ZOLLVEREIN – WELTERBE UND ZUKUNFTSWERKSTATT
Herausgegeben von Hermann Marth für die Stiftung Zollverein
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GRUSSWORT – SCHICHT IM SCHACHT
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GRUSSWORT – GLÜCK AUF!
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VORWORT – DER ZOLLVEREIN-EFFEKT
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ZOLLVEREIN – WELTERBE UND ZUKUNFTSWERKSTATT
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PROLOG – DIE GRÖSSTE UND SCHÖNSTE ZECHE DER WELT
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UNTERNEHMERISCHER MUT – VOM GRUBENFELD ZUM DENKMAL: EIN HISTORISCHER ÜBERBLICK
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VOM LEUCHTTURMPROJEKT DER IBA ZUM WELTERBE
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DER MASTERPLAN VON REM KOOLHAAS – DIE ENTWICKLUNGSGRUNDLAGE DES WELTERBES
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DER ZOLLVEREIN PARK
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UMBAU – DIE KOHLENWÄSCHE WIRD ZUM RUHR MUSEUM
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STRATEGISCHE LEITLINIEN FÜR DIE QUARTIERSENTWICKLUNG
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DIE KOKEREI – EIN QUARTIER MIT URBANEM CHARAKTER
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EIN STANDORT FÜR BILDUNG UND WIRTSCHAFT – NEUBAUTEN UND UMBAUTEN AUF SCHACHT 1/2/8
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AUSBLICK IN DIE BEGONNENE ZUKUNFT
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CHRONIK
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AUSZEICHNUNGEN UND PREISE (AUSWAHL)
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VERWENDETE UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR
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BILDNACHWEIS
C [Kokerei]
C83
C108
C89 C110 C90
[Halde]
A
[Castell]
A4
A [Schacht XII]
Schacht XII A2 Halle 2 [Umformer- und Schalthaus] A4 Halle 4 [Fördermaschinenhalle Süd] A5 Halle 5 [Zentralwerkstatt] A6 Halle 6 [Elektrowerkstatt] A7 Kesselhaus A9 Halle 9 [Niederdruckkompressorenhaus] A10 Halle 10 [Lagerhalle] A12 Halle 12 [Lesebandhalle] A14 Kohlenwäsche A35 SANAA-Gebäude Schacht 1/2/8 B43 Maschinenhalle B45 Waschkaue B52 Baulager B57 Direktion B60 Folkwang Universität der Künste, Fachbereich Gestaltung
C78 B60
Kokerei C70 Mischanlage C78 Stellwerk C83 Sauger- und Kompressorenhalle C88 Salzlager C89 Salzfabrik C90 Kammgebäude C108 RAG Montan Immobilien C110 RAG-Stiftung/RAG Aktiengesellschaft
B57
A10
B [Schacht 1/2/8]
ZOLLVEREIN – WELTERBE UND ZUKUNFTSWERKSTATT
Die Publikation ZOLLVEREIN – Welterbe und Zukunftswerkstatt dokumentiert die Umwandlung der Zeche und Kokerei Zollverein zum Standort für Kreativwirtschaft, Kultur, Design und Bildung. Zahlreiche Pläne und Strategien, kreative Ideen, Mut und große Erfolge pflasterten diesen Weg, der 1986 mit der Schließung der einst größten Steinkohlenförderanlage der Welt begann. Denkmalstatus, Leuchtturmprojekt der IBA Emscher Park, Ernennung zum UNESCO-Welterbe, Masterplan, Umbau der Kohlenwäsche für das Ruhr Museum, Zollverein Park und der Neubau für die Folkwang Universität der Künste waren Meilensteine, hinter denen kluge, namhafte Köpfe wie Rem Koolhaas, Norman Foster oder Karl Ganser, Büros wie SANAA, Agence Ter und Böll & Krabel sowie progressive Stadtentwicklungs- und Denkmalbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen, die Stadt Essen und die Stiftung Zollverein stehen. Erfolge, die eine eigene Geschichte schrieben, Maßnahmen, die das Industrieerbe des Ruhrgebiets in die Zukunft führen und ein Prozess, der Vorbildcharakter hat. In Anlehnung an den Bilbao-Effekt, der die erfolgreiche Quartiersentwicklung in der nordspanischen ehemaligen Industriestadt bezeichnet, prägte die Stiftung Zollverein den Begriff „Zollverein-Effekt“, der das Potenzial des Standorts treffend ausdrückt. Dank der ganzheitlichen
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Quartiersentwicklung ist das Welterbe Zollverein heute ein internationales Vorzeigebeispiel für die Transformation industrieller Standorte und für den denkmalgerechten Umgang mit herausragenden Zeugnissen der Industriegeschichte. Der Erfolg basiert auf einer kontinuierlichen städtebaulichen Planung im Spannungsfeld zwischen denkmalgeschützten vorhandenen Strukturen und neuen Ideen. Der eigens entwickelte Masterplan von Rem Koolhaas (OMA) und das Prinzip „Erhalt durch Umnutzung“ bilden die Grundlage für alle baulichen Aktivitäten auf dem Gelände. Die Entwicklungen der letzten 30 Jahre auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein sind eine Antwort auf die Frage, wie der Denkmalschutz mit den divergierenden Zielen von Stadtentwicklung, Kreativwirtschaft und Architektur in Einklang gebracht werden kann. Der vorliegende Band stellt die Einzelprojekte, die 2018 zu großen Teilen verwirklicht sind, vor und dokumentiert in Text und Bild die gelungene Metamorphose der ehemaligen Industrieanlage in ein internationales Best-PracticeModell für den Umgang mit industriellem Erbe.
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ZOLLVEREIN – WELTERBE UND ZUKUNFTSWERKSTATT
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ZOLLVEREIN – WELTERBE UND ZUKUNFTSWERKSTATT
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PROLOG – DIE GRÖSSTE UND SCHÖNSTE ZECHE DER WELT
Die Zeche Zollverein in Essen war einst die größte und ist noch heute eine der schönsten, architektonisch und funktional faszinierendsten Steinkohlenförderanlagen der Welt. Das 1847 gegründete Bergwerk symbolisiert wie kein anderer Ort Beginn und Ende des Industriezeitalters und schrieb fast 140 Jahre lang deutsche Industrie- und Wirtschaftsgeschichte. Als sich am 1. Februar 1932 zum ersten Mal die Räder am berühmt gewordenen Doppelbock-Fördergerüst über der Zentralschachtanlage Zollverein XII drehten, wurde die Zeche zu einem industriellen Hochleistungskomplex. Mit der Gestaltung von Schacht XII waren Fritz Schupp und Martin Kremmer beauftragt worden. Die beiden Architekten hatten bereits Erfahrungen mit dem Industriebau im Ruhrgebiet, doch dieser Auftrag war eine besondere Herausforderung: Zum ersten Mal sollte eine vollständig rationalisierte Schachtanlage mit weitgehend automatisierten Arbeitsabläufen entstehen, die sich an den Prinzipien des Fordismus und Taylorismus orientierte. Das Ergebnis, das Ingenieure und Architekten in enger Zusammenarbeitet realisierten, galt von Beginn an als technisches und ästhetisches Meisterwerk der Moderne und sorgte in der Fachwelt international für große Aufmerksamkeit. Aus der bereits überaus
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erfolgreichen Zeche Zollverein war durch Schacht XII eine Musterzeche geworden, die auch dem Repräsentationsbedürfnis des Eigentümers Vereinigte Stahlwerke AG Rechnung trug. Die Architekten formulierten diesen Anspruch ebenfalls: „Wir müssen erkennen, dass die Industrie mit ihren gewaltigen Bauten nicht mehr ein störendes Glied in unserem Stadtbild und in der Landschaft ist, sondern ein Symbol der Arbeit, ein Denkmal der Stadt, das jeder Bürger mit wenigstens ebenso großem Stolz dem Fremden zeigen soll, wie seine öffentlichen Gebäude.“1 Am 23. Dezember 1986 wurde die Zeche stillgelegt und noch im gleichen Jahr wurden Teile der Anlage offiziell zum Denkmal erklärt. Im Jahr 2001 wurden die Schachtanlage XII, die Gründerschachtanlage 1/2/8 und die ebenfalls von Fritz Schupp entworfene Kokerei Zollverein als „Industriekomplex Zeche Zollverein“ in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. In der Begründung hieß es unter anderem: „Der Bergbaukomplex Zeche Zollverein ist ein außerordentliches Kulturdenkmal dank der Tatsache, dass seine Gebäude herausragende Beispiele für die Anwendung von Gestaltungskonzepten der architektonischen Moderne auf einen ganzen industriellen Komplex sind.“
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Martin Kremmer zählt mit seinem Büropartner Fritz Schupp zu den bedeutendsten Industriearchitekten Deutschlands.
Der Architekt Fritz Schupp entwarf gemeinsam mit Martin Kremmer die Zentralschachtanlage Zollverein XII. In den 1950er Jahren plante Schupp außerdem die Kokerei Zollverein.
Das Bergwerk Zollverein war damit das größte und
Zollverein Schacht XII am 23. Dezember 1986 stillzule-
leistungsfähigste weltweit. Die Übertageanlagen von
gen – als letzte von insgesamt rund 290 Zechen in Essen,
Schacht XII mit ihrer an den Prinzipien von Symme
der ehemals größten Bergbaustadt Europas. Zollverein
trie und Funktionalität orientierten Architektursprache
markiert damit sowohl den Anfang als auch das Ende
wurden bereits kurz nach Inbetriebnahme zur schöns-
der Epoche der Schwerindustrie in Deutschland.
ten Zeche des Ruhrgebiets erklärt und als Gesamtkunst-
Die ursprüngliche Funktion der Zeche ging mit ihrer
werk der Bergbauarchitektur gefeiert.1 Zollverein galt
Stilllegung unweigerlich verloren. Nachdem die Schlie-
von nun an als eine Ikone der deutschen Industriearchi-
ßung feststand, bildeten sich unterschiedliche Posi-
tektur und bedeutendes Monument der Moderne.2 Von
tionen zur Zukunft der Industrieanlage heraus. In den
1957 bis 1961 wurde westlich von Schacht XII in räum-
1980er Jahren standen Abrisspläne dem wachsenden
lich-funktionaler Anbindung an die Zeche und erneut
Bewusstsein gegenüber, dass die Zeche Zollverein ein
nach Plänen von Fritz Schupp die Kokerei Zollverein
herausragendes Zeugnis für fast 150 Jahre Bergbauge-
gebaut, die nach einer Erweiterung in den 1970er Jahren
schichte, Monument des Industriezeitalters und archi-
zur größten Zentralkokerei Europas wurde.
tektonisches Meisterwerk zugleich ist. Mehrere Jahre dauernde Verhandlungen gingen der Entscheidung
Niedergang und Schließung der Zeche (1957–1986)
voran, Zollverein unter Denkmalschutz zu stellen.
Ende der 1950er Jahre und in den 1960ern geriet der
Eine Arbeitsstätte als Denkmal?
Kohleabsatz in Deutschland ins Stocken und im Ruhrgebiet setzte das sogenannte Zechensterben ein. Preis-
In den 1970er und 1980er Jahren wuchs im Ruhrge-
günstige Importkohle machte der heimischen Kohle ab
biet allmählich ein Bewusstsein für den baulichen
1957 Konkurrenz, darüber hinaus dienten Erdöl und
Erhalt von stillgelegten Industrieanlagen. Für viele
später auch Erdgas zunehmend als Brennstoff. Die Zahl
jedoch waren die teils riesigen Anlagen Mahnmale
der im Bergbau Beschäftigten verringerte sich von nun
der Schwerindustrie, die das Ruhrgebiet mehr als ein
an drastisch. 1983 entschied die Ruhrkohle AG (RAG),
Jahrhundert lang massiv und ohne Rücksicht geprägt
UNTERNEHMERISCHER MUT
42
„Nicht gespreizte Großmannssucht, nicht liebliche Tünche über harten Wirklichkeiten wird den Charakter dieser repräsentativen Bauwerke bestimmen, sondern Ernst und Bedeutung der Arbeit, die in den hinter ihnen liegenden Werken geleistet wird.“3 Fritz Schupp und Martin Kremmer
Bergleute nach der letzten Schicht auf Zollverein am 23. Dezember 1986
43
„Mit dem Umbau des ehemaligen Kesselhauses zum Design Zentrum Nordrhein Westfalen durch Lord Norman Foster wurde eine Inkunabel geschaffen, die nicht nur für den architektonischen und denkmalpflegerischen Ansatz auf Zollverein steht, sondern weltweit Maßstäbe für die Umnutzung von alten Industrieanlagen gesetzt hat.“7 Dr. Birgitta Ringbeck Blick in das Kesselhaus während des Umbaus
Ausstellungsräume des Red Dot Design Museums im umgebauten Kesselhaus. Das Museum präsentiert auf fünf Etagen rund 2000 Exponate zeitgenössischen Produktdesigns, die mit dem Red Dot ausgezeichnet wurden.
VOM LEUCHTTURMPROJEKT DER IBA ZUM WELTERBE
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„Zwei wesentliche Anliegen der Stiftung Zollverein sind die Vermittlung des UNESCOWelterbes Zollverein einerseits und seine Belebung durch kulturelle Angebote andererseits. Führungen auf dem Denkmalpfad sowie Veranstaltungen wie die ExtraSchicht und das Zechenfest haben seit vielen Jahren Tradition und erfreuen sich stets großer Beliebtheit. Zollverein ist zum wichtigsten kulturellen Anziehungspunkt der Region geworden und darauf sind wir sehr stolz.“ Jolanta Nölle, Mitglied des Vorstands der Stiftung Zollverein
Kessels sowie den Erhalt der Außenhüllen der restlichen
der 1979 abgerissen worden war, wurde ein Lastenauf-
Kessel. Die entkernten Kessel ließ Norman Foster an der
zug eingebracht. Mehrmals schlug die Denkmalpflege
Rückseite aufschneiden und stattete sie mit Zwischen
die Wiedererrichtung des Schornsteins vor, doch durch
ebenen aus, sodass insgesamt rund 2200 Quadratmeter
den Einbau des Aufzugs wurde die Idee bis auf Weiteres
Ausstellungsfläche für das vom Design Zentrum Nord-
unrealisierbar.
rhein Westfalen eingerichtete Red Dot Design Museum
Aufgrund des Erneuerungsumfangs stand Mitte der
entstanden. Die verschiedenen Räume und Ebenen im
1990er Jahre erstmals die Frage im Raum, ob das Kes-
32 Meter hohen Schürerstand, in dem einst der Schü-
selhaus weiterhin als Denkmal eingestuft werden könne.
rer das Feuer in den riesigen Dampfkesseln anheizte,
Zwar waren die Kessel überwiegend entkernt worden,
und in den Kesseln wurden durch an Stahlrohren auf-
doch die Grundstruktur und die Innenarchitektur des
gehängte Laufgänge miteinander verbunden, die sich
Gebäudes waren weiterhin gut erkennbar, sodass die
zu den Seiten hin in den Raum öffnen. Der Vorbau des
Entscheidung positiv ausfiel. Karl Ganser wies darauf
Kesselhauses wurde entkernt und dient heute als Foyer
hin, dass der erfolgreiche Umbau des Kesselhauses
mit Ticketschalter und Garderobe.
ein entscheidender Faktor für den späteren Umbau der
Das Kesselhaus war zum Zeitpunkt der Arbeiten bereits
Kohlenwäsche sowie für die Unterschutzstellung von
seit zehn Jahren stillgelegt, entsprechend groß waren
Schacht 1/2/8 und Kokerei war.
die Verfallserscheinungen an der Gebäudehülle. Die Architekten Böll & Krabel diagnostizierten die Notwen-
Gründung der Stiftung Zollverein
digkeit, einen Großteil der Fassaden auszutauschen und entwickelten eine eigens auf das Gebäude und
Bereits früh wurden erste Überlegungen angestellt,
die zukünftige Nutzung als Ausstellungshalle abge-
welche Rechtsform die zeitlich begrenzte Bauhütte ablö-
stimmte Lösung – ein Beispiel für die zweite Phase der
sen sollte – dies sah die Satzung der Baugesellschaft
Tätigkeit von Böll & Krabel auf Schacht XII unter dem
vor. Zur Option standen die Gründung einer GmbH
Stichwort „Rekonstruktion“. Wo früher der 106 Meter
oder einer rechtsfähigen Stiftung. Die Entscheidung fiel
hohe Schornstein des Kesselhauses gestanden hatte,
schließlich zugunsten einer gemeinnützigen Stiftung
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VOM LEUCHTTURMPROJEKT DER IBA ZUM WELTERBE
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Die Eisbahn inmitten der beeindruckenden ehemaligen Produktionsanlagen der Kokerei verzaubert jährlich Tausende Besucher.
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DER MASTERPLAN VON REM KOOLHAAS – DIE ENTWICKLUNGS GRUNDLAGE DES WELTERBES
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„Es gab Zeiten, da hat man ein Zechengelände und seine Fördertürme für unnützes Alteisen, für Schrott gehalten und sie eingerissen. Wir dürfen keine Analphabeten der Erinnerung werden.“1 Johannes Rau, ehemaliger Bundespräsident
EU-Förderung für das größte Strukturwandelprojekt
richtung „Plattform Design“ und eine Design-Weltaus-
des Ruhrgebiets
stellung unter dem Arbeitstitel „Interform“. Aus einer auslaufenden Förderperiode der EU standen
Parallel zur sukzessiven Öffnung des Areals bestand
zu diesem Zeitpunkt Fördermittel in Aussicht: Das Ziel-
die grundlegende Aufgabe weiterhin darin, die Sanie-
2-Programm der EU und des Landes Nordrhein-West-
rung der denkmalgeschützten Hallen und Gebäude
falen zur Unterstützung strukturschwacher Regionen
voranzutreiben. Für diesen Zweck wurde für Zollverein
sollte den Strukturwandel fördern und die regionale
seit Ende der 1990er Jahre ein EU-Großprojektantrag
Wettbewerbsfähigkeit stärken. 1999 beschloss die EU,
erarbeitet. Das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt
den Essener Norden im Jahr 2006 aus der Förderung
Essen, die Bauhütte und die Geschäftsführung der IBA
herauszunehmen, weshalb letztmalig Mittel bereitge-
zogen anlässlich des IBA-Finales im Jahr 1999 Bilanz
stellt wurden. Ende des Jahres beantragte die Stadt
und kamen zu dem Schluss, dass neben der weiterhin
Essen daraufhin, die in der Denkschrift entwickelten
fehlenden Gesamtstrategie für Zollverein vor allem die
Projekte auf Zollverein für eine EU-Förderung vorzu-
Finanzierung der geplanten Sanierungsprojekte sicher-
schlagen.
zustellen sei. IBA-Geschäftsführer Karl Ganser initiierte
Das erwartete Investitionsvolumen wurde mit rund
daraufhin eine Denkschrift in Abstimmung mit Land
50 Millionen Euro veranschlagt, weshalb Zollverein zu
und Stadt.
den sogenannten EU-Großprojekten zählte. Entspre-
Bereits Ende 1999 lagen die Arbeitsergebnisse vor: In
chend aufwendig war das Antragsverfahren. Mehr als
der Denkschrift Zollverein 2010 forderte der Arbeitskreis,
ein Jahr dauerte die Erarbeitung der Antragsschrift,
dass Zollverein künftig nicht nur Kultur-, sondern glei-
mit der Vertreter der Landesministerien für Wirtschaft,
chermaßen auch Wirtschaftsstandort mit zukunftsorien-
Wissenschaft und Städtebau betraut waren, die zudem
tierten neuen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor
ausgewählte Experten heranzogen, darunter für den
sein müsse. Darüber hinaus schlugen die Verfasser vor,
Baustein „Ruhr Museum“ Prof. Dr. Ulrich Borsdorf und
drei neue Institutionen auf Zollverein anzusiedeln – das
für den Baustein „Interform“ Prof. Dr. Peter Zec. Es galt,
Ruhr Museum, die Forschungs- und Ausbildungsein-
die einzelnen Projektelemente detailliert auszuarbeiten
87
DER MASTERPLAN VON REM KOOLHAAS
92
0
93
40m
80m
120m
Der Masterplan von Rem Koolhaas (OMA) unterteilt das 100 Hektar große Gelände in Quartiere mit unterschiedlichen Funktionen. Bis heute ist der Masterplan Grundlage für alle baulichen Aktivitäten auf dem Welterbe.
LEGENDE:
Wegesystem: Luftbrücken Straßen Ringpromenade Weg auf dem Damm Wege auf den Halden wichtige Wegeverbindungen Parkplatz Plätze Gebäude
Gleisharfe: Gleisharfe mit Schienenwegen Bahnsteig Gleisharfe mit Gartenplattform Gleisharfe mit Plattform / temporärer Pavillon Gleisharfe mit wassergebundener Wegedecke Gleisharfe mit Birkenstreifen Gleisboulevard mit Betonplatten als Querung Vegetation: Wald „Lichter Wald“ Lichtung Freie Grünflächen Rodungsrasenflächen
01
Neue Gärten Sukzessionsgärten Gärten in Becken Wald außerhalb Zollverein
214
Boden für Rasen Waldboden unfruchtbarer Boden Schotter Feinschotter
Freiraum-Masterplan von Agence Ter
DER ZOLLVEREIN PARK
106
Blick in den Zollverein Park: Die ehemalige Mannschaftsbrücke ist heute für Besucher zugänglich.
nicht an den Bewegungsrichtungen der Funktionsab-
Kontinuierliche Pflege: Die Realisierung des Zollverein
läufe von Zeche und Kokerei orientiert, sondern den
Parks
historischen Kern der Anlage wie ein Ring umschließt. Gleichzeitig sollten charakteristische vorhandene Ele-
Im Februar 2005 schrieb die EGZ einen Realisierungs
mente sichtbar erhalten werden. Daher schlugen die
wettbewerb für die Gestaltung der Außenbereiche des
Landschaftsarchitekten vor, an ausgewählten Stellen
Denkmalareals aus, den sogenannten Zollverein Park.
auch die spezifischen Böden des Industriedenkmals zu
Die Wettbewerbsteilnehmer sollten Entwurfslösungen
bewahren und entsprechend zu präparieren. So wurde
für die im Freiraum-Masterplan skizzierten Bausteine
beispielsweise auf der Halde, auf der Ulrich Rückriem
des Parks erarbeiten – inklusive konkreter Konzepte für
sein C astell platzierte, der schwarze Rohboden, der
die Pflege des Zollverein Parks, die Beleuchtung, ein Leit-
aus nicht verwittertem Gestein und Rückständen von
und Orientierungssystem und die Einbindung künstleri-
Kohlenschlamm besteht, erhalten. Mithilfe von Subs-
scher Elemente. Ein interdisziplinäres Team, bestehend
traten wird ein vollständiger Bewuchs der stark ver-
aus Planergruppe Oberhausen (Landschaftsarchitektur),
dichteten Fläche langfristig verhindert.
Licht Kunst Licht (Beleuchtung), Observatorium Rotter
Ein zentraler Bestandteil des Freiraum-Masterplans
dam (Kunst) und F1rstdesign.com (Orientierung),
ist darüber hinaus die touristische Infrastruktur im
gewann den Wettbewerb.
Außenraum. Der sogenannte Gleisboulevard – die
Die Jury hob bei ihrer Entscheidung besonders den
Schienenstränge, die von Schacht XII bis zur Kokerei
Ansatz des Siegerentwurfs hervor, den Park mit
führen – wurde zum „Rückgrat“ des multifunktionalen
seinen unterschiedlichen Landschaftsbildern – von der
Parks. Das neue Wegesystem mit den Hauptbestand-
gepflegten Rasenfläche entlang der Gebäude bis zum
teilen Gleisboulevard und Ringpromenade wurde mit
Industriewald – durch kontinuierliche Pflege langsam zu
dem bestehenden Wegenetz der angrenzenden Stadt-
entwickeln, ohne neue Pflanzenbestände einzubringen.
teile verbunden und mit den neu zu schaffenden Park-
Wichtigstes Element des Entwurfs aber sind die Besu-
plätzen auf dem Welterbe-Gelände verknüpft.
cher, denn erst sie machen die Landschaft zum Park.
107
DER ZOLLVEREIN PARK
114
Der Zollverein Park ist ein beliebtes Naherholungs gebiet. Eine kontinuierliche Pflege des Parks stellt sicher, dass die Industrie natur in ausgewählten Bereichen den Blick auf die Schachtanlagen freilässt.
115
Die Geschichte des Ruhrgebiets als Industrieregion wird auf der 6-Meter-Ebene erzählt. Die Dramaturgie dieses Ausstellungsbereichs folgt dem Aufbau eines klassischen Schauspiels in fünf Akten. Der Raumeindruck wird durch 96 mächtige Betonpfeiler geprägt.
und dabei betont, das Museum dürfe sich nicht auf
der Kohle“ von oben bis tief in den Bauch der Kohlen-
die Industriegeschichte beschränken, sondern müsse
wäsche führt.
kultur-
Zusammenhänge
Auf der 24-Meter-Ebene der Kohlenwäsche begibt sich
darstellen: „Es soll für das Ruhrgebiet auch die Funktion
der Besucher in das orange leuchtende Treppenhaus
eines Gropius-Baues in Berlin ausfüllen, also eines
des Museums. Auf der 17-Meter-Ebene widmet sich die
Ausstellungshauses, in dem nicht nur das Ruhrgebiet,
Ausstellung der Gegenwart des Ruhrgebiets mit seinen
sondern Themen von tendenziell globaler natur- und
Mythen, Klischees und Strukturen. Mit dem Abstieg auf
kulturhistorischer Bedeutung eine Rolle spielen.“
die 12-Meter-Ebene taucht der Besucher tief in die Ver-
Seit 2002 arbeitete ein Team des Ruhrlandmuseums
gangenheit ein und erfährt Details über die vorindus-
an der Konzeption der Dauerausstellung des neuen
trielle Geschichte der Region. Die unterste Ebene auf
Ruhr Museums, die einen großen historischen Bogen
6 Metern widmet sich schließlich der Entwicklung des
von der Erdgeschichte über die vorindustrielle Zeit und
Ruhrgebiets von einer ehemaligen Agrarlandschaft zur
das Industriezeitalter bis zur Gegenwart schlägt. Das
größten Montanregion Europas, die mit der Industria-
Ruhr Museum versteht sich dabei nicht als klassisches
lisierung begann und sich im bis heute andauernden
Industriemuseum, sondern als das „Schaufenster und
Strukturwandel fortsetzt.
das Gedächtnis der Metropole Ruhr“ .
Das Stuttgarter Büro HG Merz konzipierte eine Aus
und
naturgeschichtliche
3
4
stellungsdramaturgie, Gegenwart, Gedächtnis und Geschichte
bei
der
die
wechselnden
Raum eindrücke auf den verschiedenen Ebenen der Kohlenwäsche durch die jeweiligen Präsentationsmodi
Mit der Gestaltung der Ausstellungsräume für das
der Themen aufgegriffen werden. So interpretierten
Ruhr Museum in der Kohlenwäsche wurde das Stutt-
sie beispielsweise die fensterlosen Betonbunker der
garter Büro HG Merz beauftragt. Die Dauerausstellung
12-Meter-Ebene als kulturelle Speicher und verwan-
des Museums zur Natur, Kultur und Geschichte des
delten sie in kleine Kabinette. Dort sind geologische,
Ruhrgebiets wurde als Parcours auf drei Ebenen kon-
archäologische und ethnologische Exponate seit der
zipiert, der den Besucher in Anlehnung an den „Weg
Antike präsentiert.
UMBAU
140
Blick in die Bunkerebene der Kohlenw채sche vor dem Umbau zur Ausstellungsfl채che (12-MeterEbene) des Ruhr Museums
Auf der 12-MeterEbene zeigt das Ruhr Museum seit 2010 das kulturelle Ged채chtnis der Region, das weit vor die Zeit der Industrialisierung zur체ckreicht.
141
UMBAU
146
147
Der „Zollverein 2020!“-Plan bietet einen Überblick über die abgeschlossenen, laufenden und kommenden Neubauund Sanierungsvorhaben.
QUARTIER KOKEREI ZOLLVEREIN RAG Montan Immobilien GmbH Parkdeck Kokerei Verwaltungssitz RAG-Stiftung und RAG Aktiengesellschaft Sieberei Koksofenbatterie Schalthaus I Grand Hall Zollverein Feinreinigung Hochdruck-Anlage Salzfabrik Salzverladung Kammgebäude Gasfackel Ventilatorenkühler Kaminkühler Gasometer Humanitas Pflegedienste GmbH (Stellwerk)
STRATEGISCHE LEITLINIEN FÜR DIE QUARTIERSE NTWICKLUNG
158
Fertiggestellt Neubau- und Sanierungsprojekte seit 2010 Neubauten Projektiert Neubauflächen Vermarktungsreif Bestand Denkmalinstandsetzung und -entwicklung
QUARTIER SCHACHT 1/2/8 Folkwang Universität der Künste | Campus Welterbe Zollverein | Fachbereich Gestaltung Kreativwirtschaft Kinder- und Familienförderzentrum PLUS Hotel auf Zollverein Wagenumlauf Fördermaschinenhaus
QUARTIER SCHACHT XII Halle 4 (Fördermaschinenhalle Süd) Halle 8 (Hochdruckkompressorenhaus) Ringpromenade
159
Der Unternehmenssitz der RAG Montan Immobilien im Südwesten der Kokerei
Zurück zu den Wurzeln
bekennt und der sich auch in der neuen Adresse widerspiegelt: Im Welterbe 1–8.
Der Startschuss für die gewerbliche Nutzung im Süd-
Für die noch unbebauten Bereiche des insgesamt
westen der Kokerei fiel noch im Jahr der Europäischen
knapp 72.000 Quadratmeter großen Neubaugürtels
Kulturhauptstadt 2010. Die RAG Montan Immobilien
im Umfeld des neuen Unternehmenssitzes leitete die
zählte zu den ersten Unternehmen, die sich auf der
RAG Montan Immobilien 2012 ein Werkstattverfahren
Kokerei Zollverein ansiedelten. Am 26. November 2010
ein, in dem verschiedene Architekturbüros Entwürfe für
wurde der Grundstein für den neuen Unternehmenssitz
Büroneubauten erarbeiteten.
am unbebauten westlichen Rand des Kokereigeländes gelegt.
Das Kammgebäude: Inspirierender Ort für kreative
Die Architekten Bahl + Partner entwarfen für den Sitz
Unternehmen
zwei Gebäudekörper mit einer verglasten Querspange. Materialität und Farbigkeit der Klinkerfassade sowie
Auch die Sanierung und Vermietung des Kammgebäu-
die kubische Form des Gebäudes referieren auf Zoll-
des auf der Kokerei zählte zu den symbolträchtigen
vereins architektonische Formensprache. Der Green-
Schlüsselprojekten, die die Stiftung Zollverein in den
Building-Standard des Gebäudes, das unter anderem
immobilienwirtschaftlichen Leitlinien definiert hatte.
mit einem begrünten Flachdach ausgestattet wurde, ist
Das ehemalige Kammgebäude bietet rund 1900 Qua-
ein Beitrag zur nachhaltigen Quartiersentwicklung, die
dratmeter Fläche und einen gut erhaltenen histori-
einen Arbeitsschwerpunkt der RAG Montan Immobilien
schen Maschinenstand. Wie die Zinken eines Kamms
bildet. Von dem ersten Neubau auf der Kokerei Zollver-
reihen sich die sechs quaderförmigen Gebäudekörper
ein ging Symbolkraft aus: Als Tochterfirma der früheren
und das zweigeschossige Schalthaus an einen rund
Ruhrkohle AG, also der ehemaligen Eigentümerin der
200 Meter langen eingeschossigen Verbindungsbau.
Zeche und Kokerei Zollverein, kehrte die RAG Montan
Der Gang besteht aus einer Stahlfachwerk-Konstruk-
Immobilien quasi zu ihren Wurzeln zurück – ein Men-
tion, während die angehängten Gebäude in Beton-
talitätswandel, zu dem sich das Unternehmen bewusst
skelett-Bauweise mit massiven Außenwänden aus
DIE KOKEREI
166
Ziegelmauerwerk und außenseitig sichtbarer Klinker-
MÖBELLOFT ein. Ideale Voraussetzungen fand auch
schale errichtet wurden.
das Atelier Frank Burkamp im Kammgebäude vor und
Die Pläne für die Dach- und Fachsanierung sowie den
eröffnete eine Kunsthalle mit großzügigen, lichtdurch-
Umbau lieferte das Architekturbüro planinghaus. Von
fluteten Atelier- und Werkstatträumen. Die Fliesenmanu-
2011 bis 2014 wurden zunächst die Gebäudehülle
faktur Golem, bereits mit Dependancen in den Berliner
sowie die Innenwände des Kammgebäudes in drei
Hackeschen Höfen und der Hamburger Speicherstadt
Bauabschnitten instandgesetzt. Der Um- bzw. Ausbau
vertreten, präsentiert im Kammgebäude traditionell
der Gewerberäume mit einer Raumhöhe von acht
gefertigte Wand- und Bodenfliesen im Jugendstil und
Metern erfolgte von April 2015 bis Juni 2016. Die his-
Art déco. Nebenan nutzt die Sapor GmbH das groß-
torischen Maschinen wurden sorgfältig gereinigt und
zügige Raumangebot, um Trockenseifenspender und
als Blickfang in den loftartigen Räumen inszeniert.
umweltfreundliche Seifen zu entwickeln. In der hausei-
Insgesamt entstanden 570 Quadratmeter Büro- und
genen „Saponeria“ können Besucher schnuppern und
bis zu 1300 Quadratmeter Atelierfläche mit einzigarti-
stöbern.
gem Flair. Bereits während der Sanierungsphase war die Nach-
Grand Hall Zollverein: Veranstaltungen in einer neuen
frage von Unternehmen groß, in der architektonisch
Dimension
außergewöhnlichen Immobilie Büro-, Atelier- oder Werkräume einzurichten. Gesucht wurden Unterneh-
Die Kokerei Zollverein galt nach ihrer Stilllegung vielen
men aus dem Design- und Kreativbereich. Als erster
als das versteckte Juwel des Welterbes. Viele der
Mieter zog im Februar 2016 das Produktentwicklungs-
Bestandsgebäude waren seit 1993 in einen regelrech-
büro MMID ein. Das Unternehmen widmet sich der
ten Dornröschenschlaf verfallen und warteten darauf,
Entwicklung von realisierbaren und erfolgreichen
wie das Kammgebäude mit neuem Leben gefüllt zu
Produkten, bei denen Funktionalität und Gestaltung
werden. Dafür brauchte es Zeit, finanzielle Mittel und
integral aufeinander abgestimmt sind. Nebenan zog
Mut. Claus Dürscheidt, der Betreiber des Restaurants
ein Showroom der Essener Designmöbelmanufaktur
Casino Zollverein auf Schacht XII, wurde erneut zum
167
DIE KOKEREI
178
Die dunklen Fliesen auf dem Boden markieren den Standort der Maschinen, die fĂźr den Umbau ausgebaut wurden.
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DIE KOKEREI
186
Die Anlagen der Kokerei Zollverein aus s체dwestlicher Richtung. Rechts unten im Bild das Kammgeb채ude, mittig das ehemalige Salzlager mit dem Anbau f체r den Palace of Projects. Links neben dem Salzlager liegt die Salzfabrik, die bis 2020 als Schaudepot des Ruhr Museums ert체chtigt wird. 187
Das sanierte Direktionsgebäude ist Sitz der Stiftung Zollverein.
Besprechungsraum in der sanierten Direktion
EIN STANDORT FÜR BILDUNG UND WIRTSCHAFT
194
„Wir haben uns bewusst gegen die Gründung von ‚Schacht One‘ an einem Digital-Hotspot wie Berlin und für Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet entschieden. Zum Teil aus Heimatverbundenheit, aber nicht ausschließlich. Es waren die Standortvorteile, die uns vom Welterbe Zollverein überzeugt haben: die gute Infrastruktur, die Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Digitalunternehmen und nicht zuletzt auch die inspirierende Atmosphäre auf dem Welterbe.“1 Dirk Müller, Geschäftsführer Schacht One GmbH
Treppenhaus in der sanierten Direktion
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Das Treppenhausfoyer des Folkwang-Neubaus schafft zahlreiche Begegnungsräume.
EIN STANDORT FÜR BILDUNG UND WIRTSCHAFT
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„Der Neubau der Folkwang Universität der Künste ist geprägt durch die Formensprache des UNESCOWelterbes Zollverein. Die Architekten Schupp und Kremmer bauten damals ein Symbol der klassischen Moderne und setzten Maßstäbe für hervorragendes Design. In der neuen Hochschule gliedern ähnlich reduziert vertikale und horizontale Gestaltungselemente die versetzt zueinander angeordneten Baukörper und erinnern damit an die Geschichte von Zollverein, an Schachtanlagen und ihre Flöze.“ Armin Günster, MGF Architekten
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AUSBLICK IN DIE BEGONNENE ZUKUNFT
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„Zollverein wurde mit den Jahren zum Mittelpunkt des Ruhrgebiets. Zollverein ist nicht Essen, nicht Duisburg und auch nicht Dortmund. Die ausgerufene Metropole Ruhr hat mit dem Welterbe Zollverein einen gemeinsamen Ort für die Geschichte und die neue Gegenwart des Ruhrgebiets.“1 Prof. Dr. Karl Ganser, Direktor der IBA Emscher Park
Die außerordentliche Dynamik, die die bauliche Ent-
Im Jahr 1961 hatte der spätere Bundeskanzler Willy
wicklung des Welterbes Zollverein seit 2010 erfahren
Brandt (SPD) im Bundestagswahlkampf gefordert,
hat, spiegelt sich in der Attraktivität des Standortes
der Himmel über dem Ruhrgebiet müsse wieder blau
für Besucher. Seit dem Kulturhauptstadtjahr besuchen
werden. Heute ist die Luftqualität in der Region deut-
jährlich rund 1,5 Millionen Gäste (Zahlen aus den
lich verbessert und Essen gehört mit einem Grün- und
Jahren 2011 bis 2017) die stillgelegte Zeche und Kokerei
Freiflächenanteil von 53 Prozent zu den grünsten Städ-
Zollverein mit ihren touristischen Attraktionen, darun-
ten Deutschlands. Der Zollverein Park versinnbildlicht
ter der Denkmalpfad, das Ruhr Museum, das Red Dot
diesen erfolgreichen Wandel exemplarisch. Wo früher
Design Museum und PACT Zollverein, sowie Kulturver-
das taube Gestein gelagert wurde, verbringen heute
anstaltungen. Damit ist Zollverein das am häufigsten
Menschen ihre Freizeit im Grünen. Die Macher des Zoll-
besuchte kulturelle Ausflugsziel des Ruhrgebiets und
verein Parks haben gemeinsam mit der Stiftung Zollver-
liegt in ganz Nordrhein-Westfalen auf dem zweiten
ein eine einzigartige Industrielandschaft geschaffen, die
Platz hinter dem Kölner Dom.
zum einen den ehemaligen Produktionsachsen Tribut
2017 rückte der Zollverein Park als wichtiger Bestandteil
zollt. Zum anderen entstand ein neuer Park zwischen
des Welterbes in den Fokus des öffentlichen Interesses.
Wildnis und Gartenkunst, der einer besonderen Indus
Nachdem Zollverein 2010 bereits ein zentraler Spielort
trienatur Platz bietet. Auch dies ist ein Teil des erfolgrei-
des Kulturhauptstadtjahres gewesen war, wurde das
chen und ganzheitlichen Transformationsprozesses auf
Welterbe zu einem der drei Hauptspielorte der „Grünen
Zollverein, wie er sich kontinuierlich fortsetzt.
Hauptstadt Europas – Essen 2017“. Mit dem Titel wird
In den kommenden Jahren werden die letzten Bestand-
jährlich eine europäische Stadt ausgezeichnet, die
teile des Masterplans vervollständigt. Neben dem
nachweislich hohe Umweltstandards erreicht hat und
Umbau der Salzfabrik zum Schaudepot des Ruhr Muse-
fortlaufend an der weiteren Verbesserung des Umwelt-
ums ist ein weiterer wichtiger musealer Baustein die
schutzes und der nachhaltigen Entwicklung arbeitet.
Sanierung der Koksofenbatterie, die verbunden wird
Essen ist die erste altindustrielle Stadt, die diesen Titel
mit dem Ausbau der „schwarzen Seite“ der Kokerei
gewonnen hat.
zum neuen Denkmalpfad.
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ANHANG
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CHRONIK
1847
21.10.1986
1992
Der Unternehmer und Industrie pionier Franz Haniel erwirbt das Grubenfeld Zollverein und lässt den Schacht Zollverein 1 abteufen. Die Gründerschachtanlage wird später um die Schächte 2 und 8 ergänzt.
Die Stadt Essen beantragt den Erwerb der ehemaligen Schacht anlage XII mit Mitteln des Grundstücksfonds Ruhr.
Der Düsseldorfer Bildhauer Ulrich Rückriem mietet die sanierte Halle 5 für fünf Jahre als Atelier. Im selben Jahr erklärt er Zollverein zur Außenstelle der documenta IX.
1851
Die erste Zollverein-Kohle wird gefördert. 1882
Inbetriebnahme der Schachtanlage Zollverein 3/7/10
26.11.1986
Die Stadt Essen stellt Teile von Schacht XII unter Denkmalschutz. 16.12.1986
Per Ministererlass wird Schacht XII vollständig unter Denkmalschutz gestellt. 23.12.1986
1890
Zollverein fördert mehr als eine Million Tonnen Steinkohle pro Jahr und ist damit das Steinkohlenbergwerk mit der höchsten Fördermenge in Deutschland. 1891–1897
Die Schachtanlagen 4/5/11 und 6/9 nehmen den Betrieb auf.
Die Zeche Zollverein schließt als letzte von rund 290 Zechen in Essen, der ehemals größten Bergbaustadt Europas. 1987
Die Keramische Werkstatt Margaretenhöhe zieht auf Schacht 1/2/8 in das ehemalige Baulager.
1920
21.09.1989
Zollverein wird Hüttenzeche der Phoenix AG
Gründung der Bauhütte Zeche Zoll verein Schacht XII GmbH
1926
1989–1999
Die Phoenix AG fusioniert zur Vereinigten Stahlwerke AG (VESTAG).
Laufzeit der Internationalen Bau ausstellung (IBA) Emscher Park
1932
1990
Die von Fritz Schupp und Martin Kremmer entworfene Zentralschachtanlage Zollverein XII geht als seinerzeit größte und leistungsstärkste Zeche der Welt in Betrieb, die Förder leistung vervierfacht sich.
Start der Sanierungsarbeiten auf Schacht XII. Die Architekten Heinrich Böll und Hans Krabel werden mit der Ertüchtigung der Hallen 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 14, 15, 16 und 21 beauftragt.
1961
1990
Die nach Plänen von Fritz Schupp neu gebaute Kokerei Zollverein nimmt den Betrieb auf.
Thomas Rother richtet den „Kunstschacht“ in der Maschinenhalle auf Schacht 1/2/8 ein.
1968
29.09.1990
Übernahme der Zeche und Kokerei Zollverein durch die neu gegründete Ruhrkohle AG
Die Bauhütte feiert „Tag der offenen Tür“, der gleichzeitig das erste Zechenfest auf Zollverein ist. Erstmals ist das Gelände für Besucher offiziell zugänglich.
1983
Vor dem Hintergrund des sogenannten Zechensterbens im Ruhrgebiet entscheidet die Ruhrkohle AG, Zollverein Schacht XII im Dezember 1986 stillzulegen.
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16.08.1991
Konstituierung der Projektgruppe Zollverein, die ein Entwicklungskonzept für Schacht XII erarbeitet
1992
Lord Norman Foster erhält den Auftrag für den Umbau des Kessel hauses zum Design Zentrum NRW/ Red Dot Design Museum auf Schacht XII. 1993
Der Rat der Stadt Essen beschließt das „Entwicklungskonzept Zeche Zollverein Schacht XII“. Im selben Jahr wird die Kokerei Zollverein stillgelegt. 1993
Weitere Mieter beziehen sanierte Hallen auf Schacht XII. 1995
Gründung der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 09.10.1996
Eröffnung der Veranstaltungsgastronomie Casino Zollverein im umgebauten Niederdruckkompressorenhaus auf Schacht XII 23.12.1996
Auf den Tag genau zehn Jahre nach Stilllegung der Zeche Zollverein erhält das Design Zentrum NRW die Schlüssel für das umgebaute Kesselhaus. 1997
Beginn des Antragsverfahrens für die Aufnahme der Zeche und Kokerei Zollverein in die Welterbeliste der UNESCO 1998
Gründung der Stiftung Zollverein 1998
Die „schwarze Seite“ der Kokerei Zollverein wird von der Ruhrkohle AG an die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur übertragen, die „weiße Seite“ bleibt zunächst weiter unter Bergrecht.
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