Neues aus dem 19. Jahrhundert

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VON KÜHEN, EDLEN DAMEN UND VERZAUBERTEN LANDSCHAFTEN ODER VON DER LIEBE ZUR KUNST: NEUES AUS DEM 19.


VON KÜHEN, EDLEN DAMEN UND VERZAUBERTEN LANDSCHAFTEN ODER VON DER LIEBE ZUR KUNST:

Neues AUS DEM 19.

Herausgegeben von Peter Forster für das Museum Wiesbaden


Inhalt

Andreas Henning

Die Galerie des 19. Jahrhunderts im Museum Wiesbaden 6

Peter Forster

Neues aus dem 19. Jahrhundert Ein Update 7

Peter Forster

Katalogteil Tier oder Mensch: Tier!

9

Landschaft als Weltsicht Reisen durch die Malerei

51

Das Porträt als Menschenbild Gestatten – der Alltag Positionen der Genremalerei im 19. Jahrhundert 119 Die vielfältige narrative Welt des 19. Jahrhunderts 141

Anhang Verzeichnis der ausgestellten Werke Bild- und Fotonachweis Impressum

192

192

180

101


Die Galerie des 19. Jahrhunderts im Museum Wiesbaden

Neues aus dem 19. Jahrhundert Ein Update

Dank der Jugendstil- und Symbolismus-Sammlung

schlägt. Bereichert wird die Präsentation von einem

Auch wenn der Umschlag des Kataloges mit dem Motiv

von Ferdinand Wolfgang Neess ist es dem Museum

umfangreichen Konvolut an Jugendstilporzellan, bei

von Heinrich Vogeler einen anderen Eindruck vermit-

Wiesbaden möglich, den künstlerischen Schlusspunkt

dem der Schwerpunkt auf der Tierplastik liegt. Hierfür

telt, gilt es nicht, Abschied vom 19. Jahrhundert zu

des 19. Jahrhunderts und den Übergang zum frühen

danken wir den Leihgebern Daniela Kumpf und Ro-

nehmen! Das Werk Abschied, um 1898 entstanden,

20. Jahrhundert in einzigartiger Form und Vielfalt zu

man Rubin, die dem Haus freundschaftlich verbunden

zählt vielmehr zu den Höhepunkten der Ausstellung.

präsentieren. In der Schenkung befinden sich zwei

sind, sehr herzlich.

Es vereint in seiner märchenhaft-romantischen Art

Gemälde von Heinrich Vogeler, das Melusinenmärchen

Ein besonders umfangreiches Konvolut an Gemälden

exemplarisch wichtige künstlerische Strömungen des

innerhalb der Gattungen durch die Geburtsdaten der

von 1901 und die Heimkehr von 1898. Letztgenanntes

stammt aus der Kunstverwaltung des Bundes. Dank

19. Jahrhunderts, ein Jahrhundert, das die Welt so

Künstler gegliedert. Dadurch kommt es zu spannenden

Werk war eines der Lieblingsbilder des Sammlers,

der Möglichkeit einer Dauerleihe konnten hier wich-

radikal und umfassend verändert hat wie kaum ein

Zusammenschauen, wenn beispielweise ein Spätwerk

dessen Herzenswunsch es war, dieses mit dem Bild

tige Lücken geschlossen werden. Hierfür gilt unser

anderes und in dem Hybris und ernüchternder Ab-

eines Künstlers auf das Frühwerk eines anderen trifft.

Abschied wieder zusammenzubringen. Der 2020 ge-

aufrichtiger Dank Heidrun Kemnitz von der Kunst-

sturz nahe beieinander lagen.

Die Ausstellung deckt exemplarisch den gesamten Zeit-

storbene Stifter erlebte die Erfüllung seines Wunsches

verwaltung, die uns stets beratend und fördernd zur

1870 schuf Ludwig Knaus das repräsentative Famili-

raum vom Beginn bis zur Jahrhundertwende ab, reicht

nicht mehr, aber seine Ehefrau Danielle Neess konnte

Seite steht.

enbildnis von Bethel Henry Strousberg. Der aus ein-

in wenigen Fällen wie ein Scharnier gar ins 20. Jahr-

2021 Vogelers Abschied erwerben. Für die Möglichkeit,

Ein weiterer Dank geht an die Ernst von Siemens Kunst-

fachen Verhältnissen stammende Strousberg galt als

hundert hinein und zeigt künstlerische Nachwirkungen.

diese beiden Gemälde sowie zahlreiche weiterer Werke

stiftung, die es uns ermöglicht hat, das stark in Mitlei-

der Prototyp des sogenannten Gründers, der 1860 der

Ziel des Museums Wiesbaden ist die permanente Ein-

aus der Sammlung zeigen zu dürfen, gilt ihr unser sehr

denschaft gezogene Gemälde Im Klostergarten (1875)

»europäische Eisenbahnkönig« mit einem ungeheu-

richtung einer Galerie des 19. Jahrhunderts. Seit ei-

herzlicher Dank. Zum ersten Mal zeigen wir auch das

von Fritz von Uhde extern restaurieren zu lassen.

reren Vermögen wurde und zeitweise 10 000 Arbeiter

nigen Jahren finden zahlreiche Sonderausstellungen

ebenfalls aus der Schenkung stammende monumentale

Die Katalogerstellung lag wie schon oft in den bewähr-

beschäftigte. Als sein Imperium 1873 zusammenbrach,

zur Kunst dieser Zeit statt. Die jetzige Ausstellung

Gemälde Die Frau des Künstlers, Bertha Babitsch-Lin-

ten Händen der »Büchermacher« Reschke, Steffens &

verlor er sein Vermögen und leitete damit den »Grün-

Von Kühen, edlen Damen und verzauberten Land-

da, als Flora (1883) von Hans Makart.

Kruse, denen wir ebenfalls herzlich danken.

derkrach« an der Börse ein. Sein Lebenslauf steht

schaften oder von der Liebe zur Kunst: Neues aus

Das Museum Wiesbaden ist eine Gründung des 19. Jahr-

Innerhäusig gilt mein Dank dem nimmermüden Kustos

stellvertretend für die rasante Fülle an Möglichkeiten,

dem 19. 2021 folgt auf die 2015 veranstaltete Schau

hunderts. Die Ausstellung spiegelt unsere Bemühungen

Peter Forster für sein Engagement in Sachen »Kunst

die sich in diesem virulenten Jahrhundert eröffneten,

Aus dem Neunzehnten. Von Schadow bis Schuch und

wider, der Kunst unserer Gründerzeit ein adäquates

des 19. Jahrhunderts«. Ferner sei dem Leiter der Na-

und ein Scheitern unerhörten Ausmaßes. Wie verhielt

zeigt jene Werke, die sich seit dieser Zeit, sei es als

Forum zu bieten sowie den vorhandenen Bestand wis-

turhistorischen Sammlungen, Fritz Geller-Grimm, für

sich die Kunst dieser Zeit in einem Deutschland, das

Ankäufe, Schenkungen oder Leihgaben, neu im Mu-

senschaftlich aufzuarbeiten und zu erweitern. Glück-

seine beratende Tätigkeit gedankt. Allen Beteiligten

auf der Suche nach einer politischen und gesellschaft-

seum eingefunden haben. Diese ungemein wichtigen

licherweise haben uns seit 2015 zahlreiche Schenker

im Team gilt mein großer Dank, stellvertretend seien

lichen Identität war, und welche Rolle nahm sie in

Neuzugänge werden mit Werken kombiniert, die sich

tatkräftig bei diesem Vorhaben unterstützt. Am konse-

Caren Jones, Lea Schäfer und Anika Einig für die Un-

dieser komplexen, nervösen Zeit ein? Um zu versu-

bereits im Museum befanden, aber bislang keine ver-

quentesten lässt sich dies an der Schenkung Jan und

terstützung der Ausstellung und des Kataloges hervor-

chen, diese Frage – wenn auch nur ansatzweise – zu

tiefende Aufmerksamkeit erfuhren. Die Sammlung hat

Friederike Baechle ablesen, deren exquisite Werke aus

gehoben. Unser Fotograf Bernd Fickert leistete ebenso

beantworten, ist die Ausstellung in Gattungen mit den

also ein Update erfahren. An dieser Aktualisierung

dem 19. Jahrhundert parallel in einer eigenen Ausstel-

höchst professionelle Arbeit wie auch das gesamte

Themen »Tier«, »Landschaft«, »Porträt«, »Genre« und

unserer Tätigkeiten möchten wir nun das hoffentlich

lung zu sehen sind. Die Familien Bantzer und Leu sowie

Restaurierungsteam: Ines Unger, Pascale Regnault,

»Historienmalerei« gegliedert. Sie soll das Ringen in-

sehr interessierte Publikum teilhaben lassen.

Hildegund Goetz schenkten dem Museum wunderbare

Jana Merseburg und Linda Schmidt.

nerhalb des akademischen Betriebes widerspiegeln,

Werke, wofür unser großer Dank auch an sie geht.

Auch diese Ausstellung ist als ein Baustein auf dem

das Bestreben einiger Künstler, am Bestehenden fest-

Das Museum Wiesbaden ist ein Zweispartenhaus, das

Weg zu einer zukünftigen Galerie des 19. Jahrhun-

zuhalten, während andere Kunstschaffende mit aller

sich der Kunst und Natur widmet. Dank des Jugend-

derts im Museum Wiesbaden zu verstehen!

Macht versuchten auszubrechen oder den Gang durch

stils hat sich hier eine spannende neue Schnittstelle 6

ergeben, die sich auch in dieser Ausstellung nieder-

Andreas Henning, Direktor Museum Wiesbaden

Peter Forster

die Institutionen wählten, um Veränderungen zu errei-

Ludwig Knaus Familie Strousberg 1870 Öl auf Leinwand

chen. Das Katalogbuch folgt dieser Aufteilung und ist

117 × 155 cm Stiftung Stadtmuseum Berlin, Berlin

7


Tier oder Mensch: Tier!

Im Museum Wiesbaden befindet sich eine beachtliche

ständige Tierstück als Vorbild auf und interpretierte

Anzahl von Werken mit Tierdarstellungen aus dem

es neu.

19. Jahrhundert. Als heutiges Zweispartenhaus für

Mit dem Aufkommen der Freilichtmalerei änderte sich

Kunst und Natur steht die Auseinandersetzung mit

die künstlerische Sicht auf die Darstellung des Tieres.

den künstlerischen Leistungen auf diesem Gebiet in ei-

Wie die Landschaft sollten auch die Tiere möglichst

nem besonderen Fokus, was dazu geführt hat, dass in

realistisch in ihrem natürlichen Umfeld wiedergege-

jüngster Zeit vermehrt auf diesem Gebiet gesammelt

ben werden und dies zunehmend mit immer größerer

wurde. Darüber hinaus hat sich durch die Schenkung

malerischer Freiheit. In diesen Realismus floss ab der

der Jugendstil-Sammlung Ferdinand Wolfgang Neess

Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt der Gedanke mit

der Blick auf die Kunst um die Jahrhundertwende hin

ein, dass Tiere ein eigenes Wesen hätten. Über allem

zum 20. Jahrhundert geschärft und die Möglichkeit

standen aber die gesellschaftlichen Umwälzungen, ins-

eröffnet, die künstlerischen Entwicklungen auf dem

besondere die fortschreitende Industrialisierung, die

Gebiet der Tierdarstellungen in allen ihren Facetten

sowohl die Lebensumstände der Menschen als auch de-

zu betrachten.

ren Verhältnis zur Natur veränderte.2 Die zunehmende

Eine Auswahl bereits vorhandener Werke wird hier

Entfremdung der Menschen von der Natur durch die

mit Neuwerbungen gemeinsam vorgestellt; sie doku-

Urbanisierung wurde kompensiert durch ein verstärk-

mentiert einen repräsentativen Querschnitt im Be-

tes Interesse, sich diese in die eigenen vier Wände

reich der Tierdarstellungen.

mit Hilfe der Kunst zurückzuholen. Die Nutztiere des

Die Kunst des 19. Jahrhunderts setzte sich in vielfäl-

ländlichen Raumes wie auch die Haustiere wurden nun

tiger Weise mit dem Thema Tier auseinander.1 Durch

zu Protagonisten einer neu entdeckten Liebe zur Natur

alle Gattungen hindurch finden sich Tierdarstellun-

und deren Artenvielfalt. Die Gründung zahlreicher

gen in unterschiedlichsten Formen und Bedeutungen.

zoologischer Gärten erweiterte den Horizont hin zu

Ende des 19. Jahrhunderts fand diese Sujetmalerei

exotischen Tieren – und demonstrierte aber auch den

ihren Höhepunkt mit der Etablierung von Tiermal-

Wunsch, die Natur beherrschen zu wollen. Hinzu kam

schulen an diversen deutschen Kunstakademien, wo-

ein Wechsel der wissenschaftlichen Perspektive auf die

bei Tiere nun nicht mehr »Beiwerk« waren, sondern

Natur, zu dem Charles Darwin mit seinen Schriften zur

autonomes Motiv.

Evolutionstheorie maßgeblich beitrug.

Vereinfacht zusammengefasst lassen sich im Verlauf

Neben den Malern waren es die Bildhauer, die gegen

des 19. Jahrhunderts zwei künstlerische Strömungen

Ende des 19. Jahrhunderts die Tierdarstellung als

ausmachen:

autonomes Thema für sich entdeckten. Hier ist der

Im Goldenen Zeitalter, dem 17. Jahrhundert, wur-

Übergang zu den Tierplastikern des Jugendstils flie-

den in der niederländischen Malerei Tiere aus ihrem

ßend. Gemeinsam war ihnen, neben den komplexen

vormaligen religiösen und mythologischen Kontext

Formen der Tiere deren Wesen und ihre Individualität

herausgelöst. Mit der Wiederentdeckung dieser Kunst

in den Mittelpunkt des künstlerischen Interesses zu

im frühen 19. Jahrhundert griff man auch das eigen-

rücken.

9


Tier oder Mensch: Tier!

Den Auftakt unserer exemplarischen Tierzusammen-

setzte der Künstler den schwarzen und den hellbrau-

schau gestaltet kein geringer als der 1766 in Mann-

nen Ochsen vor einen großen weiten Horizont und

heim geborene und 1855 in München gestorbene

betonte dadurch noch deren Monumentalität. Das

Wilhelm von Kobell. Zwar im 18. Jahrhun-

Zusammenspiel mit den tief herabhängenden wei-

dert geboren, gebührt ihm die Ehre, führend für die

ßen und den sich am oberen Bildrand verdunkelnden

Tierdarstellung des frühen 19. Jahrhunderts zu ste-

Wolken am Himmel führt zu einer Belebung der land-

hen. Mit seiner akribisch detailreichen, exakten wie

schaftlichen Situation, vor der sich die naturalistisch

lebendigen Wiedergabe von Tieren stand er anfäng-

genau wiedergegebenen Tiere abheben. Innerhalb

lich noch ganz in der Tradition der niederländischen

dieser Mischung aus Landschaftsgenre und Tierstück

Malerei des 17. Jahrhunderts. Von Kobell befinden

im Geist der Niederländer gab Kobell die Richtung für

sich zwei Werke aus dem Jahr 1790 im Besitz des

Tierdarstellungen im frühen 19. Jahrhundert vor. Er

Museums, die aus der Sammlung von Johann Isaak

selbst wurde 1814 Professor für Landschaftsmalerei

von Gerning (1767–1837) stammen und somit zum

an der Münchner Akademie und 1833 in den Adels-

Gründungsbestand des Museums 1824 gehören. Bei

stand erhoben.

den beiden großformatigen Gemälden Landschaft mit

Deutschland war zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch

Heuwagen und Rast beim Pflügen (Landschaft mit

weitgehend ein agrarisches Land, ein großer Teil der

Ochsengespann) handelt es sich um Frühwerke des

Bevölkerung war ausschließlich in der Landwirtschaft

Künstlers, in deren Zentrum Tiere stehen, eingebet-

beschäftigt. Selbst in den Städten bestimmten neben

tet jeweils in eine Landschaft, die mit Genreszenen

den Bürgern noch die Bauern der Umgebung mit ih-

3

10

bereichert wurde. Die kompositorische und stilis-

rem Vieh das Straßenbild. Diese das Leben prägende

tische Beeinflussung durch niederländische Vorbil-

existenzielle Verbindung von Tier und Mensch floss

der ist deutlich sichtbar, für deren Vermittlung sein

jetzt auch in die Kunst ein.

Vater, der Mannheimer Hofmaler Ferdinand Kobell

Wie der zugereiste Kobell wirkte der Maler und Litho-

(1840–1899) verantwortlich war. Das frühe Studieren

graf Max

und Kopieren nach Tierstücken von Paulus Potter,

in München.4 Beide Künstler gelten als frühe Erneu-

Philips Wouwermans und Nicolaes Berchem drückte

erer der Landschaftsmalerei, zu deren detailgetreuer

die hohe Wertschätzung der Malerei des Goldenen

einfühlsamer realistischer Wiedergabe der bayeri-

Zeitalters aus und führte in den eigenen Werken zu

schen Landschaft vielfach die untrennbare Einheit aus

einer selbstständigen Fortführung der damaligen Er-

Natur und Tier gehörte. Der von den Malern Johann

rungenschaften.

Jakob Dorner d. Ä. und Johann Christian von Mannlich

Innerhalb eines hügeligen Geländes steht in dem

ausgebildete Wagenbauer wurde 1802 vom Kurfürsten

Gemälde Rast beim Pflügen (Landschaft mit Ochsen-

Maximilian IV. Joseph zum Hofmaler ernannt. Als Kö-

gespann, Abb. S. 11) ein Ochsengespann vor einem

nig Maximilian I. Joseph bedachte dieser den Künstler

Pflug in Seitenansicht leicht erhöht auf einem Fels-

ab 1806 mit zahlreichen Aufträgen und Ankäufen und

vorsprung. Während die Bauern eine Arbeitspause

ernannte ihn 1815 zum Inspektor der Königlichen

einlegen, ruhen auch die beiden schweren Huftiere,

Gemäldegalerie. Um 1810 wandte sich Wagenbauer

die sich in Farbe und Rasse unterscheiden. Geschickt

der Ölmalerei mit dem thematischen Schwerpunkt der

Joseph Wagenbauer (1774–1829)

Wilhelm von Kobell Rast beim Pflügen (Landschaft mit Ochsengespann) um 1790 Öl auf Leinwand 85 × 94 cm

11


Tier oder Mensch: Tier!

12

Maximilian Wagenbauer Viehherde auf der Weide 1825 Öl auf Eichenholz 33,5 × 38,5 cm

bayerischen Landschaft zu. Im Kontext des Tierstü-

Das 1825 auf Eichenholz gemalte Bild wurde 1938

ckes durchlief seine Landschaftsmalerei verschiede-

für das Museum erworben und wird zum ersten Mal

ne Stadien, bei der Tiere reiner Staffage, aber auch

präsentiert.5 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ent-

zentraler Bildgegenstand sein konnten. Ebenfalls un-

wickelte sich vor allem die Schafzucht zu einem im-

ter niederländischen Einfluss stehend, weisen seine

mer wichtigeren landwirtschaftlichen Betriebszweig.

Tierschilderungen, bei denen er häufig weidendes

Die Arbeit zeigt aus erhöhter Perspektive eine offene

Vieh malte, insbesondere ab den 1820er-Jahren eine

Landschaft mit einem panoramaartigen Ausblick in

schlichte, überschaubare Komposition in zarter Far-

verhaltener Farbigkeit. Auf einem mit Gras bewach-

bigkeit auf. Die auf genauen Naturstudien basierenden

senen Hügel weiden im Bildvordergrund in trauter

Gemälde geben eine zeitlos harmonische Atmosphäre

Einheit mit einem sitzenden Hirten Schafe, Ziegen

zwischen Natur, Tier und Mensch wieder, die zwar

und Kühe. Friedlich stehen und lagern die Tiere zum

romantisch-idealisierend wirkt, aber durchaus der da-

Teil wiederkäuend in der Sonne, während im Hinter-

maligen Realität der vorindustriellen Zeit entspricht,

grund entfernt die Alpen in blaugrauen Farbtönen

einer tatsächlich gelebten ursprünglichen Einheit von

aufragen. Überfangen wird die Szenerie von einem

Mensch und Natur. Dies in Verbindung mit der heimi-

weiten Himmel, der von grauen Wolken durchzogen

schen Landschaft, der ländlichen bayerischen Welt,

ist. Das Intimität ausstrahlende Stück zeichnet sich

künstlerisch zu entdecken und zur Darstellung zu

durch die lebendige Darstellung der Tiere aus; einige

bringen, war neu. Außer Acht gelassen wurde der As-

blicken aus dem Bild den Betrachter an und sugge-

pekt der harten landwirtschaftlichen Arbeit, der erst

rieren dadurch Nähe. Es handelt sich um eine der für

im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts im Kontext

Wagenbauer typischen Arbeiten, die er bis zu seinem

eines gesellschaftlichen Wandels als eigenständiges

Tod 1829 in naturalistischer Manier malte, welche die

Thema visualisiert wurde. In der Zeit vor den großen

Schilderungen des weidenden Viehes zum maßgebli-

landwirtschaftlichen Umwälzungen stellten Künstler

chen Bildgegenstand erhoben.

wie Wagenbauer vielmehr einen natürlichen Verlauf

Fast zeitgleich zu Wagenbauers Werk und doch völ-

des Lebens heraus; Tier und Mensch finden sich in

lig unterschiedlich in Aussage und Funktion ist die

der Landschaft gemeinsam vereint in Ruhe wieder. In

Tierdarstellung bei Peter

Bildern des Künstlers, bei denen die Tiere im Zentrum

Künstler siedelte 1816 nach Rom über und schloss

stehen, definieren diese die Landschaftsdarstellungen.

sich den Mitgliedern des Lukasbundes an, die dort

Häufig bei Wagenbauer, so auch bei der Viehherde auf

seit 1810 beheimatet waren und aufgrund ihrer Haar-

der Weide (Abb. S. 12) im Museum Wiesbaden, handelt

tracht despektierlich von den Einheimischen als »Na-

es sich um weite, unbesiedelte Landschaften, auf de-

zarener« bezeichnet wurden. Die aus deutschsprachi-

ren Weiden sich die Tiere zum Grasen aufhalten. Die

gen Malern bestehenden Künstlergemeinschaft hatte

Anwesenheit der Nutztiere und die Spuren der Bewei-

sich einer Erneuerung der Malerei im christlichen

dung wandeln die Landschaft in eine Kulturlandschaft

Geist verschrieben. Aus ihrer Sicht war die bildende

und implizieren damit automatisch die Anwesenheit

Kunst in eine Krise geraten. Den als unbefriedigend

des Menschen. Dies zeigt sich auch in einem weiteren

empfundenen Akademiestil wollten sie durch einen

Gemälde Wagenbauers aus dem Museum Wiesbaden.

neuen Kunstausdruck auf religiöser Basis ersetzen.

Rittig (1789–1840). Der

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Tier oder Mensch: Tier!

14

Peter Rittig Der barmherzige Samariter um 1823/24 Öl auf Leinwand 77,5 × 63 cm

Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des 19. Jahrhun-

Künstlern nicht mehr aufgegriffen worden war.8 Mit

derts treffen wir auf ein Phänomen, das sich durch das

Friedrich Johann Overbeck (1789–1869) hielt die Ge-

ganze Jahrhundert ziehen wird und mitverantwortlich

schichte von der unerwarteten Hilfe des Samariters,

für einen Pluralismus der Stilrichtungen war: fort-

der sich um das Opfer eines Überfalls kümmerte, wie-

schrittliche Kräfte, die sich gegen die im Akademiebe-

der Einzug in die Kunst und stand programmatisch

trieb vorherrschende Lehre wandten. Typisch war ein

für die Erneuerung der nazarenischen Kunst im Geiste

Auftreten als Gruppe, das gegen Ende des 19. Jahr-

des Christentums. Die Neubelebung dieses Themas

hunderts zu den zahlreichen Sezessionsbewegungen

durch die Nazarener dürfte auch für Rittig, der sich in

führte. Die Nazarener waren die ersten einer solchen

Rom in deren Umfeld bewegte, inspirierend gewesen

Gruppe, wobei ihre führenden Köpfe selbst später

sein.9 Im Zentrum des um 1823/24 zu datierenden

leitende Funktionen innerhalb der Kunstakademien

Bildes stehen der Samariter und das unbekleidete

einnehmen sollten. Sie sahen ihr Ideal einer neuen

Opfer des Überfalls. Kraftvoll ist ersterer gerade da-

Kunst in der italienischen Renaissance, aber auch in

bei, den geschwächten leidenden jungen Mann auf

der altdeutschen Malerei verwirklicht. Mit gezieltem

sein Pferd zu heben. Rittig hat die beiden Figuren

Rückgriff auf die formalen Gestaltungsmittel jener

zu einer kompakten Gruppe zusammengefügt. Das

Zeit schufen sie anrührend schlichte, gefühlsbetonte

Tragemotiv weckt vielfältige kunsthistorische Asso-

Darstellungen alt- und neutestamentarischer Themen.

ziationen, es erinnert sowohl an Aeneas, der seinen

Tiere fanden in ihre Bilder nicht als eigenständige Le-

Vater aus dem brennenden Troja rettet, vor allem aber

bewesen in ihrem natürlichen Lebensraum Eingang,

gemahnt es an die Kreuzabnahme Christi. In diesem

sondern fungierten – vergleichbar mittelalterlichen

Kontext ist auch das quer zum Betrachter stehende

Werken, in denen sie mit symbolischen Attributen des

Pferd zu lesen. In Kombination mit der davor befind-

Glaubens besetzt waren – als Verweise auf Höheres.6

lichen Figurengruppe und dem über das Pferd ragen-

Zwar spielten Tiere hier also nur eine Nebenrolle,

den jungen Mann ergibt sich eine Kreuzform. Details

aber die romantische Adaption des »christlichen Mit-

unterstreichen die bildnerische Nähe zum Opfertod

telalters« führte auch zu einer Wiederbelebung legen-

Christi. Unter dem Pferd, das den Kopf zum Verspeisen

denhafter Stoffe und Märchen, in denen mythische

der Pflanzen am Wegesrand geneigt hat, befindet sich

Wesen wie Drachen oder Seeschlangen genauso the-

ein blutiger Stock. Dieses Überbleibsel des Überfalls

matisiert wurden wie jene Tiere, die mit den Heiligen

verbindet sich mit den gegenüber am Boden befindli-

zusammenlebten. Diese Sagen- und Märchenthematik

chen Gegenständen, einem blutgetränkten Tuch und

erreicht dann um die Jahrhundertwende ihren Höhe-

einer Ölflasche, mit denen der Samariter das Opfer

punkt im Jugendstil und Symbolismus.

versorgt hatte und die ebenfalls Assoziationen an die

Peter Rittigs Gemälde Der barmherzige Samariter

Kreuzigung hervorrufen. Darüber hinaus wird so im

(Abb. S. 14) zählt seit 1937 zu den wenigen naza-

Bild eine zeitliche Abfolge des Gleichnisses formu-

renischen Werken im Museum Wiesbaden.7 Es zeigt

liert: vom Überfall über die Versorgung des Verletz-

ein Motiv, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter

ten bis zu dessen Transport zur Herberge. Mit seiner

(Lukas 10, 25–37), das seit seinem bildhaften Höhe-

neuartigen Komposition des Samariterthemas gelang

punkt im 16. und 17. Jahrhundert weitestgehend von

Rittig, ganz im Sinne der nazarenischen Vorstellung

15


Tier oder Mensch: Tier!

von Frömmigkeit und Innigkeit, ein überzeugendes

eher seine Fehlsichtigkeit hervorheben. Dazu passt

Werk, bei dem die Darstellung des Pferdes eine wich-

sein aufgerichteter Netzbeutel, mit dem er gerade ins

tige kompositorische Funktion hat. Zudem zeigt er

Nichts geschlagen hat. Wie ein echter Naturforscher

mit seiner feinfühligen atmosphärischen Licht- und

hat er zwar eine Wasserflasche und eine Botanisier-

Farbbehandlung, welch exzellenter Maler er war. Das

trommel umhängen, aber der im Tropenwald über-

Pferd als zentrales Transportmittel zählte sicherlich

flüssigerweise mitgeführte Regenschirm sowie die

zu den beliebtesten Themen der Tierdarstellungen

beiden Bastkörbe auf seinem Rücken lassen erahnen,

im 19. Jahrhundert, es taucht in allen Gattungen auf,

dass man auch im 19. Jahrhundert derart »bewaffnet«

insbesondere auf Reiterbildnissen, in der Schlachten-

nicht auf eine wissenschaftliche Expedition ging. Ent-

malerei, auf Jagdbildern und als autonomes Sujet.

sprechend surreal gestaltet sich die Wiedergabe der

Aber als expliziter Verweis auf den Kreuztod Christi,

Natur, für deren Umsetzung Spitzweg Zeichnungen

wie bei Rittig, ist die Pferdedarstellung singulär. Der

von exotischen Bäumen nutzte, die er zuvor auf Reisen

Künstler schloss sich 1821 dem von seinen Künstler-

skizziert hatte. Links erhebt sich ein übergroßes Ba-

freunden Julius Schnorr von Carolsfeld (1794–1872),

nanengewächs, das sich oben zur Bildmitte neigt und

Johann Friedrich Overbeck (1789–1869), Carl Begas

dachartig über dem Forscher hängt, diverse Palmen

(1794–1854) und Peter von Hess (1792–1871) gegrün-

gesellen sich dazu. Rechts befinden sich Heckenro-

deten Komponierverein für sakrale Kunst an und blieb

sen und Margeriten, die nicht in einem subtropischen

bis zu seinem Tod 1840 in Rom.10

Wald zu finden sind. Spitzweg, botanisch bewandert,

Beim folgenden »Tierstück« handelt es sich um eines

stellte hier bewusst eine fantastisch anmutende Na-

der bekanntesten Werke im Museum Wiesbaden, des-

tur wie in einem Gewächshaus zusammen.12 Seine

sen Schöpfer Carl

Spitzweg (1808–1885) für sei-

Lichtregie unterstreicht den theatralisch inszenierten

ne Darstellungen exzentrischer Sonderlinge bis heute

Charakter der Arbeit. Während am linken Bildrand

beliebt ist. Sein 1840 entstandenes Werk Der Schmet-

ein blauer Himmel durchscheint, dominiert rechts

terlingsfänger (Abb. S. 17) befindet sich seit 1966 als

oben ein gleißendes, alles überblendendes künstli-

Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland in

ches Licht, von dem am Boden der Forscher gestreift

Wiesbaden und zeigt im Bildzentrum eine dieser ei-

und die Schmetterlinge getroffen werden. Suggeriert

11

16

genwilligen Figuren. Auf einer tropisch anmutenden

werden soll so der Eindruck einer lichtdurchfluteten

Waldlichtung steht mit offenem Mund völlig fassungs-

Lichtung. Das Bild hätte sich in diesem Katalogbuch

los ein Forscher mit einem für den Fang von diesen

auch in der Abteilung Genre- oder Landschaftsmalerei

Insekten viel zu kleinen Netz vor zwei Riesenfaltern.

wiederfinden können, aber wegen der Darstellung

Bereits seine Ausrüstung macht deutlich, dass er der

der Schmetterlinge reiht es sich in die Tiermalerei

Aufgabe einer wissenschaftlichen Erforschung der

ein. Insgesamt befinden sich vier Schmetterlinge im

Natur nicht gewachsen ist. Bekleidet mit einem langen

Bild, wobei die zwei weißen Schmetterlinge, die links

Hemd, einem Nachthemd nicht unähnlich, einer gro-

neben dem Forscher und auf seinem Hut zu sehen

ßen Kappe und hohen Stiefeln, sticht die runde Brille

sind, diesen nicht interessieren. Er fixiert die sich

hervor, deren dicke Gläser in weißlichen Farben ihn

dominant im Vordergrund am unteren Bildrand auf-

nicht beim Sehen zu unterstützen scheinen, sondern

haltenden zwei Riesenfalter. Aufgrund ihrer blauen

Carl Spitzweg Der Schmetterlingsfänger

1840 Öl auf Holz 31 × 25 cm

17


Tier oder Mensch: Tier!

Farbe könnte es sich um Morphofalter handeln, ob-

immer aufwendigeren Expeditionen in ferne Länder.

schon Flügelform und Augenflecken eigentlich gegen

Neben den exotischen Tieren, die sich bald in den zoo-

diese Annahme sprechen. Das Ansitzen und Fliegen

logischen Gärten wiederfinden sollten und dort die

der Falter wurde von Spitzweg durchaus realistisch

Künstler inspirierten, war die heimische Tierwelt das

dargestellt: Bei dem Münchner Künstler handelte es

eigentliche Thema des Tierstückes. Um die Jahrhun-

sich um einen vermögenden Autodidakten, der, bevor

dertmitte lässt sich insbesondere für die Münchner

er nach 1833 beschloss, sich ausschließlich der Kunst

Tiermalerei eine neue Tendenz ausmachen, ein Hang

zu widmen, auf väterliches Geheiß ein Studium der

zur Idylle, der über das Schildern einer realen Situa-

Pharmazie, Botanik und Chemie erfolgreich abschloss

tion hinausgeht. An der Grenze zwischen Wunsch und

und als Apotheker arbeitete. Das Bild besticht weni-

Wirklichkeit finden sich die Tiere in einer atmosphä-

ger durch die Figur des bloßgestellten überforderten

risch stimmungsvollen Landschaft in friedlich trauter

Forschers, sondern durch die beiden tatsächlich wie

Einheit mit den sie begleitenden Menschen wieder. Die

13

bekannten Muster einer realen Schilderung bäuerli-

Sie stehen exemplarisch für eine unbekannte und bis

chen Lebens verdichten sich zu einer in sich geschlos-

dahin nie gesehene wahre Größe einer geheimnisvol-

senen zeitlosen spätromantischen Vorstellung eines

len Natur, aber auch für den Maximalwunsch eines

harmonisch ungestörten Miteinanders in der Natur.

jeden Entomologen, der eine neue, noch unbekannte

Maßgeblich verantwortlich für diese Entwicklung war

Insektenart entdecken möchte. Damit verweist der

der 1817 in Nördlingen geborene und seinerzeit als

Künstler auf ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, den

bedeutendster Tiermaler Deutschlands gefeierte Jo-

schier unerschöpflichen Drang der Wissenschaften

hann Friedrich Voltz (1817–1886). Zunächst

nach Erkenntnissen.

von seinem Vater, dem Maler Johann Michael Voltz

Während Spitzweg sich hier kritisch positionierte, er-

(1784–1858), ausgebildet, begann er 1834 ein Studi-

rangen die Wissenschaften Erfolge über Erfolge. Den

um an der Akademie in München und widmete sich

Wissenschaften, gerade Naturwissenschaften, sollte

dem Studium der Natur des Münchner Umlandes. Als

dieses Jahrhundert gehören. Ihr Ziel eines aus der

Schlüsselerlebnis gilt eine erste Reise nach Holland

Vernunft entspringenden Realismus durch wissen-

1841, wo ihn die Arbeiten von Paulus Potter zur Tier-

schaftliche Lösungen führte zu einer vollständigen

malerei führten.14 In den 1840er-Jahren widmete sich

Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die

der junge Künstler unter dem Einfluss des Tiermalers

alle Lebensbereiche betraf. Auch das Tierreich wurde

Albrecht Adam (1786–1862) Pferdebildern und Hoch-

nach neuesten Erkenntnissen und Auffassungen wis-

gebirgslandschaften.15 Den Durchbruch erreichte er

senschaftlich katalogisiert und in Gruppen eingeteilt.

in den 1850er-Jahren mit Tierbildern, die weiden-

Georg Wilhelm Friedrich Hegels Vorlesungen über

des oder trinkendes Rindvieh, Schafe und Ziegen in

die Philosophie der Natur (1819–1824), in denen er

bayerischen Landschaften zeigten. Seine Verbindung

die Natur als universales System propagierte, unter-

niederländischer Bildtraditionen mit einer neuen, an

stützten diesen Wunsch nach Forschen, Experimen-

der Freilichtmalerei orientierten intensiven Licht- und

tieren und Sammeln. Die Faszination durch exotische

Farbehandlung, vorzugsweise in hellen Tönen, schuf

Tierarten wuchs immer mehr und verband sich mit

eine gefühlsbetonte Atmosphäre; mit Arbeiten dieser

aus einem Traum entsprungenen Schmetterlinge.

18

Friedrich Voltz Idylle (Rastende Viehherde) o. J. Öl auf Leinwand 55 × 83,5 cm

19


Tier oder Mensch: Tier!

Art erzielte er große Erfolge.16 Zu seinen engen Freun-

Jahrhunderts entscheidende künstlerische Haltung,

den gehörte neben Carl Spitzweg auch Eduard Schleich

die sich von den zuvor besprochenen Positionen unter-

d. Ä. (1812–1874), mit dem er Gemeinschaftsbilder

scheidet. Zuvor bereits in Frankreich gewesen, lebte

malte und dessen Landschaftspanoramen ihn stark

und arbeitete er zwischen 1854 bis 1870 im Kreise

beeinflussten.17 Signifikant für den Künstler war die

der Künstler von Barbizon, ab 1866 hatte er dort ein

Wahl seines Formats; er bevorzugte lang gestreckte

eigenes Sommerhaus, während er die Wintermona-

Breitformate. Seit 1980 befindet sich als Schenkung

te in Berlin verbrachte. Der Schule von Barbizon ist

der Familie Klein Voltz’ Gemälde Idylle (Rastende Vieh-

eine unpathetische Darstellung der Verbindung von

herde, Abb. S. 18) in der Wiesbadener Sammlung. An

Mensch und Tier zu verdanken, die auf alles Über-

einem heißen Sommertag hat sich eine Hirtin mit ihren

flüssige, das nicht zum Thema gehörte, verzichtete

Tieren, Rindern und Ziegen, ins Waldinnere zurück-

und auf einer genauen Beobachtung der Natur fußte.

gezogen und sich mit ihnen unmittelbar im Bildvor-

Brendels Thema waren bevorzugt Schafe, die er meist

dergrund vor einem großen, steil aufragenden Felsen

in Herden in allen Facetten ihres Tagesablaufes, oft

niedergelassen. Das farbenfroh gekleidete Mädchen

in verschwommenen, dunstigen Tönen, malte. Die

gibt einer kleinen Geiß zu trinken und streichelt deren

Ölskizze Im Schafstall (Abb. S. 22) ist auf den ersten

Kopf. Einzelne Sonnenstrahlen fallen durch das dichte

Blick mehr Stallinterieur als Tierstück. Doch nach

Baumdach und sorgen für einen starken Wechsel von

Einsehen in das bräunlich-dunkel gehaltene Innere

Licht und Schatten, so dass die liebliche Szenerie einen

des Stalls erkennt man rechts ein kleines Schaf, das

sehr malerischen Charakter aufweist. Das Bild steht

in Richtung der zwei Hühner neben ihm blickt. Dieser

beispielhaft für das umfangreiche Werk des Künst-

kurze Moment des Interesses des Schafes an seinen

lers. Das undatierte mit »F. Voltz München« signierte

tierischen Nachbarn steht für einen intimen Einblick

Werk könnte um 1860 entstanden sein. Zwei weite-

in die Welt der menschlichen Nutztiere, vor allem

re Werke des Künstlers bereichern als Leihgabe der

aber steht er für eine freie realistische malerische

Bundesrepublik Deutschland seit 2020 das Museum

Behandlung des Tiermotivs. Möglicherweise fällt die-

(Abb. S. 20 oben und unten). Sie entstanden in den

ses Werk in Brendels Zeit in Barbizon, wo mehrere

1870er-Jahren und zeigen Voltz auf dem Höhepunkt

Schafstallbilder entstanden.18 1875 erhielt der Künst-

seiner malerischen Fähigkeiten in der Erfassung ein-

ler einen Ruf als Professor für Landschaftsmalerei an

fühlsamer, idyllischer Tierszenen. 1867 wurde Voltz

die Kunstschule nach Weimar, der er 1881 bis 1884

zum Ehrenmitglied der Akademie in München und von

auch als Direktor vorstand. Dort vermittelte er die er-

Ludwig II. zum königlichen Professor ernannt.

lebten und selbst umgesetzten modernen Grundsätze

Albert Heinrich Brendel (1827–1895)

der Schule von Barbizon. Darüber hinaus veranlasste

befindet sich leider nur eine kleine und zudem noch

er die Errichtung eines Glashauses, damit die Tiere

beschnittene Ölskizze im Museum. Dennoch kann

als Modelle geschützt studiert werden konnten. Bren-

man selbst an ihr jene malerischen Qualitäten des

dels Wirken steht beispielhaft für einen Wandel hin

Johann Friedrich Voltz

Künstlers ersehen, die erklären, warum er in der Tier-

zu einem bürgerlichen Realismus, der sich ganz an

Hirte mit Kuhherde an der Tränke 1870 Öl auf Holz 36 × 89 cm

malerei eine besondere Rolle einnimmt. In seinem

der gegenwärtigen Wirklichkeit ausrichtete, die Tiere

Weidende Kühe am Wasser mit Hirten 1875 Öl auf Holz 21 × 60 cm

Werk findet sich eine für die zweite Hälfte des 19.

mit einbezog und ihnen einen Selbstwert einräumte.

Von

20

21


Tier oder Mensch: Tier!

22

Albert Heinrich Brendel Im Schafstall o. J. Öl auf Papier auf Pappe 26,3 × 28,6 cm

Ludwig Knaus Der süße Traum (Die schlummernde Magd) 1861 Öl auf Leinwand 56 × 46 cm

23


Tier oder Mensch: Tier!

Parallel dazu wurde das Zusammenleben von Tier und Mensch auf den Höfen in der Genremalerei immer erzählerischer dargestellt. Der führende Künstler dieser Gattung, der gebürtige Wiesbadener Ludwig

Knaus (1829–1910) malte 1866 mit Der süße Traum (Die schlummernde Magd, Abb. S. 23) ein solch typisch narrativ-anekdotisches Bild, das eindrucksvolle Tiermalerei mit einer humorvollen Szene verbindet. In einem bäuerlichen Innenhof ist die auf einer Bank sitzende Magd über ihrer Arbeit weggeschlummert und träumt offensichtlich Angenehmes. Sie war gerade dabei, Spinatblätter in einer Schüssel zu waschen, als sie der Schlaf überkam. Drei Gänse machen sich ihre Unachtsamkeit zunutze, zwei fressen aus dem Korb am Boden, während die dritte dabei ist, ein Blatt vom Schoß des Mädchens zu picken – was durchaus als erotische Anspielung zu verstehen ist. Für seine

der Stiftung Heintzmann ins Museum Wiesbaden und

äußerst erfolgreichen Genrebilder nutzte Knaus viel-

fristete, wie ein Gutteil des Bestandes des 19. Jahr-

fach Tierdarstellungen. Akribisch studierte er Tiere bei

hunderts, ein Schattendasein. Niemals gezeigt, kommt

seinen Reisen auf dem Lande und hielt sie in Zeichnun-

das Gemälde einer malerischen Entdeckung gleich.

gen und Ölstudien fest (Abb. S. 25). Auch besuchte der

Zu Ruhm gelangte der Wiener Genremaler und seit

Künstler, der 1874 in Berlin eine Professur übernahm,

1878 Akademieprofessor durch seine orientalischen

mit Vorliebe die neu entstandenen zoologischen Gärten

Darstellungen. Zwischen 1874 und 1886 unternahm

in Berlin und Köln. Mit seinem poetischen Realismus

er insgesamt neun Ägyptenreisen und galt seitdem in

inspirierte er Generationen von Künstlern, die eben-

der zeitgenössischen Kritik als »Ägypten- oder Ori-

falls in ihre Genrebilder Tiere integrierten. Von dem

ent-Müller«. Die Entstehung des Gemäldes fällt mögli-

Bild sind drei Fassungen bekannt, von denen sich zwei

cherweise in jene Zeit, als er sich um 1872 in Weißen-

im Museum Wiesbaden befinden (Abb. S. 181).19 Sie

kirchen aufhielt; Werke aus dieser Zeit sind betitelt mit

belegen die Popularität des Motivs.

»Scheune«, »Hühnerhof«, »Bauernhof« oder »Alter

Die Schilderung des alltäglichen bäuerlichen Lebens

Hahn«.20 Das abgebildete Werk zeigt den rundbogi-

mit Tieren hatte viele Facetten. Überwiegend wurden

gen Eingang eines maroden Ökonomiegebäudes, das

die Gegebenheiten des ländlichen Alltags anhand von

wohl als Hühnerstall fungiert und mit einem kleinen

eher unspektakulären Themen dargeboten, die aber

Holzgatter verschlossen ist. Im Bildvordergrund sitzen

malerisch umso brillanter umgesetzt wurden, wie im Fall des österreichischen Künstlers Leopold 24

Karl Leopold Müller Hofgemäuer mit Hühnern o. J. Öl auf Holz 52,5 × 38,5 cm

Carl

Müller (1834–1892). Dessen Gemälde, Hofgemäu-

Ludwig Knaus Rind (Studie) o. J. Öl auf Pappe 33 × 40 cm

er mit Hühnern (Abb. S. 24), gelangte 1905 im Zuge

Museum Wiesbaden Dauerleihgabe aus Privatbesitz

25


Tier oder Mensch: Tier!

und stehen auf dem morastigen Boden zwei Hühner,

stände und Tiere, um malerisches Können zu zeigen.

während der Hahn auf einem kleinen Mauervorsprung

Zu sehen ist in einem nicht näher definierten Raum

im Eingangsbereich thront. Die Schilderung des ver-

ein gepolsterter Stuhl, neben dem eine Flinte an der

fallenen Gemäuers mit den sparsam gesetzten Tieren

Wand lehnt. Am Stuhl, über den unterschiedlich far-

verweist auf bescheidene Verhältnisse. Wie der Künst-

bige Kleidungsstücke drapiert sind, hängt seitlich ein

ler den bröckelnden weißen Mauerputz stofflich greif-

toter Fasan, während am Boden auf einem einfachen

bar macht und mit einer faszinierenden Lichtführung

Wollteppich ein toter Hase dramatisch ausgestreckt

helle und dunkle Partien miteinander atmosphärisch

liegt. Der Künstler kombinierte Wild und Geflügel mit

verbindet, zeugt von großer Meisterschaft. Die Tiere in

den Utensilien der Jagd, die auf den auf dem Bild feh-

ihrer unterschiedlichen farblichen Behandlung setzen

lenden Jäger anspielen. Eibl erfasste in realistischer

die entscheidenden Akzente und machen das Bild zu

Manier die stofflichen Qualitäten des Dargestellten,

einer feinfühligen, unaufgeregten realistischen Schil-

besonders gelungen in der weichen Behandlung des

derung einer dörflichen Szene.

Hasenfells. Die Arbeit ist in der für das Leibl-Umfeld

Eben jener Realismus, jetzt in der Manier eines Wil-

typischen dunklen, kühlen Tonmalerei gehalten; die

helm Leibls (1844–1900), findet sich bei einem weite-

roten und grünen Farbsetzungen, die der dekorati-

ren österreichischen Künstler, dem gebürtigen Wie-

ven Auflockerung dienen, fallen daher umso mehr

Ludwig Eibl (1842–1918) wieder. Seit 2020

ins Auge. Eibl ließ sich zunächst in Wien und Paris

befindet sich als Dauerleihgabe der Bundesrepublik

zum Bildhauer ausbilden, ehe er ab 1870 in München

Deutschland sein Gemälde Jagdstilleben mit Stuhl

unter anderem bei Wilhelm von Diez (1839–1907) an

(Abb. S. 26) in der Sammlung, eine sinnvolle Ergän-

der Kunstakademie Malunterricht nahm. Vornehmlich

zung zum vorhandenen Bestand an Stillleben von Wil-

war er auf dem Gebiet des Stilllebens tätig.

helm Trübner (1851–1917) und Carl Eduard Schuch

Die großen Erfolge der Genremalerei ab den 1850er-

(1846–1917). Das signierte, aber undatierte Werk

Jahren waren sicherlich mit ein Grund dafür, dass

dürfte um 1874 entstanden sein, da eine vergleich-

die Tiermalerei jetzt immer beliebter wurde und sich

bare Arbeit Jagdstillleben im Münchner Lenbachhaus

vermehrt Künstler auf diese Gattung spezialisier-

ner

21

26

Ludwig Eibl Jagdstillleben mit Stuhl o. J. Öl auf Leinwand 66,5 × 51 cm

Friedrich Otto

mit »L. Eibl 74 München« signiert und datiert ist.

ten. Dem gebürtigen Dresdner

Die Stilllebenmalerei nahm in der zweiten Hälfte des

Gebler (1838–1917) gelang es, innerhalb der unter-

19. Jahrhunderts, beginnend in Frankreich, wieder

einander konkurrierenden Künstlerschaft eine führen-

größeren Raum ein und bereicherte als weitere Fa-

de Rolle einzunehmen. Seine Popularität verdankte er

cette mit der Darstellung toter Tiere auch das Tier-

neben klassischen Tierdarstellungen auch zahlreichen

stück. Hier finden sich ebenfalls Reminiszenzen an

kuriosen Tierszenen sowie seiner Fähigkeit, Tieren in

die niederländische Tradition des Jagdstilllebens im

manchen Bildern menschliche Züge zu verleihen. Zu-

17. Jahrhundert, als derartige Werke an das aristo-

nächst in Dresden ausgebildet, wechselte er nach 1858

kratische Vorrecht der Jagd und später dann an die

nach München an die dortige Akademie und studierte

Vergänglichkeit des irdischen Lebens gemahnten. Die

bei dem Historienmaler Carl Theodor von Piloty (1826–

bürgerliche deutsche Variante à la Eibl fokussierte

1886). Von ihm übernahm er einen Hang zum Erzäh-

sich auf eine naturalistische Wiedergabe der Gegen-

lerischen und dessen Malweise, ansonsten wandte er

27


Tier oder Mensch: Tier!

sich sehr erfolgreich ganz der Gattung Tiermalerei zu. Das als Dauerleihgabe aus Privatbesitz im Museum Wiesbaden befindliche undatierte Gemälde Rinder und Gänse (Abb. S. 28) fällt mit seiner anekdotischen Schilderung in die Kategorie kurios und könnte auch den Titel tragen »Der geflüchtete Maler«. Vor einem typischen Stall, dessen Tür verschlossen ist und dessen auf einem steinernen Erdgeschoss errichteter hölzerner Heuspeicher überquillt, befinden sich ein Stier und zwei Rinder und »begutachten« die zurückgebliebenen chaotisch verteilten Utensilien des absenten Malers in der Bildmitte, einen großen Sonnenschirm, eine Skizzenmappe und einen Stuhl. Der geflüchtete Künstler war offenbar gerade dabei, die im Bildvordergrund befindlichen Gänse zu studieren, die ein Sandbad nehmen, als das überraschende Erscheinen der kleinen

jener Zeit mit dem Namen Heinrich

von Zügel

Herde für eine abrupte Beendigung der Sitzung sorg-

(1850–1941) verbunden, dem Autor der beiden Bil-

te. Die Bedrohung scheint noch gegenwärtig, da ein

der. Er hob diese Gattung auf ein neues Niveau und

Rind direkt aus dem Bild auf das Publikum blickt und

überführte sie letztlich in den deutschen Impressio-

auch der Stier sich im Begriff befindet, sich diesem

nismus. In einer lebenslangen künstlerischen Ausei-

zuzuwenden. Dabei präsentiert der Künstler den Stier

nandersetzung mit dem Thema Tier gelang es ihm,

von der Seite und damit mit maximaler Gewichtigkeit

ein neues Gleichgewicht zwischen Landschafts- und

der Muskulatur und Fleischmasse. Diese individuellen

Tierdarstellung herzustellen. Ohne die Landschaft zu

Züge der Tiere verleihen der Szenerie zusätzlichen

vernachlässigen, stellte er die Tiere in den Bildmit-

Reiz, zumal es sich bei der Gruppe der Rinder um

telpunkt. Während dieses Prozesses wurden die Tier-

ein Familienidyll zu handelt scheint: Stier, Kalb und

körper mehr und mehr zum eigentlichen Träger der

Kuh friedlich vereint. Eine besondere Note erfährt das

intensiven Licht- und Farbverhältnisse, so dass sich

humorvolle Motiv durch die Tatsache, dass es Gebler

deren Stofflichkeit zunehmend in reine freie Malerei

bevorzugte, weniger unmittelbar vor der Natur zu ar-

wandelte, ohne sich von ihrer realistischen Darstel-

beiten als nach gedruckten Bildvorlagen und selbst

lung zu lösen. Voraussetzung hierfür war ein Arbeiten

erstellten Fotografien.22 Möglicherweise wollte er sich

unmittelbar in der Natur bei den Tieren. Als Sohn

nicht einer »tierischen« Gefahr aussetzen.

eines Schafzüchters im süddeutschen Murrhardt war

Seit kurzen befinden sich als Dauerleihgaben der Bun-

dem Künstler der Umgang und eine Vertrautheit mit

desrepublik Deutschland zwei Gemälde im Museum, deren Qualität belegt, wie sich das Tierstück ab den

28

Otto Friedrich Gebler

o. J. Öl auf Leinwand 50 × 64 cm

1870er-Jahren auf eine neue Entwicklungsstufe be-

Heinrich von Zügel Tierstudie o. J. Kohle auf Papier 26 × 32 cm

geben hat. Bis heute ist der Ruhm der Tiermalerei

Sammlung Gehring

29


Tier oder Mensch: Tier!

30

Heinrich Johann von Zügel Hirt mit Kühen 1880 Öl auf Leinwand 24,5 × 32,5 cm

Heinrich Johann von Zügel Weidende Schafe o. J. Öl auf Leinwand 44,5 × 78 cm

31


Tier oder Mensch: Tier!

Tieren quasi in die Wiege gelegt, die er bereits als Kind

herde im Bildvordergrund und einer sich nach hinten

zeichnete. Sein Talent wurde früh erkannt, bereits im

zunehmend verlierenden Landschaft, die über eine

Alter von 15 Jahren besuchte er die Kunsthandwerk-

zarte, helle und intensive Lichtführung meisterhaft

schule in Schwäbisch Hall und ging ausgestattet mit

harmonisch in einem zeitlosen Augenblick verbunden

einem Stipendium 1868 an die Stuttgarter Königliche

werden. Der Künstler selbst bezeichnete seine frü-

23

Kunstschule.

32

Johann Christian Kröner Wildschweine in verschneitem Wald 1889 Öl auf Leinwand 83 × 62 cm

Nachdem er 1869 die Internationa-

hen Atelierarbeiten im Rückblick als »braune Soße«,

le Kunstaustellung in München besuchte hatte und

die mit ihrer gedämpften bräunlichen Farbigkeit tat-

dort Tierbilder von Anton Braith (1936–1905) und

sächlich im scharfen Gegensatz zu seiner aufgehellten

Johann Friedrich Voltz gesehen hatte, wechselte er

impressionistischen Farbbehandlung stehen.25 Das

an die dortige Akademie und wurde Schüler von Carl

vermutlich gegen Ende der 1880er-Jahre gemalte

Theodor von Piloty. Unzufrieden mit diesem Studium

Werk reiht sich in eine ganze Serie vergleichbarer

entschloss er sich zur Selbstständigkeit in München.

Schafsbildern aus Dachau in jener Zeit ein, mit denen

Zu diesem Zeitpunkt herrschte auch bei ihm noch

er große Erfolge errang. Dies schlug sich in der Ernen-

das Atelierbild im realistischen Stil in der Manier von

nung zum Professor 1889 nieder, der Berufung 1894

Braith vor. Zunehmend entwickelte er eine intensive

an die Goßherzogliche Kunstschule in Karlsruhe als

Beobachtung von Lichterscheinungen, die seine Bil-

Nachfolger von Hermann Baisch (1846–1894) sowie

der bewegter erscheinen ließen. Das 1880 gemalte

seinem Wechsel 1895 an die Münchner Akademie der

Hirt mit Kühen (Abb. S. 30) zeigt deutlich etwas von

Bildenden Künste, wo er die neu errichtete Klasse für

dieser veränderten Auffassung, die sich in einer zwar

Tiermalerei übernahm. Eine besondere Bedeutung

noch von Brauntönen dominierten, aber frei bewegten

nahm die »Zügel-Schule« ein. Diese Tiermalschule

Erfassung der Szenerie niederschlägt.24 Die dichte

bestand zwischen 1894 und 1922 und war sowohl

vielfigurige Szene ist stark atmosphärisch wieder-

an seine Lehrtätigkeit in München als auch an den

geben und stellt in ihrer Luft-Licht-Farbbehandlung

Studienort Wörth gekoppelt. Aus ihr sind mehr als

einen frühen Zwischenschritt auf dem Weg vom Rea-

100 Schüler hervorgegangen, die alle im Freien nach

lismus hin zum Impressionismus dar. Thematisch wird

lebendigen Modellen malen mussten. Mit Zügel wurde

das Bild von der aufgewühlten Wetterlage bestimmt,

der Impressionismus in Deutschland institutionali-

während der Hirt dabei ist, die unruhige Herde nach

siert. Dazu trug auch die Gründung der Münchner

Hause zu treiben. Studienaufenthalte an der nieder-

Sezession 1892 ihren Teil bei, deren Mitglied er war.

ländischen und belgischen Küste ermöglichten Zügel

Die beiden »neuen« Bilder von Zügel demonstrieren

Anfang der 1890er-Jahre den Durchbruch zum Im-

mit ihrer faszinierenden Naturnähe auf der Schwelle

pressionismus, dessen Vertreter er bei früheren Pa-

zum Impressionismus eindrucksvoll seine Sonderrol-

risaufenthalten und durch Ausstellungen in München

le innerhalb der Tiermalerei des 19. Jahrhunderts

kennengelernt hatte. Konsequenterweise arbeitete er

und stellen eine große Bereicherung für das Museum

von nun an im Freien.

Wiesbaden dar.

Das zweite Werk von Zügel, das kleinformatige Ge-

Die Qualitäten von Johann

mälde Weidende Schafe (Abb. S. 31), besticht durch

(1838–1911) lagen im Genre des Jagdbildes. Spezia-

einen tiefen inneren Einklang zwischen der Schaf-

lisiert hatte er sich auf die Darstellung von Jagdwild,

Christian Kröner 33


Tier oder Mensch: Tier!

bevorzugt Hirsch und Reh, die er gern in dunstiger

ließ, in welchem Kontext diese »röhrenden Hirsche«

Atmosphäre beim Heraustreten aus dem Walde zeig-

zu sehen sind. Die Industrialisierung und Kapitalisie-

26

te. Interessanterweise malte er nur in wenigen Fäl-

rung der Gesellschaft, die eine reiche Bürgerschicht

len die eigentliche Jagd beziehungsweise totes Wild,

etablierte und die Rolle des Adels schwächte, dessen

sondern sein Augenmerk galt den Verhaltensweisen

Privileg die Jagd war, sowie die Gründung eines Na-

des Wildes, die er mit den Augen des Jägers malte.

tionalstaates hatten die Sehnsucht nach einer heilen

In Zeichnungen, Aquarellen und Ölstudien hielt der

und starken Natur gefördert, die sich im Motiv des

aufmerksame Beobachter Kröner unmittelbar in der

brunftigen Hirsches bündelte. Dass sich in diversen

Natur seine Beobachtungen akribisch fest und zeigt

Bildern von Kröner eine seltsame Leblosigkeit der Tie-

uns sowohl ruhige als auch dramatische Momente in

re zeigt, zeugt von einer akademischen Adaption eines

unterschiedlichen Jahreszeiten und Wetterstimmun-

Künstlers, der nie eine Akademie besucht hatte. Nichts

gen. Das Publikum rückt er dabei in die beobachtende

davon vermittelt die durch den Schnee ziehende Herde

Perspektive einer Jagdpartie. Kröner galt als einer

von Wildschweinen. Hier entfalte Kröner sein gesam-

der führenden Tier- und Jagdmaler der Düsseldorfer

tes malerisches Können, indem er den verschneiten

Schule im späten 19. Jahrhundert, obwohl er dort

Wald in freier, lockerer und fast schon impressionis-

27

nicht studiert hatte. Der in einfachen Verhältnissen

tischer Manier atmosphärisch erfasste und die Tiere

in Rinteln geborene Künstler entschloss sich nach ei-

in höchster Lebendigkeit wiedergab. Landschaft und

ner Lehre als Dekorationsmaler im väterlichen Betrieb

Tiere verschmelzen zu einer stimmungsvollen harmo-

als Autodidakt zur Künstlerlaufbahn. Nach Stationen

nischen Einheit. Einer gewissen anekdotischen Note

in Hannover und München wandte er sich der Künst-

konnte sich der Künstler nicht entziehen, indem er

lerkolonie im oberbayerischen Brannenburg zu, wo er

Teile der Wildschweingruppe beim Streifzug durch

zahlreiche Düsseldorfer Künstler, darunter die Land-

den Wald unmittelbar aus dem Bild herausblicken

schaftsmaler Ludwig Hugo Becker (1833–1868) und

ließ. Das Leben und Treiben der Wildschweine im

Carl Irmer (1834–1900), kennenlernte. Nach seiner

Schnee zählte zu seinen beliebten Motiven und findet

Übersiedelung nach Düsseldorf 1863 spezialisierte

sich in diversen Ausführungen in den 1880er- und

sich Kröner, selbst Jäger, mit großem Erfolg ab den

90er-Jahren wieder.29 Für die Zinngussfirma F. Kayser

1870er-Jahren auf dieses Sujet, wobei er auch weiter-

in Krefeld-Bockum lieferte Kröner von 1902 bis 1907

hin als reiner Landschaftler in Erscheinung trat. Als

Jugendstil-Entwürfe mit Jagdmotiven.

er das Bild Wildschweine in verschneiten Wald 1889

Die beiden wunderbar exotisch anmutenden Hoch-

malte (Abb. S. 32), war er in der Kunstszene fest eta-

formate von

bliert, an der Berliner Kunstakademie angenommen

sind in einem heute nicht bekannten repräsentativen

28

34

Hugo Charlemont (1850–1939)

und seit 1893 Professor. Für so manche Darstellung

architektonischen Kontext zu verorten. Der Künstler

eines röhrenden Hirschs, heute Inbegriff des Kitsches,

war an zahlreichen Innenausstattungen in Wien be-

zeichnet Kröner verantwortlich – eine Folge des da-

teiligt, darunter die 1886 fertiggestellte Hermesvilla,

maligen Erfolgs dieses Motivs. Vielfach reproduziert

ein Schloss im Lainzer Tiergarten, das Kaiser Franz

und in diversen Zweitverwertungen wie Porzellan fand

Joseph I. seiner Ehefrau Kaiserin Elisabeth schenk-

Hugo Charlemont

eine regelrechte Übersättigung statt, die außer Acht

te. Für die Konzeption der Raumgestaltung zeichnete

Storch o. J. Öl auf Leinwand 123,5 × 48 cm

Flamingo o. J. Öl auf Leinwand 123,5 × 48 cm

35


Tier oder Mensch: Tier!

Hans Makart (1840–1884) verantwortlich, neben Char-

Der Aufbau des zweiten Bildes entspricht dem Stor-

lemont, der unter anderem das Turnzimmer ausmal-

chenbildnis, allerdings spiegelbildlich. Im Zentrum der

te, waren auch Georg (1867–1931) und Gustav Klimt

Komposition steht ein Flamingo der Gattung Phoeni-

(1862–1818) beteiligt. Für das 1895 vollendete Palais

copterus. Er blickt direkt aus dem Bild in Richtung des

Lanckoroński steuerte er Supraporten, mehrere bemal-

Betrachters. Hier dürfte es sich um einen Rosaflamingo

30

36

te Ofenschirme sowie Aquarelle bei. Im Palais befand

handeln, der in Südeuropa, Afrika und Asien heimisch

sich die Kunstsammlung des Grafen Karl Graf Lancko-

ist und zu der in zoologischen Gärten am häufigsten

roński, die 1938 von den Nationalsozialisten beschlag-

vertretenen Flamingogattung gehört. Charlemont hat

nahmt und verkauft wurde. Das Palais selbst wurde

Schnabel, Federn und die Beine des Tieres gleichmäßig

1944 teilweise zerstört und nach dem Krieg abgerissen.

rosafarben eingefärbt. Diese fehlende Differenziertheit

Die beiden Leihgaben der Bundesrepublik Deutschland

existiert in der Natur so nicht; sie dient hier einer de-

stammen nachweislich aus Wien und wurden 1944

korativen farblich geschlossenen Hervorhebung. Die

als »Stillleben« an den »Sonderauftrag Linz« für das

Rosafarbigkeit verbindet sich nahtlos mit einem an

geplante »Führermuseum« Adolf Hitlers überwiesen.

die Beine anschließenden dargestellten Blütenstand,

Die beiden Pendants Flamingo (Abb. S. 35 rechts) und

einer Acanthaceae, wahrscheinlich eine südamerika-

Storch (Abb. S. 35 links) stammen aus einem wand-

nische Jakobinie. Der Hintergrund, insbesondere um

gebundenen Zusammenhang, entweder rahmten sie

die Kopfzone, ist mit Blüten des westafrikanischen Los-

ehemals links (Storch) und rechts (Flamingo) einen

strauches gefüllt. Die im 19. Jahrhundert sehr populäre

Spiegel, eine Tür oder ein größeres Gemälde. Die in

Pflanze wurde als »Schönheitsstrauch« bezeichnet, sie

beiden Bildern rechts und links angeschnittenen stei-

konnte nur in Gewächshäusern kultiviert werden.31

nernen hohen sockelartigen Elemente korrespondieren

Diese ausgefallenen Tiere konnte der Künstler in Wien

miteinander und belegen ihre Zusammengehörigkeit.

beispielsweise in der »Menagerie« im Schlosspark von

Beide Tiere wurden vom Künstler ganzfigurig inmit-

Schönbrunn beobachten.

ten von unterschiedlichen Blumen dargestellt, die sich

Hugo Charlemont entstammte einer Künstlerfamilie,

bildfüllend über das ganze Format erstrecken. Cha-

sein Vater war Miniaturmaler, und seine Brüder sollten

rakteristisch für den nach rechts blickenden afrikani-

ebenfalls eine künstlerische Laufbahn einschlagen. Seit

schen Sattelstorch ist seine schwarzweiße Befiederung

1865 lebten sie in Wien, dort begann er 1873 ein Stu-

und sein dreifarbiger Schnabel. Vom kräftigen Gelb

dium an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

am oberen Schnabelgrund sowie vom leuchtenden Rot

Nach einer Station in den Niederlanden vervollständigte

an Spitze und unterem Schnabelgrund sind heute nur

er seine Ausbildung bei seinem Bruder Eduard (1842–

noch Spuren sichtbar. Der Hintergrund des Kopfes wird

1906) und bei Hans Makart. Zu seinem umfänglichen

hervorgehoben durch die Blüte einer afrikanischen

Repertoire zählten Landschaften, Genremalereien, Tier-

Schwertblume, während der rechte untere Teil des Bil-

stücke, Stillleben, Porträts und Illustrationen, mit denen

des von einem großen rosa Blütenstand eingenommen

er große Erfolge errang. 1896 wurde er zum Professor

wird, der möglicherweise einer Levkoje Afrikas zuge-

ernannt. In seinem leuchtenden intensiven Kolorit und

ordnet werden darf. Ergänzt wird der Sattelstorch noch

seiner freien malerischen Behandlung der Themen fin-

von einem links am Boden liegenden Muschelgehäuse.

det sich phasenweise eine Nähe zum Impressionismus,

Marie Nestler-Laux Inséparables (Zwei Wellensittiche) o. J. Öl auf Holz 17 × 13 cm

37


Tier oder Mensch: Tier!

38

allerdings nicht in Reinausprägung. Mit seinem Hang

Im Zuge der zunehmend wachsenden Städte mit ih-

zum Dekorum im eigentlichen Sinne bündelte er die

ren industriellen Begleiterscheinungen wuchs der

damals aktuellen Strömungen in Wien zu einer ihm

Wunsch, sich ein Stück Natur nach Hause zu holen.

eigenen Ausformung. Die fehlende Raumtiefe und der

Ideal dafür waren die leicht in Vogelbauern zu hal-

flächige Charakter lassen auch auf Einfluss japanischer

tenden Wellensittiche, die sich quer durch alle Ge-

Holzschnitte deuten. Die beeindruckenden exotischen

sellschaftsschichten höchster Beliebtheit erfreuten.

Tierstücke, die in ihrer Blumenpracht auf die natürliche

Ausgestattet mit einem enormen sozialen Verhal-

Umgebung der Tiere abzielen und ein tiefes Naturemp-

tensrepertoire, eroberten die Vögel die Herzen ihrer

finden vermitteln, spiegeln auch einen bürgerlichen

Besitzer. Die aus der Aufklärung hervorgegangene

weltgewandten exklusiven Repräsentationswillen wider.

Bewegung der Empfindsamkeit, die an das Mitgefühl

Entstanden vermutlich vor 1900, fallen die Werke in die

appelliert, findet sich in dem Glück und Zufriedenheit

Zeit des Jugendstils mit seiner ausgeprägten Vorliebe

ausstrahlenden unzertrennlichen Wellensittichpaar

für Tierdarstellungen, die eine Erneuerung der Kunst

wieder. Die emotionale Ebene, hier in Form einer lie-

aus der Kraft der Natur propagierten.

bevollen Zuneigung der beiden Vögel, war für die Tier-

Als Abschluss der Tiermalereien sei noch auf ein

malerei, insbesondere wenn es sich um die Wieder-

kleinformatiges Werk einer so gut wie vergessenen

gabe von Haustieren handelte, ein zentraler Aspekt.

Künstlerin verwiesen. Nur wenige verlässliche Daten

In ihren einfühlsamen zarten poetischen Tierbildern

haben sich von der Tier- und Landschaftsmalerin

hatte sich die Künstlerin darauf spezialisiert, diese

überliefert. Marie

Gefühlsebene anzusprechen.

Nestler-Laux wurde 1852 in

Wiesbaden geboren und studierte bei dem Tiermaler

Für den Bereich der Tierplastik sollen nur zwei Bei-

Benno Rafael Adam (1812–1892) in München. 1887

spiele exemplarisch für das Spannungsfeld unter-

beteiligte sie sich an einer Ausstellung in Paris. 1888

schiedlicher Positionen im 19. Jahrhundert stehen.

heirate sie den Botaniker Anton Nestler in Prag und

Dennoch lässt sich selbst anhand der beiden kleinen

lebte dort bis zu ihrem Tod 1935.32 Das Werk Insépa-

Werke so etwas wie eine typische zu verallgemeinern-

rables (Zwei Wellensittiche, Abb. S. 37) ist mit Marie

de stilistische Entwicklung ablesen. Während das Werk

Laux signiert, somit vor 1888 entstanden, da sie nach

Leda und der Schwan (Abb. S. 38 oben) von

ihrer Heirat mit Nestler-Laux zeichnete. Einige ihrer

Jacques Feuchère (1807–1852) die Tierdar-

Arbeiten, vornehmlich Vogeldarstellungen, wurden

stellung in einem mythologischen Kontext einordnet,

als Reproduktionen beispielsweise in der Gartenlaube

zeigt die Bronze Zwei liegende römische Ziegen von

veröffentlicht. Auf dem gerade einmal 17 × 13 Zen-

August Gaul Tiere, die allein um ihrer selbst willen

timeter großen Gemälde auf Holz, das sich seit 1905

dargestellt sind. Zwischen den beiden Werken liegen

im Museum befindet, ist ein eng beieinandersitzendes

knapp 50 Jahre und eine grundlegend veränderte

Wellensittichpaar auf einem Geäst dargestellt. Vor hel-

Auffassung von der dreidimensionalen Darstellung

lem monochromen Grund hebt sich die Farbenpracht

von Tieren. Feuchères Bronze (um 1840/1850 ent-

der ursprünglich nur in Australien beheimateten Vö-

standen) thematisiert das über Jahrhunderte in der

Jean-Jacques Feuchère Leda und der Schwan um 1840/1850 Bronze Höhe etwa 18 cm

gel ab. Dank der Lichtführung findet sich ein zusätz-

bildenden Kunst beliebte mythologische Motiv von

August Gaul Zwei liegende römische Ziegen 1898 Bronze 26,5 × 45 × 30,2 cm

lich belebendes Schattenspiel an der Wand wieder.

Zeus, der in Gestalt eines Schwanes Leda »beglückt«.

Jean-

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