Das Historische Grüne Gewölbe zu Dresden
Die barocke Schatzkammer
Dirk Syndram
Jutta Kappel Ulrike WeinholdDas Historische Grüne Gewölbe zu Dresden
Die barocke Schatzkammer
Monument eines königlichen Sammlers: Das Grüne Gewölbe Augusts des Starken
»In Dresden hat man vor allen Dingen dahin zu trachten, daß man das sogenannte grüne Gewölbe oder die Schatzkammer zu sehen bekomme.«1 Dieser heute noch gültige Rat findet sich bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Johann Georg Keyßlers viel gelesenem Reiseführer für Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Keyßler hatte die Schatzkunstsammlung im Oktober 1730 wenige Monate nach ihrer baulichen Vollendung besucht und war sehr beeindruckt. Seine eingehenden Schilderungen beendete der weitgereiste Schriftsteller mit der Feststellung: »Dieses wäre nun ein Generalbegriff desjenigen, was im grünen Gewölbe enthalten, und beym Durchsehen bemerket werden können. Denn alle besondere Kostbarkeiten anzudeuten, ist nicht möglich, wird auch von Jahren zu Jahren schwerer, weil sich die Sachen immer mehren. Die florentinische Tribuna mit demjenigen, was dazu gehöret, übertrifft vielleicht am Werthe diesen itztgemeldten Schatz; allein es ist nicht zu leugnen, daß die Fassungen und die wohl ausgesonnene Ordnung, welche man den hiesigen Sachen zu geben gewußt hat, ihnen ein Ansehen machet, welches viel mehr als der florentinische Schatz in die Augen fällt.«
August den Starken hätte diese Einschätzung sehr gefreut, denn die Tribuna der Uffizien in Florenz war damals der unangefochtene Maßstab für eine glanzvolle Präsentation und beispielhaft für die Verschmelzung von materiellem mit künstlerischem Reichtum.
Nicht erst für den heutigen Besucher, auch schon im Museum des Barock war der Name des Dresdner Schatzkammermuseums erklärungsbedürftig. Johann Georg Keyßler bemerkte dazu: »Anitzt sind zwar noch etliche Kammern grün, allein die ganze Einrichtung ist verändert und um vieles vergrößert, dergestalt daß diese Schatzkammer nun aus sieben Zimmern und einem Kabinette besteht.« Schon 1730 war der Ursprung für den seltsamen Namen hinter den Spiegeln der Ausstellungsarchitektur verschwunden. Sichtbar waren in den Ausstellungsräumen zwar noch die gewölbten Decken mit den sehr aufwendigen Stuckaturen im Pretiosensaal, nicht aber die malachitgrün bemalten Kapitelle und Wandbereiche (Abb. 1).
Seit Ende des 16. Jahrhunderts wurde der Name Grünes Gewölbe für eine damals aus zwei großen Zimmern und einem Saal mit zugehörigem Turmkabinett bestehende Raumfolge im Erdgeschoss des repräsentativen Westflügels des Dresdner Schlosses verwendet. Bis in das beginnende 18. Jahrhundert diente diese in sich abgeschlossene Raumfolge den sächsischen Kurfürsten als ›Geheime Verwahrung‹ und damit als gesicherter und zugleich geheimnisvoller Schatztresor.
Das Entstehen der Sammlungsräume
Abb. 1 Pretiosensaal im Grünen Gewölbe, Säulenkapitell mit Resten malachitgrüner Bemalung
Dies änderte sich im Juni 1723, als August der Starke die Errichtung einer prachtvollen Sammlungsarchitektur befahl. Die Bauleitung lag in den Händen des von Matthäus Daniel Pöppelmann geführten Oberlandbauamtes. Der kurfürstliche Bauherr verstand es aber, seinen Gestaltungswillen einfließen zu lassen. Bereits im Spätherbst 1723 war der Platz vor der doppelläufigen Treppe an der Zwingerseite des Westflügels, dem neuen Zugang, gepflastert. Im März 1724 war das Silberzimmer als Entree der neuen Schatzkammer weitgehend vollendet. Im Sommer jenes Jahres ›putzte‹ der Hofgoldschmied Johann Heinrich Köhler eine große Menge an älteren Nautilus und Edelsteingefäßen in silbervergoldeter Fassung neu ›aus‹. Im September gelangte eine große Anzahl von gedrechselten Kunststücken aus Elfenbein aus der Kunstkammer in das Grüne Gewölbe. Als August der Starke am 5. Januar 1725 das Pretioseninventar unterzeichnete (Abb. 2), in dem der große Bestand an Ausstellungsobjekten des Pretiosensaales und des EckKabinetts verzeichnet war, galt die erste Baumaßnahme als abgeschlossen.
Abb. 3 Grundriss des Erdgeschosses des Westflügels im Dresdner Residenzschloss mit den handschriftlichen Eintragungen Augusts des Starken zur Erweiterung des Grünen Gewölbes Warschau 1727
Feder in Schwarz und Braun, laviert in Rot, Gelb und Ocker auf Zeichenpapier
47,6 x 52,5 cm
Diese beiden Räume hatten in der ersten Phase weitgehend ihre heutige Form. Nur der große Saal sollte wenige Jahre später einige Veränderungen erfahren. Damals, im Jahre 1724, existierte nur ein Zugang vom Silberzimmer in den Pretiosensaal und an dessen Schmalwand befand sich weiterhin der 1719 hier aufgestellte große Juwelenschrank. Das Silberzimmer sollte sich wenige Jahre später noch einmal erheblich verändern. In der ersten Bauphase wurde es lindgrün bemalt und war weitaus weniger verspiegelt als heute. Ein am 30. Juni 1723, also kurz nach dem Baubeginn unterzeichnetes »Inventarium über dasjenige Massiv Goldtene, Vergoldtete Silberne und weiss Silberne Geschirre, so sich bey dem Königl: Grünen Gewölbe befindet« fasste den Silberschatz zusammen, der verwaltungstechnisch diesem Schatzkammerraum zugeordnet wurde. Danach muss das Silberzimmer vor Gefäßen, Kandelabern und Objekten übergequollen sein. Im Gesamten betrachtet war die erste Aufstellung im barocken Grünen Gewölbe weitaus umfangreicher und ungeordneter als heute. Edelsteinschalen standen neben Elfenbeingefäßen, das barocke Saalmonument eines Reiterstandbildes zwischen Wandfeldern voll Straußenei und Nautiluspokalen der Renaissance. Insgesamt war das erste Schatzkammermuseum im Grünen Gewölbe noch nicht das, was August der Starke wollte.
So entschied sich der KurfürstKönig im Frühjahr 1727 für eine Erweiterung. In einem erhaltenen Grundriss stellte er mit energischen Strichen seine Vorstellungen dar und Pöppelmann und die anderen Architekten des kursächsischen Oberlandbauamtes gingen erneut an die Arbeit (Abb. 3). Die zweite Bauphase begann im April 1727 mit Abbruch und Maurerarbeiten. Diesmal sollte das gesamte Erdgeschoss des Schlossflügels verändert werden. Im September 1729 waren die königlichen Bauideen realisiert. Das museale Gefüge mit acht Schauräumen und einem Funktionsbereich, zu dem Garderobe, Foyer und Dienstzimmer für die Inspektoren gehörten, sowie eine umfangreiche Depotfläche nimmt bereits die funktionale Gliederung eines neuzeitlichen Museumstyps vorweg. Eine Verfügung des Monarchen regelte seit 1732 den Besuch in Gruppen von bis zu fünf Personen, die von einem königlichen Inspektor geführt wurden.3 Was Keyßler als Erster beschrieb, war für den Spätbarock eine unerhörte Neuerung: August der Starke hatte am Ende seiner fast vier Jahrzehnte währenden Regierung seinen Kronschatz und seine persönliche Pretiosensammlung zusammen mit den ererbten Schätzen des wettinischen Kurfürstenhauses öffentlich zugänglich gemacht.
Der theatralische Rundgang
Von Anfang an bildeten Sammlung und Gestaltung des Museums eine unzertrennliche Einheit. Die Sammlungspräsentation war materialorientiert, die Innenarchitektur der unterschiedlich großen Räume farblich und formal auf das Ausstellungsgut abgestimmt. Farbig gefasste und teilweise verspiegelte Schauwände, an denen Konsolen symmetrisch angebracht waren und vor denen Tische standen, dienten der Darbietung der Schätze (Abb. 4). Die einzelnen Zimmer waren in einer dramaturgisch inszenierten Weise einander zugeordnet, so dass beim Durchschreiten ein allmähliches Ansteigen, Abklingen und nochmaliges Ansteigen sinnlicher Erfahrungen herbeigeführt wurde.
Abb. 4 Entwurfszeichnung für den westlichen Teil der Südwand des Pretiosensaales, 1723 Carl Friedrich Pöppelmann Originalzeichnung 1945 im Grünen Gewölbe verbrannt
Abb. 5 Bronzenzimmer im Grünen Gewölbes, 1904
Auftakt und Endpunkt des Rundganges war das Bronzenzimmer. Vor Eichenpanelen, die nur durch wenige Spiegel geöffnet wurden, standen mehr als einhundert Kleinbronzen auf zahlreichen Konsolen und dem umlaufenden Gesims (Abb. 5). Es handelte sich vor allem um Kleinbronzen aus Frankreich. Diese Werke der zeitgenössischen Kunst des Barock wurden durch bedeutende Bronzestatuetten der Renaissance aus der bestehenden Sammlung vermehrt. Für zehn größere Bronzegruppen standen kostbare Postamente in Boulletechnik zur Verfügung. Thematisch herrschten jedoch kleinformatige Nachbildungen bekannter Marmorbildwerke der französischen Hofkunst und berühmter Skulpturen der Antike vor. Zwei relativ großformatige Saalmonumente, eines nach dem Vorbild eines Reiterstandbildes Louis’ XIV., das andere nach einem für August den Starken geschaffenen Bildtypus, dominierten den nur 45 Quadratmeter großen Raum, von dessen Decke ein hölzerner weißer Adler – das Symbol des polnischen Königreichs –herabhing.
An das Bronzenzimmer schloss sich das kleine Elfenbeinzimmer mit seinen auf Marmorart lackierten Wänden an. Es präsentierte den ungewöhnlich großen und vielseitigen Bestand an gedrechselten Kunststücken, mit Reliefs verzierte Elfenbeinhumpen, Elfenbeinreliefs und geschnitzte Statuetten (Abb. 6). Die Arbeiten des 16. und 17. Jahrhunderts stammten zumeist aus dem sächsischen Hausbesitz und bildeten einst den Stolz der Dresdner Kunstkammer.
Als nächstes gelangte der Besucher in das zinnoberrot lackierte Weißsilberzimmer, welches das unvergoldete Tafelsilber der sächsischpolnischen Herrscher aufnahm. In Form eines ständigen Silberbuffets waren, dem Inventar von 1733 zufolge, auf und vor den sechs Wandfeldern 377 Gegenstände aus unvergoldetem Silber pyramidenförmig aufgestellt (Abb. 9). Es handelte sich dabei fast ausnahmslos um spätbarockes Tafelgerät. Darunter waren Eiskrüge, Kühl und Gläserkessel, Pasteten oder Suppenschalen, Kettenflaschen und mehrarmige Girandolen, aber auch Dutzende Garnituren aus Becken und Kannen, die zumeist kurz vor 1719 aus Anlass der Hochzeit des Kurprinzen erworben worden waren. Der Materialwert war enorm. Allein die auf dem Boden stehenden Vasen und Schwenkkessel hatten zusammen ein Silbergewicht von 925 Kilogramm. Diese Pracht wurde 1772 in der anhalten
Abb. 6 Elfenbeinzimmer im Grünen Gewölbe, vor 1938
Abb. 7 Silbervergoldetes Zimmer im Grünen Gewölbe, 1904
Abb. 8 Pretiosensaal im Grünen Gewölbe, 1904
Abb. 9 Weißsilberzimmer (Emailzimmer) im Grünen Gewölbe, 1933
Abb. 10 Entwurfszeichnung für den südlichen Teil der Ostwand des Pretiosensaales mit der Aufstellung des Kabinettstücks ›Der Thron des Großmoguls‹, Dresden 1728/29 Original 1945 im Grünen Gewölbe verbrannt
Abb. 11 Eck-Kabinett im Grünen Gewölbe, 1973
Abb. 12 Juwelenzimmer im Grünen Gewölbe, 1933
Abb. 9 Abb. 11 Abb. 10 Abb. 12Abb. 13 ›Goldenes Kaffeezeug‹
Entwurf und Goldschmiedearbeit: Johann Melchior Dinglinger
Emailarbeiten: Georg Friedrich Dinglinger
Elfenbeinskulpturen: Paul Heermann
Dresden 1697 – 1701
Holzkern, Gold, Silber, vergoldet, Email, Elfenbein, Edelsteine H. 96 cm, B. 76 cm, T. 50 cm Dresden, Grünes Gewölbe, Inv. Nr. VIII 203
den Not nach dem Siebenjährigen Krieg bis auf drei Silberstatuetten eingeschmolzen, vermünzt und wieder in den Geldumlauf gebracht. Damals verschwanden auch fast zwei Drittel derjenigen Schaustücke aus vergoldetem Silber und purem Gold, die im folgenden Raum, dem Silbervergoldeten Zimmer, aufgestellt waren (Abb. 7). Dort standen ursprünglich fast dreihundert figürliche Trinkgefäße, Gießgarnituren und andere kunstvoll gestaltete Prunkgeschirre auf mehr als 250 Konsolen und acht Tischen. Ererbte Formenvielfalt und moderne Formenstrenge wurden in diesem Raum vor nun kupfergrün lackierten und reich verspiegelten Wänden vereint. Eine besondere Wirkung erhielt das Silbervergoldete Zimmer, wenn alle verspiegelten und mit kleinen Konsolen versehenen Türen geschlossen waren. Dann befand sich der Besucher in einem Raum ohne sichtbaren Ausgang, der bis zur Decke mit einer sich spiegelnden Fülle goldglänzender Kostbarkeiten angefüllt war.
Pracht und Exklusivität steigerten sich von Raum zu Raum, denn nun erreichte der Besucher den fast zweihundert Quadratmeter großen Pretiosensaal (Abb. 8). Auf den Wandfeldern des fast vollständig verspiegelten Saales standen mehrere hundert kunstvolle Objekte auf vergoldeten und von Bildhauern besonders sorgfältig geschnitzten Konsolen. Doch der Pretiosensaal war systematisch gegliedert. Die beiden Wandfelder links und rechts vom Zugang des Silbervergoldeten Zimmers waren den gefassten und ungefassten Edelsteinarbeiten aus Lapislazuli, Achat, Jaspis, Chalzedon, Alabaster und Serpentin vorbehalten. Auf den beiden folgenden Wandfeldern links und rechts der Tür zum Wappenzimmer wurden eine ungewöhnliche Menge an Gefäßen aus exotischen Nautilus und Seeschneckengehäusen sowie die stolze Sammlung an Straußeneipokalen ausgestellt. Das schmale Wandfeld zwischen den bunten Edelsteinschalen und den weiß glänzenden Perlmutter und Straußeneigefäßen nahmen Arbeiten aus Bernstein ein. Die fast zehn Meter lange Schmalwand des Pretiosensaales aber diente zur Präsentation der hoch geschätzten Gefäße und Objekte aus Bergkristall (Abb. 10). Der gesamte ererbte oder erst in den letzten Jahrzehnten erworbene künstlerische und materielle Reichtum wurde durch schier endlose Reflexionen in den allseits präsenten Spiegeln zu einer fast märchenhaften Schatzanhäufung gesteigert. Gleichzeitig besaß der Raum einen starken dynastischen Bezug. Eine in den tiefen Fensternischen angebrachte Porträtfolge sächsischer Herrscher verband Kurfürst Moritz, den Gründer der Kurfürstendynastie aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, mit dem Sohn Augusts des Starken, den Kurprinzen Friedrich August (II.). Die von August dem Starken nicht angetastete, reich stuckierte Decke mit dem Renaissanceschmuck aus der Mitte des 16. Jahrhunderts verband die spätbarocke Sammlung des KurfürstKönigs physisch und ästhetisch mit dem Ursprung der Kurfürstenwürde in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Dem Pretiosensaal inhaltlich verbunden und nur durch ein Renaissancegitter getrennt, befand sich das in einem Turmraum eingerichtete EckKabinett. Der 14 Quadratmeter kleine Raum vermittelte trotz seiner direkten Beziehung zum großen Saal ein eigenes Raumerlebnis. Auf über einhundert Konsolen, die als ausdrucksvolle Faunsmasken gearbeitet waren, sowie auf fünf aufwendig geschnitzten Wandtischen stand eng gedrängt ein großer Teil der von August dem Starken über Jahrzehnte angelegten Pretiosensammlung. Fast fünfhundert miniaturhaft kleine Arbeiten aus Perlen, Edelsteinen, Elfenbein, Ebenholz, Email, Silber und Gold boten eine kaum fassbare Fülle an Formen und Farben. Wie kein anderer Raum des Grünen Gewölbes konnte das EckKabinett den intimen Charakter der vorausgegangenen Sammlungspräsentation bewahren.
Der von Farbenpracht, Kostbarkeit und Kunstfertigkeit überwältigte Besucher konnte seine Sinne im nächsten Raum, dem Wappenzimmer, ein wenig beruhigen. Drei Wände des Raumes waren als durchgehende Einbauschränke gestaltet, in denen in alter Tradition geheime Schriftstücke und anderes verwahrt wurden. Auf den Türen der Schränke wurden 44 vergoldete Wappen aus getriebenem Kupfer angebracht, so dass das Zimmer durch die Wappen der ererbten und rechtlich beanspruchten Besitzungen des Hauses Wettin, die Wappen des Königreichs Polen und des Großfürstentums Litauen sowie durch Wappenschilde mit den ornamental ineinander verschlungenen Ini
Abb. 14 ›Thron des Großmoguls‹
Entwurf: Johann Melchior Dinglinger
Goldschmiedearbeit: Johann Melchior Dinglinger und Werkstatt
Emailarbeiten: Georg Friedrich Dinglinger
Dresden 1701 – 1708
Holzkern, Gold, Silber, teilweise vergoldet, Email, Edelsteine, Perlen, Lackmalerei
T. 114 cm, B. 142 cm, H. 58 cm
Dresden, Grünes Gewölbe, Inv. Nr. VIII 204
tialen verschiedener sächsischer Kurfürsten einen eindeutig politischdynastischen Bezug erhielt.14
Im Juwelenzimmer, dem letzten Zimmer der Raumfolge, erwartete den Reisenden des 18. Jahrhunderts der größte damals in Mitteleuropa öffentlich gemachte materielle und auch künstlerische Reichtum (Abb. 12). Allein schon die Ausstattungspracht des als Schatzraum gestalteten Juwelenzimmers war außergewöhnlich. Die Wände bestanden, vom Fußboden bis zum Gesims, aus verspiegelten und hinterglasbemalten Spiegeln, auf denen in Goldgravur auf blauem und karmesinrotem Grund Ornamentfelder mit Ordenszeichen, Staatswappen und Initialen wechselten. Die geschnitzten und vergoldeten Bekrönungen der Wandfelder und der Portale waren von hoher künstlerischer Qualität. In vier großen, in die Wände eingelassenen Glasvitrinen befand sich der Juwelenschatz der sächsischpolnischen KurfürstKönige. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts sollte er sich in Fülle und Qualität
immer weiter steigern. 1733 waren hier ausgestellt: zwei umfangreiche moderne Juwelengarnituren aus Diamanten im Brillant und Rosenschliff, dazu acht weitere mit Smaragden, Saphiren, Rubinen, Achaten, Karneolen und Schildpatt, aus Gold und Silber. Schon dieser Juwelenbestand war überwältigend, sein künstlerischer und sein finanzieller Wert unermesslich. In den vier Juwelenvitrinen sah man zudem ererbten Schmuck und symbolhafte Zier und Zeremonialschwerter. Ergänzt wurde diese Juwelenpracht durch frei auf Tischen stehende Kabinettstücke Johann Melchior Dinglingers: das ›Goldene Kaffeezeug‹ (Abb. 13) und der ›Thron des Großmoguls‹ (Abb. 14), die ›Drei Phasen der Lebensfreude‹ sowie mehrere ideenreiche Prunkschalen, die beiden Mohren mit der Smaragd und der Landsteinstufe und schließlich, raumbeherrschend zwischen zwei großen Juwelenvitrinen emporstrebend, der ›Obeliscus Augustalis‹.
Die Sammlungen des Schatzkammermuseums
Im Grünen Gewölbe war eine selbst für den Spätbarock außerordentliche Vielfalt und Fülle fürstlichen Sammelguts vereint. Darunter befanden sich auch Kunstwerke, die sonst durchaus in anderen Sammlungsformen ihren Platz hatten. Kleinbronzen zum Beispiel gehörten in Nordeuropa seit dem 17. Jahrhundert zum Ausstattungsbestand der Gemäldegalerien. So hatte August der Starke die meisten der in seiner öffentlich gemachten Schatzkammer aufgestellten Statuetten 1699 und 1715 für die Kunstgalerien seiner Schlösser von seinem Kunstintendanten Baron Raymond Leplat in Paris erwerben lassen. Bereits 1707 waren mehr als sechshundert Bilder im Redoutensaal des Dresdner Schlosses zu einer Gemäldegalerie zusammengeführt worden. 1712 wurden 28 Bronzen aus der Kunstkammer in die königlichen »BilderCabinets« umgesetzt.5 Ein Teil von ihnen fand wenige Jahre später ihre Aufstellung im Bronzenzimmer. Ähnlich verhält es sich mit der ungemeinen Anhäufung gebrauchsfähiger oder dekorativer Silberobjekte. Sie waren verwaltungsmäßig gewöhnlich der fürstlichen Silberkammer zugeordnet. Diese Institution blieb am Dresdner Hof weiterhin bestehen und wurde ebenfalls königlich vergrößert. Das Repräsentationssilber, sei es »antique« oder »modern«, wurde aber seit 1723 in den Inventaren des Grünen Gewölbes verzeichnet.6
Seinen bald schon internationalen Ruhm verdankt das Dresdner Schatzgewölbe bis heute aber zwei Objektgattungen, die unmittelbar zur höfischen Selbstdarstellung eines Fürsten des Spätbarock gehörten. Dies war zunächst der in seinem Umfang singuläre Juwelenschmuck an modernen, sich ständig entsprechend der wechselnden Moden verändernden Edelsteingarnituren des KurfürstKönigs. Der zweite Bereich war die Schatzkunst. Beides galt kurz nach 1700 als persönlicher Besitz des Souveräns und blieb an anderen Fürstenhöfen gewöhnlich auch in dessen eigener Verfügungsgewalt – zumal die Schatzkunst eine wohl ausschließlich für einen fürstlichen oder königlichen Sammlerkreis geschaffene Objektkunst war. Ihre prächtigen, kunstvollen und virtuosen Objekte bestanden zumeist aus kostbaren und häufig auch exotischen Materialien. Die überwiegend kleinformatigen Objekte waren Liebhaberstücke intimen Charakters, die den Betrachter zum spielerischen Entdecken und zur genauen Betrachtung der Details anregen sollten. Ihre handliche Größe, aber auch ihre zierliche Gestaltung machten sie zu einem privaten Sammelgut, das der Allgemeinheit verborgen in gesicherten Sammlungsräumen oder in vergitterten Kabinettschränken aufbewahrt wurde. Seit dem Beginn der Renaissance gehörte die Schatzkunst zu den elitären Formen des fürstlichen Sammelns. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts entwickelten sich einzelne Moden, so dass Werke der Steinschneide oder Elfenbeinkunst und der Juwelenplastik wie auch Galanteriearbeiten ihre eigene Zeit und Konjunktur besaßen.
Die Tradition der Kunstkammer und die Quellen der Inspiration
Vor der Einrichtung des Grünen Gewölbes gab es nördlich der Alpen nur eine Form der musealisierten Sammlung, in der neben Werken der Schatzkunst auch seltene und Neugier erweckende Hervorbringungen der Natur, technische Novitäten – Handwerkszeuge ebenso wie wissenschaftliche Instrumente, komplizierte Uhren und sich selbst bewegende Automaten – in einer der höfischen Öffentlichkeit zugänglichen Form präsentiert wurden. Dies war die Kunstkammer. Zur Zeit Augusts des Starken befand sich im Dresdner Residenzschloss eine der ältesten Sammlungen dieser Art, die weit über die Grenzen Sachsens hinaus berühmt war. Um 1560 von Kurfürst August als technologische Wunderkammer gegründet, enthielt sie zunächst fast ausschließlich formvollendete Werkzeuge und Instrumente. Zeugnisse künstlerischer Virtuosität (›artificialia‹) und Wunder der Natur (›naturalia‹) waren in ihr zunächst kaum vertreten. Zwischen 1586 und 1591 begann Christian I. damit, die Kunstkammer seines Vaters den nunmehr gültigen Maßstäben anzupassen. Nach 1600 stieg die Sammlung der sächsischen Kurfürsten schließlich zu einer der prächtigsten im Reich auf. Noch fast hundert Jahre später zog ihr Ruhm den Europa bereisenden russischen Zaren Peter I. in ihren Bann. Im Juni 1698 konnte er es nicht erwarten, sie zu sehen und verbrachte die erste Nacht nach seiner Ankunft in Dresden in den Räumen der Kunstkammer. Peter I. sollte noch mehrfach dorthin zurückkehren und schließlich nach dem Dresdner Modell in seiner neuen Residenz St. Petersburg eine eigene »Kunstkamera« begründen.
August der Starke hatte bereits mehr als ein Jahrzehnt vor Peter I. Europa bereist. Seine zwischen 1687 und 1689 in Versailles, Madrid, Lissabon, Turin, Genua, Florenz und Wien gewonnenen Eindrücke prägten ihn als Sammler, Bauherrn und Herrscher. Den stärksten Eindruck hinterließ dabei der Hof des französischen Königs.7 So bezog sich August der Starke noch drei Jahrzehnte nach seiner Kavalierstour bei der Neueinrichtung des Dresdner Schlosses auf die in den Grand Appartements von Versailles – am Hofe eines »Princes très magnifique, de très bon goût« – gesehenen Silbermöbel, um seine eigene Vorstellung von derartigen Prunkmöbeln zu begründen.8 In Versailles lernte der junge Herzog durch Louis XIV. nicht nur die majestätische Verwendung von Juwelenschmuck kennen, er sah dort auch die effektvolle Aufstellung fürstlicher Schatzkunstsammlungen. Und dies gleich in differenzierter Form. In mehreren, nur für eine genau definierte Besucherschicht zugänglichen Räumen dienten dort prachtvolle Edelsteingefäße der Darstellung der Majestät.9 Auf Bronzekonsolen vor fast völlig verspiegelten Wänden konnte ihre Farbenpracht und ihr virtuoser Formenreichtum in der Widerspiegelung von allen Seiten betrachtet werden. Louis XIV. und sein Sohn, der Dauphin, waren ausgesprochen ambitionierte Sammler von ›gemmes‹, jenen in Gold und Email gefassten Steinschnitten. Der König liebte insbesondere farbige Steinschnitte, von denen er bereits eine erhebliche Anzahl geerbt hatte. Später erwarb Louis XIV. im europäischen und selbst im nahöstlichen Kunsthandel historische und zeitgenössische Hartsteingefäße von herausragender Qualität, die teilweise in Pariser Juwelierwerkstätten neue
Fassungen erhielten.10 Der größte Teil dieses Schatzes zierte auf vergoldeten Holzkonsolen in drei Ebenen übereinander, zusammen mit bedeutenden Gemälden, die Wände der reich ausgestatteten ›Petite Galerie du Roi‹. Die 1686 fertig gestellte Galerie gehörte zu den modernsten und prächtigsten Räumen, die August der Starke damals in Versailles sehen konnte.11 Der Eindruck auf den sächsischen Besucher war so stark, dass er noch vierzig Jahre später im Pretiosensaal des Grünen Gewölbes seinen Reflex fand. Schließlich bildete das weitaus intimere und allein auf die Bedürfnisse des königlichen Sammlers ausgerichtete ›Cabinet des Médailles et Bijoux‹, das ähnlich dem deutschen Begriff der ›Kunst und Wunderkammer‹ auch als ›Cabinet des Curiosités‹ oder ›Cabinet des Raretés‹ bezeichnet wurde, eine Brücke zwischen der modernen Ausstellungsform auf Konsolen vor verspiegelten Wänden und einer traditionellen Aufbewahrung in Schränken oder offenen Regalen.12 Die in ihrer Zeit sehr einflussreichen Raumausstattungen der Appartements Louis’ XIV. sind heute nicht mehr vorhanden und lassen sich nur noch durch Archivalien rekonstruieren.
Auch die beiden anderen fürstlichen Schatzkammern, die Einfluss auf die Gestaltung und vor allem die Funktion des späteren Grünen Gewölbes nahmen, sind heute architektonisch nicht mehr vorhanden. Es war zum einen die Tribuna der Uffizien in Florenz. Dieses Herzstück der großherzoglichen Kunstsammlungen der Medici diente – im Gegensatz zur offiziellen Privatheit der königlichen Sammlungsräume von Versailles – der offensiven Selbstdarstellung von Glanz, Reichtum und Machtfülle des Hauses. Sie besaß eine wohl kalkulierte, internationale Bekanntheit. Der junge Herzog aus Sachsen besuchte die »raritaetengallerie« von Florenz im März 1689. Damals bestand die oktogonale Tribuna noch weitgehend in ihrer ursprünglichen Präsentationsform und Objektzusammenstellung des späten 16. Jahrhunderts, die erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufgelöst wurde. Der achteckige Raum wurde von einer perlmuttrig glänzenden Kuppel überfangen. Die mit rotem Samt bespannten Wände umzog ein Ausstellungsbord, auf dem dicht gedrängt Edelsteinschalen und Bronzestatuetten standen. Weitere Schätze befanden sich in zwei verborgenen Wandschränken. Der Fußboden aber war aus kostbarem rotem und grünem Porphyr. Die Ausstellungspracht des Manierismus mag dem sächsischen Fürstensohn nicht gerade modern erschienen sein. Die überwältigende Fülle und betörende Pracht der Edelstein und Bergkristallschalen in ihren goldenen Fassungen, ihre Einbeziehung in die symbolträchtige Raumfolie und ihre Verbindung mit den Bronzestatuetten und Gemälden Raffaels, Andrea del Sartos und Fra Bartolomeos aber bot eine außergewöhnlich reizvolle Inszenierung.13
Die dritte Sammlung, die August den Starken schon als Jüngling beeindruckte und mit der jede fürstliche Schatzkammer in Europa sich messen musste, war die Schatzkammergalerie des Habsburger Kaiserhauses in Wien. Der Zugang zum Schatz des höchsten europäischen Adelshauses wurde noch restriktiver gehandhabt als in Versailles. Die weltliche Schatzkammer der ›Casa d’Austria‹ war zwischen 1640 und 1642 in einer langgestreckten Galerie in der Hofburg eingerichtet worden. Die strenge Inszenierung der dort vereinten unermesslichen Schätze entsprach dem habsburgischen Hofzeremoniell. Als Aufbewahrungsgehäuse dienten 13 hohe, von kaiserlichen Adlern bekrönte Schränke. Nach Materialgruppen systematisiert, begann die Abfolge
mit exotischen Materialien, führte über Elfenbeindrechseleien und schnitzereien zu Uhren und Automaten und entwickelte sich dann in ihrer materiellen Wertigkeit ins schier Überwältigende ansteigend bis hin zu den kostbar gefassten Edelsteingefäßen aus der Sammlung Rudolfs II. und den hoch geschätzten Bergkristallarbeiten, um schließlich im letzten Schrank mit dem fürstlichen Repräsentationsschmuck und den modernen Kroninsignien ihren Höhepunkt zu erreichen. Diese kaiserliche Schatzkammer, in der auf theatralisch beeindruckende Weise alte und moderne Schatzkunst zur Verherrlichung der höchsten fürstlichen Macht eingesetzt wurde, war für Reichsfürsten, unter denen der Kurfürst von Sachsen einen hohen Rang einnahm, trotz ihrer hermetischen Erscheinung, die größte Herausforderung.
Der sammelnde Souverän
Vier Jahre nach Abschluss seiner Europareise erbte Friedrich August I. im Jahre 1694 von seinem überraschend verstorbenen Bruder die Kurwürde. Unmittelbar danach begann August der Starke mit dem Ausbau einer seinem fürstlichen Rang entsprechenden Schatzkunstsammlung. Als er 1697 zum polnischlitauischen König August II. gewählt wurde, nahm diese Privatsammlung in relativ kurzer Zeit königliche Dimensionen an. Dabei ist nicht so sehr die Tatsache bemerkenswert, dass August der Starke eine solche Sammlung anlegte, erstaunlich sind vielmehr der Umfang und die Qualität des Sammlungsgutes. Der Sammler, der persönlich eine große Affinität zu materieller Schönheit und künstlerischer Virtuosität besaß, nutzte die elitäre Sammlungsform, um mit ihrer Pracht, Besonderheit und Vielfalt im fürstlichen Wettbewerb die Spitze zu erreichen. Auch wenn nur noch in wenigen historischen Sammlungen vereinzelte Zeugnisse der spätbarocken Schatzkunst vorhanden sind, so war eine solche Pretiosenoder Schatzkunstsammlung doch, wie Archivalien belegen, an fast allen Höfen Deutschlands und auch darüber hinaus anzutreffen.14 Zur höfischen Schatzkunst gehörten in jener Epoche Werke der Juwelierplastik aus Perlen und Edelsteinen, kostbar gefasste Statuetten aus Elfenbein und Edelhölzern, Prunkuhren und komplexe Kabinettstücke. Zugeordnet wurden ihr auch sogenannte ›Galanterien‹. Darunter verstand man Luxusartikel kleineren Formats: Zierschälchen, kleine Dosen, Riechfläschchen und Parfumflakons, Siegelhalter, Etuis und Schreibzeuge. All dies konnte in der Nahbetrachtung oder gar in der eigenen Hand sinnlich ›erfasst‹ werden.
Eines der ältesten datierbaren Werke der Pretiosensammlung Augusts des Starken ist ein fast 15 Zentimeter hohes Kabinettstück in Form einer miniaturhaften Schauwand, auf der auf Konsolen ein Teeservice präsentiert wird (Abb. 16). Das heute im Neuen Grünen Gewölbe ausgestellte Kabinettstück bekrönt ein Kurhut. Dies verweist eindeutig darauf, dass das kleine Kunstwerk zwischen 1694 und 1697 entstanden ist, denn danach übernahm die polnische Krone für August den Starken die Funktion des Herrschaftssymbols.15 Ungewöhnlich ist vor allem die Darstellung eines architektonischen Motivs. Eine wenige Jahre zuvor in Versailles kultivierte Präsentationsform zum Thema für ein Kabinettstück zu wählen, fast dreißig Jahre, bevor sie im Grünen Gewölbe weiterentwickelt wurde, zeugt von einer sehr langen geistigen
Abb. 15 Kabinettstück in Form einer Schauwand mit Teeservice Dresden 1694 – 1697 Silber, vergoldet, Email, Diamanten, Glasfluss H. 14 ,8 cm, B. 10,7 cm, T. (mit Füßen) ca. 5 cm Dresden, Grünes Gewölbe, Inv. Nr. VI 133
Abb. 16 Das ›Goldene Kaffeezeug‹ in seinem ursprünglichen Zustand Nach 1701, Federzeichnung in Braun, H. 33,2 cm, B. 36,1 cm
Abb. 17 Erste Seite des Verzeichnisses der im Januar 1706 nach Hamburg verpfändeten Pretiosen
Auseinandersetzung des Sammlers mit der bestmöglichen Aufstellung derartiger Schätze. Normalerweise erzählen die kleinformatigen Kabinettstücke eine Geschichte, was sich auch aus ihrer Gebrauchsfunktion als ›Recreation‹ und zum ›Divertissement‹ erklärt: Die einfallsreichen und zugleich die Phantasie anregenden Objekte dienten dem fürstlichen Besitzer, neben der persönlichen Freude, in Gegenwart von Gästen als Ausgangspunkt gebildeter Unterhaltung.
Zu den großen Leistungen des Kunstsammlers August des Starken gehört die über vier Jahrzehnte andauernde Bildung eines Pretiosenkabinetts. Dadurch schuf der KurfürstKönig an seinem Dresdner Hof Bedingungen, unter denen hervorragende Goldschmiede, darunter vor allem der Juwelenkünstler Johann Melchior Dinglinger, einzigartige Werke vollbringen konnten. Neben diesem Hofjuwelier, den seine beiden jüngeren Brüder, der Emailmaler Georg Friedrich und der Goldarbeiter Georg Christoph Dinglinger unterstützten, waren Goldschmiede wie Gottfried Döring und vor allem Johann Heinrich Köhler, aber auch die als Elfenbeinschnitzer wirkenden Bildhauer Paul Heermann und Balthasar Permoser in sächsischen Diensten tätig. In kurzer Zeit entwickelte sich Dresden zum Zentrum der Schatzkunst des europäischen Spätbarock.
Seit seiner Krönung diente die Schatzkammer August dem Starken dazu, seine politischen Erfolge erstrahlen zu lassen. Bei seiner Krönung in Krakau und bei seinem Einzug in die neue Residenzstadt Warschau präsentierte er sich nicht nur mit Juwelenschmuck aus Diamanten, Rubinen und Saphiren. Er ließ aus dem Grünen Gewölbe und seinem privaten Schatzkabinett auch beeindruckende Goldschmiedearbeiten und Bergkristallgefäße nach Polen bringen. Während des zeremoniellen Krönungsbanketts, aber auch in der Folgezeit sollten sie dort die Macht seiner Majestät bezeugen. Aus dem gleichen Grund forderte er Dinglinger auf, das kurz zuvor fertig gestellte ›Goldene Kaffeezeug‹ im beginnenden Winter des Jahres 1701 aus Dresden nach Warschau zu bringen (Abb. 16). Damals, in der ersten, für den KurfürstKönig sehr verlustreichen Phase des Nordischen Krieges gegen Schweden, wollte er durch dieses sowohl in seiner Dimension als auch in seiner Pracht verschwenderische Kabinettstück den polnischen Adel für sich gewinnen. Dieses erste große Meisterwerk Dinglingers und der ihm zeitlich unmittelbar bis 1709 folgende ›Thron des Großmoguls‹ (Abb. 14) erhoben die Pretiosensammlung des KurfürstKönigs unbestreitbar in den führenden Rang vergleichbarer Sammlungen seiner Zeit. Das gleiche Ziel hatte auch die Berufung eines hochbezahlten Hofbeamten, des Geheimen Rats Georg Freiherr von Rechenberg, zum autorisierten Kunsteinkäufer im Jahr 1701. Er sollte für den zumeist in Polen weilenden Sammler die Leipziger Messe, damals der größte Handelsplatz Deutschlands, nach geeigneten Objekten durchforsten. Mit Rechenbergs Hilfe entstand in kurzer Zeit eine Schatzkunstsammlung, die zumindest in Teilen durch eine 1706 entstandene Auflistung überliefert ist (Abb. 17).16 Genannt sind dort 102 Kabinettstücke, Kleinodien und Pretiosen, darunter das ›Goldene Kaffeezeug‹, das ›Bad der Diana‹, 34 Perlfiguren und zahlreiche ererbte Schmuckstücke. Sie wurden wegen des Nordischen Krieges zwischen 1706 und 1714 nach Hamburg verpfändet.
Die Vorgänger des Grünen Gewölbes im Residenzschloss
Vor der Verpfändung hatten diese Sammlungsobjekte ihren Platz im »praetiose Kabinett« des KurfürstKönigs gehabt. Dort hatte sie ihr Besitzer bei einem seiner kurzen Aufenthalte in Dresden im November 1704 »in einen express dazu Verferttigten Schranck mit eigener Hoher Handt rangiret«.17 Es war ein persönlicher Sammlungsraum, der zum Wohnbereich des Herrschers gehörte und dessen Schlüssel er immer bei sich trug. Wie der verantwortliche Geheime Kämmerer berichtete, sei August der Starke »bißweilen gantz alleine, auch zum öffteren mit Damens und Cavalliers hinein gegangen, ihre Praetiosa besehen, unter weilen verändert und einige anders fassen«.18
Der Ankauf des ›Thron des Großmoguls‹ im Februar 1709 bereitete erstmals Raumprobleme, denn für ein kleines Kabinett war der auf einem besonderen Tisch präsentierte, 142 Zentimeter breite und 114 Zentimeter tiefe Bühnenraum einfach zu groß. Der ankaufsbedingte Platzmangel rückte die traditionelle Schatzkammer der sächsischen Kurfürsten, die gegen 1586 durch Christian I. als ›Geheime Verwahrung‹ in der Raumfolge des Grünen Gewölbes eingerichtet worden war, wieder in das Zentrum des Interesses. Ganz sicher war die Aufstellung des ›Thron des Großmoguls‹ im Grünen Gewölbe zunächst nur eine Verlegenheitslösung.
Nachdem aber im Oktober 1714 die verpfändeten Pretiosen wieder ausgelöst waren und damit ein weiteres großes Werk, das ›Goldene Kaffeezeug‹, seinen Raum suchte, musste für die inzwischen noch erheblich vergrößerte Privatsammlung des Herrschers ein adäquater Ort gefunden werden. Dieser sollte schon aus praktischen Gründen an die Wohnräume des KurfürstKönigs im ersten Geschoss des Residenzschlosses grenzen. Im Südflügel, dem heutigen Zwischenflügel Nord, lagen die königlichen Wohnräume, in denen das Hofzeremoniell galt. Dessen südlichster Saal diente als Paradeschlafzimmer. Daran schloss sich im ersten großen Saal des Westflügels, der heute den ›Saal der Kunststücke‹ des Neuen Grünen Gewölbes aufnimmt, der private Wohnbereich des KurfürstKönigs an (Abb. 18). Um 1714 bezeichnete man diesen Raum als ›Gallerie‹ und vermerkte auf dem Geschossplan, es sei der Raum, in dem der KurfürstKönig privat zu speisen pflegte. Der Saal besaß auch einen Alkoven, also eine gewölbte Bettnische, die August der Starke wohl zu dieser Zeit als eigentliches Schlafgemach nutzte. An der Zwingerseite, an der sich heute die Sophienstraße befindet, konnte August der Starke von seinem Speise und Schlafraum in das kleine ›cabinet de retirade‹ gelangen, das wohl seinen persönlichen Schreibtisch enthielt.
Der folgende, gut 45 Quadratmeter große Raum, der heute als ›KristallKabinett‹ des Neuen Grünen Gewölbes dient, wurde 1716 zum ›cabinet de glasse pour les joyaux du Roy‹ umgestaltet. Baron Leplat hatte 1715 in Paris nicht nur eine große Anzahl französischer Bronzen, bedeutende Gemälde und Porzellane erworben, sondern auch die Ausstattung für ein ganzes Spiegelkabinett. Nachdem die französische Spiegelverkleidung an den Wänden und an der Decke angebracht worden war, ließ August der Starke in diesem Sammlungsraum seinen umfangreichen und sehr kostbaren Juwelenschmuck in eine kleinere Vitrine hineinlegen. Die vor den Spiegeln angebrachten Konsolen mit
vergoldeter Bronze boten Platz für die Aufstellung von Bergkristallen oder anderen Steinschnittarbeiten.19
Doch für die umfangreichen Bestände der Schatzkunstsammlung reichte das Juwelenkabinett nicht aus. Dafür bestimmte August der Starke bereits um 1715 einen weiteren Raum des gleichen Geschosses, das marmorne Gemach der ›Frau Mutter‹, das zur selten benutzten Wohnsuite der Kurfürstenwitwe Anna Sophia gehörte. Dort ließ er »Praetiosa und Christall Geschirre« auf neu geschaffenen Tischen aufstellen. Der in diesem »Praetieusen: Cabinet« vorhandene Objektbestand lässt sich durch die Schadensregulierung eines Bauunfalls, der sich in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1716 ereignete, recht gut rekonstruieren. Damals nahmen viele Objekte Schaden, den die Hofjuweliere beheben mussten. Die meisten der in diesem Zusammenhang reparierten Werke der Schatzkunst befinden sich noch heute im Bestand des Grünen Gewölbes.20
Es ist typisch für das Sammelverhalten Augusts des Starken, dass Veränderungen in der Präsentation seiner Schatzkunstsammlung immer auch mit umfangreichen Ankäufen einhergingen. So erwarb er 1715, als erstmals eine Raumfolge für diese Kostbarkeiten zur Verfügung stand, von Dinglinger gleich drei prächtige Kabinettstücke, darunter für 9.000 Taler das ›Kinderbacchanal‹, das in der Rechnung als »Schale mit dem Ziegen Bock« bezeichnet wird. Gleichzeitig wurden auf der Leipziger Messe Werke anderer Juwelenkünstler erworben und durch einen Agenten einige der letzten Werke des Steinschneiders Giovanni Battista Metellino, der schon für Louis XIV. gearbeitet hatte, aus Mailand nach Dresden gebracht.
Die Entscheidung für das Grüne Gewölbe
Um 1715 war das Dresdner Schloss über anderthalb Jahrzehnte ein Ort fürstlicher Bauvisionen. Nachdem ein großer Teil der Residenz im Frühjahr 1701 abgebrannt war, beschäftigte sich der die Baukunst liebende KurfürstKönig nur zu gern mit den Möglichkeiten eines vollständigen Neubaus. Aus finanziellen und schließlich auch aus tagespolitischen Gründen entschloss sich August der Starke im Frühjahr 1717 zum Erhalt des Äußeren, während das Innere modern ausgebaut wurde. Bevor im Februar 1718 zügig mit dem Bau begonnen wurde, notierte der fürstliche Bauherr eigenhändig Nutzungskonzeptionen. Darunter findet sich ein Grundriss des bereits für die Pretiosensammlung genutzten ersten Obergeschosses, der skizzenhaft die Überlegungen des KurfürstKönigs festhält, dort im großen Umfang eine Mischung aus Pretiosensammlung und Kunstkammer einzurichten.21
In jenen Jahren war die Entwicklung der Sammlungen in Dresden in schnellem Fluss. Kurz nach 1720 bildeten sich viele der heute bestehenden Sammlungen heraus, die Gemäldegalerie ebenso wie das Kupfer
Abb. 18 Plan zum 1. OG des Westflügels vom Dresdner Schloss mit Eintragungen zur Raumausstattung, Dresden, um 1718
Abb. 19 Ansicht des Turmzimmers mit dem Silberbuffet
Wohl Zacharias Longuelune
Bleistift, Pinsel, Deckfarben, H. 30,2 cm, B. 46,7 cm Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 6754
stichKabinett, die Porzellansammlung, die Skulpturensammlung oder der MathematischPhysikalische Salon. Der aktuelle Auslöser für die Wiederherstellung eines repräsentativen Residenzschlosses war die im August 1719 vollzogene Vermählung des Kurprinzen Friedrich August mit der Erzherzogin Maria Josepha von Österreich. In zweifacher Hinsicht betraf dieses Europa faszinierende Fest auch die künftige Entwicklung des Grünen Gewölbes. Zum einen ließ August der Starke in einem Raum der neu entstandenen Paradesuite, dem Turmzimmer, ein von gestalterischem Reichtum überquellendes Silberbuffet einrichten (Abb. 19). Dort fand auf Konsolen vor farbig gefassten Holzwänden – wenn auch nur für wenige Jahre – der große Bestand an Edelmetallgefäßen eine ausgesprochen öffentlichkeitswirksame Aufstellung.22 Zum anderen wurde für die mehrwöchige Hochzeitsfeier mit großem finanziellem Aufwand der Juwelenschmuck modernisiert und erheblich erweitert. Am Ende
Abb. 20 Entwurfszeichnung für einen Juwelenschrank, um 1719 Originalzeichnung 1945 im Grünen Gewölbe verbrannt
Abb. 21 Grundriss des Residenzschlosses in der Mitte des 18. Jahrhunderts
des Jubeljahres 1719 arrangierte der König diesen Teil seines Schatzes persönlich in einem neu geschaffenen Juwelenschrank im künftigen Pretiosensaal des Grünen Gewölbes (Abb. 20). Nachdem das Schloss wieder in seiner Gänze als Residenz genutzt wurde und zudem neben dem Monarchen die Familie seines Thronfolgers aufnehmen musste, erhielt die ›Geheime Verwahrung‹ im Grünen Gewölbe eine neue Funktion – und eine bisher nicht vorhandene Öffentlichkeit.23
Die zum Museum sich wandelnde Schatzkammer hat in den ersten Jahren einen ziemlich provisorischen Eindruck vermittelt, der kaum befriedigte. Wiederum war es dann ein Großeinkauf im Februar 1722 bei Johann Melchior Dinglinger, der die Richtung wies, in die sich das Grüne Gewölbe nun entwickeln sollte. Von Dinglinger ließ August der Starke in diesem Jahr den majestätischen ›Obeliscus Augustalis‹, das Kabinettstück mit dem Kaiserkameo und ein Paar Prunkschalen mit nach polnischer Art gesattelten Pferden erwerben, dazu 73 ungefasste Edelsteinschalen aus orientalischen Achaten, Karneolen und Granaten.24 Mit weiteren Kostbarkeiten waren es zusammen 120 »geschnittene Schalen und andere Curiosa«, farbenprächtiges Material für eine augenverwirrende Raumpräsentation, die heute wieder an zwei Wänden des Pretiosensaales ihren Platz gefunden haben.
Markierte das ›Goldene Kaffeezeug‹ 1701 den Beginn einer damals konkurrenzlosen Sammlung, so steht der ›Obeliscus Augustalis‹ 1722 für die Öffnung dieser sehr besonnen und einfühlsam um ererbte Objekte vergrößerten Schatzkunstsammlung gegenüber Besuchern. Im Juni 1723 begann der Ausbau der bisherigen Räume der ›Geheimen Verwahrung‹ – des Silbervergoldeten Zimmers und des Pretiosensaales mit dem EckKabinett – zum künftigen Schatzkammermuseum. Im Juni 1724 besichtigte Monsieur de Prohengue als einer der ersten Gäste die noch nicht vollständig eingerichteten Sammlungsräume. Der für das Grüne Gewölbe zuständige Geheime Kämmerer Starcke berichtete darüber in einem Brief an August den Starken: »[...] habe ich ihn in das Grüne Gewölbe geführet und so wohl alle Praetiosen und Cabinetstücke, alß auch besonders den gantzen Königl. Schmuck gezeiget, worüber er sehr vorwundert war, und zum öfftern sagte, daß er Zuvor viel schon darvon gehöret, sich aber doch nicht einbilden können daß alles so Subberbe, und in der allergrösten Magnificence undt Vollkommenheit wär, alß er es nun selbst sähe [...].«25 Der KurfürstKönig konnte zufrieden sein. Noch zufriedener würde es August den Starken gestimmt haben, wenn er das Urteil König Friedrich Wilhelms I. gelesen hätte, nachdem dieser am 13. März 1728 im neuen Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes den Juwelenschmuck seines sächsischen Rivalen gesehen hatte. Der König von Preußen schrieb an seinen Freund, den Fürsten Leopold zu AnhaltDessau, lakonisch in der ihm eigentümlichen Diktion: »[...] was das grüne gewelbe ist cella ebl(o) ist meine(n) vatter seine Juvehlen ist nits dagegen [...].«26
Der Wandel von der öffentlichen Schatzkammer zum Museum: 1732 – 1942
Das Grüne Gewölbe hatte seine Bewährungsprobe bestanden. August der Starke hatte es eingerichtet als politisches Werkzeug, als Zurschaustellung verschwenderischen Reichtums und als sichere Ver
wahrung der Familienschätze. Im Dezember 1732 stellte er neben den beiden bereits vorhandenen Geheimen Kämmerern zwei weitere Verwaltungsbeamte an, welche die Aufgabe hatten, die nun heranströmenden Schaulustigen von Stand in kleinen Gruppen durch die unvorstellbar prächtige Sammlung zu führen. In den Instruktionen der Bestallungsurkunde legte August der Starke fest, wie er sich die Besichtigung vorstellte: »Und ob Wir zwar wohl geschehen laßen können, daß denen frembden so wohl als einheimischen die in offtgemeldten grünen Gewölbe befindlichen Jubelen und Kostbarkeiten gezeiget werden; So ist doch ein guter Unterscheid zu machen, daß nicht alle und jede und auch deren niemahls zuviel auf einmahl hinein geführet werden. Damit nun die Inspectores wißen mögen, wie sie sich diesfalls zu verhalten, so haben sie so offt jemand selbige zu sehen verlanget, solches bey Unsern OberCammerherrn oder da dieser nicht gegenwärtig bey dem Cämmerer, in Fall aber da beyde abwesend, bey dem Oberhoffmarschall, wenn auch dieser nicht zu gegen bey hiesigen Gouverneur zu melden und diesfalls Bescheid zu gewarten, und außerdem niemand, der nicht Unsers oder Unsers Ober Cammerherrn und Cämmerers wegen dahin geschickt, oder in seiner aufhabenden Verrichtung bey ihnen allda zu thun, das Ein und Ausgehen zu verstatten.«27 Drei Monate später verstarb der Sammlungsgründer in seiner polnischen Residenzstadt Warschau.
Auch für diesen Moment war das Grüne Gewölbe geschaffen worden. Es sollte seinem einzigen ehelichen Sohn und Nachfolger in der Würde des sächsischen Kurfürsten die besten Chancen ermöglichen, ihm als gewählter König von Polen und Großherzog von Litauen im Amte zu folgen. August III., der sich vor allem für Gemälde und die graphischen Künste interessierte, profitierte am längsten von der Wirkungskraft des wohl geordneten und reich gefüllten Schatzkammermuseums. Wenn er auch nicht so sehr von der kleinteiligen Schönheit der Schatzkunst fasziniert war, so vervollständigte er doch die Sammlung durch bedeutende Ankäufe aus dem Nachlass des 1731 verstorbenen Hofjuweliers Johann Melchior Dinglinger. Auch andere Werke kamen in den nächsten Jahren in die Sammlung. Vor allem aber bereicherte August III. den Juwelenschatz, unter anderem durch den Ankauf des großen ›Grünen Diamanten‹, dessen alleiniger Wert denjenigen aller Arbeiten Dinglingers zusammen übertraf (Abb. 22). Das große Verdienst Augusts III. war die Bewahrung der Schätze. Einen wichtigen Beitrag dazu leisteten die detaillierten Inventare, in denen er mit Ausnahme des Elfenbeinzimmers alle Räume einzeln und nach topographischen Gesichtspunkten aufzeichnen ließ. Sie dienten als Leitfaden für die Neueinrichtung des Grünen Gewölbes.
Die Gefahren, denen das Schatzkammermuseum im 18. Jahrhundert ausgesetzt war, scheinen erstmals im Sommer 1744 mit dem Beginn des Zweiten Schlesischen Krieges auf. Damals wurde die größte Kostbarkeit der Sammlung, der Juwelenschmuck, erstmals für eine kriegsbedingte Evakuierung verpackt, um sie vor einrückenden Truppen auf die Landesfestung Königstein in Sicherheit zu bringen. Am 29. August 1756 war der Ernstfall eingetreten. In den ersten Tagen des Siebenjährigen Krieges begannen preußische Truppen mit der Besetzung Sachsens. Als sie am 9. September kampflos in Dresden einmarschierten, waren die Vitrinen des Juwelenzimmers bereits von den kostbarsten Teilen beräumt und längst in Polen. Damit war das
Abb. 22 Hutagraffe mit dem ›Dresdner Grünen‹ aus der Brillantgarnitur Franz Michael Diespach, Dresden/Prag 1796, unter Verwendung von Teilen von Jean Jacques Pallard, Wien 1746 Brillanten, Silber, Gold, H. 14,1 cm, B. 5 cm Dresden, Grünes Gewölbe, Inv. Nr. VIII 30
in den Kellern des Schlosses vor weiteren Kriegsgefahren geschützt.28 Nicht zu früh, denn im Sommer 1760 kam es zu einer preußischen Belagerung mit schwerem Beschuss, dem weite Teile des barocken Dresden zum Opfer fielen. Bereits Anfang 1758 waren eine Kiste mit Geschirr aus purem Gold und 62 Kisten mit Arbeiten aus vergoldetem Silber und unvergoldetem Weißsilber auf Weisung der Königin Maria Josepha aus dem Grünen Gewölbe nach Amsterdam verpfändet worden.29 Es war der Gesamtbestand des Weißsilber und des Silbervergoldeten Zimmers, insgesamt 37 Kilogramm Goldgeschirr und 3.235 Kilogramm Silber. Nur weniges kehrte letztlich in die Schatzkammer zurück. Bis auf drei Silberskulpturen wurde das unvergoldete Silber 1772 in der Dresdner Münze eingeschmolzen und zu Talern verarbeitet.30 So verschwand die Ausstattung des Weißsilberzimmers und auch vom Silbervergoldeten Zimmer haben sich nur knapp ein Drittel der ursprünglichen Bestände erhalten. Die damaligen Verluste sind auch heute noch sichtbar. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts blieb dies aber der größte Bestandsverlust und zudem der einzige, der sich nicht mehr ausgleichen ließ.
Das nächste einschneidende Ereignis vollzog sich 1831/32. Damals wurde das Grüne Gewölbe per Gesetz zum unveräußerlichen Besitz der Krone erklärt und erhielt einen Zuwachs von etwa fünfhundert Objekten aus der zu diesem Zeitpunkt aufgelösten Kunstkammer. Nach 270 Jahren war diese traditionsreiche und älteste Sammlungsinstitution in Dresden auf Beschluss des Landtages aufgegeben worden. Dem Grünen Gewölbe hätte in den vorausgegangenen Jahrzehnten durchaus das Gleiche drohen können. Der dramatisch verlorene Napoleonische Krieg hatte seine Bestände mehrmals auf die Feste Königstein verbannt, ein schwerer Diebstahl hatte in dessen Folge 1817 die Reputation der Sammlung erschüttert, vor allem aber war die Epoche der den ›Fürstentand‹ verabscheuenden Aufklärung und des geschmacklich nicht sehr toleranten Klassizismus für fast alle europäischen Schatzkunstsammlungen des Barock fatal. Sie wurden aufgelöst, verkauft, eingeschmolzen. Die fast ein Sechstel des ursprünglichen Bestandes ausmachenden Zuwächse durch die Kunstkammer konnten Lücken auf den Konsolen schließen, passten aber nur unzureichend in das barocke Erscheinungsbild.
Grüne Gewölbe in der von August dem Starken geschaffenen und von August III. bewahrten Fassung Vergangenheit. Im September 1759 musste die preußische Besatzung Dresden an ihre kaiserlichen Feinde übergeben. Unmittelbar darauf wurden die Werke der Schatzkunst verpackt. Der kostbarste noch vorhandene Bestand wurde auf die Feste Königstein gebracht, die anderen Teile
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich auch die Besichtigungsformen der Schatzkammer. Aufgrund ihrer wachsenden Beliebtheit wurde auf die Tradition der exklusiven und durchaus kostspieligen Führungen in kleinen Gruppen verzichtet und der freie Rundgang der Besucher ermöglicht. Dazu mussten aber die Schauwände mit den frei darauf stehenden Objekten durch hohe und engmaschige Gitter geschützt werden. Dieser ästhetisch fragwürdige Eingriff änderte nichts an der wachsenden Beliebtheit. Mit der Epoche des Historismus standen die verspielten Pretiosen wieder im Mittelpunkt der kunstinteressierten Besucherschichten. Ungefähr zur gleichen Zeit, gegen 1860, wurde der in die Jahre gekommene Zustand der Räume zum Problem. Ungeheizt und nur unzureichend beleuchtet, waren die Schätze nur im Sommer gut zu besehen. Im Herbst und Winter bewegten sich die Besucher durch kühle, halbdunkle Räume. Diese nahmen nun auch erkennbar Schaden.
Als der Westflügel des Dresdner Residenzschlosses zwischen 1890 und 1892 seine neue Fassade bekam, erfolgten auch im Grünen Ge