Aufschluss

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für Karim

michael belhadi

michel Ptasins K i

a ufschluss

a rchitektur sagt immer auch etwas über die m enschen aus, die sie errichtet haben, und über das m enschenbild jener Zeit, in der ein Gebäude entstanden ist. Gerade weil die fotografien von m ichael b elhadi und m ichel Ptasinski in deutschen Justizvollzugsanstalten nur a rchitektur, aber keinen einzigen m enschen zeigen, geben sie den b lick frei auf den u mgang unserer Gesellschaft mit s traf gefangenen, die ihre freiheitsstrafe in einer der zwölf Justizvollzugsanstalten verbüßen, die dieser b and dokumentiert.

Wenn auf einer a ußenaufnahme der JVa m ünster gleich zwei fußbälle im s tacheldraht festhängen, ist dies ein starkes s ymbol für die Grenze, die die i nsassen einer h aftanstalt von der u nbeschwertheit der freiheit trennt. d ie nüchternen fotografien werfen beim b etrachter die frage auf, was genau eigentlich eine freiheitsstrafe erreichen will. Wir sehen b ilder von Gittern und Zäunen, die die Gefangenen von der a ußenwelt trennen. Wir sehen aber auch b ilder von b esuchsräumen und telefonen, die Verbindungen der i nsassen zu dieser a ußenwelt herstellen. u nd wir sehen b ilder von t ischtennisplatten und Kinoräumen, die eine n ormalität jenseits aller Gefängnismauern suggerieren.

1957 sorgte der hessische Generalstaatsanwalt fritz b auer für einen politischen e klat, als er anlässlich eines Konzerts in der s trafanstalt b utzbach die i nsassen als »meine Kameraden« ansprach. m it dieser Geste wollte fritz b auer unterstreichen, dass ihm die soziale b ehandlung von s trafgefangenen eine h erzensangelegenheit und eine frage der m enschenwürde war.

Vom bloßen Wegsperren früherer Zeiten hin zur psychosozialen b egleitung und gegebenenfalls auch therapeutischen b etreuung, vom Verbannen der s trafgefangenen aus der Gesellschaft zur r esozialisierung der b etroffenen für eine zweite c hance in freiheit war es ein langer Weg. m ein a mtsvorgänger, der spätere b undespräsident Gustav h einemann, hat 1968 gefordert: » d er s inn des s trafrechts sollte aber nicht mehr darin erblickt werden, dem r echtsbrecher ein ü bel anzutun für ein von ihm getanes ü bel. d er Zielgedanke sollte vielmehr sein, den besserungsfähigen täter wieder für die Gesellschaft zurückzugewinnen und diese vor unverbesserlichen tätern durch s icherungsmaßnahmen zu schützen.« d er s traf täter

– so klagte h einemann damals – erlebe den freiheitsentzug in der s trafanstalt nicht »als a ufruf zum Guten«, vielmehr zeigten die erschreckend hohen r ückfallquoten, dass der s traffällige »oft nicht besser, sondern eher schlechter geworden« sei, wenn er die s trafanstalt verlässt.

Wie viel hat sich daran in den letzten 50 Jahren geändert? d as b undesverfassungsgericht betont in ständiger r echtsprechung, der Vollzug der freiheitsstrafe müsse auf das Ziel ausgerichtet sein, dem i nhaftierten ein künftiges straffreies leben in freiheit zu ermöglichen. d ieses Vollzugsziel sei nicht nur ein Gebot der m enschenwürde und der Verhältnismäßigkeit, sondern folge auch aus der staatlichen s chutzpflicht für die s icherheit aller b ürger. Zwischen dem i ntegrationsziel des Vollzugs und dem a nliegen, die a llgemeinheit vor weiteren s traftaten zu schützen, bestehe insoweit kein Gegensatz.

s o richtig das b undesverfassungsgericht hier liegt: Wenn es in den politischen d ebatten um den s chutz vor Kriminalität geht, wird eher selten über Verbesserungen des s trafvollzugs gesprochen – meistens wird nach schärferen Gesetzen und härteren s trafen gerufen. d abei gefährden ü berbelegung, Personalmangel und daraus folgende fehlende i ntegrationsmaßnahmen das Vollzugsziel und damit auch die innere s icherheit.

l eider wird in der politischen d ebatte der Zusammenhang zwischen der a ndrohung und Verhängung von freiheitsstrafen und einer angemessenen Organisation und a usstattung unseres s trafvollzugs viel zu selten gesehen. u mso bedeutender sind Projekte wie dieses b uch, die uns daran erinnern, wie wichtig ein guter s trafvollzug ist –nicht nur für die m enschen hinter Gittern, sondern auch für diejenigen diesseits der Gefängnismauern.

d er t itel des b uches »a ufschluss« ist daher in doppelter h insicht klug gewählt: als Verringerung der u nfreiheit und als a ufklärung über die b edeutung des s trafvollzugs für eine Gesellschaft in s icherheit und innerem frieden.

h ei KO m aas b undesminister der Justiz und für Verbraucherschutz

t ür zu?

Gefängnisse sind bekanntlich seit jeher dafür da, um s trafen zu vollziehen. d ieser n utzung entsprechend entwickelte sich seit m itte des 19. Jahrhunderts eine spezielle a rchitektur mit einer eigenen Ästhetik. Gerade aufgrund der e xistenz mannigfaltiger a rchitekturbildbände sei jedoch die frage erlaubt: Können Gefängnisse tatsächlich so ästhetisch sein, dass man ihnen mit dem m ittel der fotografie ein ganzes b uch widmet?

d er vorliegende fotoband gewährt zahlreiche e inblicke in die sonst verschlossene Welt der Vollzugsanstalten aus verschiedenen e pochen und mehreren r egionen d eutschlands und bringt damit ihre besondere architektonische Gestaltung auch a ußenstehenden nahe. d en fotografen ist es aber nicht nur in eindrucksvoller Weise gelungen, aus handwerklicher s icht großartige a ufnahmen zu fertigen. s ie haben es auch geschafft, etwas von der einzigartigen a tmosphäre dieser ungewöhnlichen Orte spürbar werden zu lassen. i nsofern ist die eingangs gestellte frage aus meiner s icht eindeutig zu bejahen.

b eim b etrachten der a ufnahmen drängt sich neben der b eurteilung ihrer fotografischen Qualität auch die frage auf, ob und falls ja, auf welche Weise die jeweilige a rchitektur das im l aufe von etwa 150 Jahren sich wandelnde Verständnis vom u mgang mit s trafgefangenen widerspiegelt. m an mag sich daher eine m einung darüber bilden, ob die preußische Gefängnisarchitektur eines Zuchthauses den damals vorherrschenden s trafzweck der s ühne ebenso gut repräsentiert wie eine moderne Justizvollzugsanstalt aus dem 21. Jahrhundert das gesetzlich normierte Vollzugsziel der gesellschaft-

lichen Wiedereingliederung von straffällig gewordenen m enschen zum a usdruck bringt. i n Gesprächen mit Gefangenen höre ich beispielsweise immer wieder, dass sie sich in älteren Justizvollzugsanstalten mit ihren verwinkelten Gängen wohler fühlen als in modernen Gebäuden, die sie als »nüchtern« und »zweckmäßig« empfinden. Gibt es tatsächlich objektive m erkmale, die in der a rchitektur erkennbar sind, oder unterscheiden sich die e inrichtungen nur durch kleine d etails?

s ollten derartige m erkmale, welche die unterschiedlichen Zweckbestimmungen bestätigen tatsächlich nicht auszumachen sein, drängen sich allerdings noch weitere fragen auf: Geht es bei der baulichen Gestaltung von Gefängnissen damals wie heute schlichtweg doch nur um die möglichst günstige u msetzung (personal-) ökonomischer a spekte? l autet die alles entscheidende frage für die Planer und f inanzierer von Gefängnissen bloß: »Wie kann ich mit dem geringsten a ufwand möglichst viele Gefangene sicher unterbringen und beaufsichtigen?« ü berwiegt somit zu allen Zeiten das d iktat von n utzen und Kosten? – Gleichgültig welcher Zeitgeist gerade herrscht? u nd schließlich: Verkümmert der m ensch auch hier nur zum Kostenfaktor?

a ngesichts dieser offenen fragen besitzt der vorliegende b ildband neben der rein fotografischen d arstellung auch eine gesellschaftliche r elevanz und lädt zur d iskussion über die entscheidende frage ein: s ind und waren derartig gestaltete Orte der u nfreiheit tatsächlich geeignet, m enschen das l eben in freiheit nahe zu bringen?

i ch wünsche i hnen viel freude bei dem b etrachten der fotografien und natürlich auch bei der anschließenden d iskussion dieser sowie anderer fragen.

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