PERSPEKTIVE WECHSELN
DEUTSCHLANDBILD
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30 Jahre Deutsche Einheit „Wir miteinander“: Gelebte Realität oder auf der grünen Wiese geplant? – Freiluftausstellung in Potsdam anlässlich des Jahrestags der Deutschen Einheit
Wie blicken junge Menschen auf 30 Jahre Deutsche Einheit? Drei „DW-Volos“, aufgewachsen in der Bundesrepublik, Togo und Serbien, zeichnen ihr persönliches Deutschlandbild.
Text Jennifer Pahlke, 28 Jahre alt ©©DW/P. Böll
„Die Menschen in der DDR trauern ihrem großen Bruder Russland nach, denn der Westen wird sich nicht um sie scheren!“ „Die Menschen in der DDR wurden jede Minute lang bespitzelt und hatten nicht einmal Bananen!“ Zwischen diesen beiden Aussagen wurde ich immer hin und her gerissen. Auf der einen Seite mein Großvater, Breschnew- und Kommunismus-Freund aus Moskau, auf der anderen Fakten, die ich in der Schule gelernt habe. Doch wer hat Recht? Kann man überhaupt sagen, dass eine Seite Recht hat? Auf den ersten Blick erscheint das ganz logisch: Natürlich! Man solle sich doch bloß einmal die Fakten anschauen – von den eigenen Nachbarn an die Stasi verpfiffen, eine mehr als fragwürdige Freiheit, Lebensmittel-Engpässe und Reiseverbote. Doch kann wirklich alles in einem System schlecht gewesen sein – wirklich alles? Auf gar keinen Fall stoße ich hier eine „Hitler-hat-doch-die-Autobahnen-gebaut-Debatte“ an, aber ich möchte die Situation ein wenig aus der Perspektive meines Großvaters betrachten, nur nicht durch eine solch rosarote Brille. Und wenn ich meine westlich-kritische Brille tatsächlich mal abnehme, sehe ich die DDR auch dafür, wofür sie nicht von vielen gesehen wird: eine weitausgebaute Kinderbetreuung, Feminismus, Lohngleichheit. Lauter Themen, die auch heute von unglaublich wichtiger Bedeutung für Gesamtdeutschland sind.
38 Weltzeit 3 | 2020
Es fällt auf, dass Frauen in der DDR deutlich besser wegkamen als im Westen. Frauen in der Bundesrepublik durften nur mit ausdrücklicher Erlaubnis ihres Mannes etwas dazuverdienen – und das bis 1977. In der DDR hingegen wurde bereits 1946 auf den Befehl der Sowjetischen Militäradministration hin „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ eingeführt. Noch heute ist der Lohnunterschied zwischen Mann und Frau im Westen doppelt so hoch wie im Osten. Dies soll keine Lobeshymne auf die DDR sein, denn wären mir meine Menschenwürde und Meinungsfreiheit unwichtig, wäre ich nie Journalistin geworden. Wir sollten die Fehler der DDR anerkennen und diskutieren, aber genauso auch ihre Stärken. Denn solange wir noch von Ost- und Westdeutschland sprechen, haben wir bei Weitem noch keine Wiedervereinigung erreicht.
Osten als Tabu im Westen Text Delali Komlanvi Sakpa, 31 Jahre alt Deutschland war aus meiner Perspektive immer eine starke Einheit mit einer inspirierenden Geschichte. Da ich togoischer Herkunft und nicht in Deutschland aufgewachsen bin, schien mir die Wiedervereinigung Deutschlands eine weit entfernte, aber faszinierende Erfolgsgeschichte eines Volkes zu sein. Ich wurde schnell von der Realität eingeholt. Ich lebe in der bevölkerungsreichsten Region Deutschlands, Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt in der Stadt Köln, die für ihre Multikulturalität bekannt ist. Ich erinnere mich an die Reaktion ©©DW/P. Böll
Zwischen Hardcore- Kommunismus und Fakten