Liddy Scheffknecht – Points in Time

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Liddy Scheffknecht – Points in Time Arbeiten / Works 2010–2020 Herausgegeben von / Edited by Ernst Strouhal


Inhalt

Vorwort

Ernst Strouhal

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Sun Works Crayon Scratch Drawings Moving Standstill Live Revolution & Rotation Instant

9 75 113 157 197 223

Biografie Werkliste

244 246

Im Moment des Schattens

Roberto Casati

81

„Fast wie eine Flüssigkeit“ Elektrische Schatten und andere Wiedergänger in Liddy Scheffknechts Medienhybriden

Christian Höller

86

Von der Kaugummiblase zum Büro: Die Materialität der Aufgabenstellung

Larissa Kikol

91


Contents

Preface

Ernst Strouhal

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Sun Works Crayon Scratch Drawings Moving Standstill Live Revolution & Rotation Instant

9 75 113 157 197 223

Biography List of Works

244 246

Shadows in the Moment

Roberto Casati

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“Almost Like a Fluid” Electric Shadows and Other Revenants in Liddy Scheffknecht’s Media Hybrids

Christian Höller

165

From the Bubble Gum Bubble to the Office: The Materiality of the Task

Larissa Kikol

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Vorwort

„Space is a swarming in the eyes, and Time a singing in the ears.“ In der Kunstwelt von Ardis, die Vladimir Nabokov in seinem späten Roman Ada or Ardor aus dem Jahr 1969 beschwört, soll, muss die Zeit stillstehen. Die Zeit des alternden Schriftstellers Van Veen ist fast abgelaufen, sein Ziel ist es, Werke zu schaffen, die der Textur der Zeit widerstehen. Der Zeitlauf soll durch Kunst angehalten, in „reglose Zeit“ verwandelt werden. In dem Roman, in den er und Ada gleichsam hineinsterben werden, soll ein zeitloser Raum über den Tod triumphieren: „space versus time, time-twisted space, space as time, time as space—and space breaking away from time.“ Mit Van Veen teilt Liddy Scheffknecht das Interesse an der peniblen Untersuchung des Verhältnisses von Zeit und Raum – nicht zufällig heißt das vorliegende Buch Points in Time –, aber niemals sind Zeit und Raum in ihren Arbeiten Gegenspieler. Das Pathos des Nabokov’schen Helden ist Scheffknecht fremd. Die Künstlerin triumphiert nicht, indem sie Werke schafft, in denen die Zeit angehalten (und der Tod ausgesetzt) ist. Zeit und Raum werden bei ihr sinnlich, lustvoll und mit diskretem Witz in immer neue Bewegungen versetzt, und das Verhältnis beider wird durch das kombinatorische Spiel mit unterschiedlichen Medien stets aufs Neue befragt.

Ernst Strouhal

Die topografische und temporale Ordnung der Dinge, die uns im Alltag so selbstverständlich und klar erscheint, erweist sich in ihren Bildern und Skulpturen als brüchig: Auf Fotografien bewegen sich Schatten wie von Geisterhand über die stillstehenden Bilder; auf anderen scheinen sie zu fehlen oder erscheinen, obwohl die Personen verschwunden sind, die sie werfen; auf wieder anderen haben Blüten plötzlich andersfarbige Schatten. Bisweilen wird die Zeit angehalten, bisweilen wird das Jetzt in wundersamer Weise ausgedehnt, mitunter reflektiert ein Taufbecken Licht, wie es nur die Bewegung des Wassers könnte, das geweihte Becken ist allerdings leer. Nicht zuletzt werden in ihren Skulpturen und Bildern auch einfache Augenblicke des Glücks eingefangen und angehalten, Erinnerungen an die Freuden der Kindheit wie den Sprung auf einem Schlitten durch die Luft oder das lustvolle Erzeugen von größtmöglichen Kaugummiblasen. Wir wissen freilich um die Ambivalenz dieses Stillstandes und um die Zweideutigkeit der Erinnerung: Währt der Moment des Glücks ewig, so kippt der Traum in einen Albtraum, fließt die Zeit jedoch weiter, so werden die Blasen platzen, der dem Sprung folgende Sturz ist unvermeidlich, und er wird schmerzhaft sein.

Die Welt des Lichts und des Schattens, der Bewegung und des Stillstandes ist bei Liddy Scheffknecht freundlich, die Freundlichkeit dieser Welt ist aber auch illusionär, bei genauerem Hinsehen erweist sich die freundliche auch als eine gespenstische, unheimliche Welt. Das Zusammentreffen beider Elemente erzeugt in allen Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Installationen Scheffknechts einen Moment der Gleichzeitigkeit von Glück und dem Zweifel an dessen Dauer. Points in Time versammelt Arbeiten der Künstlerin aus den letzten zehn Jahren und ordnet sie lose sechs Werkgruppen zu: Sun Works umfasst unterschiedliche Arbeiten mit Sonnenlicht (und dem Spiel mit der vermeintlichen Einheit von Objekt und Schatten); das folgende, dem ersten verwandte Kapitel zeigt ihre Wachskreidezeichnungen (Crayon Scratch Drawings): Aus einem schwarzen Blatt werden Motive heraus­geritzt, die Momente des Sonnenlaufes repräsentieren, ja durch einen bestimmten Sonnenstand in dieser Gestalt erzeugt werden. In Moving Standstill kombiniert die Künstlerin Video, Fotografien und Zeichnungen zu medienhybriden Werken, in denen zeitbasierte und statische Medien aufeinandertreffen und durch ihre Kombination beunruhigende Effekte erzeugen. Live zeigt unterschiedliche Formen der Transformation von natürlichen in künstliche Bilder, allein durch ihre Rahmung und ihre technischapparative Übertragung von einem Außen- in einen Innenraum erscheint ihr Naturalismus plötzlich abstrakt, alle Mimesis als Täuschung. Die Zeichnungen und Objekte in Revolution & Rotation thematisieren die Möglichkeit der Veränderung von Bildern durch Sonnenlauf und Erdrotation. Durch die Berücksichtigung zeitlicher Verläufe im Bild und die präzise Bestimmung der Veränderung des Sonnenlichts im Raum werden Augenblicke fixiert, sie erzeugen je eigene Formen, die, miteinander kombiniert, neue Bilder ergeben. Das abschließende Kapitel, Instant, umfasst (fotografische) Skulpturen: Momente werden eingefangen und konserviert, Bewegungen kommen zu einem plötzlichen Stillstand, Dinge werden auf magische Weise aus dem zeitlichen Verlauf herausgelöst und verharren in prekären, grotesken Positionen. Die Bilder sind vieldeutig wie der Titel des Buches, Points in Time. Die drei Essays in diesem Band reflektieren unterschiedliche Aspekte in den Arbeiten von Liddy Scheffknecht. Roberto Casati, Philosoph und Professor an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris und seit vielen Jahren mit der Phäno­menologie des Schattens beschäftigt,


thematisiert die Bedeutung des bewegten Schattens bei Scheffknecht und das Verhältnis ihrer Licht- und Schattenästhetik zu den physikalischen Grundlagen ihrer Erzeugung wie Erdumdrehung und Licht. Der Medientheoretiker und Kunstkritiker Christian Höller widmet sich – wie Casati vom Schatten bei Scheffknecht ausgehend – den verschie­ denen ästhetisch-konstruktiven Verfahren der Künstlerin, durch die eine eigene semiotische (indexikalische) Realität und zugleich Alterität generiert wird. Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Larissa Kikol, Kunsthistorikerin, Publizistin und Kuratorin, steht die Relation von Material und Körperlichkeit in den Arbeiten Scheffknechts; beider Verhältnis wird vor allem in ihren Skulpturen stets neu bestimmt und hergestellt – von zentraler Bedeutung ist für Kikol das Moment des Spielerischen, eines souveränen Spiels der Künstlerin mit Illusion und Wahrnehmung. „Kunst“, notiert Adorno in einem der schönsten Aphorismen in seinen Minima Moralia, „ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“ Und ein paar Zeilen darüber heißt es: „Aufgabe von Kunst heute ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen.“ In den Werken Scheffknechts ist immer ein Element des Zauberischen auf­ ge­hoben, das unsere Vorstellung von Ordnung des Raumes und dem Fließen der Zeit in Unordnung bringt. Die Medienkünstlerin Scheffknecht ist deshalb immer auch eine Zauberkünstlerin. Ihre Zauberkunst hat mit schwarzer Magie nichts zu schaffen. Ihre Kunst legt die Verfahrensweisen offen, sie ist eine Kunst der freundlichen Täuschung. Sie ver­setzt uns ins Staunen über die Subtilität der Anordnungen und über die Virtuosität der Inszenierung und lässt uns über die Grenzen und die Unvollkommenheit unserer Wahrneh­mung nachdenken. Sie vermag uns aber auch – magischer Moment der Kunst jenseits allen Wissens um ihre Verfahren – zu bezaubern. Ich habe vielen für ihre Unterstützung zu danken: zunächst der Universität für angewandte Kunst Wien für die guten Arbeitsbedingungen, denen sich dieses Buch verdankt; im Besonderen gilt mein Dank Gerald Bast und Anja Seipenbusch-­ Hufschmied, die diesen Band ermöglicht haben; vielen Kolleg*innen, die das Entstehen des Buches mit großzügigen Hilfen aller Art begleitet haben; schließlich den Autor*innen und natürlich allen voran: der Künstlerin.

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Ernst Strouhal, Univ.-Prof. an der Universität für angewandte Kunst Wien (Abteilung für Kulturwissenschaften); Lehrbeauftragter u. a. an der TU Wien, Autor, Publizist, Mitarbeit bei vielen Ausstellungen. 2010 Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik. U. a. in Buchform erschienen: Umweg nach Buckow. Bildunterschriften (2009), M. Duchamp / V. Halberstadt. Spiel im Spiel. A Game in a Game. Jeu dans le jeu (2012), Zoo der imaginären Tiere. Vom Projekt einer ästhetischen Menagerie (2012), Die Welt im Spiel. Atlas der spielbaren Landkarten (2015), Agon und Ares. Der Krieg und die Spiele (Hrsg., 2016), Böse Briefe. Eine Geschichte des Drohens und Erpressens (2017, gem. mit Ch. Winder), Gespräch mit einem Esel. Vom Lesen mit dem Daumen (2019), SMadness. Von Schönheit und Schrecken des Schachspiels (2021, gem. mit M. Ehn).


Preface

“Space is a swarming in the eyes, and Time a singing in the ears.” In the artificial world of Ardis that Vladimir Nabokov imagines in his late novel Ada or Ardor from 1969, time has to stand still. The time of the aging writer Van Veen has almost run out, his goal is to create works that resist the texture of time. The flow of time is to be arrested by art, transformed to “motionless time.” In the novel into which he and Ada, as it were, die into, a timeless space is supposed to triumph over death: “space versus time, time-twisted space, space as time, time as space—and space breaking away from time.” Like Van Veen, Liddy Scheffknecht is also interested in a meticulous exploration of the relationship of time and space: it is no accident that this book is entitled Points in Time, but time and space are never antagonists in her work. The pathos of Nabokov’s hero is something unknown to Scheffknecht. The artist does not triumph in creating works in which time is arrested (and death suspended). In her work, time and space are set in ever new movements, sensually, pleasurably, and with subtle wit, and the relationship between the two is interrogated in ever new ways by her combinatorial play with various media.

Ernst Strouhal

The topographical and temporal order of things that appears to us so self-evident and clear in our everyday lives proves fragmentary in her pictures and sculptures: in some photographs, shadows move as if pushed by a spectral hand across the motionless im­­ ages; in others, they seem missing or appear despite the fact that the people who cast them have vanished. In others, blossoms suddenly have differently colored shadows. Sometimes time is stopped, sometimes the now is extended in a miraculous way. A baptismal font reflects light as could only be done by the movement of water, but the font itself is empty. And finally, in her sculptures and drawings simple moments of happiness are captured and arrested, memories of the joys of childhood like the leap of a sled through the air or the joyful production of the largest bubble gum bubbles possible. We are naturally aware of the ambivalence of this standstill and the ambiguity of memory: if the moment of happiness lasts forever, the dream becomes a nightmare, but if time keeps on flowing, the bubbles will burst, the fall after the leap is unavoidable, and it will be painful. The world of light and shadow, movement and standstill is amiable in Liddy Scheffknecht’s work, but the amicability of this world is also an illusion: on closer inspection the amiable world proves also to be mysterious, uncanny. The encounter of both elements generates in all her drawings,

photographs, sculptures, and installations a moment of the simultaneity of happiness and doubt about its duration. Points in Time brings together works by the artist from the past ten years and groups them loosely into six groups: Sun Works includes various works with sunlight (and a play with the supposed unity of object and shadow). The subsequent chapter, related to the first, shows her Crayon Scratch Drawings: on a black sheet, motifs are scratched out that represent moments of the course of the sun and are generated in this form by a certain position of the sun. In Moving Standstill, the artist combines video and photography or drawings to create media hybrid beings in which time-based and static media encounter one another and generate unsettling effects. Live shows various forms of the transformation of natural images into artificial ones, solely through their framing and their technical apparatus transmission of an outer space to an inner space, their naturalism suddenly seems abstract, and all mimesis seems to be an illusion. The drawings and objects in Revolution & Rotation explore the possibilities of changing images by way of the course of the sun and the earth’s rotation. By accounting for temporal processes in the image and the precise definition of the sunlight in the space, moments are fixed; they each generate forms of their own which, combined with one another, generate new images. The final chapter, Instant, includes photographic sculptures: moments are captured and preserved, movements come to a sudden standstill, things are removed in a magical way from the flow of time and endure in precarious, grotesque positions. The images are as ambiguous as the title of the book Points in Time. The three essays in this volume reflect various aspects in the work of Liddy Scheffknecht. Roberto Casati, a philosopher at Paris’ École des hautes études en sciences sociales (EHESS), who has for many years been investigating the phenomenology of shadows, thematizes the significance of moving shadows in Scheffknecht’s work and the relationship of her light and shadow aesthetic to the physical foundations of their production, like the earth’s rotation and light. Media theorist and art critic Christian Höller, like Casati taking Scheffknecht’s use of the shadow as his point of departure, looks at the various aesthetic-constructive techniques used by the artist to generate her own semiotic (indexical) reality and at the same time alterity. Finally, Larissa Kikol, art historian, journalist, and curator, focuses on the relation of material and corporeality in Scheffknecht’s work: both relations are constantly redefined


and created, especially in her sculptures: for Kikol, central is the moment of playfulness, the artist’s confident play with illusion and perception. “Art,” Adorno notes in one of the loveliest aphorisms of Minima Moralia, is “magic delivered from the lie of being truth.” And a few lines before: “The task of art today is to bring chaos into order.” In Scheffknecht’s works, there is always an element of magic that brings chaos to our notion of the order of space and the flow of time. The media artist Scheffknecht is thus always already a magician: but her magic has nothing to do with black magic. Her art instead reveals the techniques with which it is produced: it is an art of amicable deception. It allows us to marvel at the subtlety of their arrangements and the virtuosity of their staging and lets us think about the limits and the imperfection of our perception. But it is also able to enchant us, a magical moment of art beyond all knowledge about the techniques of its production. There are many I would like to thank for their support: first, of all, the University of Applied Arts Vienna for the good working conditions to which this book owes its exis­ tence. My special thanks go to Gerald Bast and Anja Seipenbusch-Hufschmied, who made this volume possible, and to the many colleagues that accompanied the emergence of this book with their generous assistance of all kinds. Finally, I would like to express my heartfelt gratitude to the authors and of course, most of all, the artist herself.

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Ernst Strouhal is a member of the faculty in the Department of Cultural Studies at the University of Applied Arts Vienna and has been a guest lecturer at several institutions. He is a writer and journalist and has curat­ ed many exhibitions. In 2010 he was awarded the Österr. Staatspreis für Kulturpublizistik. Publications include: Umweg nach Buckow. Bildunter­ schriften (2009), M. Duchamp and V. Halberstadt: Spiel im Spiel /A Game in a Game / Jeu dans le jeu (2012), Zoo der imaginären Tiere: Vom Projekt einer ästhetischen Menagerie (2012), Die Welt im Spiel: Atlas der spielbaren Landkarten (2015), Agon und Ares: Der Krieg und die Spiele (Ed., 2016), Böse Briefe: Eine Geschichte des Drohens und Erpressens (2017, with Christoph Winder), Gespräch mit einem Esel: Vom Lesen mit dem Dau­ men (2019), SMadness: Von Schön­­heit und Schrecken des Schachspiels (2021, with Michael Ehn).



Sun Works

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Ein gewöhnlicher Lichtfleck im Raum, entstanden durch direkten Sonnenlichteinfall, wird durch eine auf dem Fenster fixierte Papierschablone in eine bestimmte Form gebracht. Dadurch entsteht ein Licht- oder Schattenbild, welches, angetrieben durch die Erdrotation, durch das Zimmer wandert und sich in Form, Größe und Proportion langsam verändert. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ver­ binden sich das geformte Licht, der geformte Schatten mit einem Objekt im Raum; es entsteht die Illusion einer Einheit von Gegenstand und Licht- oder Schattenprojektion. Die Anordnung gleicht einer Art Belichtungsmaschine, in der durch das Fenster und die darauf angebrachten Folien und Papiere die Sonne belichtet und ein Bild auf eine Trägerfläche wirft. Durch die Erdrotation wird das „Bild“ an eine Stelle gerückt, wo es ein Objekt für einen kurzen Moment scheinbar an sich bindet und im nächsten wieder loslässt. Die Serie umfasst fotografische Sequenzen, welche verschiedene Zeitpunkte der raum- und zeitgebundenen Installationen zeigen, und kurze Performances für die Kamera, in denen die Künstlerin mit den Gegenständen im Raum und dem modellierten Sonnenlicht agiert.

An ordinary spot of light in the room that results from direct sunshine is shaped to take on a certain form using a paper stencil affixed to the window. The result is a shadow or a light image that moves through the room driven by the earth’s rotation and changes gradually in shape, size, and proportion. At a certain point in time, the formed light or the shaped shadow combines with an object in the room, resulting in the illusion of a unity of the object with the light shape or shadow. The arrangement is like a kind of exposure machine where the sun shines through the window and the foils and papers applied to it, casting a picture upon a support surface. Through the earth’s rotation, the “picture” is moved to a spot where it apparently affixes itself to an object for a brief moment, letting it go at the very next moment. The series includes photographic sequences showing various moments during the space and time bound installations and brief performances for the camera where the artist interacts with the objects in the room and the modeled sunlight.


crop Sun Works


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crop, 2013 Sonnenlicht, Erdrotation, Pflanze, Papier Sunlight, earth rotation, plant, paper


Sun Works

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sun pan Sun Works


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sun pan, 2019 Sonnenlicht, Erdrotation, Kehrschaufel, Papier Sunlight, earth rotation, dustpan, paper


54 Sun Works


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kerria japonica pleniflora, 2020 Sonnenlicht, Erdrotation, Blumen, Farbfolie, Papier Sunlight, earth rotation, flowers, colored foil, paper


56 Sun Works


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syringa, 2020 Sonnenlicht, Erdrotation, Farbfolie, Papier Sunlight, earth rotation, flowers, colored foil, paper


Sun Works

Die Skiagraphien sind Bilder, die durch direkten Sonneneinfall und den Einsatz von Papier und transparenten farbigen Folien entstehen. Die Konstruktion des Bildes (das Arrangieren von Farbfolien und Papier auf einem Fenster) ist präzise geplant. Scheint die Sonne durch das Fenster, wird ein Lichtbild in den Raum geworfen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt entfaltet das Lichtbild die gewünschte Form und wird fotografisch eingefangen. The Skiagraphien (Sciagraphs) are pictures that emerge by the direct cast of sunlight and the use of paper and transparent colored foil. The construction of the image (the arrangement of the colored foil and paper on a window) is planned very exactly. When the sun shines through the window, a light image is cast in the space. At a certain point in time, the light image takes on the desired shape and is captured in a photograph.

Sciagraphs


65

Ohne Titel / Untitled (Skiagraphie #4), 2016 Sonnenlicht, Erdrotation, Farbfolie, Papier Sunlight, earth rotation, colored foil, paper


Sun Works Ohne Titel / Untitled (Skiagraphie #1), 2015


Ohne Titel / Untitled (Skiagraphie #2), 2015


Crayon Scratch Drawings

80

Ohne Titel / Untitled (Sending Spray), 2017 Wachskreide auf Papier / wax crayon on paper


Im Moment des Schattens

Die Kunst ist der Bereich des Künstlichen, der Verfälschung, der Modifikation, des Zitats. Wir können nicht einfach auf die Sonne (oder den Atlantischen Ozean oder einen riesigen Mammutbaum) zeigen und sie dadurch zu Kunst erklären (und wenn wir es doch tun, dann müssen wir sehr viel Zeit darauf verwenden, um zu erklären, was und warum wir das getan haben, und uns schließlich auch fragen, ob uns das überhaupt gelungen ist). Damit etwas zu Kunst wird, braucht es ein Zeichen, eine Geste, ein Projekt, einen Prozess, einen Einsatz und einiges an Arbeit. Wir wissen nicht, was eine hinreichende Bedingung dafür ist, damit etwas zu Kunst wird, aber wir wissen, dass dafür eine Veränderung, ein Eingriff und menschliche Arbeitskraft notwendig sind.

Roberto Casati

Die Existenz eines Kunstobjektes wird immer, entweder direkt oder indirekt, von seiner Umwelt bedingt: Die Luft ist das Medium, durch das wir Dinge erkennen, und selbst im Museum dringt natürliches Licht durch die Fenster, ganz unabhängig davon, wie abge­ schirmt sie auch sind. In manchen Fällen aber wird die Umwelt selbst zum Motiv. Bei LandArt fallen uns sogleich große Arbeiten ein: in der Wüste aufgestellte Stahlobelisken, in pinker Plastikfolie verhüllte Inseln, erloschene Vulkane, die zu Orten der Besinnung werden, und in eine europäische Stadt geschleppte Eisberge, die dann dort zerschmelzen. Diese oftmals ambitionierten Projekte sind finanziell äußerst aufwendig und legen zugleich bestimmte Infrastruk­turen der Kunst frei. Wird die Umwelt als etwas Äußerliches be­­­ trachtet – als ein „Außen“, das durch seine weit über dem menschlichen Maßstab liegende Größenordnung definiert wird –, dann kann die Umwelt nicht in einem Museum gezeigt werden. Und trotzdem können wir uns an ihrer schieren Größe erfreuen und müssen uns nicht dem Vergnügen verwei­ gern, allein schon das Ausmaß und die Größe

der Intervention für künstlerisch bedeutend zu halten. Die Künstler*innen setzen rücksichtslos ihre Handschrift in die Landschaft, greifen in sie ein und verändern sie. Dabei messen sie sich selbst an der Umwelt, die den Maßstab für die Größe ihrer eigenen Geste liefert, die wiederum zur künstlerischen Großartigkeit erklärt wird. Das Ergebnis ist spektakulär: Die Menschen laufen in Scharen zusammen, lösen ein Gewitter aus Selfies aus, um schließlich die von Ereignis zu Ereignis galoppierenden Bilder im Internet zu konsumieren. Es gibt aber auch andere Wege, die Umwelt zum Motiv und zur Protagonistin zu machen. Dann aber bestimmt die Umwelt über die Zeit und den Raum der Arbeit, verlangt nach Vorsicht und Aufmerksamkeit und wird dabei weder zerstört noch verfälscht. Kaum merklich, wie auf Zehenspitzen, wird die Umwelt domestiziert; sie wird Teil des domus und scheint selbst dann noch das Haus durch den Haupteingang zu betreten, wenn sie, wie wir noch sehen werden, eigentlich durch das Fenster hineintritt. Liddy Scheffknechts künstlerische Arbeiten bringen eine Liste von „Ingredienzen“ mit. Diese Bezeichnung ist von mir, weil ich nicht sicher bin, ob es einen eindeutigen und allgemein akzeptierten Fachbegriff gibt, um das Material zu beschreiben, aus dem ihre Arbeiten bestehen. Ausstellungslabels und Kataloge listen normalerweise die verwendeten Materialien und künstlerischen Prozesse auf („Öl auf Leinwand“, „Tempera auf Holz“ et cetera, wobei „Öl“ sowohl auf das Material als auch auf einen bestimmten Arbeitsprozess verweist, mit dem das Material auf den Untergrund aufgetragen wird). Es ist allerdings wesentlich schwieriger, eine geeignete Kategorie für die „Erdumdrehung“ zu finden, die in Scheffknechts Arbeiten mit Schatten eine zentrale Rolle einnimmt.



97

Ohne Titel / Untitled (pipe), 2017 Wachskreide auf Papier / wax crayon on paper





Moving Standstill

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Video und Fotografie beziehungsweise Video und Zeichnung vermengen sich zu einem Medienhybrid. Auf die jeweilige Fotografie oder Zeichnung werden präzise abgestimmte Schatten in einem Computerprogramm modelliert, animiert und als Video ausgegeben. Dieses Video wird punktgenau auf die Fotografie oder die Zeichnung projiziert. Das zeit­basierte Video und die statische Fotografie respektive Zeichnung werden von den Betrachter*innen als Einheit wahrgenommen, ein medial verdoppelter Raum entsteht, verschiedene Zeitsysteme, Bewegung und Stillstand treffen aufeinander: die lange, aber endliche Dauer des Videos, der kurze Moment der Aufnahme der Fotografie, die den Zeitpunkt stillstehen lässt, und die gegenwärtige Raumzeit, in der sich die Betrachter*innen befinden. Bei den für die Installationen verwendeten Foto­grafien handelt es sich teils um Found Footage, teils um dokumentarische Aufnahmen und teils um eigens insze­nierte Situationen. Die Serie umfasst zahlreiche Arbeiten, die je nach Motiv unterschiedliche Narrationen formen und mitunter das Bild und seine Grenzen durch Schatten­inszenierungen überschreiten.

A video and a photograph or a video and a drawing combine to form a media hybrid. Onto the respective photograph or drawing, precise shadows are modeled in a computer program, animated, and used as video. This video is projected precisely onto the photograph or the drawing. The timebased video and the static photograph or drawing are perceived as a unity by the beholders, a dual space emerges in the media. Different time systems, movement, and standstill encounter one another: the long, but finite duration of the video, the brief moment of the shot of the photograph that lets time stand still, and the current space-time in which the beholders find themselves. The photographs used for the installations are in part found footage, some of them are documentary material, and some are situations staged especially. The series includes several works that, depending on the motif, shape different narratives and sometimes transgress the image and its limits with stagings of shadows.


It takes three actors to produce and make visible a shadow: a light source, an obstacle, and a screen that intercepts the light around the light-gap created in it by the obstacle. The artistic artifice can invest each of these actors or moments: the light can be natural or artificial. If artificial, it will be at distances infinitesimal to those that separate us from the luminous stars. The obstacle can be a natural contingency or the result of an intention that determines its shape, size, position, and orientation in space, and the same goes for the screen. The screen, however, is not a condition for the existence of the shadow, but rather a condition for its epiphany. The natural shadows in our environment come from a limited number of light sources. The sun and the moon, of course, but also some planets like Venus, Jupiter, and stars like Sirius, which cast weak, low-contrast shadows on new moon nights, shadows that require an effort of concentration, an adaptation, almost a perceptual construction, an effort of the will. A forest fire, a volcanic explosion, generates ephemeral and violent shadows, fast and changeable. But the sun is the prime mover of environmental shadows, into which it insufflates a twofold variety: movement and change of form as the time of day progresses, and change of form as the seasons pass, the more marked the further one is from the equator.

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Some artificial shadows mimic natural shadows; the candle flame flickers and creates dramas on the walls, shapes that chase each other. But since the nineteenth century, humans have populated the space they inhabit with frozen artificial shadows, cre­ ated by gas and incandescent lighting (and other types of light source that technology has produced: neon, halogen, LED). These

Roberto Casati

shadows do not move—they are static— only a human gesture that moves the light source or the object that casts the shadow can change this rigidity. Time does not flow between the moment we turn on the light bulb and the moment we turn it off; or if it does flow, it is not the artificial shadows that tell us. In Scheffknecht’s work, by an unusual reversal of perspective that is proper to artistic creation, the natural shadows imitate the artificial ones; perhaps only for a moment, as in Reading Woman, the imitation is perfect. All art is a form of cognitive engineering that takes its cue from certain mechanisms of the human mind. Here the work exploits the impossibility of perceiving the movement of the shadows in the moment. But this perception eventually occurs; it is inescapable. We do not use automatic vision, but reflexive vision, which requires attention and the use of our working memory. The environment, the situation, brings us back down to earth; that shadow comes from the world to which we belong and reminds us that we can never really separate ourselves from that world.

Shadows in the Moment

the day, appearing and disappearing. Liddy Scheffknecht could have added “shadow” or “moving shadow” to the list of ingredients. It seems important that she didn’t—not only because of the metaphysical status of the shadow, which you don’t necessarily want to consider as an object in its own right and requires special discussion if you treat it as an absence. The “surprising truth” that shadows produced by the sun do not actually move literally also counts. The earth moves (“earth rotation”), but the earth-sun direction does not change: all objects are systematically reoriented during the rotation of the earth with respect to the shadow, which becomes a reference point, an invariant. Contrary to appearances, the shadow is the only fixed object in the scene, a scene that the rotation of the earth drags along with it: illusion becomes reality, reality an illusion.

Roberto Casati, senior researcher, Centre national de la recherche scientifique (CNRS), professor at the École des hautes études en sciences sociales (EHESS), director of the Jean Nicod Institute of ENS/EHESS in Paris, one of the leading research centers in cognitive science, is currently working on spatial disorientation and cognitive tools for remediating or preventing it. He has lectured and published widely on perception, spatial representation, and the use of maps and images. He is also the author of ten books, some of which have been translated into several languages. His seminal work Contre le colonialisme numérique: Manifeste pour continuer à lire [Against Digital Colonialism: A Manifesto for Reading] (2013) triggered a major debate on the use of technology in education. His The Cognitive Life of Maps will be published in 2022 by MIT Press. He is the editor of the collection The Sailing Mind (Springer, 2022). His latest book project is Ocean: A Philosopher’s Route (Einaudi).


“Almost Like a Fluid” Electric Shadows and Other Revenants in Liddy Scheffknecht’s Media Hybrids

Christian Höller

shapeshifter that is contingently amorphous.1 To create a short phenomenology of the use of aesthetic shadows in art, a series of differ- At the same time, it is also inseparably linked to the physical object upon which it is conent registers would have to be addressed tingent, making it an index, a sign that is that are sometimes built upon one another, materially linked to its cause.2 but can also operate separately from one another. When more closely examining Liddy Scheffknecht’s complex media constructions, From the indexical shadow it is not far to the media shadow, which, generated by a techin which animated moving shadows are pronical device, uses the principle of physical jected onto still images, photographs, four cause for an act of recording, indeed a cerof these registers come immediately to the tain mode of representation. Media images, forefront. no matter whether they are photographic,3 filmic, or generated by another kind of appaFirst of all, there is what could be called the ratus (except for the digital), are largely indexical shadow. The indexical shadow is produced by interaction between an external linked to their referential objects by an indexical relationship, while at the same time they light source and a “spot” that results from can exist separate from the referential object. an object that blocks the light. This spot, inseparably linked to the object, distorts it in This emancipates them, as it were, from what causes them, but also opens the door— terms of perspective in the nearby environment. This “after-drawing,” the cast shadow, the complaint is well-rehearsed—to all kinds of manipulation or, just as serious, a general has no fixed shape, but changes its form depending on the way the light falls and thus suspicion of their basic manipulability. Medial doubles are from the start semi-autonomous, represents a kind of variable double, a




Revolution & Rotation


Das Wort „now“, aus einem auf einem Fenster angebrachten Blatt Papier ausgeschnitten, wird bei Sonnenlicht auf ein mit Wachs­­ kreide geschwärztes Papier geworfen. Alle zehn Minuten wurden die Konturen der Buchstaben mit leichtem Druck umfahren. Jedes „now“ fixiert einen bestimmten Moment in der Raumzeit, zugleich umfasst es bestimmte Zeiträume eines Jetzt, das sich, zum bloßen Wort geworden, überlagert. Die Zeichnung visualisiert den Lauf der Sonne, zeitliche Veränderungen werden im Bild zu sprachlichen und schließlich zu räumlichen. The word “now,” cut out from a piece of paper that is applied to a window, is cast in sunlight onto a piece of paper blackened with crayon. Every ten minutes, the contours of the letters are lightly outlined. Each “now” arrests a certain moment in the space-time, at the same time capturing certain temporal spaces of a now that overlap, a now that has become a mere word. The drawing visualizes the course of the sun; in the image, temporal shifts become linguistic and ultimately spatial.

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