zu viele. Die Sprühdose kam ins Spiel, zu den Wänden kamen Eisenbahnwaggons und so fort: Grundlage immer der Gedanke, aufzufallen. Da gibt es viele Parallelen zu Werbung und Marketing. Eine Firma, die ihre Marke promoten will, will auch auffallen. Entweder durch massive Präsenz, herausragende Qualität oder auch Dreidimensionalität. Letzteres habe ich im Graffiti von Anfang an mitentwickelt, mit den dreidimensionalen Buchstaben habe ich mich seit Beginn der
90er Jahre von der Masse abgehoben. raumbrand: Seit wann ist Graffiti denn gesellschaftsfähig? Reisser: Auch hier liegt der Anfang in Amerika, durch erste Kontakte zur Kunstszene konnten sich die amerikanischen Graffiti-Sprüher ein Stück weit im Kunstmarkt etablieren. An und für sich war das eher widersinnig, die Szene war extrem jung und die Ambition der Sprüher ist mehr die Abenteuerlust als das Gefühl, große Kunst zu machen. Das ist sehr komplex; wir diskutieren auch innerhalb der Szene, was Graffiti ist.
Dock 10 Blohm & Voss: Drei Jahre Vorbereitungszeit, 14 Tage sprühen ... Hamburg ist um eine Attraktion reicher. (links) Großer Auftritt auf der Biennale in Venedig 2007. Als einer von drei Künstlern gestaltete Daim ein Magazin im Arsenale von Venedig. (rechts)
raumbrand: Und wie definieren Sie Graffiti für sich? Reisser: Generell muss man das immer wieder neu definieren. Es lebt und entwickelt sich ständig. Als ich Anfang der 90er Jahre begonnen habe, die klassische Comic-Outline wegzulassen und den 3DStil zu entwickeln, bei dem man die Elemente durch Licht und Schatten definiert, damit sie plastisch werden, habe ich mir von vielen Sprühern anhören müssen, das sei kein Graffiti mehr. Die Basisdefinition ist klar, das Wort kommt aus dem Italienischen, bedeutet Kratzen, in Wände einritzen. Das kann man mit Wandbild übersetzen. In der Szene gibt es differierende Meinungen zur Definition, dennoch bleibt sie eine Szene. Und obwohl die breite Masse der aktiven Sprüher immer sehr jung ist, sehe ich mich trotz meiner 35 Jahre immer noch als Teil dieser Szene.
raumbrand: Gibt’s da Verfallsdaten oder Altersgrenzen? Reisser: Nein, aber es gibt in Europa kaum ältere Sprüher als mich. Graffiti ist ein Teil der Hip-Hop-Szene. Ich bin da in ein Vakuum eingedrungen, in dem ich meine Freiheiten hatte. Mein erstes legales Bild war ein Auftrag von der Schule, da war ich 17. Als ich mein Abitur mit 19 gemacht habe, konnte ich schon vom Sprühen leben. raumbrand: Was halten Eltern von einer solchen Karriere? Reisser: Da kenne ich böse Geschichten – aber meine Eltern waren zum Glück sehr offen und haben mich gut unterstützt. Klar, wenn man illegal sprüht, steht auch mal die Polizei vor der Tür… Ich bin jetzt auch Vater geworden, mal sehen, was meinem Sohn später einfällt und wie ich dann damit umgehen kann (lacht). Ich hatte nicht geplant, Sprayer zu werden, auch wenn ich immer kunstbegeistert war. Ursprünglich wollte ich Paläontologie studieren, aber als ich das erste Mal eine Sprühdose in der Hand hatte, war alles klar, sozusagen instant connecting. raumbrand: Wie groß ist der Reiz, wenn man in den Städten deprimierend graue Flächen sieht, einfach Farbe in die Welt zu bringen? Reisser: Es geht viel mehr um Form, Farbe und Ausdruck als darum, alles bunt zu machen. Ich habe schon extrem viele Wände besprüht und stelle mehr und mehr fest, dass es mir nicht reicht, dass da einfach nur eine Mauer ist, die man da besprühen
kann. Das heißt, ich sehe die Mauer nicht als geschlossenes Stück Leinwand, sondern beziehe die ganze Umgebung mit ein – auch das ein Aspekt der Dreidimensionalität. Aber wirklich interessante Wände gibt’s leider gar nicht mehr so oft. raumbrand: Wie kommen Ihre Aufträge zustande? Reisser: Das sind Projekte, an denen man in der Regel sehr lange arbeitet – so wie das Dockgemälde hier in Hamburg an Dock 10 von Blohm & Voss, ein Projekt unserer Ateliergemeinschaft. Drei Jahre Vorbereitungszeit – rund zwei Wochen sprühen, da braucht man einen langen Atem, bis man alle Genehmigungen, Sponsoren etc. zusammen hat. Derzeit bereiten wir Arbeiten für die Internationale Bauausstellung und die Bundesgartenschau 2013 vor… raumbrand: Kommen auch Firmen auf Sie zu? Reisser: Ja, da sind spannende Sachen dabei, Firmen, die sich ausdrücklich von meinem Stil angesprochen fühlen, so z.B. ein US-Sportartikelhersteller oder MTV. In erster Linie konzentriere ich mich allerdings auf meine Ausstellungen. raumbrand: Geht dabei nicht der Aspekt des öffentlichen Raumes verloren, wenn sich der Käufer einer Leinwand einen Daim ins Wohnzimmer holt? Reisser: Klar, die Leinwand, die jemand in einer Galerie kauft, ist dann weg. Bei einer Ausstellung im Museum – das ist auch öffentlicher Raum – bleibt der Aspekt aber erhalten. Es ist durchaus ein Unterschied,
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brachte die Evolution in Gang. Um aufzufallen hatten schwarze Marker-Tags schnell ausgedient, davon gab es schlicht zu viele. Die Sprühdose kam ins Spiel, zu den Wänden kamen Eisenbahnwaggons und so fort: Grundlage immer der Gedanke, aufzufallen. Da gibt es viele Parallelen zu Werbung und Marketing. Eine Firma, die ihre Marke promoten will, will auch auffallen. Entweder durch massive Präsenz, herausragende Qualität oder auch Dreidimensionalität. Letzteres habe ich im Graffiti von Anfang an mitentwickelt, mit den dreidimensionalen Buchstaben habe ich mich seit Beginn der
90er Jahre von der Masse abgehoben. raumbrand: Seit wann ist Graffiti denn gesellschaftsfähig? Reisser: Auch hier liegt der Anfang in Amerika, durch erste Kontakte zur Kunstszene konnten sich die amerikanischen Graffiti-Sprüher ein Stück weit im Kunstmarkt etablieren. An und für sich war das eher widersinnig, die Szene war extrem jung und die Ambition der Sprüher ist mehr die Abenteuerlust als das Gefühl, große Kunst zu machen. Das ist sehr komplex; wir diskutieren auch innerhalb der Szene, was Graffiti ist.
Dock 10 Blohm & Voss: Drei Jahre Vorbereitungszeit, 14 Tage sprühen ... Hamburg ist um eine Attraktion reicher. (links) Großer Auftritt auf der Biennale in Venedig 2007. Als einer von drei Künstlern gestaltete Daim ein Magazin im Arsenale von Venedig. (rechts)
raumbrand: Und wie definieren Sie Graffiti für sich? Reisser: Generell muss man das immer wieder neu definieren. Es lebt und entwickelt sich ständig. Als ich Anfang der 90er Jahre begonnen habe, die klassische Comic-Outline wegzulassen und den 3DStil zu entwickeln, bei dem man die Elemente durch Licht und Schatten definiert, damit sie plastisch werden, habe ich mir von vielen Sprühern anhören müssen, das sei kein Graffiti mehr. Die Basisdefinition ist klar, das Wort kommt aus dem Italienischen, bedeutet Kratzen, in Wände einritzen. Das kann man mit Wandbild übersetzen. In der Szene gibt es differierende Meinungen zur Definition, dennoch bleibt sie eine Szene. Und obwohl die breite Masse der aktiven Sprüher immer sehr jung ist, sehe ich mich trotz meiner 35 Jahre immer noch als Teil dieser Szene.
raumbrand: Gibt’s da Verfallsdaten oder Altersgrenzen? Reisser: Nein, aber es gibt in Europa kaum ältere Sprüher als mich. Graffiti ist ein Teil der Hip-Hop-Szene. Ich bin da in ein Vakuum eingedrungen, in dem ich meine Freiheiten hatte. Mein erstes legales Bild war ein Auftrag von der Schule, da war ich 17. Als ich mein Abitur mit 19 gemacht habe, konnte ich schon vom Sprühen leben. raumbrand: Was halten Eltern von einer solchen Karriere? Reisser: Da kenne ich böse Geschichten – aber meine Eltern waren zum Glück sehr offen und haben mich gut unterstützt. Klar, wenn man illegal sprüht, steht auch mal die Polizei vor der Tür… Ich bin jetzt auch Vater geworden, mal sehen, was meinem Sohn später einfällt und wie ich dann damit umgehen kann (lacht). Ich hatte nicht geplant, Sprayer zu werden, auch wenn ich immer kunstbegeistert war. Ursprünglich wollte ich Paläontologie studieren, aber als ich das erste Mal eine Sprühdose in der Hand hatte, war alles klar, sozusagen instant connecting. raumbrand: Wie groß ist der Reiz, wenn man in den Städten deprimierend graue Flächen sieht, einfach Farbe in die Welt zu bringen? Reisser: Es geht viel mehr um Form, Farbe und Ausdruck als darum, alles bunt zu machen. Ich habe schon extrem viele Wände besprüht und stelle mehr und mehr fest, dass es mir nicht reicht, dass da einfach nur eine Mauer ist, die man da besprühen
kann. Das heißt, ich sehe die Mauer nicht als geschlossenes Stück Leinwand, sondern beziehe die ganze Umgebung mit ein – auch das ein Aspekt der Dreidimensionalität. Aber wirklich interessante Wände gibt’s leider gar nicht mehr so oft. raumbrand: Wie kommen Ihre Aufträge zustande? Reisser: Das sind Projekte, an denen man in der Regel sehr lange arbeitet – so wie das Dockgemälde hier in Hamburg an Dock 10 von Blohm & Voss, ein Projekt unserer Ateliergemeinschaft. Drei Jahre Vorbereitungszeit – rund zwei Wochen sprühen, da braucht man einen langen Atem, bis man alle Genehmigungen, Sponsoren etc. zusammen hat. Derzeit bereiten wir Arbeiten für die Internationale Bauausstellung und die Bundesgartenschau 2013 vor… raumbrand: Kommen auch Firmen auf Sie zu? Reisser: Ja, da sind spannende Sachen dabei, Firmen, die sich ausdrücklich von meinem Stil angesprochen fühlen, so z.B. ein US-Sportartikelhersteller oder MTV. In erster Linie konzentriere ich mich allerdings auf meine Ausstellungen. raumbrand: Geht dabei nicht der Aspekt des öffentlichen Raumes verloren, wenn sich der Käufer einer Leinwand einen Daim ins Wohnzimmer holt? Reisser: Klar, die Leinwand, die jemand in einer Galerie kauft, ist dann weg. Bei einer Ausstellung im Museum – das ist auch öffentlicher Raum – bleibt der Aspekt aber erhalten. Es ist durchaus ein Unterschied,
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ob man draußen oder im geschlossenen Raum arbeitet. Im geschlossenen Raum droht die Gefahr, dass die Arbeit zu langweilig wird, weil plötzlich alles perfekt ist. Da fehlt schnell mal die Spontaneität. Wobei Graffiti gar nicht so spontan ist, wie man denken möchte. Man hat ja nur eine gewisse Menge an Sprühdosen dabei. Reicht eine Farbe nicht ganz, muss ich spontan umdisponieren, dann wird’s experimentell. raumbrand: Ist die Farbzusammenstellung vor einem Projekt immer schon fertig im Kopf? Reisser: Ja, im Zeitalter des Computers
Mirko Reisser | Interview
coloriere ich die Skizzen im Vorfeld, habe den Farbentwurf vor mir. Farbe ist generell ein spannendes Thema, weil man bedenken muss, dass man mit der Sprühdose Farben nicht mischen kann. Nach diversen Jahren Arbeit habe ich ja doch noch Kunst studiert, wollte auch mal mit Öl und Pinsel malen und habe festgestellt: Farbenmischen ist schwierig, das muss man richtig lernen. Trotzdem hatte ich immer ein sehr gutes Farbempfinden. Wenn man am Computer mit Farben arbeitet, ist die Farbmischung eine ganz andere als in echter Farbe – plötzlich hat man 16 Millionen darstellbare
Farbtöne zur Auswahl. Real gibt’s im besten Fall vielleicht 1000 verschiedene Sprühdosen, von denen rund 400 in der engeren Wahl sind. Dass man im Computer alle Möglichkeiten hat, macht es nicht unbedingt besser, da wird man schnell zu bunt. Reduktion ist durchaus wichtig. raumbrand: In ihren Arbeiten fällt auf, dass Sie sehr harmonische Farbzusammenstellungen wählen… Reisser: Früher war ich deutlich bunter. Heute benutze ich als Basis häufig eine Grauschattierung und dann vielleicht noch eine Blau- oder Grünreihe.
„Graffiti und Marketing haben viel gemeinsam: Man will auffallen! Durch massive Präsenz, herausragende Qualität – oder auch Dreidimensionalität.“
raumbrand: Wie legen Sie die Grundtöne fest? Nach Umfeld? Reisser: Bei Arbeiten außerhalb achte ich natürlich darauf, dass sie sich in die Umgebung einpassen. In einem Museum oder einer Galerie zählt nur das Bild. Ich bleibe bei meinen Grundfarben, man findet bei mir zum Beispiel wenig Pink. raumbrand: Ihre Lieblingsfarbe? Reisser: Eigentlich mag ich wirklich jede Farbe. Jede Farbe für sich ist einfach toll, man kann ihren Charakter aber noch unterstreichen, in dem man sie mit den richtigen zusammensetzt. Pink und orange passen zum Beispiel unheimlich gut zusammen – pink und mittelblau dagegen gar nicht. Die Farbwahl ist auch stark Launen oder Phasen unterworfen. Ich hatte mal eine Pink-Phase – vielleicht der Grund, warum es mich nicht mehr reizt, ebenso Lila. Im Graffiti hatte man diese Phasen früher weniger wegen eigener Vorlieben, sondern weil mal über jeden neuen Farbton in Sprühdosen froh war. So groß war die Auswahl zu der Zeit nicht, als Sprühdosen in erster Linie für den Automobilbereich produziert wurden. Heute werden sie speziell für den Graffitibereich angeboten, da ist die Auswahl riesig. Zurzeit finde ich eine warme Graureihe sehr schön; ich mag allgemein Töne, die ein bisschen ins
Graue gehen, also nichts knalliges, nichts Kaltes. Bei den T-Shirts allerdings, die ich auch mache, darf’s dann wieder ein bisschen farbenfroher sein, weil man eine gewisse Bandbreite für die Zielgruppe braucht. Aber zwischen bunt und farbig ist ja ein großer Unterschied. raumbrand: Was steht als nächstes an? Reisser: Diverse Ausstellungen, unter anderem bin ich aktuell im Rahmenprogramm der Biennale in Venedig vertreten. Generell geht’s mehr in Richtung Kunstmarkt, ich war auf der Art Cologne, hatte Ausstellungen in der Villa Merkel in Esslingen, in der Kunsthalle Barmen (Von der Heydt-Museum), Wuppertal und der Galerie de Pury & Luxembourg in Zürich. Zudem ist es generell so, dass man als Graffiti-Künstler Räume erobern will – und da gibt es noch einiges für mich zu tun. Graffiti als Architektur, über die Skulptur hinaus, begehbar, riesige Buchstaben, mit Treppen und Balkonen, noch nicht Häuser, aber schon mehr als nur Skulpturen – erfahrbar und begehbar. In der Richtung will ich aktiv werden. Es gibt ja durchaus ein paar Parallelen zwischen Architektur und Graffiti: Man macht etwas und die Leute müssen es sich dann anschauen! raumbrand: Herzlichen Dank für das Gespräch! «
i „Aufstand der Zeichen“. „A tribute to style“. „Still on and non the wiser“. Die Ausstellungen von Mirko Reisser machen neugierig – so wie die Person des Graffiti-Künstlers. In Hamburg aufgewachsen beginnt er 1989 mit dem Sprühen. Ab 1990 studiert Mirko Reisser Freie Kunst an der Schule für Gestaltung in Luzern, Schweiz. In den folgenden Jahren gestaltet er zusammen mit anderen Künstlern unter anderem das höchste Graffiti der Welt (Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde). Zudem entwickelt Reisser sein bis heute aktuelles Markenzeichen DAIM – ein sogenanntes „Tag“ aus der Graffiti-Welt. Nach seinem Studium wird Reisser zum Globetrotter: Er bereist unzählige Länder von Europa über Australien, Asien, Südamerika und Afrika und verarbeitet die gesammelten Eindrücke in neuen Projekten – so plant und realisiert er von 2000 bis 2002 dreimal die „Urban Discipline“-Ausstellung und das begleitende Buchprojekt. 2001 realisiert Reisser für Blohm & Voss im Hamburger Hafen ein 2000 Quadratmeter großes „Dockart“-Projekt. Drei Jahre später gestaltet der Graffiti-Künstler eine Außenwand zum Thema „MexiquEurope“ für das Musée d’Art moderne in Lille, Frankreich. Daim-Werke auf Leinwand werden in Galerien für bis zu 10.000 Euro gehandelt.
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ob man draußen oder im geschlossenen Raum arbeitet. Im geschlossenen Raum droht die Gefahr, dass die Arbeit zu langweilig wird, weil plötzlich alles perfekt ist. Da fehlt schnell mal die Spontaneität. Wobei Graffiti gar nicht so spontan ist, wie man denken möchte. Man hat ja nur eine gewisse Menge an Sprühdosen dabei. Reicht eine Farbe nicht ganz, muss ich spontan umdisponieren, dann wird’s experimentell. raumbrand: Ist die Farbzusammenstellung vor einem Projekt immer schon fertig im Kopf? Reisser: Ja, im Zeitalter des Computers
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coloriere ich die Skizzen im Vorfeld, habe den Farbentwurf vor mir. Farbe ist generell ein spannendes Thema, weil man bedenken muss, dass man mit der Sprühdose Farben nicht mischen kann. Nach diversen Jahren Arbeit habe ich ja doch noch Kunst studiert, wollte auch mal mit Öl und Pinsel malen und habe festgestellt: Farbenmischen ist schwierig, das muss man richtig lernen. Trotzdem hatte ich immer ein sehr gutes Farbempfinden. Wenn man am Computer mit Farben arbeitet, ist die Farbmischung eine ganz andere als in echter Farbe – plötzlich hat man 16 Millionen darstellbare
Farbtöne zur Auswahl. Real gibt’s im besten Fall vielleicht 1000 verschiedene Sprühdosen, von denen rund 400 in der engeren Wahl sind. Dass man im Computer alle Möglichkeiten hat, macht es nicht unbedingt besser, da wird man schnell zu bunt. Reduktion ist durchaus wichtig. raumbrand: In ihren Arbeiten fällt auf, dass Sie sehr harmonische Farbzusammenstellungen wählen… Reisser: Früher war ich deutlich bunter. Heute benutze ich als Basis häufig eine Grauschattierung und dann vielleicht noch eine Blau- oder Grünreihe.
„Graffiti und Marketing haben viel gemeinsam: Man will auffallen! Durch massive Präsenz, herausragende Qualität – oder auch Dreidimensionalität.“
raumbrand: Wie legen Sie die Grundtöne fest? Nach Umfeld? Reisser: Bei Arbeiten außerhalb achte ich natürlich darauf, dass sie sich in die Umgebung einpassen. In einem Museum oder einer Galerie zählt nur das Bild. Ich bleibe bei meinen Grundfarben, man findet bei mir zum Beispiel wenig Pink. raumbrand: Ihre Lieblingsfarbe? Reisser: Eigentlich mag ich wirklich jede Farbe. Jede Farbe für sich ist einfach toll, man kann ihren Charakter aber noch unterstreichen, in dem man sie mit den richtigen zusammensetzt. Pink und orange passen zum Beispiel unheimlich gut zusammen – pink und mittelblau dagegen gar nicht. Die Farbwahl ist auch stark Launen oder Phasen unterworfen. Ich hatte mal eine Pink-Phase – vielleicht der Grund, warum es mich nicht mehr reizt, ebenso Lila. Im Graffiti hatte man diese Phasen früher weniger wegen eigener Vorlieben, sondern weil mal über jeden neuen Farbton in Sprühdosen froh war. So groß war die Auswahl zu der Zeit nicht, als Sprühdosen in erster Linie für den Automobilbereich produziert wurden. Heute werden sie speziell für den Graffitibereich angeboten, da ist die Auswahl riesig. Zurzeit finde ich eine warme Graureihe sehr schön; ich mag allgemein Töne, die ein bisschen ins
Graue gehen, also nichts knalliges, nichts Kaltes. Bei den T-Shirts allerdings, die ich auch mache, darf’s dann wieder ein bisschen farbenfroher sein, weil man eine gewisse Bandbreite für die Zielgruppe braucht. Aber zwischen bunt und farbig ist ja ein großer Unterschied. raumbrand: Was steht als nächstes an? Reisser: Diverse Ausstellungen, unter anderem bin ich aktuell im Rahmenprogramm der Biennale in Venedig vertreten. Generell geht’s mehr in Richtung Kunstmarkt, ich war auf der Art Cologne, hatte Ausstellungen in der Villa Merkel in Esslingen, in der Kunsthalle Barmen (Von der Heydt-Museum), Wuppertal und der Galerie de Pury & Luxembourg in Zürich. Zudem ist es generell so, dass man als Graffiti-Künstler Räume erobern will – und da gibt es noch einiges für mich zu tun. Graffiti als Architektur, über die Skulptur hinaus, begehbar, riesige Buchstaben, mit Treppen und Balkonen, noch nicht Häuser, aber schon mehr als nur Skulpturen – erfahrbar und begehbar. In der Richtung will ich aktiv werden. Es gibt ja durchaus ein paar Parallelen zwischen Architektur und Graffiti: Man macht etwas und die Leute müssen es sich dann anschauen! raumbrand: Herzlichen Dank für das Gespräch! «
i „Aufstand der Zeichen“. „A tribute to style“. „Still on and non the wiser“. Die Ausstellungen von Mirko Reisser machen neugierig – so wie die Person des Graffiti-Künstlers. In Hamburg aufgewachsen beginnt er 1989 mit dem Sprühen. Ab 1990 studiert Mirko Reisser Freie Kunst an der Schule für Gestaltung in Luzern, Schweiz. In den folgenden Jahren gestaltet er zusammen mit anderen Künstlern unter anderem das höchste Graffiti der Welt (Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde). Zudem entwickelt Reisser sein bis heute aktuelles Markenzeichen DAIM – ein sogenanntes „Tag“ aus der Graffiti-Welt. Nach seinem Studium wird Reisser zum Globetrotter: Er bereist unzählige Länder von Europa über Australien, Asien, Südamerika und Afrika und verarbeitet die gesammelten Eindrücke in neuen Projekten – so plant und realisiert er von 2000 bis 2002 dreimal die „Urban Discipline“-Ausstellung und das begleitende Buchprojekt. 2001 realisiert Reisser für Blohm & Voss im Hamburger Hafen ein 2000 Quadratmeter großes „Dockart“-Projekt. Drei Jahre später gestaltet der Graffiti-Künstler eine Außenwand zum Thema „MexiquEurope“ für das Musée d’Art moderne in Lille, Frankreich. Daim-Werke auf Leinwand werden in Galerien für bis zu 10.000 Euro gehandelt.
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