DER KNOTEN Paul Ferstl
Leseprobe
Der Knoten
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Der K noten
Paul Ferstl
Paul Ferstl
Roman
ISBN 978-3-9503710-1-7 © Daniel Bauer Verlag 2014 • Wien Satz und Umschlaggestaltung: Daniel Bauer Printed in Austria
Paul Ferstl
Der Knoten Roman
Der Knoten
Der Erinnerung an Christoph Gesslbauer
B
ernadette lernte ich erst durch den Knoten in ihrer linken Brust kennen. Auf der Seite liegend hatte ich mich an ihren nackten Leib gezogen. Ich streichelte abwesend ihren Körper, der viel Platz zum Streicheln bot. Während ich der Talkshow in Wiederholung mit einem Auge folgte, kam mir der Knoten in die Quere. Auf den bestens bekannten Wegen über Bernadettes Körper stolperte ich über ihn. Es war nicht ganz unerwartet. Das war mein erster Eindruck. Ich hatte mich gelangweilt – also hatte ich mich auf die Suche nach Ablenkung gemacht. Und da schürzte sich mit einem Mal der Knoten unter meinen streichelnden Fingern. Ich spürte ihn doppelt, unter mir und unter ihrer Haut. Meine Lage war seltsam. Ich hatte irgendwo gehört oder gelesen, dass ein nicht unbeträchtlicher Prozentsatz der Brustkrebserkrankungen von den Lebenspartnern der betroffenen Frauen entdeckt würden. Ich machte mir ein Bild von dem Knoten; Ekel mischte sich in mein Staunen. Also ließ ich meine Finger weiterwandern, um die Entdeckung aus dem einen Prozentbereich verschwinden und in den anderen übergehen zu lassen: Sollte sie ihn selber finden. Kaum war ich aber bei der rechten kleinen Brust angekommen, begriff ich diese Entscheidung nicht mehr. Also bewegte ich mich zurück, aber ich fand den Knoten nicht. Ich war mir sicher, ihn zuvor gespürt zu haben. Durch intensivere Nachforschungen wäre Bernadette
mich aufmerksam geworden. Deshalb ließ ich die Suche sein. Ich drehte mich auf den Rücken und richtete meine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die am Bildschirm präsentierten Verwendungsmöglichkeiten von Silikon, nämlich zur Fensterfugenabdichtung. Das Kabelfernsehen hatte einen Werbeblock eingelegt, bewarb Produkte, deren geringe Qualität sich direkt in der Aufmachung der Werbespots spiegelte. Ich verfolgte den Spot mit größtem Vergnügen, nicht nur, weil ich versuchte, den amerikanischen Originalwortlaut von den Lippen des Werbenden abzulesen, sondern auch aus einem besonderen Interesse an Verfugungsmitteln, besonders solchen schäumender Art. Aber auch mit Silikon hatte ich als Kind eine große Zahl an Wespennestern versiegelt, Innovationen auf dem Markt hatten also einen beträchtlichen nostalgischen Wert. Etwas später schliefen wir miteinander. Irgendwo muss angefangen werden; am besten mit einem Menschen, dessen Weg man kreuzt. Faden für Faden wird ein Netz geknüpft, in dem man nach Enden suchen kann, die ins Innere führen, ins Innere, das sie auflösen, wenn man ihnen folgt. „Pass auf, wir spielen ein Spiel, wenn du magst,“ das wäre ein guter Anfang, ein gutes Ende. Zu einem Kind habe ich das einmal gesagt, hinten in einem Auto: „Pass auf, wir warten, bis wir die Donau sehen, und wer sie als erster sieht und „Donau“ schreit, der hat gewonnen.“ Und das kluge Kind,
das die Strecke in- und auswendig kannte, das schrie schon einen Moment vorher los, bevor weit draußen ein schmaler schimmernder Streifen des sich biegenden Flusses erscheinen konnte: „Donau! Donau!“ Was hätte ich denn tun sollen? Was hätte ich dazu sagen sollen? „Donau! Donau!“ Das Kind schrie. Ich brach in Tränen aus. Ein paar „Donaus“ sind ein guter Grund, um in Tränen auszubrechen. Ja, auch das ist eine Möglichkeit, Gründe suchen, festen Grund suchen, um etwas aufzubauen, um nicht davon zu rutschen: Wenn die Gründe nur nicht so trügerisch wären, wenn die Verwurzelung nicht ihre Gefahren hätte. Wenn der Grund davon rutscht, dann bist Du dran. Wie Bäume in einem betrunkenen Wald sind wir, die Hänge neigen sich mehr und mehr, die stolz geraden Stämme verlieren ihr Gleichgewicht: Lustig sieht das aus und verwunschen, unheimlich, vielleicht noch Efeu und Friedhof, auch die Grabsteine fangen an zu purzeln, das gibt ein hübsches Bild. Und in einem hübschen Bild: Dort lässt sich leben. Nur zu gerne möchte ich bei mir anfangen. Denn wo kämen wir hin, wenn wir nicht irgendwo her kämen? Das ist ein Bonmot von mir, mit dem ich Bernadette gegenüber meine gleichgültige Reaktion auf ihre lange Reihe an Exfreunden erklärt habe. Sie war ganz enttäuscht.
Was nützt denn die sexuelle Freiheit der Frau, wenn sie die Männer nicht ärgert? Ich habe ihr dann erzählt, was ich in einem Männermagazin gelesen habe: Wenn Sie gefragt werden, mit wie vielen Frauen Sie geschlafen haben, sagen Sie die Wahrheit, aber nicht mehr als zwölf. Natürlich wollte Bernadette dann wissen, mit wie vielen Frauen ich schon geschlafen hätte. Natürlich sagte ich darauf: mit zwölf. Das war lange vor dem Knoten. Der kam erst später hinzu, Frucht unserer Liebe. Das Frage-und-Antwort-Spiel kam viel früher, in der süßen Anfangszeit. Aber warum nicht gleich ans Eingemachte? Direkt hin, mitten hinein? Oder lieber doch nach Italien, wo ich gezeugt wurde, hin zu mir, hin zu meinem Großvater, Herr und Meister gut gehender Geschäfte? Hin zur Mutter. Aufs Schiff. Da sich mein Großvater gut gehender Geschäfte erfreute, ging es natürlich nicht an, dass er seinen schwerverdienten Urlaub am Putzfrauenstrand verbrachte, wo er das Gelärme betrunkener Proleten hätte ertragen müssen. Also mietete er eine Segeljacht und schipperte in der Adria zwischen Italien und Jugoslawien hin und her. Die gut gehenden Geschäfte meines Großvaters sollten in löblicher Verbindung mit seinen gut gepflegten Geschäftsfreundschaften zwei Jahrzehnte später meine eigenen ermöglichen. Tatsächlich waren mein Großvater und ich eng miteinander verbunden. Sein Leben lang. Noch ahnte mich niemand, oh nein. Auch mein Großvater nicht, königlich und kugelig wie er war, vom Alter
und von eineinhalb Jahren Dachau ungebeugt 1,70 groß. Er war sechzig Jahre alt, ein spätstolzer Vater. Seine Verlobte hatte nicht gewartet, zu lange hatte er die Heirat verschoben, auf die Unsicherheit der Zeit hingewiesen. Als er im wechselhaften März 1938 floh, floh er allein und kam nicht weit. Wenig Hohn seitens der Sozis, als sie einander im Lager wieder sahen; man hatte andere Sorgen. Der Aufstand des Jahres 1934 lag weit zurück. Vom Lager sprach er, wenn dazu gedrängt, und auch dann nur wenig. Von den Jahren davor sogar noch seltener. Mit ihm auf der Jacht war sein Freund, der auch sein Geschäftsfreund war. Hier waren fließende Grenzen zu verorten. In den siebziger Jahren verbrachte ich viel Zeit auf seinem Schoß. Er beschaffte meiner Mutter ihre erste Wohnung, als sie schwer mit mir nach äußerer Unabhängigkeit strebte. Mein Großvater hatte ihr angeboten, eine Wohnung zu kaufen, denn er zahlte nur ungern Miete. Das hielt er für verschleudertes Geld. Aber meine Mutter wählte die Eigenständigkeit der Wohnung, die ihr meines Großvaters bester Freund verschaffte. Möglichkeiten gab es genug, hatten sie doch wie alle ihrer Gefährten munter gebürgermeistert im ganzen Land, von 1945 an aufwärts. Pflichtgetreu genügten sie den Ansprüchen der Alliierten aus dem Westen. Sie hielten zusammen, die beiden Alten, die Alten, alle Alten. Sie waren nie allein. Auf dem Schiff sprachen die beiden Männer weinschwanger von Kohle und Stahl, vom Untergang der
Schwerindustrie. Im Nachhinein würden sie behaupten, die Ölkrise vorausgeahnt zu haben. Auch von Politik sprachen sie. Es war ein bitteres Jahr. Die Wurst wurde auf linker Glut neu gewendet. Die Alten warfen sich ebenfalls hin und her und sahen dem unerhörten Treiben der Unverschämten in ihrem Haus- und Hofstaat mit verkniffenen Augen zu. Fast hätte er damit rechnen müssen, mein lieber Großvater, dass ihm gerade in diesem Jahr ein Kuckucksenkel ins Nest gesetzt wurde. Doch raffiniert wie er eben war, gewann er nicht nur die neue Luft im Lande lieb, sondern auch mich. Es war eine geschickte Art, meine Mutter zu irritieren, die ihn durch Unabhängigkeit zu kränken suchte. Meine Mutter! Ich darf sie hier keineswegs unter ihrem Wert verkaufen, aber ihr großer Tag kam später, nach neun Monaten, und sie teilte ihn mit mir. Es war also Urlaub. Meine Mutter kümmerten die Altherrengespräche wenig, hatte sie doch schon längst zu viel davon gehört. Sie war von Männern behütet worden und dennoch aufgewachsen. Die eigene Mutter war im Kindbett gestorben, die Bürgermeistergattin des Übergangs, ein Wirtschaftswunder vor der Zeit, Holz raffend, Konserven klaubend, gebärend, tot. Onkel und Tante halfen, bessere Zeiten brachten Hausmädchen, Großvater und Mutter – damals weder Großvater noch Mutter, sondern nur Vater und Tochter – sie wussten es zu danken. Still wuchs sie auf, meine liebe Mutter, im Schatten von Büchern, europäischen Sehenswürdigkeiten und Geld. Sie
besaß Wut und Stolz im Notgepäck für Ernstfälle, und einen geradezu zärtlichen Blick für vollendete Tatsachen. Eines Nachmittags kletterte ein nasser Mann auf die Jacht, ausgerüstet mit Flossen, Tauchermaske, Schnorchel, Harpune und Badehose. Mein Vater. Nass kletterte er aus dem Meer und sah meine Mutter. Sie ließ sich glänzend und träge Zeit, ihn zu bemerken. Artig stellte er sich als Bekannter meines Großvaters vor. Der junge Mann schnitt einen Schatten aus dem Himmel, der sich sehen lassen konnte. Er war ebenfalls Firmenbesitzer, und als Geschäftsmann bitter enttäuscht, als er hörte, es sei sonst niemand an Bord. Nur ungern ließ er sich nötigen, Platz zu nehmen. Seine nassen, dunklen Haare und die haarlose, vom Schwimmen fest geformte Brustmuskulatur ließen an einen Meeresgott jüngerer Prägung denken. Er hatte kaum gegessen und sein zweites Glas in der Hand. Sonne brannte, Wind strich. In weiterer Folge kamen sie ohne Worte aus. Ein wogender Himmel, sagte meine Mutter zu mir mit einer Grimasse. „So war es eben.“ Und eins und eins ist drei. Damals lächelte sie, große Freundin vollendeter Tatsachen, und ihm wurde unheimlich: Er stand auf, grüßte, bat, den Großvater zu grüßen, und machte sich davon, „es sei schon recht spät geworden.“ In der Eile ließ er Flossen und Harpune zurück, als er über Bord sprang. In diesem Moment dachte meine Mutter an Verhütung, und ich an nichts – war ich doch vollauf damit beschäftigt, mich zu teilen.
Meine Mutter sprach fast nie von ihm – hier wurde nicht allzu viel Bedeutung beigemessen. Von meinem Vater weiß ich, dass er damals beinahe ertrunken wäre. Die Flossen hätte er gut brauchen können. Als man ein paar Wochen später schon mehr wusste als ahnte, sprach mein Großvater die wesentliche Frage aus. Auf die daraufhin gebotene Beschreibung knurrte er den Namen meines Vaters. Er führte ein Telefongespräch nach Deutschland, um sich Klarheit zu verschaffen. Meine Mutter lehnte schon im Vorhinein eine Ehe ab, und zwar mit der Begründung, dass „sie den Herrn gar nicht kenne.“ Mein Vater war dem Vernehmen nach sehr erleichtert und drückte sein Bedauern aus. Und Erkenntnis hilft gar nichts, scheint es: Da erkennt man sich sofort, kaum, dass man sich sieht. Nachher heißt es dann, man kenne sich nicht. Mein Großvater regelte mit meinem Vater die Frage großzügiger Alimente, und meine Mutter verzichtete sieben Monate lang auf Alkohol. Früher einmal stand auf meiner Terrasse ein Tisch. Auf dem Tisch lag ein Stein, in dem Stein war ein Riss. In diesem Riss wurzelte ein Grashalm, dem ich zuweilen beim Wachsen zuschaute. Den Stein hatte ich behalten, weil ihn einmal jemand nach mir geworfen hatte. Obwohl er unbequem einzustecken war, nahm ich den Stein mit. Er bekam seinen Platz auf dem Tisch.
Fünf Monate später war der Grashalm da. Ich tat nichts mit ihm. Weder goss ich ihn, noch richtete ich ein Wort an ihn. Wir standen nur schweigend nebeneinander, wenn ich draußen rauchte. Als Bernadette zum ersten Mal auf meiner Terrasse stand, fluchte sie zunächst einmal. Etwas später beugte sie sich mit flinken Fingern über den Tisch und zupfte den Grashalm aus. „Das ist ja nicht zum Mitanschauen,“ sagte sie. Es waren dieselben Worte, mit denen sie von Zeit zu Zeit (unterstützt von sehr gepflegten Fingernägeln) ein Haar aus meiner Schulter auszureißen pflegte. Ich packte sie am Handgelenk. Wenn sie nicht sofort gefolgt wäre, hätte ich sie grob zum Bett gezerrt. Sie folgte mir aber, … Interessiert..? Um weiterzulesen, kaufen Sie Paul Ferstls Der Knoten jetzt versandkostenfrei innerhalb Österreichs auf unserer Website* (www.dbverlag.at), im ausgewählten Buchhandel oder auf amazon. (auch als e-book für € 9,90 erhältlich) *Zum Kauf des Buches gibt es auf Wunsch das ebook kostenlos dazu.
(Wilkommen bei den Guten...)