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Zum Geleit
Ich bin überzeugt, dass „Teorema“ eines der fundamentalen Werke im literarischen Schaffen Pasolinis ist, und mich hat nicht der Film, sondern der Roman zu meiner Oper inspiriert. Wie Pasolini selbst ausgeführt hat, handelt es sich um ein Werk, das eher die Natur eines Berichts als die einer Erzählung besitzt. In technischer Hinsicht heißt das, dass „Teorema“ eher ein Gesetz als eine Botschaft formuliert. Wir haben hier keine realistische Erzählung, sondern eine Parabel. Bericht, Gesetz, Parabel also. Zugleich jedoch sagt uns Pasolini, dass „Teorema“ eine religiöse Erfahrung sei: Der Gast ist gekommen, um zu zerstören. Aber was für eine Zerstörung bringt er? Wird es eine totale Zerstörung sein oder nur der Umsturz einer trügerischen Ordnung, die durch Schmerz und Qualen versucht, zu einem neuen, anderen Leben zu finden?
Auf den ersten Blick scheint es, dass dieses Werk folgende Moral verkündet: Was auch immer eine bürgerliche Familie tut, ist falsch. 1968 jedoch, als Pasolini „Teorema“ veröffentlichte, war diese Gesellschaft in Veränderung. Die ganze Welt wurde damals kleinbürgerlich. Deshalb hat die Geschichte sozusagen ein offenes Ende. Am Schluss steht eine Art Schrei, der in seiner völligen Irrationalität dieses offene Ende verkörpert. „Was auch immer dieser Schrei bedeutet, er wird jedes mögliche Ende überdauern“, lautet der letzte Satz der Oper. Im Film steht dieser Schrei für ruhelose Verzweiflung oder verzweifelte Unsicherheit, die immer weitergehen wird. Er steht nicht für Gewalt im Sinne eines Tragödienschlusses, sondern für den roten Faden, der diese Geschichte mit all dem verbindet, was kommen wird, was auf uns wartet, ohne dass wir es heute schon deuten können.
Giorgio Battistelli