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Karussell im Oberstübchen. Positive Gedanken über negative Gedanken

Von PD Dr. med. Herbert Scheiblich

• Grübeln ist ein weitverbreitetes Phänomen, auch bei Gesunden: beim Einschlafen rutschen wir vom Nachdenken ins Grübeln. Schon ist es mit dem Schlaf vorbei. Dies kann viele Stunden Lebenszeit und Lebensqualität kosten. Runde um Runde dreht sich das Gedankenkarussell. Bei den beiden großen Schwestern der Psychiatrie, Depression und Angststörung, tritt pathologisches Grübeln als ein transdiagnostisches Phänomen auf (siehe weiter im Text).

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Nachdenken unterscheidet sich fundamental vom Grübeln: es ist lösungsorientiert, produktiv und steigert die Selbsteffizienz. Grübeln ist einzuordnen zwischen den Polen Rumination (als rezeptives, d. h. empfangendes Denken) und Worrying (sich Sorgen machen).

Die beiden Formen der negativen Gedanken unterscheiden sich eindeutig. Sorgen beschäftigen sich mit der Befürchtung von Gefahren und Maßnahmen, um diese zu umgehen, während Grübeln dazu dient, die Bedeutung von Ereignissen in der Vergangenheit zu ergründen und die Fehler in der Zukunft nicht zu wiederholen.

Das Gedächtnis und seine Tücken

Das Gedächtnis ist einerseits die Grundlage zum Lernen, andererseits stellt es die Verbindung zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft her. Das Gedächtnis hat sieben Tücken: Geistesabwesenheit, Vergänglichkeit, Blockierung, Fehlattribution, Suggestibilität, Anfälligkeit gegen Vorurteile und Persistenz von unerwünschten Inhalten.

Generell erinnern wir uns besser an negative Dinge aus der Vergangenheit, aber auch an einzelne positive Ereignisse. Im Laufe des Lebens kommt es dann zu „Fälschungen“ der Gedächtnisinhalte, welche auf der Fähigkeit des kontrafaktischen Denkens beruhen. Die Fähigkeit, sich alternative Varianten der Vergangenheit auszudenken, ist ein großartiges Instrument. Das hilft, manches nicht zu wiederholen. Gleichzeitig ist es aber ein Folterinstrument, mit dem Menschen sich selbst quälen: dass sie nach dem Ereignis klüger sind als vorher. Es stehen uns Informationen zur Verfügung, die wir in der Vergangenheit nicht hatten. Die retrograde

Logik sagt, dass man das alles nicht nur hätte vorher wissen können, sondern auch vorher hätte wissen sollen. Ein Beispiel: „Aus der Leichtigkeit der Konstruktion alternativer Ausgänge können auch paradoxe Bewertungen entstehen. So haben z. B. Medvec, Madey und Gilovich 1995 durch Befragungen den mittlerweile klassischen Befund erbracht, dass der Gewinner einer Silbermedaille (etwa bei den olympischen Spielen) weniger zufrieden ist als der Gewinner einer Bronzemedaille. Bei Gewinn einer Silbermedaille wird der Vergleich nach oben gerichtet, und zwar dahingehend, dass man beinahe die Goldmedaille gewonnen hätte. Dieser Vergleich lässt die eingetretene Situation (Silbermedaille) weniger wünschenswert als das kontrafaktische Alternativereignis (Goldmedaille) erscheinen. Der Bronzegewinner hingegen richtet seinen Vergleich nach unten aus, er hätte beinahe gar keine Medaille gewonnen. Für ihn ist das eingetretene Ereignis (Bronzemedaille) wünschenswerter als das kontrafaktische Alternativereignis (keine Medaille).“ 1

Die mentale Simulation hilft dem Gedächtnis, kreativ zu sein. Wir können uns Dinge vorstellen, die wir noch nicht erlebt haben. Es ist für uns einfacher, Handlungsabläufe zu planen, als zukünftige Emotionen zu simulieren. Die Auswahl von positiven und negativen Erinnerungen basiert auf den Grundgefühlen. Diese Emotionen sind Grundlagen des metakognitiven Systems und erzeugen Nebenwirkungen:

• Wut/Ärger schädigt soziale Beziehungen.

• Furcht/Angst bedeutet Vermeidung und Einschränkung .

• Scham bedeutet Rückzug und Außenseitertum.

• Trauer/Resignation bedeutet Isolation.

• Eifersucht/Trennung mindert die Lebensqualität und schädigt Beziehungen.

• Liebe kann ausgenutzt werden und damit die Lebensqualität mindern.

• Freude kann oberflächlich machen.

• Neugierde kann dazu führen, einfach darauf los zu handeln, kein Risiko zu beachten.

Neben den aktuellen Grundgefühlen und der damit verbundenen Stimmungslage ist es bedeutsam, dass wir unsere Aufmerksamkeit vor allen Dingen auf Informationen, die für uns persönlich bedeutsam sind, richten.

Die Neurobiologie ist Grundlage des Lernens und Voraussetzung zur Entwicklung von metakognitiven Kompetenzen. Die Metakognition ist ein Sammelbegriff für Phänomene, Aktivitäten und Erfahrungen, die mit der Bewusstheit des Wissens über und der Kontrolle, Steuerung und Regulation von eigenen kognitiven Funktionen zu tun hat. Es ist gewissermaßen die Fähigkeit, sich Gedanken über seine Denkprozesse zu machen. (Abb. 1)

Ablauf eines erfolgreichen Lernprozesses

Nach Informationseingang im sensorischen Gedächtnis werden die Informationen im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis gespeichert, welches im Austausch mit dem Langzeitgedächtnis steht. Erfolgreiches Lernen setzt sich daher zusammen aus: Kognitiven Anteilen: Vorwissen, selektive Aufmerksamkeitssteuerung und Strategien zur metakognitiven Regulation im Arbeitsgedächtnis und Motivational-volitionalen Anteilen: Motivation, Selbstkonzept, Volition und lernbegleitende Emotionen. Metakognition beinhaltet daher alle kognitiven Prozesse, die für die Interpretation,

Metakognitive Therapie –vereinfachtes Grundmodell das Monitoring, der Steuerung von Denken und Lernen des Gedächtnisses verantwortlich sind.

Bei der Schnelligkeit und Flexibilität unseres Gedächtnisses entstehen neben positiven Gedanken auch negative wie: „Ich werde mich blamieren“ oder „Ich bin ein Versager“. Daher ist es nicht ungewöhnlich, wenn gesunde Menschen sich auch Sorgen machen und grübeln.

Bei Störung dieser fluiden Eigenschaften durch einen unflexiblen, perseverierenden kognitiven Prozess im Umgang mit Gedanken, Gefühlen und Überzeugungen entstehen psychische Störungen.

Es entwickelt sich das Cognitive-attentional syndrome (CAS), auch kognitives Aufmerksamkeitssyndrom. (Abb. 2)

Ebene 1

Metasystem:

• Überzeugungen

• Werte

• Motive

Ebene 2

Monitoring

Affektiv-kognitive Verarbeitung:

• Denken

• Fühlen

• Aufmerksamkeit intrusive Gedanken

Ebene 3

Automatische und reflektive Verarbeitung

Steuerung Verzerrung

Das CAS beschreibt die verschiedenen Formen negativer Gedankenprozesse bei z. B. Depression und Angststörung. Dabei handelt es sich um einen transdiagnostischen Prozess, da das CAS störungsübergreifende Merkmale enthält und bei allen psychischen Störungen auftreten kann, insbesondere bei Essstörungen, Zwangsstörungen, Panik, Hypochondrie, Schmerzstörungen, Alkoholabhängigkeit, Psychosen oder bipolaren Störungen.

Cave: Zwangsstörungen sind vom pathologischen Grübeln abzugrenzen. Es handelt sich dabei um Gedanken, Vorstellungsbilder und Handlungsimpulse, die sich den Betroffenen aufdrängen. Betroffene Menschen erleben diese Gedanken als unangemessen, Angst einflößend, von außen kommend und dem eigenen Ich als fremd. (Abb. 3)

Umgang mit Grübeln

Abb. 1

Die Behandlung von Grübeln ist Domäne der kognitiven Verhaltenstherapien. Die Rational-Emotive Therapie (RET) nach Ellis geht von sogenannten „mussturbatorischen Ideologien“ aus, z. B.:

• Ich muss meine Sache gut machen und muss für meine Leistungen Anerkennung bekommen, sonst gelte ich als Versager.

Dysfunktionale Bewältigungsstrategien

Ebene 1

Metasystem

Ebene 2

CAS Bei Depression: grübeln

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