Archistories. Architektur in der Kunst

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ARCHISTORIES

ARCHITEKTUR IN DER KUNST

DANK

Die Kunsthalle dankt den beteiligten Künstler:innen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit:

Stephen Craig, Nicolas Daubanes, Alain Delorme, Niklas Goldbach, Laurent Goldring, Dionisio González, Beate Gütschow, Judith Hopf, Jochen Kuhn, Axel Lieber, Isa Melsheimer, Henrique Oliveira, Julia Oschatz, Jakob Kudsk Steensen, Hito Steyerl, Rebecco Ann Tess, Michael Wesely, Helmut Wimmer

Herzlicher Dank geht an die Leihgeber dieser Ausstellung:

Galerie Maubert, Paris

Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Philipp von Rosen Galerie, Köln

Sammlung Goetz, Medienkunst, München sixpackfilm, Wien

SWR Media Services GmbH

Suhrkamp Verlag, Berlin

Taubert Contemporary, Berlin

Dank für finanzielle Unterstützung:

Fontana Stiftung

Wüstenrot Stiftung

Für Kooperationen zum Begleit- und Vermittlungsprogramm dankt die Kunsthalle:

Prof. Dr. Peter Overbeck und Margit Fritz M. A. und den Studierenden des Master-Studiengangs Musikjournalismus für Rundfunk und Multimedia im Landeszentrum für Musikjournalismus und Musikinformatik der Hochschule für Musik Karlsruhe

Studierenden der Kunstgeschichte am KIT

Saskia Fleischhauer, Filmtheater »Die Schauburg«, Karlsruhe

6 Vorwort

Frédéric Bußmann

10 Archistories. Körper, Sprache, Raum

Kirsten Claudia Voigt

26 Architektur und Gesellschaft. Zur Sozialgeschichte des Architekturbildes vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert

Martin Papenbrock

40 LEBENSRÄUME, DASEINSBILDER 1 HÄUSER

78 LEBENSRÄUME, DASEINSBILDER 2 KERKER

86 Tatort Ornament. Zeichnungen aus der Werkstatt Piranesis

Dorit Schäfer

94 TRANSITORISCHE RÄUME 1 BRÜCKEN

116 Brücken als Königsdisziplin der Baukunst.

Symbol – Darstellung – Narration

Amelie Mussack

128 TRANSITORISCHE RÄUME 2 PLÄTZE, STRASSEN, ÜBERGÄNGE

146 ARCHITEKTUR UND MACHT

156 Treppe als Motiv Meinrad Morger

158 INDUSTRIEARCHITEKTUR

166 »Archistories«. Raum-Zeit-Transformationen in der Kunst Christoph Wagner

172 ERHABENE RÄUME VEDUTE UND STUDIE

194 SCHAUPLATZ RAUM ARCHITEKTUR UND BÜHNE

208 WAND UND FENSTER ALS METAPHER

220 INNEN BAU, KÖRPER, RAUM

238 KÜHNE KONSTRUKTIONEN

256 RUINEN DIE GEGENWART DER ERINNERUNG

284 Naturgeschichte(n) der Architekturzerstörung Joaquín Medina Warmburg

290 Kurzbiografien

300 Bibliografie

302 Abbildungsnachweis

304 Impressum

Wie wichtig etwas ist, merkt man manchmal erst, wenn es nicht mehr da ist. Die Abwesenheit macht die große Bedeutung des zuvor Anwesenden erst spürbar. Das gilt auch oder vielleicht besonders für den gebauten Raum, für Architektur, die uns umgibt und die wir häufig nicht ausreichend würdigen, wenn wir in ihr leben oder arbeiten, aber die wir vermissen, wenn wir sie dann verlassen müssen. Dies ist ein Zustand, den das Team und das Publikum der Kunsthalle Karlsruhe im Augenblick der Sanierung des Hauptgebäudes deutlich erleben. Deswegen wollen wir uns in der aktuellen Ausstellung der Architektur in ihren verschiedenen Facetten in der Kunst würdigend und zugleich kritisch widmen.

Architektur umgibt uns jeden Tag unseres Lebens. Sie beeinflusst und prägt uns, kann uns erfreuen, erbauen, ein Zuhause geben, Wohlbefinden auslösen oder auch einschüchtern und uns verschreckt zurücklassen. Sie kann krankmachen, beeindrucken, verwirren, amüsieren oder langweilen, manchmal auch einfach nur pathetisch sein. Mit Gebäuden und Räumen verbinden wir Geschichten, sie können wie Freunde und alte Bekannte sein. Der imaginierte, ja der sublimierte Raum verdichtet sich in unserer Vorstellungskraft zum Träger von Gefühlen, von Zivilisation und Größe, aber auch von Vernichtung, Zerstörung und Gewalt. Fantastische Architektur ist ein fester Topos in der (westlichen) Kunst, vom Himmlischen Jerusalem über Capricci des 18. Jahrhunderts bis zu Interieurs der Moderne und Stadtansichten der Gegenwartskunst. Und überall schwingt Geschichte mit, ist der umbaute Raum doch der Ort, an dem Geschichte und Geschichten sich manifestieren, sei es realiter oder in der Vorstellung. Auf solche Zusammenhänge verweist der Titel der Ausstellung, wenn aus der Architektur und der Historie der Neologismus »Archistories« wird – in seinem Wortsinn offen genug, um gleichermaßen erzählte Architektur und gebaute Geschichte meinen zu können, also in Stein geformte Erzählung oder Geschichten, die sich über das Bauen entwickeln lassen.

Gegenstand von ARCHISTORIES. Architektur in der Kunst sind unterschiedliche künstlerische Reflexionen zu diesem großen Feld der Architektur, zu ihrer Darstellung in den Künsten, den Bildtraditionen über die Jahrhunderte hinweg bis heute, mit fantastischen Welten, Paradiesvorstellungen, sachlicher Beobachtung oder auch dystopischen Kommentierungen. Künstlerische Arbeiten wenden sich ästhetischen und kulturellen Dimensionen von Architektur zu, werfen politische und soziale Fragen auf, fokussieren ökologische und ökonomische Belange. Dabei verknüpft die Ausstellung konzeptionell unterschiedliche Gattungen wie Malerei, Grafik, Fotografie oder auch Skulptur ebenso wie verschiedene Epochen, die mit einigen eigens für die Ausstellung geschaffenen Wer-

ken bis in die Gegenwart reichen. So zeigen wir hier den reichen Fundus der eigenen Sammlung von der älteren Kunst bis heute, wobei wir mit Nevin Aladag˘s Social Fabric, Arch von 2023 auch eine der jüngsten Neuerwerbungen integrieren. Ein besonderes Highlight der Ausstellung wird die erstmalige Präsentation der beiden Klebebände sein, die aus dem Nachlass des Karlsruher Architekten Friedrich Weinbrenner in die Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe gelangten und 2014 Giovanni Battista Piranesi zugeschrieben wurden.

Der Themenkomplex aus Bauen, Geschichte und Kunst ist für Karlsruhe und die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Denn nur wenige Städte in Deutschland zeigen eine so markante, gestalterisch gedachte Stadt- und Straßenanlage wie die sogenannte Fächerstadt Karlsruhe. Der Gedanke, über die Architektur und Stadtplanung die Gesellschaft zu formen, ist fest in der Gründung von Karlsruhe eingeschrieben, seit vom Jagdschloss des Markgrafen 1715/1718 ausgehend die strahlenförmige Planstadt entfaltet wurde. Am Zirkel des Schlossbezirks und den Magistralen zum Schloss als Zentrum der Stadtanlage reihten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts wichtige Institutionen und Kulturbauten. In einer solchen Konstellation ist die Kunsthalle als Gebäude, Sammlung und Idee zu verorten, unmittelbar in der Nachbarschaft des im Zweiten Weltkriegs zerstörten Hoftheaters, des Schlosses sowie des Botanischen Gartens und des Badischen Kunstvereins. In diesem urbanen Geflecht verdichten sich also Architektur, Kunst, Natur und Politik. Das ab 1837 durch Heinrich Hübsch erbaute Haupthaus der Kunsthalle ist keineswegs ein rein funktionaler, sachlicher Bau, sondern steckt in der historistischen Anlage und wandfesten Dekoration außen wie innen voller Geschichten. Als eines der ältesten noch weitgehend im Originalzustand vorhandenen Museumsgebäude verweist es auf die künstlerisch-ideologischen Traditionslinien einer Orientierung nach Italien als großes Vorbild. In der Gestaltung spiegelt sich die Kunstauffassung des sammelnden Großherzogs von Baden ebenso wie sein Wunsch, aus Karlsruhe mithilfe des Museums und der ebenfalls neu geschaffenen Kunstakademie eine Kunstmetropole mit starker symbolischer Ausstrahlung zu machen.

Dieses Hauptgebäude des Museums ist in der Gegenwart neu in den Fokus gerückt. 2014 hat sich die Kunsthalle in der Ausstellung Bauen und Zeigen ihrer eigenen architektonischen und musealen Substanz im historischen Kontext zugewandt – eine verwandte Schau, deren auf das Museumsgebäude fokussierten Betrachtungshorizont

ARCHISTORIES nun entschieden weitet. Hintergrund der früheren Ausstellung war der Wunsch, den damals auf den Weg gebrachten Wettbewerb für eine Sanierung und

ARCHISTORIES

Körper, Sprache, Raum

Claudia Voigt

1 Juhani Pallasmaa: DieAugen der Haut Architektur und die Sinne , Vorwort von Steven Holl, Los Angeles 2012, S. 21.

2 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit ÜberZivilisationsgeschichte und Geopolitik , Frankfurt am Main 2003.

3 Ebd., S. 24.

AWie jede Kunst befasst sich Architektur im Wesentlichen mit Fragen der menschlichen Existenz in Raum und Zeit; sie drückt aus und erzählt, wie es sich mit dem menschlichen Dasein in der Welt verhält. Architektur hat deshalb ein großes Interesse an metaphysischen Fragen wie die des Selbst im Verhältnis zur Welt, der Innenwelt und Außenwelt, der Zeit und Zeitdauer und der Frage nach Leben und Tod.1 Juhani Pallasmaa

rchitekturen sind mehr als materielle Konstrukte und sie erzählen mehr als ihre Baugeschichte. An sie knüpfen sich Lebensgeschichten, individuelle oder kollektive Erfahrungen, Erinnerungen, Ereignisse. Das Geburtshaus, das Sterbezimmer – Eckpunkte unserer Existenz, Räume mit Bedeutung. Architekturen haben zeitund kulturabhängige rhetorische Eigenschaften. So intim die Räume sein mögen, die sie bergen, sie wenden sich als Baukörper, mit Fassaden, Türmen, Türen, Fenstern demonstrativ an eine Öffentlichkeit und sind gleichzeitig voller Geheimnisse.

Die Absichten ihrer Erbauer und die Lebensrealitäten ihrer Nutzer schreiben sich Gebäuden ein. Das macht sie zu essenziellen Zeugnissen anthropologischer Selbstbeschreibungen, zu Archiven und Medien sozialer, ökonomischer und politischer Prozesse. Sie spiegeln das Fortschreiten technischer Vermögen, ökologische Entwicklungen, sich wandelnde Wertesysteme und Utopien. Karl Schlögel brachte dies auf die Formel: »Im Raume lesen wir die Zeit«2 und unternahm es 2003 großflächig, den urbanen und geopolitischen »Raum, Zeit und Handlung wieder zusammenzudenken«, um gültigere Bilder vom Werden der Welt, Geschichte und Gegenwart zu zeichnen.3 Imaginierte oder gebaute Räume und Umwelten sind »Lesezeichen« der Geschichte. ARCHISTORIES. Architektur in der Kunst will dies mit Werken ins Bewusstsein heben, die Gebäude oder deren Teile reflektieren – im unbewegten und bewegten künstlerischen Bild, in Skulpturen und Installationen. Nie war der Menschheit bewusster als heute, wie nachhaltig unser Bauen und Hausen die Ökosphäre bestimmt. Kunstwerke, deren Gegenstand Architektur ist, eröffnen die Möglichkeit, diverse Facetten dieses weltprägenden Feldes menschlicher Kreativität ästhetisch vermittelt zu erleben und sich mit ihm diskursiv auseinanderzusetzen. Künstler:innen des 21. Jahrhunderts widmen deshalb einstigen und gegenwärtigen Architek-

turen ihre kritische Aufmerksamkeit. Sie fragen unter existenziellen, politischen, anthropologischen, ästhetischen und ökologischen Perspektiven nach aktuellen Lebensentwürfen in von sozialen Dichotomien gekennzeichneten Gesellschaften und nach zukünftigen Möglichkeiten eines gelingenden Lebens auf einem ausgebeuteten und durch menschliches – nicht zuletzt architektonisches – Wirken immer unwirtlicher werdenden Planeten. Städtebauliche Fragen, Architekturen, die ihre Form und Funktion verloren haben und solche, die resilienter sein könnten als die Bauten der Gegenwart, sind Themen dieser Werke. Dokumentiert und reflektiert werden Terrains und Randzonen, die durch Fehlplanung oder »crashs« nicht mehr als Lebensräume für Menschen, aber sehr wohl als solche für Tiere und Pflanzen dienen können und somit zu Reallaboren von Transformation werden.

Architekt:innen nutzen und forschen währenddessen über Techniken des »urban mining«, recyclebare, nachwachsende, CO₂-neutral produzierbare Baustoffe. Gleichzeitig widmet sich eine glamourös florierende Bild- und Publikationsindustrie dem, was als »lost places« Teil eines von Entdecker-, Schau- aber auch Angstlust getriebenen Ruinen-Tourismus geworden ist. Parallel zur architektonischen Bewegung der »Hortitecture« – einer Architektur, die darauf abzielt, besonders viele und widerstandsfähige Pflanzen auf, an und in Gebäuden anzusiedeln – beobachten oder inszenieren Künstler:innen in ihren Werken das Eindringen oder die Ansiedlung von Wildwuchs und wildem Leben in menschliche Behausungen oder Arbeitsstätten, die Überschreibung von Ruinen durch Naturprozesse.

Im Jahr 2050 könnten als Konsequenz des Klimawandels 31 Staaten weltweit unbewohnbar sein, da sie von fortgesetzten Stürmen, Überflutungen, Hitzewellen oder Wasserknappheit bedroht sein werden.4 Die hieraus resultierenden Fluchtbewegungen werden zu extremen Verdichtungen von Bevölkerungsstrukturen in noch bewohnbaren Regionen führen und die Umnutzung von Architekturen und Neuansiedlungen bedingen. An den Ursprungsorten werden Architekturen aufgegeben brachliegen.

Die künstlerische Betrachtung von Bauwerken dokumentiert Vergangenes und Vorzeichen, zeugt von Nicht-Mehr-Beherrschbarkeit, von Systemwechseln, sozialer Dissoziation, der Zerstörungskraft kriegerischer Auseinandersetzungen, von anthropogenen oder nicht menschengemachten Katastrophen. Sie ist in idealer Weise dazu angetan, die Sensibilität für gebaute Umwelt zu schärfen, indem wir Geschichte und Geschichten –»Archistories« – rund um Architekturen rekonstruieren und erzählen.

Das Architekturstück als Gattung

Kunsthistorisch lässt sich auch in der Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe nachverfolgen, wie Architekturen im Bild zunächst als eher marginale, symbolische, topografische oder chronologische Verweise und Attribute fungierten, um schließlich zum Gegenstand eigenständiger Bildreflexionen zu werden. Obwohl sich schon in der Renaissance mit der Entwicklung der Perspektive ein gesteigertes Interesse an der Architektur-

Archistories – Körper, Sprache, Raum

4 Vgl. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klimawandelund-kriege-eine-milliarde-menschenbis-2050-auf-der-flucht [18.7.2024].

1 Französischer oder deutscher Meister (?): Die Vertreibung aus dem Paradies, um 1450, 102 × 90,5 cm, Mischtechnik auf Eichenholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2234

2 Französischer oder deutscher Meister (?): Die Gottesmutter vor der geöffneten Paradiespforte, um 1450, 102 × 90,5 cm, Mischtechnik auf Eichenholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2235

darstellung manifestierte und Künstler, Architekten und Architekturtheoretiker mit bildlichen Darstellungen Konstruktionsübungen trieben, entfalteten sich erst später Bildformen, in denen Gebäude oder deren Überbleibsel in der Landschaft zum eigentlichen Bildgegenstand wurden. Das Architekturstück als eigenständige Gattung, als Kunst über Kunst ist ein Kind des 16. Jahrhunderts.

Bedeutungsträchtige Architekturfantasien finden sich schon in der Kunst des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Die alttestamentliche Erzählung der frühen Menschheitsgeschichte wird mit einer Architekturinvention illustriert, die den Weg zurück in ein Leben im idealen Naturzustand als regelrecht »verbaut« zeigt: Die goldene Paradiespforte erscheint in einem um 1450 datierten Diptychon eines deutschen oder französischen Anonymus gedoppelt als kompositionsbeherrschendes Zentralmotiv. Den Garten Eden als Hortus conclusus umhegt eine festungsartige Stadtmauer. Der Erzengel Michael vertreibt Adam und Eva mit erhobenem Schwert durch das gotische Tor [Abb. 1]. Evas Ungehorsam hat die Tür verschlossen und erst Maria mit dem Kind, im Pendant-Gemälde vor dem Eintritt ins Paradies dargestellt, wird den Zugang wieder öffnen [Abb. 2]. Frei nach dem Christus-Diktum (Joh 10,9): »Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden,« werden Maria und

Archistories – Körper, Sprache, Raum

Christus in einer spirituellen, auf eine Architekturmetapher rekurrierenden Rhetorik mit der Porta paradisi identifiziert.

Zu den prominenten Architekturmotiven in Darstellungen des beginnenden Lebenswegs Christi gehören der mehr oder weniger bescheidene oder symbolisch aufgeladene Stall und der Tempel, in dem Jesus dargebracht wird – wie zum Beispiel in einem Gemälde aus dem Umkreis Hans Schäufeleins (um 1510/1520) [Abb. 3], in dem die Architektur lediglich durch die plane Aneinanderreihung und Staffelung von flächig gemalten Säulen, einem Vorhang und einer durchfensterten Wand angedeutet wird. Während der Meister der Kemptener Christusfolge den Stall (um 1460/1461) auch wie eine flache Folie, als ärmlichen, ruralen, wenig tiefen Kastenraum gleichsam vor dem Betrachtenden bildparallel aufklappt [Abb. 4], wird dieses Gebäude als Motiv des Meisters der von Grooteschen Anbetung [Abb. 5] 1519 zum virtuos ausgeführten Exempel einer vom Interesse an erzählerischer Tiefenräumlichkeit und rationaler Konstruktion getragenen Renaissancemalerei. Nach Art der Antwerpener Manieristen, zu denen der Anonymus zählte, frönt er seiner überbordenden Dekorationslust, indem er den einstigen Tempel oder Palast mit kassettierten Rundbögen, ornamentierten Pfeilern und figurativem Bauschmuck ausstattet und zum Schauplatz malerischer Prachtentfaltung macht. Im Verfall begriffen, wird das Gebäude von einem bekrönenden Säulenstumpf oben in der Ruine und einem fragmentierten, liegenden Säulenrest im Bildvordergrund gleichsam eingefasst. Die beiden Säulenteile symbolisieren das Zerbrechen des alten Bundes, also die Ablösung des Alten Testaments durch das Neue. Beide Stalldarstellungen vermitteln durch ihre ruhige Orthogonalität eine Atmosphäre der Offenheit, stabilen Harmonie und Ordnung, die nicht nur als Würdeformel, sondern auch als religiöse Botschaft verstanden werden kann. Der narrative Mehrwert des späteren Werks ist offenkundig: Der Übergang von einer bloßen »Schauöffnung« von Räumen – wie Wolfang Kemp solche fensterartigen Präsentationen des Geschehens nennt – zu einer »Handlungsöffnung« von »Erzählräumen«, die miteinander und in denen Menschen miteinander kommunizieren, ist evident:5 Der Meister der von Grooteschen Anbetung vergrößert das erzählerische Potenzial seines Bildes in eklatanter Weise, zeigt in weiter Ferne hinter der Ruine den Zug einer großen Schar von Menschen hin zum Stall, Händler mit Kamelen, Soldaten, Reiter, einen Diener, der eine Schatztruhe öffnet, um die Gaben der Könige an das Kind vorzubereiten. Das Alltagsleben einer von emsigem, merkantilem Geschehen geprägten Stadt geht in dieses Bild ein, das gleichzeitig auf die Verbreitung des christlichen Glaubens in die Welt hinweist.

5 Vgl. Wolfgang Kemp: Die Räume der Maler ZurBilderzählung seit Giotto , München 1996, S. 9 f.

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3 Hans Schäufelein (Umkreis): Darbringung Christi im Tempel, 1510/1520, 75 × 37,5 cm, Mischtechnik auf Nadelholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 85

Ein Künstler wie Lucas Cranach nutzt zwei massive architektonische Anlagen, um seiner Darstellung von Maria mit dem Kinde (um 1518) [Abb. 6] zwischen diesen beiden Elementen sowohl kompositorischen als auch sinnbildlichen Halt zu geben: Eine trutzige Burganlage auf hohem Berg, die für die Festigkeit im Glauben steht, und die prächtige Fantasiearchitektur einer Stadtanlage, die in weiter Ferne auf das Himmlische Jerusalem verweist, erweitern das anrührende Bild von Mutter und Kind um die Botschaft, dass Standhaftigkeit im Dasein die Basis einer paradiesischen Zukunft im Jenseits darstellt.

Miniaturisiert als Attribut finden sich Architekturdarstellungen im Mittelalter, der Frühen Neuzeit oder dem Manierismus in Bildern von Heiligen und Stiftern – wie zum Beispiel im Falle der heiligen Barbara und des heiligen Wolfgang. Da der heilige Wolfgang als junger Mann mit eigenen Händen eine Kirche erbaut haben soll, trägt er als Attribut neben seinem Bischofsstab fast immer das kleine Modell einer Kirche – wie etwa auf einem 1490 entstandenen Gemälde Bartholomäus Zeitbloms [Abb. 7]. Bartholomäus

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4 Kemptener Meister: Anbetung der Könige, um 1460, 60 × 41,5 cm, Mischtechnik auf Eichenholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2298
5 Meister der von Grooteschen Anbetung: Anbetung der Heiligen Drei Könige, 1519, 89 × 67,5 cm, Öl auf Eichenholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 145

Spranger [Abb. 8] zeigt Barbara von ihrem Erkennungszeichen, nämlich jenem Turm flankiert, in den ihr Vater Dioscurus die junge Frau einsperrte, um sie von der Außenwelt abzuschirmen. Später lebte sie in einem Badehaus als Eremitin und ließ jenem ein drittes Fenster hinzufügen, um ihren Glauben an die Dreifaltigkeit augenscheinlich und zeichenhaft zu dokumentieren. Nicht selten wird – wie im Werk Sprangers – das Drei-Fenster-Motiv auf jenes des markanteren Turms übertragen.

Eine der frühesten Veduten im weiteren Sinn findet man innerhalb der Sammlung der Kunsthalle auf einer Tafel der um 1450/1460 entstandenen sogenannten Karlsruher Passion [Abb. 9]. Der Künstler – vermutlich Hans Hirtz – rückt die Kirche Sankt Thomas in Straßburg, für die dieser Altar entstand, am oberen rechten Rand der Kreuztragung ins Bild. Auf diese Weise vergegenwärtigt er das Passionsgeschehen nicht nur, sondern versetzt es buchstäblich räumlich in die Nachbarschaft des Gläubigen, der sich just im Inneren der hier dargestellten Kirche gerade in die Betrachtung des Altars versenkt.

Im 17. Jahrhundert entwickelt sich das Interieur, zu dessen Meistern Hendrik Cornelisz. van Vliet zählte. Inneres der Oude Kerk in Delft (1662) [Kat. 58] malte er immer wieder – realistisch, von erhebender Helligkeit erfüllt und durch Figuren so selbstverständlich wie alltäglich belebt. Zu den Höhepunkten dieser Kunst zählen aber selbstredend auch die Genrebilder Pieter de Hoochs, der sich profanen Räumen widmete. Die auratische Faszinationskraft, die etwa ein Gemälde wie Eine Magd mit Eimer in einem Hinterhof (um 1660) [Abb. 10] auszeichnet, erläutert Wolfgang Meisenheimer so:

6 Lucas Cranach d. Ä.: Maria mit dem Kinde, um 1518, 35 × 24 cm, Mischtechnik auf Lindenholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 108

Über ihre Entstehungszeit hinweg wirkt de Hoochs Malerei auch heute magisch und bedeutend. Denn sie zeigt mit subtiler Technik die schöne Atmosphäre von Architektur, insbesondere das Nebeneinander von wohnlich gestalteten Innenräumen, die sich vom Außenraum ablösen. Vielleicht wird hier die tiefste Bedeutung der Architektur für den Menschen aufgezeigt, die über das Besondere einzelner Kulturen hinausreicht: die Trennung des Innen vom Außen. In Pieter de Hoochs Bildern wird das suggestive Gefühl vermittelt, hier ist jemand zuhause, dieser Raum, diese Dinge sind der Inbegriff von Privatheit, Schutz und Wohnlichkeit. Es gibt keine intensivere Darstellung in der bildenden Kunst, die diese Bedeutung von Innenraum stärker vermittelt als die Bilder von Pieter de Hooch. Besonders Fenster und Türen sind die Ventile der Neugier, die Löcher im Mantel der Intimität.6

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6 Wolfgang Meisenheimer: Baukunst und andere Künste SympathischeAnnäherungen , Wiesbaden 2020, S. 66.

7 Bartholomäus Zeitblom: Die Heiligen Laurentius und Wolfgang, um 1490, 85 × 66,5 cm, Mischtechnik auf Nadelholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 42

Topoi und Räume werden semantisch zunehmend variantenreich aufgeladen, ganz besonders in Werken, die sich des höchst narrativen Sujets der Ruine annehmen.7 Johannes Lingelbachs Römische Marktszene (um 1650/1670) [Kat. 45] schildert den Verfall einstiger Größe, belegt aber auch die Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Geschichte, Vergehen und Bestehen im genrehaft ausgemalten Lebensalltag. Die Revitalisierung vorgeblich toter Architektur kann man in Johann Heinrich Roos’ Osteria in einer römischen Ruine (um 1670) [Kat. 94] als frühen Vorläufer einer »Repair«-Kultur betrachten, die heute aufgelassene Altbauten aller Art reaktiviert, in anziehende Bistros, Lofts, Clubs, Galerien oder Kulturzentren verwandelt und baupolitisch zunehmende Relevanz erhält.

7 Aus der umfangreichen Forschungsliteratur zum Thema »Ruinen« seien hier nur erwähnt: Aleida Assmann, Monika Gomille, Gabriele Rippl: Ruinenbilder , München 2002; Constanze Baum: Ruinenlandschaften Spielräume derEinbildungskraft in Reiseliteratur und bildkünstlerischen Werken über Italien im 18 und frühen 19 Jahrhundert , Heidelberg 2013; Zoltán Somhegyi: Reviewing the Past The Presence of Ruins , London/New York 2020; Giulia Lombardi, Simona Oberto, Paul Strohmaier: Ästhetikund Poetik der Ruinen Rekonstruktion –Imagination – Gedächtnis , Berlin/ Boston 2022.

Ansichten von Städten, prominenten Bauten und antiken Monumenten erfreuen sich als Souvenirs gebildeter aristokratischer oder großbürgerlicher Reisender schon im 17. Jahrhundert hoher Beliebtheit, und ihre Produktion verschafft Malern wie Johann Wilhelm Baur [Kat. 56, 57] gut gefüllte Auftragsbücher. Optische Geräte werden eingesetzt, um einerseits frappierend wirklichkeitsgetreue Aufnahmen von Bauwerken zu erreichen, diese dann aber auch, wie etwa in den Venedig-Veduten Francesco Tironis [Kat. 59], im Bild flächenökonomisch zu komprimieren. Hubert Robert widmet sich nach seinem elfjährigen Aufenthalt in Rom, während dessen er auch mit Giovanni Battista Piranesi in Verbindung stand, in zahlreichen Gemälden dem zeitgenössischen Abbruch der Häuser auf der Notre-Dame-Brücke.8 Sein Gemälde aus dem Jahr 1788 [Kat.28] betreibt Stadtarchäologie seiner Gegenwart, in der sich Paris neu entwirft.

Innerhalb und losgelöst von der biblischen Historie, fantasiert oder mimetisch, funktionieren Architekturen diachron als Indikatoren von Hierarchien und Milieus, als Dokumente zeitlicher Verläufe oder als Bühnen und Kulissen für die Handlungen der Protagonist:innen. Im imposanten Kupferstich Architektur mit Ecce Homo (1740) [Kat. 70] verschafft der Stecher und Verleger Johann Andreas Pfeffel d. Ä. nach der Vorlage Giuseppe Galli da Bibienas der Architektur selbst einen derart theatralischen Auftritt, dass die Vorführung des abgeurteilten Christus gleichsam nur noch den narrativen Vorwand für die grandiose Bildarchitektur liefert. Fassbar werden hier die fortschreitende Theatralisierung der Architektur und die Entwicklung einer Architektur-Figur-Inversion: Das Interesse der Künstler verschiebt sich von den Figuren auf den Raum, den architektonischen Rahmen des Geschehens, auf Bauwerke selbst als dramatis personae oder Zeugen

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von Geschichte(n), als Objekt einer Meta-Reflexion der Kunst, die Strukturen und Wahrnehmungsmodi befragt.

Aus der Begeisterung für eine archäologisch dokumentierende Forschung zu Bauten der Vergangenheit gehen im 18. Jahrhundert Architekturstücke hervor, die anamnetisch oder spielerisch, experimentell, kreativ oder illustrativ sein können. So rekonstruiert etwa der Karlsruher Architekt Friedrich Weinbrenner während seines Aufenthalts 1794 in Italien in einem Studienblatt Das Bad des Hippias [Kat. 60]. Seine Fantasievedute stützt er ausschließlich auf einen Text, nämlich die rühmende Beschreibung dieser Anlage aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert durch Lucian; Weinbrenner setzt sich mit diesem Bautypus auch im Hinblick auf eine mögliche Rekonstruktion der römischen Thermen in Badenweiler näher auseinander. So bewegen sich Architekten und Architekturtheoretiker immer wieder auf der Schwelle zwischen Imagination und Realität, fasziniert vom Überlieferten, aber auch seinen Leerstellen, die nach Ergänzung und Deutung verlangen.

Das berühmteste Beispiel hierfür ist das Œuvre Giovanni Battista Piranesis. Er starb, als Weinbrenner zwölf Jahre alt war. Einerseits wirkte Piranesi als Chronist der Altertümer Italiens, die er mitunter in Capriccios überlieferte, die Realitätsschilderungen in freier Kombination zu eigenen Bildfindungen zusammensetzen. Andererseits wurde er vor allem berühmt als Urheber der Carceri d’Invenzione, der erfundenen Kerker.9 Seine dunklen Konstrukte, bravourös in ihrer verschachtelten Komplexität, ihrer Dichte, die sich dem Auge als Aufgabe stellt, und ihrer technisch brillanten Ausführung, beeinflussten auch Bibienas und Pfeffels Raumvorstellungen und wirken bis auf Künstler:innen unserer Zeit nach. Blatt V der berühmten Folge Piranesis, die Römische Bogenarchitektur mit zwei Löwenreliefs im Vordergrund [Kat. 25], fand 1972 Eingang in die Karlsruher Sammlung. Sehr viel früher, nämlich am 8. Juli 1826, wurde der Nachlass Friedrich Weinbrenners versteigert. Der Badische Hof erwarb bei der Auktion zwei Klebebände mit Architektur- und Ornamentstudien, die 1861 in die Großherzogliche Kunsthalle überführt wurden. Bis ins Jahr 2014 galten die in diesen Folianten gesammelten Skizzen als Werke Weinbrenners – dann gelang die sensationelle Neuzuschreibung an Piranesi und seine Werkstatt.10 Die beiden Klebebände werden der Öffentlichkeit nun erstmals im Rahmen dieser Ausstellung präsentiert. Sie zeigt auch, wie Piranesi über Jahrhunderte hinweg Künstler:innen inspiriert hat, unter anderem, da seine Architekturmetaphern in ambivalenter Weise komplexe Atmosphären der Erhabenheit und der latenten Bedrohung, des Imposanten und Unheimli-

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8 Bartholomäus Spranger: Die heilige Barbara, 1580er-Jahre, 86,5 × 65,5 cm, Öl auf Lindenholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2587

8 Vgl. Zum Thema ausführlich: Sabine Weicherding: »Il faut ruiner un palais pouren faire un objet d’intérêt«(Diderot) Bilder der Zerstörung Hubert Roberts (1733–1808) künstlerischeAuseinandersetzung mit der Stadt Paris , Diss. Ruhr-Universität Bochum 2001, https://hss-opus.ub.ruhruni-bochum.de/opus4/frontdoor/ deliver/index/docId/454/file/diss.pdf [18.7.2024].

9 Vgl. Werner Busch: »Piranesis ›Carceri‹ und derCapriccio-Begriff im 18 Jahrhundert« , in: Wallraf-RichartzJahrbuch , 39, 1977, S. 209–224.

10 Vgl. den Beitrag von Dorit Schäfer in diesem Katalog, S. 86–93.

9 Meister der Karlsruher Passion: Kreuztragung Christi, um 1450/1455, 66,5 × 46,6 cm, Mischtechnik auf Nußbaumholz, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2180

chen ins Bild setzen und sich bis heute als Synonyme psychischer oder existenzieller Settings lesen lassen.

Zwei Beispiele hierfür sind Werke Laurent Goldrings und Nicolas Daubanes. Goldring nennt seine schwarzweiße Video-Arbeit über den Eiffelturm Piranèse [Kat. 87] und rückt die transparent-elegante Stahlkonstruktion – die Robert Delaunay [Kat. 86] Anfang des 20. Jahrhunderts so emphatisch und formal rasant feierte – buchstäblich in ein »Gegenlicht«. Wie auf Piranesis Kupferstichen erkennt man in Goldrings Video bei näherem Hinsehen emsige kleine Gestalten, hier in einem im Loop stereotyp anmutenden Auf-und-Ab gefangen. Die Aura des Turms mutiert dramatisch ins Klaustrophobische, das Monument zu einer geradezu rigiden Konstruktion. Nicolas Daubanes setzt sich seit langer Zeit mit Gefängnisbauten und den Lebensbedingungen von Inhaftierten oder Hospitalisierten auseinander und referiert für seine Eisenpulverzeichnung Planche XIV: L’arche gothique en feu [Kat. 26] ebenfalls auf Piranesi. Er bringt Licht ins Dunkel des Kerkers, indem er ihn in Brand steckt. Ob dies ein Unglück oder ein Akt der befreienden Revolte ist, bleibt offen wie diese nun nicht mehr stabile Architektur.

Die Suggestivkraft dieser und vieler anderer Werke der Ausstellung erklärt sich auch aus der verwandten Funktion des Lichts in Kunst und Architektur, die Juhani Pallasmaa erhellend beschreibt:

Ähnliches geschieht auch auf den Gemälden Caravaggios und Rembrandts, deren ungewöhnliche Präsenz und Kraft in der Bildführung aus einem tiefen Schatten erwachsen, welcher die Hauptfigur umfängt und wie einen kostbaren Gegenstand auf dunklem Samt bettet, der alles Licht absorbiert. Der Schatten verleiht dem derart ins Licht gesetzten Gegenstand Form und macht ihn lebendig. Er bietet der Fantasie und den Träumen ausreichend Raum. Deshalb gehört die Kunst des Chiaroscuro auch in der Baukunst zum Repertoire der großen Meister. Die wahrhaft großen Räume der Architektur sind immer erfüllt von einem tiefen Atmen aus Schatten und Licht; der Schatten atmet das Licht ein und die Beleuchtung atmet es wieder aus.11

11 Pallasmaa 2012 (wie Anm. 1), S. 62.

Diese Beschreibung ließe sich mit zahlreichen Werken der Ausstellung – etwa Fritz Winters Gliederung nach Innen [Kat. 78] oder den Fotografien von Barbara Klemm [Kat. 81, 82] – in Beziehung setzen.

Archistories – Körper, Sprache, Raum

Auch der Weinbrenner-Schüler Heinrich Hübsch, der unter anderem die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Orangerie, Torbogengebäude und das Polytechnikum in Karlsruhe entwarf, und Josef Durm, der zweite am Bau der Vierflügel-Anlage beteiligte Architekt der Kunsthalle, studierten selbstverständlich prominente Architekturen in Italien. Pars pro toto stehen von ihnen zwei KreuzgangDarstellungen sehr unterschiedlicher Prägung für die reichen Bestände ihrer Architekten-Zeichnungen in der Sammlung des Museums.12 Hübsch aquarellierte zwischen 1817 und 1821 mit sichtlicher Begeisterung für das Motiv des Rundbogens und etwas elegisch romantisierendem Blick den Kreuzgang von San Salvatore in Rom [Kat. 64], während sich Durms serene Darstellung eines Kreuzgangs – jenes der Basilika San Giovanni in Laterano [Kat. 63] aus dem Jahr 1866 – ganz auf die eben erörterte Konstellation von Architektur und Beleuchtung konzentriert: Der (offene) Raum wird fulminant über das ihn umgebende und durchdringende mediterrane Licht definiert und in Szene gesetzt.

Mit dem Impressionismus und den modernen Avantgarden diversifiziert und dynamisiert sich das künstlerische Augenmerk in der Auseinandersetzung mit Architekturen pluralistisch, wandelt sich das Verständnis vom Bild selbst vom organisch-mimetischen Wirklichkeitsderivat zu einer dezidiert konstruierten eigenständigen Bildwirklichkeit, dem gebauten Bild. Es nimmt architektonische Prinzipien in sich auf und trägt sich, zunehmend abstrakt, selbst – auch in der nur noch fragmentarischen Referenz auf gebaute Strukturen der außerbildlichen Wirklichkeit – wie in Fernand Légers Construction [Kat. 89] von 1950 oder Sean Scullys Wall of Light Winter Light [Kat. 77] aus dem Jahr 2011. Léger zeigt keinen Bau, sondern nurmehr Bauelemente als Verweise auf den andauernden Prozess eines offenkundig himmelstürmenden, bis zu den Wolken vordringenden Konstruierens. Scullys Bildidee einer Bildarchitektur aus Farbblöcken ging im Ursprung auf das sinnliche Erlebnis der Maya-Pyramiden von Chichén Itzá zurück.

10 Pieter de Hooch: Eine Magd mit Eimer in einem Hinterhof, um 1660, 48,2 × 42,9 cm, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv. 2948

Als Joseph Nicéphore Niépce 1826 das erste Foto aufnahm, das je entstand, war dies eine Architekturfotografie. Sie zeigt den Blick aus seinem Arbeitszimmer im Gutshof von Le Gras – ein Taubenhaus, ein Backhaus, einen Kamin, ein Pultdachhaus. Architektur ist also von Beginn an ein Hauptmotiv der Fotografie, ihre Ablichtung eine ihrer Königsdisziplinen.

Günther Förgs Fotografie-Projekt [Kat. 47–52] aus dem Jahr 1995 setzte sich mit den Architekturutopien der Moderne und ihrem Missbrauch durch den italienischen Faschis-

Archistories – Körper, Sprache, Raum

12 Das Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe besitzt knapp 300 Blätter von Friedrich Weinbrenner, 38 Zeichnungen und Grundrisse von Heinrich Hübsch und 1744 Werke von Josef Durm.

mus auseinander. Fotograf:innen der Düsseldorfer Schule der Fotografie, zu denen Candida Höfer und Elger Esser als Schüler von Bernd und Hilla Becher zählen, knüpfen an die Tradition der Vedute mit neuen Mitteln an. Höfer fotografierte in der Karlsruher Kunsthalle menschenleere Interieurs, am eindrucksvollsten den sogenannten Philostratensaal mit seinen Gipsen und Wandmalereien [Kat. 83]. Essers Combray-Zyklus [Kat. 66–69] entsteht anders als Veduten älteren Datums nicht aus einer bildungsbürgerlich ambitionierten Pilgerreise zu bekannten Monumenten, sondern auf einer »Zeitreise«, in einer Suchbewegung nach Orten, an denen Vergangenheit scheinbar zur Gegenwart geworden ist. Die Gebäude, die wir sehen, sind aus der Zeit gefallen und dennoch präsent. Essers Spurensicherung in der französischen Provinz öffnet über die Art der Aufnahmen in einer aufs optische Verschwinden anspielenden Überhelligkeit einen Vorstellungsraum, in dem das Erinnern selbst zum Thema wird. Michael Wesely hingegen zeigt in seinen Langzeitbelichtungen – wie etwa der Gay Pride Parade, New York [Kat. 42] – die Differenz zwischen Ereignishaftigkeit und longue durée, unterschiedliche Tempi und Schichten von Geschichte, Durchgangsphänomene vor dem Hintergrund des Bleibenden, Gebauten und damit Gebäude als Rahmen sozialer Begebenheiten.

Gegenwärtig schaffen Fotograf:innen Architekturfantasien unter Zuhilfenahme des Computers und für Architekturentwürfe genutzter Designtools: Dionisio González [Kat. 1] fragte sich angesichts der Corona-Pandemie in Wittgenstein’s Cabin 10, wie sich der Philosoph heutzutage einen resilienten Rückzugsort in der Einsamkeit an einem norwegischen Fjord bauen würde. Alain Delorme [Kat. 91] eskaliert Aufnahmen chinesischer Arbeits- und Architekturrealitäten ins Gigantisch-Groteske, während Helmut Wimmer in der Serie The Last Day [Kat. 84] Szenarien ersinnt – Schauplatz ist das Wiener Kunstmuseum.

Gänzlich neu im Sinne der Gattung entsteht im 20. Jahrhundert die Archiskulptur. Künstler:innen wie Wolfgang Laib [Kat. 12], Hubert Kiecol [Kat. 16–19], Axel Lieber [Kat. 4, 5], Stephen Craig [Kat. 6–11], Werner Pokorny [Kat. 13–15] oder Isa Melsheimer [Kat. 103–106] erkunden quasi modellhaft mithilfe unterschiedlichster Materialien und Techniken neue Medien der bildnerischen Architekturreflexion. Axel Lieber transformiert etwa das Flächenmedium Comic ins Dreidimensionale und Komplexe, indem er dessen lineare Gliederung nutzt, Bild und Text als Inhalt jedoch löscht und so neue Gehäuse, heitere Hüllen für anderes Geschehen schafft. Vieles, was fantasiert wird, bleibt ungebaut – was jene spielerischen, teils ironischen, teils utopischen Modelle von Stephen Craig annoncieren, die Sehnsüchte, Ideale und Wunschkonzepte imitieren, persiflieren und fröhlich fortspinnen.

Architektur als Medium

»Archistories« betrachtet Architektur damit programmatisch und durch Jahrhunderte hindurch als Medium. Diesen Architekturbegriff formulierte der Architekt Hans Hollein im Jahr 1967 mit seinem Manifest Alles ist Architektur – ein Medium der Kommunikation und ein Medium, mit dessen Hilfe wir Umwelten und unser Leben gestalten:

Archistories – Körper, Sprache, Raum

Begrenzte Begriffsbestimmungen und traditionelle Definitionen der Architektur und ihrer Mittel haben heute weitgehend an Gültigkeit verloren. Der Umwelt als Gesamtheit gilt unsere Anstrengung und allen Medien, die sie bestimmen. Dem Fernsehen wie dem künstlichen Klima, den Transportationen wie der Kleidung, dem Telephon wie der Behausung.

Die Erweiterung des menschlichen Bereiches und der Mittel der Bestimmung der ›Um-Welt‹ geht weit über eine bauliche Feststellung hinaus. […] Architektur ist ein Medium der Kommunikation. […]

Der Mensch ist beides – selbstzentriertes Individuum und Teil der Gemeinschaft. Dies bestimmt sein Verhalten. Von einem primitiven Wesen hat er sich selbst mittels Medien kontinuierlich erweitert, seinerseits diese Medien kontinuierlich erweiternd. […]

Eine echte Architektur unserer Zeit ist daher im Begriffe, sich sowohl als Medium neu zu definieren, als auch den Bereich ihrer Mittel zu erweitern. Viele Bereiche außerhalb des Bauens greifen in die »Architektur« ein, wie ihrerseits die Architektur und die »Architekten« weite Bereiche erfassen. Alle sind Architekten. Alles ist Architektur.13

Ausstellung und Katalog zielen in Auswahl und Aufbau deshalb nicht darauf ab, die oben grob mit Exempeln vor allem der Karlsruher Sammlung skizzierte Kunstgeschichte des Architekturstücks, der Archiskulptur oder des »spatial turn« chronologisch zu erzählen. Vielmehr interessiert hier der mediale Charakter von Architektur – in seiner bildnerischen Brechung, Widerspiegelung, Potenzierung. Wie spricht Architektur im Meta-Medium der Kunst, des Bildes, der Skulptur, des Videos, das tatsächlich häufig von Sprache begleitet wird oder das Handlungen an, in und mit Architektur zeigt? Wie nutzt Kunst Architektur, um etwas über sie und über sie hinaus zu artikulieren? In welchem Verhältnis sehen Künstler:innen Architekturen zu Körper, Sprache und Raum? Architektur ist multisensorisch wahrnehmbar. Was passiert, wenn sie in Medien gespiegelt wird, die primär auf Visualität setzen? Die Antworten auf diese Fragen sind so vielfältig wie die Kunstwerke der Ausstellung. Motivisch und thematisch gruppiert, beleuchtet sie Häuser, Kerker, transitorische Räume, zu denen unter anderem Brücken, Plätze, Straßen und Übergänge gehören, Architekturen der Repräsentation oder Proklamation von Macht, (wenige) Industriearchitekturen, Veduten und Studien, die Bühne als Schauplatz, Wand und Fenster, Innenräume, kühne Konstruktionen und Ruinen.

Den Werken der Sammlung begegnen Arbeiten zeitgenössischer Künstler:innen, die von der aktuellen Notwendigkeit eines Nachdenkens über Architektur heute zeugen. Ihre innovativen, frappierenden Arbeiten eröffnen medial und inhaltlich neue Sichtweisen auf Architekturen, die so mit den Werken des Karlsruher Bestandes nicht hätten belegt werden können. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Wenn Rebecco Ann Tess in der Videoarbeit The Tallest [Kat. 92] den Wettlauf der wirtschaftlichen Supermächte um den jeweils höchsten Turm der Welt kritisch reflektiert, ist das nicht einfach die Fortschrei-

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13 Hans Hollein: »Alles ist Architektur« (1967), in: Bau Schrift für Architektur und Städtebau , 23, 1968, Heft 1/2, Wien 1968, hrsg. mit der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, Redaktion: Hans Hollein, Oswald Oberhuber, Gustav Peichl; auch in: Alles ist Architektur EineAusstellung zumThema Tod . Ausst.-Kat. Städtisches Museum Mönchengladbach, Köln 1970; http:// www.hollein.com/ger/Schriften/Texte/ Alles-ist-Architektur [14.7.2024].

14 Rem Kohlhaas: Junk-Space , Berlin 2020.

15 Gaston Bachelard: Die Poetik des Raumes , Frankfurt am Main 2001, S. 33.

bung der babylonischen Hybris-Metaphorik in die Gegenwart, sondern vor allem eine pointierte Diagnose globaler ökonomischer und politischer Wandlungsdynamiken, der Verschiebung von Hegemonieansprüchen im Medium des Architekturstücks. Wenn Judith Hopf in Some End of the Things: The Conception of Youth [Kat. 2] mit groteskem Humor einen modernen Büro- und Kulturkomplex als System kenntlich macht, das nicht ein-, sondern ausschließt – im konkreten Fall ein Ei als Stellvertreter für Jugend, die hier weder Zugang noch Platz findet –, wird Architektur zum Sinnbild für kritikwürdige gesellschaftliche Restriktionsstrukturen.

Beate Gütschows Fotoarbeit HC#4 [Kat. 39] zeigt einen Hortus conclusus modernster und trostlosester Prägung, eine Platz- oder Parkanlage – amalgamiert aus am Computer überarbeiteten Originalfotografien –, die nicht einmal als traurige Schwundform eines paradiesischen Gartens durchgehen kann. Vielmehr assoziiert man die Anlage reflexartig mit dem von Rem Kohlhaas geprägten Terminus des »Junk-Space«,14 da dieser Platz kaum als kommunikative, öffentliche Begegnungsfläche taugt, sondern als austauschbarer Nicht-Ort ohne Aufenthaltsqualität eher kollektive Vereinsamungsprozesse forciert.

Auf Bühnen des 20. und 21. Jahrhunderts spielt sich ein existenzielles Geschehen ab, das so vorher nicht dargestellt wurde: Samuel Becketts Quadrat I + II [Kat. 72] aus dem Jahr 1980 verzichtet auf jede Form von Bühnenarchitektur und inszeniert nur noch Körper im Raum, die wie Spielfiguren einem stereotypen Bewegungsmuster folgen, auf ein Ritual programmiert sind. Hier braucht es keinen Kerkerbau mehr, um Gefangenschaft ins Bewegtbild zu setzen – obschon sich Beckett zu diesem unendlichen Hofgang wohl durch den Blick auf das seiner Wohnung in Paris benachbarte Gefängnis La Santé inspirieren ließ. Julia Oschatz baut, zeichnet und filmt hingegen für Unter Tagen [Kat. 71] einen Bühnenraum, in dem ihre Figur sich handelnd behauptet, standhält, gegen alle Widrigkeiten, getragen vom Willen, etwas Individuelles zu schaffen und zu gestalten.

Der Philosoph Gaston Bachelard behauptete in seiner Poetik des Raumes: »Der größte Nutzen des Hauses ist: das Haus umhegt die Träumerei, das Haus beschützt den Träumer, das Haus erlaubt uns in Frieden zu träumen.«15 Wie ein Beleg dieser Aussage wirkt die Videoarbeit 1550 San Remo Drive [Kat. 24] von Niklas Goldbach. Der Künstler zeigt die einstige Villa Thomas Manns in Los Angeles, das Haus, das sich der vor den Nationalsozialisten ins Exil in die USA geflohene Dichter bauen ließ, um frei denken, tagträumen, schreiben und leben zu können. Manns Tagebucheinträge, die Goldbach 2017 über die Aufnahmen der Villa legte, geben Einblick in die Anstrengungen des Dichters, heimisch zu werden. Goldbachs Recherche im Augenblick, als die Villa zum Verkauf stand, dokumentiert darüber hinaus eine erschreckende Geschichtsvergessenheit, der das kulturhistorisch bedeutende Haus fast zum Opfer gefallen wäre.

Werke, die Bewegung ins Innere suggerieren, fungieren nicht selten als Metaphern für seelische Introspektionen oder auch physisch als Hinweis darauf, dass schließlich auch der menschliche Körper eine Konfiguration aus Räumen, Höhlen, Gefäßen ist, die mit Erfahrung und Erinnerung »gefüllt« sind. Das ist die eindrucksvolle Denkbewegung, die Jochen Kuhns Video Neulich 2 (Recently 2) [Kat. 85] anschaulich, bannend und erkenntnis-

Archistories – Körper, Sprache, Raum

stimulierend vollzieht. Es ist eine Grundeinsicht, die der Kunsthistoriker August Schmarsow Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen raumanthropologischen Thesen formulierte. Dietrich Erben fasst diese zusammen:

Für Schmarsow ist der architektonische Raum letztlich konstituiert durch die menschliche Körperlichkeit selbst, und dies sowohl durch unsere Somatik als auch durch unsere Positionierung im Raum. […] Der Mensch selbst ist schon ein ›Raumgebilde‹, zu dem der architektonische Raum durch Proportion, Symmetrie und Dreidimensionalität in eine komplementäre Entsprechung tritt.16

Schließlich treffen kühne Konstruktionen – wie jene von Alain Delormes Quarantine [Kat. 90], die mit Aufbau-Optimismus spielerisch oder experimentierfreudig aus dem errichtet wurden, was während der Corona-Pandemie lebensnotwendig erschien – auf Ruinen mit ihrem breiten narrativen Repertoire: Sie sind melancholische, nostalgische oder heroische Zeugnisse des Verfalls oder der Gegenwart von Erinnerung, des Andauerns von Geschichte, einer Naturgeschichte der Zerstörung oder der Chance für eine zukünftige Wiederverwendung, Umnutzung und Besiedelung.

Ästhetik, Poetik und Semantik der Ruine unterlagen und unterliegen zahlreichen kulturgeschichtlichen Metamorphosen. Neu im Bild der Ruinen der Gegenwart: Die Infiltration, Zersetzung oder der Verlust menschlicher Lebensräume – dem die Zerstörung ursprünglich nicht vom Menschen dominierter Lebensräume immer vorausgeht – wird nicht mehr nur als Dystopie oder resignative Vanitas-Metapher, sondern als Hoffnungsfigur interpretiert, denn diese Altbauten können als Plattformen für künftige Hybridbildungen dienen. Das Vordringen von Natur in die Leerstelle der Ruine zeugt von Wachstums- und Anpassungsprozessen, die zur Entstehung neuer Biotope führen können. Der Verfall menschlicher Artefakte gerät damit zu einem Phänomen, dessen prospektive Dimension die retrospektive übersteigt.

Diesen paradigmatischen Wechsel der Perspektive annoncieren die Keramiken von Isa Melsheimer, die mit ihren Arbeiten Behausungen simuliert, die von Tieren geschaffen sein oder von ihnen als Nistplätze wiederverwendet werden könnten. Dies ist ein Fortlaufender Prozess der Verbesserung [Kat. 103–106]. Dabei wird die summarische und simplifizierende Denkfigur eines »Triumphs der Natur« über den Menschen – die diesen anthropozentrisch und dichotomisierend aus der Natur als ein »Kulturwesen« herauslöst –abgelöst durch die faszinierende und instruktive Einsicht in adaptive und innovierende Potenziale und Resilienzen von Flora und Fauna. Jakob Kudsk Steensens A Cartography of Fantasia [Kat. 102] zeigt das in einem eindrucksvollen Video gleichermaßen dokumentarisch und poetisch: Dort, wo der Mensch Pläne und Projekte aufgibt, entstehen Habitate für Tiere und Pflanzen.

16 Dietrich Erben: Architekturtheorie Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart , München 2017, S. 77. Erben fasst Schmarsows zentrale Thesen seiner Schrift Das Wesen der architektonischen Schöpfung (1894) in den folgenden drei Punkten zusammen: »1. Architektur ist Raumschöpfung, nicht Gestaltung von Baukörper bzw. Masse; 2. Raum wird konstruiert durch den Benutzer oder Betrachter und nicht durch feste Begrenzungen; 3. Zentrum und ›Korrelat des Raumes‹ ist der Mensch aufgrund der ihm eigenen Körpereigenschaften.« Ebd., S. 76 f.

Archistories – Körper, Sprache, Raum

17 Meisenheimer 2020 (wie Anm. 6), S. 10.

18 Pallasmaa 2012 (wie Anm. 1), S. 14.

19 Ebd., S. 15.

Fazit: ArchiStories und ArcHistories – Körper, Sprache, Raum

Bauend betreiben Menschen also gleichzeitig Selbst-, Gesellschafts- und Weltformung und geben Auskunft über ihre Weltbilder – allein oder in Gemeinschaft, minimalistisch oder luxuriös. Architektur nimmt strukturell in Form und Funktion in sich auf und organisiert gleichzeitig, was individuelles und gesellschaftliches Dasein im Wandel der Epochen bestimmt. Sie konkretisiert und verortet soziale Strukturen und Übereinkünfte. Sie befriedigt das Bedürfnis nach Schutz, Intimität, aber auch nach Sozialität, Lebenserleichterung, ästhetischem Genuss, Selbststeigerung und Statusdemonstration. In der individuellen Erfahrung sind Architekturen – wie Kunstwerke – Objekte unserer Wahrnehmung, die diese lenken und formen. Wolfgang Meisenheimer schreibt dazu:

Das Konkreteste ist eben doch Architektur als ein Erlebnisraum. Als ein solcher ist sie an die Empfindung und die Vorstellung der Menschen gebunden, wechselnd, vielschichtig und dabei nie eindeutig. Die Architekturgeschichte ist deshalb seit vielen tausend Jahren auch eine Geschichte der Architekturtheorie als Wahrnehmungstheorie.17

Drei Aspekte sind über die Zeiten hinweg als Konstanten für diese Wahrnehmung und als genetischer Subtext konstitutiv für Architekturen – die hier abschließend noch einmal benannt werden sollen, da sie für die Transposition in Werke der bildenden Kunst von besonderem Belang sind.

Erstens beziehen sich Räume und Baukörper formal und atmosphärisch auf den menschlichen Körper und unsere Sinne, durch die wir Proportionen und Kompositionen von Räumen erfahren. Juhani Pallasmaa plädiert in Die Augen der Haut deshalb für eine multisensorische Konzeption von Architektur:

Es leuchtet daher schnell ein, dass ›lebenssteigernde‹ Architektur alle unsere Sinne gleichzeitig ansprechen muss, um unser Selbstbild mit unserer Erfahrung von Welt zu vereinen. Die wesentliche Aufgabe von Architektur ist es, uns zu beherbergen und in die Welt zu integrieren. Architektur artikuliert unsere Erfahrungen des Inder-Welt-Seins und stärkt unseren Sinn für Wirklichkeit und uns selbst. […] Gebäude und Städte schaffen auf diese Weise einen Horizont: für das Verstehen der menschlichen Existenzbedingungen und für die Konfrontation mit sich selbst. Anstatt lediglich optisch verführerische Objekte zu schaffen, verbindet, vermittelt und entwirft Architektur Sinnhaftigkeit.18

Daraus folgt für ihn, dass uns »sinnstiftende Architektur« uns selbst als »ganzheitliche körperliche und geistige Wesen erfahren« lässt: »Das ist die eigentliche große Aufgabe bedeutender Kunst.«19 Gemalte, gezeichnete, in Skulpturen übersetzte oder im Video

Archistories – Körper, Sprache, Raum

durchstreifte, abgetastete, inszenierte Architekturen manifestieren verkörperte Erfahrung in einer zweiten, kondensierten Ordnung.20 Zweitens sind Bauten, wie schon eingangs angedeutet, aufgrund ihrer rhetorischen Konzeption per se lesbar. Sie dienen nicht nur Funktionen, sondern teilen sich auch mit – durch die Sprache ihrer Formen, Zitate, Referenzen, ihre Raumchoreografie. Auf der Seite des Rezipienten bedarf es einer sprachlichen Reaktion auf die Formsprache, denn, wie Wolfgang Sonne konstatiert: »Durch das Medium der Sprache wird es möglich, Architektur in argumentative Zusammenhänge zu stellen. Auch hier gilt wiederum: Wer diese argumentative, intelligible Seite der Architektur vernachlässigt, produziert keine umfänglich befriedigenden Gebäude.«21 Im Sprechen über und in der Darstellung von Architekturen werden wir uns ihrer narrativen »Textur«, ihrer Grammatik und Semantik, ihres Vokabulars bewusst, in das Natur und Kunst eingehen. Diese Beobachtung liegt schon einem der Urtexte zur Genese architektonischer Formen zugrunde, in dem Vitruv von der Entstehung des korinthischen Blattkapitells erzählt: Der Bildhauer Kallimachos erfand es, als er am Grab eines Mädchens einen mit Spielzeug gefüllten Korb fand, der mit einer Steinplatte abgedeckt und von Akanthuspflanzen umflort war.22 Diesen umrankten Korb zeichnete er, um ihn schließlich in Stein nachzubilden. Dietrich Erben resümiert im Blick auf Vitruvs Architektur-Verständnis:

Gebäude sind für ihn weder ausschließlich materielle Objekte noch allein Mittel zur Erfüllung pragmatischer Nutzfunktionen, sondern auch Speicher von Bedeutungen. So erweist sich bereits bei Vitruv Architektur als ein, wie man heute sagen würde, Medium kultureller Repräsentation.23

Drittens definieren Architekturen Raum als inneren und äußeren Raum, als geschlossenes oder sich transparent öffnendes und kommunizierendes System im Bezug zu Umwelten, Umräumen, Welt-Räumen. Sie erlauben uns eine Selbsterfahrung im und als Raum. »Man könnte sagen, Architektur domestiziert den grenzenlosen Raum und die unendliche Zeit in einer Weise, dass sie überhaupt erst vom Mensch ertragen, bewohnt und verstanden werden können«, schreibt Juhani Pallasmaa.24

Wenn Kunst sich mit Architektur befasst, dann immer auch mit Sprache, Körper und Raum, mit dem, was uns umgibt, bedingt, ausmacht und was wir formen – im Versuch, heimisch zu werden und zu bleiben.

20 Auf die Körper-Analogie von Architekturen und sogar Stadtlandschaften macht Wolfgang Meisenheimer 2020 (wie Anm. 6) aufmerksam, hier am Beispiel Karlsruhes, S. 52: »Die Stadtbaukunst hatte auch im Barock der Selbstdarstellung des Menschen zu dienen, des Menschen als einzelner Person, nicht mehr der Darstellung des Göttlichen wie im Mittelalter. Als ideale Menschen verstanden sich allerdings zunächst die Fürsten. Die Potentaten ahmten allesamt den König von Frankreich nach, den Avantgardisten unter den Mächtigen der kultivierten Welt. Eine Idealstadt dieser Zeit, etwa Karlsruhe, 1719 von Balthasar Neumann (1687–1753) für den Bischof Johann Philipp Franz von Schönborn nach französischem Vorbild entworfen, trug ›menschliche‹ Züge sogar in der Figur als Draufsicht. Der Kopf, die Mittelachse, die Ausbreitung der Glieder im Rechts-und-linksSystem, die Transportweg und das Zusammenspiel aller dieser Teile mussten der Idee eines Gesamtkunstwerkes folgen, das den Fürsten geradezu abbildhaft zeigte. Die Straßenräume, ihre Richtungen, Monumente und Fassaden waren Teile einer ganzheitlichen Figur.«

21 Wolfgang Sonne: Die Medien der Architektur , München 2011, S. 12. 22 Erben 2017 (wie Anm. 16), S. 21 f. 23 Ebd., S. 22.

24 Pallasmaa 2012 (wie Anm. 1), S. 23. Der finnische Architekt geht sogar noch weiter mit seinem emphatischen Begriff von Architektur, wenn er schreibt: »Die zeitlose Aufgabe der Architektur ist es, existentielle Metaphern zu schaffen, die unser Leben verkörpern, indem sie unserem In-der-Welt-Sein eine konkrete Form und Struktur verleihen. Architektur reflektiert, materialisiert und verewigt Ideen und Vorstelllungen eines idealen Lebens. Gebäude und Städte erlauben uns, eine formlose Wirklichkeit zu gliedern, zu verstehen und zu erinnern – und letztlich zu erkennen, wer wir sind.« Ebd., S. 93.

DIONISIO GONZÁLEZ

Kat. 1

Wittgenstein’s Cabin 10 2021

C-Print, Diasec, 110 × 240 cm

Courtesy Taubert Contemporary

1 Vgl. Alex Rühle: »Am Ende des Fjords. 1914 ließ sich Ludwig Wittgenstein eine einsame Hütte bauen. Ein Besuch«, in: Süddeutsche Zeitung , 17. Oktober 2019, https://www. sueddeutsche.de/kultur/gastlandnorwegen-und-ludwig-wittgensteinam-ende-des-fjords-1.4644556 [19.1.2024].

Ludwig Wittgenstein suchte Idealbedingungen, Stille, völlige Abgeschiedenheit und Schönheit, für die intellektuelle Beschäftigung mit Problemen der Logik und Sprachphilosophie. Den Ort hierfür fand er in Norwegen. Im Jahr 1914 ließ er sich nach eigenem Entwurf eine 59 Quadratmeter kleine Hütte bauen, drei Zimmer und einen Balkon, hoch oben auf einem Felsvorsprung mit Blick auf Europas längsten und tiefsten Fjord, den Sognefjord in Norwegen. Erreichbar war seine Klause nur, indem man den EidsvatnetSee überquerte – sommers per Boot, im Winter zu Fuß übers Eis – und sich dann auf unbefestigtem Weg steil bergan begab. Wasser zog Wittgenstein mit einer Seilwinde und einem Eimer aus dem Fjord. Immer wieder, zunächst auch mit seinem Freund David Pinsent, auf dem See unterwegs, wurde auch das Boot zum Ort der Reflexion, eines Philosophierens in langsamer Bewegung. Nach seinem Tod wurde das Holzhaus 1958 abgebaut und in Skjolden mit Veränderungen wiedererrichtet. Ab 2014 unternahmen norwegische Gelehrte und Intellektuelle die Anstrengung, die Hütte zu restaurieren und an ihren ursprünglichen Standort zu relozieren, was 2018 gelang. Fünf Aufenthalte Wittgensteins, längere vor allem in den 1930er-Jahren, sind überliefert. Die Einwohner Skjoldens nannten das von dem Österreicher bewohnte Domizil spaßhaft Østerrike.1 Für Wittgenstein, der in einer der wohlhabendsten Familien der Donaumonarchie und entsprechend großzügigen, palastartigen und prächtigen Behausungen im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts seine Kindheit und Jugend verbracht hatte, war die Hütte in der Einöde ein radikaler und extremer, existenzieller Gegenentwurf.

Dionisio González wurde durch diese Baugeschichte – und die Corona-Pandemie –zu seiner Werkgruppe mit dem Titel Wittgenstein’s Cabin inspiriert, die der Frage nachgeht, wie sich der Philosoph heute oder in der Zukunft situieren würde und welches Potenzial Isolation birgt. Die Hütte ist vom – mit einem dichten Wolkenband teils verhangenen, grün bewaldeten – Berg auf die Grenze zum Wasser hinuntergewandert. Sie hat sich komplex ausgedehnt, ähnelt nun, bereit abzulegen oder anzudocken, selbst einem amphibischen Gefährt mit Beibooten, einem Raumschiff, einem U-Boot. In früheren Arbeiten – Favela (2004) oder den post utopias (2005) – überformte der spanische Fotograf lateinamerikanische Slums oder Haus- und Fischerboote in der vietnamesischen HalongBucht mit futuristischen computergenerierten Roof-Tops und Erweiterungsbauten. Für die im Jahr 2005 vom Hurrikan Katrina verwüsteten Strände der Dauphin Islands vor Alabama erfand er Architekturen mit erhöhter Resilienz im Hinblick auf den Klimawandel und seine Auswirkungen. Um solche handelt es sich auch in diesem Bild. Würden die Stahlkammern überflutet, blieben sie intakt und ihre Bewohner unbehelligt.

Lebensräume, Daseinsbilder 1 – Häuser

Wittgenstein’s Cabin 10 thematisiert die Sehnsucht nach Schutz in der Wildnis, einem zurückgezogenen Dasein in intakter, erhabener Natur, die zur bergenden Bedingung der Erkenntnis wesentlicher Strukturen unseres Denkens und Seins werden kann. González konzediert dem Bewohner dieser Behausung moderat modernen Komfort. In Anlage, Material-, Farb- und Formensprache passt sie sich der Landschaft an. Die eiförmigen Baukörper schmiegen sich organisch weich wie durchs Wasser rundgewaschene Steine aneinander und erinnern gleichzeitig an Zellhaufen oder Fischlaich. Kein Zweifel, dass Wasser ihr Element ist. Die künstlichen Inselpartien sind sanft ins Riff integriert. Andererseits finden sich damit kombiniert geradlinig modernistische Bungalowelemente aus Holz, Metall und Glas. Sie knüpfen an Wittgensteins Affinität zum neuen Bauen an, von der zwar nicht seine Holzhütte, aber doch sein 1925 mit Paul Engelmann entwickelter Entwurf für das Palais seiner Schwester Margarethe Stonborough-Wittgenstein im dritten Wiener Bezirk zeugte – klar, einfach, stabil, licht und sachlich. KCV

STEPHEN CRAIG * 1960

Kat. 6

Rockinghouse 2019

Lackierter Kunststoff, 56 × 47 × 16 cm

Kat. 7

Rettungsring 2006

Lackierter Kunststoff und Holz, Ring mit Bodenplatte 60 × 60 × 43 cm

(Ring: 20 cm hoch × 50 cm Durchmesser)

Kat. 8

Hurricane House 2007

Lackiertes Holz und Kunststoff, 70 × 130 × 90 cm

Alle Werke im Besitz des Künstlers

1 Ulrich Schulze hat gezeigt, dass auf den Turm als »das sinnstiftende Symbol der Stadt« allgemein und speziell auf den Turm der Winde in Athen aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Konzeption des Stadtgrundrisses Karlsruhes zurückgeht, der vom hiesigen Schlossturm ausstrahlt. Ulrich Schulze: »Stadtplanung in Karlsruhe –Paradigmenwechsel?«, in: Katharina Büttner, Martin Papenbrock (Hrsg.): Kunst und Architektur in Karlsruhe Festschrift für Norbert Schneider , Karlsruhe 2006, S. 23–43, hier S. 25 ff.

Kat. 9

Bin Building 2005

Lackiertes Holz und Kunststoff, Glas, 49 × 42 × 45 cm

Kat. 10

Boothbox/Kassenkoffer 2005

Lackiertes Holz und Kunststoff, Plexiglas, Farbfotografie, 50 × 40 × 50 cm

Kat. 11

K9, The Small Glass (Nine bachelors’ boothes bathing) 1999

Lackierter Kunststoff, Holz, Glas, 62 × 47 × 18 cm

Transparent, transportabel und flexibel wirken die bunten Pavillons, Kassen- und Wartehäuschen, der stilisierte Hochhausturm, der im Wind eines Ventilators wie ein Stehaufmännchen hin- und herschaukelt, das Archivgebäude in Form eines Rettungsrings. Die Objekte, die Craig entwickelt, können tatsächlich Modelle für baubare Architekturen sein, viele von ihnen sind jedoch autonome, äußerst humorvolle, skulptural raffinierte Objekte für sich. Grundrisse und die Farbgebung einiger früherer Werke verraten eine gewisse formale Nähe zum russischen Konstruktivismus, dessen einstige sozial-utopische Dimension Craig auch interessierte.

Die tatsächlich gebauten Architekturen, die mitunter auf die Modell-Skulpturen zurückgehen und immer aus der Auseinandersetzung mit den städtebaulichen Verhältnissen vor Ort resultieren, öffnen sich als leichte Plattformen oder Projektionsräume, Informations- und Kommunikationszentren. Der in Nord-Irland geborene Künstler entwickelt Bauten, die ihre sozialen Funktionen unkompliziert und beweglich erfüllen, die sich verwandeln lassen und heiter stimmen, weil sich Menschen in ihnen frei bewegen und zufällig begegnen, sich austauschen und miteinander und ihrer Umwelt interagieren können.

Craig arbeitet mit Anspielungen auf diverse architekturgeschichtliche Kontexte. Dazu zählt zum Beispiel der späthellenistische Turm der Winde in Athen, der zunächst der Zeitmessung und Erforschung der Wind- und Wetterverhältnisse, dann als Baptisterium und Andachtsraum diente.1 Diese diachrone Multifunktionalität kann genauso zum Ausgangspunkt seiner konstruktiven Überlegungen werden wie Buster Keatons Film One Week (1920), in dem der frischverheiratete Held gegen die Tücken eines Fertighaus-Bausatzes kämpft. Craigs Werke werden von Alltäglichem wie Müll-Containern oder Streichholzschachteln inspiriert oder erweisen Ikonen der Kunstgeschichte, wie den Junggesellen in

Marcel Duchamps Das Große Glas (1915–1923), ihre Reverenz. Poetisches, Wissenschaftliches, Soziales, Ironisches und Historisches gehen spannungsvolle Synthesen ein und damit baut der Künstler Brücken sowohl zwischen Epochen als auch zwischen kulturellen Phänomenen. Zu ihnen zählt unter anderem auch das Motiv- und Metaphernrepertoire des Jahrmarkts mit seinen Verführungs- und Stimulationsstrategien. Fotografisch hat Craig jahrelang Ansichten von Kassenhäuschen und bunt mit Glühbirnen überdekorierten Buden gesammelt. Beide Elemente überführt er in installative Kontexte. Die vielfach variierten und in herdenhafter Häufung auftretenden Kassenhäuschen deuten an, dass unsere Vergnügungen, Wünsche und eskapistischen Ambitionen immer ihren Preis haben, dass Käuflichkeit als Prinzip des Marktes, also kapitalistischer Systeme, in Bezug auf Glücksversprechen jedoch eine Illusion ist. KCV

Kat. 6
Kat. 7

CARL LUDWIG FROMMEL

Kat. 23

Das Haus des Tasso in Sorrent 1849 Öl auf Leinwand, 30,5 × 41,5 cm

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Inv. 2160

Der in Birkenfeld geborene Maler Carl Ludwig Frommel wurde in Karlsruhe bei dem Kupferstecher Christian Haldenwang und dem Maler Philipp Jakob Becker ausgebildet. Er unternahm Studienreisen nach Paris, wo ihn Kaiserin Joséphine mit Aufträgen versah, in die Schweiz und fünf Jahre lang – von 1812 bis 1817 – nach Italien. 1818 kehrte Frommel nach Karlsruhe zurück und wurde zum Professor für Malerei und zum Hofmaler ernannt.

Das Haus des Torquato Tasso in Sorrent war ein bei Italienreisenden und deutschen Romantikern höchst beliebtes Motiv. Johann Wolfgang von Goethe hatte mit seinem Drama um den Renaissance-Dichter und dessen Emanzipation vom Hofpoeten zum freien Künstler 1790 ein Werk publiziert, das ein gewandeltes Künstlerselbstverständnis inszenierte. Mit dem Motiv von Tassos Geburtshaus in Sorrent ließ sich die Darstellung einer eindrucksvollen Landschaftskulisse, der geradezu waghalsig bebauten Steilküste, mit der Reminiszenz an das Schicksal des in allerlei Händel verstrickten und zeitweilig in Hospitälern internierten Renaissance-Dichters verbinden. Die Legenden, die sich um den Hofpoeten der d’Este in Ferrara ranken, besagen, dass er, wohl zu Verfolgungswahn neigend, zum Spielball aristokratischer Intrigen wurde und nach seiner Flucht vom Hof 1577 in seinen Geburtsort und das seinem Geburtshaus benachbarte Haus seiner Schwester Cornelia zurückkehrte. Angeblich verkleidete er sich hierfür als Bauer, berichtete der Schwester vom angeblichen Tod ihres Bruders Tasso, um ihre Treue zu prüfen, und wurde von ihr für einige Zeit aufgenommen.

Frommel stellt einen tatsächlich in ein einfaches Hemd gekleideten Mann im Bildvordergrund dar. Auf einer Steinbank ergötzt er sich an frisch gepflückten Orangen. Damit fügt der Maler der topografischen Schilderung ein erzählendes Moment hinzu.

Frommel interessierte sich aber nicht nur in diesem Gemälde für Architektur, sondern neben seiner Tätigkeit als Hofmaler leitete er 28 Jahre lang, von 1830 bis 1858, die Großherzogliche Galerie in Karlsruhe. Unter seiner Ägide wurde der von Heinrich Hübsch entworfene Neubau der heutigen Staatlichen Kunsthalle errichtet und eröffnet.

1 Miron Mislin: Die überbaute Brücke: Pont Notre-Dame Baugestalt und Sozialstruktur , Frankfurt am Main 1982, S. 20 f.

2 Von diesem Ereignis malte er mehrere Bildpaare, die zum einen die Brücke aus der Entfernung und zum anderen den Blick von der Brücke aus in die Stadt und zwischen die Häuserzeilen wiedergeben. Das Gegenstück zum Karlsruher Werk befindet sich in der Alten Pinakothek München. Zwei weitere Fassungen der Komposition sind zum einen Teil der Sammlung des Musée Carnavalet Paris zum anderen des Louvre. Vgl. Dietmar Lüdke: Hubert Robert und die Brücken von Paris . Ausst.-Kat. Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe 1991, S. 15 f., und Margaret Morgan Grasselli, Yuriko Jackall, Guillaume Faroult, Catherine Voiriot, Joseph Baillio (Hrsg.): Hubert Robert . Ausst.-Kat. National Gallery, Washington 2016.

Kat. 28

Der Abbruch der Häuser auf der Notre-Dame-Brücke in Paris um 1788 Öl auf Leinwand, 81 × 154 cm

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Inv. 2728

Der Blick auf den Pont Notre-Dame, der als älteste Brücke von Paris gilt, reicht vom Quai de Gesvres bis zum Quai de la Corse auf der Île de la Cité und überspannt die Seine. Das steinerne Bauwerk ist fast in seiner gesamten Ausdehnung aus größerer Distanz und in Untersicht dargestellt. Es nimmt den Mittelgrund des Bildes ein. Die Brücke wurde bereits Anfang des 16. Jahrhunderts entlang einer alten römischen Verkehrsachse nach Plänen von Fra Giocondo errichtet und war nur eine von zahlreichen bebauten Brücken in Paris. Um 1786 wurde der Rückbau der Häuserreihen beschlossen, um den zunehmenden bautechnischen Sicherheitsrisiken und prekären sanitären Zuständen entgegenzuwirken.1 Hubert Robert begleitete den fortgeschrittenen Abbruch mit Skizzen. Das Ruinöse gehörte zu seinen favorisierten Bildthemen, insbesondere nach seinem elfjährigen Aufenthalt in Rom.2

Die – vom Betrachter aus gesehen – vordere Häuserreihe wurde hier bereits abgetragen, von der hinteren stehen nur noch Fragmente. Die Lücken auf der linken Seite geben den Blick auf den Eingang des unterhalb gelegenen Pumpwerks frei. Direkt dahinter sind der spitze Turm der Sainte-Chapelle und die Tour de l’Horloge des alten Königspalastes, die sich auf der Cité-Seite erheben, erkennbar. Unter den sechs weiten und tiefen Rundbögen fließt die grünblaue Seine. Es herrscht geschäftiges Treiben; flache Boote fahren unter den Arkaden und klobige Schiffsmühlen sind dort befestigt.

Insgesamt vier Brücken zeigt Robert auf seinem Gemälde, denn flussabwärts verstecken sich hinter dem Pont au Change, der durch die Bögen des Pont Notre-Dame zu sehen ist, der Pont Neuf und danach der Pont Royal, der für diese Komposition perspektivisch etwas nach vorne verschoben wurde. Auf dem Pont au Change waren zu dieser Zeit noch fünfstöckige, einheitliche Steinhäuser gebaut, die hier allerdings aufgrund künstlerischer Überlegungen in ihrer Höhe gestreckt wurden, um den Eindruck einer geschlossenen Häuserkette zu erzeugen. Durch den in hellen Tönen gehaltenen Anstrich heben sich die Bauten vom dunkleren erdfarbenen Pont Notre-Dame ab.

Heutzutage erinnern nur noch Gemälde und Zeichnungen an die überbauten Brücken von Paris. An der Stelle des Pont Notre-Dame entstand im 19. Jahrhundert während umfangreicher urbaner Modernisierungen unter Georges Eugène Haussmann ein fünfbogiger Übergang. Roberts herausragendes Werk dokumentiert vor diesem Hintergrund die denkmalpflegerischen Prozesse und urbanen Umbrüche der Stadt und hält diesen ›fragilen‹ Moment des Abbruchs fest. Er unterstreicht den transitorischen Charakter und die historische Dimension des Bautypus ›überbaute Brücke‹. Das Leben um die Brücke herum geht seinen gewohnten Gang, ungestört von allen Bautätigkeiten und Veränderungen. AM

HENDRICK CORNELISZ. VAN VLIET

Kat. 58

Inneres der Oude Kerk in Delft 1662

Öl auf Leinwand, 55,2 × 46,5 cm

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Inv. 2453

Die Art und Weise, wie Innenräume dargestellt werden, wandelt sich in der niederländischen Malerei im 17. Jahrhundert, als die sogenannten Architekturstücke aufkommen. Gerade sakrale Interieurs geben Aufschluss über das neu gewonnene Interesse an der perspektivischen Darstellung räumlicher Dimensionen. Der Fluchtpunkt liegt nicht mehr auf der Mittelachse, Bauten und Innenräume werden nicht mehr frontal porträtiert. Die malerische Darstellung eines solchen Interieurs galt in dieser Zeit als gefragtes Sujet und so zogen diese Kircheninnenraumbilder als Zeichen der Frömmigkeit in Privathäuser ein. Mit diesem Bildtypus setzte sich auch Hendrick Cornelisz. van Vliet auseinander, zu dessen Hauptmotiven Innenansichten der großen Delfter Kirchen zählen.

1 Eine zweite Version dieses Werkes, das von einem nur um wenige Meter abweichenden Standpunkt aus gemalt wurde, schuf van Vliet 1665. Sie befindet sich heute unter dem Titel Interior of the Oude Kerk in Delft im Mauritshuis in Den Haag.

2 Die geheimnisvolle Männergestalt in Rot ist ein wiederkehrender Besucher in den sakralen Innenräumen aus dem 17. Jahrhundert. Diese Figur taucht in vielen Werken van Vliets auf und ebenso in den Gemälden des Niederländers Emanuel de Witte. Beide lernten sich wahrscheinlich um 1640 in Delft kennen. Es ist davon auszugehen, dass sie die Werke des jeweils anderen kannten. Vgl. Menno Jonker: »Hendrick van Vliet, De Oude Kerk in Delft tijdens een dienst | The Oude Kerk in Delft during a service, ca. 1658–1660«, in: Geertje Jacobs, Menno Jonker (Hrsg.), Meesterwerken uit Wenen Vlaamse en Hollandse meesters uit de Gemäldegalerie en het Kupferstichkabinettvan deAkademie derbildenden KünsteWien/ Masterpieces fromVienna Flemish and Dutch masters from the Painting Galleryand Graphic Collection of the Academyof FineArtsVienna . Ausst.Kat. Het Noordbrabants Museum, Zwolle 2020, S. 120–123, hier S. 122.

Nicht unmittelbar, sondern durch einen Rundbogen blickt der Betrachter vom Marienchor in nordwestliche Richtung zum sich nach oben hin öffnenden Raum.1 Durch ein gestaffeltes und kompliziertes Raumgefüge betont der Maler die Dimension der gotischen Stadtkirche. Demgegenüber wirken die Figuren regelrecht winzig. Sorgfältig gibt der Künstler die Totenschilde, Epitaphe und Wappen unterschiedlicher Gilden, die an den Säulen und Wänden hängen und im Boden eingelassen sind, wieder. Im Vordergrund unterhält sich ein Totengräber, der auf seine Schaufel gestützt im frischen Aushub steht, mit einem schwarz gekleideten Küster oder Leichenbitter. Mehrere Hunde streunen durch den Chor. Eine wiederkehrende Figur in den Kircheninterieurs von van Vliet ist der Mann mit dem roten Mantel in Rückansicht.2

Das Architekturstück Inneres der Oude Kerk in Delft hebt die damalige – von der heutigen Nutzung und dem gegenwärtigen Verständnis solcher Räume stark differierende –Funktionsweise sakraler Interieurs hervor. Sie wurden genutzt als öffentlicher Raum des gesellschaftlichen Austauschs, der sich nicht einzig auf den Gottesdienst beschränkt, sondern für die Abwicklung von Geschäften diente oder, um sich vor Regen zu schützen. Dabei versäumt van Vliet es nicht, den Betrachter mit der Vergänglichkeit des Lebens zu konfrontieren: Das frisch ausgehobene Grab und die Totenschilde fungieren als Memento mori AM

Erhabene Räume

FRIEDRICH WEINBRENNER

Kat. 60

Das Bad des Hippias (Rekonstruktion) 1794

Tuschfeder, Pinsel in Sepia, Aquarell, Bleistift, Lavierung auf Papier, 64,8 × 71,9 cm

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Inv. PK I 483-7

1 Vgl. dazu die Datenbank https:// piranesi.kunsthalle-karlsruhe.de/de [24.10.2023], außerdem den Aufsatz von Dorit Schäfer in diesem Band, S. 86–93.

2 Friedrich Weinbrenner: Worte und Werke Friedrich Weinbrenner und die Weinbrenner-Schule , hrsg. v. Johann Josef Böker, bearb. v. Ulrich Maximilian Schumann, Bd. VII, Bad Saulgau 2017, S. 139.

Kat. 61

Entwurf eines Kerkers 1793

Aquarell, Bleistift und Tusche auf Papier, 39,5 × 58,3 cm

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Inv. VIII 2811-3

Annähernd 300 Werke von Friedrich Weinbrenner gehören zum Bestand des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Kunsthalle. Im Jahr 2014 wurden wiederum rund 300 in zwei Klebebänden bewahrte Zeichnungen, die bis dato ihm zugeschrieben worden waren, als Werke Giovanni Battista Piranesis und seiner Werkstatt erkannt.1 Stellvertretend für den großen Bestand an Zeichnungen und Entwürfen des Klassizisten, der in Karlsruhe stadtbildprägend als Baumeister, aber auch als engagierter Denkmalschützer wirkte, zeigt Das Bad des Hippias (Rekonstruktion) Weinbrenners profunde Auseinandersetzung mit antiken Vorbildern.

Im Jahr 1822 dedizierte er dem Großherzog Ludwig Wilhelm August von Baden eine Abhandlung über Entwürfe und Ergänzungen antiker Gebäude: »Diese Arbeit, welche ich Euer Königlichen Hoheit ehrerbietigst überreichen zu dürfen die Gnade habe, ist unter dem heitern Himmel Italiens entstanden, und eine Frucht meiner Bestrebungen, den Geist der Alten in ihren – wenn auch meist zerstörten – Kunstbildungen wieder zu erkennen und anschaulich zu machen. Die Architektur bedarf mehr dann irgend eine andere Kunst des milden Schutzes und der fördernden Pflege der Regenten. Ich geniesse das Glück, dem Bauwesen unter einem Fürsten vorzustehen, der – in der obgleich noch kurzen Zeit seiner väterlichen Regierung – die Residenz bereits durch öffentliche Gebäude verschönert hat, und dem Nützlichen und Zweckmässigen auch die gehörige Würde zu ertheilen weiss. Ich halte es daher für meine Pflicht, gegenwärtige Versuche zur Wiederherstellung alter Architekturwerke meinem gnädigsten Landesherrn unterthänigst zu widmen. Sind es auch nur Ideen, so dürfen sie doch als fruchtbare Studien zur Ausübung der Baukunst betrachtet werden, denn auch hier, wie überall, wo Gutes und Vollendetes erzeugt werden soll, kommt es darauf an, das trefflichste in seiner Art als Muster vor Augen zu haben und ganz begreifen zu lernen.«2 In dieser Schrift zitierte Weinbrenner zunächst die von Christoph Martin Wieland übersetzte ekphrastische Lobeshymne Lucians (von Samosata) auf das Bad des griechischen Architekten Hippias. Weinbrenners Sepiazeichnung zeigt, dass seine Kenntnis dieses funktional und ästhetisch von Lucian bewunderten Bauwerks sehr viel weiter zurückreichte, denn sie stammt schon aus dem Jahr 1794 und entstand anlässlich des von 1792 bis 1797 währenden ItalienAufenthalts. Weinbrenner sandte diese Imagination des verlorenen Baus zusammen mit der Fantasie-Vedute einer Fürstengruft – beide Innenraumdarstellungen beeindrucken durch die immense Raumtiefe und die mächtigen, kassettierten Tonnengewölbe – an

Erhabene Räume – Vedute und Studie

Kat. 60

GIUSEPPE GALLI DA BIBIENA

JOHANN

ANDREAS PFEFFEL D. Ä.

Kat. 70

Architektur mit Ecce Homo 1740

Kupferstich, 52,1 × 34,6 cm

Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Inv. 1951-697

1674–1748

1 Der Originaltitel lautet: Architetture , e Prospettive dedicate alla Maestà di Carlo Sesto Imperadorde’Romani da Giuseppe Galli Bibiena […] Sotto la Direzione di Andrea Pfeffel MDCCXL

Im großen Format arbeitete der an der Akademie der bildenden Künste Wien ausgebildete kaiserliche Hofkupferstecher Johann Andreas Pfeffel mit Vorliebe. Im tatsächlich gigantischen Format wirkte jedoch sein Kollege, der Maler, Zeichner, Architekt und kaiserliche Hoftheater-Ingenieur Giuseppe Galli da Bibiena, Spross einer Familie, der schließlich 13 Künstler angehörten.

Der stattliche Kupferstich Architektur mit Ecce Homo, der weniger dem Heiland als der ihn umgebenden Architektur einen buchstäblich überwältigenden Auftritt verschafft, geht auf eine Vorlage Bibienas zurück. Pfeffel führte ihn 1740 in Augsburg aus, wohin er 1711 übergesiedelt war, um eine Kunsthandlung und einen Kunstverlag zu gründen. Die klar strukturierte und brillant gestochene Komposition gehört zu einer Mappe mit 50 Kupferstichen nach Bühnen-, Architektur- und Dekorations-Entwürfen Bibienas. Sie ist Kaiser Karl VI. gewidmet.1 Bibiena schuf in Wien – später in München, Linz, Prag und Dresden – prachtvoll-spätbarocke Theaterkulissen, wahre Illusionsmaschinen. Er erfand die Übereckstellung der Bühnenbauten und operierte mit der sogenannten Winkelperspektive, also der Darstellung des Bühnenraums mit zwei statt nur einem zentralperspektivischen Fluchtpunkt [Abb. 1]. Dieses Konstruktionsprinzip liegt auch der monumentalen Kulisse zugrunde, die Bibiena – und mit ihm Pfeffel – für jenen Augenblick der Passionsgeschichte entwirft, in dem Christi Schicksal durch Pilatus und das Volk, das seine Hinrichtung verlangt, besiegelt wird. Christus, von manieristisch kräftiger, ja athletischer Statur, wird gefesselt aus dem Palast des Statthalters, der oben an der monumentalen Treppe steht, abgeführt. Soldaten und Schergen umringen den Gefangenen. Das Volk ist tumultartig herangedrängt, um dem Spektakel zu folgen, während am linken Bildrand schon mehrere Männer das mächtige Kreuz heranschleppen.

Die teils in starken Torsionen gezeigten Figuren agieren in dieser Kulisse als emotionssteigernde Beobachter, als personale Verstärker der die gesamte Komposition beherrschenden formalen und narrativen Eskalation. Auch wenn Christus hier der Erfüllung seines Schicksals entgegengeht, wird er überhöht, geschieht dies vor der Folie einer majestätisch lichtdurchfluteten, himmelstürmenden Triumphbogen-Architektur sakralen Ausmaßes. Der Blick kann tief in den Bildraum vordringen. Zusätzlich überkrönt wird diese dreigeschossige, mit dramatisch vervielfältigten Vertikalelementen ausstaffierte Architektur mit einem Baldachin, dessen Dach außerhalb des Blattformats liegt. Er erinnert unter anderem an Hochaltarziborien und fügt dem Bauwerk damit eine weitere Schmuck- und Bedeutungsform hinzu. Dass Bibienas komplexe Anlage an die Carceri Giovanni Battista Piranesis mit ihren Raumverschleifungen erinnert [Kat. 25], ist kein

Schauplatz Raum – Architektur und Bühne

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