DETAIL engineering 2: Arup Building Design

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Arup Building Design

∂ engineering

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Impressum

Herausgeber: Christian Schittich, Christian Brensing Redaktion: Cornelia Hellstern (Projektleitung), Cosima Frohnmaier Redaktionelle Mitarbeit: Michaela Linder, Kathrin Valvoda Übersetzung aus dem Englischen: Christian Brensing Enterprises, London (GB) Lektorat: Ilka Backmeister-Collacott Zeichnungen: Ralph Donhauser Herstellung / DTP: Roswitha Siegler Reproduktion: Repro Ludwig Prepress & Multimedia GmbH, Zell am See (A) Druck und Bindung: Firmengruppe APPL, aprinta druck, Wemding

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de DETAIL − Institut für internationale ArchitekturDokumentation GmbH & Co. KG, München www.detail.de © 2013, erste Auflage ISBN: 978-3-920034-86-7 (Print) ISBN: 978-3-95553-116-4 (E-Book) ISBN: 978-3-95553-130-0 (Bundle)


Inhalt

Arup today

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Vorwort Arup today – Ein Gespräch mit vier ArupIngenieuren

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The power and the glory – Stärke und Eleganz des Tragwerks CCTV-Hauptverwaltung in Peking Metropol Parasol in Sevilla Serpentine Gallery Pavilions in London Rugby- und Fußballstadion AAMI Park in Melbourne

Total architecture – Komplexität und Spezialwissen

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Die California Academy of Sciences in San Francisco Kroon Hall, Yale University in New Haven Ropemaker Place in London Erweiterungsbau für den Bayerischen Landtag (Maximilianeum) in München

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Schulgebäude in Dwabor 82 Der Canton Tower in Guangzhou 90 Der Dänische Pavillon auf der Expo 2010 in Shanghai 96 Marina Bay Sands in Singapur 104

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Sanierung und Erweiterung des Bahnhofs King’s Cross in London 42 London Aquatics Centre (LAC) in London 50 Nationales Chinesisches Schwimmzentrum (Water Cube) in Peking 54 Terminal 5, Heathrow Airport in London 58

Paradise regained – Nachhaltige und umweltgerechte Ingenieurplanung

Shaping the world – Globale Dimensionen, weitreichender Einfluss

Pioneering passion – Von persönlicher Inspiration zur Arup-Kultur 111 Die Kunst der Gebäudedatenmodellierung (BIM) Akustik und das Arup SoundLab – Ein Ohr für Architektur Der optimierte Lichtentwurf Bioreaktorfassaden Nachhaltige Zukunft – Verantwortung des Planers Nachhaltige Zukunft – Nachhaltigkeit wird Alltag Die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron Vorstoß in die Produktkommerzialisierung Faszination Holzbau – Die Entwicklung des LifeCycle Tower (LCT) Geometrische Architektur

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Projekte und Autoren

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Projekte Arup – Gestern und heute Autoren Bildnachweis

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Arup today

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Schnitt, Hongkong Shanghai Bank, Hauptverwaltung, Hongkong (HK) 1985, Architekt: Foster Associates, Maßstab 1:15 000 Innenansicht, Hongkong Shanghai Bank, Hauptverwaltung Arup-Ingenieure im Gespräch mit den Herausgebern

PD: Faszinierend ist, dass alle, die an diesem Tisch sitzen, in dieser Welt des Multidisziplinären aufgewachsen sind. Für mich ist das normal, nichts Besonderes. Aber wenn ich mich so umschaue, erkenne ich schon das Spezielle daran. TC: Verglichen mit vielen unserer Konkurrenten sind die meisten Ingenieure bei Arup vergleichsweise zufrieden mit einer chaotischen Welt, in der Entscheidungen manchmal ad hoc getroffen werden. Aber es gibt auch viele Ingenieure, die es vorziehen den Planungsprozess linear anzugehen. Sie wollen kein Projekt anfangen, ohne dass der Architekt ihnen sagt, wie er bestimmte

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Dinge will, damit sie dann aus der Perspektive eines Ingenieurs reagieren können. Wir sind nicht so. Wir ziehen es vor zu Workshops zu gehen, die vom Ergebnis her völlig offen sind und bei denen keiner weiß, wo die Reise hingeht. RMcG: Aber zurück zur Frage über die Ursprünge der Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt. Beim Projekt des CCTV war das Vertrauen zwischen dem Office of Metropolitan Architecture (OMA) und Arup wichtig, denn nur so vertraute auch der Bauherr seinen ausführenden Planern. Weiter ging es mit dem Bauunternehmer, der dem Entwurf vertraute – es drehte sich alles um Vertrauen. Vertrauen unter

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Ein Gespräch mit vier Arup-Ingenieuren

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Geschäftspartnern ist wichtig und der Bauherr registriert das. Nur so konnte das CCTV überhaupt entstehen. Natürlich war der Entwurf wichtig, aber es war eigentlich der Bauherr, der auf eine gute Beziehung und das Vertrauen zwischen Arup und OMA achtete und erkannte, dass sie gemeinsam ein anspruchsvolles Projekt realisieren. Als wir den Wettbewerb gewonnen hatten, kamen zwei Partner von OMA auf mich zu und fragten mich, wie ich mich fühle. Ich sagte: »50 % totale Begeisterung und 50 % reine Panik.« Das ist die richtige Mischung. Arup musste seine Unterschrift unter einen Entwurf setzen, der erst vier Wochen vor der Abgabe entstanden war.

zess, einschließlich der Montage vor Ort. Das hilft uns in der Kommunikation mit den Zulieferern – also den Fragestellungen, was kann hergestellt werden und was nicht und wie kann unsere Planung die Produktionskette begünstigen? Weil wir vieles im Voraus schon bestimmen können, wird am Ende ein verlässlicheres Produkt entstehen – billiger, schneller und hoffentlich auch schöner. Noch vor einem Jahrzehnt war jedes Gebäude ein Prototyp und wir warteten bis zur Fertigstellung gespannt auf das Resultat. Es handelte sich dabei immer um ein Experiment, wenn auch eher um ein konservativeres. Und dieses Konservative kann jetzt, aus allem was wir planen, entfernt werden.

PD: Natürlich gibt ein gutes Geschäftsklima wie zwischen Arup und OMA schon ein großes Gefühl von Sicherheit. Wenn man Hilfe braucht, gibt es bei Arup für jedes Problem jemanden, der schlau genug ist damit umzugehen.

PD: Sie fragen, wo wir an einem bestimmten Punkt in der Zukunft sein möchten? Das ist dort, wo wir die Möglichkeit sehen, uns am besten in komplexe Dinge einbringen zu können. Einige der komplexesten Projekte heutzutage sind Verkehrsknotenpunkte, wenn es beispielsweise um Transportsysteme und deren Sicherheit geht. Ein zweiter Projekttyp mit entsprechender Komplexität sind die stetig zunehmenden Anforderungen bei der Planung von Einzelhandelsimmobilien. Mit diesen Schwierigkeiten umzugehen – viele davon liegen jenseits der Erfahrungen der Architekten –, ist ein Bereich, in dem ich Arup wachsen und expandieren sehe. Und das sind die Projekte, bei denen ein kleines Ingenieurbüro mit fünf Angestellten nicht erfolgreich sein kann.

TC: Für einige Personen oder auch Firmen bedeutet Wissen gleichzeitig Macht. Die Leute schützen ihr Wissen und verbergen es, sie halten es geheim, denn das verleiht ihnen Macht. Bei Arup ist das genau andersherum. Fragen zu beantworten, Wissen zu zeigen, das ist Macht, und so haben wir die komplette Gegenkultur. Offensichtlich funktioniert das für Arup, denn es ermutigt die Ingenieure das Außerordentliche zu wagen, weil die anderen ihnen zu Hilfe kommen werden. Detail: Wie sieht die Zukunft von Arup aus? TC: Im Bereich der Gebäudetechnologie wird sich viel entwickeln, vor allem die Gebäudedatenmodellierung (BIM) spielt hier eine große Rolle. Für mich bedeutet dies, dass das gesamte Gebäude – schon vor seiner Realisierung – hinsichtlich seiner Geometrie und gemäß seiner Funktion vollkommen perfektioniert und definiert ist. Diese Entwicklung nun auch in die Bauausführung zu verlagern, wird große Veränderungen mit sich bringen. Mit anderen Worten: Das Baugeschehen geht über in den Herstellungspro-

Hongkong and Shanghai Bank Hauptverwaltung, Hong Kong (HK) Als 1985 die 47-geschossige und 100 000 m2 große Hongkong and Shanghai Bank fertiggestellt wurde, setzte sie neue Maßstäbe für prestigeträchtige Hauptverwaltungen. Die innovative Tragwerkslösung von Arup bestand aus zwei Reihen von je vier 180 m hohen VierendeelStahlmasten, die die Lasten an fünf, über die Geschosshöhe verteilten Stellen an zweigeschossigen, diagonalen Zuggliedern nach außen leiten. Dieses Tragsystem nimmt alle Lasten auf und ermöglichte damit einen spektakulären stützenfreien Innenraum im Erdgeschoss. Zudem setzte Arup die Forderungen des Bauherrn nach Flexibilität voll in der Tragkonstruktion um. Jahre später konnte, ohne jegliche Veränderungen am Tragwerk, ein Handelssaal hinzugefügt werden.

RMcG: Unser Unternehmen muss in Zukunft unter dem Druck der Wirtschaftlichkeit, unter dem Aspekt der Wertigkeit und in Anbetracht geringerer Honorare beständig den Wert des Entwurfsprozesses kommunizieren. Das heißt, er muss nicht elitär oder unbedingt teuer sein und kann sowohl auf alltägliche als auch auf besondere Gebäude oder Produkte angewendet werden. Unsere Aufgabe ist es, die Relevanz von Design zu betonen, denn für viele von uns beinhalten das Design und die damit verbundene Arbeit an bedeutenden Projekten den Ansporn, der uns frühmorgens aus dem Bett treibt.

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The power and the glory – Stärke und Eleganz des Tragwerks


CCTV-Hauptverwaltung in Peking CCTV – die hängenden Büros von Peking Ein Plädoyer für Mega-Architektur

Chris Carroll Frank Kaltenbach

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Metropol Parasol in Sevilla Metropol Parasol – eine ingenieurtechnische Erkundung Ingenieurholzbau auf höchstem Niveau Parametrische Landschaft

Jan-Peter Koppitz Anja Thurik Jürgen Mayer H., Andre Santer

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Ed Clark Christian Schittich, Christian Brensing Christian Brensing, Ed Clark

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Peter Bowtell Jonathan Gardiner

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Serpentine Gallery Pavilions in London Serpentine Gallery Pavilions Die Philosophie der Pavillons Gemeinsam konstruieren

Rugby- und Fußballstadion AAMI Park in Melbourne Rugby- und Fußballstadion AAMI Park Das »Bioframe«-Dach

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Die Tragwerksplanung ist die wesentliche Kerndisziplin von Arup – nicht zuletzt, weil Ove Arup selbst ein Studium der Tragwerksplanung absolviert hat. Ohne seine Leidenschaft bei vielen legendären Entwürfen für bahnbrechende Stahlbetonbauten hätten Ove Arup & Partners niemals eine so hohe Anerkennung und so viel Respekt unter Architekten erhalten. Bis heute ist diese Leidenschaft ungebrochen. Tragwerksplanung ist niemals nur die Berechnung von Lasten. Die Tektonik von komplexen Tragwerken geht oft einher mit großer Architektur. Zweifelsohne sollten Architekten und Ingenieure von Anbeginn eines Projekts an das Potenzial des Tragwerks gemeinsam ergründen und kultivieren. Das Ergebnis sollte niemals die uninspirierte Abbildung von Kräften sein. Ingenieurkunst ist angewandtes Wissen, gepaart mit größtmöglicher Inspiration. Die Überschrift dieses Kapitels ist dem Roman »The power and the glory« (1940; dt.: »Die Kraft und die Herrlichkeit«) des britischen Schriftstellers Graham Greene entlehnt. Dieser Schlüsselroman handelt von widerstreitenden himmlischen und menschlichen Einflüssen im Leben eines Priesters. Auch die Kunst der Tragwerksplanung ist gleichsam immer eine Balance von »Kraft und Herrlichkeit« – und wenn diese gelingt, kann man am Ende von einer Architektur mit Würde und Eleganz sprechen.

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The power and the glory – Stärke und Eleganz des Tragwerks

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Ingenieurholzbau auf höchstem Niveau 2.12 1

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UV-Schutz Deckanstrich, PUR2K-Spritzbeschichtung 2–3 mm, Haftvermittler Furnierschichtholz kesseldruckimprägniert 68 mm Stahlflansch S355 J2+N, gezahnt Gewindestange M14 in Bohrung Ø 17 mm im Furnierschichtholz eingeklebt, Verklebung getempert Verbindungslasche Flachstahl, gezahnt 12 mm, Unterlegplatte Flachstahl S235 JR 45/8/225 mm Klemmschraube M 20/160 mm Gewindebolzen M 30/190 mm Stahlkasten in Durchdringungsöffnung Verschraubung Stahlkasten ABC-Spax-S 5/70 mm

»Jürgen Mayer H. kam auf uns zu und fragte, ob für das Projekt in Sevilla eine Lösung mithilfe einer Holzkonstruktion zu finden sei«, erinnert sich Fritz Kunz, technischer Leiter des MetsäWood-Standortes Aichach an den ersten Berührungspunkt mit dem Metropol Parasol. Arup hatte eine erste Holzkonzeption entwickelt und auf Basis dieser Statik und der damaligen Materialdimensionen kam MetsäWood mit seinem Angebot zum Auftrag für diesen Holzbau. Arup entwickelte und verfeinerte mehrere Einzelmodellierungen und verknüpfte diese schließlich, während MetsäWood den Berechnungsprozess mit der Festlegung der Stoßstellen, Bauteilgrößen und Faserabweichungen in den Furnierschichtholzelementen bediente. »Wir mussten in diesen iterativen Lösungsweg für die Bauteile und Verbindungsmittel nicht nur unsere Statik-Expertise einfließen lassen, sondern besonders unsere fundierte Erfahrung in der Herstellung und Montage komplexer Ingenieurholzbauten«, so Kunz. Als leistungsfähigen, aber leichten Anschlussknoten schlug Arup eine Holz-Holz-Verbindung mit eingeklebten Gewindestangen vor: Die Temperung des Epoxidharzes in der Klebefuge der eingeklebten Gewindestangen war dabei ein Novum im konstruktiven Holzbau. Durch Wärmezufuhr vernetzen sich die Klebermoleküle weiter, die Glasübergangstemperatur wird erhöht und der Kleber erreicht eine höhere Temperaturbeständigkeit. Die großformatigen Kerto-Elemente

wurden dazu in einer Trockenkammer kontrolliert erwärmt, bis die Temperatur in der Klebefuge der Zugstangen 55 °C betrug. Die Glasübergangstemperatur wurde in diesem Procedere auf über 80 °C gesteigert und der Wert in anschließenden Test (Versagensprüfung) nachgewiesen. Insgesamt besteht die Parasol-Konstruktion aus 3400 Einzelteilen, die bis zu 311 mm dick, 3,5 m breit und 16,5 m lang sind – dies sind Abmessungen und Mengen, die verglichen mit anderen Projekten außergewöhnlich waren. Das nächste komplexe Thema war die Koppelung der Stahlteile. Hier brachten zahlreiche Praxistests und Versuche die Lösung: Die maximale Kraftübertragung erfolgt über ein Zahnprofil an den Stahllaschen, die über vorgespannte HV-Schrauben mit extrem geringen Dehnungen im Gebrauchszustand verbunden sind. »Wir waren technisch natürlich imstande, übergroße Kerto-Elemente zu verkleben, mussten aber gewährleisten, dass wir diese millimetergenau produzieren, bearbeiten und ohne Nacharbeiten montieren können«, erklärt Fritz Kunz. »Der Toleranzausgleich war durch die Verzahnung der Laschen und die vorgespannte Schraubverbindung minimal. All das funktionierte nur, weil jeder Beteiligte seine Verantwortung an dieser Arbeit ernst genommen hat.« Die enge Zusammenarbeit von Ingenieurholzbauern, Tragwerksplanern und Generalunternehmen war zu jedem Projektzeitpunkt unabdingbar. Anja Thurik

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Metropol Parasol in Sevilla

Parametrische Landschaft 2.16

Wir arbeiteten in unserem Berliner Büro an dem Wettbewerb und fragten zunächst Arup Berlin, später Arup Madrid, ob sie uns unterstützen könnten. Speziell für das Projekt entwickelt, reflektiert die Sprache des Entwurfs die archäologischen Ausgrabungen vor Ort und verwandelt sie in eine Art von Pixel-Design als Ausdruck zeitgenössischer Kommunikation. Der Pixel kann bei der Bildung neuer Parasol-Strukturen expandieren, schrumpfen, sich verbinden, konkav oder konvex sein. Das Potenzial des Codes wurde durch »Scripting« generiert und auf alle Bereiche und Maßstäbe des Entwurfs übertragen, einschließlich des Granitbelags der Plaza, der Wasserbecken, der Straßenmöbel und Grünflächen. Aus formaler Sicht kann das Projekt als eine elastische Deformation der Stadtoberfläche betrachtet werden – oder eben als eine parametrische Landschaft. Die gesamte Konstruktion ist nicht typologisch festgelegt, wodurch sich für den Betrachter eine Reihe von Interpretationsmöglichkeiten ergeben wie z. B. Sonnenschirme, Pilze, Landschaft, Wolken, aber auch Anspielungen auf charakteristische Elemente aus Sevilla wie z. B. die Gewölbe der Kathedrale oder die geometrisch-arabesken Ornamente in mittelalterlichen Bauten. In vielfältiger Weise definiert Metropol Parasol Sevillas künstlerische und architektonische Identität absolut neu. Schon während der Wettbewerbsphase hatte die Einbeziehung von Tragwerk und Design die

höchste Priorität. Wir wollten eine freie Form, die sich aus dem Traggerüst des Gebäudes ergibt. Mithilfe der Ingenieure von Arup unternahmen wir auf der Suche nach einer passenden tragwerksplanerischen Lösung Tests, die die Beurteilung unterschiedlicher Materialien wie z. B. Stahl, Stahlbeton, synthetische Materialien (Carbonfaser) und komplexe Geometrien einbezogen. Aber all diese Experimente führten zu Ergebnissen, die entweder aus Kostengründen oder unter ingenieurtechnischen Gesichtspunkten nicht realisierbar waren. Am Ende waren es politische und wirtschaftliche Beweggründe, die für ein mit Polyurethan beschichtetes laminiertes Furnierschichtholz sprachen. Alle Berechnungen deuteten auf eine Hybridstruktur aus Stahl und Holz hin. Die Lasten sind gleichmäßig verteilt, indem man Stahlgewindestangen in den hölzernen Knoten verklebte und so die aufkommenden Kräfte verringerte. Der Projektablauf gestaltete sich phasenweise als schwierig. Wir kämpften z. B. mit den Unterschieden zwischen der deutschen und spanischen Mentalität, arbeiteten in einer Public Private Partnership (PPP) und mussten die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise abfedern. Die besondere Herausforderung für Arup bestand in der Entwicklung einer komplexen dreidimensionalen Holzkonstruktion, die 150 m lang, bis zu 70 m breit und 28 m hoch war und keinerlei Vorbilder irgendwo auf der Welt hatte. Jürgen Mayer H. / Andre Santer 2.17

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Biegesteife Verbindung: Schnitte, Maßstab 1:10 Stahlteile des »Bausatzes« für Verbindungsdetails Fünf-Achsen-CNC-gesteuerter Roboter, der die individuell geformten Holzelemente exakt zuschneidet Individuell geformte Holzelemente Nord-Süd-Schnitt Maßstab 1:1000 Grundriss der höchsten Ebene (Level + 28 m) Maßstab 1:2000 Blick vom Panoramaweg auf die Kathedrale

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Total Architecture – Komplexität und Fachwissen

Terminal 5, Heathrow Airport Architekten Rogers Stirk Harbour + Partners Standort London (GB) Fertigstellung 2008 Autor Dervilla Mitchell, Tragwerksplanerin, Arup, Director

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Bei der Eröffnung des Flughafens Heathrow 1946 waren die Einrichtungen für die Abfertigung der Passagiere noch in Zelten untergebracht. Seitdem haben sich der Luftverkehr und die Bedürfnisse der Passagiere erheblich verändert und Heathrow ist gewachsen, um die stetig steigenden Anforderungen erfüllen zu können. Das Terminal 5 hatte eine Entstehungszeit von 20 Jahren, von seinen Anfängen 1988 bis zu seiner Eröffnung im März 2008. Die Frühphase des Entwurfs und die Plangenehmigungsverfahren waren ein langwieriger Prozess. Anfang des Jahres 2000 war das Projektteam komplett und begann mit dem Entwurf und der Planung eines der größten zivilen Hoch- und Tiefbauvorhaben in Europa. BAA Airports Ltd. (ehem. BAA; jetzt: Heathrow Airport Holdings Ltd.) formte das Projektteam unter einem Partnervertrag und übertrug Arup die Verantwortung für den Hochbau der Gebäude über Ebene Null. Das Team arbei-

tete in einer Partnerschaft mit den anderen »Hauptlieferanten«, in der der Architekt, der Bauunternehmer, der Ingenieur und der Bauherr gemeinsam für das erfolgreiche Design und die Übergabe des Projekts verantwortlich waren. Das gesamte Team bezog Büros in Heathrow, in Sichtweite des zukünftigen Terminals. Das 5 Milliarden Euro teure Projekt umfasste die Errichtung eines neuen Hauptterminals (T5A) und eines Satellitenterminals (T5B) mit den dazugehörigen Flugzeugstandflächen, einschließlich eines neuen Kontrollturms, eines Verkehrsknotenpunkts, eines Parkplatzes für 4000 Pkw und eines Energiezentrums. Unter dem Flugfeld entstand ein insgesamt 13 km langes Tunnelsystem. Es beinhaltet sowohl die Trassen der U- und S-Bahn (Piccadilly Line und Heathrow Express), die bis zum Terminal 5 verlängert wurden, sowie einen Straßentunnel zwischen dem zentralen Terminalbereich und

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Mittelsparren Sparren »Flügelspitzen-Knoten« Fassadenelemente Bein (Stahlstützenpaar) Flügel (Diagonalstrebe) Torso-Knoten Arm (Untergurt) »Hand-Knoten« Zugband 8.2

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Terminal 5, Heathrow Airport in London

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»Zähne« 150 mm, liefern ausreichend Auflagerfläche, um Druck abzutragen »Mega-Bleche« 250 mm, nehmen Last auf und tragen diese in vertikaler Richtung ab Bleche brenngeschnitten, ausgenommen in den Auflagerflächen Bolzen 400 mm, für die Winkelverstellung in vertikaler Ebene Stirnfläche gekrümmt, ermöglicht die Winkelverstellung aus der Ebene »Klaue« Gussstahl, trägt Last von der Rohrwand zum »Mega-Blech« ab Rundstahl Ø 914 mm Lastabtragung bis zu 18 000 kN Bolzen nehmen Biegemomente aus Druckbeanspruchung auf und tragen zur Zugtragfähigkeit und Robustheit der Rahmenkonstruktion bei.

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dem neuen Terminal und eine unterirdische Transitverbindung zwischen T5A und T5B. Auch entstand eine neue Zufahrt zur M25, der Londoner Ringautobahn. Das Dach des Hauptterminals Das Dach hat eine Spannweite von 156 m und eine Länge von 396 m. Es wird von 22 paarweise angeordneten Stahlstützen mit einem Durchmesser von 914 mm getragen, die innerhalb der Fassade – zur Steigerung der räumlichen »Dramaturgie« in voller Höhe – bis auf die Vorfeldebene herabreichen. Das Tragwerk wird aus 800 mm breiten und bis zu 3,8 m tiefen Stahlkastenträgern mit einem Abstand von 18 m gebildet. Stahlarme mit einem Durchmesser von 914 mm reichen von den Spitzen der Beine nach oben. Um die hybride 3D-Portalrahmenkonstruktion zu vervollständigen, werden von den Sparrenenden Zugstützen zu den Stützenfußpunkten geführt. Der Terminal-Oberbau ist komplett vom Dach und den Fassaden getrennt. Diese bauliche Anordnung brachte mehrere Vorteile: Dank der einfachen Linien von Gebäude und Dach können sich Passagiere und Besucher intuitiv im Gebäude zurechtfinden. Der vielleicht wichtigste Vorteil war jedoch, dass Entwurf und Errichtung von Dach und Fassaden völlig unabhängig von Entscheidungen hinsichtlich der Funktion und der Anordnung der Innenräume voranschreiten konnten. Das war insofern

8.4

günstig, als sowohl in der Entwurfs- wie auch in der Bauphase viele Veränderungen vorgenommen wurden. Aufgrund der gewählten Vorgehensweise konnte das Projekt mit nur geringer Beeinträchtigung des Bauablaufs voranschreiten. Die Fassaden Auf Flughäfen haben Passagiere und Besucher immer große Freude an der freien Sicht auf die Rollbahnen mit den startenden und landenden Flugzeugen. Aus diesem Grund – und weil wir uns zum Ziel gesetzt hatten den Anteil des natürlichen Lichts zu maximieren – sind die Fassaden voll verglast. Zwecks Minimierung des Tragwerks, bei gleichzeitiger Maximierung der freien Sicht, entschieden wir uns dafür, die Zugstützen für die Befestigung der Fassade zu nutzen sowie elliptische Hohlprofile horizontal zwischen den Zugstützen im Abstand von 18 m zu spannen. Damit lassen sich vertikale Bauelemente vermeiden, die die seitlichen Ausblicke der Passagiere auf das Flugfeld beeinträchtigt hätten. Die Fassaden der Gebäudegiebelseiten bestehen jeweils aus einem einfachen Stahlstützenraster, das die Eigengewichtslasten zur Vorfeldebene abträgt und Windlasten widersteht, indem es vertikal bis zur Unterseite des Daches reicht. An der Spitze der Giebelwand gibt es eine Fuge, die vertikale Bewegungen und solche in der Fassadenebene zwischen der

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8.1 Innenansicht des fertigen Gebäudes auf der Abflugebene 8.2 Schematischer Schnitt durch Dach und Stützkonstruktion 8.3 Schematischer Schnitt des Torso-Knotens im Detail 8.4 Torso-Knoten im Bau 8.5 Torso-Knoten mit Klauen und »Mega-Blechen« 8.6 Fertiger Torso-Knoten im Detail

8.6

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Total Architecture – Komplexität und Fachwissen

8.8

Fassade und dem Dach ermöglicht, aber gleichzeitig Windlasten quer zur Fassade abträgt. Es sind komplexe Detaillösungen wie diese, die im fertigen Gebäude zwar nicht sichtbar sind, die jedoch für das Endergebnis von entscheidender Bedeutung waren.

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Der Torso-Knoten Der Torso-Knoten ist eine der exponiertesten Verbindungen der Dachkonstruktion (Abb. 8.5). Die Herausforderung für die Planer bestand darin, einen Weg zu finden, wie man die runden Hohlprofile mit einem Durchmesser von 914 mm so miteinander verbinden konnte, dass sie Druckbelastungen von bis zu 18 000 kN tragen können, aber dennoch schnell und einfach in der geforderten Geometrie zu montieren waren. Es wurden vollverschweißte Elemente und sehr große Stahlgussstücke geprüft und die Auswirkungen der verschiedenen Lösungen auf den Entwurf analysiert, auch im Hinblick auf deren Beschaffung, Baubarkeit, Kosten und visuelle Wirkung. In dieser Phase schien es aufgrund der Größe der benötigten Bleche ziemlich unwahrscheinlich, dass die Wahl auf diese Lösung fallen würde, aber je mehr sich das Team damit beschäftigte, desto attraktiver wurde diese Lösung. Schließlich war es möglich, die 225-mm-Bleche zu beschaffen, eine gleichbleibende Qualität zu erreichen, das Schweißen auf der Baustelle zu vermeiden und große Druckbelastungen effizient durch die Verbindung abzutragen. Arup konstruierte ein digitales 3D-Modell der gesamten Dachkonstruktion einschließlich dieser Verbindung. Das Modell diente als Werkzeug für die Weiterentwicklung des Entwurfs und auch als Grundlage für die Besprechung von Details. Man entwarf auch ein Modell im Maßstab 1:20, um sich die Größe der vorliegenden Aufgabe bewusst zu machen und damit sich die Teams Gedanken für die Fertigung und Detaillierung machen konnten. Der Knoten wurde in einem Montagegestell auf die Baustelle transportiert und nach dem Einheben einfach mit den Klauen am Ende der großen Profilrohre verbunden.

Die Planung der Anlieferungen Terminal 5 entstand als Teil eines der verkehrsreichsten Flughäfen der Welt, direkt an einer der meistbefahrenen Straßen Europas. Es gab nur eine einzige Zufahrt und nur sehr wenig Platz für die Lagerung von Baumaterial. Die vom Flughafen vorgegebene relativ niedrige Radarobergrenze bedeutete, dass die Bautätigkeit in großer Höhe nur eingeschränkt möglich war. Außerdem hatte BAA das am Dach arbeitende Team aufgefordert, Schweißarbeiten zu vermeiden, da diese Zeit-, Qualitäts- und Sicherheitsprobleme mit sich bringen konnten. BAA war sehr daran gelegen, hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz neue Maßstäbe zu setzen und den Fortschritt in der Baubranche zu fördern. Das Tragwerk wurde nicht nur in Bezug auf die Endkonfiguration, sondern auch im Hinblick auf alle Zwischenschritte im Bauablauf analysiert. So führte man eine statische Analyse der möglichen Wirkungen aller individuellen Maßabweichungen der Elemente durch und konstruierte eine Reihe von Verbindungen, die alle nur erdenklichen Justierungen berücksichtigten. Das Dach wurde in fünf Abschnitten von je 54 m und einem von 18 m montiert. Der Zusammenbau, die Verkleidung und das Vorspannen des gewölbten Mittelteils erfolgte ebenerdig, wodurch Arbeiten in großer Höhe auf ein Minimum beschränkt werden konnten. So gelang es, das Dach unterhalb der Radarobergrenze zu errichten. Mithilfe von zwei Behelfsgerüsten wurden die Stahlstützen in Position gebracht. Nachdem das Mittelteil 30 m senkrecht angehoben und in Position gebracht worden war, wurde es mit den Stahlstützen verschraubt. Nach erfolgreicher Lastübertragung wurden die Behelfsgerüste 54 m nach Norden verschoben und waren bereit für die Montage des nächsten Abschnitts. Das Team war sich einig, dass der komplexeste Aspekt der Dachkonstruktion die Errichtung der Stützen sein würde, weshalb beschlossen wurde, eine komplette Stütze außerhalb des T5-Geländes probeweise zu montieren. Dieser Test fand fast neun Monate vor dem Beginn der


Terminal 5, Heathrow Airport in London

8.9

Baumaßnahmen statt und umfasste die Montage einer Stütze im Werk der Firma Rowen in North Yorkshire. Diese Vorgehensweise erwies sich als wertvoll, denn die Montagemannschaft konnte sich so sowohl mit der Installationsmethode vertraut machen als auch Probleme identifizieren, bevor diese auf der Baustelle eintraten. Im Dezember 2003 wurde mit der Errichtung des Daches begonnen und im November 2005 war das Gebäude wasserdicht – drei Monate vor dem errechneten Zeitpunkt und unter Einhaltung des Kostenbudgets. Erfolgsfaktoren Der Erfolg des T5-Projekts war natürlich von vielen Faktoren abhängig, aber zwei Aspekte waren seinerzeit einzigartig und haben die Baubranche nachhaltig geprägt: Der Partnervertrag, sogenannter Terminal-5-Vertrag und der Einsatz sowohl digitaler als auch konventioneller 3D-Modelle Der Terminal-5-Vertrag Entscheidend für den Erfolg eines Projekts ist die Art und Weise wie es strukturiert ist, und T5 bildete hier keine Ausnahme. BAA setzte einen Verhaltenscodex auf, der alle Hauptbeteiligten in integrierten Teams zusammenbrachte. Alle wurden für ordnungsgemäß entstandene Kosten bezahlt und die Gewinnspanne wurde im Voraus vereinbart. Es gab eine projektbezogenen Versicherungsvertrag und BAA ernannte ein Team für das Risikomanagement, das mit allen Beteiligten zusammenarbeitete. Jedes Team legte fest, wie hoch sein Risikoniveau einzuschätzen war und welchen Leistungsanreiz es zu tragen bereit war. Falls die Teams sich nicht einigen konnten, wurden diese standardmäßig proportional berechnet. Diese Regelungen ermöglichten es den Teams, sich auf die Ausführung des Projekts zu konzentrieren, ohne ständig die wirtschaftlichen Belange ihrer Firmen berücksichtigen zu müssen. Die Arbeit in dem gemeinsamen Büro förderte das Gemeinschaftsgefühl und ließ jeden an der Arbeit und den Anstrengungen der Anderen teilhaben. Daraus resultierte eine höhere Wertschätzung der unterschiedlichen

8.10

Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien. Viele der damals entstandenen Freundschaften bestehen noch heute, weit über den Rahmen des Projekts hinaus.

8.7 8.8 8.9

Visualisierung der Montage Dach im Bau Montage der Dachkomponenten 8.10 Modell der Stützkonstruktion für das Dach, Maßstab 1:20

Die Verwendung von 3D-Modellen BAA hatte eine Vision, dass alle bautechnischen Informationen in 3D, in einer einheitlichen Modellumgebung (Single Model Environment – SME) erstellt und koordiniert werden sollten. Es gab viele gute Gründe für deren Implementierung, u. a. die Effizienz der Designteams bei der Erstellung von Informationen und beim Austausch mit der Lieferkette, sowohl hinsichtlich der Preisgestaltung als auch der Fertigung. Insbesondere bei der Koordinierung der vielen Gewerke, aber ebenso bei Dienstleistungen und der Gepäckabfertigung machte diese Vorgehensweise Sinn, da sich so potenzielle Problemen bereits in der Entwurfsphase, anstatt erst in der Bauphase erkennen und beheben ließen. Anfang des Jahres 2000 gab es noch kein solches System, aber BAA und alle Projektbeteiligten arbeiteten gemeinsam an dessen Entwicklung, um die Programmanforderungen erfüllen zu können. Ein Aspekt, der mit der Entscheidung für 3D einherging, war die Einrichtung einer Modellwerkstatt, die permanent teilweise sehr aufwendige konventionelle Modelle fertigte, um Ideen und Schnittstellen im Verlauf des sich entwickelnden Entwurfs zu testen. Ein Modell des Daches und der Fassade von TA5 im Maßstab 1:20 wurde mitten in unserem Büro aufgebaut (Abb. 8.10). Wir nutzten es als Werkzeug für die Entwurfsentwicklung, und es diente insbesondere dazu, Schnittstellen und bautechnische Probleme zu testen. Aber es erwies sich auch für viele andere Zwecke als nützlich, beispielsweise um neuen Teammitgliedern oder außerhalb des Entwurfsteams stehenden Personen rasch ein Verständnis für dieses Schlüsselelement des Hauptterminalgebäudes zu vermitteln. Es war der Ort, an dem man immer dann zusammenkam, wenn Details des Dachentwurfs oder der Ausführung besprochen wurden. Dervilla Mitchell

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Paradise regained – Nachhaltige und umweltgerechte Ingenieurplanung


Die California Academy of Sciences in San Francisco Die California Academy of Sciences Ein großes Abenteuer

Alisdair McGregor Renzo Piano

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Kroon Hall, Yale University in New Haven Kroon Hall, Yale University Planungsprozess im Team

Dave Richards Mike Taylor

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Mike Beaven Mick Brundle

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Rudi Scheuermann Siegfried Wernik

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Ropemaker Place in London Ropemaker Place – ein nachhaltiges Bürogebäude

Erweiterungsbau für den Bayerischen Landtag (Maximilianeum) in München Der Erweiterungsbau für den Bayerischen Landtag Interdisziplinäres Teamwork

Umweltgerechte Planung spielt eine immer wichtigere Rolle beim Entwurf, Bau und Betrieb von Gebäuden. Fragen der Energieeffizienz und der Nachhaltigkeit sind zu entscheidenden ökonomischen Faktoren geworden. Der Marktwert eines Gebäudes steigt, wenn es erst einmal nach einem der weltweit gängigen ökologischen Bewertungssysteme wie LEED, BREEAM oder DGNB zertifiziert worden ist. Doch wie gewinnt man einen verlässlichen Überblick auf das ökonomisch-ökologische Potenzial eines Bauwerks? Wie definiert man eine nachhaltige und umweltgerechte Entwurfsstrategie, die zum Leitmotiv der Projektplanung werden kann? Wie kann man gleich zu Anfang einer umfassenden Entwurfsstrategie diese wesentliche Zielsetzung implementieren? Arup hat dafür eine vielseitige Bewertungsmethode namens SPeAR entwickelt. Nach dieser werden die Projekte nach unterschiedlichen Schlüsselkriterien eingestuft, die so verschiedenartig und umfangreich sein können wie z. B. Verkehrswesen, biologische Vielfalt, Kultur, Arbeitsverhältnisse und die Fähigkeiten eines individuellen Mitarbeiters. Arup kann über das spezifische bautechnische Wissen hinaus auf umfangreiche empirische Daten zurückgreifen. Deshalb dokumentieren wir auf den folgenden Seiten Projekte, die einen besonderen Bezug zur Nachhaltigkeit aufweisen. Auf diesem weiten Feld ist ihr Ziel stets das CO2-neutrale Gebäude.

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Paradise regained – Nachhaltige und umweltgerechte Ingenieurplanung

Die California Academy of Sciences 9.1 Architekt Renzo Piano Building Workshop Stantec Standort San Francisco, Kalifornien (USA) Fertigstellung 2008 Autoren Alisdair McGregor, TGA-Ingenieur, Arup Fellow Renzo Piano, Architekt, Renzo Piano Building Workshop

Die 1853 gegründete California Academy of Sciences beherbergt eines der zehn größten Naturkundemuseen der Welt. Das architektonisch auffällige Gebäude im Golden Gate Park hat ein begrüntes, wellenförmiges Dach, dessen umlaufendes Vordach aus Glas zu einem Drittel mit Photovoltaikmodulen bestückt ist. Weitere architektonisch-gestalterische Merkmale zeichnen das Bauwerk aus: ein großes, von einer Seilnetzkonstruktion getragenes Oberlicht, fünf spektakuläre Aquarien sowie zwei Glaskuppeln von jeweils 27,43 m Durchmesser, die ein Planetarium und einen künstlichen Regenwald aufnehmen. Die Akademie erhielt für den Bau das US-amerikanische Nachhaltigkeitszertifikat LEED in Platin verliehen. Integration war ein wichtiges Thema der Entwurfsidee. Viele Komponenten und Systeme besitzen gleich mehrere Funktionen. Hierfür war eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bauherrn, den Architekten, Arup und den Bauunternehmen erforderlich. Über die Effizienz des Einzelnen hinaus, suchte das Team nach Synergieeffekten. Arup stellte ein Ingenieur- und Beratungsteam zusammen, welches für die Tragwerksplanung und die komplette Technische Gebäudeausrüstung verantwortlich zeichnete und auch Brandschutz- und Akustikplanung, LEED-Zertifizierungs- und Nachhaltigkeitsberatung sowie Lichtdesign übernahm und eine Ökobilanz erstellte. Nachhaltigkeit in seiner besten Form Durch die intensive Zusammenarbeit aller Beteiligten konnte eine Reihe innovativer Strategien umgesetzt werden. Das Erscheinungsbild des umliegenden Golden Gate Parks wurde erhalten, ein verantwortungsvoller Umgang mit Wasser und Energie gepflegt, die Umweltbelastungen gesenkt und der Einsatz von natürlicher Belüftung und Belichtung maximiert. Die Ziele des nachhaltigen Entwurfs stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag der Akademie. Somit war es selbstverständlich, dass die Akademie den Versuch überaus begrüßte, Nachhaltigkeit in Form und Funktion architektonisch wie ingenieurtechnisch umzu-

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setzen. Die LEED-Platin-Zertifizierung war kein reiner Selbstzweck, sondern ein offensives Mittel, das Engagement der Akademie für Nachhaltigkeit zu demonstrieren. Das »lebende Dach« Das enorm große hügelige Dach der Akademie wurde auf einer Fläche von über einem Hektar mit in Kalifornien heimischen Pflanzen begrünt (Abb. 9.3). Aufgrund seiner Wellenform sind die 1,7 Mio. Pflanzen verschiedensten Belastungen und biologischen Wechselwirkungen ausgesetzt. Um einzuschätzen, welche Pflanzenarten im nordkalifornischen Klima gedeihen würden, nutzte man das Dach des Vorgängerbaus an diesem Standort und testete dort die Lebensfähigkeit verschiedener Pflanzenarten und mehrerer Bodengemische sowie von Stabilisierungsund Entwässerungssystemen. Das formal den sieben Hügeln San Franciscos nachempfundene Dach besitzt die Funktion eines »Abluft-Schornsteins«. Wenn die verbrauchte warme Luft im Inneren des Gebäudes nach oben steigt, strömt Frischluft in die Ausstellungsräume nach. Dieses Verfahren spart Energie (z. B. bleibt die Innentemperatur 10 °C unter der Außentemperatur des Dachs) und Wasser. Man befasste sich eingehend mit dem Regenwassermanagement: 13,25 Millionen Liter Regenwasser verschwinden nun nicht in der Kanalisation, sondern werden auf dem Dach der Akademie aufgefangen. Die Stadt verfügt über eine kombinierte Regen- und Abwasserkanalisation, die bei großen Niederschlagsmengen überlastet ist, weshalb sich dann nur teilweise aufbereitetes Abwasser ins Meer ergießt. Durch das Auffangen von Regenwasser auf dem Akademiedach wurde diesem Problem zumindest etwas entgegengewirkt. Erneuerbare Energie Der Dachüberstand ist mit 60 000 Photovoltaikzellen bestückt, die jährlich 213 000 kWh Strom liefern. Die 181 800 kg Treibhausgasemissionen, die deshalb pro Jahr weniger in die Atmosphäre abgegeben werden, entsprechen einer Anpflanzung von etwa 340 Bäumen. Die Photovoltaikan-


Die California Academy of Sciences in San Francisco

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Oberlicht Isolierverglasung in Aluminiumrahmen Vegetationsschicht 250 mm Wurzelschutzschicht Dränageschicht auf Filtermatte 50 mm Dämmung 50 mm Abdichtung Bitumen dreilagig Dachtragfläche Spritzbeton 140 mm Akustikplatte 20 mm Trägerstab für Dachöffnung Stahlprofil gebogen Å 190 mm Ausstellungsbeleuchtung Festverglasung Oberlicht Isolierverglasung in Aluminiumrahmen

9.2

lage erzeugt bis zu 5 % des Gesamtenergiebedarfs des Gebäudes. Das Vordach dient unter anderem als Sonnenschutz für die Hauptausstellungsfläche und die Forschungslabore, die hinter den Glasfassaden liegen. Durch die Beschattung wird die Sonnenwärmeeinstrahlung dort so stark gesenkt, dass in beiden Bereichen mit viel natürlicher Belüftung gearbeitet werden kann. Gleichzeitig lockt die Transparenz der Fassade Besucher ins Gebäude und stellt eine direkte Verbindung zwischen den Innenräumen und dem Golden Gate Park her – auch dies ein Beispiel für das dem Gebäude innewohnende synergetische Konzept. Auf der öffentlich zugänglichen Dachterrasse gibt eine Anzeigetafel Auskunft darüber, wie viel Energie die Photovoltaikanlage erzeugt. Auf speziell konzipierten Besichtigungstouren erfahren die Museumsbesucher, wie das Gebäude funktioniert, welche Materialien verwendet wurden und inwiefern hier Umweltschutz praktiziert wird.

Abwärme durch künstliche Beleuchtung erzeugt. Die Steuerung der künstlichen Beleuchtung ist über Sensoren an das Tageslicht gekoppelt, sodass möglichst wenig elektrisches Licht zum Einsatz kommt. Im Rahmen ihrer Niedrigenergiestrategie möchte die Akademie zur Belüftung und Kühlung der Innenräume so wenig mechanische Systeme wie notwendig einsetzen; auch die Ausstellungsfläche wird natürlich belüftet. 75 % der regelmäßig genutzten Forschungsund Büroräume verfügen über zu öffnende Fenster, Tageslicht und Ausblicke in die Umgebung. Bei den öffentlich zugänglichen Bereichen sind es sogar 90 %, die Tageslicht und einen Blick ins Freie haben. An windstillen Tagen begünstigt die »hügelige« Dachform die benötigten Höhenunterschiede für eine natürliche Lüftung (Temperaturschichtung, warme Luft steigt nach oben). An windigeren Tagen erzeugt der über die Hügel auf dem Dach streifende Luftstrom den notwendigen negativen Druck.

Ökologische Qualität der Innenräume Durch die Nutzung von Tageslicht und natürlicher Belüftung sowie hoch effizienter Beleuchtungskörper verbraucht die Akademie 30 % weniger Strom als von staatlicher Seite gefordert. Durch die transparenten Glasfassaden und Dachbereiche fällt Tageslicht in die Büros sowie die Forschungs- und Ausstellungsflächen, was den Stromverbrauch senkt und weniger

Technische Gebäudeausrüstung Die Lüftung und Klimatisierung der 38 000 m2 großen Hauptausstellungsfläche war eine Herausforderung für Arup. Vonseiten der Akademie bestand ein Wunsch nach monolithischen, zusammenhängenden Flächen, die die Konstruktion des begrünten Daches akzentuierten. Daher kamen herkömmliche Klimaanlagen mit sichtbaren Schächten und hohem Energiever-

Tragwerksplanung Das Erdgeschoss der Akademie wird bestimmt durch vier an Eckpfeiler erinnernde rechteckige Strukturen – eine Reminiszenz an den Vorgängerbau. In diesen Baukörpern sind Bereiche für Forschung, Sammlungen, Verwaltung sowie Läden, Gastronomie und Konferenzräume untergebracht. Das Tragwerk besteht aus Stahlbeton-Wandscheiben und Stützen mit flachen Betondeckenplatten im Raster 7,32 ≈ 7,32 m. Glaswände und 1 ha großes begrüntes Dach, dessen wellenförmige Struktur den sieben Hügeln von San Francisco nachempfunden ist, umschließen den Raum zwischen den Baukörpern an den vier Ecken. Über dem Hauptgeschoss erheben sich zwei große kugelförmige Volumina mit 27,43 m Durchmesser für die riesigen Planetarium- und Regenwald-Exponate sowie eine 557,42 m2 große Piazza mit Glasdach und eine rund 3530 m2 große Ausstellungsfläche, die flexible Nutzungsmöglichkeiten bietet. Das »lebende Dach« folge – so der leitende Architekt Renzo Piano – der Entwurfsidee, einen Teil des Parks einfach anzuheben und ein Gebäude darunterzuschieben.

9.1 9.2 9.3

Luftaufnahme des Akademiegebäudes Schnitt Oberlichter Maßstab 1:20 Begrünte Dachlandschaft

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Shaping the world – Globale Dimensionen, weitreichender Einfluss

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In Stufen angeordnete Sitzplätze Spielplatz Eingang /Unterrichtsbereich im Freien /Essen Vorschule 1 Küche Vorratsraum Vorschule 2 Kinderkrippe Pflanzbereiche

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Dwabor – Prototyp für nachhaltige Schulgebäude in Ghana 13.1 Architekt Arup Standort Dwabor (GH) Jahr der Fertigstellung 2008 Autoren Hayley Gryc, Statikerin, Arup, Senior Engineer Sarah Fray, Director Ingenieurwesen und technische Dienstleistungen, Institution of Structural Engineers Dominic Bond, Managing Director, Sabre Charitable Trust

13.1 Lageplan, Maßstab 1:1000 13.2 Stakeholder-Analyse 13.3 Im Gespräch mit Lehrern 13.4 Alle helfen mit

Zwei Vorschulen (engl.: »kindergarten«) wurden bislang fertiggestellt. Die erste öffnete im Februar 2010 in Dwabor und die zweite im November 2011 in Ayensudo, die beide im äußersten Süden von Ghana (Distrikt KEEA) liegen. Der nächste Schritt ist die Ausweitung innerhalb des Distrikts und anschließend im ganzen Land.

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Aufgrund fehlender Vorschulerziehung leitete die Regierung von Ghana 2004 ein umfassendes frühkindliches Bildungs- und Betreuungsprogramm ein, welches das Ziel hatte, die staatliche Unterstützung für Initiativen im Bereich der Vorschulerziehung erheblich zu erweitern. Die von der Regierung neu gesetzten Prioritäten erlauben es jedoch nicht, die enormen Defizite bei der Versorgung mit Schulen und Vorschulen im ganzen Land in Angriff zu nehmen. Der Bedarf an weiterer Bildungsinfrastruktur ist gewaltig. Bereits vorhandene Einrichtungen wiederum waren oft in einer Weise gestaltet, dass sie nicht unbedingt das Lernen förderten. Typischerweise sind staatliche Schulgebäude eckige Kästen mit drei Klassenzimmern. Die in schlechter Qualität und wenig nachhaltig gebauten Einheiten mit ausgefachtem Mauerwerk und einfachen Blechdächern sind nicht erdbebensicher. Zudem sind die Innenräume dunkel und unzureichend belüftet. Wenn der Regen zu laut auf das Dach trommelt, muss der Unterricht oft unterbrochen werden. Fast die Hälfte der Bauten hat keine Toiletten, 40 % besitzen keinen Zugang zu Trinkwasser. Der Sabre Charitable Trust ist eine im ländlichen Ghana tätige Wohlfahrtsorganisation, die sich für die Zukunft benachteiligter und ausgegrenzter Kinder einsetzt. Sabre arbeitet mit der Schulbehörde (Ghana Education Service – GES) vor Ort zusammen, um Projekte zur Verbesserung von Schulen und Vorschuleinrichtungen zu implementieren. Als die Organisation sich im September 2008 an Arup wandte, waren wir von ihrer Vision begeistert und beschlossen, einen Prototypen für eine Vorschule zu entwerfen und zu bauen. Er sollte nachhaltig, leicht instand zu halten, reproduzierbar und auf unterschiedliche Situationen anpassbar sowie kostengünstig sein – und vor allem sollten die Kinder im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen. Arup lieferte auf Pro-Bono-Basis technische und architektonische Entwürfe, einschließlich Nachhaltigkeitsbewertung, Bauüberwachung und strategischer Beratung. Ziel des Projekts ist es, diesen Prototypen in Ghana zur Baunorm zu erheben und über das Schulbauprogramm der Landesregierung einzuführen.

Der Entwurfsprozess Vor Arups Beteiligung hatte Sabre gemeinsam mit dem GES-Bezirksbüro das Dorf ausgewählt, das am dringendsten eine Vorschule benötigte. So sollte das erste Projekt in Dwabor entstehen und die dortige Dorfgemeinschaft räumte das Baugelände. Der Entwurfsprozess begann mit einer Stakeholder-Analyse, um deren Einfluss auf das Projekt zu verstehen (Abb. 13.2). Das Ergebnis half uns, den Umgang mit den verschiedenen Interessengruppen zu koordinieren, um Beziehungen aufzubauen und die daraus entstehenden sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten zu verstehen. Schlüsselpersonen des Entwurfsteams reisten nach Ghana, um in den Entwurf einfließende Informationen zu sammeln, die örtlichen Ressourcen zu prüfen und Einblick in die Struktur der Dorfgemeinschaft sowie das Alltagsleben zu bekommen. Der Entwurf wurde aus dem Kontext heraus und auch unter ästhetischen Gesichtspunkten entwickelt, wobei unterschiedliche Vorgehensweisen betrachtet wurden. Auch das Potenzial von Ausbildungsprogrammen zum Thema Bauen für die Gemeinschaft wurde in Betracht gezogen. Es war uns wichtig, die Ansichten der Ghanaer zu verstehen und ihnen nicht westliche bzw. unsere persönlichen Ansichten zu suggerieren. Die wichtigsten Gespräche führten wir mit Lehrern der örtlichen Schule. Das Team hatte einfache Baukörper aus Pappe vorbereitet und ein jeder stellte einen anderen Raum dar, aus deren Gesamtheit die Schule zusammengesetzt sein würde. In einem Workshop erarbeiteten das Team und die Lehrer, die die Bedürfnisse der Kinder am besten kannten, den geeignetsten Grundriss für die Schule sowie andere Anforderungen. Am Ende hatte das Team zwei sehr klare, von den Lehrern bevorzugte Optionen. Viel Zeit wurde auch in den Besuch weiterer Schulen in der Umgebung von Dwabor und in Accra investiert, um auch dort mit Lehrern und Schülern zu sprechen. Wir sahen uns die Architektur und die regionalen Baumaterialien sowie deren Verwendung an und analysierten, was gut funktioniert und was nicht. Aber wir wollten auf


Schulgebäude in Dwabor

Weltbank

Bezirk

UNICEF Leitung Kleinprojekte, Accra

Regional

National

Ghanaische Regierung

A-Kon Cosultants (Ghana)

Atelier Architects (Ghana)

Regionales Büro für Kleinprojekte Bezirksversammlung (Schulinfrastruktur)

Schulbehörde (Schulleitung)

S A B R E

Dorf

AES

• Älteste • Lehrer

DORF • Eltern • Schüler

Materialanlieferung

diesem Wege auch verstehen, was kulturell akzeptabel ist. GES war von dem Beratungsprozess beeindruckt und erkannte, dass in Zukunft durch die nunmehr gesammelten Informationen bei den unterschiedlichen Interessengruppen der Bau einer schlechten und nicht funktionsfähigen Infrastruktur vermieden werden kann. Die Zustimmung der GES zu erhalten, war für den Erfolg des Bauablaufs entscheidend. Die Beratungen setzten einen enormen Wissenstransfer in Gang, und das Team konzentrierte sich darauf, bereits vorhandenes Wissen zu verstehen und darauf aufzubauen. Auch wir gaben unser Wissen und unsere Erfahrungen mit dem Entwurfs- und Bauprozess weiter. Dieses Modell von Beteiligung und Zusammenarbeit ist der Schlüssel für die Erbringung ernst gemeinter nachhaltiger Projekte, was für die Zukunft unseres Berufsstands von äußerster Wichtigkeit ist. In Ghana sprachen wir auch mit Materiallieferanten und örtlichen Baustoffhändlern, um uns ein Bild von den lokal verfügbaren Materialien zu machen. Informationen über Kosten, einschließlich Transport, Verfügbarkeit, Leistung und Stan-

BambusProjektwerkstatt 13.2

13.3

dardgrößen, wurden gesammelt. Informationen wie diese beeinflussten den Entwurf und die Materialwahl für die Vorschule, halfen den Materialabfall zu eliminieren, das Gebäude leichter instand zu halten und zum wirtschaftlichsten Entwurf zu gelangen. Anfangs waren neben Materialbeschaffung und Bauablauf auch die Weiterqualifizierung und Ausbildung lokaler Arbeitskräfte wichtige Gesichtspunkte. Wir untersuchten auch das Baugelände, begutachteten das Erdreich als mögliches Baumaterial und sammelten Informationen für das Fundament und die Geländeentwässerung. Es war uns wichtig, die Auswirkungen des neuen Schulgebäudes auf seine Umgebung zu berücksichtigen und einen Entwurf zu entwickeln, der auch die zukünftige Widerstandsfähigkeit im Hinblick auf den Klimawandel einbezog. Wieder in London, flossen die gesammelten Informationen in den Entwurf eines VorschulPrototyps ein. Dann reisten wir erneut nach Ghana, um die baureifen Pläne zu präsentieren und in weiteren Workshops zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse und Anforderungen aller Interessengruppen erfüllt waren.

Mehrere Interessengruppen wurden konsultiert: • Auf nationaler Ebene wurden Gespräche mit UNICEF und der Weltbank geführt, um deren Rolle in Bildungs- und Infrastrukturprojekten in Ghana zu bestimmen. • Auf regionaler Ebene sprach Arup mit lokalen Beratern und Nichtregierungsorganisationen, um ein besseres Verständnis der lokalen Baumethoden und -kenntnisse zu erlangen. • Auf Bezirksebene leistete das District Education Office (Teil der Schulbehörde GES) einen wichtigen Beitrag zum Entwurf und der Planung des Projekts. • Auf örtlicher Ebene konzentrierten sich die Gespräche auf die Dorfgemeinschaft, Lehrer, Dorfälteste und Joseph Aggrey, den lokalen Projektmanager, den Sabre mit der Bauleitung beauftragt hatte.

Die Vorgehensweise Ausgangspunkt war die Vorstellung von Bildung als Eckpfeiler sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs. Planung und ein nachhaltiger Entwurf für diesen Vorschulkomplex sollte auf den örtlichen Bedürfnissen, Baumaterialien, Kapazitäten und Kultur basieren. Arup optimierte die Durchführung und Baubarkeit, damit der Prototyp auf andere Orte adaptiert und das Programm ausgedehnt werden konnte. Diese Vorschule ist einzigartig, denn der Auftrag für den Entwurf entstand unter Beteiligung vieler Interessengruppen, u. a. der Dorfgemeinschaft, örtlichen Behörden, Bildungsbehörden, Lehrern, Kindern etc. Indem wir zunächst ein Verständnis für die lokalen Kapazitäten, die Umwelt und die Ressourcen erwarben, stellten wir sicher, dass wir ein funktionsfähiges Erbe hinterlassen würden. Das Vorschulprojekt verkörpert mehr als nur die Erbringung einer Ingenieurleistung, denn der kooperative Ansatz stellte Wissenstransfer und praxisnahes Lernen sicher. 13.4

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Shaping the world – Globale Dimensionen, weitreichender Einfluss

13.5 Der Entwurf der Vorschule Der Entwurf und die Konstruktion der nachhaltigen Vorschulen werden von sechs Hauptprinzipien geleitet: 1. Ein auf Durchführbarkeit basierender Entwurf 2. Mitarbeit der Dorfgemeinschaft 3. Verwendung lokaler Baumaterialien 4. Möglichkeiten das Auskommen der Bewohner zu sichern 5. Preis-Leistungs-Verhältnis 6. Baubarkeit, Adaptierbarkeit und Skalierbarkeit

13.8

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13.6

Anschließend traf sich das Team erneut mit lokalen Architekten und Ingenieuren, um die endgültigen Baupläne zu erstellen. Bei den Besprechungen war der Bauprojektleiter von Sabre, der den Bau beaufsichtigen würde, bereits anwesend, um sich mit den Besonderheiten des Prozesses vertraut zu machen. Der Schulkomplex Bei der Planung des Vorschulkomplexes war es unser vorrangiges Ziel, ein komplettes Bildungsumfeld bereitzustellen. Der am Kindeswohl orientierte Entwurf schafft einen Mittelpunkt für spielerische Erkundungen in einer sicheren und fest umgrenzten Umgebung. Er ist eine Lernumgebung entstanden, die innerhalb des staatlichen Schulwesens in Ghana seinesgleichen sucht. Der Komplex ist um eine Längsachse herum angelegt, die die Haupterschließung bildet und Schülern wie Lehrern den ganzen Tag über Gelegenheit zur Interaktion bietet (Abb. 13.1). Jedes Klassenzimmer hat zwei feste Mauern, die morgens und abends, wenn die Sonne niedrig steht, Schatten spenden. Die Vorderund Rückfront besitzt bunte, schwenkbare Bambus-Fensterläden, die für das richtige Licht und gute Belüftung der Räume sorgen. Vier große, ebenfalls schwenkbare Türen in jedem Klassenzimmer führen zu schattigen Außenbereichen, die zusätzliche Lernumgebungen bilden und den Kindern Gelegenheit geben, ihre Umgebung zu erkunden. Die Schrägdächer über den Klassenzimmern bilden Dachüberhänge, um Blendung im Inneren zu reduzieren und geschützte Laufgänge zu bilden; darüber hinaus dienen sie als große Regenwassersammelflächen. Die Schule ist ein für Schulkinder ergonomisch konzipiertes Gebäude und gleichzeitig ist es katastrophensicher, z. B. gegen Erdbeben. Da es in Ghana seit mehr als 70 Jahren kein Erdbeben mehr gegeben hat – und damit über einen Zeitraum, der doppelt so lange ist wie die durchschnittliche Lebenserwartung in diesem Land –, war es keine leichte Aufgabe, die Entscheidungsträger von der realen Erdbebenge-

13.7

fahr zu überzeugen. Die meisten Gebäude in Ghana sind nicht erdbebensicher entworfen und die Bauordnung des Landes geht noch auf den mittlerweile überholten US-Code UBC90 zurück. Auf Basis der umfassenden Beratungen erstellte Arup einen modularen Klassenzimmerentwurf als »Bausatz«; dieser sah unterschiedliche Wände vor, die in einen dauerhaften Stahlbetonrahmen eingepasst werden. Jedes Klassenzimmer besteht aus einer Reihe von Feldern, die je nach Anzahl der Kinder vergrößert oder verkleinert werden können. Beton war anfangs nicht unsere erste Wahl für das Rahmentragwerk, sondern wir bevorzugten billigere und nachhaltigere Materialien wie Holz, Bambus oder Lehmblöcke. Gleichwohl war es uns wichtig, die Ansichten der Dorfgemeinschaft zu verstehen und zu respektieren, die sich mit dem Bau identifizieren sollte. Und in Ghana wird Beton, der auch im staatlichen Schulbau verwendet wird, als ein Zeichen für Fortschritt gesehen, während Bambus und Holz »Arme-Leute-Baumaterialien« sind. Man einigte sich als Kompromiss schließlich auf das Prinzip eines dauerhaften Stahlbetonrahmens, der seismischen Kräften standhält und mit lokalen und nachhaltigen Baumaterialien zu ergänzen ist. Den Beton für den Rahmen mischte man aus lokal gewonnener Puzzolanerde, wobei Lehm und Palmenkerne 30 % des PortlandzementAnteils in der Mischung ersetzten. Die Ausfachung der Wände besteht aus Lehmblöcken, die mit Bambus verkleidet wurden. Im Ergebnis entstand ein robustes, nachhaltiges und auf andere Standorte übertragbares Gebäude. Das Konzept lässt sich an Klima, Kultur und die verfügbaren Baumaterialien anpassen, was besonders im Hinblick auf die Vergrößerung und Vervielfältigung des Prototyps, national und anderswo in Schwarzafrika, von großem Interesse ist. Schnell wachsender und überall vorhandener Bambus wurde auch als Deckenverkleidung und als leichtes Tragwerk in den beschatteten Außenbereichen verwendet. Es wurden und werden noch immer umfangreiche


Schulgebäude in Dwabor

13.5 13.6 13.7 13.8 13.9 13.10 13.11

Montage der Dachbleche Montage der Bambusverkleidung Die Dorfgemeinschaft beim Brechen der Kokosnussfasern Dachdämmung Lehmblöcke Spielplatzbeschattung Bauanleitung der Dachstuhlkonstruktion 13.10

Tests durchgeführt, um geeignete Verarbeitungsweisen zu finden. Mit diesem Projekt ließ sich zeigen, wie man günstige, nachhaltige und haltbare Baumaterialien produziert, die lokale Dorfgemeinschaften vor Ort reproduzieren und für ihre eigenen Häuser verwenden können. Für das Dach nahm man Metallbleche, die leicht erhältlich und damit lokal die bevorzugte Wahl sind, jedoch den Nachteil haben, dass das Dach sehr heiß wird und Hitze in den darunterliegenden Raum abstrahlt. Außerdem kann der Unterricht gestört werden, wenn Regen heftig auf das Dach prasselt. Aber ein Metalldach hat auch Vorteile, denn die Hitze tötet alle auf dem Dach keimenden

Bakterien, wodurch es sich für das Auffangen von Regenwasser eignet. Um dennoch eine gute Lösung zu erzielen, wurden Fasern von Kokosnussschalen zur Schall- und Wärmedämmung des Dachs eingesetzt. Der Bau der Vorschule Eine der Hauptintentionen des Projekts war, dass der Bauprozess alle daran Beteiligten qualifizieren sollte – quasi als ein bleibendes Erbe im sozio-ökonomischen Gefüge der Dorfgemeinschaft. Während der Bauphase überwachte ein Arup-Bauleiter die Arbeiten und etablierte eine Qualitätskontrolle auf der Baustelle. Er arbeitete gemeinsam mit Sabres Oberbauleiter und

Im ländlichen Ghana sind Lehm und Bambus die üblichen Baumaterialien, sie werden dort aber als »ArmeLeute-Baumaterialien« gesehen. Wir konnten den Menschen zeigen, wie man auf der Baustelle haltbare Lehmblöcke aus dem Erdreich herstellt, um so wenig teuren Beton wie möglich zu verwenden. In Großbritannien durchgeführte Druckfestigkeitsprüfungen bestätigten, dass sie die doppelte Festigkeit lokal beschaffter Sand-Zement-Blöcke hatten. Aufgrund ihrer Haltbarkeit und der guten optischen Qualitäten erwarben sie sich in der Region rasch einen ausgezeichneten Ruf.

13.11

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Shaping the world – Globale Dimensionen, weitreichender Einfluss

13.12 13.13 13.14 13.15

Außenansicht des fertigen Gebäudes a Umweltstrategie b Tageslichtstrategie Fenster mit schwenkbaren Jalousien Funktionsweise der Fensterjalousien 13.12

bildete gleichzeitig den ghanaischen Bauleiter aus. Der Einsatz freiwilliger Arbeitskräfte wurde zu Beginn des Projekts mit den Dorfältesten vereinbart. Dies funktionierte in der Theorie, aber in der Praxis war auf die freiwilligen Arbeiter kein Verlass, da sie aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zur Arbeit erschienen. Eine Vollzeitbelegschaft aus bezahlten Fach- und Hilfsarbeitern zur Verfügung zu haben und einzelne Tage zu organisieren, an denen die Dorfgemeinschaft eine große Anzahl von Hilfsarbeiten erledigte, erwies sich als guter Kompromiss. Bei Bauprojekten in Entwicklungsländern spielen Sicherheits- und Gesundheitsschutz (SiGe) gewöhnlich eine untergeordnete Rolle. Eine der Aufgaben des Arup-Bauingenieurs war es, auf Gefahren hinzuweisen und Baustellensicherheit zu vermitteln. Arup konnte auch den lokalen Beratern helfen, wie man Gefahren bereits vor der Ausführungsprozess aus dem Entwurf eliminiert. Es wurden sowohl Schilder aufgestellt, die auf SiGe-Probleme hinwiesen, als auch Informationstafeln mit Wissenswertem über den Entwurf und den Baufortschritt. An der Errichtung war ein Team lokaler Facharbeiter beteiligt, die von lokalen Hilfsarbeitern unterstützt wurden. Das lokale Bauteam wurde sowohl vom Arup-Bauingenieur als auch durch spezielle Initiativen (wie z. B. ein »BambusSchulungsprogramm«) ausgebildet. Sabre wählte ein Stammteam von Arbeitern aus Dwabor aus, um einige Arbeiten in der Ayensudo-Vorschule zu leiten. Dies beschleunigte das Programm und half Wissen weiter zu verbreiten. Die Vorteile zeigen sich bereits, beispielsweise wurde der Holzdachstuhl für die zweite Schule in nur einem Viertel der in Dwabor benötigten Zeit hergestellt. Dieser fortlaufende Wissenstransfer ist für das Gastland von enormem Vorteil, da er die Fertigkeiten der unmittelbar Beteiligten weiterentwickelt, die dann ihrerseits Andere ausbilden können. Überprüfung Nach dem Bauabschluss wurde die Schule in Dwabor in weiteren Workshops mit Lehrern, Kindern, der Dorfgemeinschaft, örtlichen Behörden

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und Arbeitern im Hinblick auf Baubarkeit und Funktionen bewertet. Die Workshops waren auf die jeweilige Interessengruppe abgestimmt. Viele der Arbeiter konnten nicht lesen, weshalb wir gelbe Aufkleber (leicht zu bauen) und rote Aufkleber (schwer zu bauen) verwendeten, die sie auf Fotos der einzelnen Bauphasen und Darstellungen des von ihnen geleisteten Bauprozesses kleben konnten. Alle Darstellungen mit roten Aufklebern wurden anschließend besprochen und mithilfe der Arbeiter vereinfacht. Arup sammelte die Informationen auch in einem benutzerfreundlichen Bauhandbuch, um den Errichtungsprozess zukünftig zu beschleunigen und die Baukosten zu senken, was in einer effizienteren Bewältigung des Vorschul-Bauprogramms resultierte. Das Handbuch enthält auch eine Reihe von Regeln, die Sabre bei der Bedarfsanalyse, bei Konsultationen mit der Dorfgemeinschaft, Standortwahl, Einrichtung der Baustelle sowie ihrer standortspezifischen Entwässerung als Richtlinien dienen sollen. Das letzte Kapitel enthält Bauzeichnungen und 2D- sowie 3D-Bilder, mit einfach zu befolgenden Bildgeschichten des Bauablaufs, ergänzt durch kommentierte Materiallisten und Spezifikationen. All dies soll den Bauprozess so verständlich wie möglich gestalten. Durch die Bewertung des Vorschul-Prototyps und den überarbeiteten Entwurf konnten die Baukosten für die Klassenzimmer um 5 % und die Kosten des Gesamtprogramms um 15 % gesenkt werden. Seit Eröffnung der Schule kommen nun mehr als doppelt so viele Kinder hierher. Das Einfühlungsvermögen des Entwurfsteams in die Bedürfnisse der lokalen Kultur und des Umfelds war der Schlüssel für den Erfolg dieses Projekts, das sich als beständig, nachhaltig und funktional erwiesen hat. Es ging uns nie darum, unsere Ansichten – oder das, was wir für die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen hielten – jemandem aufzudrängen. Vielmehr war es uns wichtig zuzuhören und innovative Lösungen zu schaffen, die die Bedürfnisse der Nutzer erfüllen und gleichzeitig finanziell und sozial vertretbar sind. Hayley Gryc


Schulgebäude in Dwabor

Schutz

Vertikaler Sonnenschutz, verhindert Sonneneinstrahlung am Morgen und Abend

Schatten Ruhe Luftzirkulation

Kühle Oberflächen

Durchzug

Tageslicht ohne direkte Sonneneinstrahlung

Durch Farben und Bearbeitung helle Materialoberflächen im Inneren

Dachüberstand, spendet Schatten gegen die hoch stehende Mittagssonne

Indirektes Tageslicht durch Oberlichter

13.13 a

b

Ingenieurarbeit in Entwicklungsländern Das Ingenieurwesen wird im frühen 21. Jahrhundert gewöhnlich mit der Analyse und der Umsetzung des Entwurfs, der Erstellung von CAD-Zeichnungen und neuerdings auch mit Informationsmanagement mittels Gebäudedatenmodellierung (BIM) in Verbindung gebracht. All dies sind zwar effektive Werkzeuge, jedoch können sie auch eine Kluft zwischen Entwicklung und Konstruktion eines Gebäudes auf der einen Seite sowie Nutzung und den menschlichen Bedürfnissen auf der anderen schaffen. Die Bitte, das Vorschulprojekt für Dwabor zu kommentieren, war auch ein Anlass darüber nachzudenken, warum wir »Häuser« entwerfen und bauen – nämlich um die Welt zu verändern und die Orte, an denen wir leben, und das Leben der Menschen zu verbessern. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Projekt all diese Ziele erfüllt. Die Ziele in diesem Projekt waren hoch gesteckt: Es sollte ein typisches, auf andere Orte übertragbares Modell einer nachhaltigen Vorschule im ländlichen Ghana entstehen, die zugleich

eine hochwertige Lernumgebung bieten sollte. Das Projekt hält das Gleichgewicht zwischen dem westlichen Anspruch an Nachhaltigkeit, mit Schwerpunkt auf Energiemanagement und CO2Emissionen, sowie den Forderungen der Entwicklungsländer, wo soziale Nachhaltigkeit der Hauptaspekt ist. Durch dieses Gleichgewicht gewinnt ein Projekt an Bedeutung, oder, vereinfachend gesagt, erfüllt es seinen Auftrag. Und dies ist hier zweifellos der Fall! Die Schule in Dwabor ist ein Beispiel dafür, welche Vorteile es hat, die Bedürfnisse der Endnutzer und die Ziele einer Dorfgemeinschaft im Vorfeld wirklich zu verstehen. Der Erfolg dieses Projekts ist zweifelsohne das Ergebnis dieses Verständnisses und der im Dialog gewonnenen Synergien. Wie bei allen Bauvorhaben wird sich erst im Laufe der Zeit herausstellen, ob das Endergebnis alle anfangs gesetzten Ziele erfüllt. Da vielfältigste Erfahrungen in den Entwurf mit eingeflossen sind, kann man jedoch darauf vertrauen, dass die Probleme, bei der Planung und Ausarbei-

Die vertikale Verschattung ist verstellbar, um unterschiedliche Arten von Lichteinfall und Ausblicke zu gewährleisten.

Die Lamellen der Verschattung sind leicht in der Ausführung und können in moderaten Farben gehalten sein. 13.14

13.15

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Shaping the world – globale Dimensionen, weitreichender Einfluss

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ArtScienceMuseum Geschäfte Theater Sands SkyPark Sands Hotel Casino Ausstellungs- und Kongresszentrum

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Marina Bay Sands – ein horizontaler Wolkenkratzer 16.1 Architekt Safdie Architects Standort Singapur (SGP) Jahr der Fertigstellung 2011 Autoren Va-Chan Cheong, Tragwerksplaner, Arup, Director Moshe Safdie, Architekt, Safdie Architects Peter Bowtell, Tragwerksplaner, Arup, Principal

Der Casino-Hotel-Komplex an der Marina Bay in Singapur gilt als die zukünftige urbane LifestyleDrehscheibe und das neue Zentrum der südostasiatischen Metropole. Durch seine Nähe zu anderen Freizeit- und Erlebniszentren, wie dem Damm Marina Barrage und der Parklandschaft Gardens by the Bay, aktiviert es das gesamte Hafengebiet. Der Komplex soll u. a. helfen den Tourismus anzukurbeln und die Stadt zum führendem Anziehungspunkt für Zusammenkünfte aller Art, Firmenveranstaltungen, Konferenzen und Ausstellungen in Südostasien zu machen. Entstehung Konzipiert von Singapurs Amt für Stadterneuerung und Fremdenverkehr, sollte der Komplex ein Hotel, landschaftlich gestaltete Dachterrassen, Tagungs- und Ausstellungsbereiche, Unterhaltung, Erholung, Attraktionen, Lifestyle, Geschäfte und Restaurants, ein Casino, eine Anbindung an das bestehende Infrastrukturnetz, ein Aussichtsdeck, eine insze-

16.1 16.2 16.3

16.4 16.5 16.6 16.7

nierte Nachtbeleuchtung, ein Museum und vieles mehr bieten. Die Wettbewerbsparameter waren »Entdecken« (neue Lebens- und Lifestyle-Optionen), »Austauschen« (neue Geschäftsideen und Informationen) und »Unterhalten« (Kultur, Spaß und eine schöne Umgebung). Mithilfe der Architekten und in Verbindung mit Arup Hongkong gelang es dem Projektentwickler Las Vegas Sands Corporation (LVS), von der Konzeptphase des Wettbewerbs in die nächste Phase der Angebotsabgabe zu gelangen. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete Arup sukzessive an der Angebotserstellung sowie der Entwurfs- und Detailplanung mit. Safdie Architects wurden von LVS für den Wettbewerb beauftragt, und im Mai 2006 gab das Fremdenverkehrsamt bekannt, dass LVS die Rechte zur Projektentwicklung erhalten hatte. Arups Beitrag Für dieses Großprojekt lieferte Arup dem Bauherrn alles aus einer Hand, u. a. Vorplanung,

Lageplan, Maßstab 1:10 000 Marina Bay Sands, Ansicht von Südwesten ETABS-Modelle zur Prüfung der Gesamtstabilität der Hoteltürme CAD-Modell der Türme und des SkyParks (Brückenträger) GSA-Modell zur Prüfung der Detailstabilität Turmverformungen Verdrehungswinkel an der Turmspitze 16.2

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Marina Bay Sands in Singapur

16.3

16.4

Infrastruktur, Hochbau und Grundbau sowie Beratung in den Bereichen Verkehr, Akustik, Fassade, Brandschutz und Risiko. Die Mitglieder des Teams kamen aus vielen Büros, u. a. Boston, Brisbane, Melbourne, Hongkong, Shenzhen und Singapur. Für die Entwurfsplanung hatte das Büro in Boston den Vorteil, in der Nähe von Safdie Architects zu sein. Die Arup-Niederlassung in Singapur war an der Vorplanung, den Fundamenten und der Unterkonstruktion sowie dem Brandschutz und der Fassadenplanung beteiligt. Die Niederlassung in Australien lieferte Verkehrsplanung und arbeitete an der dynamischen Auslegung der Tragwerke, insbesondere am SkyPark. Arup Hongkong war für die gesamte Leistungserbringung und die Planung der Tiefbauarbeiten verantwortlich, während die Ausführungsplanung im Hochbau in Zusammenarbeit zwischen Singapur, Shenzhen und Hongkong entstand. Arup Singapur hielt, gemeinsam mit Vertretern aus Hongkong, den täglichen Kontakt zum Bauherrn und den Bauunternehmern, um die ordnungsgemäße Umsetzung der Entwürfe zu gewährleisten. Jeder wesentliche Bauabschnitt in Marina Bay Sands ist für sich gesehen ein Großprojekt und ein eigenständiges Gebäude. Von Anfang an stellte Marina Bay Sands eine technische Herausforderung dar, angefangen bei den bauvorbereitenden Maßnahmen, den Fundamenten und Tiefgeschossen bis zum geometrisch komplexen ArtScience-Museum und dem außergewöhnlichen, frei tragenden, 66,5 m langen SkyPark, der 200 m über Ebene Null liegt. Der Bauablauf bei Anwendung der Deckelbauweise (top-down und bottom-up) war eine weitere große Herausforderung. Da viele Disziplinen und Unternehmen an den Arbeiten beteiligt waren, musste das Schnüren der Vergabepakete und die Koordination der Schnittstellen genau beachtet werden, um die Arbeiten in dem gesetzten engen Zeitrahmen zu erbringen und fertigzustellen.

entsteht im Erdgeschoss ein offener, durchgehender Raum, der die drei Türme durch ein grandioses Atrium miteinander verbindet. Gebäudedatenmodellierung (BIM) wurde umfassend genutzt, um aus der einzigartigen und komplexen Geometrie der Türme entstehende Abstimmungen und Dokumentationen zwischen Planern und Gutachtern zu lösen. Die 3D-Tragwerksberechnungen waren unabdingbar, um ein realistisches Modell zu erstellen und das komplexe Verhalten der Türme, deren Verformung, windinduzierte Schwingungen und Bauteilbeanspruchungen (Abb. 16.3 – 5) einschätzen zu können. Anders als bei den meisten Hochhäusern, sind die primären Anforderungen an die Gebäudeaussteifung der Hoteltürme 1 und 2 durch Vertikallasten anstelle von Lasten aus Wind- oder Lotabweichung bestimmt. Die dramatische Krümmung der östlichen Turmhälften erzeugt, bedingt durch Vertikallasten in der kurzen Richtung, Kippkräfte, die Lasten aus Wind- und Lotabweichung dominieren. Insbesondere mussten angenommene Materialeigenschaften berücksichtig werden, da diese Horizontallast permanent und nicht, wie bei Windlasten üblich, vorübergehend sind. Das Aussteifungssystem der Türme besteht aus Stahlbeton-Scherwänden zwischen den Zimmern und den Betonkernen der Aufzüge. Die Wände und Kerne liefern Steifigkeit in Querrichtung, während die Kerne und die Querversteifung zwischen Wänden und Deckenscheiben Widerstand in der Längsrichtung liefern. Die Verbindungsträger in der Technikzentrale im 23. Obergeschoss sind ein wesentlicher Bestandteil der Türme. Ohne diese Träger würden die beiden Wände unabhängig voneinander agieren und in den Obergeschossen, im Bereich der Korridore, zu großen Verformungsunterschieden führen. Das hätte nicht akzeptable Risse und unebene Böden zur Folge gehabt. Durch die Anwendung der Stahlverbundbauweise können die Kräfte wirksam von den Außenstreben zu den Wandelementen abgetragen werden. Die Querschnitte der Bauteile des Stahlbinders wurden der Wandstärke angepasst. Da Eigengewicht ein nachteiliger Faktor für die horizontale Beanspruchung der Tragwerke ist,

Sands Hotel Jeder der drei 55-geschossigen Hoteltürme hat eine einzigartige Geometrie, mit variierender Krümmung an der Ostseite des Hotels. Hierdurch

16.5

1 A

θ B

4 X1

4 Y1

X2

3 F

δ3

Y2

C D

2 E

δ1

X3

2 δ2 Y3

X3

16.6 1 2 3 4

Verdrehungswinkel an der Turmspitze Maximale Auslenkung in der Ansicht (vertikal und horizontal) Setzungsdifferenzen zwischen gerader und gekrümmter Wand Setzungsdifferenzen zwischen benachbarten Schotten

bA A

e

bB B

L1 = 30 m (Turm 1) 16.7

105


Shaping the world – globale Dimensionen, weitreichender Einfluss

16.8 16.8

Turmverbindungsträger im Bau 16.9 Montage des SkyParkKastenträgers 16.10 Montage des SkyParkBrückenträgers 16.11 Das bewohnbare frei tragende Aussichtsdeck 16.12 Der fertige SkyPark

16.9

entschied man sich für ein Deckensystem mit geringem Gewicht: Spannbetonkonstruktionen mit einer maximalen Spannweite von 10 m. Damit ließen sich Innenstützen vermeiden, und das System bot die leichtesten kombinierten horizontalen und vertikalen Tragwerke. Bewegung der Hoteltürme Aufgrund ihrer asymmetrischen Geometrie ist die Horizontalbewegung der Türme nicht nur durch seitliche, sondern auch durch Vertikallasten bedingt. Da dieses Verhalten beim Bau und Betrieb der Türme von entscheidender Bedeutung war, wurden die folgenden Turmbewegungen sorgfältig untersucht (Abb. 16.6. und 16.7.): • Verdrehungswinkel an der Turmspitze • Maximale Auslenkung in der Ansicht (vertikal und horizontal) • Setzungsdifferenzen zwischen gerader und geneigter Wand • Setzungsdifferenzen zwischen benachbarten Schotten • Relativverformungen zwischen den Türmen, die das Verhalten des SkyParks beeinflussen Schnell abklingende Verformungen aufgrund des Eigengewichts wurden während der Errichtung durch Überhöhung ausgeglichen. Die fertiggestellten Türme werden sich aufgrund ihrer Geometrie und durch Betonkriechen und Schwinden weiterhin seitlich verformen, bevor sie in 30 Jahren konvergieren. Das wurde im Entwurf für die technische Gebäudeausrüstung, u. a. Aufzüge, Gebäudehülle, Haustechnik usw., bereits berücksichtigt. Errichtung der Hoteltürme Die Errichtung der geneigten Türme erwies sich als eine weitere Herausforderung, da dies ohne aufwendige Hilfsgerüste unmöglich war. Zu Beginn der Entwurfsphase wurden fundierte Untersuchungen durchgeführt, um die zahlreichen verfügbaren Konstruktionsoptionen zu beurteilen. Man kam zu dem Schluss, dass es sehr teuer, wenn nicht praktisch unmöglich sein würde, die Türme mit einem Tragwerk zu errichten, welches keine Zwangskräfte aufzunehmen hat. Daher wurden aufnehmbare Zwangskräfte in nachfol-

106

16.10

genden Entwürfen der Haupttragwerkselemente berücksichtigt. Um die Zwangskräfte in den wesentlichen Bauteilen zu begrenzen, wurde ein Pflichtenheft mit genauen Angaben zu den Herstellverfahren ausgearbeitet. Diese Angaben nahm man in die Ausschreibung auf und ermöglichte den Bietern so, die für das Vorhaben am besten geeigneten und von daher bevorzugten Schalungs- und Gerüstsysteme bereitzustellen. SsangYong Engineering & Construction Co. Ltd., die den Zuschlag als federführendes Unternehmen erhielt, entwickelte zusammen mit ihrem Spezialisten, VSL Singapore Pte. Ltd., ein Hilfsgerüst, das Vorspann- und Stahlverstrebungssysteme kombinierte. Es wurden Stahlstreben installiert, um die geneigten Wände an den geraden Wänden abzustützen und Bewegung zu limitieren. Mithilfe einer Reihe von vertikalen Spanngliedern in den Wänden wurden die Zwangskräfte kontrolliert. Wegen seiner fast vertikalen Geometrie konnte Hotelturm 3 ohne Hilfsgerüste errichtet werden. In jedem Baustadium wurden exakte Berechnungen durchgeführt, um Spannungen und Bewegung während der verschiedenen Konstruktionsphasen einzuschätzen und die Einhaltung der Konstruktionsabsicht sicherzustellen. Während der Bauzeit wurde ein Echtzeit-Überwachungssystem implementiert, um die tatsächliche Spannung und Bewegung aufzuzeichnen. Auswertungen erfolgten bei Abweichung der tatsächlichen Spannung/Verformung von der Vorhersage. Der SkyPark Der 38 m breite und 340 m lange SkyPark ist das längste bewohnbare, frei tragende Aussichtsdeck der Welt. Der einen Hektar große Park befindet sich auf den drei 55-geschossigen Hoteltürmen und verfügt über Landschaftsgärten, Restaurants, brüstungslose Schwimmbecken und eine lange, frei tragende Aussichtsplattform, die Besuchern einen 360°-Panoramablick über die Stadt bietet (Abb. 16.11). Arup musste eine Reihe baulicher Herausforderungen meistern: die erste lag in der Erstellung eines Entwurfs, der in großer Höhe sicher und leicht zu bauen war, was mit einer Kombination aus Brückenbau- und Gebäudetechnologie


Marina Bay Sands in Singapur

16.11

erreicht wurde. Die zweite Herausforderung war es, die natürlichen Bewegungen der Türme mithilfe von fünf unterschiedlichen Anschlusselementen aufzunehmen, auf denen der SkyPark gründet. Die dritte Herausforderung waren die Reaktionen des SkyParks auf starken Wind und durch Personenverkehr verursachte Schwingungen. Die dynamischen Eigenschaften des Tragwerks waren besonders schwer im Voraus berechenbar, da sie von vielen Bauteilen und -ausführungen beeinflusst wurden. Große, ähnlich wie Stoßdämpfer reagierende Schwingungsdämpfer wurden im Bauch des SkyParks installiert. Zudem wurden großmaßstäbliche Schwingungstests durchgeführt, um den Entwurf zu prüfen. Die SkyPark-Elemente sind vollbeweglich und stellen brückenartige Fachwerkbinder zwischen den Türmen dar. Obwohl als einfache Abstützung entworfen, haben die Brückenlager einen speziellen Zuganker, der jedes Deck im Falle eines Erdbebens an Ort und Stelle hält. Der SkyPark wurde entsprechend seiner Nutzung als drei individuelle Hotels in drei Zonen aufgeteilt und jeder Teil horizontal entkoppelt. Für den Entwurf des 66,5 m

langen, frei auskragenden Tragwerks, 200 m über Grund, zog man zahlreiche Optionen in Erwägung und entschied sich letztendlich für einen vorgespannten Kastenträger. Die Errichtung der Stahlkonstruktion für den SkyPark war Ende 2009 abgeschlossen. Die brückenartigen Fachwerkbinder (6 Teilstücke, je 400 t), die Kastenträger (2 Teilstücke, je 700 t) und die Auskragungen (6 Teilstücke, je 200 t) wurden auf Ebene 1 zusammengebaut. Bei einer Hubgeschwindigkeit von 15 m/h dauerte das Positionieren jedes Teilstücks fast einen ganzen Tag. Ein beweglicher Portalkran wurde an den Querträgern zwischen den Hauptkastenträgern montiert – eine normalerweise im Brückenbau eingesetzte Methode. In nur 13 Wochen wurden über 7000 t Stahlbauteile auf 200 m Höhe gehoben, was eine großartige Leistung des Entwurfs- und Konstruktionsteams war. Der Hotel-Casino-Komplex ist zu einem Symbol für Singapur geworden – gleichzeitig ist er ein bahnbrechendes Projekt, welches das Bauwesen dramatisch verändert hat. Va-Chan Cheong

16.12

107


Pioneering passion – Von persönlicher Inspiration zur Arup-Kultur

17.11

Der optimierte Lichtentwurf Autoren Giulio Antonutto-Foi, Lichtplaner, Arup, Associate Andy Sedgwick, Elektroingenieur, Arup Fellow

Die Suche nach einem Referenzprojekt 2003 arbeiteten Andy Sedgwick und Jeff Shaw mit dem Londoner Architekten Gianni Botsford an einem Privathaus in Notting Hill. Es stand auf einem außergewöhnlichen Grundstück und war fast vollständig von den Brandwänden benachbarter Gebäude umgeben, weshalb das gesamte Tageslicht von oben kommen musste. Gianni Botsford nutzte die von ihm an der Architectural Association entwickelten rechnergestützten Techniken, um das Tragwerk und die Tageslichtverteilung für das Dach als optimiertes Muster verschiedener Glasarten mit unterschiedlich thermischen und transparenten Eigenschaften zu konzipieren. Wir konzentrierten uns zunächst auf die Probleme der Verfügbarkeit von Sonnen- und Tageslicht. Wie konnte das Volumen maximiert und gleichzeitig das Tages- und Sonnenlicht auf dem Grundstück und den benachbarten Anwesen erhalten werden? Diese Arbeit war sehr vielversprechend, denn sie verknüpfte ein interessantes

Problem mit einer Nachhaltigkeitsproblematik: Wie lassen sich die verfügbaren Ressourcen am besten nutzen, ohne die Umgebung zu beeinträchtigen? Einige Monate später kam Kristi Shea, eine Expertin für rechnergestützte Prozesse im Bereich der technischen Optimierung, von der Cambridge University zu Arup. Gemeinsam mit Gianni Botsford nahmen wir auch an anderen Wettbewerben für Bibliotheken, Museen, Städte und Hochhäuser teil. Fragen und Lösungen Gemeinsam entwickelten wir innerhalb von Arup die rechnergestützte Entwurfsoptimierung (CDO – computational design optimisation) für Lichtdesign. Das Haus in Notting Hill war unser erster Testfall. Im Rahmen unserer anfänglichen Überlegungen bezüglich der Verfügbarkeit von Sonnen- und Tageslicht befassten wir uns auch damit, wie Tageslicht in bestimmten Teilen des Gebäudes maximiert werden konnte, ohne dass

17.13

17.12

118

17.14


Der optimierte Lichtentwurf

17.15

beispielsweise die Schlafzimmer zu viel Sonnenlicht erhielten. Mithilfe dieser Techniken können wir leicht Dutzende von pareto-optimalen Entwürfen erstellen, in Echtzeit verbessern und diskutieren. Die vorberechneten Lösungen werden mittels genetischer Algorithmen einer riesigen Datenbasis entnommen. Diese Lösungen sind pareto-optimale Optionen, d. h. für mindestens eine Kombination von Kriterien die beste von allen Fällen, aber alle »besten« Lösungen können untersucht und besprochen werden, sobald ein Lösungsfall abgeleitet wird (Abb. 17.12). Zu dieser Zeit gab es noch keine grafischen Programmiersprachen. Der größte Teil unserer anfänglichen CDO-Arbeit wurde als UNIX-Text geschrieben, was die breitere Anwendung dieser Technik zunächst behinderte. Aber bei Arup gibt es immer Leute mit Leidenschaft und speziellem Fachwissen, was die CDO-Revolution beflügelte. Akustische Unterstützung der Beleuchtung Gemeinsam mit unserem Beleuchtungsteam begann Luca Dellatorre, ein Akustiker bei Arup, unsere Methoden bei Problemen der Akustikund Klangmodellierung einzusetzen. Mithilfe von CDO-Techniken optimierte er Ortung und Umfang akustischer Reflektoren in einem Konzertsaal und entwickelte eine neue Generation von Programmierverfahren. Wir begannen mit der Erkundung des Netzwerks, der Verknüpfung verschiedener Computer – einem für jede Disziplin (Beleuchtung, Akustik, Tragwerk) – und ließen sie miteinander kommunizieren. Es war, als beobachte man eine Entwurfsbesprechung, bei der Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen einen Entwurf aufgrund ihrer Erfahrungen und Kriterien ablehnen oder genehmigen. Stattdessen berechnete ein Cluster von Computern die Qualität eines vorgeschlagenen Entwurfs und verfügte Änderungen, bis eine Lösung feststand, die alle für gut befanden. Sportübertragungen HDTV-Übertragungen von Sportereignissen in Superzeitlupe verwenden Kameras, die sehr

17.16

anspruchsvoll bei der Ausleuchtung sind. Ein Hauptproblem ist das Flimmern des Flutlichts, das bei extrem verlangsamter Wiedergabe problematisch sein kann. Die Superzeitlupe des modernen HDTV hat das Problem, die Beleuchtung bei Bildwiederholraten von mehr als 150 Bildern pro Sekunde zu stabilisieren. Die Frage ist also: Wie erhalten wir scharfe, brillante Bilder, wenn die Lichtquellen flimmern? Ein Ansatz ist die Mischung verschiedener Gruppen von Beleuchtungskörpern mit je unterschiedlichen Phasen. Gewöhnlich werden drei Phasen gemischt. Doch wie lässt sich die richtige Phase für jede der 500+-Leuchten definieren, damit der Flimmerfaktor an jeder Stelle minimiert wird? Mithilfe genetischer Algorithmen konnten wir das Flimmern durch die optimierte Verteilung der Leuchten über jede der elektrischen Phasen um den Faktor zehn reduzieren.

17.11 17.12 17.13

17.14 17.15

17.16

Raumnavigator Pareto-optimale Möglichkeiten der Dachverglasung Verteilung der Glasscheiben für eine der pareto-optimalen Konfigurationen Mehrdimensionaler Raum Simulation der Sonneneinstrahlung zur Darstellung der Verschattung auf den Gebäudemassen Verfügbarkeit von Sonneneinstrahlung in einem städtischen Innenhof

Stadtoptimierung Beleuchtungsprobleme gibt es in jeder Größenordnung. Bei Bebauungsplänen müssen unweigerlich Kompromisse zwischen dem Bauvolumen und dem zwischen Gebäuden und öffentlichen Plätzen verfügbaren Tages- und Sonnenlicht gemacht werden. Diese Kompromisse sind von vielen lokalen Bedingungen abhängig, wie Gebäuden, Bewölkung, Sonnenstand usw. Heute machen wir uns modernste CDO-Techniken bei der Stadtplanung zunutze und erfüllen gleichzeitig alle Vorgaben für Sonnenlicht auf öffentlichen Plätzen und Straßen (Abb. 17.15 und 17.16). In Situationen mit vielen, teilweise miteinander in Konflikt stehenden Parametern ist CDO besonders leistungsfähig. Vor- und Nachteile treten offen zutage und begünstigen die Diskussion der tatsächlichen Projektziele. Neugier, Leidenschaft für das Unerwartete, aber auch die Aufgeschlossenheit des gesamten Teams inspirieren uns. Oder, um es mit Kristi Shea zu sagen: »Bei der rechnergestützten Entwurfsoptimierung geht es auch darum loszulassen.« Giulio Antonutto-Foi, Andy Sedgwick

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Pioneering passion – Von persönlicher Inspiration zur Arup-Kultur

Faszination Holzbau – Die Entwicklung des LifeCycle Tower (LCT) Autor Carsten Hein, Tragwerksplaner, Arup, Associate

17.37 a

130

Holz ist unbestreitbar eines der ältesten bekannten Baumaterialien. Mit der Entwicklung von Stahlbeton und Stahlbau jedoch und deren vorrangigem Einsatz in der Bauindustrie geriet Holz als Baustoff in Vergessenheit. Heute – aufgrund eines zunehmenden ökologischen Bewusstseins in der Gesellschaft – erlebt Holz eine Renaissance: • Holz ist nachhaltig – und hat eine sehr gute CO2-Bilanz. • Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und ausreichend verfügbar – das bedeutet stabil niedrige Preise. • Holzbauteile können unter Einsatz von Building Information Modelling (BIM) und Computerised Numerical Control (CNC) entwickelt und effizient gefertigt werden – dadurch wird der Bauablauf beschleunigt. • Holz ist ein sehr effektiver Baustoff mit einer hohen Tragfähigkeit bei sehr geringem Gewicht. • Neue und weiter entwickelte Holzwerkstoffe, z. B. Brettschichtholz (Glulam), Brettsperrholz und Furnierschichtholz erlauben effektivere Tragwerke.

planern und Brandschutzexperten zusammen. Wir alle bringen verschiedene und langjährige Erfahrungen im Umgang mit dem Werkstoff Holz ein und sind fasziniert von der Wiederentdeckung des Holzbaus und des Potenzials, das in dem Material steckt. Wir glauben, dass Holzbau mit genau diesem Potenzial ein aktueller und moderner Baustoff ist. 2008 schlossen sich der österreichische Immobilienentwickler Rhomberg und Arup als multidisziplinäres Ingenieurbüro für die Erforschung eines 20-geschossigen Holzgebäudes zusammen. Die Forschung wurde von Österreich im Rahmen der Initiative »Haus der Zukunft« gefördert.

Warum Holzbau – in einem modernen Gebäude? Die Planung und dann die erfolgreiche Fertigstellung des Metropol Parasol in Sevilla waren Auslöser dafür, dass sich im Berliner Arup-Büro ein Holzbau-Kompetenzteam bildete. Es setzt sich aus Tragwerksplanern, Bauphysikern, Fassaden-

Die Aufgabenstellung für das Forschungsprojekt LifeCycle Tower (LCT) Unsere selbst gesetzten Ziele für den LCT waren 20 Vollgeschosse, Kosteneffizienz, Modularität sowie ein sehr hoher Vorfertigungsgrad der einzelnen Bauteile. Mit diesen Maßnahmen werden die Bauzeit verkürzt und die Baukosten gesenkt. Das Hochhaus basiert auf einem Grundriss von ca. 25 ≈ 40 m mit einem 20 ≈ 8,5 m großen zentralen Erschließungskern. Das Untergeschoss sowie die beiden untersten überirdischen Geschosse haben wir als Stahlbetonkonstruktion ausgelegt, die restlichen 18 Geschosse sind in Vollholzbauweise geplant. Die einzelnen Elemente des Holzhochhauses sind:

b

c


Faszination Holzbau – Die Entwicklung des LifeCycle Tower (LCT)

17.38 a

Der Kern Wir untersuchten unterschiedliche Optionen und Lösungsansätze wie z. B. Holztafelbauweise, Brettsperrholz (CLT) und Brettschichtholz (Glulam). Unsere Untersuchungen zeigten, dass die im Kern auftretenden Axialkräfte für die Bemessung und Querschnittsfestlegung maßgebend waren, während die Schubkräfte in den Wandscheiben beinahe vernachlässigbar gering waren. Während Bauteile in Holztafelbauweise aufgrund ihres Aufbaus nur geringe Tragfähigkeiten für Axiallasten aufweisen (die Last kann lediglich über die Pfosten abgetragen werden), wird CLT normalerweise so hergestellt, dass immerhin die Hälfte der Holzfasern in eine Richtung laufen. Glulam-Träger aber sind so aufgebaut, dass alle Holzfasern zu 100 % in Lastrichtung verlaufen. Aufgrund dieser Vergleiche haben wir eine Bauweise mit Glulam als aufgelöste Wandelemente gewählt. Die maximale Elementhöhe von 30 m bei diesem Holzwerkstoff erlaubt außerdem die Reduktion der Montagestöße um ca. 50 %. Der Kern des LCT wird aus 2,5 m langen Wandabschnitten aus Glulam-Trägern zusammengesetzt. Die Träger sind untereinander nur durch die Geschossdecken verbunden. Dieses aufgelöste Kernsystem ist ausreichend stabil, um das Gebäude auszusteifen und hat dabei sehr gute Dämpfungseigenschaften. Eine zusätzliche Koppelung der Vertikalfugen der Wandelemente erhöht den Nutzungskomfort, weil Gebäudeschwingungen unter Windlasten weiter reduziert werden können und so auch anspruchsvollere Nutzungen wie Hotel- oder Wohnnutzung umgesetzt werden können. Dieses deutlich bessere dynamische Verhalten zeigten vergleichende 3D-Gebäudemodelle – wie erwartet – bei Verwendung von starren Verbindungen zwischen den vertikalen GlulamElementen. Aus unseren Studien folgerten wir daher, dass einfache konstruktive Verbindungen zwischen den Wandelementen für ein Gebäude mit 12 –15 Geschossen völlig ausreichend sind. Für höhere Gebäude halten

b

wir zusätzliche Verbindungen in den Vertikalfugen mit eingelassenen bzw. eingeschlitzten Stahlplatten für sinnvoll. Der Vorteil der Kombination aus Wandabschnitten mit Kopplungen ist, dass man ihr dynamisches Verhalten planen und sie den gegebenen Nutzungsbedingungen und Anforderungen entsprechend »einstellen« kann. Durch die unterschiedliche Anzahl von Schrauben, der Stärke des oder der eingesetzten Bleche oder der Menge des Klebers kann die Dämpfung des Gesamtsystems entsprechend angepasst werden. Für die Horizontalstöße wählten wir ebenfalls eingeschlitzte und geschraubte Stahlbleche.

17.39 17.37

17.38

17.39 17.40

LTC ONE, Dornbirn (A) a Blick in den Deckenaufbau b Einbau einer Deckenplatte c Einbau eines Fassadenelements mit integrierten Stützen Computersimulation a FE-Modell des LCT b Farbcodierte dynamische Verformungen unter Windlast, um die Gebäudebewegungen im obersten Stockwerk zu ermitteln 3D-Tragwerksmodell des LCT LTC ONE, Dornbirn (A), Innenansicht

Die Decken Gleich zu Beginn des Projektes wurde das grundlegende Konzept für die Deckenplattenkonstruktion festgelegt. Wir beschlossen eine Hybridlösung zu verwenden, die aus Brettschichtholzträgern und Stahlbeton-Deckenplatten in Verbundbauweise bestand. Holz übernimmt die Zugkräfte bei Biegebelastung der Decke, mit hoher Zugfestigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht; Beton wird für die Druckkraftübertragung eingesetzt und außerdem aus akustischen und brandschutztechnischen Gründen benötigt. Die Holz-Beton-Verbunddecken spannen über 8,1 m und bestehen aus 2,7 m breiten vorgefertigten Elementen. Dabei ergaben sich die Entwurfskriterien in der folgenden Reihenfolge – auf Grundlage der geltenden Normen: • Akustik: Die Normen bezüglich der Trittschalldämmung erfordern eine 12 –18 cm Betondeckschicht (abhängig von dem Bodenaufbau und Ausbau der Geschosse). • Brandabschnitte: Die Geschossdecken begrenzen die einzelnen Brandabschnitte; aus Brandschutzgründen wurde 10 cm starker Beton benötigt (Normanforderung). • Für die Tragfähigkeit einschließlich der Betrachtung von Schwingungen wäre eine Stärke von 6 – 8 cm ausreichend. Für unsere Untersuchungen gingen wir zuerst von 18 cm Brettschichtholzträgern mit 18 cm starken Stahlbetonplatten aus, um alle Anforde17.40

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Pioneering passion – Von persönlicher Inspiration zur Arup-Kultur

Geometrische Architektur 17.47 Autor Francis Archer, Tragwerksplaner, Arup, Associate Director

Schönheit und gemeinsamer Besitz In seinem Buch »Die verborgene Ordnung des Lebens« (1998) versucht der Quantenphysiker David Bohm die Überschneidung des Begriffs »Schönheit« in so unterschiedlichen Disziplinen wie den bildenden Künsten und der Mathematik zu beschreiben. Bohm ist der Ansicht, dass das Bindeglied für die Verwendung des Begriffs in einer Art »interner Kohärenz« bestehe. In der Mathematik sichern strenge Regeln die interne Kohärenz und bei den bildenden Künsten ist es der einzelne Künstler, dessen eigene Weltsicht und Technik in einer internen Kohärenz resultiert. In der Architektur können die Vorgaben eines einzelnen Architekten natürlich im Endergebnis zu dieser Kohärenz führen. Allerdings ist es für einen Architekten fast unmöglich, jede einzelne Entwurfsentscheidung eines großen multidisziplinären Entwurfsteams zu kontrollieren. Um Kohärenz zu erreichen, benötigt der Architekt Hilfe, die aus der Welt der Mathematik kommen kann, sowie eine Reihe einfacher geometrischer Regeln, die von allen Entscheidungsträgern verstanden werden.

Geometrische Regeln im Gebäudeentwurf Geometrie war schon immer die Grundlage der Architektur. Ursprünglich wohl durch Materialzwänge und Bautechniken bestimmt, wurden geometrische Regeln für die Gebäudeplanung zu allen Zeiten und in den meisten Kulturen niedergeschrieben und galten mitunter geradezu als »heilig«. Ähnlich wie beim Schach können wenige einfache mathematische Regeln zu komplexen Systemen und Verhalten führen. Gebäudeplaner stellen häufig so eine Reihe von Regeln auf, um den Entwurf auf eine bestimmte Art zu lenken. Diese einfache »Hintergrund-Geometrie« besteht im Regelfall unter anderem aus dem Gebäuderaster, festgelegten Geschosshöhen sowie aus geometrischen Leitsätzen. Mithilfe dieser grundlegenden Geometrie und dem geometrischen Regelwerk kann jeder Planer den Raum in einheitlicher Weise aufteilen und die zunächst einmal unbegrenzten Auswahlmöglichkeiten einschränken. Natürlich gibt es viele Methoden, die Grundlagen der Geometrie eines Gebäudes festzulegen, von orthogonalen Rastern mit durchgeplanten Abständen bis zu künstlerisch gestalteten Freiformflächen – oder sogar digital gescannten 3D-Objekten. Gleichwohl bedarf es in allen Fällen geometrischer Regeln, wie man von diesen Grundlagen zu den zu fertigenden und zu montierenden Objekten gelangt. Es ist hilfreich, sowohl die geometrischen Grundlagen als auch die Entwurfsregeln möglichst früh im Entwurfsprozess zu entwickeln, zu testen und genau zu dokumentieren. »Total design« lässt sich nach Ove Arups Definition nur dann erreichen, wenn sowohl der Ingenieur als auch der Architekt ihr ganzes Engagement in den Gesamtentwurf einbringen. Im Hinblick auf die Gebäudegeometrie muss auch das Erstellen geometrischer Regeln von beiden gemeinsam entwickelt, vereinbart und verstanden werden. Grand Egyptian Museum, Gizeh Das im Bau befindliche Museum ist ein gutes Beispiel dafür, wie geometrische Regeln zu einer kohärenten Architektur führen können. Nur

17.46

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zwei Kilometer von den Pyramiden in Gizeh entfernt, erstreckt es sich über ein 50 Hektar großes Gelände. Die Gebäude und Landschaftselemente wurden auf einer Serie von Rastern geplant, die wiederum alle mit einem Grundraster verknüpft sind (Abb. 17.49). Das orthogonale 24-m-Grundraster ist – wie die Pyramiden auch – am geografischen Norden (rechtweisend Nord, rwN) ausgerichtet. Der Nullpunkt ist der einzige zu definierende externe Punkt, alles andere ergibt sich aus dem Rastersystem. Alle Radialraster werden durch rationale östliche (x) und südliche (y) Verhältnisse bestimmt, nicht durch Winkel. Dies hat den Vorteil, dass Rasterschnittpunkte trotz des Radialrasters rationale x- und y-Koordinaten für die Überlagerung des modularen orthogonalen Rasters (xy-Raster) haben. Dies wird beispielsweise für die Ausrichtung des orthogonalen modularen Steinpflasters genutzt. Das Dach des Hauptgebäudes wird definiert durch eine gerade Linie vom Nullpunkt zur Spitze der Cheops-Pyramide. Der Hauptgebäudekomplex befindet sich in einem geradlinigen Keil, der durch die vier sich am Nullpunkt treffenden Ebenen festgelegt wird: 9600 · y 24 000 19 200 · y • Rasterebene Ga definiert durch x = 24 000 1800 · y • Dachebene definiert durch z= 24 000 • Rasterebene Aa definiert durch x =

• Fußbodenebene definiert durch z = 0 Zwischen den Rasterebenen Aa und Ga sitzen 384 weitere Radialebenen, jede davon definiert durch (9600 + 25 N) · y x= 24 000 wobei N von 1 bis 383 beträgt. (Einige davon sind Hauptachsen Ab, Ba, Bb, Ca, Cb usw. und beschreiben die radialen Hauptbänder; andere sind Sekundärachsen, die für Elemente innerhalb der Bänder benutzt werden.) Das Gebäude hat ein strenges vertikales Raster von 150 mm, das in Folgendem resultiert:


Geometrische Architektur

17.46 Grand Egyptian Museum, Gizeh, Ausschnitt der lichtdurchlässigen Steinfassade 17.47 Grand Egyptian Museum, Gizeh, Visualisierung 17.48 Geometrische Grundprinzipien für die Ostansicht 17.49 Geometrische Grundprinzipien für den Grundriss 17.50 Hierarchie von Rahmen und Stein in der lichtdurchlässigen Steinfassade

Linie trifft auf die Spitze der Cheops-Pyramide

Nullpunkt Gebäudehöhe = Achsmaß ≈ 1800 mm 17.48

• Alle Setzstufen: 150 mm • Steinfassadenelemente: 600 mm • Terrassierung der Hauptgalerie: 1500 mm • Geschosshöhen: 4,5 m, 6 m, 7,5 m • Raumhöhen: 4,5 m, 6 m Alle Wände und Öffnungen sind so ausgerichtet, dass die Stirnseite der fertigen Wand auf dem Raster liegt und nicht, wie sonst üblich, die Bauteilachse. Das Gebäude wurde so entworfen, dass jede sichtbare Ebene des fertigen Gebäudes (Böden, Decken, Wand- und Glasoberflächen usw.) auf einer der Rasterebenen und jede sichtbare Linie (Wandöffnung, Bodenkante, Verkleidungslinien usw.) auf der Schnittstelle von zwei Rasterebenen liegt. Die Hauptgebäudehülle besteht aus dem Dach und einer lichtdurchlässigen Steinfassade. Jedes dieser Hauptbauteile hat eine komplexe Geometrie, die ebenfalls direkt von den oben beschriebenen Hauptachsen definiert wird. Die Form der gefalteten Dachkonstruktion und von allen zugehörigen Oberflächen außen und Deckenverkleidungen innen lassen sich durch einfache Formeln beschreiben. Mit einer geringen Zahl sorgfältig abgestimmter Eingangsparameter in der Steuertabelle können alle Festlegungen und Abmessungen für das Dach tabellarisch beschrieben werden. Die Stahlbetonflächen im gefalteten Dach haben auf den definierenden Ebenen eine Sichtbetoninnenfläche, wodurch ein perfektes Verschneiden zwischen Wand- und Dachflächen möglich wird. Eine 800 m lange und bis zu 50 m hohe Steinfassade mit offenen Fugen bildet die nördliche und östliche Einfassung des Hauptgebäudes. Sie besteht aus 40 großen Stahlrahmen, deren Streben dem sogenannten Sierpinski-Dreieck folgen. Die in dieser fraktalen Geometrie verbleibende Hierarchie dreieckiger Öffnungen ist mit ebenen Seilnetzen gefüllt, sodass die gesamte Wand mit dreieckigen, lichtdurchlässigen und 40 mm starken Steinplatten verkleidet werden kann (Abb. 17.50). Jede Hierarchieebene des Sierpinski-Dreiecks bestimmt eine statische Höhe, da Stahl und Stein immer bündig mit dem inneren Flansch des Stahls sitzen. Das Ergebnis ist eine fraktal-gemusterte Oberfläche. Francis Archer

Nullpunkt

Ost / West chronologisches Achsmaß

Grundstücksgrenze

Gebäudebreite = Achsmaß ≈ 9600 mm

Linie trifft den Mittelpunkt der Cheops-Pyramide Linie trifft den Mittelpunkt der Mykerinos-Pyramide 17.49

17.50

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Projekte (Auswahl)

Architekt Rogers Stirk Harbour + Partners Alonso Balaguer i Arquitectes associats Bauherr Bodegas Protos Fertigstellung 2008 Leistungsumfang Arup Grundbau, Tragwerk, komplette Technische Gebäudeausrüstung

Weingut Bodegas Protos, Peñafiel, Valladolid, Spanien (E) Das Weingut Bodegas Protos liegt 180 km nordwestlich von Madrid und verarbeitet jährlich 1 Million Trauben und füllt 3 Millionen Flaschen Wein ab. Der einzigartige Entwurf von Rogers Stirk Harbour + Partners weist fünf parallel angeordnete Tonnengewölbe auf, die von einer laminierten Holzkonstruktion getragen werden. Die kühle Lagerung des Weins wird über den effektiven Einsatz der thermischen Bodenmasse erbracht. Die südliche Fassade ist durch einen 9 m langen Dachüberhang vor der Sonne geschützt, die westliche Fassade dagegen durch feststehende Sonnensegel. Die schnelle Bauzeit von nur 9 Monaten wurde im Wesentlichen durch ein innovatives Tragwerkssystem erreicht, welches ohne temporäre Leergerüste auskam.

Architekt Arup Associates Bauherr Citigroup Fertigstellung 2008 Leistungsumfang Arup Umfassende Entwurfsleistungen von Arup Associates, LEED-Zertifizierung, LEED-Inbetriebnahme

Citi Data Center, Frankfurt am Main (D) Das Citi Data Center verfügt auf einer Bruttofläche von 9300 m2 über einen Administrationstrakt und getrennte Lagerbereiche. Eine nachhaltige, ressourcenschonende Bauweise und hohe Sicherheitsstandards (Tier IV) hatten für den Bauherrn absolute Priorität. So umfasst das Projekt eine ganze Reihe von umwelttechnischen Maßnahmen, z. B. eine mit Pflanzen bewachsene »Grüne Fassade«, die mit gespeichertem Regenwasser bewässert wird. Bei all diesen Maßnahmen musste darauf geachtet werden, dass die Ökologie nicht die Zuverlässigkeit der Anlage beeinträchtigt. Insgesamt wurden durch das Projekt in puncto Nachhaltigkeit bei Datenzentren völlig neue Standards gesetzt. Das Citi Data Center ist das erste Datenzentrum weltweit, welches eine LEEDZertifizierung in Platin erhielt und das erste LEED-zertifizierte Gebäude in Deutschland überhaupt.

Architekt Thompson Ventulett Stainback & Associates Bauherr Sama Dubai Fertigstellung 2008 Leistungsumfang Arup Bis dato erfolgte die Planung nur bis zur Entwurfsphase

Dubai Towers, Dubai (UAE) Die Dubai Towers stellen ein Landmarke innerhalb des Entwicklungsprojekts »The Lagoons« am Dubai Creek dar. Als Projekt mit unterschiedlicher Nutzung besteht es aus vier effektvoll gestalteten Hochhäusern unterschiedlicher Höhe, die auf einem Podest stehen und von einer künstlichen Lagune umgeben sind. Der mit 563 m höchste der vier Türme zeichnet sich durch eine der anspruchsvollsten Geometrien aus, die je für ein Hochhaus dieser Größenordnung entworfen wurden. Unter dem Podest soll eine achtgeschossige Einkaufspassage Platz finden, die einschließlich Tiefgarage eine Fläche von 631 725 m2 einnimmt. Arup optimierte das Tragwerk – eine Leistung, welche die drei zuvor beauftragten Ingenieurbüros nicht erbringen konnten. Das überarbeitete Tragwerk würde 95 000 t an Stahl und 96 000 m3 an Beton einsparen, was einer finanziellen Einsparung von 465 Millionen Euro gleichkäme.

Architekt Rogers Stirk Harbour + Partners Bauherr Maggie’s Centre Trust Fertigstellung 2008 Leistungsumfang Arup Tragwerk, komplette Technische Gebäudeausrüstung

Maggie’s Centre, London (GB) Maggie’s Centres sind Krebshilfezentrum weltweit, die in Therapie und Beratung einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und den Erkrankten auch emotionale und unbürokratische Hilfe anbieten. Ein jedes befindet sich in der Nähe zu einem auf Krebsbehandlung spezialisierten Krankenhaus und macht es so möglich, dass die Patienten während ihrer Behandlung eine Auszeit nehmen können. Die neue, vielfach preisgekrönte Einrichtung im Stadtteil Hammersmith – u. a. erhielt sie den RIBA Stirling Prize 2009 – wurde von Rogers Stirk Harbour + Partners entworfen. Sie umfasst Therapieräume, Büros, Küchen sowie außen liegende Höfe und Gärten. Es wurde darauf geachtet, einen Bau zu entwickeln, dessen offene und freundliche Atmosphäre sich von einem klassischen Krankenhaus unterscheidet. Arup war auch an der Errichtung von Maggie’s Centres in Dundee, Swansea und Hongkong beteiligt.

Architekt Tange Associates Bauherr Mode Gakuen Fertigstellung 2008 Leistungsumfang Arup Tragwerksplanung

Mode Gakuen Cocoon Tower, Tokio (JP) Mit seiner Höhe von 204 m und 50 Geschossen ist der Mode Gakuen Cocoon Tower das zweithöchste Gebäude der Welt, in dem ausschließlich Bildungseinrichtungen (u. a. eine Modefachschule, eine Schule für Computertechnik und eine medizinische Fakultät) untergebracht sind. Insgesamt studieren hier etwa 10 000 Studenten. Der expressive Entwurf hat großes öffentliches Interesse auf sich gezogen. Die Fassade aus weißem Aluminium und dunkelblauem Glas bildet eine Art Muschel, die von einem komplexen Netzwerk diagonaler Linien – diese brachten dem Bau den Beinamen »Cocoon« (Kokon) ein – durchzogen wird. Die herausragende Ästhetik und die Funktionalität des Tragwerks wurden von der Bauindustrie anerkannt und 2008 mit dem Preis »Skyscraper of the Year« von Emporis ausgezeichnet.

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2008 – 2009

Singapore Flyer, Singapur (SG) Mit einer Höhe von 165 m – vergleichbar der Höhe eines 42-geschossigen Bauwerks – ist der Singapore Flyer das größte Riesenrad weltweit. Arup entwickelte auf Basis seiner Erfahrungen von der Konstruktion des London Eye eine einzigartige Speichenradkonstruktion. Sie liefert gleichzeitig Widerstand gegen das radiale Ausknicken in der Ebene des Rades sowie gegen das Drillknicken entlang der Achse des Druckrings. Das Ergebnis ist eine zweidimensionale leiterartige Tragstruktur, was eine besonders leichte Bauweise ermöglichte. Die örtlich auftretenden starken Winde stellten eine weitere Herausforderung dar. Windkanaltests und dynamische Modelle waren erforderlich, um eine Lösung zu generieren, die das Wohlbehagen und die Sicherheit der Passagiere bei windigem Wetter garantiert.

Architekt Kisho Kurokawa architect & associates DP Architects Bauherr Singapore Flyer Pte. Ltd. Melchers Project Management Fertigstellung 2008 Leistungsumfang Arup Tragwerk, Grundbau, Heizung / Lüftung, Elektroplanung, Brandschutz, Verkehrsplanung

1 Bligh Street, Sydney (AUS) 1 Bligh Street ist Sydneys erstes Hochhaus, das mit sechs Sternen des australischen Nachhaltigkeitszertifikats »Green Star« ausgezeichnet wurde. Die doppelschalige Fassade, eine Bauteilkühlung in den unmittelbaren Bereichen der Fassade, das natürlich belüftete, über 30 Geschosse reichende Atrium und die effiziente hybride Haustechnik sind einige wichtige Faktoren, die zu der hohen Nachhaltigkeit des Bauwerks beitragen. Durch die erstmalige Anwendung von SchmutzwasserRecycling in einem Bürohochhaus werden 100 000 Liter Trinkwasser am Tag eingespart. Die elliptischen Etagengrundrisse ermöglichen es, dass 74 % der Arbeitsplätze maximal 8 m entfernt von der Außenfassade oder Fassade des Atriums liegen, wodurch die Arbeitsplätze einen hohen Tageslichtanteil besitzen und die viele der hier arbeitenden Menschen entsprechende Panorama-Ausblicke haben.

Architekt Ingenhoven Architects Architectus Bauherr Grocon Fertigstellung 2009 Leistungsumfang Arup Tragwerk, Fassadenplanung, Elektroplanung, Heizung / Lüftung, Brandschutz, Akustik, Lichtdesign

Campus Palmas Altas, Sevilla (E) Mit diesem Projekt wurde der erste private Technologiepark in Andalusien realisiert, der sich ganz der Innovation verschrieben hat. Der Entwurf war komplett auf Nachhaltigkeit ausgerichtet, sodass viel Energie eingespart und der CO2-Ausstoß um 30 % gesenkt werden konnte. Zur Erreichung dieser Ziele setzte Arup konsequent auf aktive und passive Energieeinsparstrategien, die auch die Wirtschaftlichkeit weiter erhöhten. Dies gelang durch eine genaue Ausrichtung der Gebäude, den Entschluss, kompakte Baumassen zu bilden, die Dächer zu begrünen und den Sonneneintrag durch die Fassadengestaltung zu steuern. Die Anlage mehrerer Gebäude und Grünflächen um einen zentralen Platz kam zudem dem Wunsch des Nutzers entgegen, für die hier arbeitenden Menschen ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen und die Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten zu verbessern.

Architekt Rogers Stirk Harbour + Partners Vidal y Asociados arquitectos Bauherr Centro Tecnológico Palmas Altas (Abengoa) Fertigstellung 2009 Leistungsumfang Arup Tragwerk, komplette Technische Gebäudeausrüstung, Brandschutz, Fassadenberatung

The Art Institute of Chicago, Modern Wing, Chicago (USA) Das weltberühmte, auf eine private Stiftung zurückgehende Kunstmuseum in Chicago mit angeschlossener Kunsthochschule eröffnete im Mai 2009 den der Kunst des 20. und 21. Jahrhundert gewidmeten Modern Wing. Als nunmehr zweitgrößtes Kunstmuseum der USA verfügt die viergeschossige Galerie über 23 000 m2 Ausstellungsfläche, die sehr gut an die anderen Museumsbereiche angebunden ist. Arup unterstützte Renzo Piano bei dem Entwurf des Dachtragwerks, das den Anschein erweckt, als würde es schweben, und daher »fliegender Teppich« genannt wird; es ist ein essenzieller Bestandteil der gelenkten, gesteuerten und gefilterten Belichtung der Galerien mit Tageslicht.

Architekt Renzo Piano Building Workshop Bauherr The Art Institute of Chicago Fertigstellung 2009 Leistungsumfang Arup Tragwerk, komplette Technische Gebäudeausrüstung, Brandschutz, Licht- und Akustikdesign

The Vance Building, Seattle (USA) 2006 erwarben die Jonathan Rose Companies das Art-décoGebäude aus dem Jahr 1929 mit dem Ziel, es in das nachhaltigste und gesündeste Bauwerk der Stadt zu verwandeln. Arup beriet den Bauherrn bei der Entwicklung kosteneffizienter »grüner« Strategien. Durch eine Reihe von Veränderungen im Gebäude und an seiner Haustechnik, die auch die Erhaltung einiger charakteristischer Entwurfskomponenten aus der Erbauungszeit beinhaltete, erhielt das Vance Gebäude die LEED-Zertifizierung in Gold und eine Energiebewertung von 96, womit es unter die obersten 4 % der Bürobauten in den USA kam. Die hohe Nachfrage nach »grünem« Büroraum steigerte die Auslastung von 68 % auf heute über 90 %.

Architekt Zimmer Gunsul Frasca Architects (ZGF Architects) Bauherr Jonathan Rose Companies Fertigstellung 2009 Leistungsumfang Arup Beratung im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Technische Gebäudeausrüstung, Energieberatung hinsichtlich der Fassade, komplette Technische Gebäudeausrüstung, LEED-EB-Beratung, fortwährende Nachhaltigkeitsberatung

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