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#MeToo bewegt den Balkan

Als eine serbische Schauspielerin ihren Schauspiellehrer der wiederholten Vergewaltigung beschuldigte, gab es einen Aufschrei von Frauen über die Landesgrenzen hinweg. Die #MeToo-Bewegung auf dem Balkan hat gerade erst begonnen.

Text AidaSalihbegović

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Das Jahr begann in Serbien mit einem Skandal. Mehrere Frauen beschuldigten den bekannten Schauspiellehrer und Regisseur Miroslav Mika Aleksić der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs. Alle waren Schülerinnen an seiner Schauspielschule, und mindestens eine von ihnen war minderjährig, als der mutmaßliche Missbrauch geschah.

Milena Radulović, eine erfolgreiche 26-jährige serbische Schauspielerin, war die erste, die im Januar ihre Geschichte der Öffentlichkeit erzählte. In einem Interview sagte sie, Aleksić habe sie vergewaltigt, als sie 17 war: „Ich war sechs Jahre lang auf der Schule von Mika Aleksić, als er mich vergewaltigt hat. Es geschah nicht nur einmal.“

Das Interview löste auf dem gesamten Westbalkan eine Lawine von Reaktionen aus. Andere Frauen und Opfer sexueller Belästigung, nicht nur in Serbien, sondern auch in Kroatien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina, erhoben ihre Stimme gegen die Gewalt. Viele von ihnen äußerten sich wie Radulović.

Eine Revolution starten

Das Thema sexuelle Belästigung sei immer noch das größte Tabu in der Region, Frauen empfinden Scham und haben Angst, darüber zu sprechen, erklärt Sanja Pavlović, Aktivistin des Autonomen Frauenzentrums Belgrad, gegenüber der DW. „Wir haben uns als Gesellschaft am wenigsten mit diesem Problem auseinandergesetzt. Wir haben die schwächsten Gesetze und die geringste Anzeigequote, wenn es um Vergewaltigung und sexuelle Belästigung geht. Dieses Interview hat eine Revolution ausgelöst“, so Pavlović.

Eine kleine Revolution begann mit Ana Tikvić, einer ehemaligen Studentin an der Akademie der Darstellenden Künste in Sarajevo, die zusammen mit drei ihrer Kolleginnen die Initiative „Nisam tražila“ („Ich habe nicht darum gebeten“) ins Leben rief.

Nisam tražila – Ich habe nicht darum gebeten

„Wir denken, dass es höchste Zeit ist, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sexuelle Belästigung und Frauenfeindlichkeit überall in unserer Gesellschaft zu finden sind“, so Tikvić. Die Facebook-Seite der Initiative hatte innerhalb weniger Wochen mehr als 40.000 Follower sowie mehr als 4.000 anonyme Meldungen über sexuelle Gewalt aus der ganzen Region.

„Nach 19 Jahren des Schweigens habe ich mich endlich zu Wort gemeldet. Ich erlebte sexuellen Missbrauch als achtjähriges Kind durch ein Familienmitglied, das damals 16 Jahre alt war. Es hat mich viele Stunden Psychotherapie gekostet, um mich zu trauen, meiner eigenen Erinnerung zu glauben, um mir nicht mehr einzureden, dass ich übertreibe“, war nur eine der anonymen Nachrichten, die auf der Seite veröffentlicht wurden.

„Wir wollen einen sicheren Raum bieten, in dem jeder frei sprechen kann, ohne Angst vor Verurteilung“, so Tikvić. Sie sagt, die Angst, offen über sexuelle Gewalt zu sprechen oder mit dem Finger auf den Täter zu zeigen, sei umso größer, da es kaum Unterstützung oder Verständnis seitens der Gesellschaft gebe.

Mit ihrer Initiative „Ich habe nicht darum gebeten“ (Nisam tražila) möchten MateaMavrak, Ana Tikvić, Asja Krsmanović und Nadine Mičić (von links) zeigen, dass Frauenfeindlichkeit allgegenwärtig ist.

© Nisam tražila

Nachdem Radulović ihre Geschichte erzählt hatte, „verhielt sich die Öffentlichkeit in Serbien und der Region nach dem Motto ‚Sie hat es so gewollt‘. ‚Sie ist eine Schauspielerin, was hat sie erwartet? Das ist normal in ihrem Beruf‘“, sagt die Kroatin Ana Tikvić, die in Bosnien lebt. Deshalb, erklärt sie, lautet der Name der Social-Media-Plattform „I didn’t ask for it“.

Obwohl die Initiatorinnen der Plattform alle ihren Abschluss an der Akademie der Darstellenden Künste in Sarajevo gemacht haben, wo ebenfalls ein Professor nun mit mindestens 16 Anzeigen wegen sexueller Belästigung konfrontiert ist, ausgelöst durch Milena Radulovićs Anschuldigungen in Serbien, wollen die jungen Frauen nicht darüber sprechen, ob sie selbst solche Erfahrungen an der Akademie gemacht haben. Aber sie sagen, dass sie alle ihr ganzes Leben lang Frauenfeindlichkeit erlebt haben.

„Es gibt keine einzige Institution, die von diesen Skandalen verschont bleibt“, sagt Tikvić.

Geringes öffentliches Vertrauen in Institutionen

Universitäten, Akademien der darstellenden und dramatischen Künste, staatliche Parlamente und viele andere Institutionen in Belgrad, Podgorica, Sarajevo, Zagreb und vielen anderen Städten außerhalb der Hauptstädte haben nun erste Schritte unternommen, um sexuelle Gewalt zu stoppen oder zu verhindern, meist durch die Einrichtung von Gremien, in denen Studierende jede Art von sexuellem Missbrauch oder Gewalt melden können.

Nichtregierungsorganisationen sowie das Europäische Parlamentarische Forum für sexuelle und reproduktive Rechte sind dem Beispiel gefolgt und haben sich dem Hashtag #nisisama („Du bist nicht allein“) angeschlossen.

#nisisama – Du bist nicht allein

Es scheint, als habe Milena Radulović die ganze Region miteinander verbunden. Aber es ist noch ein langer Weg. Sanja Pavlović zufolge ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Institutionen extrem niedrig.

Noch am Tag der Veröffentlichung von Milena Radulovićs Interview reagierten die Behörden und verhafteten Miroslav Mika Aleksić. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm acht Vergewaltigungen im Zeitraum von 2008 bis 2020 und sieben „illegale sexuelle Handlungen“ vor. „Wenn es darum geht, jemanden anzuzeigen, der sich in einer Machtposition befindet oder in der Gesellschaft respektiert wird, fragt sich das Opfer: ,Wie wichtig wird mein Wort im Vergleich zu seinem genommen werden?’“, erklärt Pavlović das häufige Schweigen von Opfern von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch.

In der Zunahme der Meldungen über sexuelle Gewalt sieht Pavlović eine große Veränderung: „Jetzt wird es für alle Opfer einfacher, sich zu trauen, die Gewalt zu melden, darüber zu sprechen, vielleicht nicht öffentlich, aber innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften oder Familien. Das ist sehr positiv, aber es ist auch ein großer Test für die Institutionen. Wir werden sehen, wie sie damit umgehen.“

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