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DAS THEATER DER ÖFFENTLICHKEIT

Andreas Spiegl

Stottern1, wenn es einem die Sprache verschlägt, Lachen2, auch aus Verzweiflung, wenn man nichts mehr sagen kann, weil die Sprache nicht hinreicht oder von niemandem mehr verstanden wird, weil sie ausstirbt, wie die Minderheiten3, die sie noch sprechen und als Teil ihrer Kultur verstehen, als Teil einer Diversität, die von der hegemonialen Kultur verdrängt und negiert wird; die Sprachlosigkeit zur Schau stellen4, wenn alle Forderungen und Argumente ungehört bleiben, das Schweigen hinausschreien, ein Verstummen als letzte Möglichkeit, das Wort zu erheben, eine unerhörte Stille, die die vermeintliche „Ordnung der Dinge“ 5 unterbricht. Diese Stille, die auch im stillen Aktivismus und Titel dieser Publikation zur Sprache kommt, meint etwas anderes als ein bloßes Innehalten – sie ist Ausdrucksmittel für jene, die nicht gehört werden, wenn sie die Stimme erheben, denen niemand zuhört, wenn sie ihre Wünsche oder Vorschläge zu kommunizieren suchen, sie ist das, was übrigbleibt, ein letztes Mittel, die Kehrseite von Sprache, die der Beredsamkeit entgegen gehalten wird, eine gegenständliche Stille, die sich verdinglicht und das Sprechen als Schweigen materialisiert, eine laute, ja schrille Stille, die nur mit den Augen gehört werden kann, eine unerhörte „Laut-Schrift“, die sich an die Augen wendet, wenn die Ohren nicht zuhören wollen, ein Schweigen, das von der Sprachlosigkeit Zeugnis ablegt und bezeugt werden will – keine/r wollte sie hören, aber ihre Sprachlosigkeit haben alle gesehen.

„Can the Subaltern Speak?“6 Diese Frage, ob und wie und unter welchen Bedingungen Menschen sprechen können, die von hegemonialen Kulturen ausgeschlossen oder an die verschiedenen Ränder einer Gesellschaft gedrängt werden, liefert nicht nur den Titel für den gleichnamigen Text von Gayatri Spivak, sondern zugleich den Ausgangspunkt für die künstlerischen Projekte von Barbara Holub. In diesem Sinne erscheint auch das LISTEN TO THE QUIET VOICE7 nicht nur als Imperativ und Titel einer ihrer Arbeiten, sondern paradigmatisch für ihre gesamte Praxis. Seit Jahrzehnten folgt ihre Arbeit einem Zuhören, einem Hinhören und Vernehmen der Anliegen und Forderungen jener „Quiet Voices“, die nicht stumm geboren wurden und dennoch zum Verstummen gebracht wurden – aus Angst vor Verfolgung, aus Angst, noch weiter marginalisiert zu werden oder aus der Erfahrung, sich nur mehr mit der Hoffnungslosigkeit anfreunden zu können. Mit diesem Vernehmen anderer Stimmen – so leise, verletzt oder verstummt diese sein mögen – als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Praxis hat sich Holub von einem Kunstbegriff abgewandt, der das „Kunstwerk“ mit der Person der Künstlerin assoziieren oder identifizieren will.

FAVORIT (transparadiso), Sonnwendplatz, Vienna, 2021

This square–transformer–performer is an informal pavilion stage bridging “high culture” and “popular culture,” between the everyday and staged performances, at the entrance of Favoriten, Vienna’s 10th district, which is undergoing a massive process of transformation. FAVORIT offers its stage to the original inhabitants as a platform to present their various cultures.

FAVORIT (transparadiso), Sonnwendplatz, Wien, 2021 tion for a politicized approach that deliberately makes her (inter)dependent on those whose independence or autonomy is continually—and structurally—endangered, whose independence or autonomy is threatened or being undermined; these are men and women for whom inequality and their treatment as unequal essentially defines their everyday lives. Hence the diverse and globally dispersed set of people she collaborates with in her projects—covering a spectrum of contexts ranging from migration experiences8, minority and refugee politics9 to suburban peripheries10 and social and economic marginalization. In such collaborations, artistic practice essentially transitions into an artistic investigation of perception and reception in the broadest sense. The classical division of roles that used to assign separate tasks to artists and recipients—people who were supposed to produce works of art, and the people who were supposed to view them—is dissolved here. In hearing the concerns of others, the artistic approach starts off from the reception and subsequently transforms it into an act of participation, of sharing and attempting to proactively communicate this sharing to others “activistically.”

Dieser Platz-Transformer-Performer ist eine informelle PavillonBühne zwischen „Hochkultur“ und „Volkskultur“, zwischen Alltagsnutzung und Performances am Eingang zu Favoriten, dem 10. Bezirk in Wien, der sich in einem massiven Transformationsprozess befindet. Der FAVORIT stellt diese Bühne den ursprünglich hier „Beheimateten“ als Plattform zur Verfügung um ihre verschiedenen Kulturen in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

By refusing to orientate her artistic practice toward an audience that is solely assigned the passive role of

Weit davon entfernt einer Autonomie des künstlerischen Schaffens das Wort zu reden, verpflichtet sich Holub der Heteronomie als Voraussetzung für ihre Praxis, die sich wissentlich und politisch (gegenseitig) abhängig macht von jenen, deren Unabhängigkeit oder Eigenständigkeit unentwegt und strukturell gefährdet, bedroht oder negiert wird, für die die Ungleichheit und ihre Behandlung als Ungleiche wesentlich den Alltag definieren. Daraus folgt auch die diverse und weltweit verstreute Menge derer, mit denen sie in ihren Projekten zusammenarbeitet –ein Spektrum, das von Migrationserfahrung8, Minoritäts- und Flüchtlingspolitik9 über suburbane Peripherien10 bis hin zur sozialen und ökonomischen Marginalisierung reicht. In dieser Zusammenarbeit geht die künstlerische Praxis wesentlich in ein künstlerisches Vernehmen über, in ein Wahrnehmen und Rezipieren im weitesten Sinne. Die klassische Rollenaufteilung, die KünstlerInnen und RezipientInnen je getrennte Aufgaben zugeteilt hat – auf der einen Seite die, die Kunstwerke hervorbringen sollte und auf der anderen Seite jene, die diese betrachten sollten –, wird hier aufgelöst. Im Vernehmen der Anliegen anderer nimmt die künstlerische Praxis ihren Ausgangspunkt in der Rezeption und verwandelt diese im Anschluss daran selbst in einen Akt der Teilhabe, des Anteilhabens und des Versuchs, dieses Teilen auch aktiv(istisch) wieder anderen mitzuteilen.

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