Die
Wagnisse des Eberhard Stadlhofer
Leseprobe
Die Wagnisse des Eberhard Stadlhofer
•
Daniel Syrovy
Daniel Syrovy
Die Wagnisse des
Eberhard Stadlhofer Roman
w3.dbverlag.at/ T h e P y l o t s /
ISBN 978-3-9503710-0-0 © Daniel Bauer Verlag 2014 • Wien Satz: Daniel Bauer Printed in Austria Umschlaggestaltung: Fabian Neuhuber
Die Wagnisse
Daniel Syrovy
Die Wagnisse des
Eberhard Stadlhofer Roman
Sein meng tuat vüles; wos is, is wos zöht. Al Finley
E I N S Hungrig verschlang Eberhard eine Leberkässemmel, dann eine zweite, während seine hungrigen Sinne versuchten, alles rundherum mit hinunterzuwürgen, die Tankstelle, die warme Motorhaube, den Benzingeruch, die paar Leute in bunten T-Shirts und kurzen Hosen in einem roten Ford Mondeo, das „do you like to shake, shake it baby“ aus dem offenen Fenster. Auch den staubigen heißen Asphalt, die plattgedrückten Zigarettenstummel und die schmutzigen Scherben einer Bierflasche dort unter dem Gestrüpp, ihre mystische Bedeutung, ihr Fleisch, ihre kernige, süße, bittere Essenz. Ein wenig Senf tropfte aus der Leberkässemmel auf Eberhards Kinn. So vieles hier, das er vollständig in sich aufnehmen wollte, sich einverleiben und verdauen wollte. „Willst du auch einen Eistee? Du weißt ganz genau, kein Cola um diese Uhrzeit, sonst...“ Ungeduldiges Hupen übertönte den Rest. „Trampel, blödes. Fahr doch einfach!“ „Pass auf, du zwickst dem Lukas gleich die Finger ein. Nein, ihr bleibts sitzen. Die Mama ist gleich wieder da.“ Eberhard lächelte. Was galten ihm heute diese schemenhaften Verkünder des Alltags: das Brummen der Kühlvitrine, das Neonlicht des Shops, der grobe Uniformschür
zenstoff der gelangweilten Angestellten, den er dennoch, schließlich arbeitete er selber in einem Supermarkt, für eine Sekunde kratzend an seinem Hals zu spüren glaubte. Ein Supermarkt wie jeder andere war das, Kaugummiständer neben der Kassa, das kontrollierte Chaos der Farbflecken eines sorgsam geplanten Regalsortiments und die vertraute klimatisierte Luft. Aber nein. Nicht jetzt. Außerdem: außerhalb dieser geschlossenen Welt, jenseits der automatischen Schiebetüren und inmitten der wilden unkontrollierten Gerüche, Geräusche und Farben eines Sommertags, da blieb ohnehin nichts, hatte er erst einmal das folienbeschichtete Einwickelpapier seines improvisierten Abendessens entfernt, nichts, gar nichts von eben jenem Alltag übrig. Eberhard fühlte sich als Sieger. Vielleicht war er wirklich ein bißchen siegreich gewesen, wenigstens über sein eigenes Zögern. Er lehnte am Auto seiner Mutter und blickte zurück in Richtung der Stadt, wo er eben einer eigentlich sicheren Niederlage entgangen war. Eine lange Viertelstunde war er aus gutem Grund schweigsam dagesessen, hatte den Kohlensäurebläschen im Mineralwasser zugesehen, wie sie nach oben stürzten, an der Oberfläche platzten, auf Tischplatte und Häkeldeckchen spritzten; hatte sich allerlei Neuigkeiten erzählen lassen von der Mutter, vor allem zur Ablenkung, denn er log immer schlecht. Die Katze der Nachbarin war überfahren worden, schon vor einem halben Jahr, aber sie rief immer noch nach ihr, sicher zweimal
am Tag. Es gab einen neuen Pfarrer mit einer neuen Köchin. Sein Volksschulturnlehrer hatte sich auch scheiden lassen. Ein paar Leute, von denen er nie gehört hatte, waren gestorben, umgezogen, hatten Kinder bekommen. Hie und da antwortete er knapp. Wenn er einmal riet, angesichts eines Namens, wurde er prompt von einer kopfschüttelnden Mutter korrigiert, daß jene Huber überhaupt nichts mit diesen anderen Huber zu tun hatten, das wüßte er doch. Das alles, um sich das verdammte Auto auszuborgen, jedes elende Mal wieder. Denn selber konnte er sich keines leisten, mit seinem Verkäufergehalt, und die Mutter brauchte ihres eigentlich ja nicht, für ihren täglichen Gang zum Bäcker und dafür, alle zwei drei Tage beim Zielpunkt eine Straße weiter einzukaufen. In die Arbeit ging sie ohnehin zu Fuß. Außerdem am Wochenende. Und spätestens Sonntag Abend hätte sie es sowieso zurück. Fast hatte er es überstanden gehabt, als er den Fehler machte. Dabei hätte die Wahrheit es getan, ohne Details: ein Konzert in München. Sie hätte keinen Grund gehabt, nachzufragen. Beim Übersiedeln helfen! Einem Freund! Wenigstens einen Namen hätte er nennen können. Es war eine unnötige Unwahrheit, Flunkerei, Lüge, und keine besonders überzeugende. Da stand er eigentlich schon vor der Tür, dabei sich zu verabschieden: Übers Gesicht der Mutter huschte bloß der Schatten einer Miene, seinem geübten Auge aber offenbarte sich darin ein Stimmungswechsel. Das kurze
Aufflackern war fraglos einer jener Blicke – mißtrauisch, kühl, bisweilen mitleidig oder besorgt, aber vor allem voller Enttäuschung – die sie vor Jahren für den Bruder erfunden hatte und die bislang nie, wenigstens fast nie, ihm selbst gegolten hatten. Seine Willenskraft verflüchtigte sich auf einen Schlag, und ein Ziehen machte sich in seinem Bauch bemerkbar, gegen das er sich instinktiv aufrichtete, um ihm entgegenzuwirken wie einem Krampf in der Wade. Spätestens damit mußte er der Mutter gewiß verraten haben, daß sie richtig gelegen hatte. Nun rechnete er mit einer Breitseite – aber anstelle eines Vorwurfs kam nur eine stockende Geste, als wischte sie einen Schmutzfilm von ihrem Herzen. „Sei vorsichtig,“ sagte sie in einem untypischen Tonfall, ernüchtert oder resigniert, jedenfalls gar nicht liebevoll. Er senkte seinen Blick auf den Fußabstreifer, wo sich sein Schuh bereits verschämt rieb. Üblicherweise hätte sich der Satz auf seine Gesundheit bezogen, er hätte genickt und sie umarmt. Doch jetzt? Einen Moment lang war er versucht, jetzt, schon auf dem Sprung, jenes Gespräch anzufangen, vor dem er sich seit Wochen drückte. Aber nein, unmöglich, ganz und gar. Zudem war er deutlich im Nachteil, als Bittsteller. Aber auch die Wahrheit wäre keine Garantie gewesen, daß sie nicht doch begonnen hätte, in seinen Angelegenheiten herumzustochern, oder noch schlimmer: zu diskutieren. München. Eine lange Strecke, ein unverantwortlicher Ausflug. Und überhaupt, wie kam er dazu? Vielleicht
hätte sie sich auf Drogen oder auf Unfälle berufen. Vielleicht auf sein Verantwortungsbewußtsein, mangelnd, ungenügend. Vielleicht wäre sie gar auf seinen Bruder gekommen. Und er, der Kontakt mit ihm, seine ganze Existenz – das war kein gutes Thema. Er gestattete sich ein paar zögerliche Sekunden, sah sich dann selbst gleichsam von außen nicken, sie umarmen, während noch immer diese Wendung in ihm nachhallte, die sich – „sei vorsichtig“ – genauso gut auf ihr Auto beziehen mochte. Oder meinte sie gar, er solle aufpassen was er sagte? Sie wußte wohl Bescheid. Er hatte, war es auch unbewußt geschehen, das Allerverächtlichste getan. Er hatte den Bruder, von dem zu sprechen er so bewußt vermieden hatte, durch seine eigene Heimlichtuerei heraufbeschworen. Und das mußte, soviel war klar, die Mutter ganz auf dieselbe Art kränken, die sie seinem Bruder niemals verziehen hatte. Schritt für ja nicht zu raschen Schritt spürte er ihren Blick im Rücken, den weiten gepflasterten Weg entlang, der sich zwischen dem Müffeln leuchtendroter Geranien und dem schmucklosen Weißdorn durch den makellos gepflegten Vorgarten wand. Dieser Blick war geladen mit einer Art still leidendem Vorwurf, und verfolgte ihn aus zusammengekniffenen Augen, faltigen Augen. Die Mutter in ihrer Trachtenschürze, mit den verschränkten Armen, ähnelte einen Moment lang dem vertrauten Holzschnitt einer Sennerin, die pumperlge
Aufflackern war fraglos einer jener Blicke – mißtrauisch, kühl, bisweilen mitleidig oder besorgt, aber vor allem voller Enttäuschung – die sie vor Jahren für den Bruder erfunden hatte und die bislang nie, wenigstens fast nie, ihm selbst gegolten hatten. Seine Willenskraft verflüchtigte sich auf einen Schlag, und ein Ziehen machte sich in seinem Bauch bemerkbar, gegen das er sich instinktiv aufrichtete, um ihm entgegenzuwirken wie einem Krampf in der Wade. Spätestens damit mußte er der Mutter gewiß verraten haben, daß sie richtig gelegen hatte. Nun rechnete er mit einer Breitseite – aber anstelle eines Vorwurfs kam nur eine stockende Geste, als wischte sie einen Schmutzfilm von ihrem Herzen. „Sei vorsichtig,“ sagte sie in einem untypischen Tonfall, ernüchtert oder resigniert, jedenfalls gar nicht liebevoll. Er senkte seinen Blick auf den Fußabstreifer, wo sich sein Schuh bereits verschämt rieb. Üblicherweise hätte sich der Satz auf seine Gesundheit bezogen, er hätte genickt und sie umarmt. Doch jetzt? Einen Moment lang war er versucht, jetzt, schon auf dem Sprung, jenes Gespräch anzufangen, vor dem er sich seit Wochen drückte. Aber nein, unmöglich, ganz und gar. Zudem war er deutlich im Nachteil, als Bittsteller. Aber auch die Wahrheit wäre keine Garantie gewesen, daß sie nicht doch begonnen hätte, in seinen Angelegenheiten herumzustochern, oder noch schlimmer: zu diskutieren. München. Eine lange Strecke, ein unverantwortlicher Ausflug. Und überhaupt, wie kam er dazu? Vielleicht
hätte sie sich auf Drogen oder auf Unfälle berufen. Vielleicht auf sein Verantwortungsbewußtsein, mangelnd, ungenügend. Vielleicht wäre sie gar auf seinen Bruder gekommen. Und er, der Kontakt mit ihm, seine ganze Existenz – das war kein gutes Thema. Er gestattete sich ein paar zögerliche Sekunden, sah sich dann selbst gleichsam von außen nicken, sie umarmen, während noch immer diese Wendung in ihm nachhallte, die sich – „sei vorsichtig“ – genauso gut auf ihr Auto beziehen mochte. Oder meinte sie gar, er solle aufpassen was er sagte? Sie wußte wohl Bescheid. Er hatte, war es auch unbewußt geschehen, das Allerverächtlichste getan. Er hatte den Bruder, von dem zu sprechen er so bewußt vermieden hatte, durch seine eigene Heimlichtuerei heraufbeschworen. Und das mußte, soviel war klar, die Mutter ganz auf dieselbe Art kränken, die sie seinem Bruder niemals verziehen hatte. Schritt für ja nicht zu raschen Schritt spürte er ihren Blick im Rücken, den weiten gepflasterten Weg entlang, der sich zwischen dem Müffeln leuchtendroter Geranien und dem schmucklosen Weißdorn durch den makellos gepflegten Vorgarten wand. Dieser Blick war geladen mit einer Art still leidendem Vorwurf, und verfolgte ihn aus zusammengekniffenen Augen, faltigen Augen. Die Mutter in ihrer Trachtenschürze, mit den verschränkten Armen, ähnelte einen Moment lang dem vertrauten Holzschnitt einer Sennerin, die pumperlge
sund und doch irgendwie argwöhnisch von einer ganzen Reihe von Milchprodukten lugte; er mußte grinsen, aber schämte sich sofort für diesen Gedanken, der seine Mutter zur Karikatur machte. Anstatt jedoch, wie er befürchtet hatte, stehenzubleiben, bis er um die Ecke gebogen war, ging sie resolut ins Haus zurück, als er noch mit dem Zündschlüssel haderte. Ein überraschender Zug. Er wußte kaum, wie er darauf reagieren sollte, daß er ungeschoren davonkam und nicht einmal von seinen Plänen absehen hatte müssen; daß ihm selbst der Anblick der schwindenden Rachegöttin im Rückspiegel erspart blieb. Sobald Eberhard aus der Einfahrt rollte, ließ auch sein schlechtes Gewissen ab, wie ein Hund, der plötzlich das Interesse am Spiel verliert. Einen Augenblick lang versuchte er, mit dem Verfluchen seiner Schwäche und seines Kontostandes noch einmal seinen Ärger anzufachen, doch der Funke war fort, sobald er dem Einflußbereich der Mutter entgangen war. Er konnte nicht anders, als das abgesagte Duell als Sieg zu verbuchen. Eigentlich war er immer ganz gut mit der Mutter ausgekommen, aber da war sie einfach die Mutter gewesen, eine Rolle, die ihren Charakter gut verborgen hatte, und er selbst hatte nicht gewußt, was er jetzt wußte, oder wenigstens vermutete: was ihm der Bruder roh und ungenießbar aufgetischt hatte, und was er kaum wagte, ihr zur Bestätigung oder Entkräftung vorzulegen. Ein gesundes Verhältnis allerdings sah anders aus, das war
klar, und früher oder später würde er sie damit konfrontieren müssen. Später. Fürs Erste war er ihr immerhin entkommen. Er tätschelte das heiße, in der Nachmittagssonne glänzende Blechdach des Autos, das für das Wochenende das seine war. In der goldenen Hochstimmung des Moments hatte sogar das Zusammenknüllen der fettigen, senfverschmierten Serviette seines ersten Mahls als unabhängiger Mann etwas leise erhabenes. Letzten Endes aber war es erst nachdem er seinen Rucksack auf der Suche nach einem Mixtape durchwühlt, und dieses über dem poetischen Schnurren des Dieselmotors mit einer theatralisch lässigen Geste in das Kassettendeck gleiten lassen hatte, als spielte er die erste Szene eines Roadmovies – war es erst nachdem er die Tankstelle, hinter deren Zapfsäulen sich mittlerweile ein paar lavendelfarbene Wolkenbänder durch den blaßblauen Himmel zogen, in Richtung Autobahn verlassen hatte, daß ihm klar wurde, wie kurz er davor war, sie wiederzusehen. Diese Frau, von der er bis vor ein paar Monaten nicht gewußt hatte, daß es sie gab. Seinen Engel. Er würde alles auf eine Karte setzen, und vielleicht für sie und den ungestümen Rock n Roll sein langweiliges alltägliches Leben hinter sich lassen, wer wußte schon für wie lang, möglicherweise für immer. Wenigstens war das, was der Refrain des ersten Songs versprach.
Z W E I Durch das Zugfenster bot sich ein trister Anblick graugrüner Landschaftsskizzen, die großflächig ins Panorama gestellt waren, und die der schwere Regen, der draußen niederging, zusätzlich trübte. Der einzige Farbfleck war das durchscheinende Spiegelbild seines neuen roten Polohemdes. Hie und da veränderte sich die Richtung der Schienenstrecke oder des Windes, und ein Prasseln ging für eine Weile auf die Scheibe nieder, wo unzählige Tropfen stehenblieben, nachdem die Attacke vorüber war. Bisweilen wuchs ein Hügel oder ein kleiner Wald aus dem Boden, erhob sich kurz über Sichthöhe und verebbte dann wieder oder drehte abrupt in eine andere Richtung ab. Vor den Bahnhöfen war manchmal Stadt und manchmal Industriegebiet, und selten viel zu sehen. Zwischen dem Dösen, dem sich Eberhard immer wieder hingab, und einer eher gleichgültigen Romanlektüre waren ihm nur wenige deutliche Eindrücke im Gedächtnis geblieben. Eine verrostete Autokarrosserie, aus deren Motorraum Brombeerstauden wucherten; ein Haufen Sand oder Schotter, mit einer grauen Plane abgedeckt, die derart überflutet etwas von der Haut eines Seelöwen hatte, und mit alten Autoreifen beschwert war. Nein, doch nicht – als eine winzige Krähe daran vorbei
segelte, wurde ihm bewußt, daß die Entfernung zum Lagerplatz viel größer war, und auch die Reifen viel größer waren, in Wahrheit von Lastwagen stammten. Ihm hatte nur der Maßstab gefehlt. Von Zeit zu Zeit mischte sich eine gewisse Unruhe in die Langeweile, und da er keine Lust hatte, sich zum Rauchen – das im Abteil natürlich nicht gestattet, auf den Toiletten höchstens toleriert wurde – in die Kloake zu begeben, somit seit Stunden nikotinlos war, kam die Sucht gerade recht, um seine Nervosität nicht etwa mit dem bevorstehenden Wiedersehen in Verbindung bringen zu müssen. Der Anruf war nicht völlig unerwartet gekommen, … Interessiert..? Um weiterzulesen, kaufen Sie Daniel Syrovys Die Wagnisse des Eberhard Stadlhofer jetzt versandkostenfrei innerhalb Österreichs auf unserer Website* (www.dbverlag.at), im ausgewählten Buchhandel oder auf amazon. (auch als e-book für € 9,90 erhältlich) *Zum Kauf des Buches gibt es auf
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(Wilkommen bei den Guten...)