Bayerische Staatsgemäldesammlungen Neue Pinakothek Katalog der Skulpturen – Band II: Adolf von Hildebrand
Bayerische Staatsgemäldesammlungen Neue Pinakothek Fabian Pius Huber
Katalog der Skulpturen Band II Adolf von Hildebrand
Gefördert durch die Ernst von Siemens Kunststiftung
Inhalt
Adolf von Hildebrand Werk und Mensch in seiner Zeit
Katalog der Skulpturen
Anstelle eines Vorworts
I.
Bernhard Maaz
6
Der Ateliernachlass Adolf von Hildebrands in der Neuen Pinakothek 14
Joachim Kaak
Der Werkprozess bei Adolf von Hildebrand 18 Franziska Kolba
Vollendete Werke
Farbtafeln II.1
Anhang Literaturverzeichnis
24
Index nach Inventarnummern
44
Idealplastik
Bildnachweis | Impressum
II.3 Bildnisse 85
Bauplastische Aufgaben
II.4.1 Architektur 155 II.4.2 Brunnen 169 II.4.3 Denkmäler 196 II.4.4 Grabmäler 211
Entwürfe und Werkstattarbeiten
232
Register der dargestellten Personen
64
II.2 Reliefs 75
II.4.
228
II.5 Sonstige
222
237 238
Adolf von Hildebrand Werk und Mensch in seiner Zeit Anstelle eines Vorworts
7
6 Bernhard Maaz
Haltung und Gelassenheit geprägten Bildnisbüsten.
tionen und Zitaten freizuhalten vermochte und sein
Es waren sowohl menschliche als auch künstleri-
humanistisch-lauteres Menschenbild ganz aus sei-
sche Quellen, aus denen diese Kunst erwuchs, die in
ner Welt- und Kunstanschauung heraus entwickelte.
höchstem Maß humanistische Traditionen vertritt.
In seinem Umfeld wurden zur gleichen Zeit unter-
Der Künstler konnte sich eine exklusive Lebensart
schiedlichste Stile gepflegt, deren Spektrum von ei-
Persönlichkeit
Hildebrand hielt sich 1867/69 in Rom auf und lebte
leisten und sich sogar mit Werken – oder Abgüs-
nem stark realistisch, zuweilen gar naturalistisch
Mit einer prägnanten Charakterisierung des Lebens-
ab 1872 zwei Jahrzehnte in Florenz. Diese Ortswahl
sen nach solchen – der Renaissance umgeben. Die
geprägten Duktus über einen bürgerlich-verhalte-
werkes von Adolf von Hildebrand kann trotz großer
beruhte zweifellos in weitaus größtem Maße darauf,
mit Hildebrand befreundete Dichterin Isolde Kurz
nen und häufig eklektizistischen Spätklassizismus
Vereinfachung eine Kontextualisierung von großer
dass er dort seine idealen künstlerischen Vorbil-
beschreibt es anschaulich und zeigt damit auf, aus
bis zum üppigsten Neubarock, später auch zu Ein-
Reichweite und Signifikanz einhergehen: »Hilde-
der fand, die Werke der italienischen Renaissance,
welchem geistigen Vorrat der Bildhauer schöpfte.
flüssen des Jugendstils oder des Impressionismus
brand war bedeutender als Böcklin und Feuer-
vorzugsweise der Frührenaissance. Doch schon in
»Freilich, ein Haus gab es in Florenz, das geistigste
reicht.10 Dass deren Vertreter einander nicht im-
bach und glücklicher im Vollenden als sein Freund
den ersten drei Tagen seines ersten Aufenthalts in
von allen, das Hildebrandsche, das mir immer gast-
mer wohlwollend zugetan waren und sich zuweilen
Marées.«1 Durchaus bemerkenswert ist hieran, dass
der Stadt am Arno konstatierte er: »Der David von
lich offenstand und das mir […] gerade in der bild-
offen bekämpften, liegt auf der Hand: Richtungs-
der Bildhauer mit zeitgenössischen Malern vergli-
Michelangelo ist mir eine der liebsten Sachen in
samsten Zeit viel zu meinem Reifen gab. Auf dem
kämpfe gehören seit jeher zur Kunst, namentlich
chen wird. Allerdings hat auch er gelegentlich zum
Florenz. […] Es liegt eine kolossale Macht in dem
glückseligen Sitz unterhalb Bellosguardo, der ganz
wenn besonders moderne, individuelle oder radi-
Pinsel gegriffen. Hildebrand verdanke dem Neuhu-
Kerl[,] und diese einfache Schönheit in dem jungen
mit Werken edelster Kunst, mit Ver[r]oc[c]hios und
kale Positionen erkennbar werden.
manismus seiner Zeit »Entscheidendes, ohne doch
Leibe ist was hinreißendes.«5 Aber seine Aufmerk-
Donatellos und mit des Künstlers eigenen in Plas-
Eines der bedeutendsten Werke Hildebrands und
der Gefahr des Literarischen zu erliegen«. Auch
samkeit galt auch den Werken Donatellos und der
tik und Malerei gefüllt war, in einer Weise gefüllt,
innerhalb des Œuvres eine der bahnbrechendsten
zur Welt des Geschriebenen bieten sich also verglei-
Architektur. Im Vergleich mit gotischen Dombauten
die nichts Museumsartiges an sich hatte, sondern
Schöpfungen ist der Stehende junge Mann (Abb. S. 8),
chende Blicke an; und in der Tat gehörten Dichter
stellte er fest: »Eine Renaissance[-] Kirche ist weit
diese Gebilde gleichsam in das Leben einbezog –
der von 1881 bis 1884 entstand. Die Statue eines
und Dichterinnen wie etwa Isolde Kurz zu seinem
mehr die Residenz Gottes. Es liegt eine Freudig-
in diesem Haus der Freude, inmitten einer immer
Adam war vorangegangen, hier aber wurde das
Freundeskreis, darüber hinaus Naturwissenschaft-
keit darin, eine lebensfrische Fülle, eine gesunde
schenkenden Natur«,9 habe sie ihn vielfach und im-
formale Problem der ruhig stehenden Einzelfigur
2
6
ler wie Hermann von Helmholtz oder Musiker wie
Weltanschauung.« Und eben die Suche nach einer
mer dankbar besucht. Selten spürt man noch nach
noch vertieft. Die Gestalt spricht für sich, wird durch
Hans von Bülow oder Clara Schumann.
derartigen lichten und leichten Lebensführung – die
einem langen Jahrhundert, wie harmonisch Kunst
keinerlei biblische, mythologische oder literarische
Der Bildhauer Hildebrand entwarf aber auch Ar-
mit Oberflächlichkeit rein gar nichts zu tun hat –
und Leben ineinander verwoben waren und wie die
Betitelung aufgeladen und verfügt über keine Attri-
chitekturen wie Mausoleen oder Brunnenhäuser,
und die Verwirklichung dieses Leit- und Lebens-
Kunst aus einer menschlichen Haltung entsprang,
bute: Die somit erzeugte absolute Autonomie der
einen Bismarck-Turm über dem Starnberger See,
bildes gelangen Hildebrand dem Urteil seiner Zeit-
aus einem gelebten Humanismus.
Figur zielt darauf, dass die Betrachter das männli-
ein Marées-Museum, ja, er scheute sich nicht, über
genossen zufolge vorzüglich: »Ich habe nie einen
einen Erweiterungsbau für die Pinakotheken oder
Menschen gesehn, der die menschlichen Verhält-
Werk
ein »Sein an sich« erleben sollen und können, als ge-
auch über einen Neubau des Deutschen Museums
nisse so allseitig und so rein und kräftig durchlebte.
Sieht man von zahllosen Briefen und Zeichnungen
radezu philosophisch purifiziert und geläutert. Die
nachzudenken – welch ein Universalismus. Schon
Kunst und Bildung, Gesundheit und Herzensgüte
ab, so ist man mit einem Lebenswerk konfrontiert,
Wahrnehmung der Figur durch die Betrachter zielt
während seines ersten Italienaufenthaltes notierte
sind gleichmäßig entwickelt, und wenn man vor
das einer enormen Produktivität entsprungen ist und
auf ein empathisches Sehen, ein Einfühlen, auf die
der Künstler am 5. Januar 1867 in seinem Brief-
diesem Bild der Vollkommenheit zuerst wohl nicht
rund 45 Vollplastiken, etwa 25 figürliche Reliefs, über
Reinheit des Ausdrucks. Hildebrand hatte seinem
tagebuch: »Ich sehe recht ein, daß nur ein Maler
ganz ohne Schmerzen sich bückt, so überwiegt doch
170 Bildnisbüsten und um die 80 Porträtreliefs, 32
Förderer und Freund, dem wohlhabenden Mäzen
oder Bildhauer Architekt sein kann. Es ist ja gleich,
schließlich die Freude, daß ein solches Phänomen in
Grabmäler und halb so viele Brunnen umfasst, ferner
und intellektuellen Wegbegleiter Konrad Fiedler,
3
7
che – zugleich auch das menschliche – Da-Sein als
ob ich einen Kopf oder ein Gebäude aufbaue. Der
der Welt überhaupt existiert.« Für das Verständnis
die schon erwähnten Entwürfe für Bauten sowie Ma-
am 23. Juni 1881 geschrieben, was ihm mit seinem
4
Sinn für große Wirkung[,] für Linien muß da sein.«
des künstlerischen Werkes, des Wollens und Wir-
lerei. All diese Schöpfungen seines Geistes und seiner
Werk vorschwebte: »Wenn man von Michelangelo
Dieser Weitblick, diese Einsicht, dieser Blick für das
kens ist auch bedeutsam, was einer der frühesten
Hand sind einer formal und ethisch strengen Auffas-
sagen kann, daß die Seele seiner Figuren das Be-
Große und Ganze, all das zeigte der junge Künstler,
Autoren, die sich seinem Werk in einem eingehen-
sung verpflichtet, die man als Neo- oder Neuklas-
wußtsein des Körperlichen, jeder Muskelbewegung
der am 6. Oktober 1847 im hessischen Marburg
deren Aufsatz widmeten, schrieb: Hildebrand teile
sizismus bezeichnen kann. Trotz aller Bezüge zur
etc. ist […], so möchte ich in der Arbeit das Gegen-
geboren wurde: Sein 20. Geburtstag lag noch vor
keine biografischen Details mit, da er wolle, »daß
Renaissance wäre der Begriff einer Neorenaissance
theil davon, die gänzliche Bewußtlosigkeit seiner
8
ihm, ein Aufenthalt bei dem Münchener Bildhauer
seine Werke von ihm zeugen«. Und eben das tun
eher unzutreffend, zumal gerade die Architektur der
Körperexistenz.«11 Dieser Ansatz lässt sich nicht
Kaspar von Zumbusch lag hinter ihm, als er diesen
sie, die von der Treue zu seinen Überzeugungen ge-
Neorenaissance sehr stark mit formalen Anleihen ar-
auf eine verklärte Sehnsucht nach der heilen Welt
Anspruch formulierte.
tragenen Figuren ebenso wie die von Individualität,
beitete, während sich Hildebrand von bloßen Adap-
Arkadiens reduzieren, sondern er verweist auf den
9
8 Adolf von Hildebrand
Anspruch, dass die natürliche Körpersprache ihr
litts zu beraten hatte. Es heißt in dem (bislang nicht
Recht in der Bildhauerkunst zurückerhalten sollte.
ausgewerteten) Verhandlungsprotokoll: »Nachdem
Diese Figur eines reglos dastehenden nackten Man-
der Bildhauer Hildebrand vor 2 Jahren der Kommis-
nes wird sowohl in der Literatur zu Adolf von Hilde-
sion die Photographie eines von ihm entworfenen Mo-
brand als auch zur gesamten Skulptur des 19. Jahr-
dells (Gruppe: Faun mit einem trunkenen Jüngling)
hunderts immer wieder als ein Wendepunkt in der
zur eventl. Bestellung vorgelegt, hierauf aber bedeu-
Erneuerung und Befreiung der Bildhauerkunst von
tet worden war, dass derartige Bestellungen nach
Detail und Dekor, von Narration und Anekdote ver-
Photographien grundsätzlich nicht ertheilt werden
standen, ja, mehr noch, »as the perfect statement of
könnten, die Vorstellung eines fertigen Werkes jedoch
the arist’s goal, a modern counterpart of the ›Spear
ihm anheimgestellt werde, hat derselbe den Antrag
Bearer‹. And it is indeed the classic athlete, redone
auf Ankauf einer lebensgr. Marmorfigur ›stehender
12
Den Vergleich mit dem
Mann‹, welche sich in der Ausstellung befindet, an
antiken Speerträger suchte Hildebrand nicht, und
from nature, as it was.«
den Herrn Minister gerichtet.«15 Dieses Verfahren
die von dem Berliner Galeristen Cornelius Gurlitt
einer Initiativbewerbung seitens des Künstlers war
vorgeschlagene Betitelung Allein lehnte er bezeich-
bekannt und üblich, wobei im Falle des Erfolgs nicht
13
nenderweise ab: Denn schon diese hätte eine Ten-
selten Protektion mitgespielt haben dürfte, während
denz gehabt, die von der puren Existenz, von der
im Falle Hildebrands das kommerzielle Interesse des
existenziellen Reduktion ablenken würde.
Händlers gebilligt wurde. Die Verhandlung über den
Die ganz auf eine strenge Form, auf ein ruhiges, le-
Ankauf ist jedoch bedauerlicherweise nicht als Ver-
bensbejahendes Menschenbild ausgerichtete Kunst
laufsprotokoll, sondern nur summarisch als Ergeb-
Hildebrands wirkte auf viele Zeitgenossen irritie-
nis dokumentiert und lässt sich dennoch als Zeug-
rend und hatte folgerichtig auch Gegner. Hildebrand
nis der herrschenden Richtungskämpfe lesen: »Es
entzog sich sozusagen dem Zeitgeist seiner Epoche,
entspannt sich nun eine längere Debatte über das
als in der Literatur dem Roman, in der Malerei der
genannte Werk, bei welcher die Herrn R. Begas und
Historie und in der Skulptur den Mythen besondere
Jordan für den Antrag des Künstlers eintreten, wäh-
Relevanz eingeräumt wurde, die mit Sensationen wie
rend die Herrn v. Werner, Schaper und Wolff sich
Weltausstellungen, mit Erfindungen wie Rundfunk
aus künstlerischen Gründen gegen denselben er-
und Film oder mit illustrierten Zeitungen – einer me-
klären, da sie dem Werke höhere Qualitäten nicht
dialen Revolution und einer stetigen Beschleunigung
beizumessen vermögen.«16 Der ingeniöse Bildhauer
des Lebens aufwartete. Gerade in der Skulptur, die
Reinhold Begas, der mit seinen turbulent-gedreh-
öffentlichkeitswirksam auf den zahlreichen Salons
ten, sinnlich-haptischen Figuren wie der Susanna17
gezeigt oder in stadtbildprägenden Denkmälern auf-
(Abb.), die sich heute ebenfalls in der Nationalgale-
gestellt wurde, dominierten die Effekte, die großen
Adolf von Hildebrand
rie befindet, als der bedeutendste Repräsentant des
Reinhold Begas
Gesten und das Wagner’sche Pathos.
Stehender junger Mann, 1881–1884
deutschen Neubarock gilt, sowie der Direktor eben
Susanna, 1869/70 (1870–1872)
Die Erwerbungsakten zeigen deutlich, was sich zu-
Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
dieser tonangebenden Nationalgalerie erkannten of-
Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
getragen hat, als diese Skulptur in die noch sehr
fensichtlich die hohe Qualität des Werkes, die mutige
junge Sammlung der Berliner Nationalgalerie ge-
Eigenständigkeit der Schöpfung mit ihrer ganz neu-
langen sollte und die hierfür zuständige sogenannte
artigen Konzentration auf die reine Körpersprache.
Landeskunstkommission – eigentlich »Landescom-
Die Vertreter eines durchaus noch gesellschaftsfähi-
mission zur Begutachtung der Verwendungen des
gen konservativen Spätklassizismus aber, namentlich
Kunstfonds« – im November 1884 tagte und unter
die Bildhauer Fritz Schaper und Albert Wolff, sowie
anderem ȟber den Ankauf eines Werkes des Bild-
der erfolgreiche naturalistisch-historistische Maler
hauers A. Hildebrand aus der von demselben veran-
Anton von Werner opponierten dagegen, da sie er-
14
stalteten Separat-Ausstellung« in der Galerie Gur-
zählerische Strategien als unabdingbar für die Kunst
11
10 Adolf von Hildebrand
ihrer Zeit erachteten. Die Abstimmung erbrachte vier
Gegen jede Geringschätzung der handwerklichen
zösischen Kollegen an den Kunsthistoriker Heinrich
befürwortende und sechs Gegenstimmen. Dass das
Sorgfalt hat Hildebrand oft argumentiert. Er hielt
Wölfflin. Und doch muss Hildebrand gespürt haben,
Werk dennoch im selben Monat in die Nationalgale-
den Anspruch der Eigenhändigkeit in einer Zeit
dass Rodin wie er selbst auf je eigenständigste Wei-
rie gelangte, war dem Umstand geschuldet, dass es
hoch, da viele erfolgreiche Bildhauer in Europa ihre
se für die moderne Kunst etwas Radikales, etwas
des Kronprinzen »sich
Entwürfe nur modellierten und in Gips abformten,
Bahnbrechendes leisteten.
zu erfreuen hat«, der als Protektor der Königlichen
um die Ausführung in Marmor dann ihren Mitarbei-
Walter Schott, ein damals erfolgreicher und heute
Nationalgalerie sichtlich hohen Einfluss nehmen und
tern oder gar einer fremden, fabrikmäßig arbeiten-
weitgehend vergessener deutscher Bildhauer von
letzte Entscheidungen treffen konnte. Für die Samm-
den Werkstatt zu überlassen. Diese dem Schöpfer
offiziellem Zuschnitt, berichtet über ein Gespräch,
lung der Nationalgalerie, die heute 19 Werke Hilde-
entfremdete Vollendung eines Kunstwerks als eine
das er mit Hildebrand über Rodin und dessen Denker
brands besitzt, war das die richtige Entscheidung,
unbillige, ethisch kaum vertretbare Praxis zu gei-
(Abb. S. 12) geführt habe: »Rodin hatte damals sei-
eine positive Richtungsentscheidung trotz ihrer poli-
ßeln, wurde Hildebrand nicht müde. Noch im Jahre
ne große Figur ›Der Denker‹ ausgestellt. Ich [Wal-
tischen Konnotation.
1907 schrieb er einem Auftraggeber, der eine von
ter Schott – Anm. d. Verf.] hatte diese Figur in Paris
Hildebrand geschaffene Bronzebüste durch eine sol-
gesehen und sprach in großer Bewunderung von
Anspruch der Eigenhändigkeit
che fremde Bildhauerwerkstatt ausführen lassen
der Bravour, mit der diese Arbeit erschaffen. Hil-
Die Nationalgalerie war vor 100 Jahren – und ist
wollte, dieser Vorschlag versetze ihn »lebhaft in die
debrand sagte darauf: ›Ja, das ist ein Riese in ma-
es noch heute – der wichtigste Ort für das muse-
Zeiten, als man die künstlerische Arbeit und die
nueller Beziehung, aber Innerlichkeit, mein Lieber,
ale Sammeln der Skulptur des 19. Jahrhunderts.
Ausführung in Marmor trennte und auch die Künst-
die fehlt.‹ «26 Selbst, wenn dieses Zitat nur zur Hälfte
des »besonderen Beifalls«
18
19
23
Im Jahr 1903, also zwei Jahrzehnte nach der Er-
ler selber nur modellierten«.
Aber, ergänzte er
richtig wiedergegeben worden sein sollte, sagt es
werbung des Stehenden jungen Mannes, schrieb
mahnend, diese »Auffassung hat sich mittlerweile,
doch genug über die Sichtweise Hildebrands aus.
Friedrich Fuchs: »Brütts ›Eva‹ und Hildebrands
nicht zum geringsten Theil gerade in Folge meiner
Seine Kategorie der »Innerlichkeit« würde heute
›Jugendlicher Mann‹ stehen sich in der National-
immer eigenhändig ausgeführten Sachen, sehr ge-
wohl mit dem Begriff der »Empathie« umschrieben
galerie nahe gegenüber. Scheint es nicht, als fühle
ändert, man weiß, daß die Hand des Künstlers den
werden. Ohne Zweifel stand die Frage des hand-
20
sich dort der Marmor warm an und hier so kalt?«
Ausschlag giebt. Der Glaube, daß es einen Werth
werklichen Könnens für Hildebrand immer ganz weit
Die dezidiert kritische Tendenz dieses Beitrags ma-
habe, eine Büste von mir zu besitzen, die ein belie-
oben in seinem geistigen Kriterienkatalog. In dem
nifestiert sich im Wörtchen »so«. Adolf Brütt war
24
biger Bildhauer copirt hat, ist deshalb veraltet.«
mehrteiligen Text Plastik bettet Hildebrand seine
ein erfolgreicher Bildhauer, dessen Eva mit ihren
So praktizierte der Bildhauer nicht nur eine Strenge
Sicht auf Rodin in die Betrachtungen über Michelan-
der Form, sondern auch die des Wortes meisterlich.
gelo und diverse Bildwerke ein: »Einer Erscheinung
21
Kindern (Abb.) den damals gängigen Mustern erzählerischer Kompositionen ebenso wie dem dama-
gegenüber, die wie bei Rodin mit solcher seltenen
ligen Frauenbild entsprach, aber auch hinsichtlich
Kontext
Potenz auftritt, hat eine Kritik nur dann einen sach-
der Oberflächenbehandlung eine gefällige Glätte
Hildebrand war nicht nur Zeitgenosse der deut-
lichen Wert, wenn sie mit dem vollen Verständnis
aufweist. Und eben gegen diese Salongefälligkeit
schen Vertreter des Neubarock und des Spätklassi-
und Bewunderung für seine Kraft verbunden ist. Und
wandte sich Hildebrand explizit, und zwar sowohl
zismus, der internationalen Salonskulptur und der
weil ich diese Bewunderung habe, wie gegenüber
künstlerisch als auch literarisch. Schon 1867 kon-
impressionistisch beeinflussten Plastik von Künst-
einem Naturphänomen, kann ich auch offen meine
statierte er: »Der Mangel an Technik, ich meine
lern wie Medardo Rosso bis Edgar Degas, sondern –
Kritik dabei aussprechen.«27 Die Kritik, auf die hier
Formenkenntnis in der genauen Ausführung, ist
ganz wesentlich – auch von Auguste Rodin. Diesem
nicht weiter eingegangen werden kann, galt forma-
jetzt ungeheuer und steht hinter allen Zeiten enorm
sandte Hildebrand 1907 seine theoretische Schrift
len Kriterien wie etwa dem Fehlen einer eindeutigen
zurück. Doch sehr begreiflich, wenn man die jet-
Das Problem der Form in der bildenden Kunst di-
Hauptansicht, die Hildebrand in seinen Schriften forderte und in den Werken zu verwirklichen suchte.
Adolf Brütt
zigen Künstler betrachtet. Es ist gar keine rechte
rekt zu und suchte damit geistigen Austausch über
Eva mit ihren Kindern, 1890
Begeisterung unter den Leuten, man behandelt sie
die Grundfragen der Bildhauerkunst, obgleich fun-
Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
[= die Kunst – Anm. d. Verf.] immer als Arbeit [= als
damentale Vorbehalte bestanden: »Ich bewundere
Wirkung
Broterwerbsarbeit – Anm. d. Verf.]. Jeder denkt, er
nämlich Rodin sehr als speziellen Bildhauer, wenn
In einer 1921 erschienenen Darstellung zur damals
muß was Originelles so rasch wie möglich zusam-
ich ihn auch keinen Künstler im eigentlichen Sinne
jüngeren Plastik zeigt schon allein die Häufigkeit
menstoppeln, und läßt dabei alle genauen Formen-
nennen kann. Wo er ein ganzes schaffen will ist er
der Nennung Adolf von Hildebrands, welche zentra-
22
studien laufen.«
25
ahnungslos« , schrieb Hildebrand über den fran-
le Rolle der Künstler, seine Theorie und sein Werk
13
12 Adolf von Hildebrand
für die Entwicklung der Bildhauerkunst bis weit
künstlerischen Intelligenz in Berührung zu kom-
Yvonne Hildwein im Sekretariat der Neuen Pinako-
Die Komplexität der
men, und es mag gute Früchte bringen. Ohne einen
thek, Heino Kahrs als dem Leiter der Depotverwal-
Wechselwirkungen auf menschlicher, theoretischer
Sonnenblick hie und da, muss ja auch die kräftigste
tung und seinen Mitarbeitern, Haydar Koyupinar und
und künstlerisch-praktischer Ebene darf hier aus-
Pflanze unentwickelt vergehen.«30 Und so fiel Hilde-
der Fotoabteilung für sorgfältige Neuaufnahmen, Ilse
gespart bleiben, denn sie würde den Rahmen ei-
brand die Rolle einer erhellenden Sonne zu.
von zur Mühlen für freundliche Unterstützung bei der
ins 20. Jahrhundert hatten.
28
nes Bestandskataloges sprengen. Als Künstler aus
Provenienzforschung, Renate Poggendorf und der
seinem unmittelbaren Umfeld wären jedoch zu
Dank
Restaurierung in der Neuen Pinakothek, aber auch
nennen: Artur Volkmann, der sich in seinen Bild-
Am Ende dieser Betrachtungen steht ein Dank an
Andrea Stojanovic seitens der Örtlichen Verwaltung
werken teilweise eng, manchmal sogar sklavisch
alle, die diesen Bestandskatalog, seine Bearbeitung
für unterstützende Begleitung des Projekts.
an Marées’ Entwürfe hielt, Erwin Kurz und Peter
und Publikation, möglich gemacht haben. Maßgeb-
Bruckmann, welche die Haltung Hildebrands in die
lich ermöglicht wurde das Erscheinen beider Teil-
Anmerkungen
deutsche, speziell in die Münchner und die baye-
bände des Skulpturen-Bestandskataloges durch die
1
Osten 1961, S. 5.
rische Skulptur des ersten Drittels des 20. Jahr-
Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung, in
2
Osten 1961, S. 10.
der unser besonderer Dank dem befördernden Ver-
3
Hoh-Slodczyk 1981, S. 25–29.
ständnis für das Projekt wie auch für die Bearbei-
4
Zit. nach Sattler 1962, S. 50.
dessen Sinne arbeitete. Die Wirkung Hildebrands
tungsabläufe durch Martin Hoernes gilt; diese För-
5
Zit. nach Sattler 1962, S. 48.
reicht jedoch weiter, so etwa auch in die Berliner
derung hat den Druck des Kataloges und vorab die
6
Zit. nach Sattler 1962, S. 52.
Teilfinanzierung für den Autor Fabian Pius Huber
7
Gantner 1982, S. 68.
ermöglicht. Seitens der ebenfalls in München an-
8
Fuchs 1903, S. 479.
sässigen Karl Thiemig-Stiftung kam finanzielle Hilfe
9
Kurz 1938, S. 208. Maaz 2010.
hunderts hineintrugen, oder Theodor Georgii, der Schwiegersohn Hildebrands, der bildhauerisch in
Plastik eines Louis Tuaillon. Der große Einfluss, den Hildebrand auf seine Mitstreiter und Schüler zeitigte – als Schlüsselfigur ist hier der schon eingangs erwähnte Maler Hans von Marées zu nennen –, fin-
Auguste Rodin
für die Befundung der Objekte durch die Steinres-
10
det sich an anderer Stelle eingehend behandelt.29
Der Denker, um 1881–1883
tauratorin Franziska Kolba und für die Restaurie-
11
Zit. nach Jachmann 1927, S. 154.
rung von Hildebrands Pietà (S. 221). Unterstützung
12
Janson 1985, S. 237.
erfuhren wir vom Archiv der Technischen Univer-
13
Fuchs 1903, S. 482.
ein empathisches Menschenbild wird aber zweifel-
sität München, besonders von Ann Katrin Bäumler,
14
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbe-
los noch lange anhalten, zumindest im Bereich der
sowie von der LETTER Stiftung in Köln, namentlich
sitz, Berlin: Ministerium der geistlichen, Unter-
figürlichen Bildhauerkunst. Wenn dieser Bestands-
von Bernd Ernsting.
richts- und Medicinal-Angelegenheiten, Rep. 76
katalog zu seinem 100. Todestag – Hildebrand starb
Besonderer Dank gilt den Autoren, Fabian Pius Hu-
Ve Sect. 15 Abt. XIII Nr. 4 Bd. 4, fol. 44.
im Januar 1921 in München – erscheint, so ließe
ber als Hauptautor, der seine Texte zu den Bildnis-
15
Ibid., fol. 44r et v.
sich mit Leichtigkeit eine Wirkungsgeschichte bis in
sen und Architekturen teilweise unter Verwendung
16
Ibid., fol. 44v.
von Recherchen und Vorarbeiten von Anna-Sophia
17
Mus.-Kat. Berlin 2006, S. 906.
Reichelt und Anna Louisa Schmidt erstellt hat, wes-
18
GStA PK (wie Anm. 14), fol. 46.
halb diese hier in den sehr herzlichen Dank einge-
19
Mus.-Kat. Berlin 2006, S. 314–327.
wir vor allem den Bemühungen seiner Nachfah-
schlossen werden. Franziska Kolba trug ebenfalls zu
20
Fuchs 1903, S. 326.
ren. Diese Bemühungen fielen schon allein deshalb
den Texten bei, und natürlich ist Joachim Kaak als
21
Mus.-Kat. Berlin 2006, S. 108 f.
dem Referenten für die Kunst der zweiten Hälfte des
22
Zit. nach Sattler 1962, S. 61.
19. Jahrhunderts wie auch als dem Initiator, Motor
23
Zit. nach Sattler 1962, S. 529.
beginnenden 20. Jahrhunderts war – wenngleich
und Koordinator des Vorhabens herzlich zu danken.
24
Zit. nach Sattler 1962, S. 529.
von menschlicher Bescheidenheit. Wie hatte Hans
Wissenschaftliche Forschungen sind im Museum
25
Zit. nach Sattler 1962, S. 671.
nicht möglich ohne die vielfältigen Strukturen, die
26
Schott 1930, S. 110.
dem Alltag zugrunde liegen, und deshalb danke ich
27
Hildebrand 1969, S. 425.
und hat mich hoch erfreut durch sein klares, offe-
dem gesamten Team der Bayerischen Staatsgemäl-
28
Vgl. Kuhn 1921.
nes, künstlerisch theilnehmendes Wesen. Es war
desammlungen, wobei einzelne Personen als unmit-
29
Maaz 2008.
telbar Beteiligte herauszuheben sind: Unser Dank gilt
30
Zit. nach Meier-Graefe 1909/10, Bd. 3, S. 282 f.
Hildebrands Wirkung als Antipode von Rodin, als Bändiger der strengen Form und als Wächter über
unsere Tage schreiben. Dass sein bildhauerisches Schaffen in der Neuen Pinakothek durch den Ateliernachlass so reich dokumentiert ist, verdanken
auf fruchtbaren Boden, weil Hildebrand eben eine Schlüsselfigur der Kunst des ausgehenden 19. und
von Marées schon 1885 geschrieben, sich selbst als »kräftige Pflanze« wähnend: »Hildebrand war hier
mir allerdings nothwendig, einmal wieder mit einer
(Guss wohl kurz vor 1905) Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
Der Ateliernachlass Adolf von Hildebrands in der Neuen Pinakothek
15
14 Joachim Kaak
Die überlieferten Gespräche und Korrespondenzen,
und dass ich der Meinung bin, dass man diesen
die bis in die späten 1950er-Jahre zurückreichen,
weitgehendst erhalten muss. […] Ich darf Sie des-
zeichnen das Bild eines mit Mühen über den Zweiten
halb bitten, dass der Hildebrand-Nachlass, so wie
Weltkrieg hinweg bewahrten Künstlernachlasses.
er auf uns gekommen ist, inventarisiert wird.«5 Die
Sie stellen aber zugleich auch die Frage nach dem
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen schlossen
angemessenen Umgang mit Schöpfungen, die zum
sich dieser Auffassung an, und so unterblieb die
größten Teil bereits in vollendeten Ausführungen
Auswahl erhaltenswerter beziehungsweise die Ver-
vorhanden waren.
nichtung als entbehrlich angesehener Objekte.
So fasste Bernhard Sattler in einem Brief an Kurt
Mit der Einschränkung »so wie er auf uns gekom-
Martin vom 20. September 1963 die Position des
men ist« berührte Wichmann allerdings auch den
Nachlasses mit den Worten zusammen: »Als wir
langen Zeitraum, der zwischen dem Tod Adolf von
vor einigen Jahren schon einmal über die Hilde-
Hildebrands und seiner Frau und der Übernahme
brand-Gipsmodelle sprachen, hatten wir […] fol-
durch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
gende Regelung der Angelegenheit ins Auge gefasst:
lag. Die Überlegungen Bernhard Sattlers hinsicht-
die ganzen in Schloss Schleißheim provisorisch bis
lich der weiteren Verwendung der zahlreichen Gip-
jetzt untergebrachten Gipsmodelle […] gehen in
se deuten zudem auf eine gewisse Vernachlässigung
den Besitz der Bayer. Staatsgemäldesammlungen
der Werkstattstücke hin, die über den Zweiten Welt-
Mit Datum vom 2. April 1969 wurden insgesamt
später bis zur Übernahme durch die Bayerischen
über. Ich sagte Ihnen damals, dass m. Er. ein gro-
krieg hinweg zu retten auch eine nicht geringe Be-
191 Objekte aus dem Nachlass Adolf von Hilde-
Staatsgemäldesammlungen. Frühe Mahnungen
ßer Teil dieser Gipse (viele sind sehr groß, ande-
lastung gewesen sein muss. So steht die Herkunft
brands bei den Bayerischen Staatsgemäldesamm-
Bruno Heimbergs, des nachmaligen Direktors des
re in sehr schlechtem Zustand u. s. w.) vernichtet
der Objekte aus dem Nachlass Hildebrands außer
lungen inventarisiert. Die Inventarnummern B 422
Doerner Instituts, deuten auf einen Zustand hin, der
werden könnte. Insbesondere solche Gipsmodelle,
Frage, während sich eine lückenlose Standortge-
bis B 609 sowie B 729, B 730, B 731 und B 738
der unmittelbaren Sicherung und weiteren Konser-
von denen die Ausführung noch vorhanden ist. Sie
schichte dieses großen Konvolutes nicht mehr in
umfassen neben wenigen Werken in Terracotta vor-
vierung bedurfte, um die Objekte überhaupt aus
baten mich aber damals nichts zerstören zu lassen,
allen Einzelheiten nachzeichnen lässt. Auch kann
nehmlich Bozzetti und Gipsmodelle sowie einige Ab-
dem Depot der Bayerischen Staatsgemäldesamm-
ehe ich Ihnen die Modelle gezeigt habe. Damit er-
nicht angenommen werden, dass die nahezu 200
güsse, die nach der Vollendung der jeweiligen Plas-
lungen in der Meiserstraße 10 (zuvor Arcisstraße;
klärte ich mich sehr einverstanden und ich wäre
Objekte den Ateliernachlass in Gänze abbilden, zu-
tiken im Atelier des Künstlers verblieben waren.
heute Katharina-von-Bora-Straße) in den Neubau
Ihnen sogar außerordentlich dankbar, wenn Sie da
mal zu diesem auch vollendete Werke hinzuzuzäh-
1
3
Der Zustand der einzelnen Objekte variiert nach
der Neuen Pinakothek transportieren zu können.
entscheiden würden.«
len wären, wie etwa Der Netzträger (B 367), der
ihrer jeweiligen Stellung innerhalb des künstleri-
Vorausgegangen waren Verhandlungen über die
Sattler reagierte mit seinem Brief auf die unverse-
bereits 1960 aus dem Nachlass angekauft werden
schen Prozesses. Einzelne Markierungen deuten auf
Übernahme der Objekte zwischen Bernhard Sattler,
hens dringlich gewordene Notwendigkeit der ge-
konnte.
verworfene Ausführungen oder Entwürfe hin oder
dem Enkel des Künstlers, und dem Generaldirektor
meinsamen Sichtung, da die Bayerische Verwaltung
Blickt man auf die bisher bekannten Dokumente, so
verweisen auf frühere Standorte (siehe den Beitrag
der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Kurt
der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen auf eine
stellen sich vorrangig drei Standorte heraus, an de-
von Franziska Kolba). Sorgfältig ausgeführte und
Martin sowie Siegfried Wichmann, dem Konserva-
Räumung der im vormaligen evangelischen Betsaal
nen die Objekte in dem fraglichen Zeitraum aufbe-
konservierte Gipse wie Der Kugelspieler (B 554),
tor für die Kunst des 19. Jahrhunderts. Dietrich
des Neuen Schlosses eingelagerten Bestände dräng-
wahrt gewesen sein mögen: das Hildebrandhaus am
Philoktet (B 556) und Prinzregent Luitpold (B 595)
von Hildebrand und Theodor Georgii, Sohn und
te, um mit Restaurierungs- und Baumaßnahmen
Isarhochufer in München-Bogenhausen, die ehe-
bereicherten des Weiteren über Jahre hinweg die
Schwiegersohn des Künstlers, hatten in den frühen
beginnen zu können.4 Siegfried Wichmann, der mit
malige Verwaltung der Bayerischen Staatsgemäl-
Auswahl der von Adolf von Hildebrand in der Neuen
1950er-Jahren ihren Neffen Bernhard als Nachlass-
der Auswahl und der Beurteilung des fraglichen
desammlungen in der Arcisstraße 10 und das Neue
Pinakothek ausgestellten Werke.
verwalter bestimmt, zumal sich Dietrich von Hilde-
Materials beauftragt wurde, verließ 1967 die Bay-
Schloss Schleißheim. Da Transport- oder Übergabe-
Neben den Gebrauchsspuren offenbaren einzelne,
brand aufgrund seiner Tätigkeit in New York selbst
erischen Staatsgemäldesammlungen, um eine Pro-
listen bisher nicht ermittelt werden konnten, wird
nur als Fragment oder in mehreren Bruchstücken
dazu nicht in der Lage sah. Der Sohn Hildebrands
fessur an der Staatlichen Akademie der Bildenden
jedoch nicht hinreichend ersichtlich, wo und zu wel-
erhaltene Plastiken die wechselvolle und von Ge-
hatte als katholischer Philosoph und entschiede-
Künste in Karlsruhe anzunehmen. Er blieb die noch
chem Zeitpunkt sich die einzelnen Werke befanden.
fährdungen geprägte Geschichte der Werke. Diese
ner Gegner des Nationalsozialismus Deutschland
einmal im Juli desselben Jahres von Bernhard Satt-
Erschwerend kommt hinzu, dass die in der Korres-
lässt sich hier nur schlaglichtartig beleuchten und
bereits im März 1933 verlassen müssen und hatte
ler angemahnte Auswahlliste schuldig, um schließ-
pondenz genannten Verweise offenlassen, ob es sich
umfasst den Zeitraum vom Tod des Künstlers im
nach Stationen unter anderem in Florenz und Wien
lich im April 1968 mitzuteilen, »dass ich mich mit
um bloße Verwahrungen, Leihgaben oder mitunter
dem Hildebrand-Nachlass eingehend befasst habe
auch den musealen Sammlungsbestand handelt. So
Januar 1921 und seiner Frau Irene wenige Monate
2
schließlich Zuflucht in den USA gefunden.
17
16 Der Ateliernachlass Adolf von Hildebrands
befanden sich bereits beginnend mit dem Jahr 1918
te in München berufen, unterrichtete Georgii erste
Ein großer Dank geht an das Bayerische Haupt-
Hoegner; zit. nach Kuller/Schreiber 2006 (wie
verschiedentlich Leihgaben des Künstlers oder spä-
Studenten auch in seinem Atelier im Hildebrand-
staatsarchiv; Bernd Ernsting, LETTER Stiftung
Anm. 2), S. 115 und Anm. 160.
Köln; Martin Schawe, Bayerische Staatsgemälde-
10
sammlungen München.
wohner des Hildebrandhauses sowie für das Fol-
13
ter aus dem Nachlass bei den Bayerischen Staats-
haus.
gemäldesammlungen – etwa das Amazonen-Relief
bereits erwähnten Brief Sattlers vom September
(B 576)6 oder das schließlich 2019 durch den Pina-
1963 unterstützt diese Annahme. Es heißt dort: »Ich
kotheks-Verein erworbene Dionysos-Relief (FV 18),
habe auch noch eine Anzahl von Gips-Modellen im
Anmerkungen
11
Georgii-Atelier in München, das ich ebenfalls jetzt
1
Georgii 1883–1963. Biografie und Werkverzeichnis,
nach dem Tod Georgiis bald räumen lassen muss.
die Gipse und Marmorplastiken vor dem Umzug (in
Diss. LMU, München 2013, S. 69–72.
Diese Sachen kämen noch dazu.«14 Es kann sich
die geplante Neue Pinakothek – Anm. d. Verf.) unbe-
12
Siehe Stefani 2013, S. 80.
dingt saniert werden müssen, wenn man nicht von
13
Siehe Stefani 2013, S. 89.
schen Nachlasses gehandelt haben, denn auch die
vornherein eine ›Gipsschutthalde‹ anlegen möchte.«
14
Siehe Anm. 3.
maligen Hildebrandhaus in München-Bogenhau-
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bargen in
2
15
Dies geht aus weiteren Briefen hervor, auch
sen befunden haben mag,8 nicht ohne auch dort
den 1950er-Jahren bereits Werke Hildebrands als
ber, Das Hildebrandhaus. Eine Münchner Künstler-
wenn sich bislang keine Unterlagen zu Hinterstel-
Gefährdungen ausgesetzt gewesen zu sein. So zitie-
Verwahrungen oder Hinterstellungen in einem Kel-
villa und ihre Bewohner in der Zeit des Nationalso-
lungen durch den Künstler selbst, durch Theodor
zialismus, München 2006, S. 21–25.
Georgii oder Bernhard Sattler ermitteln ließen. 16
das wohl 1953 an die Nachlassverwaltung zurückgegeben worden war.
7
Aus dem Briefwechsel zwischen Sattler und Wichmann geht hervor, dass sich der Ateliernachlass oder Teile davon bis in die 1950er-Jahre im vor-
ren Christiane Kuller und Maximilian Schreiber in
Eine handschriftliche Anmerkung in dem
dabei tatsächlich nur um einen Teil des künstleri-
15
lerraum der Arcisstraße 10.
So konnte Lili Mar-
Zum Schicksal Elisabeth Brauns und der Be-
gende siehe Kuller/Schreiber 2006 (wie Anm. 2). Aktennotiz vom 4. Dezember 1970. » […] dass
Siehe Christiane Kuller und Maximilian Schrei-
Siehe Regine Stefani, Der Bildhauer Theodor
ihrer Geschichte des Künstlerhauses in der Zeit des
tius, Kustodin a. D. der Kunsthalle Kiel, 1959 das
3
Nationalsozialismus Franz Treppesch, den Schwie-
Gipsmodell des Charon-Reliefs zum Mausoleum der
20. September 1963; BStGS Bildakt Inv. Nr. B 422.
Martius an Bernhard Sattler vom 2. März 1959;
gersohn Georgiis, mit den Worten: »Im Nazireich
Familie Götz Martius ebendort abholen lassen, das
4
BStGS Archiv Az. 13/4, Nr. 2596.
diente es längere Zeit als Massenlager für zur De-
Bernhard Sattler der Kunsthalle schenkte und wel-
sches Hauptstaatsarchiv, BStGS Archiv Az 13/4,
17
portation bestimmte Juden und musste, obgleich es
ches sie »vor einigen Jahren« dort hatte anschau-
Nr. 2596. Der Brief führt als Betreff »Kriegseinla-
Stiftung Köln, finden sich auch in den Unterlagen
16
Brief Bernhard Sattlers an Kurt Martin vom Brief vom 26. August 1963; München, Bayeri-
Vgl. Esche-Braunfels 1993, S. 422. Brief Lili
Nach Auskunft von Bernd Ernsting, LETTER
als Zweifamilienhaus gebaut ist, oft 25–30 Familien
en können.
gerungen« an.
der dort seit 2010 verwahrten Hildebrand-Stiftung
aufnehmen – Unter diesen Verhältnissen litt es er-
Mit dieser kurzen Skizze muss die Geschichte des
5
keine detaillierten Hinweise auf den Verbleib des
schreckend. Man fand Plastiken Hildebrands völlig
»auf uns gekommenen« Ateliernachlasses, ob als
berg vom 30. April 1968; BStGS Archiv Az. 13/4,
Ateliernachlasses in dem fraglichen Zeitraum.
Verwahrung, Leihgabe oder Hinterstellung, und
Nr. 2596.
18
Der larmoyanten Beschwerde Treppeschs steht das
der verschiedenen Standorte während des Zwei-
6
Das Amazonen-Relief gelangte als Mittelstück
Großvater Adolf von Hildebrand und an das Leben
Schicksal der von den Nationalsozialisten deportier-
ten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit bis auf
eines Triptychons 1930 zusammen mit zwei Reliefs
in seinem Haus, in: Das Hildebrandhaus in Mün-
9
zertrümmert in den Kehrrichttonnen.«
17
Brief Siegfried Wichmanns an Gisela Gold-
Bernhard Sattler, Erinnerungen an meinen
ten und ermordeten Eigentümerin des Hauses Elisa-
Weiteres ungewiss bleiben. Nur die Erinnerungen
von Bogenschützen als Leihgabe aus dem Nachlass
chen. Seine Erbauer – Seine Bewohner, hrsg. von
beth Braun und ihrer »nicht-arischen« Mitbewoh-
Bernhard Sattlers an das Atelier seines Großvaters
in die BStGS (L 471). Der Verbleib der beiden letzte-
Enno Burmeister und Christine Hoh-Slodczyk, Mün-
nerinnen und Mitbewohner gegenüber. Elisabeth
Adolf von Hildebrand lassen ein wohl authentisches
ren ist unklar; nach Esche-Braunfels 1993, S. 159,
chen 1981, S. 98.
Braun hatte das Haus 1934 von Theodor Georgii als
Bild aufscheinen. Es heißt dort: »An den Wänden
befinden sich diese Originalgipse in Privatbesitz in
seinerzeit agierendem Nachlassverwalter erworben
des Ateliers standen auf Regalen vom Boden bis zur
Florenz und München.
und in den folgenden Jahren verschiedentlich ver-
Decke eine große Anzahl verstaubter Gipsbüsten
7
mietet, darunter auch an den Schwiegersohn Hilde-
und Reliefs – berühmte Männer, Fürsten, Künst-
März 1939 (Standort Neue Staatsgalerie) bis 1953.
brands, der durch die Anmietung einer Wohnung im
ler und Gelehrte: Bismarck und Kaiser Wilhelm II.,
8
Dachgeschoss und zweier Ateliers als einziges Mit-
der alte Prinzregent, König Ludwig III., Kronprinz
vom 18. Juli 1957; BStGS Archiv Az. 13/4, Nr. 2596.
glied der Familie im Haus hatte verbleiben können.11
Rupprecht, Herzog Karl Theodor, Röntgen, Petten-
Es heißt dort: »Die Marmorfigur ›Netzschlepper‹
Es ist wohl anzunehmen, dass Georgii auf diese Wei-
kofer, Helmholtz, Ignaz von Döllinger, Werner von
von Adolf von Hildebrand […] befindet sich nicht
se den Ateliernachlass oder Teile davon vor Ort hat
Siemens, Otto Ludwig, Brahms, Hans Thoma und
hier bei mir, sondern in München im ehemaligen
bewahren können, zumal er 1948 weitere Räume
Böcklin, von dem Hildebrand sagte, er habe wie ein
Hildebrandatelier (München-Bogenhausen, Sie-
10
von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche anmietete, welche die zum Christentum konvertierte 12
18
Flussgott ausgesehen.«
L 743, lt. Inventarbuch vermutlich Leihgabe von Brief Bernhard Sattlers an Siegfried Wichmann
bertstr. 2/0). Dort befinden sich auch die übrigen Hildebrand-Arbeiten im Besitze des Nachlasses, die
Elisabeth Braun als Erbin eingesetzt hatte.
ich Ihnen bei Gelegenheit zeigen möchte.«
Im Frühjahr 1946 als Vertragsprofessor für
9
Bildhauerei an die Akademie der Bildenden Küns-
an den Bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm
Franz Treppesch mit Brief vom 5. Februar 1946
18 Franziska Kolba
Der Werkprozess bei Adolf von Hildebrand
19
Kunst des Wegnehmens, also das Herausholen des
sowie einen groben, gebogenen Vierkantstahl als
Kunstwerks aus dem Stein im Vordergrund steht.
äußere Stütze erreicht.
Diesen Unterschied im Arbeitsvorgang beschrie-
Nach einer ersten kleinen Studie in Ton wurde übli-
ben schon Giorgio Vasari und Michelangelo, die
cherweise eine Negativform erstellt, um ein Modell
von einem verborgenen Bild im Steinblock spra-
in Gips anzufertigen. Gips wurde im 19. Jahrhun-
Die Sichtung der Kunstwerke Adolf von Hildebrands
Bronze oder Stein. Seltener sind auch frühe ther-
chen, das es herauszuschälen galt. Auch Adolf von
dert als leicht zu beschaffendes und relativ ein-
in den Depoträumen der Neuen Pinakothek erfolg-
moplastische Kunststoffmassen zu finden (deren
Hildebrand vertrat diese Auffassung. Der Wert des
fach zu bearbeitendes Material bei nahezu jedem
te 2016 über die technologische und konservato-
genaue Zusammensetzung bisher nicht bekannt
Modellierens in Ton lag für ihn »beim Studium der
plastischen Kunstwerk verwendet. Die meisten
rische Befundung der Einzelobjekte, die für den
ist) sowie Wachsmischungen. Als Aussteifung und
Natur, um Bewegungsvorstellungen zu gewinnen
Künstler gossen ihre aus Wachs oder Ton geform-
5
hier entstandenen Katalog erstmals in allen Details
Armierungsskelett wurden Eisenstäbe, Metalldräh-
und alle Einzelkenntnis der Form zu fördern.« Die
ten Bozzetti in einem zweiten Schritt in Gips ab.
begutachtet wurden. Neben den genauen Maßen,
te jeglicher Stärke, Holzlatten und grobes Gewe-
eigentliche künstlerische Herausforderung sah er
Dieser Gipsabguss diente dann als Probe vor der
den Inschriften, Werkzeugspuren und verwende-
be (Rupfen aus Hanf oder Leinen) genutzt. Dabei
jedoch im direkten Heraushauen aus dem Stein, wie
endgültigen Ausformung, wurde entweder selbst
ten Materialien wurden auch zahlreiche Spuren
ist eine gleichmäßige Verteilung der verwendeten
er selbst im siebten Kapitel seines Buchs Problem
weiterverarbeitet oder als Änderungsvorlage für
6
des Werkprozesses dokumentiert. So fanden sich
Materialien Gips, Ton, Bronze und Stein über die
der Form in der bildenden Kunst schrieb.
ein weiteres Tonmodell verwendet. Gips war dabei
auf den Oberflächen Punktierkreuze oder -punkte,
gesamte Schaffenszeit zu beobachten, ohne spezi-
In der Sammlung der Neuen Pinakothek haben
kostengünstig in der Anschaffung, so dass auch we-
größere Bleistiftkreuze als Markierungen, hand-
fische Vorliebe, wie auch schon Angela Hass 1984
sich auch einige kleine Bozzetti aus ungebrann-
niger wohlhabende Künstler davon Gebrauch ma-
schriftliche Ortsnamen, aber auch noch originale
in ihrem Werk über das plastische Porträt bei Hil-
tem Ton erhalten, die ebendiese frühe Vorstudie
chen konnten. Die nahezu unbeschränkte Verfüg-
1
Montierungen und einige wenige Klebezettel, die
debrand feststellte.
eines Kunstwerkes bei Hildebrand aufzeigen. Die-
barkeit, beliebig häufige Reproduzierbarkeit sowie
auf die Präsentation oder den Verkauf der Werke
Es ist anzunehmen, dass Hildebrand ausgehend von
se sind aufgrund der Instabilität des Materials und
die leichte Handhabung durch das geringe Gewicht
auf diversen Ausstellungen der Münchener Seces-
einer Idee oder dem Vorschlag eines Auftraggebers
auch hinsichtlich ihrer spontanen, skizzenhaften
machten die Gipsabgüsse zu dieser Zeit so beliebt
sion hinweisen.
erste Entwürfe auf Papier skizzierte. Solche Studien
Schöpfung als besonders wertvoll zu erachten, da
und wichtig. Auf den Kunstausstellungen des 19.
Aus kunsttechnologischer Sicht ist die Sammlung
sind laut Tamara Hufschmidt in Briefen und Noti-
sie schon vom Künstler nicht auf Dauerhaftigkeit
und beginnenden 20. Jahrhunderts wurden aus die-
2
besonders bedeutsam, da sie Modelle in fast al-
zen zu finden. Das Archiv des Architekturmuseums
ausgelegt waren, aber einen wichtigen Schritt im
sem Grund meist nur Gipsmodelle präsentiert.7 Die
len Stadien des Werkprozesses beinhaltet: vom
der TU München beherbergt viele dieser grafischen
Schaffensprozess aufzeigen. Für diese Tonstudien
Oberfläche des Gipses kann eine sehr feine, poliert
handgroßen, an einem Draht geformten Tonmo-
Zeugnisse, wie Zeichnungen, Pläne und Fotografien
wurde das feuchte, formbare Material auf ein Ar-
erscheinende Gusshaut aufweisen, die durchaus
dell über kleine Gipsmodelle, welche teils gegos-
aus dem Atelier im Hildebrandhaus, dem früheren
mierungsskelett aus ineinander verdrehtem Eisen-
wie Marmor wirkt. Weitere Gestaltungsmöglichkei-
sen, teils modelliert sind, zu größeren Ausformun-
Wohnsitz des Künstlers. Dies trifft vor allem auf
draht aufgebracht und anmodelliert. Teils finden
ten waren Fassungen der Gipsoberfläche, die das
gen des gleichen Motivs mit gestalteter Oberfläche
sein architektonisches Wirken zu. Für das plasti-
sich auch Holzsplitter oder kleine Äste als Armie-
spätere Kunstwerk aus Terrakotta, Marmor oder
bis zum endgültigen Kunstwerk aus Bronze oder
sche Porträt finden sich hingegen nur sehr wenige
rungsmaterial in den Modellen. Der Ton wurde ver-
Bronze imitieren sollten. Erst nach der verbindli-
Stein. Die im technologischen Befund festgestell-
gezeichnete Studien. Vorzeichnungen verwendete
mutlich händisch um das Trägermaterial angetra-
chen Bestellung durch den Auftraggeber wurde das
ten Kennzeichnungen auf der Oberfläche sowie die
er hier kaum, oft fertigte er die Porträts nach dem
gen. Fingerabdrücke dieses Vorgangs finden sich
Kunstwerk in Bronze oder Stein gefertigt.
3
Werkzeugspuren zeigen dabei mehr oder minder
lebenden Modell. Auch ein Zurückgreifen auf Fo-
auf der Oberfläche zuhauf. Nachträglich wurde der
Je nach Komplexität der Form bedeutet jedoch
deutlich den Prozess der Entstehung hin zum voll-
tografien, Totenmasken und teils Lebendmasken
Ton dann mit Werkzeugen oder den Fingern häufig
schon das Abformen eines Bozzettos aus Ton und
4
endeten Kunstwerk. Die Art der Werke Hildebrands
aus Gips ist für Porträts überliefert.
wieder abgetragen, um die Form zu verändern. Auf
das Herstellen einer Negativform einen beträchtli-
ist jedoch sehr weit gefächert. So stehen Porträt-
Klassischerweise ist davon auszugehen, dass nach
der Oberfläche ist die Verwendung von Ziehklingen
chen Aufwand. Die Gussform muss aus mehreren,
büsten neben Porträtreliefs, kleine figurale Studi-
einer Idee und einem skizzierten Entwurf zuerst
oder dünnem Draht ablesbar, wie sie auch heute
sich ineinanderfügenden Einzelstücken aufgebaut
en neben überlebensgroßen Modellen für Statuen
ein Tonmodell entstand. Dies wird von den meisten
noch für Arbeiten in Ton verwendet werden, aber
werden. Oft wurde auch das ursprüngliche Aus-
oder Brunnenfiguren. Ebenso finden sich aber auch
Künstlern des 19. Jahrhunderts überliefert. Ton
ebenso das Verziehen und Verändern der Oberflä-
gangsmodell beim Abformen zerstört. Die Guss-
Ideen für Brunnen, Denkmäler oder Grabmäler so-
ist in feuchtem Zustand ein formbares Material,
che mit den Fingern. Zu einigen Tonmodellen ge-
form blieb selten erhalten. In der Praxis gibt es
wie Architekturmodelle für staatliche oder private
bei dem – wenn es feucht und abgedeckt gelagert
hören kleine Holzbretter, auf welchen das Draht-
zwei Möglichkeiten: erstens die wiederverwend-
Bauten in der Sammlung und zeigen damit sein
wird – immer wieder etwas hinzugefügt oder ent-
skelett dann mit Nägeln oder Eisenstiften befestigt
bare Form, durch die das Werk mehrmals abge-
weites Schaffensfeld.
fernt werden kann. Es handelt sich beim Modellie-
wurde. Bei einem noch vorhandenen Tonbozzetto
gossen werden kann, oder zweitens die verlorene
Hildebrand verwendete für seine Werke unter-
ren in Ton also um eine Kunst des Hinzufügens – im
wird eine Befestigung und Stabilisierung durch ei-
Form, die zerstört werden muss, um das Gusswerk
schiedlichste Hauptmaterialien wie Gips, Ton,
Gegensatz zur Bearbeitung von Stein, bei der die
nen quaderförmigen Sockel auf einem Holzbrett
aus ihr herauszuschälen. Leider sind in der Samm-
21
20 Der Werkprozess
lung keine Gussformen Hildebrands erhalten, wes-
sigen Masse gefertigt sein, die an den seitlichen
des Denkmals für den Auftraggeber zu erzielen.
1:1-Übertragung des Modells in Stein. Über drei
halb nicht klar ersichtlich ist, welche Methode er
Rändern haftet und bei Hildebrand oft mit den Hän-
Studien zu seinen Brunnenfiguren weisen oftmals
Fixierpunkte wird das sogenannte Punktierkreuz
8
favorisierte. Vermutlich fanden beide Verwendung,
den aufgetragen wurde. Unabdingbar beim Gießen
eine Vielzahl an farbigen Strichen, Punkten und
aufgelegt – ein über Kugelgelenke bewegliches Ge-
je nach Schwierigkeit der Form.
ist jedoch, dass der jeweils darunterliegende Gips
Schraffierungen auf, mit denen der Künstler wohl
stänge mit einer verschiebbaren Nadel am Ende.
Hildebrand nutzte den Gips aber nicht nur als Guss-
noch feucht ist. Ist der Gips schon zu fest, zieht er
geplante Veränderungen selbst markierte.
Mit der Nadelspitze kann jeder Punkt des Modells
material für seine Bozzetti in Ton. Aufgrund der
viel Feuchtigkeit aus der frisch aufgebrachten Mas-
Büsten und Reliefs aus Gips weisen hingegen teils
abgetastet werden. Der Punkt wird dann markiert,
scharfen Werkzeugspuren und Kantenverläufe ist
se, diese härtet zu schnell aus, und die Schichten
eine gelblich bis bräunlich lasierte Oberfläche auf.
die Nadel zurückgezogen und das Punktierkreuz
anzunehmen, dass er einzelne Werke auch direkt in
verbinden sich unzureichend oder gar nicht. Auch
Einerseits kann dies eine bewusste Farbfassung
auf den steinernen Werkblock umgesetzt. Durch
Gips fertigte oder eine Grundform goss, die er un-
Hildebrand hatte mit diesem Problem zu kämpfen,
und damit die Imitation eines Materials darstellen,
die Nadelposition kann dann bestimmt werden, wie
ter Hinzufügung von Gips oder anderen Materialien
was sich in schichtparallelen Ausbrüchen bei eini-
andererseits kann die Fassung auch rein praktisch
weit der Stein an dieser Stelle des Blocks noch ab-
weiter veränderte. Ausgehärteter Gips lässt sich
gen Gipsmodellen zeigt.
in Form eines Schellack- oder Leimüberzugs auf-
getragen werden muss. Je mehr Punkte gemessen
leicht bearbeiten und war deshalb bei vielen Bild-
Um die gegossenen Porträts goss Hildebrand erst
gebracht worden sein, die als Trennschicht bei der
und übertragen werden, desto genauer wird die
hauern ein häufig verwendetes Material. Lediglich
in einem weiteren Schritt den Reliefgrund in eine
Anfertigung einer Abgussform vonnöten ist.
Kopie. Im 19. Jahrhundert wurde die Punktierung
das Anfügen von frischem Gips auf eine schon aus-
flache Form. Dies zeigt sich heute in einer feinen
Beispielhaft für die weitere Gestaltung einer Gipsfi-
oft von Gehilfen ausgeführt. Lediglich die letzte,
gehärtete Gipsschicht bereitet größere Probleme,
Fuge um das Porträt. In Ausbrüchen sieht man
gur ist das Modell für die Junge Jägerin (B 477). Es
abschließende Bearbeitung der Oberfläche führte
da der Untergrund zuvor gewässert und meist noch
auch, dass die Kanten der Porträts mit scharfen
handelt sich um einen aufwendigen, etwa 80 Zen-
der Künstler selbst aus. Dieser Methode bedienten
zusätzlich angeraut werden muss, um eine Haftung
Werkzeugen kreuzförmig angeritzt wurden, um die
timeter hohen Gipsguss einer schreitenden jungen
sich Antonio Canova, Bertel Thorvaldsen, Johann
zu gewährleisten. Auch dieses Vorgehen kann man
Haftung des frischen Gipses zu gewährleisten. Eine
Frau. Ein Sockel aus massivem Gips stabilisiert die
Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch, und
auf der Oberfläche einiger Modelle Hildebrands ab-
Wässerung erscheint aber auch hier unabdingbar
Plastik. Arme und Beine werden durch ein Skelett
sie blieb bis weit über die erste Hälfte des 19. Jahr-
lesen, da sie Spuren einer Bearbeitung im noch
gewesen zu sein. Bei einigen Reliefs ist auch der
aus etwa 2 Zentimeter starkem Rundstahl armiert.
hunderts hinaus gebräuchlich, bis Hildebrand wie-
weichen Gips durch Holzspatel oder ähnliches auf-
profilierte Rand nachträglich angetragen und teils
Vermutlich finden sich auch im Inneren des Korpus
der das freie Arbeiten in Stein theoretisch fundierte
weisen. Dass die Haftung des Gipses Hildebrand
zusätzlich durch kleine Eisenstifte mit der Hinter-
zusätzliche Armierungen. Die Oberfläche des Gipses
und praktisch ausübte.10
manchmal aber auch nicht gelang, zeigt sich vor
grundfläche verbunden. Aus einem solchen »zu-
ist nachträglich bearbeitet und geschliffen. Sie zeigt
Nach Angela Hass war Hildebrand der erste Künst-
allem an einigen Porträtreliefs.
sammengesetzten« Gipsmodell konnte dann wieder
keinerlei Spuren des Gussvorgangs in Form von
ler des 19. Jahrhunderts, der den künstlerischen
Die Porträtreliefs der Sammlung sind alle in meh-
eine einheitliche Form für einen weiteren Gipsab-
Nähten oder Fugen. Je nach Größe und Komplexi-
Prozess am Stein selbstständig durchführte. Zu
reren Schritten gegossen. Das Porträt selbst goss
guss oder einen Bronzeguss erstellt werden.
tät mussten solche Abgüsse aber auch aus mehre-
Beginn seiner Karriere punktierte Hildebrand die
Hildebrand in eine Negativform – meist ausgehend
Stabilität bei seinen Gipsabgüssen erreichte Hilde-
ren Teilen zusammengefügt werden. Deshalb finden
Steinblöcke sogar noch selbst vor Ort zum Beispiel
von einem Tonmodell, wie der weiche Kantenver-
brand durch das Einlegen von grobem Leinen- oder
sich oft Fugen an den Oberarmen oder abgeschlif-
in Carrara. Dies ist auch von anderen Künstlern sei-
lauf der Werkzeugspuren zeigt. Der Gipsguss ist
Hanfgewebe (Rupfen) in den flüssigen Gips. Mini-
fene Gussnähte am Kopf, die entstehen, wenn zwei
ner Zeit bekannt. Später besorgten das grobe Vor-
dabei immer mehrlagig. Üblicherweise wird für
mal unterschiedliche Färbungen der Gipsschichten
Formstücke aufeinanderstoßen. Die Junge Jägerin
punktieren wohl seine Gehilfen.11 Über die Punk-
einen Guss die Form erst sehr dünn mit flüssigem
innerhalb eines Abgusses weisen auch auf Zusätze
wurde dann nachträglich noch weiter verändert.
tierung an seinen eigenen Gipsmodellen schrieb er
Gips ausgestrichen, um jede Vertiefung und jedes
im Gips hin, womit er das Abbindeverhalten ver-
Mit weichem Ton modellierte Hildebrand ihr ein
1891 in einem Brief an Paul Schumann und nannte
Detail mitaufzunehmen. In einem zweiten Schritt
zögern oder beschleunigen, aber auch die Härte
faltenreiches Gewand um den Körper. Ob daraus
es »freieres Steinarbeiten«, »wobei nur ein Punc-
wird dann eine etwas dickflüssigere Gipsmasse in
des Gips beeinflussen konnte. Größere Gipsstudien
ein weiterer Abguss der Skulptur mit Gewand aus-
tiren im Allgemeinen stattgefunden hat und wobei
die Form gebracht und durch Schwenken verteilt.
oder Modellreliefs für baugebundene Kunstwerke
geführt wurde, ist nicht belegt. Die Oberfläche ist
die Punkte nicht präcise gesetzt werden, sondern
Wichtig ist dabei, dass keine Lufteinschlüsse im
versteifte Hildebrand rückseitig noch zusätzlich mit
jedoch mit kleinen Kreuzen markiert und wurde
mehr oder weniger Marmor noch unterhalb des
Gips entstehen, die sich später als unschöne Bla-
Holzlatten, welche er im Gussprozess teils mit ein-
daher wohl direkt aus diesem Zustand heraus ver-
Punktes stehen gelassen wird. In diesem Fall dien-
sen an der Oberfläche abzeichnen. Durch Rüttel-
arbeitete oder aber nachträglich anbrachte.
mittels Punktierung in Stein übertragen.
te das Modell Hildebrand nur als Hilfsmodell und
bewegungen sowie kurzes Ruhen des Gipses lässt
Die Oberflächen vieler Gipsarbeiten, vor allem die
Zwar propagierte Hildebrand das freie Bearbeiten
die endgültige Formgebung wird erst während der
sich dieses Risiko jedoch minimieren. Weitere Gips-
für Architekturen und Denkmäler, wurden von Hil-
in Stein und führte dies von 1880 bis zu seinem
Steinarbeit gesucht und festgestellt.«12
schichten können nachfolgend eingebracht werden,
debrand farbig gestaltet. Architekturmodelle sind in
Schlaganfall im Jahr 1910 auch aus, sehr viele
Einige Gipsbüsten Hildebrands weisen an prägnan-
je nach gewünschter Dicke des Abgusses. Soll der
ihren Bestandteilen flächig lasierend gefasst (zum
seiner Gipsmodelle weisen jedoch eine punktier-
ten Stellen auf die Oberfläche eingegipste Eisenstif-
Guss aber hohl und somit leicht bleiben, kann auch
Beispiel Fenster, Dächer, Zierelemente usw.), um
te Oberfläche in Form von Kreuzen oder Punkten
te auf. Sie dienten zur Grobbossierung des Stein-
schon die zweite Lage Gips aus einer sehr dickflüs-
einen realistischen Eindruck des Gebäudes oder
9
mit Bleistift auf. Die Punktierung ermöglicht eine
blocks. Andere Werke aus Gips sind hingegen sehr
22 Der Werkprozess
engmaschig mit Punktierkreuzen oder Punkten aus Bleistift versehen und deuten auf eine genaue Übertragung hin. Eventuell fallen diese Werke in seine von Krankheit gekennzeichnete spätere Schaffensphase, in der seine Gehilfen die Arbeiten in Stein ausführten. Hildebrands steinerne Objekte in der Sammlung zeigen fast alle deutlich sichtbare, teils auch grobe Werkzeugspuren von Zahn- oder Spitzeisen auf der Oberfläche, womit auch dem eigentlichen Kunstwerk der Charakter eines Non-finitos anhaftet. Oftmals ist es deshalb schwer zu unterscheiden, ob ein
Katalog der Skulpturen
Objekt aus Gips das Modell für oder lediglich die Kopie nach einem steinernen Kunstwerk darstellt. Doch genau diese Vielfältigkeit in der Verwendung der Materialien in allen Stadien, von der Tonstudie über das Gipsmodell hin zu einem Bronzeguss oder einem Werk in Stein, die wiederum Gipskopien nach sich ziehen kann, macht die Sammlung an Werken des Künstlers Adolf von Hildebrand in der Neuen Pinakothek so bedeutsam. An ihr lässt sich exemplarisch das Schaffen des Künstlers und der Werkprozess von der Studie über das Modell bis hin
Vorbemerkung zum Katalog
zum vollendeten Kunstwerk anschaulich aufzeigen.
Zur besseren Übersicht sind die Inventarnummern im Index des Anhangs in aufsteigender Reihenfolge aufgeführt. Im Katalog sind die Werke innerhalb der einzelnen
Anmerkungen
Kategorien nach Datierung geordnet, bei Werkgruppen
1
Hass 1984, S. 43.
aufsteigend nach Inventarnummern unter Beibehaltung
2
Hufschmidt 1995, S. 26.
von Sinneinheiten (Ganzes vor Teilen, Bozzetti vor Mo-
3
Laut Hass hinterließ Hildebrand nur etwa
dellen usw.). Ausnahmen bilden die »Vollendeten Werke«
70 Porträtzeichnungen, von denen wiederum nur
und die »Bildnisse«, die alphabetisch nach den Namen
die wenigsten als Vorbild für plastische Porträts
der Dargestellten sortiert sind. Bei unterschiedlichen Dar-
dienten. Vgl. Hass 1984, S. 47.
stellungstypen werden zunächst die Bildnisreliefs, dann
4
Hass 1984, S. 47.
die Bildnisbüsten und schließlich die Halbkörperbüsten
5
Hass 1984, S. 37; Hildebrand 1969, S. 261.
behandelt. Die Datierung der Werke folgt grundsätzlich
6
Hass 1984, S. 37.
dem ersten und nur ein Jahr nach dem Tod des Künstlers
7
Maaz 1993, S. 14.
entstandenen Werkverzeichnis von Alexander Heilmeyer
8
Im Inneren der Büsten und auf den Rückseiten
aus dem Jahr 1922. Präzisierende oder abweichende
der Reliefs sind meist deutliche Fingerspuren vom
Datierungen werden im Text erläutert, wobei die Datie-
Verstreichen der frischen Gipsmasse zu sehen.
rung Heilmeyers stets als Referenz angegeben wird.
9
Hass 1984, S. 44.
Bei mehreren Porträts einer Person ist eine Kurzbiografie
10
Hass 1984, S. 44.
vorangestellt. Die Kurzbiografien folgen, wenn nicht ge-
11
Hass 1984, S. 45.
sondert angegeben, in den Grunddaten den Einträgen der
12
Hass 1984, S. 44, zit. nach Sattler 1962, S. 368.
Neuen Deutschen Biographie (s. Literaturverzeichnis).
24
I. Vollendete Werke
25
Ausstellung 1947 Bayerisches Nationalmuseum,
weise den größten Einfluß hat.«2 Schon 1873 hat-
München
ten Hildebrand und Hans von Marées bei der Aus-
Bibliografie Heilmeyer 1902, S. 67, Abb. 45 (als
malung der Bibliothek der Zoologischen Station in
»Der Fischer«); Heilmeyer 1922, S. 23, Taf. 12; Mar-
Neapel in dem Fresko Ausfahrt der Fischer einen
tin 1960, S. 226, Abb. 2; Braunfels 1962, S. 74 f.,
solchen, nur mit einem weißen Lendentuch beklei-
Abb.; Brüggen-Rechberg 1980, F 8 (Studie zu Fresko
deten netztragenden Fischer dargestellt.3 Als Ent-
von 1873?); Mus.-Kat. München 1989a, S. 134, Abb.;
würfe Hildebrands für die Skulptur haben sich eine
Esche-Braunfels 1993, S. 81–84, Abb. 82, 85; Mus.-
an Michelangelos Sklaven erinnernde Zeichnung in
Kat. München 1999, S. 90, Abb.; Mus.-Kat. München
Privatbesitz4 sowie ein schematischer Gipsbozzetto
2003a, S. 158, Abb.; Ernsting 2012, S. 161, 163
in den Staatlichen Kunstsammlungen Kassel5 erhalten. Mit dem Netzträger erprobte Hildebrand zum
Werk
Der männliche Akt hat sich ein bis auf den
ersten Mal sein Prinzip der schichtweisen Freile-
Boden reichendes Netz auf seinen Rücken geladen.
gung einer Skulptur, weshalb dem Werk eine zen-
Trotz der offensichtlichen Größe scheint es jedoch
trale Stellung in seinem Schaffen zukommt. In der
nur wenig Gewicht zu besitzen, denn er stützt es
Offenlegung seiner Technik durch die sichtbaren
von unten lediglich mit seinem ausgestreckten rech-
Bearbeitungsspuren diente es als Beweis der eige-
ten Arm. Die linke Hand hat er hingegen über sei-
nen Theorie und verblieb deshalb in seinem Besitz.
nen Kopf hinweg auf das obere Ende des Netzes
Bemerkenswert ist die bis heute erhaltene hellgel-
gelegt, so dass es nicht zur Seite wegrutschen kann.
be, wohl einen Hautton imitierende Lasur der Figur.
Nur der breite Stand mit dem leicht ausgestellten
Sie konterkariert den Eindruck eines Non-finito-
linken Bein verdeutlicht die zu tragende Last. Die
Werkes, unterstreicht aber die persönliche Bedeu-
kaum greifbare Beschaffenheit des grob aus dem
tung des Werkes für Hildebrand und seine theore-
Stein geschlagenen Netzes kontrastiert dabei mit
tischen Überlegungen. Im Jahr 1908/09 adaptierte
dem detailreich ausgearbeiteten Körper des jungen
Hildebrands Schüler Theodor Georgii den Netzträ-
Mannes, dessen sinnender Blick seiner Arbeit einen
ger für die skulpturale Ausstattung des Konzert-
verklärenden, fast meditativen Moment verleiht.
saals im Park der Villa Boveri in Baden (Schweiz),
Durch das Studium der unvollendeten Werke
wobei die körperlich kräftigere Figur den realis-
Michelangelos angeregt, versuchte Adolf von Hil-
tischen Moment des Tragens einer schweren Last
debrand in den späten 1890er-Jahren, seine voll-
stärker in den Vordergrund rückt.6
plastischen Skulpturen aus dem Relief heraus zu schaffen. Später hielt er dieses Prinzip in seiner
Anmerkungen
B 88
kunsttheoretischen Schrift Problem der Form in der
1
Hildebrand 1969, S. 257 f.
Bavaria (Bildnis einer jungen Frau)
bildenden Kunst in dem Kapitel zur Bildhauerei in
2
Zit. nach Sattler 1962, S. 359.
1917
Eine lebensgroße Studie der drei Netzträger von
1
Stein fest. Dem Diktum des Florentiner Meisters
3
folgend, dass die vollendete Skulptur wie in Was-
Hans von Marées befand sich zeitweilig im Besitz
Befund Eisenguss. Ohne Fassung. 72 × 27 × 20 cm
B 367
ser läge und dieses nur nach und nach abgelassen
von Adolf von Hildebrand in San Francesco di Paola
Inschrift
Der Netzträger
werden müsse, wollte auch Hildebrand seine Figur
in Florenz und wurde von diesem 1907 an die Na-
Provenienz 1920 vom Künstler erworben
1886
schichtweise – wie bei der Arbeit an einem Relief –
tionalgalerie in Berlin abgegeben. Vgl. Meier-Grae-
Ausstellungen
freilegen. So schrieb er am 11. Februar 1891 an den
fe 1909/10, Bd. 2, Nr. 207; Esche-Braunfels 1993,
um, München; 1972 Münchner Stadtmuseum, Mün-
Zoologen Nikolaus Kleinenberg in Neapel: »Seitdem
Abb. 84.
chen; 1991 Shepherd Gallery, New York
Sie hier waren, habe ich nur direct in Stein ge-
4
Esche-Braunfels 1993, Abb. 83.
Bibliografie
nochrome hellgelbe Lasur. 147,1 × 58,4 × 56,8 cm
arbeitet […]. Ich bin auf diese Weise auch zu ganz
5
Esche-Braunfels 1993, Abb. 1028.
1947, Abb. 12; Ausst.-Kat. München 1972, Nr. 2046;
Provenienz 1960 aus dem Nachlass des Künstlers
runden Figuren gekommen, immer aus dem Relief
6
Stefani 2013, S. 593, Abb. 351.
Hass 1984, Nr. 233, Abb., Ausst.-Kat. New York
erworben (s. auch S. 15)
heraus, was auf die Conception und Erscheinungs-
Befund
Marmor, eventuell Fuge an Schulter und
Hüfte, ansonsten aus einem Block geschlagen. Mo-
Sockel vorne: BAVARIA 1947 Bayerisches Nationalmuse-
Heilmeyer 1922, S. 30; Hausenstein
1991, Nr. 25, Abb. S. 71
27
26 Vollendete Werke
Über die namentlich unbekannte junge Frau, die
B 253
Hildebrand hier Modell stand, erfahren wir in
Luitpold, Prinzregent von Bayern (1821–1912)
einem Brief des Bildhauers an Kronprinz Rupprecht
1900
vom 26. April 1917: »Hier lege ich Fotografien eines Porträts bei, das ich kürzlich gemacht. Ein solch
Befund
griechischen Kopf bei einer Regensburgerin zu fin-
Signatur
Unter der Halskante: AH (ligiert)
den, ist doch merkwürdig. Ich sah sie im Tram und
Inschrift
Relieffeld oben: Wappen (stehender
bat sie zu sitzen. Sie entpuppte sich als eine Schnei-
Löwe der Pfalz [seitenverkehrt]) MDCCCC Wappen
derin, die wohl eine Rolle als Schönheit in München
(Rauten der Grafen von Bogen). Relieffeld unten:
gespielt hat und einen Balten zu heirathen hoffte,
LUITPOLD / PRINZ REGENT v BAIERN
der jetzt aber in Rußland von ihr abgeschnitten ist.
Provenienz 1949 von Hans von Plessen, Potsdam,
Ob solcher Typus in Niederbayern noch aus Römer-
erworben; Vorbesitzer unbekannt
zeiten stammt, wo am Ende wohl auch Griechen
Ausstellung 1972 Münchner Stadtmuseum, Mün-
unter den Soldaten waren – denn römisch ist der
chen
1
Bronzeguss. 58,5 × 40 × 5,7 cm
Bibliografie Ausst.-Kat. München 1900, Nr. 359 a;
Typ nicht.«
Heilmeyer 1902, S. 93, Abb. 90; Bildnis-Plaketten Werk Medusenhaft umspielen die vollen Haare in
1920, Nr. 6 (mit Jahreszahl MDCCCCXI); Heilmeyer
plastisch geformten Wellen das Gesicht der jungen
1922, S. 33, Taf. 32; Ausst.-Kat. München 1972,
Frau. Die niedrige Stirn geht – dem Ideal antiker
Nr. 2053; Hass 1984, Nr. 132 a, Abb.; Esche-Braun-
Skulptur folgend – in einer Linie in die gerade Nase
fels 1993, S. 445, Abb. 736
über. Kurze Brauen überfangen die großen Augen mit den nach außen hin leicht absinkenden Lidern.
Luitpold wurde als dritter Sohn von König Lud-
Der kleine, wenig geöffnete Mund wird von deutlich
wig I. von Bayern geboren. Mit 14 Jahren schlug
konturierten Wangen betont.
er die Militärlaufbahn ein und war später für
mentalbaukommission und erhob ihn 1903 in den
Bavaria, die allegorische Gestalt Bayerns, erscheint
die Reorganisation der Bayerischen Armee nach
Ritterstand. Das Reiterdenkmal des Prinzregen-
hier als ungezähmte, griechisch anmutende Amazo-
der Niederlage gegen Preußen 1866 verantwort-
ten (B 598) vor dem Bayerischen Nationalmuseum
ne, wie sie auch Leo von Klenze 1824 in seinen ers-
lich. Schon in dieser Zeit vertrat er seinen seit
schuf Hildebrand von 1903 bis 1908.
B 609
1848 regierenden Bruder König Maximilian II.
tale Statue an der Theresienwiese vorsah. Bereits
Bavaria (Bildnis einer jungen Frau)
und nach dessen Tod 1864 auch seinen Neffen,
Werk Das hochrechteckige Bildnisrelief zeigt Luit-
1623 wird die Bavaria in der von Hans Krumper
1917
König Ludwig II. Im Jahr 1886 übernahm er die
pold von Bayern im Profil nach rechts. Das Relief-
Regentschaft für Ludwig II., der zuvor aufgrund
feld wird von einem schmalen Rahmen eingefasst.
einer »Seelenstörung« entmündigt worden war.
Unter diesem findet sich eine breite Leiste, die mit
ten, unverwirklichten Entwürfen für die monumen2
geschaffenen und durch Krone und Reichsapfel nobilitierten Göttin Diana – dem römischen Äquivalent
Befund
Marmor, aus einem Block gearbeitet.
der griechischen Artemis – greifbar, die auf ihrem
Ohne Fassung. 76,5 × 43,8 × 46,3 cm
Nach Ludwigs Tod im selben Jahr fiel ihm auch
drei runden Zierbeschlägen besetzt ist. Das Ant-
Rundtempel über dem Hofgarten der Münchner Re-
Provenienz 1969 als Schenkung aus dem Nach-
die Regentschaft für dessen seelisch erkrankten
litz und der Hals des fast 80-jährigen Prinzregen-
sidenz thront. Die Begeisterung des 19. Jahrhun-
lass des Künstlers erworben
Bruder Otto zu. Die Regierungsgeschäfte überließ
ten sind von tiefen Falten gezeichnet. Über seiner
derts für das antike Griechenland wurde vor allem
Bibliografie
er zum Großteil seinen liberalen und der preußi-
gewölbten Stirn mit den hohen Geheimratsecken
durch König Ludwig I. gefördert, der München zu
Nr. 233
schen Politik wohlgesinnten Ministern. Die nach
werfen sich die dünner werdenden Haare zu einer
Heilmeyer 1922, S. 30; Hass 1984,
Luitpold benannte »Prinzregentenzeit« ging auf-
kleinen Welle auf. Der voluminöse Vollbart wogt
Werk Die Bildnisbüste einer jungen Frau, genannt
grund des wirtschaftlichen Aufschwungs als Pha-
hingegen in wilden Locken um sein Kinn und ver-
Anmerkungen
Bavaria, entspricht als vergrößerte Darstellung der
se des Friedens und der kulturellen Blüte in die
leiht ihm – an einen griechischen Philosophen erin-
1
Zit. nach Sattler 1962, S. 660.
Bildnisbüste B 88.
bayerische Geschichte ein. Luitpold förderte nicht
nernd – ein besonders würdiges Aussehen.
2
Larsson 1988, S. 50–55.
einem »Athen an der Isar« machen wollte.
nur Maler wie Franz von Lenbach oder Ferdinand von Miller, sondern auch Bildhauer wie Adolf von Hildebrand. Diesen berief er 1901 in die Monu-
29
28 Vollendete Werke
führten in ihn bis nach Asien, aber vor allem auch
moderne Büste der Prinzessin in der Ruhmeshal-
nach Italien, wo er eine umfangreiche Sammlung
le in München.
an Renaissancekunst erwarb. Mit Adolf von Hildebrand verband ihn durch gemeinsame künstleri-
Werk Das Relieftondo zeigt Therese von Bayern
sche und kulturelle Interessen eine enge Freund-
im Profil nach links. Die in wenigen Linien angedeu-
schaft. Die Korrespondenz mit dem Kronprinzen
teten Haare sind am Hinterkopf zu einem straffen
gilt dabei als eine der wichtigsten Quellen für das
Knoten zusammengebunden. Die hohe, leicht ge-
Leben und Schaffen des Bildhauers. Es entstanden
wölbte Stirn und die ebenmäßige Nase dominieren
auch zahlreiche Werke im Auftrag Rupprechts, wie
die kurze Mundpartie mit dem markanten, etwas
zum Beispiel die Porträts seiner früh verstorbenen
nach vorn springenden Kinn.
Gattin Marie Gabriele in Bayern (B 462, B 499). Als
Das Bildnis entstand als Modell für einen verklei-
erklärter Gegner des Nationalsozialismus exilier-
nerten Abguss in Silber, der zusammen mit den
te er 1936 nach Italien und kehrte erst nach dem
Porträts der Prinzen Ludwig, Leopold und Arnulf
Zweiten Weltkrieg nach München zurück, wo er
in die Türen eines Altärchens integriert wurde, das
1955 verstarb.
Prinzregent Luitpold 1901 als Geschenk zu seinem 80. Geburtstag erhielt.1
Werk
Die Halbkörperbüste zeigt Rupprecht von
B 731
Bayern im Uniformrock eines Generaloberst mit
Therese Prinzessin von Bayern (1850–1925)
Anmerkung
drei Sternen auf den Epauletten sowie dem Groß-
1901
1
Hass 1984, S. 148.
kreuz des 1866 von König Ludwig II. gestifteten B 75 Rupprecht, Kronprinz von Bayern (1869–1955) 1915
1
Militärverdienstordens um den Hals. Das aufrechte,
Befund Bronzeguss, vermutlich nach Gipsmodell.
leicht nach rechts gewendete Haupt wird von den
Werkzeugspuren, abgeschliffene Luftlöcher des
kurzen, in den Geheimratsecken bereits zurück-
Gussvorgangs. Ohne Fassung. 43 × 23,5 × 27,2 cm
B 70
gewichenen Haaren umspielt, die flach auf seine
Inschrift
Der Verleger Friedrich Bruckmann (1814–1898)
Relieffeld links, erhaben gearbeitet:
hohe Stirn fallen. Auf seine markante Nase folgt ein
THERESE
Befund Bronzeguss. 83 × 52 × 24 cm
akkurat getrimmter Schnauzer um den schmalen
Provenienz 1969 als Schenkung aus dem Nach-
Inschrift
Mund. Sein Antlitz wird jedoch von den entschlos-
lass des Künstlers erworben
Befund Bronzeguss. 48,2 × 36,3 × 5,6 cm
sen in die Ferne blickenden Augen bestimmt.
Bibliografie
Signatur Relieffeld unten rechts, im Modell ein-
Die Büste entstand 1915 für eine ovale Wandnische
Hass 1984, Nr. 135
Indextafel: RUPPRECHT / KRONPRINZ
von BAYERN Provenienz
1915 auf der Kunstausstellung der
1892
Brüggen-Rechberg 1980, R 49, 50;
geritzt: A. Hildebrand / München 1892
Münchener Secession erworben
und war ursprünglich zur Aufstellung in einem Mili-
Ausstellung 1915 Königliches Kunstausstellungs-
tärkasino gedacht.2 Der im selben Jahr auf der Aus-
Prinzessin Therese war die einzige Tochter von
FRIEDRICH BRUCKMANN
gebäude am Königsplatz, München
stellung der Münchener Secession gezeigte Bron-
Prinzregent Luitpold von Bayern und seiner Ge-
Provenienz 1914 als Schenkung von Alfred Schaeuf-
Bibliografie Ausst.-Kat. München 1915, Nr. 513,
zeguss wurde jedoch mit dem Einverständnis des
mahlin Auguste Ferdinande von Österreich. Sie
felen, München, erworben; zuvor wahrscheinlich aus
Abb. 1; Heilmeyer 1922, S. 27 (als »Eisenbüste«);
Kronprinzen an die Pinakotheken verkauft. Der re-
blieb zeitlebens unverheiratet und begeisterte sich
dem Besitz von Bruckmanns Tochter Eugenie in die
Sattler 1962, S. 624; Hass 1984, Nr. 223, Abb.;
präsentative Charakter der Bürste wird dabei nicht
schon früh sowohl für die Natur- als auch die So-
Ehe mit Alfred Schaeuffelen übergegangen
Esche-Braunfels 1993, S. 441
nur in den fast heroischen Zügen des Kronprinzen
zialwissenschaften, die sie im Selbststudium er-
Bibliografie
sichtbar, sondern vor allem auch in der detailreich
lernte. Sie unternahm ausgedehnte Reisen durch
Nr. 88, Abb.; Esche-Braunfels 1993, S. 450, Abb. 751
wiedergegebenen Uniform.
Europa, Nordafrika, Russland, Nord- und Südame-
Als ältester Sohn Ludwigs III., des letzten regierenden Königs von Bayern, besuchte Rupprecht als
Inschrift Inschriftenleiste unten, im Guss graviert:
Heilmeyer 1922, S. 32; Hass 1984,
rika, die sie auch akribisch dokumentierte und
Der aus Deutz stammende Friedrich Bruckmann ab-
erster Prinz aus dem Hause Wittelsbach ein öffent-
Anmerkungen
teilweise noch zu Lebzeiten publizierte. Im Jahr
solvierte eine Ausbildung an der Manufacture royale
liches Gymnasium. In der Bayerischen Armee stieg
1
1892 wurde sie als Ehrenmitglied in die Bayeri-
de porcelaine in Sèvres und gründete 1835 eine Por-
Bei Heilmeyer 1922, S. 27, als »Eisenbüste« auf
er bis zum Rang eines Generalfeldmarschalls auf
»1909« datiert.
sche Akademie der Wissenschaften aufgenommen
zellanmanufaktur in seiner Heimatstadt. In Frankfurt
und befehligte im Ersten Weltkrieg die 6. Armee
2
und erhielt 1897 von der Münchner Universität
am Main rief er 1858 den Verlag für Kunst und Wis-
die Ehrendoktorwürde. Seit April 2009 steht eine
senschaft ins Leben und zeigte sich dabei vor allem
an der Westfront in Lothringen. Zahlreiche Reisen
Hass 1984, S. 206.
31
30 Vollendete Werke
B 295
hohen Geheimratsecken überfangen die niedrige
Der Kunsttheoretiker und Mäzen Konrad Fiedler
Stirn des Gelehrten. Markant ist auch der gezwir-
(1841–1895)
belte Schnauzer, der sich in dem mittig gescheitel-
1874/751
ten und zur Seite gekämmten Bart spiegelt. Die Marmorbüste entstand wohl Ende 1874 oder zu
Befund Weißer Marmor, aus einem Block gearbei-
Beginn des Jahres 1875, als Fiedler bei Hildebrand
tet. Feine Schleifspuren, Oberfläche poliert. Ohne
in dem von ihm unlängst erworbenen Kloster San
Fassung. 44,2 × 26,6 × 24,5 cm
Francesco di Paola in Florenz weilte. Bereits zu
Provenienz 1952 von Dr. Werner Teupser, Mün-
Weihnachten 1874 wurde eine heute verloren ge-
chen, erworben; 1919–1952 Verbleib unbekannt;
gangene Porträtbüste – wahrscheinlich die Vorlage
spätestens 7.7.1902 im Besitz von Mary Levi (1854–
zu dieser – an Fiedlers Mutter nach Leipzig gesandt,
1919), verw. Fiedler (Vertrag über verschiedene
die diese euphorisch aufnahm.4
Schenkungen an Königliche Museen Berlin) und einem ihrer Schwager (Philipp Fiedler oder Wil-
Anmerkungen
2
helm Levi, ab 1869 gen. Lindeck) , zunächst im Be-
1
Bei Heilmeyer 1922, S. 25, auf »1874« datiert.
sitz von Mary und Konrad Fiedler
2
Schriftliche Mitteilung von Michaela Hissein-Wie-
Ausstellung
1971 Kunsthalle, Nürnberg
demann, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu
Bibliografie
Heilmeyer 1902, S. 63, Abb. 35;
Berlin, 16.12.2020.
Heilmeyer 1922, S. 25; Hass 1984, Nr. 14, Abb.;
3
auf dem Gebiet der Kunstreproduktion besonders in-
Mus.-Kat. München 1989a, S. 135, Abb.; Mus.-Kat.
brand vom 6. November 1870, Sattler 1962, S. 109.
novativ. Im Jahr 1863 ließ sich der Bruckmann Verlag
München 1989b, S. 76, Abb.; Esche-Braunfels 1993,
4
in München nieder und erweiterte sein Programm
S. 436, Abb. 706; Mus.-Kat. München 1999, S. 90,
bald um Reise- und Alpinliteratur, die bis heute den
Abb. S. 8; Mus.-Kat. München 2003a, S. 157, Abb.;
der Form in der bildenden Kunst von 1893. Fiedler
Schwerpunkt des Verlages darstellt. Bruckmanns
Mus.-Kat. München 2003b, S. 361, Abb. 9; Ernsting
unterstützte zahlreiche Künstler finanziell, wie bei-
B 467
2012, S. 163; Erhardt 2018, S. 84, Abb. 26
spielsweise Hans von Marées. Bereits 1870 erhielt
Maria Fiedler (1819–1901),
Hildebrand von Fiedler einen ersten Auftrag für zwei
die Mutter Konrad Fiedlers
1
Tochter Eugenie heiratete 1868 Alfred Schaeuffelen , den Bruder von Hildebrands Frau Irene.
3
Konrad Fiedler war der Sohn eines wohlhabenden
gänzlich frei zu gestaltende Figuren , die er 1873 in
Werk Auf dem hochrechteckigen Bildnisrelief ist
Tuchfabrikanten aus Leipzig, studierte Rechtswissen-
dem Trinkenden Knaben und dem Schlafender Hir-
Brief Adolf von Hildebrands an Clementine HildeHass 1984, S. 66.
1915/161
Friedrich Bruckmann im Profil nach links darge-
schaften in Lausanne sowie in Heidelberg und wur-
tenjungen verwirklichte. Mit diesen Werken trat Hil-
Befund
stellt. Das Relieffeld wird von einem schmalen Rah-
de 1865 promoviert. Schon ein Jahr später wandte
debrand auf der Wiener Weltausstellung im selben
siert. 68,4 × 54,3 × 46,5 cm
Ton, vor dem Brand frei modelliert. Gla-
men mit eingestellten Viertelsäulen in renaissance-
er sich jedoch ausschließlich der Betrachtung der
Jahr zum ersten Mal vor einer breiten Öffentlichkeit
Provenienz 1969 als Schenkung aus dem Nach-
hafter Anmutung nobilitiert. Sein hager wirkender
Kunst zu und unternahm 1867 eine erste Reise nach
auf. Nachdem Hildebrand 1874 das ehemalige Klos-
lass des Künstlers erworben
Kopf zeichnet sich durch eine hohe Stirn, eine flei-
Italien. Dort lernte er in Rom den noch unbekann-
ter San Francesco di Paolo in Florenz erworben hat-
Ausstellungen
schige Nase, einen schmalen Mund und einen seh-
ten Hans von Marées und den erst 21-jährigen Adolf
te, besuchte ihn Fiedler zum Ende des Jahres und
München; 1987/88 Haus der Kunst, München; 1988
nigen Hals aus. Die markanten Züge werden durch
von Hildebrand kennen. Zu Fiedlers Freundeskreis
saß ihm zum ersten Mal Modell für ein Porträt. 1867
Galleria Nazionale d’Arte Moderna e Contempora-
die enganliegenden, kaum aus dem Relief heraus-
zählten ebenso Arnold Böcklin, Hans Thoma oder die
heiratete Fiedler Mary Meyer, die Tochter des Kunst-
nea, Rom
tretenden Haare und den zum Kinn hin spitz zulau-
Familie Richard Wagners. Fiedler verfasste mehrere
historikers Julius Meyer, und ließ sich mit ihr 1880
Bibliografie
fenden Bart noch unterstrichen. Die tiefliegenden,
für die Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts bedeut-
in München nieder. Er starb 1895 unter ungeklär-
Heilmeyer 1922, S. 29, Taf. 8; Hausenstein 1947,
kleinen Augen mit den fein gezeichneten Fältchen
same Schriften, wie 1887 Über den Ursprung der
ten Umständen nach dem Sturz aus einem Fenster.
Abb. 8; Osten 1961, S. 91; Ausst.-Kat. München
vermitteln dabei einen ernsten und entschlossenen
künstlerischen Tätigkeit. Ein Ziel seiner Überlegun-
Eindruck.
gen war es, erkenntnistheoretische Erklärungen für
Werk Hildebrand stellt seinen Freund und Förde-
Abb. 10; Hass 1984, Nr. 43 a, Abb.; Ausst.-Kat. Mün-
1972 Münchner Stadtmuseum,
Heilmeyer 1902, S. 38 f., Abb. 11;
1972, Nr. 2047, Abb. 146; Rheims 1977, S. 88,
die Gesetzmäßigkeiten des künstlerischen Schaffens
rer Konrad Fiedler in der Kastenbüste mit erhobe-
chen 1987, Nr. P 7, Abb.; Ausst.-Kat. Rom 1988,
Anmerkung
zu finden. Seine Ansichten beeinflussten auch Hilde-
nem Haupt und schmalen, in die Ferne schweifen-
Nr. 142, Abb.; Esche-Braunfels 1993, S. 448 f.,
1
brands Denken, vor allem dessen Schrift Das Problem
den Augen dar. Die flach anliegenden Haare mit den
Abb. 740
Vgl. Sattler 1962, Anm. 210.
33
32 Vollendete Werke
gen nach links. Dies trägt ebenso wie ihr leichtes
reichen bauplastischen Werken arbeitete er mit
Lächeln zur Lebendigkeit der Darstellung bei. Ihre
bekannten Architekten wie Theodor Fischer, Jo-
präsente Körperlichkeit strahlt hingegen mütterli-
sef Lang oder Richard Riemerschmid zusammen.
che Fürsorge aus.
Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen die Fi-
Konrad Fiedler gab das Bildnis seiner Mutter selbst
guren auf den Giebeln des Bayerischen National-
in Auftrag, weshalb Hildebrand im Sommer 1882
museums.
auf das Landgut der Fiedlers nach Crostewitz reiste.2 Der Bildhauer fertigte gleich zwei Modelle an,
Werk Die auf einem zweifach gestuften Marmorso-
die im August des Jahres vollendet und im Oktober
ckel montierte Bildnisbüste zeigt Josef Floßmann mit
für den Brand zu einem Töpfer nach Leipzig ge-
üppigem Haupthaar, das in plastisch modellierten Lo-
schickt wurden. Mit dem Ergebnis war Hildebrand
cken fließend auf seine Stirn fällt, und mittellangem,
allerdings wenig zufrieden, da die Büsten entgegen
detailreich strukturiertem Vollbart. Die ungestüme
seiner Anweisung farbig gefasst wurden. Auch Fied-
Haarpracht steht in Kontrast zu den konzentriert
ler war von der ihm zugesandten, von Hildebrand
nach rechts blickenden Augen, die seinem Antlitz
nochmals übergangenen Büste nicht besonders
einen fast melancholischen Ausdruck verleihen. In
begeistert. Deshalb entfernte Hildebrand 1915/16
Verbindung mit den markanten Gesichtszügen, den
in München die farbige Fassung, so dass das
asketisch eingefallenen Wangen und der kräftigen,
Terrakotta der heute in der Hamburger Kunsthalle
leicht gebogenen Nase erinnert die Darstellung dabei
befindlichen Version wieder sichtbar wurde. Ver-
an Porträts griechischer Philosophen.
mutlich zur gleichen Zeit entstand dieser Abguss in terrakottafarben glasiertem Ton. Die zweite Büste wurde aufgrund größerer, noch heute sichtbarer Maria Fiedler, Tochter des Leipziger Kaufmanns
Sprünge von Hildebrand verkürzt und befindet sich
B 77
und Stadtrats Ludwig Hartz, war die Mutter des
im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.
Die Mäzenin und Kunstsammlerin Henriette Hertz
Kunsttheoretikers und Mäzens Konrad Fiedler, der
(1846–1913) 19111
zu Adolf von Hildebrands engsten Freunden und
Anmerkungen
Unterstützern zählte. Nach dem frühen Tod ihres
1
Mannes 1854, des Fabrikanten und Rittergutsbesit-
gen in »Terracotta« auf »1882« datiert.
Bukarest; 1987/88 Haus der Kunst, München; 1988
Befund Ton gebrannt (Terrakotta), frei modelliert.
zers Hermann Fiedler, widmete sie sich intensiv der
2
Bei Heilmeyer 1922, S. 29, die ersten AusführunGalleria Nazionale d’Arte Moderna e Contempora-
Werkzeugspuren, Fingerabdrücke, Spachtelspuren,
Erziehung ihrer beiden Söhne Konrad und Philipp
nea, Rom; 1991 Shepherd Gallery, New York
dünne Holzspatel, Schleifspuren, Fingerspuren seit-
sowie der Verwaltung ihres Landgutes Crostewitz.
Bibliografie
Heilmeyer 1922, S. 27, Taf. 39;
lich am ebenfalls frei modellierten Sockel. Gesicht
Hausenstein 1947, Abb. 15; Ausst.-Kat. Bukarest
scheint lasiert (Sockel wirkt matter). 50,5 × 28,3 ×
B 40
1976, Nr. 6; Hass 1984, Nr. 166; Ausst.-Kat. Mün-
24 cm
Fiedler leicht nach rechts vorn und legt ihre Hän-
Der Bildhauer Josef Floßmann (1862–1914)
chen 1987, Nr. P 16, Abb.; Ausst.-Kat. Rom 1988,
Signatur
Rechts unten am Sockel: AH (ligiert)
de unterhalb der Brust ineinander. Sie trägt ein
1907/08
Nr. 147, Abb.; Ausst.-Kat. New York 1991, Nr. 24,
Inschrift
Unten, vor dem Brand eingeritzt: H.
Abb. S. 69; Esche-Braunfels 1993, S. 436, Abb. 718
HERTZ
Werk
In der Halbkörperbüste neigt sich Maria
Hass 1984, S. 87.
hochgeschlossenes, geknöpftes Kleid, unter dem der gerüschte Kragen sowie die Manschetten der
Provenienz
Befund Bronzeguss. 35 × 22,6 × 24,1 cm (Sockel-
1916 auf der Kunstausstellung der
Bluse hervorschauen. Das mittig gescheitelte, eng
höhe 14,7 cm)
Josef Floßmann studierte in seiner Geburtsstadt
Münchener Secession erworben
am Kopf anliegende Haar wird von einer ornamen-
Provenienz
München Bildhauerei an der Königlichen Kunstge-
Ausstellungen
tal verzierten Mantilla bedeckt, die locker auf ihren
Münchener Secession erworben
werbeschule bei Anton Heinrich Hess und an der
lungsgebäude am Königsplatz, München; 1947
Rücken herabfällt. Ihr reiferes Alter lässt sich dabei
Ausstellungen
1908 Königliches Kunstausstel-
Akademie der Bildenden Künste bei Syrius Eber-
Bayerisches Nationalmuseum, München
an den Falten um die Augen, den tiefen Nasenlip-
lungsgebäude am Königsplatz, München; 1947 Bay-
le. Sein Schaffen wurde aber auch von Adolf von
Bibliografie
penfurchen und dem leichten Doppelkinn ablesen.
erisches Nationalmuseum, München; 1976 Kunst-
Hildebrand beeinflusst und zielte auf eine klare,
Abb. 49; Heilmeyer 1922, S. 30; Hass 1984, Nr. 194,
Entgegen der Körperbewegung wendet sie ihre Au-
museum der Sozialistischen Republik Rumänien,
schnörkellose Formensprache. Bei seinen zahl-
Abb.; Esche-Braunfels 1993, S. 448, Abb. 745
1908 auf der Kunstausstellung der
1916 Königliches Kunstausstel-
Ausst.-Kat. München 1916, Nr. 539,
35
34 Vollendete Werke
kleinen, wachen Augen ein wenig zurücktreten und
B 549
betonen die zierliche Nase und die schmale Mundpar-
Der Schriftsteller Heinrich Homberger1
tie. Trotz der selbstbewussten Darstellung der altern-
(1838–1890)
den Mäzenin wirkt ihr Antlitz sanftmütig und ruhig.
1890
Anmerkung
Befund Bronzeguss. Ohne Fassung. 50,8 × 24,2 ×
1
24,2 cm
Nach Hass 1984, S. 186. Bei Heilmeyer 1922,
S. 30, die Ausführung in Marmor auf »1910« datiert.
Provenienz 1969 als Schenkung aus dem Nachlass des Künstlers erworben; 1938 als Schenkung aus dem Besitz von Georg Karo (Halbbruder von Reggy Homberger, geborene Karo) in den Hilde-
B 339
brand-Nachlass übergegangen; zunächst im Besitz
Berta Hildebrand (1886–1963),
von Reggy und Heinrich Homberger, Florenz
die Tochter Adolf von Hildebrands
Bibliografie
1898
Nr. 76, Abb.
Heilmeyer 1922, S. 26; Hass 1984,
Gedanken sich bilden, von allen Deinen GeschwisTon gebrannt (Terrakotta), hohl (Guss?).
tern mir weitaus am ähnlichsten ist und mich im-
Der aus einer wohlhabenden Familie jüdischen
Werkzeugspuren, Fingerabdrücke, vermutlich Fin-
mer an mich von früher erinnert. Da versteht man
Glaubens stammende Heinrich Homberger war pro-
Befund
gerauftrag, sowie Spachtel, Holzspatel und Zieh-
sich gar rasch.«
1
klinge. Ohne Fassung. 45,8 × 60,6 × 27 cm Provenienz
movierter Jurist und veröffentlichte seine literarischen Werke auch unter dem Pseudonym Heinrich
1956 von Bernhard Sattler, Tittmo-
Werk Die Halbkörperbüste zeigt Berta Hildebrand
Horner. Zwischen 1865 und 1872 sowie 1885 hielt
ning, erworben; zuvor vermutlich aus dem Besitz
in einem faltenreichen, fast mittelalterlich anmu-
er sich in Florenz als Korrespondent der Augsbur-
von Hildebrands Tochter Eva, 1902–1929 mit Carl
tenden Gewand mit pluderigen Ärmeln. Mit raum-
Sattler verheiratet, an ihren Sohn Bernhard Sattler
greifender Geste lehnt sie sich auf die Sockelplatte,
Die in Köln geborene Henriette Hertz investierte ihr
übergegangen; seit 1939 als Leihgabe in den Bay-
gleich einer Brüstung. Den rechten Arm führt sie
ererbtes Vermögen gewinnbringend in die englische
erischen Staatsgemäldesammlungen
vor ihren Körper und stützt ihren nach links ge-
Sodaproduktion des befreundeten Chemikers Lud-
Bibliografie Heilmeyer 1922, S. 29; Hass 1984,
neigten Kopf auf ihre linke Handfläche. Durch diese
wig Mond. Als Dank für ihre Unterstützung schenk-
Nr. 120 (als »Ton«); Esche-Braunfels 1993, Abb. 713
Geste hält sie sich auch die langen Haare aus ihrem
te ihr dieser 1904 den Palazzo Zuccari in Rom. Zu-
Gesicht, die rechts über das Ohr auf ihre Schulter
sammen mit Kunsthistorikern wie Ernst Steinmann
Berta Hildebrand, die jüngste Tochter Adolf von
fallen. Der gesenkte Blick und die sinnende Hal-
trug sie dort in den darauffolgenden Jahren eine
Hildebrands, galt als besonders musikalisch begabt.
tung erinnern dabei an den Melancholiegestus, wie
Sammlung italienischer Meister sowie eine umfang-
So war sie auch eng mit dem Dirigenten Wilhelm
er sich mustergültig in Albrecht Dürers Melenco-
reiche kunsthistorische Bibliothek zusammen. Noch
Furtwängler befreundet. Im Jahre 1909 heirate-
lia-Stich aus dem Jahr 1514 findet. Trotz der kind-
in ihrem Todesjahr eröffnete sie die nach ihr be-
te sie den aus Frankfurt am Main stammenden
lichen Züge der erst Zwölfjährigen verleiht dieser
nannte Bibliotheca Hertziana als deutschsprachi-
Komponisten und Musikpädagogen Walter Braun-
Gestus ihr eine Ernsthaftigkeit, die wohl auch für
ge Forschungseinrichtung zur italienischen Kunst,
fels, den späteren Direktor der Frankfurter Mu-
ihre persönliche Reife spricht.
die sie testamentarisch der Kaiser-Wilhelm-Gesell-
sikhochschule. Aus dieser Verbindung gingen vier
Die Büste in Terrakotta ist ein Abguss des noch
schaft (heute Max-Planck-Gesellschaft) vermachte.
Kinder hervor, von denen der in München tätige
heute in Münchner Privatbesitz befindlichen Bild-
Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels wohl der be-
nisses.2
Werk Die Bildnisbüste zeigt Henriette Hertz mit
kannteste war. Bertele, wie Adolf von Hildebrand
erhobenem, leicht nach rechts gewendetem Haupt.
seine Tochter liebevoll nannte, stand ihrem Vater
Anmerkungen
Das voluminöse, hochgesteckte Haar fällt in welligen
besonders nahe. So schrieb er in einem Brief vom
1
Zit. nach Sattler 1962, S. 561 f.
Strähnen in ihren Nacken herab und rahmt ihr rund-
20. Juli 1909: »Ich weiß schon längst, dass Dein
2
Hass 1984, S. 138; Ausst.-Kat. München 1979,
liches Gesicht. Die vollen, weichen Züge lassen die
innerer Apparat, wie Du zu Allem stehst und die
Galerie Arnoldi-Livie, Abb.
37
36 Vollendete Werke
ger Allgemeinen Zeitung auf und kam so mit Adolf von Hildebrand in Kontakt.
Ehepaar Levi auch das Haus Riedberg mit eigener
2
Grabstätte in Partenkirchen (B 558, B 592).1 Nach dem Tod Konrad Fiedlers 1895 heiratete Levi des-
Werk Die Bildnisbüste zeigt Heinrich Homberger
sen Witwe Mary und wurde so zu einer zentralen
mit kantigem Gesicht, hoher Stirn und streng nach
Bezugsperson Hildebrands in München.
hinten gekämmtem Haar. Der mittellange Vollbart betont dabei sowohl seine kräftigen Kieferknochen
Werk Das hochrechteckige Bildnisrelief stellt Her-
als auch die mageren Wangen. Die Asymmetrie der
mann Levi im Profil nach rechts dar. Das von einer
unterschiedlich hohen Brauen und der schmalen,
schmalen Rahmenleiste umfasste Relieffeld wird an
nach rechts blickenden Augen trägt dabei zur Le-
den Seiten von Volutenspangen begleitet, die unten
bendigkeit der Darstellung bei.
auf einer Inschriftenleiste ruhen und oben ein ein-
Die Büste entstand zusammen mit einem schlichten
fach gestuftes Gesims stützen. Das dünne, eng am
Sarkophag3 aus Marmor im Todesjahr des Schrift-
Kopf anliegende Haar ist nur in wenigen Linien an-
stellers 1890 im Auftrag seiner Witwe Reggy, ge-
gedeutet und in den Geheimratsecken bereits weit
borene Karo. Nach ihrem Tod ging die Büste an
über die Stirn zurückgewichen. Die wenig tiefliegen-
ihren Halbbruder, den Archäologen Georg Karo,
den Augen wirken ermattet, und der lange, krause
über. Trotz seiner Konversion zum Protestantismus
Vollbart wölbt sich am Kinn leicht nach vorn.
wurde Georg Karo aufgrund seiner jüdischen Wurzeln im Nationalsozialismus verfolgt und schenkte
Anmerkung
die Büste bei seiner Emigration in die USA 1938
1
Esche-Braunfels 1993, S. 397 f., 492.
dem Hildebrand-Nachlass, über den sie 1969 in die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gelangte.4
Inschrift Inschriftenleiste unten: HERMANN LEVI Provenienz 1969 als Schenkung aus dem Nach-
Luitpold als Professor nach Würzburg berufen. Am
Anmerkungen
lass des Künstlers erworben
B 97
8. November 1895 konnte er dort zum ersten Mal
1
Bibliografie
Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen
die später nach ihm benannten »X-Strahlen« nach-
(1845–1923)
weisen, welche die medizinische Diagnostik revolu-
Nicht zu verwechseln mit dem namensgleichen
schweizerischen Politiker Heinrich Homberger
Heilmeyer 1922, S. 32; Hass 1984,
Nr. 110 (fälschlich als »getönter Gips«), Abb.
1
(1806–1851), der ebenfalls zeitweise journalistisch
1915
tätig war.
Der in Gießen als Sohn eines hessischen Landesrab-
2
Deutsches Schriftstellerlexikon 1830–1880, hrsg.
tionieren sollten und für deren Entdeckung er 1901 den ersten Nobelpreis für Physik erhielt. Im Jahr
biners geborene Hermann Levi galt schon früh als
Befund Bronzeguss, Standfläche nachträglich fi-
1900 wechselte er an die Universität in München
von Herbert Jacob, Bd. 5, Berlin 2003, S. 703.
Wunderkind und gab bereits mit sechs Jahren ers-
xiert. Ohne Fassung. 65 × 40,1 × 25,9 cm
und wurde dort 1920 emeritiert.
3
te Klavierkonzerte. In Mannheim erhielt er durch
Inschrift Indextafel: W. C. RÖNTGEN
Sign. hild-179-1.
den kurpfälzischen Kapellmeister Vinzenz Lachner
Provenienz 1923 als Vermächtnis des Dargestell-
Werk
4
eine erste musikalische Ausbildung, die er ab 1855
ten erworben
gens stellt ihn mit leicht gesenktem Haupt über
mit einem Studium am Leipziger Konservatorium
Bibliografie Heilmeyer 1922, S. 27; Streller 1955,
einem hohen Bruststück dar, das mit einem in
abschloss. Nach einem Studienaufenthalt in Paris
S. 147–155; Hass 1984, Nr. 222, Abb.
weite Falten gelegten Mantel bekleidet ist. Seine
Entwurf: Architekturmuseum der TU München, Hass 1984, S. 111.
Die Bildnisbüste Wilhelm Conrad Rönt-
B 531
wurde Levi Musikdirektor in Saarbrücken, später in
Der Dirigent und Komponist Hermann Levi
Mannheim, Rotterdam und Karlsruhe. 1872 über-
Wilhelm Conrad Röntgen wurde in Lennep (Rem-
fen, überfangen die bewegt gezeichnete Stirn. Die
(1839–1900)
nahm er die Stelle als Hofkapellmeister in Mün-
scheid) geboren und wuchs in den Niederlanden,
hervortretenden Wangenknochen und die etwas
1897
chen. Dort entdeckte er seine Liebe zu den Werken
der Heimat seiner Mutter, auf. Da er das Gymna-
eingefallenen Backen kontrastieren mit dem lan-
Wagners und dirigierte 1882 in Bayreuth – noch
sium ohne Abschluss verließ, konnte er erst nach
gen Vollbart, der sich auf der Brust zweiteilt. Die
Befund Bronzeguss, nach einem Ton- oder Gips-
unter der Festspielleitung Wagners selbst – die Ur-
einen Eignungstest an der Eidgenössischen Techni-
schmalen Augen mit den leicht gesenkten, plastisch
modell. Schleifspuren im Hintergrund. Ohne Fas-
aufführung des Parsifal. Enge Freundschaften ver-
schen Hochschule in Zürich Maschinenbau studie-
herausgearbeiteten Brauen blicken dabei konzen-
sung. 53,2 × 37,6 × 4,2 cm
banden ihn mit Johannes Brahms, Clara Schumann
ren. Nach seiner Promotion in Physik habilitierte er
triert in die Ferne und vermitteln den Eindruck
Signatur Relieffeld unten rechtes: A·H·97·
und Adolf von Hildebrand. Dieser entwarf für das
sich in Straßburg und wurde 1888 von Prinzregent
eines wachen Geistes.
dichten Haare, die sich in sanften Wellen aufwer-
39
38 Vollendete Werke
Die Büste wurde zum 70. Geburtstag des Physi-
tie, einem schmalen Mund und einem markanten
kers von seinen Freunden und Kollegen, darunter
Grübchen am Kinn. Nachdenklich, fast melancho-
der Schweizer Zoologe Theodor Boveri (B 466), in
lisch hat sie ihre schmalen Augen niedergeschla-
Auftrag gegeben. Über die Porträtsitzungen schrieb
gen. Das nach oben hin halbrund abschließende
Adolf von Hildebrand in einem Brief vom 4. Juli
Relieffeld wirkt dabei wie eine Art Heiligenschein,
1915 an Kronprinz Rupprecht: »Ein famoser Kopf
der Hildebrands Mitarbeiterin in eine überirdische
2
und ein sehr sympathischer Mensch« . Auch Rönt-
Sphäre verklären möchte.
gen äußerte sich gegenüber Boveri und hob hervor:
Adolf von Hildebrand modellierte die junge Bild-
»Die Stunden gehen verhältnismäßig rasch, denn
hauerin bereits 1902. Die Büste in Marmor entstand
Hildebrand versteht es vorzüglich, sein Beobach-
jedoch erst im Herbst 1904.5
tungsobjekt zu unterhalten […]. Es scheint in dieser Gewohnheit eine Absicht zu stecken, die dem
Anmerkungen
Bild zugutekommen soll.«3 Boveri wiederum war
1
Scherer 2016a, S. 107.
von der Büste Röntgens ganz angetan und lobte sie
2
Zu Carl Sattler: Scherer 2007; Scherer 2016b.
4
als »zu Hildebrands allerbesten Porträtwerken«
3
Scherer 2016a, S. 111.
gehörend. Auf Boveris Idee hin, sie solle »einmal
4
Vgl. Haury 2005, S. 131.
in die Glyptothek kommen, wo so viele Tausende
5
Hass 1984, S. 153.
5
sich daran erfreuen könnten« , vermachte Rönt-
Bibliografie
Heilmeyer 1922, S. 30, Taf. 37; Hau-
Seitz Konservator am Bayerischen Nationalmuseum
gen die Büste 1923 den Bayerischen Staatsgemäl-
senstein 1947, Abb. 11; Ausst.-Kat. München 1972,
und erhielt 1888 eine Professur an der Akademie.
desammlungen, die sie bis 1929 in der Glyptothek
Nr. 2048, Abb. S. 519; Hass 1984, Nr. 145, Abb.;
Besonders verdient machte er sich durch die syste-
ausstellten.
Scherer 2016a, S. 111, Abb. S. 111
B 532
matische Aufstellung der Bestände des Bayerischen
Der Maler und Kunstgewerbler Rudolf von Seitz
Nationalmuseums in dem neuerrichteten Gebäude
Anmerkungen
Irene Sattler war die älteste Tochter von Adolf von
(1842–1910)
an der Prinzregentenstraße. Dabei versuchte er, die
1
Hildebrands Jugend- und Malerfreund Johann
1911
Räume mit den darin befindlichen Kunstwerken zu
Bei Heilmeyer 1922, S. 27, auf »1912« datiert.
2
1
Zit. nach Hass 1984, S. 204.
Ernst Sattler und die jüngere Schwester des Ar-
3
Glasser/Boveri 1931, S. 149.
chitekten Carl Sattler2, der ab Herbst 1898 eng bei
Befund Bronzeguss. Werkzeugspuren, Rand be-
zen. Zu seinen wichtigsten Werken gehört das Fresko
4
Glasser/Boveri 1931, S. 149.
zahlreichen Projekten mit Hildebrand zusammen-
schnitten. Ohne Fassung. 43 × 42,5 × 9,8 cm
an der Westwand des großen Rathaussaales in Nürn-
5
Glasser/Boveri 1931, S. 150.
arbeitete. Bei ihrem Vater in Dresden erhielt sie
Signatur Relieffeld rechts über der Schulter: AH.
berg. Seitz war auch Mitglied der Jury, die über die
auch eine erste Ausbildung als Malerin, bevor sie
(ligiert) / 1911
Vergabe des Auftrags für den Wittelsbacher Brun-
Schülerin und später Mitarbeiterin von Hildebrand
Provenienz 1969 als Schenkung aus dem Nach-
nen in München an Adolf von Hildebrand entschied.
3
einem didaktischen Gesamtensemble zu verschmel-
in München wurde. Im Jahr 1905 heiratete sie den
lass des Künstlers erworben
B 27
evangelischen Religionsphilosophen Johannes Mül-
Bibliografie
Die Bildhauerin Irene Sattler (1880–1957)
ler, der sich als ein überzeugter Verfechter der Idee
Nr. 190 b
4
des Nationalsozialismus zeigen sollte.
1904 Befund
Heilmeyer 1922, S. 33; Hass 1984,
Werk Das Relieftondo stellt Rudolf von Seitz mit Stehkragenhemd, Jabot und weich verlaufendem Revers im Dreiviertelprofil nach rechts dar. Der
Rudolf von Seitz war der Sohn des Münchner Deko-
massive Kopf wird von den zerzausten Haaren und
Marmor, aus einem Block gearbeitet.
Werk Die angelehnte Bildnisbüste zeigt das Haupt
rationsmalers Franz von Seitz, bei dem er auch in
einem bewegt gestalteten Vollbart umrahmt. Die
Rückseite mit Spitzeisen bearbeitet, Randbereiche
Irene Sattlers frontal vor einem grob behauenen
die Lehre ging. An der hiesigen Kunstakademie stu-
unmittelbar den Betrachter anblickenden, schma-
mit Zahneisen, Vorderseite im Hintergrund mit
Relieffeld. Der bis zum Ansatz der Brust wiederge-
dierte er dann unter anderem bei Carl Theodor von
len Augen mit den schweren Tränensäcken und den
Zahneisen, Figur geschliffen. Ohne Fassung. 50 ×
gebene Oberkörper wird von ihren langen, in wei-
Piloty. Gemeinsam mit seinem Vater stattete er für
unterschiedlich hohen, von tiefen Falten geschiede-
51,7 × 23 cm
ten Locken üppig über die Schultern fallenden Haa-
König Ludwig II. von 1866 bis 1869 die neuen Appar-
nen Brauen verleihen dabei dem Gesicht des Malers
ren bedeckt. An ihren Oberarmen wird noch der
tements in der Münchner Residenz aus. Mit Gabriel
einen energischen Ausdruck.
Ausstellungen 1947 Bayerisches Nationalmuse-
Saum ihres Gewandes sichtbar, der in eine niedrige
von Seidl gründete Seitz die Innendekorationsfirma
Das Relief entstand 1911, ein Jahr nach dem Tod
um, München; 1971 Kunsthalle, Nürnberg; 1972
Sockelzone übergeht. Ihr jugendlich volles Gesicht
Seitz & Seidl, aus der später die Münchner Vereinig-
des Kunstgewerblers. Über seinen engen Freund
Münchner Stadtmuseum, München
hat ebenmäßige Züge mit einer langen Nasenpar-
ten Werkstätten hervorgingen. Im Jahr 1883 wurde
schrieb Adolf von Hildebrand in einem Brief vom
Provenienz
1905 vom Künstler erworben