CARL GUSTAV CARUS Natur und Idee
CARL GUSTAV CARUS Natur und Idee Katalog
Deutscher Kunstverlag
Inhalt
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Vorwort
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Grussworte
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Dank
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Autorinnen und Autoren
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Einführung PETRA KUHLMANN-HODICK, GERD SPITZER, BERNHARD MA AZ
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Lebensdaten Carl Gustav Carus (1789 −1869)
Carl Gustav Carus Kunst 24
Künstlerische Anfänge DIRK GEDLICH Kat. - Nr. 1 – 27
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Rügen GERD SPITZER Kat. - Nr. 28 – 52
70
Dresden und Pillnitz GERD SPITZER Kat. - Nr. 53 – 79
96
Italien PETRA KUHLMANN-HODICK Kat. - Nr. 80 –107w
12 0
Poesie und Geschichte BERNHARD MA AZ Kat. - Nr. 108 –144
15 6
Geognostische Landschaften DIRK GEDLICH Kat. - Nr. 145 –176
18 6
Naturstudien PETRA KUHLMANN-HODICK Kat. - Nr. 177 – 221
220
Späte Kohlezeichnungen PETRA KUHLMANN-HODICK Kat. - Nr. 222 – 238
4
Carl Gustav Carus Schriften 238
250
Medizin und Heilkunde
Carl Gustav Carus Dialoge
ALBRECHT SCHOLZ UND PETER SCHNECK
Carus und Johann Wolfgang von Goethe
Kat. - Nr. 239 – 250
S TEFAN GROSCHE
Zootomie, vergleichende Anatomie und Physiologie
326
332
OL AF BREIDBACH
Carus und Alexander von Humboldt INGO SCHWARZ
Kat. - Nr. 251 – 268 338 272
Cranioskopie und Konstitutionslehre K AT H L E E N M E L Z E R Kat. - Nr. 269 – 278
Carus und Lorenz Oken OL AF BREIDBACH
344
Carus und Caspar David Friedrich GERD SPITZER UND
286
Philosophie, Ästhetik und Biographie DIETRICH VON ENGELHARDT Kat. - Nr. 279 – 295
PETRA KUHLMANN-HODICK
352
S TEFAN GROSCHE
356
Carl Gustav Carus Sammlungen 304
Carus’ Kunstsammlungen
Anhang
ALBRECHT SCHOLZ
Das Carus-Album der Städtischen Galerie Dresden ANGEL A BÖHM
314
Carus und Johann von Sachsen ANNIKA JOHANNSEN
PETRA KUHLMANN-HODICK UND
312
Carus und Ludwig Tieck
Carus’ naturwissenschaftliche Sammlungen
364
Übersicht der außer Katalog gezeigten Werke
3 74
Literatur
387
Personenregister
390
Fotonachweis
392
Impressum
PETRA KUHLMANN-HODICK UND ALBRECHT SCHOLZ
317
Die Schädel- und Abguss-Sammlung des Carl Gustav Carus K AT H L E E N M E L Z E R
I N H A LT
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Einführung
Erst mit 78 Jahren, nur zwei Jahre vor seinem Tode, zog sich Carl Gustav Carus von seiner 56 Jahre lang ausgeübten ärztlichen Tätigkeit zurück; ein halbes Jahrhundert lang und mit größter Resonanz hatte er sich seinem Beruf in Dresden gewidmet. Carus’ Wirken als Mediziner war begleitet von einer weitläufigen naturwissenschaftlichen, kulturtheoretischen und philosophischen Publikationstätigkeit – er legte Dutzende selbständige Schriften vor, verfasste zahlreiche Aufsätze, hielt Vorlesungen an den medizinisch-anatomischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Fakultäten von Leipzig und Dresden und erbaute mit Vorträgen und in Gesprächsrunden die Angehörigen des sächsischen Hofes, dem er als Leibarzt 40 Jahre lang zu Diensten war. Er bewegte sich ebenso selbstverständlich auf dem Parkett der Dresdener Kunst-, Musik-, Theater- und Literaturwelt. Neben seinem Wirken in mehreren ärztlichen und naturwissenschaftlichen Gesellschaften leitete er von 1833 bis 1842 auch den Sächsischen Kunstverein. Carus war ein glühender Bewunderer Johann Wolfgang von Goethes. Er stand im Gedankenaustausch mit Wissenschaftlern wie Alexander von Humboldt und Lorenz Oken. Zudem gehörte er zum Dante-Kreis des Prinzen und späteren Königs Johann von Sachsen. Er war mit vielen Künstlern befreundet, in der Wahlheimatstadt Dresden vor allem mit Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl, ebenso wie mit dem Dichter Ludwig Tieck, später mit den Malern Julius Hübner und Eduard Bendemann, aber auch in Berlin, etwa mit dem damals führenden deutschen Bildhauer Christian Daniel Rauch. Nicht zuletzt als ausübender – allerdings nebenberuflicher – Künstler hinterließ er ein beeindruckendes Œuvre: Über 400 Gemälde von seiner Hand verzeichnet Marianne Prause 1968 in ihrem Werkverzeichnis; etwa 900 Zeichnungen befinden sich in Museumsbesitz, überwiegend in Dresden und Oslo. In den Romantiker-Sälen und -Ausstellungen firmieren Werke von Carus seit langem unangefochten unter den Hauptattraktionen – inzwischen werden sie auch von Museen im Ausland gekauft.
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Ein Zielpunkt der Ausstellung ist es, Carus’ vielschichtiges Wirken in seiner Gesamtheit vor Augen zu führen, weil die eigentliche Bedeutung dieses Universalisten in seiner Zeit – diese Überzeugung eint die Autoren und Kuratoren – tatsächlich erst in der Ganzheit seiner Bemühungen zu finden ist. Vor diesem Hintergrund kann auch das künstlerische Werk von Carus gesehen werden, das in unserer Ausstellung so umfangreich wie niemals bisher kennenzulernen ist. Carus war Arzt und Naturwissenschaftler, Schriftsteller und Philosoph, und die Vielseitigkeit seiner Tätigkeitsbereiche wird – in ihrer engen Wechselwirkung – zum Gegenstand der Ausstellung. Künstler war Carl Gustav Carus eigentlich nur im Nebenberuf, und doch gehört er auch auf diesem Gebiet zu den bemerkenswertesten Kräften seiner Zeit. Die Lebensleistung von Carus ist in ihrem ganzen Umfang schwer erfassbar. Bereits 1858 schrieb der Weimarer Maler Friedrich Preller d. Ä. in einem Brief über ihn: »Wer, wie ich, so glücklich war oder ist, in seinem Hause genauer bekannt zu sein, überzeugt sich von vielem, was man im gewöhnlichen Leben für unmöglich hält. Wie man u. a. die Zeit ausnützen kann, muß man von ihm lernen. Denken Sie, daß er als Dilettant vielleicht mehr ausgeführte große und kleine Bilder gemalt hat, als ich, Hunderte großer Zeichnungen in Kohle gefertigt hat, und alles dies weit über den gewöhnlichen Dilettantismus weg geht.« Carl Gustav Carus und sein Lebenswerk – das ist nicht nur ein Dresdener Thema, obwohl der Name in der Stadt seines jahrzehntelangen Wirkens sicherlich bekannter sein dürfte als andernorts. Die überregionale Bedeutung der Persönlichkeit, der unbestritten hohe Rang dieses Wissenschaftlers und Künstlers im Umfeld seiner Zeit wird bei einer näheren Beschäftigung vollkommen anschaulich. So erklärt es sich, dass nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sondern auch die Staatlichen Museen zu Berlin seit längerem ein Ausstellungsprojekt zu diesem Künstler planten, das jetzt von beiden Institutionen gemeinsam realisiert werden konnte. Die Nationalgalerie gehört zu den führenden Museen für Malerei der deut-
schen Romantik mit zahlreichen herausragenden Werken. Darunter befinden sich auch fünf Gemälde von Carl Gustav Carus, und unter ihnen ist wohl das bekannteste jenes kurz nach seiner zweiten Italienreise entstandene Gemälde Balkon in Neapel, das 1992 durch den »Verein der Freunde der Nationalgalerie« für die Sammlung erworben werden konnte. Carus ist als Künstler seit seiner Wiederentdeckung, zuerst bei der Jahrhundertausstellung 1906 und dann verstärkt seit den 1920er Jahren, stets zum Romantiker-Kreis um Caspar David Friedrich in Dresden gerechnet worden. Das ist zweifellos richtig, doch war dies für die Beschreibung und Beurteilung der Eigenart von Carus und seiner Kunst lange Zeit wohl eher hinderlich als förderlich. Carus wurde in den großen Ausstellungen gerade mit seinen Friedrich nahestehenden Arbeiten gezeigt, oft als Friedrich-Ergänzung, um nicht zu sagen Friedrich-Ersatz, wenn Leihgaben von Friedrich nicht zu erreichen waren. Der Maßstab Friedrich ist aber für die Bewertung der künstlerischen Eigenart von Carus nur bedingt tauglich. Tatsächlich ist eben in der möglichsten Annäherung von Carus an die Vorbilder von Friedrich das Kriterium für die Eigentümlichkeit seines Werkes aufs Ganze gesehen nicht zu finden. Vielleicht hilft hier eher eine Bemerkung von Friedrich über Carus weiter, die letzterer uns selbst übermittelte. Nach dem Zeugnis von Carus »erfreute ihn übrigens sehr ein gewisser freier Naturalismus in meinen Bildern, wie er eben nur aus unzähligen Naturstudien vollkommen hervorzugehen pflegt«. Wie nahezu jedes Unternehmen dieser Art baut auch unsere Ausstellung auf den Fundamenten auf, die andere vor uns gelegt haben, worunter vor allen anderen Marianne Prause zu gedenken ist, und ein so großes Projekt bedurfte anteilnehmender kollegialer Hilfe, die uns von vielen Seiten zuteil wurde. Dafür sei allen sehr herzlich gedankt.
Petra Kuhlmann-Hodick · Gerd Spitzer · Bernhard Maaz
EINFÜHRUNG
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Lebensdaten Carl Gustav Carus (1789 −1869)
1789 Geboren am 3. Januar in Leipzig.
1813 Tätigkeit im französischen Militärhospital in Leipzig-Pfaffendorf.
1799 – 1804 Nach Privatunterricht im Elternhaus Aufnahme in das Leipziger ThomasGymnasium. Zeichenunterricht bei Julius Athanasius Dietz (um 1770 – 1843).
1814 Berufung nach Dresden als Professor für Geburtshilfe und als Leiter des Entbindungsinstitutes der provisorischen Lehranstalt für Medizin und Chirurgie. Am 2. November Umzug der Familie und der Eltern nach Dresden in die Dienstwohnung der Entbindungsanstalt im Oberzeugwärterhaus neben dem Kurländer-Palais.
1804 Beginn des Studiums in Leipzig. Besuch naturwissenschaftlicher und philosophischer Lehrveranstaltungen. 1805 Wanderung mit Julius Athanasius Dietz über Meißen nach Dresden, erster Besuch der Dresdener Gemäldegalerie.
1815 Am 17. Oktober offizielle Bestätigung der Professur für Geburtshilfe und Umwandlung der provisorischen Lehranstalt in die Königlich-Sächsische Chirurgisch-Medicinische Akademie (1815 – 1864).
1806 –1809 Medizinstudium in Leipzig. Besuch psychologischer und philosophischer Vorlesungen sowie der Leipziger Zeichenakademie unter Veit Hans Schnorr (1764 – 1841) und Johann August Friedrich Tischbein (1750 – 1812).
1816 Erste Teilnahme an der Dresdener Akademie-Ausstellung mit vier Werken. Bis 1843 nahm Carus regelmäßig an den Akademie-Ausstellungen teil.
1809 Tätigkeit am St.-Jacobs-Hospital. Famulus in der Praxis des Geburtshelfers Johann Christian Gottfried Joerg (1779 – 1856). Beginn der langjährigen Freundschaft mit dem Philologen Johann Gottlob Regis (1791 – 1854). 1810 Im April Geburt des ersten Kindes. Carus hat in den folgenden Jahren mit seiner Frau Karoline fünf Töchter und sechs Söhne (darunter drei Totgeburten; nur zwei der Kinder überleben den Vater). Sophie Charlotte (1810 – 1838), Ernst Albert (1812 – 1816), Mariane Albertine (1814 – 1868), Gustav Albert (1817 – 1891), Caroline Cäcilie (1819 – 1895), Oscar Theodor (1822), August Wolfgang (1824 – 1859), Johanna Eugenia, genannt Jenny (1827 – 1852). 1811 Magister liberalium artium. Philophische und Medizinische Dissertation. Dozentur zur vergleichenden Anatomie an der Leipziger Universität. Heirat mit Karoline Carus geb. Carus. 1811 –1814 Assistenzarzt am Entbindungsinstitut der Trier’schen Stiftung unter Christian Gottfried Joerg. Tätigkeit als Armenarzt. Erstes bedeutendes Frühwerk: Frühlingslandschaft im Rosenthal, 1814.
1817 Reise über Halle nach Berlin. 1818 Am 2. Februar erste briefliche Erwähnung der Bekanntschaft mit Caspar David Friedrich (1774 – 1840). Erste Auflage des Lehrbuchs der Zootomie. Beginn des über zehnjährigen Briefwechsels mit Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832). Gründungssekretär der Dresdener Gesellschaft für Natur- und Heilkunde. Aufnahme in die Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher (Leopoldina). Reise mit Caspar David Friedrich und Friedrich Gotthelf Kummer (1782 – 1854) in die Sächsische Schweiz. Bekanntschaft mit dem Landschaftsmaler Johan Christian Dahl (1788 – 1857). 1819 Reise nach Rügen gemeinsam mit Julius Athanasius Dietz und Friedrich Gotthelf Kummer. 1820 Sendung von zwei Gemälden an Goethe. Im August Reise nach Karlsbad, Marienbad und Prag mit Heinrich David August Ficinus sowie ins Riesengebirge und ins Zittauer Gebirge. Erste Auflage des Lehrbuchs der Gynäkologie. Das Gemälde Hünengrab bei Mondschein auf der Dresdener AkademieAusstellung.
Carl Christian Vogel von Vogelstein: Carl Gustav Carus · 1825 Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden · Inv.-Nr. C 2918
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LEBENDER KOLUMNENTITEL
CARL GUSTAV CARUS KUNST
LEBENDER KOLUMNENTITEL
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Künstlerische Anfänge
»Erschlossen werden soll also das Auge, daß es das wundervolle, eigenste Leben der Natur wahrnehme; geübt werden soll die Hand, daß sie fähig sei, den Willen der Seele schnell, leicht und schön zu vollziehen; das ist es, was einziger Zweck der Belehrung in aller bildenden Kunst sein kann [...].« 1 Diesen Gedanken scheinen bereits die hier dem künstlerischen Frühwerk zugeordneten Arbeiten von Carl Gustav Carus verpflichtet, die von den ersten zeichnerischen Versuchen seiner Kindheit bis ins Jahr 1818 reichen, als der Einfluss Caspar David Friedrichs auf die Bildsprache und Motivwahl des jungen Arztes und Malerdilettanten spürbar wird. Im Sommer jenes Jahres, wenige Wochen bevor Carus zum dritten Mal in Folge einige seiner neu entstandenen Werke zur Akademischen Kunstausstellung in Dresden gab und daraufhin in den Kritiken zum wiederholten Male lobend erwähnt wurde, schrieb er an seinen Freund Johann Gottlob Regis nach Leipzig: »Mein Marius auf Carthagos Ruinen ist beendigt und wird mit zur Ausstellung wandern, es ist das grösste, aber auch das beste Bild, was ich bisher gemacht. […] Ich finde wirklich, dass ich seit dieses Jahres Anfang beträchtlich im Aussprechen dessen, was ich freilich vorher ebenso gut gedacht, vorgerückt bin und ich danke hierin Friedrich recht viel, inwiefern er mir über das eigentliche Kunstgemässe, (was doch einmal gefordert wird und geleystet sein soll) manche Andeutung gegeben hat, die mich finden liess, was ich ohne sie erst nach einer langen Reise misslungener Versuche gefunden hätte.« 2 In diesen Zeilen deutet sich der Beginn des intensiven Gedankenaustausches mit seinem späteren Freund und Mentor Caspar David Friedrich an, der eine neue Phase in Carus’ künstlerischem Schaffen einläutete. Das Fundament für die Aneignung der durch Friedrich vermittelten Kenntnisse und den Erwerb neuer Fertigkeiten bildeten aber die Fähigkeiten im Zeichnen und Malen, die Carus bis 1818 bereits entwickelt hatte. Viele der frühen Arbeiten von Carus offenbaren trotz einzelner technischer Schwächen eine erstaunliche Auffassungsgabe und überzeugen durch ihre naturnahe Darstellungsweise. Die auf Spaziergängen oder kleineren Reisen meist unmittelbar vor dem Objekt gezeichneten Studien lassen bereits die später in den Briefen über Landschaftsmalerei (Kat.-Nr. 279 u. 280) geforderte »Ehrfurcht« und »Andacht« beim Nachbilden der »verschiedenen Seiten des Erdlebens« sowie die Notwendigkeit
eines »naturwissenschaftlichen Teiles« innerhalb des Zeichenunterrichts erkennen.3 So verwundert es nicht, dass die während der künstlerischen Ausbildung gesammelten praktischen Erfahrungen in die kunsttheoretischen Reflexionen einflossen, welche Carus in seinen Landschaftsbriefen seit 1815 schriftlich niederlegte. Obgleich seine Landschaftsbriefe weniger als Ratgeber für den praktizierenden Künstler, sondern vielmehr als universale Kunsttheorie angelegt waren, kann gerade der achte Landschaftsbrief, nach 1823 entstanden, durchaus als praktische Anleitung für den angehenden Landschaftsmaler gelesen werden. Carus widmete sich hier der Frage, wie der junge Maler an eine der Naturwissenschaft verpflichtete Art der Landschaftskunst heranzuführen sei. Indem er das stete Kopieren landschaftlicher Zeichnungen und Gemälde kritisierte, da diese Praxis der Fähigkeit, »die Natur ihrem eignen Sinne nach zu erfassen«, entgegenwirke und statt dessen das »Erlernen einer gewissen Manier« fördere, stellte er in seinen Ausführungen ein zentrales Prinzip des klassischen Kunststudiums in Frage.4 Hilfreicher als das Kopieren ist seiner Meinung nach »das vielfältige und sorgsame freie Nachbilden und Selbstkonstruieren geometrischer Grundformen«, da diese doch allen »organischen Bildungen« zugrunde lägen.5 Unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen Ausbildung sei aber letztlich die Übung von Auge und Hand an den Naturdingen selbst, wobei der Lernprozess des visuellen Wahrnehmens und motorischen Erfassens der natürlichen Umwelt durch den Erwerb naturwissenschaftlicher Kenntnisse ergänzt werden müsse, wozu Carus dem angehenden Künstler unter anderem das Studium unterschiedlicher Gebirgs-, Pflanzen- und Wolkenformen nahelegte. Weiter heißt es im achten Landschaftsbrief: »Sind ihm aber so die tiefern Elemente der Erde, des Wassers, der Luft [...] zugänglicher geworden, so mögen [...] die Gesetze des Sehens, die verschiedenen Brechungen und Spiegelungen des Lichtes, die Entstehung der Farbe, die geheimnisvollen Gegensätze und Beziehungen der Farbe [...] ihm angedeutet werden.« 6 Eine solche, auf die Erkenntnisse der Geologie, Botanik, Meteorologie und Optik aufbauende Ausbildung im Zeichnen und Malen, würde den Künstler letztlich befähigen, »Bilder vom Erdleben einer neuern, höheren Art« zu schaffen, welche auch die »Beschauer selbst zu höherer Naturbetrachtung« führen könnten.7
Kat.-Nr. 8
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u. 23), eines hiervon auch auf das Jahr 1818 datiert, sind sicher mit den von Carus erwähnten kleinen Radierungen identisch. Carus’ neuerliches Interesse an einer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Druckgraphik könnte durch die Arbeit an seinem vielbeachteten Handbuch über vergleichende Anatomie, dem Lehrbuch der Zootomie, angeregt worden sein, für welches er zu jener Zeit zwanzig Kupfertafeln anfertigte. Bereits vier Jahre zuvor war parallel zu den sechs von Carus selbst radierten Tafeln zu seiner Schrift Versuch einer Darstellung des Nervensystems und insbesondere des Gehirns nach ihrer Bedeutung, Entwickelung und Vollendung im thierischen Organismus eine künstlerische Radierung entstanden, die das Innere der in der Völkerschlacht bei Leipzig zerstörten Kirche von Probstheida zeigt (vgl. Essay-Band S. 112, Abb. 18). Wie in jenem Fall, so hat sich auch für die Gartentür eines Loschwitzer Weinberges die Vorzeichnung erhalten (Kat.-Nr. 21). DG
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Der Lilienstein · 1816 Öl auf Leinwand · 15 × 22 cm Privatbesitz
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Bauernhaus in Rathewalde 1818 Radierung · 11,2 × 8,3 cm Bez. u. l.: SC [ligiert] Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden · Inv.-Nr. A 133880 Erworben 1865. Siehe Kat.-Nr. 22.
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KUNST
Literatur: Prause 1968, Nr. 348 Im Postskriptum eines von Carus an Regis gerichteten Briefes vom 21. Juli 1816 heißt es: »Grüssen Sie [Julius Athanasius] Dietz, die kleine Landschaft vom Lilienstein, von der ich ihm schrieb, kann ich nun doch nicht nach Leipzig senden, sie muss noch manche Nachhilfen erhalten« (Einf. d. Verf.). Mit hoher Wahrscheinlichkeit bezieht sich die Textstelle auf das vorliegende Bildchen, das den Lilienstein aus einiger Entfernung von Norden gesehen zeigt. Marianne Prause erstellte am 9. September 1990 ein in Privatbesitz befindliches Gutachten zu dem kleinformatigen Bild und schrieb darin unter anderem: »Das Gemaelde faellt durch seine frische Farbigkeit und naturalistische Malweise auf, es erinnert ein wenig an den fruehen Naturalismus der Kuenstler der Schule von Fontainbleau. Ich halte das Bildchen für ein Werk von Carl Gustav Carus. In meinem Werkverzeichnis wird es unter der Nummer 348 gefuehrt […]. Carus hat dieses Bildchen noch vor seiner Bekanntschaft mit den Landschaften Caspar David Friedrichs gemalt, unter dessen Einfluss aenderte sich die naturalistisch
gefaerbte Bildauffassung zugunsten romantischer Ausdrucksformen im Sinne Friedrichs.« Eine um 1815|16 zu datierende Bleistiftzeichnung von Carus, die den imposanten Tafelberg im Herzen der Sächsischen Schweiz in einer ähnlichen Ansicht zeigt und welche mit »Lilienstein v. d. Nordseite« bezeichnet ist, wird im Kupferstich-Kabinett Dresden verwahrt (Inv.-Nr. C 1963-272). Weitere, später entstandene Ansichten vom Lilienstein belegen Carus’ anhaltendes Interesse an diesem Motiv (Kat.-Nr. 166 bis 168). DG
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Heimkehr der Mönche ins Kloster · um 1816/18 Öl auf Karton auf Leinwand · 50 × 63 cm Museum Folkwang, Essen · Inv.-Nr. G 22 1942 durch das »Reichsministerium für Volksaufklärung« überwiesen im Austausch gegen beschlagnahmte Werke. Literatur: Prause 1968, Nr. 333 · Kat. Essen 1971, Nr. 22
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Dieses unbezeichnete Gemälde aus dem Museum Folkwang in Essen nahm Marianne Prause unter der Rubrik »Ruinen« in ihren 1968 veröffentlichten Katalog der Werke von Carl Gustav Carus auf und datierte es um 1816 – 1818 (Prause 1968, Nr. 333). Ohne dies näher zu kommentieren, merkte sie an, dass es sich bei der dargestellten Szene vielleicht um »eine Reminiszenz zu Dante« (ebd.) handeln könne. Die von ihr vorgenommene Datierung des Bildes rekurriert sicher auf diese Überlegung, denn Carus’ beginnende künstlerische Auseinandersetzung mit Dantes Göttlicher Komödie ist für diesen Zeitraum nachweisbar. Unter den vier Werken, die er bei seiner ersten Teilnahme an der Akademischen Kunstaustellung in Dresden zeigte, war auch ein »Eingang zur Unterwelt. Phantasie nach Dante, Hölle 1. Gesang« (zit. n. ebd., S. 95, Nr. 39) – so der
Eintrag im Katalog des Jahres 1816. Acht Jahre später wurde eben jenes Gemälde in der Ausstellung des Großherzoglichen Zeicheninstitutes zu Weimar gezeigt und daraufhin in Kunst und Altertum wie folgt besprochen: »Der Eingang zur Hölle nach Dante. In hoher steiler Felswand erblickt man eine weite Öffnung einer Höhle oder vielmehr eines ungeheuren in die Tiefe gehenden Schlundes. Über der Felswand erheben sich auf der Höhe dampfende und zum Teil Flammen auswerfende Berggipfel, im Vordergrunde an der Seite stehen karg belaubte Bäume, im Sturm sich beugend. Durch die aus dem Dichter bekannte Aufschrift über dem Höllentor und zwei mit Lorbeer bekränzte Figuren in langen weißen Gewändern, welche in den Schlund hinuntersteigen wollen, erfährt der Beschauer des Gemäldes nähere Bedeutung, welches geistreich gedacht und von Seiten der Anordnung befriedigend ist.« (zit. n. ebd.).
Die in dieser, wie auch in anderen Besprechungen beschriebene düstere Atmosphäre des verschollenen Dante-Bildes lässt sich sicher auf das vorliegende Gemälde übertragen, doch gibt es darüber hinaus kaum Hinweise darauf, dass es sich hier um eine künstlerische Bearbeitung des mittelalterlichen Textes handelt. Anstelle von Dante und Vergil, die im Begriff sind in die Hölle hinabzusteigen, ist hier eine Gruppe von Mönchen dargestellt, die, so dürfen wir vermuten, sich in Form eines Prozessionszuges von einem Gebäude im Hintergrund kommend zum morgendlichen Gebet in einer Kapelle einfinden. Insofern ist auch der bislang gebräuchliche Titel Heimkehr der Mönche ins Kloster etwas irreführend. DG
KÜNS TLERISCHE ANFÄNGE
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KUNST
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Winterlandschaft mit verfallenem Tor · 1816/18
Klosterruine mit Leichensteinen im Mondlicht · 1818
Öl auf Leinwand · 22 × 28,5 cm Bez. u. M.: GC [ligiert] 1816|18 Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden · Inv.-Nr. 83|02 Erworben 1983 aus Privatbesitz in Dresden.
Öl auf Leinwand · 22,5 × 28,5 cm Bez. u. r.: GC [ligiert]|1818 Lindenau-Museum Altenburg · Inv.-Nr. 1186 Erworben 1959 über die Kunsthandlung Franke, Leipzig.
Literatur: Neidhardt 1985, S. 8 – 9 · Ausst.-Kat. Krems 1999, S. 312, Nr. 92
Literatur: Gabelentz 1959 · Prause 1968, Nr. 102
Das mit einem gotischen Spitzbogen versehene Tor eines weitgehend verfallenen Bauwerkes überragt die bei Mondlicht fahl erleuchtete Ebene, welche unter dem winterlich kalten Schnee erstarrt zu sein scheint. Das Tor kann als Eingang zu einem jenseitigen Bereich des Todes aufgefasst werden, wenn man die Bilddarstellung im Sinne der Symbolsprache Caspar David Friedrichs versteht. Auch die kahlen Äste im Vordergrund vor dem bröckelnden Gemäuer und die angelehnte Grabplatte in der Bildmitte legen den Gedanken an die Vergänglichkeit nahe. Hans Joachim Neidhardt hat das Gemälde einer Gruppe von »Trauerbildern« im Œuvre von Carus aus jener Zeit zugeordnet und auf den Zusammenhang mit dem frühen Tod des erstgeborenen Sohnes Ernst Albert hingewiesen, der am 11. Mai 1816, erst vierjährig, in Dresden starb. Die erste Jahreszahl auf der Grabplatte mit Kreuz im Vordergrund, welche auch die Künstlersignatur trägt, kann diese Bezugnahme wohl unterstreichen. Ein nahe vergleichbares, jedoch etwas größeres und mit der Jahreszahl 1817 bezeichnetes Ölbild von Carus Winterlicher Friedhof mit steinernem Torbogen im Mondschein (Prause 1968, Nr. 101, Abb. S. 14), das die beschneite Ebene jenseits des Tores mit zahlreichen Grabkreuzen deutlicher als Bereich des Todes kennzeichnet, ist seit langem verschollen. Unser Bild wird im Werkkatalog von Marianne Prause nicht aufgeführt, doch ist es bereits 1934 von Karl-Wilhelm Jähnig, dem langjährigen Friedrich-Forscher und Kustos der Dresdener Gemäldegalerie, Carus zugewiesen worden. Es befand sich bis 1983 in Dresdener Privatbesitz. GS
scheine, die Nebel- und Winterbilder, sowie Waldesdunkel mit sparsam durchbrechendem Himmelsblau sind solche Klagelaute einer unbefriedigten Existenz‹, Worte, in denen der Gegensatz des Malers zu seiner Zeit zum Ausdruck kommt und die wie auf das Altenburger Bild bezogen erscheinen.« (Gabelentz 1959, S. 155). DG
Obgleich sich Carl Gustav Carus und Bernhard August von Lindenau persönlich kannten und über das Arzt-Patient-Verhältnis hinaus offenbar auch eine freundschaftliche Beziehung zwischen beiden bestand, stammt dieses kleine Gemälde nicht aus dem Besitz des ehemaligen sächsischen Staatsministers und bedeutenden Kunstsammlers, sondern wurde erst 1959 für das Altenburger Lindenau-Museum erworben. Das Gemälde reiht sich in eine Folge von Ruinen- und Mondscheinlandschaften ein, die Carus wohl noch weitgehend unbeeinflusst von den Bildideen seines späteren Freundes und Mentors Caspar David Friedrich schuf. Ob Carus in diesem Bild eine reale Klosterruine oder eine imaginierte Architektur wiedergab, muss ebenso offenbleiben wie die Frage, ob es sich bei den ungleichen rechteckigen Steinblöcken tatsächlich um Leichensteine oder um Fragmente eines weiteren Gebäudes handelt. Der gebräuchliche, auch von Marianne Prause in ihrem Werkverzeichnis verwendete Titel Klosterruine mit Leichensteinen im Mondlicht dürfte auf eine Beschreibung des Gemäldes durch Hanns-Conon von der Gabelentz zurückgehen, die anlässlich der Neuerwerbung des Bildes für das Lindenau-Museum erschien. Darin heißt es: »In verschwimmender Atmosphäre unter einem von Mondlicht übergossenem Himmel, bewegt von ineinanderfließenden zarten Wolken sind Leichensteine neben den verfallenen Mauern einer Klosterruine der Inhalt des in düsteren, nur von wenigen Lichtern erhellten, in graublauen, olivgrünen und braunen Tönen gemalten Bildes, das die Worte des Malers bestätigt: ›Leichensteine und Abendröte, eingestürzte Abteien und Mond-
KÜNS TLERISCHE ANFÄNGE
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Kat.-Nr. 52
Rügen » ...ich habe kaum jemals wieder dies Gefühl so reinen, schönen und einsamen Naturlebens gehabt, ...«1
Auf Anregung von Caspar David Friedrich, der ihm in den Jahren nach der Übersiedlung von Leipzig nach Dresden bald zum engen Künstlerfreund geworden war, reiste Carl Gustav Carus im August 1819 nach der Insel Rügen, um die norddeutsche Heimat Friedrichs besser kennenlernen zu können, was ihm als eine wichtige Grundlage für das Verständnis von dessen Kunstäußerungen aufgegangen war. Als Carus in seinen Lebenserinnerungen auf jene Sommerreisen zu sprechen kam, die er zu unternehmen begann, um sich nach den ersten Jahren anstrengender ärztlicher Tätigkeit in Dresden von drohenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erholen, bemerkte er dort: »Es war infolge meiner geschlossenen Freundschaft mit Friedrich, und einer dadurch vielfach geweckten Sehnsucht nach der von ihm in Zeichnungen so schön aufgefaßten Ostsee und der rügenschen Insel, daß d a s M e e r zum ersten Zielpunkt eines solchen Ausflugs gewählt wurde.« 2 Tatsächlich erwartete sich Carus von solchen, der Erholung dienenden Reisen auch, dass sie »zu neuen größern Naturscenen mich brächten, und dadurch geistig und leiblich zu erfrischen, ja zu erneuen im Stande wären«.3 So ist für den Binnenländer Carus vor allem das Erlebnis des Meeres zu einem nachhaltig bestimmenden Eindruck jener Reise an die Ostsee im August 1819 geworden. Nur wenige Wochen nach der Rückkehr von der Küstenlandschaft in die sächsische Heimat teilte Carus dem Freund Regis mit: »[...] zuerst drängte es mich nach dem Meere, nach dieser Riesenschlange, welche den Erdkern wie eine Beute umfaßt hält. In dieser geheimnisvollen salzigen Fluth, in dem wahren Blute der Erde, welches mit Titanenkraft in ewigem rastlosen Leben fluthet, war mir, als müßte ich wie in einem ungeheuren Zauberspiegel manchen Gedanken über das Geheimnis des Lebens verkörpert erblicken, und die Erwartung trog mich nicht, ja, manches fasse ich nun erst recht, wenn ich mir in stillen Stunden diese Seenatur mit voller Lebendigkeit, wobey Übung und Zeichnungen mich unterstützen, hervorrufe. – Wahrhaftig! eben rauscht in der finstern Nacht der Wind wieder so auf, wie ich ihn auf den Kreidefelsen von Stubbenkammer vernahm.« 4 Wenn Carus in der Empfindungsbereitschaft gegenüber der nordischen Landschaft ebenso wie bei der künstlerischen For-
mulierung seiner Erlebnisse dem Vorbild Friedrich (Abb. 1) weitgehend folgte, so ist er bei der unmittelbaren Schilderung solch kraftvoller Naturgewalten bisweilen sogar über diesen hinausgegangen. Der überwältigende Eindruck des Meeres führte ihn noch im Jahr der Reise 1819 zu einer Bildformulierung wie der Brandung bei Rügen (Kat.-Nr. 33), deren elementarische Auffassung sich von Friedrichs Seestücken deutlich unterscheidet. Über den Verlauf der Rügen-Reise sind wir durch tagebuchartige Notizen unterrichtet, die Carus dann in seine Lebenserinnerungen aufnahm,5 sowie durch eine größere Anzahl von gezeichneten Reiseskizzen, die teils mit Ortsangaben und taggenauen Datierungen versehen sind.6 Marianne Prause hat in ihrer Monographie von 1968 nach diesen Angaben eine Rekonstruktion der Reiseroute über die Insel versucht.7 Deutlich wird dabei, dass Carus – die Anreise von Dresden und die Rückreise ausgenommen – gerade eine Woche zur Verfügung stand, um die Insel näher kennenlernen zu können. Die Überfahrt nach Rügen von Greifswald aus begann am Morgen des 14. August; bereits in der Frühe des 21. August wurde die Rückfahrt zum Festland angetreten. In den dazwischenliegenden Tagen hatte Carus bei langen Tagestouren Gelegenheit, die Landschaften Rügens und die »reiche, kräftige Urnatur des Nordens« 8 dort näher zu erkunden: zunächst von Putbus über den Vilm und Mönchgut an der Ostseite der Insel entlang wandernd, um das Nordperd herum bis nach Sellin und Bergen hinauf. Dann waren Stubbenkammer mit dem Königsstuhl und Arkona eindrucksvolle Höhepunkte der Reise. Altenkirchen und Wiek standen am Abschluss des Aufenthaltes. Carus unternahm die Reise gemeinsam mit dem Dresdener Münzmeister Dr. Friedrich Gotthelf Kummer, der früher bereits mit Caspar David Friedrich auf der Ostseeinsel gewesen war und dem Carus – seinen eigenen Worten zufolge – überhaupt die Bekanntschaft mit dem norddeutschen Wahldresdener zu verdanken gehabt hatte.9 Der zweite Begleiter war sein alter Freund Julius Athanasius Dietz, erster Zeichenlehrer der Frühzeit in Leipzig. Aber diese Reisebegleitung, von der Carus in seinen Lebenserinnerungen sonst wenig zu berichten weiß,10 scheint die Erlebnisfähigkeit auf der Insel und die Aufnahmebereitschaft gegenüber der Natur nicht unbedingt gesteigert zu
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Dresden und Pillnitz Anfang November 1814 übersiedelte der Arzt Carl Gustav Carus infolge einer Berufung von seinem Geburts- und Studienort Leipzig in die Haupt- und Residenzstadt Dresden, die ihm schließlich zur lebenslangen Wahlheimatstadt werden sollte. Dieser Ortswechsel bedeutete jedoch nicht nur beruflichen Aufstieg, sondern das neue Umfeld hat auch dem Künstler Carus entscheidende Orientierungen gegeben. Erst in Dresden, der Kunst- und Kulturstadt an der Elbe, gelegen in landschaftlich reizvoller Umgebung, hat Carus jene bestimmenden Anregungen erhalten, die ihn – obgleich Dilettant – bald zu einem der bis heute bekanntesten Maler seiner Zeit werden ließen. 1816 nahm Carus mit vier inzwischen verschollenen Gemälden erstmals an der alljährlichen Dresdener Akademie-Ausstellung teil, und bis in die 1840er Jahre hinein war er dann nahezu regelmäßig bei diesen großen Präsentationen aktueller Kunst in der Elbestadt vertreten. Gegen 1818 befreundete er sich mit Caspar David Friedrich, dem er neben einiger Anleitung in der Ölmalerei vor allem die Motivik zahlreicher seiner Bilder verdankte, wobei der zunächst sehr enge künstlerische Anschluss sich mit der wachsenden Entfremdung zwischen beiden Männern in den späten 1820er Jahren wieder löste.1 Bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in der Elbestadt 1814 berichtete Carus in Briefen an seinen Leipziger Freund Regis, welchen verändernden Einfluss die intensive Wahrnehmung der neuen Umgebung auf sein Wirken als Künstler nahm. Im Anschluss an die Beschreibung eines »wunderbaren und großen Naturschauspiels«, das Carus sich bei einem abendlichen Spaziergang auf der Brühlschen Terrasse an der Elbe geboten hatte, stellte er fest: »Es geht mir wunderlich hier mit meinen Malereien, sie sind mir zum Theil, und zwar zum grössten Theil recht fatal geworden, bei der grössern Natur von hier, und den reinern Farbentönen, die bey der weitern Ferne hier sich deutlicher darstellen, fühle ich das Enge, das Unreine meiner frühern Bilder nur zu lebhaft.« 2 In den Lebenserinnerungen unterstrich Carus dann, als er jenen Brief zitierte, dass ihn damals schon »die Witterungs- und Lichteffekte« stark bewegt hätten und dass er sich im Beschreiben des »poetischen Reflexes« übte, »welchen dergleichen größere und mir so neue Scenerien auf mein inneres Leben warfen«. 3 Mehr und mehr fühlte Carus, »wie sehr meine neue Heimat nach allen Richtungen mir zusagte. Der eigene poetische Schimmer, der über Dresdens Terrassen und Kirchen und Brücke gebreitet war [...], er war ganz für mein Wesen geeignet.« 4 (Abb. 1).
Hans Joachim Neidhardt hat 2005 in seinem Aufsatz Zur Ambivalenz des Atmosphärischen bei Carl Gustav Carus darauf hingewiesen, dass die Jahre 1821/23 als eine »Zeit der Neubesinnung und Wandlung« für Carus »in der Entwicklung seiner ästhetischen Rezeption der Natur« gelten können und dass der Künstler in den Fragmenten eines malerischen Tagebuchs von 1822/24, welche er als Resultat von Beobachtungen meist abendlicher Spaziergänge später seinen Landschaftsbriefen beigab, »ungemalte Bilder« von einer derartigen »Kühnheit und Progressivität« entworfen hat, dass diese, wären sie gemalt worden, zum Modernsten ihrer Zeit gezählt hätten.5 Schon 1814 geht aus einem Brief an Regis hervor, dass Carus gerade seine »Spaziergänge« ganz bewusst der eigenen künstlerischen Beschäftigung zurechnete.6 Diese intensive Wahrnehmung von Naturbildern und Naturstimmungen hat Carus auch späterhin beizubehalten gesucht. Es waren dabei eine Reihe von eher rasch anzufertigenden zeichnerischen Skizzen, und weniger Ölstudien oder größere Gemälde, bei denen solche Beobachtungen – über die Beschreibung in Worten hinaus – unmittelbar ihren künstlerischen Niederschlag fanden. So heißt es in den Lebenserinnerungen bei Gelegenheit der Schilderung von großartigen »Scenen des Eisganges auf der Elbe« im Jahre 1830, die Carus in mehreren Zeichnungen festgehalten hatte, zur malerischen Bewältigung solch glänzend beschriebener Dresden-Eindrücke: »[...] als Hintergrund streckte sich entweder die Stadt mit der immer groß und elegant sich ausnehmenden Elbbrücke dahin, oder die feinen, langen Linien der sogenannten Hoflösnitz stuften im zart violetten, winterlichen Duft reizend sich ab, kurz, es gab Bilder, die sehr verdient hätten, in größern Oelgemälden würdig dargestellt zu werden, wozu jedoch mir weder Zeit noch Kunst ausreichen wollten.« 7 In seinem autobiographischen Lebensrückblick hat der zeitlebens vielbeschäftige Carus mehrfach darauf verwiesen, wie wichtig ihm zur Erhaltung seiner physischen und psychischen Gesundheit neben den größeren Reisen, die er wiederholt unternahm, stets auch die »Umgegend Dresdens« gewesen ist, indem diese »so heilsam auf mich gewirkt, daß vielleicht nur hier es möglich werden konnte, Arbeit, wie ich bisher sie übernommen hatte, gewachsen zu bleiben«. 8 Dabei hat der Ort Pillnitz, südöstlich von Dresden an der Elbe gelegen (Abb. 2), nicht nur für den beruflichen Werdegang von Carus, sondern wiederum auch für den Künstler Carus und dessen intensivere Wahrnehmung der Natur eine besondere Rolle gespielt. Carus
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Italien
1821 – Nur dem, was dem eigenen Inneren schon zugehört, wird sich die Wahrnehmung öffnen. So empfand es Carus; so hatte er auf seiner Rügenreise 1819 das Erlebnis des Meeres aufgenommen. Und, so eröffnete er das Tagebuch seiner vom 17. Juli bis zum 7. Oktober 1821 unternommenen Reise, »gehe ich nun den Alpen mit großer innerer Spannung, so gehe ich der südlichen Natur Oberitaliens und des Mittelländischen Meeres entgegen«.1 Die durch ein Regierungsstipendium ermöglichte »wissenschaftliche Reise« 2 führte ihn über die Schweizer Alpen bis nach Genua. Auf vielen Stationen der Hin- und Rückreise durch Deutschland und die Schweiz traf man Carus vor der Natur zeichnend an, teils gemeinschaftlich mit Julius Dietz, der ihn als wissenschaftlicher Zeichner begleitete.3 In Genua angekommen widmete Carus sich vornehmlich der wissenschaftlichen Aufgabe, die er sich gestellt hatte: Auf dem Fischmarkt wurden Meerestiere erworben, seziert und von Dietz gezeichnet; der Gestank aus dem Pensionszimmer belästigte die anderen Gäste und zwang gar zum Umzug innerhalb des Hauses.4 Doch in seiner Kunstübung hemmte den reisenden Forscher – für ihn selbst überraschend – ein Gefühl der Fremdheit. In seinem Tagebucheintrag vom 24. August bemerkte er: »Diese ganze Natur wirkt eigen auf mich! Ich erkenne die Schönheit dieser Gegenden, aber ich fühle mich ihr fremd und die künstlerische Anregung fehlt mir noch ganz. Sie würde übrigens unter diesem Himmel gewiß nicht lange schweigen.« 5 Die verbleibende Zeit reichte nicht mehr; schon am 31. August rüstete man sich zur Abreise. Carus erwähnt unter diesem Datum noch einen Ausflug vom 26. August zum »Palazzo Durazo«, der »außerhalb der Stadt liegt und eine leidliche Naturaliensammlung enthält«. 6 Dieser Ausflug ist »zum einzigen recht echt südlichen Bilde geworden, das ich von diesem Genua mit nach unserm Norden bringen werde. Der Blick vom Meere aus auf die Stadt, mit ihren Palästen und den dahinter aufsteigenden mit Festungswerken gekrönten Bergen, wird mir unvergeßlich bleiben.« 7 Das Erlebnis des Mittelmeeres und einer südlichen Hafenstadt fügte dem tiefen Eindruck, den die Reise an die Ostsee bei Carus hinterlassen hatte, eine neue Dimension hinzu, die zugleich seinen Sinn für die Wahrnehmung zeitgenössischer Italienbilder mit Küstenlandschaften geweckt haben wird und ihm noch vor seiner zweiten Italienreise 1828 zur Erfindung von südlich geprägten Küstenlandschaften Anregung gab (Kat.Nr. 82 bis 84).
1828 – Der Besuch bei Goethe in Weimar am 21. Juli 1821 hatte den Auftakt zu Carus’ erster Reise nach Genua gebildet und so führte er die Anregungen der einzigen mit dem verehrten Dichter verbrachten Stunden damals gleichsam im Reisegepäck.8 Einen ähnlichen Impuls mag Carus der Ausruf des in Dresden zurückbleibenden Prinzen Johann mit auf den Weg gegeben haben, als er »am 1. April 1828 früh gegen 4 Uhr« für vier Monate zu seiner zweiten großen Italienfahrt aufbrach: »Gedenken Sie mein, wenn Sie den Sassi di Dante erblicken!«9 Der frischgebackene Leibarzt unternahm diese Reise im Gefolge des Prinzen Friedrich August, und sie führte ihn über Florenz und Rom bis in den Süden des Landes, nach Neapel, Pompeji und Paestum: Das zwei Bände mit insgesamt fast 700 Seiten umfassende Tagebuch zu dieser Reise gab Carus 1835 im Druck heraus (Kat.-Nr. 291). In kleinen Landschaftsskizzen sind mehrere Stationen der Fahrt in der Toskana und der Emiglia Romana dokumentiert, sodann der Rückweg über Livorno 10 und Mailand (Kat.-Nr. 85 bis 92).11 Vielfach ist das Zeichnen vor der Natur auch in seinem Reisetagebuch erwähnt. Dort berichtet er am 23. Juni auch von seinen Zeichnungen nach Kunstwerken wie »Figuren und Köpfe von des Fiesole wundersamer Kreuzabnahme«, die er sich »auf Carta lucida« – sprich auf starkes Pauspapier – durchzeichnete, und weiter über seine malerischen Studien: »Heute aber beendete ich zuvörderst ein Studium in Oelfarben, welches ich nach der Aussicht von Hartmanns Fenster in Poggio imperiale bei Morgenbeleuchtung angefangen hatte zu malen.« 12 Der südliche Teil der Reise hat dann vor allem in solchen zum Teil vor Ort angelegten, zumeist jedoch später ausgeführten kleinen Ölstudien Ausdruck gefunden. Nach der Rückkehr arbeitete Carus in Dresden Gemäldekompositionen aus, von denen man annehmen kann, das sie in der malerischen Wiedergabe des Atmosphärischen auf diesen Studien gründen und zudem durch (heute nicht mehr erhaltene) weitere Zeichnungen vorbereitet worden sind. In ihnen stellte Carus das Faszinosum Süditalien dar: Neapolitanische Fischerszenen, Ausblicke auf den Hafen Neapels vor der Kulisse des Vesuv bei azurblauem Himmel und das Meer bei Capri bestimmen die romantische Szenerie (Kat.-Nr. 97 bis 103). 1841 – Ein drittes und letztes Mal reiste Carus 1841 nach Italien und auch auf dieser Reise führte er ein Tagebuch, das 1848 zusammen mit einer umfangreichen Aufsatzsammlung unter dem Titel Mnemosyne erschien (Kat.-Nr. 293).13 Das Ta-
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Phantasie über die Musik · 1827 (Kopie eines unbekannten russischen [?] Künstlers nach Carl Gustav Carus’ Gemälde von 1823) Gouache, gezeichnete Umrandung mit Feder in Braun · 48,3 × 38,7 cm Klassik Stiftung Weimar, Museen, Graphische Sammlung · Inv.-Nr. GHz (alte Inv.: AK Nr. 1862 Schuchardt) · Erworben 1924 von der Galerie Stern, Düsseldorf. Literatur: Prause 1968, Nr. 1 (Kopie) · Sumowski 1970, S. 86 · Grosche 2001, S. 149 – 150
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Ein verlassener Stuhl steht auf dem mit einer schlichten Brüstung abgeschlossenen Söller und daneben eine Harfe. Hinter ihr geht der Vollmond auf und wird die turmreiche Silhouette einer altertümlichen Stadt sichtbar. Seitlich wächst das Laub herein, als fordere die Natur ihren Tribut. Dies alles ist einbeschrieben in den Dreipass eines Laubengangs und beschwört die kontemplative Stille eines Danach oder Davor – denn der Musiker ist abwesend. Carus verlieh dieser poetischen Schöpfung den Titel Phantasie über die Musik und brachte mit »Phantasie« einen Zentralbegriff der romantischen Dichtung mit einem musikalischen Gattungsbegriff in Einklang. Für die Dichter der Romantik war das freie Spiel der Phantasie Ausdruck freier, ganz ungebundener Schöpferkraft. Für die romantische Musik hingegen war die Phantasie, das Phantasiestück (etwa bei Robert Schumann) ein Klanggebilde ohne festgelegtes Formschema, dessen wichtigstes Ziel darin bestand, eine Stimmung musikalisch zum Ausdruck zu bringen.
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Das Gemälde, das dieser mit Deckfarben ausgeführten Kopie zugrundelag, ist verschollen. Es war nach St. Petersburg verkauft worden, wurde dort von unbekannter Hand kopiert und gelangte in Gestalt dieser Kopie als Geschenk des germanophilen Russen Wassili Andrejewitsch Shukowski an Goethe. Dieser Umstand verrät die Wertschätzung, die der Schöpfung zuteil wurde. Der in Kunstdingen enthusiastische, etwas konservative Quandt allerdings missbilligte die romantische Vermischung der Gattungen: Musik müsse man hören und dürfe man nicht zu malen versuchen, deshalb sei dieses Bild eine »Verirrung« (zit. n. Prause 1968, S. 86).
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Insel Staffa · vor 1846 Öl auf Leinwand · 93 × 120 cm Privatbesitz. Literatur: Prause 1968, S. 103 – 104, Nr. 70 Das großformatige Gemälde zeigt eine von der See her aufgenommene Teilansicht der Hebrideninsel Staffa mit dem Eingang in die Fingalshöhle und dem sogenannten Hirten, einer pyramidal geformten Basaltklippe, die der Insel vorgelagert ist.
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KUNST
Carus hatte Staffa am 25. Juli 1844 als Mitglied einer Reisegesellschaft des sächsischen Königs Friedrich August II. besucht und berichtete in seinem auf Tagebuchnotizen basierenden Bericht der mehrwöchigen Rundreise durch England und Schottland ausführlich darüber. In seinen Darlegungen schreibt er über die wohl »bedeutendste, großartigste und schönste Excursion dieser Reise« (Carus C. G. 1845, Bd. 2, S. 209) unter anderem: »Es war gegen 10 Uhr (d. h. also nach einer Fahrt [mit dem Dampfschiff] von etwa 5 1|2 Stunden von Oban aus), als wir die Felsen von Staffa deutlicher mit bloßen Augen erkennen konn-
ten […] Immer näher kam uns nun die Prachterscheinung dieser in undenklicher Zeit einst aus dem Boden des Meeres aufgestiegenen Basaltmasse! – Wir fuhren an der Südseite derselben vorüber und alsbald eröffneten sich die Wunder der Basaltcolonnaden und ihrer beiden großen mit Recht weltberühmten Höhlen. – Breit hin streckt sich die Insel über den prachtvoll grünlichen Wogen, graulich dunkel heben sich über dem wüsten Schaume der Brandung die Säulen, und über diese hin dehnt sich das hohe Lager eines gelblich schwärzlichen Trapp, der den Rasen auf der Höhe der Insel trägt. Das Schiff lehnte sich
ruhig in einer Büchsenschuß-Weite davor und gab nur einige Minuten (!) Zeit um einen flüchtigen Contur dieser ungeheuren Erscheinung zu nehmen! – Hier, wo man hätte Tage lang weilen mögen, um jede Einzelheit festzuhalten, sollte in solcher Kürze des Überwältigende selbst überwältigt werden! – Es galt die Organe zu spannen! – und gewiß! – man kann viel erfassen und festhalten, wenn solche begeisternde Aufgaben gegeben sind!« (ebd., S. 214 – 215; Einf. d. Verf.). Die von Carus hier erwähnte Zeichnung, die ihm später sicher als Vorlage für das Gemälde diente, scheint nicht erhalten zu sein. Der Briefwechsel zwischen Carus und Johann Gottlob Regis bietet einen Anhaltspunkt zur Datierung des Gemäldes. Über die Weihnachtstage des Jahres 1845 hatte Regis den zweiten Band des Berichtes der England- und Schottland-Reise gelesen und war in diesem Zuge auf ein Blatt von Wilhelm Gottlieb Tilesius von Tilenau gestoßen, das Staffa ebenfalls von Süden und vom Meer aufgenommen zeigt (Regis an Carus, 30. Dezember 1845; Sächsische Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden, Mscr. dresd. h 25,3). Der kolorierte Stich ist mit »WasserrabenHöhle auf der Insel Staffa« bezeichnet (Rosenmüller|Tilesius 1799|1805, Taf. III). In seiner Antwort vom 5. Januar 1846 nannte Carus die ihm bekannte Abbildung von Tilesius »zu abscheulich, als dass sie einen Begriff [von der Insel] gäbe!«, und schrieb weiter: »Kommen sie, einmal mein Bild davon zu sehen, welches Ihnen besser gefallen wird.« (Carus an Regis, 5. Januar 1846; Einf. d. Verf.). Hiermit kann Carus wohl nur sein Gemälde von der Insel Staffa gemeint haben, welches folglich 1845 vollendet gewesen sein muss. Carus’ Reisebericht enthält auch eine Beschreibung der Fingalshöhle, welche die Gesellschaft um Friedrich August II. sowohl aus einem Ruderboot vom Wasser her, als auch von den »obern Bruchflächen […] dicht an der Säulenwand« besichtigten konnte (Carus C. G. 1845, Bd. 2, S. 216). DG
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Basalthöhle (bisher: Inneres der Fingalshöhle auf der Insel Staffa) Aquarell, Feder in Grau und Schwarz, Einfassungslinie mit Feder in Dunkelgrau 27,8 × 31,1 cm Sammlungsstempel: Xaver Maria Cäsar von Schönberg-Rothschönberg (Lugt 2266); Prinz Johann Georg von Sachsen (Lugt 1466); unbekannter Stempel · Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Depositum der Freunde des Kunstmuseums und des Museums für Gegenwart · Inv.-Nr. 1949.79 Erworben 1949 vom Stuttgarter Kunstkabinett Ketterer. Literatur: Aukt.-Kat. Stuttgart 1949, Nr. 1155 · Jahresberichte. Öffentliche Kunstsammlung Basel. 1946 – 1950, S. 140, Nr. 149 · Prause 1968, S. 11, 57, Anm. 236, 237 · Ausst.-Kat. Basel 1982|83, S. 19 – 21, Nr. 3 · Ausst.-Kat. Edinburgh u. a. 1994|95, Nr. 35 · Busch 2003, S. 135 · Ausst.-Kat. Basel 2007, Nr. 29 Siehe Kat.-Nr. 176.
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In der Fingalshöhle auf der Insel Staffa Feder in Schwarz und Aquarell über Bleistift · 27,7 × 32 cm (Einfassungslinie mit Feder in Schwarz) Sammlungsstempel: Xaver Maria Cäsar von Schönberg-Rothschönberg (Lugt 2266); Prinz Johann Georg von Sachsen (Lugt 1466); unbekannter Stempel Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden · Inv.-Nr. C 1963-1532 Aus der Sammlung Prinz Johann Georg von Sachsen. Literatur: Aukt.-Kat. Leipzig 1858, S. 119, Nr. 2105 · Aukt.-Kat. Leipzig 1940, S. 16, Nr. 133 · Ausst.-Kat. Frankfurt a. M.|Weimar 1994, S. 513, Nr. 340 · Ausst.-Kat. Dresden 2004, S. 150
Die Aquarelle Basalthöhle (bisher: Inneres der Fingalshöhle auf der Insel Staffa) (Kat.-Nr. 175) und In der Fingalshöhle auf der Insel Staffa (Kat.-Nr. 176) geben beide Höhlenansichten wieder, die durch basaltische Säulenbildungen charakterisiert sind. Bislang ging man davon aus, dass sowohl auf dem Blatt aus Basel wie auch auf der Dresdener Zeichnung die sogenannte Fingalshöhle der Hebrideninsel Staffa dargestellt sei, welche Carus während seiner Reise nach England und Schottland am 25. Juli 1844 gesehen hatte. Neuere Überlegungen führten jedoch zu der Erkenntnis, dass auf dem Baseler Blatt (Kat.-Nr. 175) unmöglich die Fingalshöhle dargestellt sein kann und dass es sich bei den beiden Zeichnungen um Bühnenbildentwürfe handeln dürfte, die nicht nach der Natur, sondern nach zeitgenössischen Illustrationen entworfen wurden (vgl. den Beitrag von Werner Busch im Essay-Band). Darüber hinaus lassen einige Indizien auch die Zuschreibung an Carl Gustav Carus zweifelhaft erscheinen. Zum einen sind die Aquarelle über sorgfältig mit Bleistift und Lineal ausgeführten Konstruktionslinien angelegt, was in seinem zeichnerischen Œuvre nach gegenwärtiger Kenntnis singulär wäre, zum anderen befanden sich die beiden Blätter bereits zu Carus’ Lebzeiten in der Sammlung von Xaver Maria Cäsar von Schönberg-Rothschönberg (1768 – 1853) und wurden 1858 nach dem Tod des Sammlers ohne Angabe eines Künstlernamens versteigert. Bislang ließ sich weder eine Beziehung von Carus zu dem Sammler nachweisen, noch findet sich in Carus’ Schriften eine Erwähnung der Zeichnungen. Wann die Blätter Carus zugeschrieben und rückseitig mit seinem Namen versehen wurden, hat sich bisher nicht klären lassen. Trotz aller Bedenken gelten die beiden Aquarelle, die offenkundig von der Hand eines Künstlers stammen, weiterhin als Werke von Carl Gustav Carus. Die neu gewonnene Erkenntnis, dass die Werke höchstwahrscheinlich auf graphischen Vorlagen basieren, stützt frühere Vermutungen, nach welchen die Zeichnungen auch unabhängig von Carus’ Besuch
GEOGNOSTISCHE L ANDSCHAFTEN
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