Titel_BS#95_F6 28.05.2008 23:23 Uhr Seite 1 C
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DAIM - DER PROFI THREE 6 MAFIA MARK BODÉ SEPALOT JONESMANN ROGER SHABA DOO NAZAR BUSY P DEUTSCHLAND: D 4,80 AT: D5,50 CH: SFR9,40 S: SKR60 Benelux: D5,70 IT: D6,80 ES: D6,80 CZ: KC175 Slowenien: D6,50 Ungarn: FT 1.715 BACKSPIN | AUSGABE 95 JULI-AUGUST 2008
HIP HOP MAGAZIN AUSGABE 95 JULI-AUGUST 2008
NAZAR | SEPALOT | BUSY P JONESMANN | THREE 6 MAFIA MARK BODÉ | TOM SILVERMAN SCRAM JONES | SHABBA DOO Probedruck
Interview Dennis Kraus|Fotos Cecil Arp, Andreas Bock, MRpro & Gulliver Theiss|Layout Gizmo
Mit seinem 3-D-Stil hat er weltweite Bekanntheit erlangt. Am Ziel angekommen w채hnt sich Daim dennoch nicht. Stetig treibt er die Entwicklungen seines Stils und seiner Technik weiter voran. J체ngst erregte er Aufmerksamkeit mit einem Piece, das er ohne Dose, nur mit Klebeband auf die Wand brachte. Wir haben den Graffiti-K체nstler in seinem Atelier besucht.
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„DAIM – AUF DER LAUER“ | SPRÜHLACK AUF WAND | 450 X 950 CM | 2005 AUSSTELLUNG: „SMELL OF PAINT IN THE AIR“ | KAMPNAGEL, HAMBURG © BY COURTESY OF: REINKINGPROJEKTE
s ist ein Freitag im Mai, an dem Daim, 1971 geboren in Lüneburg, aufgewachsen in Hamb u r g, im Atelier der Künstlergemeinschaft getting-up empfängt. Die Räumlichkeiten von Tasek, Daddy Cool und Daim befinden sich im Hamburger Mercedes-Haus, einem schmucklosen, siebengeschossigen Gebäude in Hamburg-Rothenburgsort auf einer Verkehrsinsel kurz vor den Elbbrücken. Die Ateliergemeinschaft liegt im dritten Stock. Auf über 300 Quadratmetern haben sich die drei ihre Arbeitsräume eingerichtet. Alles sieht aufgeräumt aus. In Daim’s Arbeitsraum stehen in Regalen Bücher und Dosen diverser Hersteller. Eine Wand ziert ein Bild, das er mit verschiedenen Klebeband-Arten auf die Mauer geklebt hat – seine neueste Technik. Am Schreibtisch steht ein Rechner. Auf einem Kleiderständer hängen von ihm designte Textilien, in einem kleinen Regal steht, neben anderen Sneakern, ein „Daim“-Converse-Schuh, der bald auf den Markt kommen soll. 1989 gründete Daim mit Kewen und Duke die Crew Trashcan Design, kurz TCD, zu dieser Zeit nannte er sich noch Caza. Erst 1992 nimmt er den Namen Daim an. 1994 wird er Mitglied der Crews GBF und SUK. 1995, während eines New-York-Aufenthalts, in dessen Verlauf er einige Tage in U-Haft verbringt, wird er in die FX-Crew aufgenommen, später auch in die Crew FBI. Bis heute unternimmt Daim etliche Reisen, darunter im Jahr 2001 eine Weltreise, und sprüht Bilder auf allen Kontinenten. Dazu waren seine Werke in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, etwa bei de Pury & Luxembourg in Zürich, auf der „sculpture@CityNord“ in Hamburg, in der Villa Merkel in Esslingen oder dem Art Centre Silkeborg in Dänemark. In Kooperation mit Jung von Matt führte er das Projekt „Tagged In Motion“ durch und gründete 2005 das Label DA I M a r t w e a r. Zudem gibt es ein Buch über ihn mit dem Titel „Daim – Daring To Push The Boundaries“, darüber hinaus gestaltete er die RegionalWährung „ALTO“ für den Hamburger Stadtteil Altona. Mit der Künstlergemeinschaft getting- u p zeichnet er außerdem verantwortlich für viele Großprojekte und, nicht zuletzt, die „Urban Discipline“Ausstellungen in Hamburg.
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Daim, du sagst, du malst viele Aufträge. Wann warst du das letzte Mal los und hast irgendwo einfach für dich ein Bild gemalt? Ich würde meine Arbeiten nicht mehr als klassische Auftragsarbeiten verstehen. Wenn ich sage: Aufträge mache ich viele, meine ich nicht die klassischen Auftragsarbeiten, wie ich sie früher gemacht habe. Wenn ich heutzutage Projekte mache, gerade auch im Ausstellungskontext oder wo es um Kunst am Bau geht, sind das völlig freie Sachen – so, wie man früher am Wochenende an der Hall of Fame das gemalt hat, worauf man Bock hatte. Wann ich das letzte Mal einfach am Sonntagnachmittag ein Bildchen nur für mich gemalt habe, daran kann ich mich
ten raus, übern Zaun. Ich habe mit Duke und Björn, Schiffmeister von Fettes Brot, das sind ja Brüder, angefangen, zu sprühen. Wir waren auf derselben Schule, und eines Nachmittags saßen wir bei mir im Zimmer. Und da standen ein paar Dosen, mit denen ich gerade mein Skateboard besprüht hatte. Wir hatten schon ein bisschen gezeichnet, und da haben wir uns mitten am Tag gesagt: „Hey, lass doch mal mit den Dosen raus und loslegen.“ So sieht das Bild auch aus, aber das ist wirklich ganz klar in der Erinnerung geblieben, das war vor 19 Jahren. Du hast 1989 angefangen. Wie war das damals für dich, in die Graffiti-Szene reinzukommen? Konnte
„Ich kannte weder 3-D-Bilder von Delta noch welche von Erni. Ich habe den 3-D-Style einfach für mich entwickelt, ohne das mit anderen zu vergleichen.“ nicht erinnern – obwohl, doch: Letztens habe ich mit Desk7 im Freihafen was gemacht. Das war allerdings auch schon vor einem Jahr und wirklich eine Ausnahme. An sich ist das schon zig Jahre her, dass ich einfach so, oder auch auf Jams, gemalt habe. Die Zeiten sind vorbei. Dafür hast du keine Zeit mehr? Nein, man wird älter, die Dinge ändern sich. Und das, was ich jetzt mache, fühlt sich genauso richtig und gut an. Als ich vor Jahren auf einer Jam mit irgendeinem Sprüher an einer Wand gesprüht habe und er mich gesiezt hat, dachte ich mir schon, dass ich das vielleicht noch ein, zwei Jahre machen würde, aber es sich dann irgendwie nicht mehr „richtig“ anfühlen wird. Kannst du dich noch an dein erstes Piece erinnern? Logisch, als wäre es gestern gewesen. Das war an einem Stromhaus bei meinen Eltern hinten zum Gar-
man sich den Typen, die damals unterwegs waren, einfach so anschließen? 1987/88 war hier eine Hoch-Zeit, doch als 1988 viele Hamburger erwischt wurden, war danach gar nichts mehr los. Oder man hat es nicht mehr mitgekriegt. Wir haben genau in diesem Down angefangen und kannten dadurch niemanden. Der Erste, den ich kennengelernt habe, war Cario. Wir hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung und wussten gar nichts. Bei Karstadt hatte ich mal einen Sprüher getroffen, der mir erklärte, dass man von den Spritzen die Nadeln heiß machen und in die Caps stecken müsste, um besonders dünn sprühen zu können. Man hat wirklich jeden Tipp aufgesogen. Natürlich hatte man „Spraycan Art“ und „Subway Art“, wobei mein erstes Graffiti-Buch „Munich Life – Die S-Bahnen gehören uns“ war. Dadurch war mein Style eher von den europäischen, deutschen Sprühern beeinflusst. Dieses New-York-Graffiti war ja schön und gut, aber mich haben die Pariser Sachen, die Mode-Sa- 2 Juni | Juli 2008 #95 BACKSPIN 3
„DEIM – FROM CORNER TO CORNER“ | KLEBEBAND AUF WAND 370 X 1100 CM | 2007 © BY COURTESY OF: REINKINGPROJEKTE
chen in „Spraycan Art“ viel mehr geflasht. Die Cemnoz-Styles oder die von Loomit, Skena und Zebster, die damals im „Stern“ in einem Bericht über die Flohmarkt-Hallen waren, haben mich extrem fasziniert. Das waren schon eher die Vorbilder. Dann lernte ich in den ersten ein, zwei Jahren einige Sprüher kennen. Irgendwann auch Hesh und über ihn Skena und auch Loomit. Hesh wurde dann ja auch für mehrere Jahre ein Partner, wir haben extrem viel zusammen gemacht.
„Ich bin kein ABC-Styler, ich habe nie das Alphabet für mich durchgezeichnet. Mir haben meine vier Buchstaben gereicht.“
Wie sind dir diese Leute begegnet? Wie bist du ihnen begegnet? Ich bin nicht der klassische Fan-Typ, der den Profi-Jungs beim Sprühen zuguckt. Ich machte einfach mein Ding und versuchte, mich zu entwickeln. An der Stellingen-Wand hatte ich 1991 ja schon den Einstein gemalt. Als ich Hesh und Skena kennenlernte, war ich ja nicht mehr der totale Toy, sondern hatte schon mein Standing. Deswegen ist man solchen Leuten auch normal begegnet. Das ging alles ratzfatz. Ich fing dann auch schnell zu reisen an und war auf den Jams, so rutschte man automatisch in die Szene. Das hat einem viel gegeben und extrem geprägt, auch wenn es viele negative Seiten wie die Regeln und Dogmen gibt. Dich haben schon am Anfang die Dogmen gestört? Ich bin da ambivalent. Eigentlich finde ich auch, dass man gewisse Dinge erst mal lernen und wissen muss, dann kann man darauf aufbauen. Das Problem ist bei „normalen“ Künstlern ja eigentlich immer, dass sie alle auf ihrem „Ego-Trip“ sind. Das sehe ich nun, da ich auch viel mit anderen Künstlern zu tun habe, immer mehr. Da macht dann jeder sein Ding, lebt in seiner Welt, hat seine Bildsprache, seine Technik. Das ist alles seins, das
hat er entwickelt, was ja auch gut ist. Aber dadurch kann er kaum mit anderen kommunizieren. Er kann sich kaum mit anderen austauschen oder mit anderen zusammenarbeiten. Das ist bei uns nicht so. Denn irgendwie sprechen wir alle eine Sprache, weltweit. Das ist schon viel wert, aber das funktioniert natürlich nur, wenn du am Anfang die Regeln gelernt hast. Aber wenn du das alles umgesetzt hast, kannst du die Regeln für dich auch aufbrechen. Damals, als ich die Outlines weggelassen habe, haben diverse Leute ja gesagt, dass das kein Graffiti mehr sei. Du und Hesh, ihr habt zeitgleich begonnen, die Outlines bei euren Bildern wegzulassen. Wie hat sich die Idee entwickelt? Ich hatte vor dem Sprühen schon lange gezeichnet, hatte Kunstleistungskurs, habe fotorealistisch gezeichnet. Van Gogh und Dali – das fand ich alles sehr beeindruckend. Und da war nirgendwo eine Outline drumrum. So sah ich irgendwann keinen Sinn mehr darin, dass alles eine Outline haben muss. Ich fing also an, zu schattieren, Licht und Schatten zu setzen, und plötzlich gibst du dem Ganzen eine Form, auch ohne Outline. Hesh hatte weitere Ideen, wie man das aufbrechen konnte. So haben wir das dann gemeinsam entwickelt. An dem Punkt sind einige Kritiker laut geworden. Der Vorwurf lautete, ihr würdet Delta kopieren. Konntest du das nachvollziehen?
DAIM-LINE
„DAIM – DER AUFBRUCH“ | HAMBURG | 1993
„DIME“ | HAMBURG | 1993 „DAIM – GEGEN RECHTSRADIKALISMUS“ | HAMBURG | 1992
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So, wie ich das nachvollziehe, war die Entwicklung ungefähr zeitgleich. Dazu hat Delta auch immer noch Outlines gemacht, auch wenn er mit Licht und Schatten gearbeitet und seine Buchstaben geknickt hat. Ich habe es halt ohne Outlines gemacht. Also müsste man differenzieren, wer da was entwickelt hat. Aber ich finde das völlig nebensächlich, ich schreibe mir auch nicht auf die Fahne, Erfinder des 3-D-Graffitis zu sein. Ich glaube, dass das damals in der Luft lag, wie das immer bei gewissen Entwicklungsschritten ist. 1991/1992 wurde alles plötzlich dreidimensionaler, die ersten Computer wurden massenkompatibel, Logos in der Werbung oder auch Computer-Games wurden immer realistischer. Um wie hast du deiner Meinung nach den 3-D-Style erweitert? Ich kannte weder 3-D-Bilder von Delta noch welche von Erni. Ich habe das einfach für mich entwickelt, ohne das mit anderen zu vergleichen. Wenn ich jetzt alle meine Bilder in eine Zeitleiste lege, sieht man, wie sich das entwickelt hat. Und ich glaube, dass es sich sehr konstant entwickelt hat und weiterentwickeln wird. Das ist eigentlich auch das, worauf ich am meisten stolz bin: Dass sich nach 19 Jahren in meinen Bildern immer noch was tut. Und das, obwohl ich in den ganzen Jahren eigentlich nur vier Buchstaben schreibe. Es entwickelt sich immer weiter, und das, finde ich, zählt. Was ich jetzt genau gemacht habe oder nicht – im Kontext zu anderen ist das für mich erst mal nebensächlich.
kann. Wenn du einen Pinsel und eine Öltube nimmst und damit ein bisschen rumkleckst, ist das ja auch nicht automatisch Kunst. Kunst muss man durch etwas anderes definieren als nur durch die Technik. Und ich glaube, so werde ich auch in einem Kunstkontext wahrgenommen. Man beurteilt quasi das Werk und den Weg, auf dem man dahin gekommen ist. Ich bin da bislang noch nicht auf Ablehnung gestoßen und hatte auch nicht das Gefühl, dass ich in diesem Umfeld nicht erwünscht wäre. Findet man denn auf renommierten Kunstmessen Werke, die in irgendeiner Form etwas mit Graffiti zu tun haben? Als ich etwa auf der Art Cologne eine große Wandarbeit realisierte, war ich der Einzige, der dort etwas im klassischen Graffiti-Stil gemacht hat. Es gab da auch nichts zu sehen, wovon man hätte denken können, der Typ dahinter ist ein Sprüher. Das finde ich sehr schade, ich hoffe, dass sich das noch ändert und dass man da mehr Leute sieht, die das selbstverständlich als Kunst vertreten und sich damit als Künstler positionieren wollen. Du warst auch auf der „Biennale“ in Venedig. Was ging da ab? Ich habe, zusammen mit JR aus Paris und 108, einem Streetartist aus Italien, im Rahmenprogramm der Biennale je eine großformatige Wandarbeit realisiert. Das SKETCH AUF PAPIER | 2004
Dir geht es also allein darum, deinen Namen zu schreiben und dich stilistisch wie technisch weiterzuentwickeln? Ja, auch. In erster Linie geht es mir immer noch um Style. Das, was ich sprühen will, muss Style haben. Das war schon immer mein Anspruch. Und Style ist ja nun ganz unterschiedlich. Style hat ja was mit Stil zu tun, aber auch, wie er geschwungen, wie der Flow ist. Das ist ja auch eine Bauchgeschichte. Wenn ich für mich das Gefühl habe, es stimmt, dann stimmt es. Das ist ja keine Botschaft an andere. Ich will den anderen nicht zeigen, was Style ist. Und wenn der sich verändert und auch noch die technische Komponente dazukommt, entwickelt sich was, was die ganze Sache für mich dann unglaublich spannend macht. Ob das jetzt anderen gefällt oder ob ich damit Erfolg habe, ist erst mal nebensächlich. Im Endeffekt bin ich erst mal nur danach gegangen: Was fühlt sich für mich gut an und bringt mir Spaß. Du hast es vorhin schon gesagt: Heute hast du auch öfter mit „normalen“ Künstlern zu tun. Wie sehen die Graffiti? Ist das für die Kunst? Die Diskussion, ob Graffiti Kunst ist, haben wir ganz extrem spätestens 2002 bei der „Urban Discipline“ geführt. Das war ja auch ein Grund, diese Ausstellungen zu organisieren. Wir wollten ein Forum schaffen und darüber diskutieren, wie sich Graffiti etwa verändert, wenn es auf die Leinwand kommt oder wenn man es ausstellt. Letztlich kann man das nicht allgemeingültig definieren. Aber es kam relativ deutlich raus – und das war eigentlich auch immer meine Meinung –, dass Graffiti nicht automatisch Kunst sein
sind tolle Gelegenheiten, die eigene Arbeit frei von kommerziellen Absichten zu präsentieren. Genauso wie zum Beispiel bei den letzten großen Ausstellungen in der Kunsthalle Barmen in Wuppertal, der „Still On and Non The Wiser“, oder der „Fresh Air Smells Funny“ in der Kunsthalle Osnabrück. Die Präsentation in solchen Häusern wird natürlich ganz anders wahrgenommen als auf Kunstmessen, die ja auch den Zwängen des Kunstmarkts unterliegen. Ist dir dieser eher museale Kontext inzwischen lieber als die klassische Graffiti-Welt? Natürlich, das ist meine Weiterentwicklung. Es fühlt sich für mich nicht mehr richtig an, auf einer Jam zu sprühen. 2
„DAIM – BREAKING OUT“ | DRESDEN | 1997
„DAIM VERLAUF“ | BUENOS AIRES | 2001
„DAIM MOSAIK“ | HAMBURG | 1994
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Wechseln wir das Thema: Neben vielen deiner Bilder listest du nach wie vor die Crews auf, in denen du bist. Wie wichtig sind dir die Crews? Na ja, das stimmt nicht so ganz. Eigentlich mache ich das nur noch bei den freien Arbeiten, die ich für mich mache. Ich würde viel lieber mal wieder was mit den einzelnen Crews machen. Aber das passiert leider sehr selten. Vieles hat sich ja auch entwickelt, mit dem einen oder anderen hat man vielleicht gar nichts mehr zu tun. Aber die Crews sind natürlich wichtig und gehören dazu. Ich möchte keine missen, und ich fände es auch schade, zu sagen: „Leute, lasst uns mal die Crew auflösen.“ Für mich gibt es die TCD immer noch, Kewen ist immer noch aktiv, auch wenn wir schon ewig nichts mehr zusammen gemalt haben. Duke wohnt bei mir um die Ecke, wir sehen uns und quatschen, aber schaffen es trotzdem nie, mal wieder gemeinsam an einer Wand zu stehen. Du hast dich nie öffentlich zu Themen wie Style-Theorie geäußert. Interessiert dich das Thema nicht? Ich bin jedenfalls kein ABC-Styler, ich habe nie das Alphabet für mich durchgezeichnet. Mir haben meine vier Buchstaben schon gereicht. Ich sehe das Ganze eher als Objekt, Bild oder Modell, an dem ich Dinge auspro-
coole Jungs und coole Styler. Von denen wurde ich jedoch nicht beeinflusst. Meine Wurzeln liegen, wie gesagt, eher in Hamburg oder München. Berlin ist natürlich gerade in Sachen Streetart extrem groß geworden. Dazu ist Berlin eine super Stadt, und ich bin sehr gerne da. Viele Freunde sind inzwischen aus Hamburg nach Berlin gegangen, und auch ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, dahin zu gehen. Die Stadt bietet einem viele Freiräume. Aber nach meinem Studium in Luzern, in der Schweiz, ist mir klar geworden, dass Hamburg meine Heimat ist, auch wenn ich nicht hier geboren wurde. Zumal man heute ja in anderthalb Stunden von Hamburg nach Berlin kommt. Man kann diesen Flavour auch mitnehmen, ohne dass man da wohnt. Wie steht es um deine Auftragsbücher, sind die gut gefüllt? Ja, das hat sich alles gut entwickelt. Und das fühlt sich auch gut an. Ich habe eine Familie und ein Atelier und kann nicht klagen. Bei mir ging es immer recht konstant bergauf, wenn auch nie steil. Ich habe gelernt, über das Jahr zu kommen, auch wenn es immer Monate gibt, in denen kein Geld reinkommt. So habe ich immer Phasen, da zeichne ich viel oder mache Sachen am Rechner, und dann kommen wieder Phasen, wo ich viel draußen
„DAIM – ALL DIRECTIONS“ | SPRÜHLACK AUF WAND | 450 X 1350 CM 2007 | AUSSTELLUNG: „STILL ON AND NON THE WISER“ | KUNSTHALLE BARMEN, WUPPERTAL © BY COURTESY OF: REINKINGPROJEKTE
„Wenn man seine Bilder nicht zeigt, existieren sie ein Stück weit auch nicht. Sie gelangen nicht in die Köpfe der Menschen.“ bieren kann. Das heißt, mir geht es nicht so sehr um die Buchstaben oder das Alphabet im Allgemeinen. Und das Bedürfnis, mich zu dem Thema anderen mitzuteilen, habe ich nicht. Dieses Schüler-Lehrer-Ding hatte ich eh nie drauf, auch wenn das früher normal war. Jeder sollte ganz individuell für sich etwas entwickeln. Manche brauchen das vielleicht, dass sie ein paar Anweisungen kriegen, aber ich habe die nicht bekommen und muss das auch nicht so weitergeben. Viele Sprüher unterhalten Kontakte nach Berlin. Für viele ist Berlin die Graffiti-Hauptstadt des Landes. Du hast dich nie in Richtung Spree orientiert, sondern warst eher gen Süden oder Westen unterwegs. Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage (lacht). Die ersten fünf, sechs Jahre hat Berlin für mich keine Rolle gespielt. Außer dass Ces53 da nach dem Mauerfall ohne Ende Action gemacht hat. Auf allen Jams in der Republik, wo ich war, haben viele Berliner Scheiße gebaut. Sicher gab es da ein paar
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mache. Ich verdiene ja auch nicht nur mit der Sprühdose mein Geld. Heute mache ich auch mein Merchandise, Poster, iPod-Skins, Textilien. Wie steht es um deine Textillinie? Treibst du die immer weiter voran? Wie es zu DAIMartwear kam, ist eine witzige Geschichte. Ich hatte 1991 mit Richie, der heute „Mantis“ macht, das Label „Phat“ gegründet. Wir machten T-Shirts und Rucksäcke. Und dann hätte uns fast Phatfarm verklagt wegen des Namens. Also stellten wir „Phat“ wieder ein. Ich hatte damals die Separation für die Siebdrucke alle per Hand gezeichnet. Ich als „Techniker“ fand das sehr spannend, zu sehen, wie das mit der Technik der Siebdruckerei funktionierte. Das Thema war aber relativ schnell durch für mich. Ich fand damals dazu keinen richtigen Zugang, also machte Richie allein weiter. Später fing ich an, für Tribal was zu machen, dann für Carhart und für Levi’s. Das machte ich dann alles am Computer. So war es naheliegend – für andere Labels hatte das ja immer gut funktioniert –, ein eigenes zu gründen. Heute
habe ich zwei gute Partner, die sich um alles andere kümmern, sodass allein das Kreative bei mir liegt. Wir begannen mit einigen großen Kollektion, und das läuft sehr gut. Aber mir ist auch klar, dass ich nicht ein zweiter Marc Ecko werde. Ich bin Künstler und will mich auf meine Kunst konzentrieren. Ich sehe das ein Stück weit als Merchandise, dazu gibt es ja auch Sticker, Postkarten und Poster. Gerade diese Printgeschichten finde ich super, da ich so auch meine Grafiken präsentieren kann. Ich mache ja auch viele Illustrator-Arbeiten. Heute präsentieren sich viele Graf„DAIM – COLD EXPLOSION“ „DAIM – SUCHENDE GEBORGENHEIT“ „DAIM – CUT“ fiti-Sprüher aufwendig im Internet. SPRÜHLACK AUF LEINWAND SPRÜHLACK AUF LEINWAND SPRÜHLACK AUF LEINWAND Geht durch die stete Verfügbarkeit 150 X 100 CM | 2005 150 X 100 CM | 2005 150 X 100 CM | 2005 der Bilder im Web nicht auch e t w a s vom ursprünglichen Reiz verloren? Na ja, da fragst du jetzt den Falschen. Mein Hobby ist ja Computerei. Darkann ich aber nachvollziehen. Für viele ist das ja völlig abstrakt, nicht zu wissen, auf aufmerksam geworden bin ich durch die Seite Art-Crimes (Graffiti.org) was nächsten Monat für Geld reinkommt. Aber warum soll nächsten M onat von Susan Farrell. Als ich hörte, es gebe Graffiti-Seiten im Internet, war das kein Geld reinkommen? Man könnte auch sagen, ich sei völlig naiv, denn ich eine völlig neue, fremde Welt für mich. Ich hatte noch nicht mal einen habe mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht. Ich habe ja auch Computer. 1996 begann ich, mich damit wirklich auseinanderzusetzen, keinen Beruf erlernt, will nur meine Sachen machen, und das kann ich auch, und fand das sehr spannend. Bei Graffiti geht es ja auch um Raumerobewenn kein Geld reinkommt. Wäre alles weg, würde ich wieder auf meinem rung, und das Internet ist ein riesiger Raum und passt somit total zum GrafBett mit Blackbook und Bleistift sitzen, zeichnen und wäre auch glücklich. Ich brauche das hier alles nicht, aber wenn man sich das leisten kann, kann man damit auch wieder Dinge vorantreiben, die man ohne all das nicht realisieren könnte. Aber am Anfang steht immer ein Bleistift und ein Blatt Papier. Und das kostet fast nichts. Du hast schon früh ziemlich viele Dosen für deine Bilder gebraucht, da du meist sehr groß und bunt gemalt hast. Die hast du immer alle gekauft? Für meine legalen Sachen, ja. Durch die Aufträge blieben immer Dosen übrig. Ich hatte allerdings nie den Gedanken, bei e i n e m Bild etwa durch einen gestrichenen Hintergrund Geld zu sparen. Ich will ein perfektes Bild sprühen, und das kostet, was es kostet. Du hast in deinem Atelier, neben den Sprühdosen der beiden großen Marken, auch noch Multona-Dosen im Regal stehen. Reicht dir die große Farbpalette von Molotow und Montana nicht? „DEIM“ | PAPPE AUF LEINWAND | 61 X 46 CM | 2003 Ja, da fehlen noch viele Farben. Die haben, glaufiti. Dazu war mir das Reisen ja immer sehr wichtig, dieser Austausch. Und be ich, beide für sich noch nicht mal der hat sich durchs Netz verselbstständigt. Somit spiegelt es auch etwas zweihundert Farbtöne. Multona alvon dem wider, was die Graffiti-Szene ausmacht. Außer Games teste ich leine hat schon an die fünfhundert. vieles aus, um zu gucken, wie man was nutzen kann. Das Web ist auch eine Aber der Reiz besteht ja auch darin, Weiterentwicklung, um Arbeiten zu präsentieren. Es ist nachhaltiger. Viele aus dem, was da ist, etwas zu mameiner Bilder verschwinden ja wieder. Eigentlich lebt Graffiti ja nur auf chen. Das ist ja das Besondere an Fotos, und die müssen präsentiert werden. Sonst sieht die keiner. Mir hat der Sprühdose. Du kannst nicht sues nie gereicht, die einfach in einem Schuhkarton zu haben. Früher haben per perfekt malen. Ich hatte auch nie viele überhaupt nicht fotografiert. Ich habe von Anfang an alles dokumenden Anspruch, die Airbrush-Pistole tiert. Daher könnte ich es überhaupt nicht ertragen, wenn ich keine Fotos rauszuholen oder mit einem Stencilhätte. Wenn man es nicht zeigt, existiert es irgendwie weit auch nicht. Cap zu malen. Ich will die SprühSonst gelangen die Bilder nicht in die Köpfe der Menschen. Und dafür ist dose pur nutzen. Natürlich mit den das Internet perfekt. feinsten Caps, um das beste Resultat erzielen zu können, aber das geht Wie blicken eigentlich deine Eltern auf das, was du machst? eben nur bis zu einem bestimmten Sehr positiv, ohne ihre Unterstützung wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin. NaGrad. Und das macht für mich eben türlich musste ich mich lange Zeit vor meinen Großeltern rechtfertigen. Das den Reiz aus. 2
DAIM, TASEK, DADDY COOL | „IDENTITÄT“ 25 X 10,7 M | HAMBURG | 2007/2008
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HAMBURG | 2002
„Wäre alles weg, würde ich wieder auf meinem Bett mit Blackbook und Bleistift sitzen, zeichnen und wäre auch glücklich.“ Du benutzt aber Schablonen, oder? Ja, aber nur bei reinen Schablonenarbeiten. Es gibt verschiedene Arten, wie ich arbeite. Einmal gibt es die klassische Wandarbeit nur mit der Sprühdose, dann gibt es die Leinwandarbeiten, wo ich auch nur mit der Sprühdose arbeite oder mit Spritzern, und dann gibt es die Schablonenarbeiten. Das hat auch seinen Reiz. So habe ich angefangen. Das Skateboard damals vor 19 Jahren besprühte ich auch mit einer Schablone. Heute mache ich mit Schablonen sehr aufwendige Formen, mit 20 Layern, Schattierungen und Übergängen, das ist extrem viel Arbeit. Solche Arbeiten erstelle ich in kleinen Auflagen. Wenn ich zwei Wochen an den Schablonen schneide, wäre ich schön blöd, würde ich damit dann nur ein Bild umsetzen.
Gibt es klassische 2-D-Graffiti-Sprüher, deren Bilder du dir besonders gerne ansiehst? Ich kriege viel mit, weil ich viele Magazine in die Finger kriege, die ich durchblättere. Aber ich habe schon immer so eine Art gehabt, dass ich die Sachen schnell überflogen habe und das Auge entweder hängenbleibt oder nicht. Ein Razor-Piece etwa sticht immer raus. Natürlich bleibe ich auch bei anderen Bildern hängen, merke mir aber nicht mehr die ganzen Namen. Manchmal muss das Auge auch jahrelang hängenbleiben, damit man den Namen speichert. Und so oft passiert das eben nicht.
Viele Sprüher haben heute eine nach ihnen benannte Farbe bei einem der Hersteller. Warum du nicht? Das sind Politics, ich glaube, darüber müssen wir hier nicht reden. Ich kaufe Sprühdosen und verwende das, womit ich für die jeweilige Sache am besten arbeiten kann. Da möchte ich mich frei entscheiden können, ohne mich an jemanden gebunden zu fühlen. Was für Musik läuft eigentlich bei dir, wenn du malst? Du warst ja mal ein Fan von Public Enemy und KRS-One. Von PE kriegt man ja nicht mehr viel mit. Aber KRS-One ist immer noch aktiv. Ich bin über Rap zum Sprühen gekommen, habe Platten gesammelt und auch ein bisschen aufgelegt. Ich hatte schon eine kleine Sammlung. Zum größten Teil habe ich die aber DJ Mad verkauft, nur die Rosinen habe ich behalten, obwohl ich schon längst keinen Plattenspieler mehr habe. Heute bin ich ein großer Fan von MP3 und allem Digitalem. Ich finde das Loslösen vom Materiellen genial, es gibt nichts Schlimmeres als diesen Ballast. Deutscher Rap hatte mich anfangs übrigens nicht so geflasht. Obwohl ich mich natürlich auch an Absolute-Beginner-Konzerte erinnern kann, auf denen irgendwelche Polizeipuppen durchgesägt wurden. Ich saß auch mit Fettes Brot zusammen im Jugendklub, und wir überlegten, wie sie ihre Band nennen könnten, als sie so noch nicht hießen. Später hatte ich eine Phase, wo ich keinen Hip-Hop hörte. Erst seit ein paar Jahren höre ich wieder mehr und auch fast nur deutschen Hip-Hop. Zum Beispiel Beginner, Fanta 4, Dendemann, Max Herre oder aber auch Joy Denalane, 2raumwohnung oder Wir sind Helden. Ab und zu höre ich auch amerikanische Sachen und noch viele ganz andere Richtungen, vom französischen Chanson bis Jazz, im Prinzip alles außer Techno.
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„SWINGING DAIM“ | SPRÜHLACK AUF WAND | 550 X 1600 CM AUSSTELLUNG: „WAKIN UP NIGHTS“ | GALERIE DE PURY & LUXEMBOURG, ZÜRICH | 2007 © BY COURTESY OF: DE PURY & LUXEMBOURG / REINKINGPROJEKTE
Du bist ja jemand, der vieles genau plant und seine Entwicklung stetig vorantreibt. Welche Ziele hast du dir in Bezug auf Graffiti noch gesteckt? Konkrete Ziele habe ich nicht. Ich mache das nun seit 19 Jahren und habe nicht das Gefühl, dass es langweilig wird oder ich mich wiederhole. So ist mein Ziel eher die Weiterentwicklung, es muss immer weitergehen. 1 www.daim.org www.DAIMartwear.de