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Daten und Kunst gegen Falschinformationen und Diskriminierung

Noor Faraj arbeitet als Reporterin und Theaterautorin in Irak. In einem Gespräch mit Viktoria Kleber, Medientrainerin der DWAkademie im Nahen Osten, setzt sie auf eine bessere Zukunft für die Frauen in ihrem Land.

Text Viktoria Kleber

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„Es hat mich gestört, dass ich den Behauptungen von Politikerinnen und Politikern in Interviews oft nichts Richtiges entgegensetzen konnte“, sagt Noor Faraj. Die 28-Jährige arbeitet als Radiojournalistin in Irak. Irgendwann entdeckte sie die Aussagekraft von Daten. „Ich will aufklären über Missstände im Land und mit Fakten gegen Falschinformationen und andere Dinge kämpfen, die hier schieflaufen“, sagt sie.

Träumte sich als Kind auf die Bühne – heute ist Noor Faraj Theaterregisseurin und Datenjournalistin.

© privat

Im Rahmen des Online-Projekts Code >Her< der DW Akademie hat Noor Faraj einen Artikel über den ungleichen Zugang zum Internet in Irak geschrieben. Während rund 53 Prozent der irakischen Männer online sind, können sich nur 37 Prozent der Frauen mit dem Internet verbinden. Das hat drastische Auswirkungen, erklärt Faraj: „Vielen Frauen wird so der Weg zur Bildung verwehrt.“ Über 14 Wochen hat Faraj an Seminaren und Coachings teilgenommen. „Das tolle an Code >Her< ist es, nicht nur neue Dinge zu lernen, sondern sich auch mit anderen Journalistinnen aus der Region zu vernetzen.“ Vor allem sei dieser Workshop wegen eines Aspekts wichtig: „Da ist jemand, der dich als Frau ermutigt und der dir sagt: ,Du bist gut, du kannst das!‘“

Aufgewachsen in einer patriarchalischen Gesellschaft

Wie wichtig Ermutigungen und Förderung von außen sind, hat Noor Faraj von klein auf erfahren. Sie ist in der Hafenstadt Basra im Süden Iraks groß geworden. Einer Stadt, in deren Gesellschaft eine Frau noch gehorchen muss. „Als Frau hast du nichts zu wollen, du musst dich den Männern fügen“, sagt Faraj. „Und als Frau bist du an allem schuld: Wenn ein Mann dich schlägt, hast du ihn provoziert. Wenn ein Mann dich vergewaltigt, hast du mit deinen Reizen gespielt.“ Immer wieder stößt sie schon als Kind gegen die Mauern des Patriarchats. Es sind Frauen – Lehrerinnen und Nachbarinnen –, die sich für das Mädchen einsetzen. Als die Familie nicht sicher ist, ob sie überhaupt in die Schule gehen soll, geht eine Frau auf ihre Eltern zu. „Sie konnte selbst weder schreiben noch lesen“, erzählt Faraj. „Sie hat meine Schuluniform bezahlt und drängte darauf, dass ich zur Schule muss.“ Bis heute ist sie ihren Unterstützerinnen dankbar.

Demonstrantinnen am Internationalen Frauentag in Basra, Südirak, März 2021.

© Hussein Faleh/AFP via Getty Images

Als Frau hast du nichts zu wollen, du musst dich den Männern fügen.

Faraj träumt sich als Teenager in eine andere Welt. Als Theaterregisseurin will sie der Realität der konservativen Gesellschaft, dem Krieg entfliehen. Faraj studiert Theaterwissenschaften an der Universität in Basra. Auf die Bühne darf sie nicht, das verwehrt ihr ihre Familie. Deshalb fängt sie an, Theaterstücke zu schreiben. „Durch die Kunst will ich andere mitnehmen in eine andere Realität, die ein wenig Liebe und Leichtigkeit bringt“, sagt Faraj. In ihren Theaterstücken stehen auch Frauen auf der Bühne – ein Affront in Basra, einer Stadt, in der heute vor allem in Religion und Moscheen investiert und darauf geachtet wird, dass Frauen so wenig Raum wie möglich in der Öffentlichkeit einnehmen.

Der Traum von Basra, wie es früher war

Faraj weiß, dass das früher anders war. In den 60er und 70er Jahren gab es viele Bars und Clubs, über 50 Kinos, ein Konzerthaus und zwölf Theater. Heute zeugen nur alte Postkartenmotive von der damals lebendigen kulturellen Szene. Sie zeigen auch malerische Kanäle wie in Venedig, und eine grüne, aufgeräumte Stadt. Aktuelle Fotos zeigen Müll und Zerstörung. Krieg, Korruption und Fundamentalismus haben Basra zu einer anderen Stadt gemacht.

Männer und Frauen gemeinsam auf der Bühne – in Basra heutzutage fast undenkar. Hier ein Stück im Nationaltheater in Bagdad 2018.

© picture alliance/AP Photo/Hadi Mizban

Vor zwei Monaten ist Faraj in die Hauptstadt Bagdad gezogen. Es war ein Befreiungsschlag. Hier kann sie ein freieres Leben führen als in ihrer Heimatstadt, und hier warten neue datenjournalistische Projekte auf sie. So bewarb sich Faraj zusammen mit einer tunesischen Teilnehmerin von Code >Her< erfolgreich für die vierte Ausgabe von „Visualize 2030“, einem Data Camp und Ideenwettbewerb des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). „Es gibt noch so viele Themen, zu denen wir Daten ausgraben müssen“, sagt sie. Und auch im Theaterbereich hat Faraj noch viel vor. Wenn die Pandemie vorüber ist, plant sie in Basra eine Theateraufführung – mit Frauen und Männern gemeinsam auf der Bühne.

Daten, Daten, Daten: Code >Her<

Aufstiegschancen für Journalistinnen im arabischen Raum sind rar. In Zeiten des digitalen Wandels kann jedoch eine Qualifizierung zur Datenjournalistin neue Karrierechancen bieten. Die DW Akademie bietet im Rahmen des Projekts Code >Her< Frauen aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika Schulungen an. Bislang nahmen Journalistinnen aus Tunesien, Algerien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Jemen und Irak am Kurs teil. Sie erhielten Online-Workshops zum Datenjournalismus und individuelle Coachings. Der Schwerpunkt des Trainings liegt auf der Vermittlung von Kenntnissen der Datenrecherche, der Aufbereitung der Daten bis hin zur visuellen Darstellung. Weitere Themen sind Datensicherheit, Datenethik und der Einsatz von neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz.

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