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5/2021
Recht · Corona-Serie
Serie: Ihr Recht in Corona-Zeiten, Teil 5
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit D
a sich aktuell die Inzidenzen ja leider wieder in eine eher unerfreuliche Richtung entwickeln, bei der damit zu rechnen ist, dass wir uns auch weiterhin mit der Corona-Krise irgendwie arrangieren müssen, beleuchten wir diese Beschlüsse einmal näher.
1. Die Verfahren Alle sechs Antragsteller – ein Restaurant, ein Hotel mit Sauna, ein Schwimmbad, ein Bistro, ein Fitnessstudio, ein Kosmetik- und Nagelstudio sowie ein Berufsmusiker und Konzertveranstalter – richteten sich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes (vulgo: „Eilverfahren“) gegen die coronabedingten Schließungen ihrer Betriebe in Baden-Württemberg seit dem 02.11.2020. Besonderheit des Verfahrens: Der vorläufige Rechtsschutz ist Ausfluss des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG).
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Wichtig für diese Verfahrensart ist es zu verstehen, dass hierbei keine endgültigen Entscheidungen getroffen werden können und dürfen (Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Daher kann den im vorläufigen Rechtsschutz ergangenen Entscheidungen auch lediglich Indizwirkung zukommen.
2. Begründungen In der Sache stützte sich das Vorbringen der Antragsteller im Wesentlichen auf die folgenden beiden Argumente: 1. Verfassungswidrige Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG: Aufgrund der angegriffenen Vorschrift sei es unmöglich, den Betrieb weiterzuführen. Hingegen seien vergleichbare Betriebe, zum Beispiel Friseurgeschäfte, Studios für medizinisch notwendige Behandlungen, Arztpraxen, die sich allein der Ästhetik verschrieben hätten, Heilpraktiker, die ausschließlich im Bereich minimalin-
vasiver ästhetischer Behandlungen tätig seien, nicht betroffen. 2. Ungerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG: Im Fall des Kosmetik- und Nagelstudios sei nicht erkennbar, dass insbesondere jene einen wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen gehabt hätten. Die Antragstellerin habe ein gut funktionierendes Hygienekonzept. Da sie Kosmetikprodukte weiterhin – auch online – vertreiben dürfe, werde ihr eine Coronahilfe, wie von der Bundesregierung versprochen, nicht gewährt. Sie habe lediglich die Wahl, entweder gar keinen Umsatz zu machen und dafür eine Coronahilfe von bis zu 75 Prozent zu erhalten oder Umsatz zu machen und dann keine Hilfe vom Staat zu erhalten. 3. Das Ergebnis: Keiner der sechs eingereichten Eilanträge – eingeschlossen dem des Kosmetik- und Nagelstudios (Az.: 1 S 3430/20) – hatte vor dem Verwaltungs-
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Für Unternehmen, die wie Kosmetikstudios körpernahe Dienstleistungen anbieten und während des zweiten Lockdowns ihre Türen ab November 2020 geschlossen halten mussten, stellte sich die Frage, inwieweit diese Betriebsschließungen verhältnismäßig waren. Hier gab es eine ganze Reihe von Verfahren, die allesamt im einstweiligen Rechtsschutz ergangen sind.
Corona-Serie · Recht
gerichtshof Mannheim letztlich Erfolg, da der Senat sie wegen der staatlichen Maßnahmen zur Umsatzkompensation als voraussichtlich verhältnismäßig beurteilte. Im Einzelnen trat der Senat dem Vorbringen der Antragstellerinnen mit folgenden Kernargumenten entgegen: a. Für eine von den Antragstellern vorgebrachte Ungleichbehandlung kann es sachliche Gründe geben, die diese Ungleichbehandlung im Rahmen einer effektiven Pandemiebekämpfung erlauben. Diese sind in erster Linie infektionsschutzrechtliche Gründe, gefolgt von überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls. Zu den überragend wichtigen Gründen könnten etwa die Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln durch den Einzelhandel oder auch der Schulbereich zählen. b. Festgestellt wurde durch das erkennende Gericht jedoch, dass die Landesregierung BaWü mit ihren neuen Maßnahmen zwischen den nicht näher definierten „Kernbereichen der (nicht publikumsintensiven) Wirtschaft“ auf der einen und sonstigen „(Rand-)Bereichen der Wirtschaft“ auf der anderen Seite differenziert habe, was dazu führe, dass der Einzelhandel anders als die Betriebe der Antragsteller keinem „Lockdown“ unterworfen werde. Damit habe die Lan-
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Mehr Wissen | Nicht jede Ungleichbehandlung im Rahmen der verordneten, coronabedingten Betriebsschließungen stellt einen Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verankerte Gleichbehandlungsprinzip in Art. 3 Abs. 1 GG dar.
| Im Rahmen einer effektiven Pandemiebekämpfung können infektionsschutzrechtliche Gründe sowie überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.
| Inwieweit die von der Landesregierung herangezogene Differenzierung vorliegend als Rechtfertigung dienen kann –
desregierung aber das Gebiet von streng infektionsschutzrechtlichen Unterscheidungsgründen verlassen und sich auch nicht mehr auf eine Differenzierung nach überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls beschränkt, die Ungleichbehandlungen ebenfalls erlauben könnten. Dies allerdings in der Sache ohne jegliche Konsequenz, da die Beantwortung dieser offenen Frage ausdrücklich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten wurde (siehe oben: Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache)! c. Die mit den Betriebsschließungen einhergehenden Nachteile seien für die Betriebsinhaber von sehr erheblichem Gewicht. Der Eingriff in das Grundrecht der Betriebsinhaber auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sei jedoch wegen der von der Bundesregierung beschlossenen Entschädigungsleistungen voraussichtlich verhältnismäßig.
was nach Einlassung des Senats als zweifelhaft erscheint – ist jedoch Gegenstand eines (noch durchzuführenden) Hauptverfahrens.
| Auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ist unter Umständen deshalb gerechtfertigt, weil sie wegen der staatlichen Maßnahmen zur Umsatzkompensation (voraussichtlich) verhältnismäßig sind.
| Jedenfalls verfolgt die Landesregierung aufgrund der sie ebenfalls treffenden staatlichen Schutzpflicht gegenüber jedem Einzelnen mit den coronabedingten Betriebsschließungen legitime Ziele.
Schließlich und nach Abwägung der Interessen aller Beteiligter sei Ziel der Regelung der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit jedes Einzelnen wie auch der Bevölkerung insgesamt und damit die Erfüllung der den Staat gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich treffenden Schutzpflicht. Damit verfolge der Verordnungsgeber legitime Ziele. Die Beschlüsse sind alle unanfechtbar mit der Konsequenz, dass hier nun in jedem einzelnen Fall der Ausgang des jeweiligen Hauptverfahrens abgewartet werden muss, soweit es von den Antragstellern überhaupt angestrengt wird.
Stefan Engels, Rechtsanwalt in Mönchberg. Tätigkeitsschwerpunkte sind die Geschäftsfeldentwicklung und Internationalisierung von Unternehmen.
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