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Hoffnung statt Grübeln. Der Glaube als Gamechanger

Hoffnung in diesen Zeiten vermitteln – geht das?

• Immer öfter erleben wir als Kliniker:innen und niedergelassene Behandelnde, dass Menschen durch individuelle aber auch globale Belastungen und Bedrohungen der letzten Jahre überfordert sind und letztendlich sogar erkranken. Pathologisches Sorgen, Grübeln, und Anpassungsstörungen, in Abgrenzung dazu auch Depressionen und Ängste, nehmen zu.

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Eine Pandemie, extreme Hitzewellen und Dürreperioden, andererseits extreme Kälte und Überschwemmungsereignisse in Jahrhundertgröße aufgrund des Klimawandels, Inflation, Krieg, Energiekrise… die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Eine signifikante Besonderheit der COVID19-Pandemie beispielsweise war sicher deren weltweite Gleichzeitigkeit mit einer großen Diversität unsicherer Hypothesen und Ideen zu ihrer Bewältigung ohne konkrete Vorerfahrung. Unser psychisches Grundbedürfnis an Sicherheit, Kontrolle und Ordnung, wie es Prof. Klaus Grawe1 einmal postulierte, wurde stark herausgefordert.

Die Pandemie löste zusätzlich wirtschaftliche Unsicherheit und Verwundbarkeit aus. Diese allgemeine Unwägbarkeit wird durch den nun seit mehr als einem Jahr andauernden Krieg in der Ukraine in seiner unglaublichen Unberechenbarkeit verstärkt: Menschen flüchten, viele haben bereits ihr Leben verloren, wichtige Infrastruktur wird zerstört und die Umwelt stark belastet. Es handelt sich um eine humanitäre Krise, deren Erholung Jahrzehnte dauern wird, und in ganz Europa letztendlich eine Wirtschaftsund Energiekrise provoziert hat. Nicht nur wird das ganze System geschüttelt, viele Menschen sind sehr persönlich betroffen.

Eine Nachrichtensendung zur Abendzeit eines öffentlich rechtlichen Senders Anfang Juli 2022 verdeutlicht diesen Einschnitt mit folgenden drei große Themen in der Präsentation:

1. Klimakatastrophe am Beispiel des Gletscherabbruchs der Marmolata, dem höchsten Berg der Dolomiten, mit elf Toten.

2. Krieg in der Ukraine mit anhaltenden Katastrophen.

3. COVID-19: Der Bundesgesundheitsminister prophezeit eine schweren Herbstwelle.

4. Eine positive Nachricht: Die deutsche Tennisspielerin Tatjana Maria erreicht in Wimbledon das Halbfinale.

Insgesamt scheint diese Auswahl an Nachrichten äußerst geeignet, um einen profitablen Beitrag zu einer Gesellschaftsdepression zu leisten, denkt sich da vielleicht die eine oder andere Person. So entsteht das Bild einer düsteren Zukunft im 21. Jahrhundert. Auch in einem Gottesdienst kann es nun vorkommen, dass die Verkündigung genau diese Katastrophen ins Gedächtnis ruft –und sei es nur um zu beten und Gottes Eingreifen zu erflehen – und damit eventuell düstere Gedanken zementiert.

Überwiegt der Pessimismus also auch unter Christ:innen? Stimmt es, dass wir in schlechten Zeiten leben? Gibt es keine Hoffnung? Was ist Hoffnung? Können Christ:innen Hoffnung haben und Hoffnung schenken? Kann persönlicher Glaube Gamechanger sein?

David Bosch (1929–1992), südafrikanischer Missionar und evangelischer Missionswissenschaftler, postuliert mit seinen Gedanken zu einer ganzheitlichen Mission2 bereits 1991 auf der Basis des Hohenlieds der Liebe in 1. Kor. 13 folgendes:

„Die Kirche schuldet der Welt den Glauben. Christen sind Botschafter der Versöhnung. Sie kommen nicht aus Überlegenheit, sondern aus Solidarität, als Bettler zeigen sie anderen Bettlern, wo sie Brot finden.

Die Kirche schuldet der Welt Hoffnung. Christen können Neues wagen, weil Gott alles neu machen wird. Wenn Gott einmal alle Tränen abwischen will, können wir uns nicht mit Tränen zufrieden geben oder Ungerechtigkeiten dulden.

Die Kirche schuldet der Welt Liebe. Jesus hat sich selbst als Diener verstanden. Er hat sein Leben aus Liebe dahingegeben, wegen seiner Narben glaubten die Jünger.

Bis heute sind Christen dazu aufgerufen, als Dienende die Liebe Christi zu verkündigen.“ Ein gewagtes Postulat! Die Kirche, Christ:innen, schulden der Welt Glaube, Hoffnung und Liebe.

Vielleicht ist diese Forderung aber gar nicht so weit entfernt von Jesu liebevollem Postulat, seinen Zuspruch aus der Bergpredigt: „ Ihr seid das Salz der Erde … Ihr seid das Licht der Welt…“.3

Jesus sagt uns doch hier: Wenn nicht ihr, wer dann? In Matthäus 28,18 fordert er auf, alle Völker zu Jüngern zu machen, den Glauben zu vermitteln, zu bezeugen. Dies gilt unabhängig von Umständen. Wenn Jesus sagt, die Kranken bräuchten den Arzt, nicht die Gesunden (Mk. 2,17), dann könnten doch umso mehr jene Menschen gemeint sein, die jetzt untergehen in Sorgen, Grübeln und pessimistischen Zukunftsperspektiven.

Wie können wir nun Glauben bezeugen, Hoffnung verbreiten?

Vielleicht einfach, indem wir da sind, wo und wie wir gebraucht werden, als Zeichen der dienenden Liebe Christi, wie es Bosch vorschlägt und es sich auch im Jakobusbrief 4 wiederfindet. Und wenn uns aus unserem Sein und Tun heraus, unserem Zuhören, unserer Hilfe und Unterstützung nichts mehr einfällt, können ja auch Worte noch die Liebe Christi beschreiben.

Es gilt, der pessimistischen Nachrichtenerstattung und düsteren Zukunftshypothesen die Hoffnung des Evangeliums, dass Gott da ist, immer war und sein wird, entgegenzustellen.

Bonhoeffers Worte zum Optimismus sind wegweisend, ermutigend und hochaktuell: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignierten, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt.

Es gibt gewiss auch einen dummen, feigen Optimismus, der verpönt werden muss.

Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen, auch wenn er hundertmal irrt. Er ist die Gesundheit des Lebens, die der Kranke nicht anstecken soll. Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“ 5

Ein gewaltiges Zeugnis einer ebenso gewaltigen Realität und Wahrheit, durch eine persönliche Beziehung mit Jesus Christus.

Ein Blick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Hoffnung zeigt im Vergleich dazu einen nahezu hohlen Versuch, Hoffnung zu greifen. Charles Richard Snyder entwickelte als Vertreter der positiven Psychologie eine sogenannte Hoffnungstheorie (1981).

Snyder beschreibt Hoffnung als jene Motivation, sich an positive Ergebnisse oder Ziele zu binden. Er betont die kognitive Komponente der Hoffnung als Prozess des Nachdenkens über eigene Ziele unter Betrachtung der Dimensionen „Entschlossenheit“ und „Erwartung".

Kritik erfährt er aufgrund der Unfähigkeit zu beschreiben, warum Menschen auch dann Hoffnung haben, wenn sie keinen Weg sehen, ein Ziel zu erreichen.

Im Hebräerbrief können wir dazu folgendes lesen:

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein nicht Zweifeln an dem, was man nicht sieht.“ 6

Dahinter steht keine Theorie; es handelt sich um die von Bonhoeffer beschriebene Lebenskraft, einen Optimismus im Sinne von Resilienz als Grundfähigkeit, die aus der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus heraus geschenkt wird und genährt werden kann, eben kein kognitives Konstrukt. Sie beschreibt den Glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes, der in uns durch den Heiligen Geist lebendig ist.

So kann der Mensch in belastenden, auch lebensbedrohlichen Situationen Trost und Ruhe finden. Bonhoeffer ist ein prominentes Zeugnis dafür, wie viele andere ebenso, Menschen wie du und ich.

Uns gegenseitig in diese Beziehung zu diesem Christus hineinzuführen, gegebenenfalls zu erinnern und die Kraft des Glaubens an den personalen Gott Vater, Jesus und den Heiligen Geist und sein Beziehungsangebot, seine Liebe und seinen Trost und Frieden neu zu beleben, das ist ein christlicher Auftrag, gerade in Zeiten wie diesen. Zusammenstehen in Zeiten des Leidens ist tragende Antwort auf die Theodizee-Frage, nicht eine theoretische Philosophie dazu. Wenn auch an vielen Stellen Umstände nicht zu ändern sind – eine Lebensrealität seit Menschengedenken –, so können wir doch mit Jesus Christus und Mitglaubenden in Not gemeinsam stehen, Gedanken teilen und lenken, praktische Hilfe geben und so das wichtigste Gebot erfüllen.

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ 7

Und weil es angesichts vieler Umstände möglich bleibt, wenn auch nicht leicht ist, fordert uns Gott als Gemeinschaft:

„Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß.“ 8

Hier erweist es sich nun doch als hilfreich, sich als Glaubende und erst recht als christliche Therapeut:innen, gegenseitig aufmerksam zu machen und liebevoll zu ermutigen, etwas mehr auf wenig hilfreiches Sorgen und Gleichförmigkeit mit Gedanken der Welt zu achten, um Erneuerung der Sinne zu erleben (Rö. 12,2) in diesen Zeiten manch pessimistischer Weltbetrachtung.

Fazit

Der Glaube ist Gamechanger: Ja, ich kann als Christ:in Hoffnung haben und Hoffnung verschenken – durch unseren Herrn Jesus Christus.

Fußnoten

1 Klaus Grawe, Neuropsychotherapie, Hogrefe, Göttingen 2004

2 Bosch, David. J. (2011): Ganzheitliche Mission: theologische Perspektiven. Francke Verlag.

3 Mt. 5,13 ff

4 „Was hilft’s, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen? Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das?“ Jak. 2,14 – 16

5 Bonhoeffer, Dietrich (1998): Widerstand und Ergebung. DBW Band 8, S. 36.

6 Hebr. 11,1

7 Lk. 10,27; 5. Mo. 6,5

8 Rö. 15,4

Autorin

Marika Rimkus ist Psychologin, Systemische Therapeutin i. A., Systemische Supervisorin i. A., ACT-Therapeutin, Bezugstherapeutin und als Therapeutin in der de’ignis-Fachklinik tätig, sowie am de’ignis-Institut engagiert.

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