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Historisches Alpenarchiv: Seltene Einblicke in die Geschichte der Sektion Recklinghausen
HISTORISCHES ALPENARCHIV
Seltene Einblicke in die Geschichte der Sektion Recklinghausen
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Von Gerhard Schiweck
„Die Zahl der Mitglieder des D.u.Ö.A.V (Deutscher und Österreichischer Alpenverein) beträgt jetzt rund 60 000. Der Verein besitzt im Alpengebiet eine große Anzahl von Schutzhütten und Unterkunftshäusern und er hat viele Berggipfel und Aussichtspunkte durch Anlage von von schönen Wegen zugänglich gemacht. Es ist dieses der sprechendste Beweis für die Bedeutung geworden, welche das Alpenreisen in unseren Lebensgewohnheiten gewonnen hat. Die Alpenfahrten können gegen die vielen Übel unserer Zeit, welche das Zusammenleben in den Städten und die Hast und die Plage des gegenwärtigen Lebens mit sich bringen, ein herrliches Gegenmittel bieten“.
Mit diesen Worten leitete am 16. Dezember 1905 der Recklinghäuser Gewerberat Josef Kres im ehemaligen Hotel Winkelmann (Sport Karstadt) die Gründungsversammlung des D.u.Ö.A.V. Recklinghausen ein.
Diese Erkenntnisse aus dem Jahre 1905 haben kaum etwas von ihrer Bedeutung und Aktualität für die heutige Zeit verloren. Auch jetzt erleben wir wieder einen Zustrom zu den Bergen und zu ursprünglichen Naturerlebnissen. Das ungebrochene Mitgliederwachstum der Sektion Recklinghausen ist nur ein Beleg dafür, dass zunehmend mehr Menschen sich für die Belange des Naturschutzes interessieren und sich für die Bewahrung der einzigartigen Naturräume in den Alpen und in den Mittelgebirgen einsetzen wollen.
1870 gab es bereits 22 Sektionen
Zu jenem Zeitpunkt, im Dezember 1905, war die Geschichte des organisierten Alpinismus in Deutschland bereits 36 Jahre alt. Am Abend des 9. Mai 1869 trafen sich in München im Gasthaus „Zur blauen Traube“ 36 deutsche und österreichische Bergsteiger und gründeten den Bildungsbürgerlichen Bergsteigerverein, aus dem später der Deutsche Alpenverein wurde. Es waren überwiegend unzufriedene Mitglieder des sieben Jahre zuvor gegründeten Österreichischen Alpenvereins (ÖAV). Anders als der ÖAV wollten die 36 Bergsteiger die Alpen aktiv und nicht nur akademisch erklimmen. Sie wollten Hütten und Wege bauen und die Alpen für bergsteigerische Aktivitäten erlebbar machen. Noch im selben Jahr gründeten sich zehn Sektionen in Augsburg, Berlin, Frankfurt, Heidelberg, Leipzig, Memmingen, München, Schwaben und Traunstein. Bereits im Februar 1870 gab es 22 Sektionen mit insgesamt fast 1100 Mitgliedern. 1873 kam es dann vor allem auf Betreiben von Hermann von Barth doch noch zum Zusammenschluss der beiden Alpenvereine, zum Deutsch und Österreichischen Alpenverein (D.u.Ö.A.V).
10 Mark Mitgliedsbeitrag
Die mindestens 14 Teilnehmer bei der Gründungsversammlung in Recklinghausen, ausnahmslos männlichen Geschlechts, unter ihnen ein Rabbi, der Bürgermeister aus Recklinghausen und der Verleger Bauer, beschlossen nach ausgiebiger Diskussion die Gründung der Sektion Recklinghausen und den Beitritt zum Hauptverein des D.u.Ö.A.V. Der jährliche Mitgliedsbeitrag wurde mit 10 Mark festgesetzt. Schon nach kurzer Zeit war die Zahl der Mitglieder auf 50 Personen angewachsen.
Für 10 Mark Vereinsbeitrag erhielten die Mitglieder die halbmonatliche Mitteilung sowie die jährlich erscheinende Zeitschrift. Mit dem Vorzeigen der Legitimationskarte hatten die Mitglieder Anspruch auf Fahrpreisermäßigungen auf mehreren Eisenbahnen, Dampfschiffen und erhielten Preisvergünstigungen in den Hütten und Unterkunftshäusern des D.u.Ö.A.-Vereins.
Bereits zum 1. Januar 1906 erfolgte die Anerkennung als Alpenvereins-Sektion durch den Zentralausschuss des D.u.Ö.A.V., so dass man mit der eigenen Geschäftsführung starten konnte. Nachzulesen ist diese Anerkennung im zeitgeschichtlichen Dokument des Protokolls der Generalversammlung des D.u.Ö.A.V. vom 9. September 1906 in Leipzig.
Aus den ersten 20 Jahren der Sektion Recklinghausen ist im Archiv des D.u.Ö.A.V. nicht viel zu finden. Einzig eine Grafik des bekannten Künstlers, Malers, Bildhauers und
Ein Schreiben vom 16. Juni 1934 an den Verwaltungs-Ausschuss des D.u.Ö.A.V., unterzeichnet vom
Vorsitzenden der Sektion Recklinghausen,
Oberstudiendirektor
Paul Junius – mit „deutschem Gruss“.
Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurde sogar aus den Stempeln der Teil „UND ÖSTERREICHISCHER“ enfernt.
späteren Bühnenbildners Hans Wilhelm Wildermann fällt ins Auge, wenn man in der elektronischen Archivrecherche „Recklinghausen“ eingibt. Diese Grafik stellt zwei weibliche Akte dar, die über einer Stadt am See schweben. Im Hintergrund ist eine Berggruppe zu sehen. Datiert ist diese Grafik von 1924.
Einziges Fundstück
Wildermann wurde 1884 in Kalk geboren und lebte danach mit seinen Eltern in Recklinghausen, ging hier zu Schule und machte seine ersten künstlerischen Gehversuche von 1900 bis 1903 in Düsseldorf. Ab 1907 lebte er wieder in seiner Geburtsstadt. Wie und warum diese spezielle Grafik, ein Exlibris von Walter und Margarete Vogel, in das Archiv des Alpenvereins gekommen ist und was genau diese Grafik mit der Sektion Recklinghausen zu tun hat, ließ sich bis jetzt nicht herausfinden. Ob auch die Wildermannstraße in Recklinghausen etwas mit dem Künstler zu tun hat, werden wir später mal recherchieren. Von 1925 an ist der Deutsche Alpenverein Recklinghausen umfangreicher vertreten. Die Jubiliäumseinladung zum 25-jährigen Bestehen ist genauso digital vorhanden wie die Jahresberichte von 1924 bis 1940/41. Das letzte
Einladungsschreiben zur Feier des 25-jährigen Bestehens der D.u.Ö.A.V.-Sektion Recklinghausen.
Dokument aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges stammt vom 24. März 1943.
Bezeichnend für die frühe Beeinflussung und Vereinnahmung des D.u.Ö.A.V. durch die nationalsozialistische Idee ist ein Schreiben des damaligen Vorsitzenden der Sektion, Herrn Oberstudiendirektor Paul Junius, der ein Schreiben vom 16. Juni 1934 an den Verwaltungs-Ausschuss des D.u.Ö.A.V. jetzt als „Sektionsführer“ mit „deutschem Gruss” abschließt.
Die Jahresberichte der Jahrgänge 1924 bis 1943 können jeweils als PDF-Dokumente auf der Internetseite des DAV Recklinghausen eingesehen werden: www.alpenverein-recklinghausen.de.
„Zweigverein“ statt „Sektion“
Ab dem Jahr 1938 ist jetzt nur noch von „Zweigverein” die Rede und nicht mehr von „Sektion Recklinghausen”. Die Gleichschaltung im nationalsozialistischem Sinne war vollzogen. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurde aus dem D.u.Ö.A.V. der Deutsche Alpenverein (DAV), der als „Fachverband Bergsteigen“ in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen aufging. Selbst aus den Stempeln wurde der Hinweis auf den Österreichischen Alpenverein herausgeschnitten.
Die Geschichte des Deutschen und Österreichischen Alpenverein Sektion Recklinghausen war damit quasi auch beendet. Erst 1948 entsteht durch die Landesarbeitsgemeinschaft Bayern der Alpenverein e.V. in West-Deutschland neu. Am 22.10.1950 wird in Würzburg durch Umbenennung aus dem Alpenverein e.V. der Deutsche Alpenverein e.V. Er umfasst 234 Sektionen mit rund 90 000 Mitgliedern. Schon bald macht sich auch in Recklinghausen wieder das Bergsteigerfieber bemerkbar, das bis heute ungebrochen anhält.
Das Projekt „Historisches Alpenarchiv“
Archiv- und Sammlungsbestände der Alpenvereine in Deutschland, Österreich und Südtirol im Internet (Auszüge von Frederike Kaiser, Leiterin Geschäftsbereich Kultur im DAV)
Das Historische Alpenarchiv ist ein gemeinsames Projekt des Deutschen Alpenvereins, des Österreichischen Alpenvereins und des Alpenvereins Südtirol. Kern ist eine gemeinsame Internetdatenbank, die die Archivalien und Sammlungen der drei Alpenvereine ab Frühjahr 2008 virtuell zur Verfügung stellt.
Die Alpenvereine in Deutschland, Österreich und Südtirol blicken auf eine lange Geschichte zurück, der erste von ihnen wurde 1862 gegründet. Von 1874 bis 1945 bildeten sie einen Verein, den Deutschen und Österreichischen Alpenverein, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die heutigen Vereine, jeweils in den Grenzen der neuen Staaten, zerfiel.
Sammlungen nach Krieg verteilt
Mit der Trennung der drei Vereine nach dem Zweiten Weltkrieg kam es durch die Wirren des Krieges zu einer sehr willkürlichen Trennung der unfangreichen Sammlungsbestände, die auf Deutschen und Österreichischen Alpenverein verteilt wurden, soweit sie nicht sowieso zerstört worden waren. Aufbauend auf den zerteilten Sammlungen sammelten beide Vereine nach dem Krieg weiter und beide Vereine gründeten jeweils inzwischen neue, eigene Museen und Archive. Beide Vereine hatten etwa Bestände um die 200 000 Objekte, die in vielen Bereichen inhaltlich zusammengehören oder thematisch sehr ähnliche Schwerpunkte verfolgen. Da alle drei Alpenvereine Anfang der 2000er-Jahre vor dem Problem standen, dass bisher jeweils nur ein Teil der großen Sammlungen fachgemäß erfasst und gelagert war, kam die Idee einer gemeinsamen Erfassung der Objekte auf und damit verbunden die Erstellung einer Internetplattform, um die Bestände auch außerhalb der Museen recherchierbar zu machen. Damit wollten wir
Ein Paaar Damen-Kletterschuhe aus der Sachgutsammlung mit etwa 3000 Objekten, vor allem Gebrauchssgegenständen zum Bergsport und Alpinismus seit 1850.
unseren Mitgliedern entgegenkommen, die oft weit entfernt von München, Österreich und Bozen, dem Sitz der Vereine, leben.
Im Januar 2005 konnte dank öffentlicher Förderung mit dem Projekt „Historisches Alpenarchiv“ begonnen werden. Drei Jahre später waren die Arbeiten fast abgeschlossen und die Realisierung des Historischen Alpenarchivs stand vor der Vollendung, auch wenn noch nicht alles perfekt war.
Letztendlich steht jedoch das Ergebnis im Vordergrund: Ohne Partner und damit ohne EU-Förderung wäre das Projekt „Historisches Alpenarchiv” für unser verhältnismäßig kleines Alpines Museum München mit bescheidenen finanziellen und personellen Ressourcen nicht möglich gewesen.
Vor allem hat das Historische Alpenarchiv jedoch durch die Beteiligung von drei Institutionen inhaltlich, aber auch von der Datenmenge her eine Dimension erreicht, die wir als einzelnes Haus nie hätten bieten können!
Die digitalisierten Bestände des Alpenarchivs können online eingesehen werden.
► historisches-alpenarchiv.org