Sabine Ullrich, Cornelia Heller und Doreen Pöschl
MALEREI MIT LICHT UND GLAS
BAUGEBUNDENE GLASKUNST IN UND AUS MAGDEBURG
Von den Anfängen bis in die Gegenwart – mit Schwerpunkt ab 1945 und der »Glasgestaltung Magdeburg«
Mit einem Beitrag von Holger Brülls Fotos: Frank Pudel
Herausgegeben vom Stadtplanungsamt der Landeshauptstadt Magdeburg
Beitrag zur Glasmalerei im vergangenen Jahrhundert und jetzt
GESCHICHTE DER GLASMALEREI UND DER BAUGEBUNDENEN GLASKUNST
Von den Anfängen bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts unter besonderer
KÜNSTLERGRUPPE »GLASGESTALTUNG MAGDEBURG« Baugebundene Glaskunst der Nachkriegsmoderne
‹‹‹ 1 Manfred Gabriel: Detail aus der Arbeit im Jugendwohnheim und Internationales Gästehaus Jena, Am Herrenberge 3, ehemals Betriebsberufsschule VEB Carl-Zeiss-Jena, Jena-Lichtenhain, Wand im Eingangsbereich, 1968 (Foto: Frank Pudel)
Chorfenster der katholischen Kirche St . Maria Hilfe der Christen in Magdeburg-Ottersleben – Wilhelm Görgens
Fragmente von zwei Kirchenfenstern im Magdeburger Dom – Fritz Geiges
Fenster in der Marienkapelle des Magdeburger Doms – Wilhelm Ritterbach
Fensterzyklus in der katholischen Kirche St Marien in Magdeburg-Sudenburg – Walter Johann Schneider
Treppenhausfenster im Hotel »Ratswaage« in Magdeburg – Walter Bischof
Fensterzyklus in der katholischen Kirche St . Petri in Magdeburg – Charles Crodel
Treppenhausverglasung im Neubau des ehemaligen Kreisgerichts von Tangerhütte – Oskar Hamann
Hölderlin-Fenster für die Medizinische Akademie in Erfurt und die Johannes-Gutenberg-Schule in Wolmirstedt – Richard Wilhelm 147
Treppenhauswand im Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik in Berlin – Eckehard Frey 151
»Genesung«, Glasplastik vor dem Bettenhaus der Berliner Charité – Reginald Richter 155
Wandgestaltung an der Neuapostolischen Kirche in Halberstadt – Oskar Hamann 159
Glaswände im Gemeindesaal der Wallonerkirche in Magdeburg – Marga Hamann
Glaswände in der katholischen Kirche St Mechthild in Magdeburg-Neustädter Feld – Christof Grüger
163
167
Stele »Neuer Glasmacherbrunnen« in Weißwasser –Dietmar Witteborn und Reginald Richter 173
Fensterzyklus der katholischen Kathedralkirche St . Sebastian in Magdeburg – Alois Plum
Josefs-Fenster in der katholischen Kirche St . Josef in Magdeburg-Neu Olvenstedt – Maren-Magdalena Sorger
Apsisfenster in der katholischen Kirche St . Agnes in Magdeburg-Neustadt – Günter Grohs
176
179
183
Fensterzyklus in der Johanniskirche, städtischer Festsaal und Konzerthaus in Magdeburg – Max Uhlig 187
VERZEICHNIS
VORWORT
Liebe Leserinnen und Leser, das Stadtbild von Magdeburg wird seit jeher modern und kunstvoll gestaltet . Zu den Wahrzeichen unserer über 1200-jährigen, facettenreichen Elbestadt zählen wir herausragende und bekannte Beispiele der Baukunst, wie den gotischen Magdeburger Dom, das romanische Kloster Unser Lieben Frauen, die Prachtstraßen des Gründerzeitviertels, die Siedlungen und Gebäude des »Neuen Bauens« der 1920er Jahre, die Hyparschale und das Hundertwasserhaus . Weniger bekannt war bis jetzt die historische Dimension von Glas als Material für Kunst am Bau in Magdeburg sowie die Bedeutung von Magdeburger Künstlerinnen und Künstlern in diesem Bereich . Der vorliegende Band »Malerei mit Licht und Glas – Baugebundene Glaskunst in und aus Magdeburg« nimmt erstmals die Vielfalt der Glasgestaltung an Bauwerken im öffentlichen Raum in den Blick und erzählt damit ein neues Kapitel der Stadtgeschichte . Die historische Auseinandersetzung mit dieser traditionellen Kunstform präsentiert sich in verschiedenen Fachbeiträgen über ausgesuchte Kunstwerke von den Anfängen im Mittelalter bis hin zu großartigen und einmaligen Arbeiten der Gegenwart. Besondere Berücksichtigung findet hier die baugebundene Glaskunst aus Magdeburg während der Jahre 1945 bis 2000 – im Mittelpunkt: die Aktivitäten des Künstlerkollektivs »Glasgestaltung Magdeburg«, das sich 1954, vor genau 70 Jahren, gründete und 1974, vor genau 50 Jahren, mit einer Sonderausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg hohe Aufmerksamkeit erregte Das bekannteste Werk dieser Gruppe, die »Gläserne Blume« aus dem ehemaligen Palast der Republik in Berlin, steht beispielhaft für die Brisanz der thematisierten Kunst: Sie ist filigran, zerbrechlich und wurde als ideologisch gefärbt sowie unpopulär polarisiert. Aktuell findet sowohl in der Kunstgeschichte als auch in Politik und Gesellschaft ein Paradigmenwechsel statt, der die Kunst der ostdeutschen Nachkriegsmoderne neu bewertet und ihre Akzeptanz erhöht
Unabhängig hiervon zeigt sich die große Bedeutung und Einzigartigkeit baugebundener Glaskunst in und aus Magdeburg in vielfältiger Weise und prägt tagtäglich die unmittelbare Lebensumgebung der Menschen Mit dem stolzen Bewusstsein um die Schönheit, Geschichte und Schutzbedürftigkeit dieser besonderen Kunstwerke lässt sich die Landeshauptstadt jetzt neu erleben .
Ihre
Simone Borris Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Magdeburg
PROLOG
»Ehe man das Glas so richtig lieben kann, muß man die Angst vor der Zerbrechlichkeit überwinden [ . . .] .«
Reginald Richter1
Im Juli 2019 forderten die Kulturstiftung der Länder und der Bundesverband Kulturnachlässe, die Nachlässe von Künstlern und Künstlerinnen als Kulturgut anzuerkennen Hintergrund sei die unklare Lage des kulturellen Erbes, das vor allem regionale Bedeutung habe Ziel sei, den Bestand der Werke möglichst schon zu Lebzeiten der Künstler systematisch zu erfassen, im günstigsten Fall zu digitalisieren Es werde befürchtet, wertvolle Kunstwerke könnten unwiederbringlich verlorengehen Die höchst notwendige Sicherung des Vorhandenen war das zentrale Anliegen dieser Initiative
Die aktuelle Forderung offenbart die hohe Bedeutung regionaler Künstlerinnen und Künstler, die der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Markus Hilgert, in einer Pressekonferenz zum Umgang mit Künstlervor- und -nachlässen so beschrieb: »Nicht jeder Künstler bekommt sein eigenes Museum und nicht jeder Nachlass kann in eine Museumssammlung übergehen« . Jedoch spielten zahlreiche Kreative und Kunstschaffende, die international weniger bekannt seien, für das kulturelle Selbstverständnis einzelner Orte oder Regionen in Deutschland eine große Rolle . 2
Diese Forderung gilt auch für Kunst am Bau bzw baugebundene Kunst . Viele Werke, die in der DDR als baugebundene Kunst und Kunst im öffentlichen Raum entstanden, sind insbesondere im Zuge der politischen Wende aus der öffentlichen Wahrnehmung bereits entfernt worden, in Depots eingelagert, teils abgerissen oder verschollen . Auch heute noch schreiten Abriss und Vernichtung weiter fort, da die Eigentümer häufig nicht um die Geschichte und Bedeutung der baugebundenen Kunst wissen oder aus wirtschaftlichen Gründen einen Erhalt dieser Werke nicht in Erwägung ziehen (Abb. 4, 5). Diese Arbeiten im öffentlichen Raum und in öffentlichen Gebäuden sind keineswegs über-
‹‹‹ 3 Christof Grüger: »Herbst« aus der Serie »Variation eines Baumes durch die fünf Jahreszeiten« im Jugendstilsaal des ehemals von der Stadtbibliothek Magdeburg genutzten, früheren Logenhauses der Freimaurerloge »Ferdinand zur Glückseligkeit« in der Weitlingstraße, 1989/90 (Foto: Frank Pudel)
wiegend Symbole der DDR-Politik Nicht selten versteckt sich hinter einem, dem damaligen gesellschaftlichen System konformen Werk-Titel eine künstlerisch individuelle oder auch gesellschaftskritische Aussage.
Da das Wesen der baugebundenen Kunst in der Beziehung zu der Architektur und zu dem jeweiligen Raum liegt, für die sie geschaffen wurde, diese Beziehung quasi werkimmanent ist, ist eine Herauslösung aus dem ursprünglichen, häufig auch funktionalen Kontext grundsätzlich problematisch .
Die Landeshauptstadt Magdeburg verfügt über eine reiche regionale Kunst und Kulturlandschaft, darunter Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die sich im Bereich der baugebundenen Glaskunst in der Zeit von 1954 bis 2000 als Künstlergemeinschaft »Glasgestaltung Magdeburg«3 einen Namen machten und überregionale Bedeutung erlangten . Sie sind bis heute im Bewusstsein vieler älterer Magdeburger und Magdeburgerinnen verankert . Mit Umbenennung der Magdeburger Kunst- und Handwerkerschule in die Fachschule für angewandte Kunst im Jahr 1950 begann eine Generation von Glasgestaltern ihre Ausbildung unter dem Glasgestalter Walter Bischof und seinem Nachfolger Walter Gluch, von denen einige nach Beendigung der dreijährigen Ausbildung zu den Gründungsmitgliedern der »Glasgestaltung Magdeburg« gehörten und deren Schaffen in und außerhalb von Magdeburg eine Werkgruppe darstellt, die bislang nicht abschließend erfasst wurde und kunstgeschichtlich neu zu bewerten ist . 4
In Vorbereitung auf eine von der Landeshauptstadt Magdeburg geplante Publikation zur Beschreibung und Einordnung der Arbeiten der »Glasgestaltung Magdeburg«, die der Nachkriegsmoderne zuzuordnen ist, und einer umfassenden Geschichte der baugebundenen Glaskunst in Magdeburg sollte mit Hilfe eines Kurzinventars eine Erfassung aller in Magdeburg und von Magdeburger Glaskünstlern deutschlandweit geschaffenen baugebundenen Glaskunst erfolgen Weiter sollte das Spektrum sämtliche Gattungen der Architektur berücksichtigen, sakrale wie profane Gebäude, und Epochen übergreifend von den Anfängen der Glasmalerei bis in die Gegenwart reichen . Zudem sollte die Frage beantwortet werden, ob sich in Magdeburg eine künstlerische Tradition im Bereich der Glaskunst nachweisen lässt, die schon vor der Gründung der Fachklasse für Glas an der Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg begann Dies kann abschließend mit »Ja« beantwortet werden . »Ja« insofern, als sich bereits seit dem Mittelalter und über viele Jahrhunderte Glaskunst
in Magdeburg nachweisen und vermuten lässt, obwohl sie nicht erhalten ist . »Ja«, aber nicht im Sinne von Kontinuität oder einer lokalen Schule, sondern in einer Summe von einzelnen, zeitlich begrenzten künstlerischen und handwerklichen Traditionen, Werken und Phänomenen, die mit Max Uhlig und Christine Bergmann bis in die Gegenwart reicht, und die mit den geplanten Glasfenstern von Thomas Kuzio (*1959) für die Nicolaikirche und von Christine Triebsch
4 Walter Bischof: »Landwirtschaft«, Treppenhausfenster in der früheren Polytechnischen Oberschule »Altmärkische Wische«, Lichterfelde/Altmark, 1960–63, Zustand 2021, akut gefährdet (Foto: Cornelia Heller)
(*1955) für die Wallonerkirche auf eine qualitätvolle künstlerische Fortsetzung hoffen lässt. Allerdings hat es zu keinem Zeitpunkt eine vergleichbare Menge baugebundener Glaskunst in und aus Magdeburg gegeben wie in den 46 Jahren des Bestehens der »Glasgestaltung Magdeburg« Das Werk der Künstlergemeinschaft »Glasgestaltung Magdeburg« sollte darüber hinaus durch Gespräche mit den noch lebenden Protagonisten gewürdigt werden . Das
5 Walter Bischof: »Industrie«, Treppenhausfenster in der früheren Polytechnischen Oberschule »Altmärkische Wische«, Lichterfelde/Altmark, 1960–63, Zustand 2021, akut gefährdet (Foto: Cornelia Heller)
»Sprechenlassen von Zeitzeugen«, in der Geschichtswissenschaft als »Oral History« bezeichnet, dient zugleich der Sicherung von biografischen Daten. Hierfür war es aufgrund des bereits fortgeschrittenen Alters der drei Beteiligten sprichwörtlich »fünf vor Zwölf« Mit dieser Arbeit und dem dazugehörenden Inventar im Stadtplanungsamt Magdeburg liegt nun eine große Materialsammlung vor, welche die Möglichkeit bietet, die künstlerische Leistung der
»Glasgestaltung Magdeburg« in Zukunft mit der Glaskunst deutschlandweit zu vergleichen und kunsthistorisch zu bewerten
Sabine Ullrich (SU), Cornelia Heller (CH) und Doreen Pöschl (DP)
MODERNE
DURCHLEUCHTET
Magdeburgs Beitrag zur Glasmalerei im vergangenen Jahrhundert und jetzt
Holger Brülls, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Die bau- und bildkünstlerische Moderne, der gern und schnell das Etikett »international« angehängt wird, fand in Wirklichkeit in den Regionen statt, in der Provinz, oft genug am Rand, weitab der großen Metropolen, in Sphären und Milieus, in denen Traditionshüter und Bedenkenträger nicht allzu zahlreich hineinreden konnten und die Experimente Einzelner eher zufällig Freiräume fanden. Das trifft gleichermaßen zu auf das Baugeschehen wie in noch höherem Maße auf die bildende Kunst, und hier in besonderer Weise auf die baugebundenen Gattungen Die eindrucksvolle architektonische Entwicklung, die Magdeburg als »Stadt des Neuen Bauwillens« in den 1920er und frühen 1930er Jahren nehmen konnte, und die sich mit dem Namen Bruno Taut, mehr und vor allem aber mit dem Stadtbaurat Johannes Göderitz als prägender schöpferischer Gestalt verbindet, ist dafür das beste Beispiel Es tritt in seiner kulturellen Strahlkraft noch markanter hervor, wenn man es kritisch mit den im Grunde bescheidenen baulichen Entwicklungen vergleicht, die im fast benachbarten Dessau unter dem Signum Bauhaus seinerzeit und parallel zustande kamen .
Mit der Glasmalerei der Moderne als einer architekturbezogenen Kunst verhält es sich nicht viel anders . Die hier vorgelegte Forschungsarbeit dokumentiert das Kunstgeschehen in monumentalem Kontext . Das heißt: mit Fokussierung des Blicks auf eine für den öffentlichen Raum und zu jedermanns beiläufiger Betrachtung bestimmten Kunstgattung in einer deutschen Großstadt in der Epoche der Moderne . Sie erstreckt sich auf das ganze vergangene 20 . Jahrhundert und findet Anschluss beim gegenwärtigen Kunstgeschehen . Diese »provinzielle«, aber methodisch alles
andere als beschränkte Perspektive bewährt sich seit einiger Zeit als fruchtbringende Methode in der Sichtung und Bewertung dessen, was Moderne nicht als abstrakter »Stilbegriff«, sondern in ihrer stilistischen Vielfalt, Gegensätzlichkeit und durchaus auch ihrer Begrenztheit wirklich bedeutete. Solch methodisch beispielhafte Untersuchungen über moderne Glasmalerei existieren bislang nur für wenige deutsche Städte wie Düsseldorf und für einzelne Kunstlandschaften.5 In digitaler Form und in beispielloser kunsttopographischer Ausbreitung und Gründlichkeit seit langem verfügbar ist indes der Bestand an moderner Glasmalerei im Rheinland und den angrenzenden belgischen, luxemburgischen und niederländischen Kunstlandschaften.6
Das hier vorgelegte Forschungsergebnis zu Bedeutung und Bestand der modernen Glasmalerei in Magdeburg dürfte viele Kunstwerke enthalten, die in naher Zukunft Gegenstand denkmalpflegerischer Zielstellung und Erhaltung werden oder es, da akut gefährdet, schon sind . Dabei ist stets zu hoffen, dass alles, was Denkmalpflege erhalten will, nicht »konserviert« wird, weil »die Denkmalpflege« es aus irgendeinem »wissenschaftlichen« Grunde will, sondern weil es sich um künstlerische Leistungen handelt, die aus eigenständiger Erkenntnis des heutigen Betrachters nicht nur als »historisches« Erbe geschätzt werden, sondern als gegenwärtige, wenn man so will zeitlose Werke
Zwischen
Expressionismus und Sozialismus
Was künstlerische Raumgestaltung angeht, so war in den 1920er Jahren die Ausstattung der Magdeburger Stadthalle und ihrer großen Fensterwände mit ornamental strukturierten Luxferprismen ein wichtiges Epochenereignis der Weimarer Zeit . Dieser Backsteinbau war auch eine veritable Glasarchitektur, nicht zuletzt eine auf nächtliche Wirkung im Stadtbild gerichtete Lichtarchitektur (ebenso wie Albinmüllers ihr zugeordneter Rotehorn-Turm) . Die Fensterwände waren Beispiel einer seriellen Glasgestaltung, die in Verbund mit einer anspruchsvollen experimentellen Raumfassung zu sehen sind . Dies ist bereits in Sabine Ullrichs detaillierter Studie über die Stadthalle als eines der wichtigsten Bauprojekte seiner Art in der Zeit der Weimarer Republik ausführlich dargelegt7 und wurde beim aktuellen Aus- und Umbau der denkmalgeschützten Stadthalle Ge -
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6 Walter Bischof: »Die sieben Künste«, Allegorien der Dichtung (Stift), Musik (Dirigentenstab), Schauspiel (Maske), Tanz (weibliche Figur), Architektur (Modell), Bildhauerei (Klüpfel), Malerei (Pinsel), im Treppenaufgang des ehemaligen Kantinen- und Kulturgebäudes des VEB Kombinat Schwermaschinenbau »Karl Liebknecht« (SKL) Magdeburg, heute Industriepark, Alt Salbke 6-10, 1951 (Foto: Frank Pudel)
zwei Fensterwände 1983/84 von Oskar Hamann im ehemaligen Ministerium des Innern der DDR in Berlin-Mitte (Französische Straße/Ecke Mauerstraße), von Manfred Gabriel »Ferne Galaxien« für das Lehrlingswohnheim der Betriebsberufsschule im VEB CarlZeissJena (1968/69), heute Jugendwohnheim Jena und Internationales Gästehaus (Abb 105, 106), Eckehard Freys Treppenhausfenster am Sozialtrakt des VEB Dampfkesselbau Meerane (1987/88), heute Restaurant (Abb 108), sein Treppenhausfenster für das Zentralinstitut für Elektronenphysik (1979/80), heute Paul-Drude-Institut für Festkörperphysik in Berlin (Abb 173, 174) oder seine Glaswand für die Neuapostolische Kirche in Bad Schmiedeberg (1981, Abb 136), Richard Wilhelms Glaswand im Eingangsbereich der Ingenieurhochschule für Seefahrt in Warnemünde (1 H 1970er Jahre), heute
‹‹‹ 104 Oskar Hamann (und Marga Hamann?): »Rosenblüten«, Treppenhausfenster in der früheren Poliklinik Stendal, heute Hufelandhaus, 1973/74 (Foto: Frank Pudel)
Hochschule Wismar, Fakultät für Ingenieurwissenschaften (Abb . 107), seine Arbeit zum Wort Friedrich Hölderlins »Das meiste nämlich vermag die Geburt und der Lichtstrahl, der dem Neugeborenen begegnet« für die Polytechnische Oberschule »Wladimir Iljitsch Lenin« (um 1973), heute Johannes-Gutenberg-Schule in Wolmirstedt (Abb . 169, 170) oder die große plakative Fensterwandgestaltung mit dem Arbeitstitel »Lebensfreude« für die frühere LPG »Morgensonne« in Garitz (Zerbst/Anhalt, heute Landgasthof Garitz (1972–74, Abb . 109), Dietmar Witteborns Trennwand und sein Treppenhausfenster für das Zentrale Forschungsinstitut der Deutschen Reichsbahn in Magdeburg-Rothensee (1980er-Jahre, Abb 110–112) oder Marga Hamanns Glaswände für den Gemeindesaal an der Magdeburger Wallonerkirche (1974/75, Abb. 181, 182) sowie ihre Arbeit »Afrika«
»Ferne
Glasbetonwand im Jugendwohnheim Jena-Lichtenhain, Internationales Gästehaus, 1968/69 (Fotos und Fotomontage:
107 Richard Wilhelm: „Elemente der Seefahrer“, Glasbetonwand, Hochschule Wismar, Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Eingangsbereich Haus 1, Richard-Wagner-Straße 31, 1971 (1974), beschädigt, Aufnahme 2021 (Foto: Frank Pudel)
109 Richard Wilhelm: Fenster »Lebensfreude« für die LPG »Morgensonne« in Garitz (Zerbst/Anhalt), Weinberg 1, heute Landgasthof Garitz, 1972–74 (Foto: Frank Pudel)
für die »Schule der Freundschaft« in Staßfurt (1982/83, Abb 9) Sämtliche genannte Werke mit Ausnahme »Lied der Arbeit« und »Afrika« sind erhalten . In dieser Technik sind es insbesondere die Arbeiten von Eckehard Frey, Oskar und Marga Hamann sowie Dietmar Witteborn, die sich künstlerisch hervorheben
1972 nannte sich die Künstlergruppe erneut um und aus der Werkgenossenschaft wurde das »Kollegium Bildender Künstler Glasgestaltung Magdeburg« (KBK) . Diesen Namen behielten sie bis zur Wiedervereinigung 1989/90 bei. Die Bezeichnung »Kollegium« war damals neu und einmalig in der DDR, ebenso die neue, unabhängigere Struktur der Werkstattgemeinschaft.84 Mit der Umbenennung verknüpft war die Umwandlung der genossenschaftlich organisierten Werkstatt, die damit einhergehende Loslösung
‹‹‹ 108 Eckehard Frey: Treppenhausfenster in Glasbeton für den Sozialtrakt des früheren VEB Dampfkesselbau Meerane, heute Restaurant, Zwickauer Straße, 1987/88 (Foto: Frank Pudel)
von Vorgaben der staatlich verordneten Planerfüllung im Arbeitsalltag und das Ende der vorherigen Konkurrenz zu volkseigenen Betrieben . Alle drei Gründungsmitglieder waren zu diesem Zeitpunkt Mitglieder im Verband Bildender Künstler und die Änderung in der Struktur des »künstlerischen Unternehmens« somit möglich Die Mitgliedschaft erlaubte ihnen nun freischaffend als Künstler zu arbeiten und die »Honorarordnung Bildende Kunst« als Grundlage für Angebote und Rechnungen zu nutzen . Die festen Einnahmen sicherten den Lebensunterhalt der Künstler, ihrer Familien und der Familien der »freiberuflichen« Mitarbeiter sowie den Unterhalt der Werkstatt Ebenso waren damit Materialankäufe abgedeckt sowie die Aufträge an Handwerker und VEBs, die für spezielle Aufträge Vorarbeiten leisteten wie beispielsweise Stahlarmierungen
Künstlergruppe »Glasgestaltung Magdeburg«
110 Dietmar Witteborn: Glasbetonwand mit Türgestaltung für einen Besprechungsraum des Zentralen Forschungsinstituts der Deutschen Reichsbahn, Magdeburg-Rothensee, Havelstraße, Mitte bis späte 1980er Jahre, durch Leerstand gefährdet, Aufnahme 2021 (Fotos und Fotomontage: Frank Pudel)
für die Betonglasfenster Der Preis einer eingeschossigen Trennwand aus Glasbeton oder in Applikationstechnik entsprach in etwa dem Preis eines Wartburgs 85
Seit den frühen 1970er Jahren erhielten die Mitglieder der »Glasgestaltung Magdeburg« erste offizielle Auszeichnungen als Künstler, etwa den Kunstpreis der DDR (1972 Wilhelm, Richter und Oskar Hamann) oder Preise bei den Quadriennalen des Kunsthandwerks sozialistischer Länder in Erfurt (Hauptpreis Richter 1974 bei der I Quadriennale, 1982 Richter, Marga Hamann und Witteborn bei der III . Quadriennale) 1983 wurde Wilhelm mit dem Nationalpreis der DDR für seine »beispielhaften Leistungen bei der sozialistischen Umweltgestaltung« ausgezeichnet Für die großen Kunstausstellungen der DDR in Dresden, die im Abstand von fünf Jahren stattfanden, und für die Quadriennalen fertigten sie zum Teil Abzüge von Großdias, aber überwiegend Glasobjekte und -skulpturen Mit diesen beteiligten sie sich ebenso an internationalen Ausstellungen im sozialistischen Ausland sowie an Bezirksausstellungen im Bezirk Magdeburg oder im Grassi Museum Leipzig 86 Um im westlichen Ausland auszustellen, gab es nur wenige Gelegenheiten . 1977 schickte Richard Wilhelm seine Schichtglasplastik »Interferenz II: Winde« zum ersten offenen Wettbewerb für Modernes Glas in Europa in
112 Dietmar Witteborn: »Motive aus dem Bereich der Eisenbahn«, Treppenhausfenster im ehemaligen Zentralen Forschungsinstitut der Deutschen Reichsbahn, Magdeburg-Rothensee, Havelstraße, Mitte bis späte 1980er Jahre, durch Leerstand gefährdet, Aufnahme 2021 (Foto: Frank Pudel)
den Kunstsammlungen der Coburger Veste 87 Im Frühjahr
1989 reiste Richter zur II . Glasplastikausstellung nach Lüttich 88
Reginald Richter machte sich, ebenfalls in den 1970er Jahren, mit freiplastischen Schichtglasarbeiten für Innenräume und in großen Formaten für den Außenraum in der DDR einen Namen 89 Erhalten sind in Berlin die Objekte »Genesung« vor der Charité (Abb. 175) und »Beflügelter Aufbruch« am Hausvogteiplatz sowie eine Installation im Garten eines Seniorenheims in Annaberg-Buchholz (Abb 113) Richters Plastiken aus Schichtglas sind durch eine reduzierte, klare Formensprache charakterisiert . Dietmar Witteborn und Richard Wilhelm arbeiteten ebenfalls mit Schichtglas . Marga Hamann hat nur sehr partiell Schichtglas verwendet, für Eckehard Frey und Oskar Hamann konnten keine Schichtglasplastiken nachgewiesen werden Oskar Hamann entwickelte ein würfelähnliches Glasgussformat, mit dem sich Glaswände flexibel in unterschiedlichen Größen bauen ließen, so in den 1980er Jahren für die Charité in Berlin (Abb . 114) . 90 Eine zweite Wand aus diesen Würfeln ist in Berlin-Mitte im Gebäude des ehemaligen Ministeriums des Innern der DDR, Eingangsbereich Haus 3, Französische Straße/Ecke Mauerstraße erhalten .
‹‹‹ 111 Dietmar Witteborn: »Motive aus dem Bereich der Eisenbahn«, Treppenhausfenster im ehemaligen Zentralen Forschungsinstitut der Deutschen Reichsbahn, Magdeburg-Rothensee, Havelstraße, Mitte bis späte 1980er Jahre, durch Leerstand gefährdet, Aufnahme 2021 (Fotos und Fotomontage: Frank Pudel)
Zum 20 Werkstattjubiläum und in Vorbereitung auf den 25 . Jahrestag der Gründung der DDR fand im Kulturhistorischen Museum Magdeburg vom 21 März bis 21 April 1974 eine Sonderausstellung »Glasgestaltung Magdeburg« statt, veranstaltet vom Rat des Bezirks Magdeburg und dem Kollegium Bildender Künstler »Glasgestaltung Magdeburg« . Die Ausstellung wurde als Höhepunkt im Kulturleben des Bezirks gepriesen und von einem Ausstellungskomitee aus Politik und Kunst begleitet 91 Sie zeigte erstmals in der DDR in diesem Umfang baugebundene Glaskunst . 92 In dem Ausstellungszeitraum von einem Monat sahen 11 500 Besucher die Exposition,93 es gab 52 Führungen für Kollektive aus Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen, ein Konzert in der Ausstellung, ein Gespräch mit Jugendlichen und diverse weitere ausstellungsbegleitende Veranstaltungen Geplant war, die Exponate im Rahmen einer Wanderausstellung in Donezk (Ukraine), Kielce (Polen), Hrade Králové (Tschechien) und Schumen (Bulgarien) zu zeigen . Die Pläne wurden nicht umgesetzt, abgesehen von einer späteren Präsentation in Polen . Zeitgleich mit der Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg fand die 5 Werkstattausstellung in den Räumen des Kollegiums statt, eine Art Tag der offenen Tür mit über 1.000 Besuchern.94 »Hauptanliegen und Verpflichtung sozialistischer Kunst ist die meisterhafte Interpretation der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse und der Schöpferkraft aller Werktätigen in der Gesellschaft, um einen aktiven Beitrag zur Persönlichkeitsbildung und Stärkung unserer Republik zu leisten . Den Künstlern sind damit […] hohe Ziele gestellt, für das Wohl und das Glück des Volkes zu wirken«, schreibt Kurt Ranke, Vorsitzender des Rates des Bezirkes Magdeburg im Geleitwort zum Begleitbuch der Ausstellung und bringt damit das Anliegen der staatlichen Instrumentalisierungsversuche von Kunst auf den Punkt . 95 Manch Titel aus dem Auftragsvolumen der Magdeburger Glasgestaltung klingt geradezu bieder und ist den Auftraggebern und ihrem politischen Anspruch geschuldet Insofern stand auch hinter Blumenmotiven eine politische Absicht . Kunst sollte in den Alltag der Menschen wirken, ihn verschönern und alle Lebensbereiche durchdringen . Auch die »Ausstellung hatte zum Ziel, Impulse für die Gestaltung der Umwelt der Menschen zu geben, die Bedeutung und Möglichkeiten des Werkstoffes Glas für die baugebundene Kunst in den wichtigsten Ausdrucksmöglichkeiten zu zeigen und unseren Werktätigen Entspannung und Freude zu bieten«, klingt es im Abschlussprotokoll nach . 96 »Schönheit des Lebens in Pflanzenformen und farben«, lautete ein von Oskar und
Künstlergruppe »Glasgestaltung Magdeburg«
113 Reginald Richter: Schichtglasplastik im Garten des Wohnparks
Louise Otto-Peters in Annaberg-Buchholz, 1989 (Foto: Gemeinnützige Wohn- und Pflegezentrum Annaberg-Buchholz GmbH)
114 Glasdalle (links), Glaslinse (vorn), würfelähnliches Glasgussformat, entwickelt von Oskar Hamann (rechts) (Foto: Charlen Christoph)
Marga Hamann in den Jahren 1972 bis 1975 geschaffenes Glasbetonfenster für die Gaststätte »Kosmos« im Magdeburger Neubaugebiet »Reform«, ein anderes »Die Schönheit der Börde in ihren volkstümlichen Blumen und Ornamenten« für die Wohngebietsgaststätte »Bördestuben« in Magdeburg-Nord, 1976 bis 1978 von Oskar Hamann (Abb 115) 1971 entstand »Früchte des Landes und des Meeres decken unseren Tisch« für den Speisesaal im VEB Starkstromanlagenbau Karl-Marx-Stadt, ebenfalls von Oskar Hamann. »Kaffeekannen im Reigen der Zeit« schuf Reginald Richter 1979/80 für eine Wohngebietsgaststätte mit Schülerspeisung in Leipzig-Grünau . Einige Arbeiten bedienten mit ihren von den Auftraggebern vorgegebenen Titeln offensichtlich politische Propaganda. »Die Entfaltung der marxistischleninistischen Lehre« war ein Auftrag, den Reginald Richter 1970/71 für das Foyer der KarlMarxUniversität Leipzig realisierte, wenngleich er ihn abstrakt als »Fahnenwand« aus lamellenartig gereihten, roten Antikglas-Dreiecken und Kristallglas realisierte »Die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse – Garant für ein glückliches Leben des Volkes« hieß seine Arbeit für die SED-Bezirksparteischule »Hermann Matern« in Magdeburg . »Ernst Thälmann – Deutschlands unsterblicher Sohn« oder »Im Geiste Thälmanns kämpfen und bestehen«, beide Titel sind überliefert, schuf Richard Wilhelm 1971/72 für die SEDBezirksleitung »Ernst-Thälmann-Haus« in Magdeburg . »Die Reglementierungen [in der DDR], tagtäglich praktiziert, vorgebetet, nachgebetet, als Litaneien allen vorangestellt, in Plat[t] itüden vorgekaut, multipliziert gedruckt und als Losungen plakatiert, begleiteten jeden, vom Kindergarten bis zum Altersheim«, schrieb Reginald Richter rückblickend 97 Das offizielle Politgeplänkel hielt die »Glasgestaltung Magdeburg« aber nicht davon ab, die gegebenen technischen Möglichkeiten des Materials Glas auszureizen und eigene künstlerische Ideen zu verwirklichen Dabei entstanden gerade mit den monumentalen Glasbetonwänden künstlerische Positionen von überzeugender Qualität, die sich deutschlandweit messen lassen. Aber nicht jeder Auftrag hatte das Potenzial für ein Kunstwerk von großem Rang Insbesondere das Werk von Richard Wilhelm ist in der Künstlergruppe das ambivalenteste, das sowohl Großartiges, aber auch gediegenes Handwerk und plakativ Politisches98 umfasst (Abb. 126, 127), das Wilhelm offenbar dem jeweiligen Auftraggeber entsprechend flexibel produzieren konnte Künstlerisch überzeugend sind, neben einigen Betonglasfenstern, u. a. seine beiden Glaswände 1969/70 für die Trauerhalle auf dem Dessauer Zentralfriedhof
115 Oskar Hamann: »Die Schönheit der Börde in ihren volkstümlichen Blumen und Ornamenten«, Wohngebietsgaststätte »Bördestuben« in Magdeburg-Nord, 1976–78, nicht erhalten (Foto: Kartei Kulturbüro Magdeburg)
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Richard Wilhelm: »Brennend versprüht der Lebensbaum«, zwei Glaswände für die Trauerhalle auf dem Dessauer Zentralfriedhof, Farbglasapplikation auf Rillenornamentglas (Rippenstrukturglas), 1969/70, saniert 1993/94 (Foto: Frank Pudel)
119 Glasgestaltung Magdeburg: Trennscheibe in der Warenauslage der Bäckerei Mundt in Magdeburg, Leipziger Straße, zwei Schiebelemente mit Farbglasapplikationen und Sandstrahltechnik, ca. 1968/69 (Foto: Sabine Ullrich)
120 Richard Wilhelm: Detail einer Türverglasung in der Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Bereich Seefahrt, Anlagentechnik und Logistik, Hochschule Wismar, 1971–74 (Foto: Frank Pudel)