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BARBARA HOLUBS GERÄUSCHVOLLER AKTIVISMUS

Paul O’Neill

Blättert man durch die Dokumentationen der künstlerischen Interventionen, die Barbara Holub und transparadiso in den letzten zwanzig Jahren im öffentlichen Raum realisiert haben, findet man einige immer wiederkehrende Motive. Es werden Gerüste gebaut, Objekte hergestellt, und in den Ausstellungen, die oft auch Rechercheprozesse zeigen, sowie in den temporären architektonischen Konstruktionen entstehen Räume, in denen etwas stattfindet. Innerhalb dieser Szenarien entfaltet sich das Soziale als eine Art des Versammelns, der Konvivialität, der Relationalität und der Intersektionalität. Häufig stehen Menschen inmitten anderer Menschen und Objekte, in zahlreichen Gruppen wird viel gesprochen und zugehört. Ein Publikum lässt sich jedoch kaum erkennen. Es scheint etwas stattzufinden, ohne dass es viel zu sehen gibt. Stattdessen herrscht ein Gefühl von Leichtigkeit, Luftigkeit, Porosität.1 and continuously refined a method to respond to the social challenges of urban planning, where their work is directly related to urban issues, critical spatial practice and durational curatorial processes in urban developments, leading to artistic-urbanistic strategies for a socially committed approach, which is integrated into a longerterm urban planning process, sometimes as proposition, sometimes enacted. In other words, in their form of direct urbanism, planning is connected with a form of activism.

In vielen ihrer Projekte geht es Holub darum, eine Situation zu schaffen, die viele verschiedene Menschen von Anfang an in den Prozess miteinbezieht. Die Menschen versammeln sich oder sind dicht zusammengedrängt, manchmal unterhalten sie sich, oft aber auch nicht, und widmen sich sitzend oder stehend ihrem Gegenüber und ihrem Umfeld, vorwiegend in kleineren Gruppen. Es gibt immer eine Menge an Informationen, gesprochen oder geschrieben, und stets ist man von Sprache umgeben: von einzelnen Wörtern, ganzen Sätzen und Texten, gedruckt auf Transparenten, auf Designobjekten, auf Textilien, Plakaten und Postern, als Slogans, Titel, Fragen, Listen, Glossare, Forderungen sowie Manifeste und Appelle, Mitteilungen, Witze, Beobachtungen, Skizzen, Wünsche und ausführliche Stellungnahmen. All diese Situationen, Worte, Menschen und Handlungen sind wesentliche Bestandteile des stillen Aktivismus der Künstlerin.

Holubs stiller Aktivismus ist jedoch weder still noch ausschließlich aktivistisch. Statt Stille hört man unterschwellige, murmelnde Stimmen, ein brodelndes Anschwellen eines geräuschvollen Widerstands. Ihre Arbeiten können gewagt, kompromisslos und laut sein, manchmal sogar voller Ärger und Wut. Gleichzeitig bleiben die vier altbewährten Grundsätze des Aktivismus – Engagement, Subversion, Unterstützung und Heilung – beständig mit eingebunden in das komplexe Spannungsverhältnis zwischen Holubs künstlerischer Suche nach poetischen Formen des sozialen Widerstands und ihrem Streben, in unmittelbar bevorstehende strukturelle Veränderungen noch direkter einzugreifen. Jede ihrer Arbeiten ist einzigartig und ortsspezifisch, zugleich aber „lernen“ die Arbeiten voneinander, greifen ineinander über und entwickeln sich über Zeit und Raum gemeinsam weiter.

Holub’s work is immersive and collectively formed, for artists as well as participants and invited guests. Temporary architecture or built spaces act as physical and conceptual frameworks and help structure conversations toward what can be done. These carefully sited infrastructures open up the social to the potentiality of the knowledge of those in attendance, where participants lead in a response to the artist’s propositions to set in motion a discursive, durational process in which both poetic and direct action can emerge. Working on location as the “artist-in-residence,” Holub is the skilled interlocutor, the in-betweener, mediating openings through research, finding the gaps and what is missing for people within a specific situation. The gatherings and responses lead to discussions by participant-observers the fold of urban

Holub und der Architekt und Urbanist Paul Rajakovics, die gemeinsam seit 1999 als das Kollektiv transparadiso firmieren, bezeichnen ihren künstlerischen Ansatz als direkten Urbanismus. In ihren Arbeiten zu urbanen Fragen und kritischen räumlichen Praktiken sowie in ihren langfristig angelegten kuratorischen urbanistischen Projekten haben sie eine Methode erarbeitet und kontinuierlich weiterentwickelt, die auf soziale Herausforderungen der Stadtplanung reagiert. Ihre künstlerisch-urbanistischen und gesellschaftlich engagierten Strategien sind Teil langfristiger Planungsprozesse, sei es in Form konkreter Vorschläge oder in Form unmittelbarer Umsetzung. Anders ausgedrückt, verschränken sich in direktem Urbanismus Planung und Aktivismus.

Holubs Arbeiten entstehen durch die intensive Auseinandersetzung zwischen KünstlerInnen, Teilnehmenden und BesucherInnen. Die temporären Architekturen und Räume stellen den physischen sowie konzeptuellen Rahmen her, um in gemeinsamen Gesprächen herauszufinden, was zu tun ist. Diese behutsam entwickelten Infrastrukturen erschließen das Soziale als eine Quelle potenziellen Wissens und ermöglichen den Teilnehmenden, auch in Reaktion auf Vorschläge der Künstlerin, einen kontinuierlichen und diskursiven Prozess anzustoßen, in dem poetische Momente und direkte Aktion zusammenlaufen. Holub agiert vor Ort wie eine „Artist-in-Residence“, als geübte Gesprächs- und Verhandlungspartnerin, die durch ihre Recherchearbeit Zugänge

Kuratiert von Başak Şenova, Sammlung Zorlu, Istanbul (TR), 2011

What I Am Proud Of

WHAT I AM PROUD OF beschäftigt sich mit Fragen des raschen urbanen Transformationsprozesses und des neuen „internationalen Stils“ einer globalisierten „Unternehmensarchitektur“ in Istanbul sowie deren Auswirkungen auf die sich verändernde Identität dieser Stadt, durch deren raschen Wandel Viertel ohne gesetzliche Reglements entwickelt werden –zwischen Ehrgeiz, dem Bedürfnis dazuzugehören, Entwurzelung und der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums.

Ausgehend von einem Rundgang durch die Baustelle des Zorlu Centres, das aus Bürogebäuden und Wohnhäusern besteht und mit drei Türmen eine neue Skyline von Istanbul schafft, und ihren Recherchen in traditionellen Vierteln Istanbuls, konzipierte Barbara Holub eine komplexe Collage-Zeichnung für die Zorlu Collection in Istanbul. Diese Zeichnung ist Teil ihrer Serie von „Malbuchzeichnungen“ ungeplanter oder überraschender Aneignungen des städtischen öffentlichen Raums, die sich kritisch mit der Transformation des städtischen öffentlichen Raums auseinandersetzen. In diesen Zeichnungen, und insbesondere in WHAT I AM PROUD OF , werden alle Informationen gleichwertig dargestellt, sodass die Hervorhebung bestimmter Inhalte, die üblicherweise das Medium Zeichnung kennzeichnet, gezielt unterminiert wird. Somit sind die BetrachterInnen ihren eigenen vielschichtigen Informationen ausgesetzt. Eine „ortsspezifische“ Arbeit, reduziert auf eine Zeichnung. Die Künstlerin setzte in der Folge die Serie von WHAT I als Tuschezeichnungen von Texten fort, die die BetrachterInnen direkt zum Handeln auffordern. Allerdings überlagern sich die Buchstaben dieser Aufforderungen derart, dass der Text nicht mehr lesbar ist –im Sinne von stillem Aktivismus . BS

Curated by Başak Şenova, Zorlu Collection, Istanbul (TR), 2011

What I Am Proud Of

WHAT I AM PROUD OF explores the fast urban transformation in Istanbul and “the new international style” of globalized corporate architecture and its impact on the changing identity of Istanbul as a city undergoing rapid urban transformation between aspirations, desires of belonging and displacement, and the commodification of public space.

Based on a tour through the construction site of Zorlu Centre, which comprises of office buildings and housing—thus creating a new skyline of Istanbul by three towers—and her research in traditional quarters in Istanbul, Barbara Holub conceived a complex collagedrawing for the Zorlu Collection in Istanbul. This drawing is part of her series of “color book drawings” of unplanned or surprising appropriations of the urban public space, critically discussing the transformation of urban public space. In these drawings, and especially in WHAT I AM PROUD OF , hierarchies of information are flattened, their multilayered information exposed to interpretation by the viewer. A “sitespecific” piece reduced to a drawing.

The artist continued the series of WHAT I as ink drawings of texts that call the viewer to action. However, the letters overlap in such a way that the text is no longer legible—again, recalling silent activism. BS

WHAT I AM PROUD OF , Sammlung Zorlu, Istanbul, 2011

WHAT I AM PROUD OF, Zorlu Collection, Istanbul, 2011

WHAT I ..., nachgehen, vorgehen , Ausstellungsansicht, Galerie Peithner-Lichtenfels, Wien, 2017

WHAT I..., pursuing, proceeding , exhibition view, Peithner-Lichtenfels Gallery, Vienna, 2017

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